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Unterwegs in Baden-Württemberg auf dem Weg nach Stuttgart

Inhalt

Vom Weltenbummler zum Deutschlandentdecker

Start der Reise

Das hatte ich mir anders vorgestellt

Von Österreich umzingelt – Das Berchtesgadener Land

Mitten in Niederbayern – Die längste Burg der Welt

Drei Flüsse und viele Sehenswürdigkeiten

Natur und Kultur entlang der Donau

Mit alten Freunden durch Nürnberg

Mainfranken und schon wieder Bratwurst

Letzte Nacht in Bayern

Unbekanntes und vielseitiges Ostdeutschland

Das geteilte Deutschland

Da hab’ ich im Geschichtsunterricht wohl gepennt

Bei Rosi und Caro in Erfurt

Zu fünft bis zur Talsperre Kelbra

Übernachtung im Geräteschuppen

Mit dem deutschen NDURO-Meister durchs Vogtland

Mit einem Promi im Erzgebirge unterwegs

Deutschlands »Grand Canyon«

Dresden – mehr als nur Pegida

Zelten in traumhafter Natur

Auf den Spuren Martin Luthers

Was ist das für ein Teil!

Kuriose Hobbys

Im Venedig des Nordens

Unterwegs mit Hannibal und Casper

Der Radfernweg Berlin–Usedom

Zwei Meere, tolle Strände – Deutschlands Norden

Traumhafte Inseln

Der Psycho-Fuchs

Auf Malle ist’s auch nicht schöner

Hamburg, meine Perle

Immer diese Vorurteile

Der Nordseeküsten-Radweg

Wo die Stadtmusikanten zu Hause sind

Ostfriesland – Radlertraum an der Nordsee

Irre – ein Zughotel

Westdeutschland – viele Städte und viel Natur

NRW – Das bevölkerungsreichste Bundesland

Die geilste Stadt der Welt

Killepitsch

Hundert Kilometer sind völlig ausreichend

Was für ein riesengroßes Loch

Da wirste jeck

Sauerland – Der Wasserspeicher des Ruhrgebiets

Dauerregen

Auf dem Fuldaradweg

Die Teilung aus westdeutscher Sicht

Mehr als nur Bankentürme

Der Taunus

Der Naheradweg

Das Bodenwespennest

Radfahren zwischen Weinbergen

Der Süden – wo ich aufwuchs und trotzdem Neues entdeckte

Zu Besuch in der Fächerstadt

Frank, der Weltenbummler aus Roßwag

Zu Gast bei entfernten Verwandten

Hätte ich nur nicht auf ihn gehört

Die Schwäbische Alb und ein gigantischer See

Zurück in der Heimat

Der südlichste Punkt der Reise

Höher geht’s nicht

Die letzte Nacht im Zelt

Wieder dahoam

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Vom Weltenbummler zum Deutschlandentdecker

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Wildzelten in einem Forst in der Nähe von Mainbernheim

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Zelten an der Elbe in Sachsen-Anhalt (oben)

Traumhaftes Radfahren durch einen Wald in Brandenburg (unten)

Vom Weltenbummler zum Deutschlandentdecker

Ich kann heute gar nicht mehr genau sagen, was meine Reiselust im Leben geweckt hat. Vielleicht war es mein Erdkundelehrer, der im Unterricht lieber über seine verrückten Reisen auf der ganzen Welt erzählte, als uns etwas über Gesteinsschichten beizubringen. Vielleicht waren es die Weltreisebilder meiner Eltern, die im Gang unserer Wohnung hingen und an denen ich von klein auf vorbeigelaufen bin. Wie auch immer: Schon sehr früh wollte ich raus und die große weite Welt entdecken.

Meine erste Reise ohne Eltern unternahm ich im Alter von 16 Jahren. Damals ging es zu acht mit einem Interrail-Ticket durch Europa. Das war bis heute das erste und letzte Mal, dass ich mit einer so großen Gruppe unterwegs war. Trotzdem war ich spätestens seit dieser Reise angefixt. Das letzte Jahr in der Schule verbrachte ich damit, den Atlas zu studieren und mir vorzustellen, wo ich überall hinreisen könnte und welche exotischen Länder es zu entdecken gibt. Denn eines stand schon sehr früh für mich fest: Ich wollte raus, möglichst weit weg von Deutschland, irgendwohin, wo es unglaublich spannend ist.

Nach dem Abitur arbeitete ich noch für ein Jahr bei Film und Fernsehen, um meine Reisekasse aufzubessern, und brach im Alter von 21 Jahren zu meiner ersten Weltreise auf. Geplant war, ein Jahr lang unterwegs zu sein. Ich startete, wie so viele andere auch, mit dem Rucksack. Nach kurzer Zeit fand ich diese Art des Reisens aber nicht abenteuerlich genug, da ich die meiste Zeit im Zug oder Bus saß und die Landschaft an mir nur vorbeiraste.

Nach wenigen Wochen – ich war zu dem Zeitpunkt in Indien angekommen – beschloss ich, mit dem Fahrrad weiterzufahren. Ich hatte allerdings überhaupt keine Ahnung von Fahrrädern und nur wenig Budget. So kaufte ich mir für umgerechnet 20 Euro ein indisches Eingang-Rad, welches schon ohne Gepäck über 20 Kilo wog. Ich hatte pro Tag mindestens einen Platten und kam im Durchschnitt nur 30 Kilometer weit. War mir aber egal, ich hatte endlich das Abenteuer, nach dem ich gesucht hatte, und reiste mit meinem Eingang-Fahrrad fünf Monate durch Indien.

Später tauschte ich das schlichte Rad gegen ein besseres mit Gangschaltung, fuhr damit durch Südostasien und Australien. Aus einem Jahr Weltreise wurden irgendwie drei. Ich hatte für mich den Sinn des Lebens gefunden und wollte mit dem Reisen nicht mehr aufhören.

Mit Mitte 20 musste ich mir dennoch irgendwann Gedanken über meine Zukunft machen und mich entscheiden zwischen zwei Möglichkeiten: Studium oder das Reisen zum Beruf machen. Sehr zum Leidwesen meiner Großmutter entschied ich mich für Letzteres.

Ich kehrte nach Deutschland zurück, um eine neue Abenteuertour zu organisieren. Neun Monate später saß ich wieder auf dem Fahrrad, startete in München und radelte sieben Monate lang bis nach Singapur. Mein Ziel war es, einen Film über diese Reise zu drehen und damit meinen Lebensunterhalt zu verdienen.

In den folgenden zwei Jahren gewann die Dokumentation einige Filmpreise und ich merkte, dass ich das Reisen tatsächlich zum Beruf machen konnte. Ich fing an, Vorträge zu halten, und plante gleichzeitig eine weitere Fahrt, diesmal mit einem E-Bike.

2012 ging es nach Australien, um einmal 16 000 Kilometer von Sydney nach Sydney zu radeln. Damals waren E-Bikes etwas ganz Neues und die Entwicklung steckte noch in den Kinderschuhen. Ich war aber von Beginn an neugierig und wollte wissen, ob ein elektrisches Fahrrad reisetauglich ist. Korrekterweise müsste es Pedelec und nicht E-Bike heißen, da sich aber der Begriff umgangssprachlich durchgesetzt hat, werde auch ich hier die Bezeichnung E-Bike verwenden.

Wenn ich meine Lebensjahre als Erwachsener zusammenrechne, komme ich auf über vier Jahre, die ich im Ausland unterwegs war, und dabei habe ich knapp 50 000 Kilometer auf dem Fahrrad in 35 Ländern zurückgelegt. Sicher, ich habe nicht die ganze Welt gesehen, aber doch ein bisschen was davon. Ein Land allerdings hat in all meinen Plänen nie eine Rolle gespielt, da ich es als wenig abenteuerlich und langweilig abgestempelt hatte: Deutschland, mein Heimatland.

Bisher wollte ich immer möglichst weit weg, bis ich eines Tages vor einer Umrisskarte Deutschlands stand und nicht in der Lage war, alle Bundesländer zu benennen. Höchste Zeit für mich, das zu ändern, auch wenn ich zunächst skeptisch war, ob ich im eigenen Land etwas erleben könnte.

Nach einem Tag Überlegung stand mein Plan fest: einmal mit dem Rad durch das gesamte Land fahren und dabei alle 16 Bundesländer besuchen. Ich wollte aber nicht alleine reisen und machte über meinen Newsletter und die sozialen Medien mein Vorhaben bekannt. Ich forderte die Leute auf, sich bei mir zu melden, um mich ein Stück zu begleiten und mir so ihre Heimat vorzustellen. Entweder per Mail oder über die sozialen Medien unter dem Hashtag #whatatrip.

Ich dachte mir, wenn sich 20 Mitfahrer fänden, wäre das toll. Nach wenigen Wochen hatte ich bereits 400 Einladungen in meinem E-Mail-Postfach.image

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Aussichtspunkt auf einem verlassenen Parkhaus in Aachen

Start der Reise

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Zelten am Donauradweg zwischen Passau und Regensburg

Das hatte ich mir anders vorgestellt

Start meiner Reise durch Deutschland war der 1. Mai 2016. Bis zu diesem Zeitpunkt lagen bereits über sechs Monate Vorbereitung hinter mir, um die Tour finanziell und organisatorisch auf die Beine zu stellen.

Da es ein Feiertag war, hatte ich die geniale Idee, am ersten Reisetag alle Freunde, Bekannte und Verwandte dazu aufzurufen, mich auf der ersten Etappe bis nach Rosenheim zu begleiten. An so einem Tag müssten ja alle Zeit haben. Und wie könnte man seinen freien Tag besser verbringen, als mit mir eine Radtour zu unternehmen?

Treffpunkt war im Münchner Hofgarten, wo ich auf den Tag genau acht Jahre zuvor meine Fahrradreise nach Singapur gestartet hatte. Damals hatten wir am 1. Mai 2008 bereits 25 Grad bei frühsommerlichen Temperaturen und bestem T-Shirt-Wetter.

Ich vermutete, dass ich für die knapp 70 Kilometer der ersten Etappe bestimmt um die 60 Mitfahrer hätte. Nach dem Aufwachen dann der besorgte Blick aus dem Fenster: Es hingen dunkle, schwarze Wolken über München. Auf dem Weg zum Hofgarten der nächste Schock: Es war saukalt mit gerade einmal sieben Grad. Vor fünf Tagen hatte es noch Schneeregen gegeben.

Der Plan war, um 10:30 Uhr loszufahren. Dass nicht alle pünktlich kommen würden, wusste ich schon vorher. Ich kannte ja meine Leute. Doch als wir eine Viertelstunde später noch immer nur zu fünft waren (einer davon war ich), wusste ich, dass mein Plan mit der großen gemeinsamen Ausfahrt wohl ziemlich danebengegangen war.

Mit dabei war auch meine Frau Marion, die sich eine Woche Urlaub genommen hatte, um mich zu Beginn der Reise zu begleiten. Nach knapp drei Kilometern fing es prompt wie aus Eimern zu schütten an und somit verabschiedeten sich die anderen drei Mitfahrer, noch bevor wir die Stadtgrenze Münchens erreicht hatten.

Die Route führte Marion und mich über den Mangfallradweg in Richtung Rosenheim. Schon im Stadtgebiet von München kommt man mit den großen Verkehrsadern nur kurz in Berührung. Richtig schön wird die Tour ab Dürrnhaar – wenn es nicht gerade regnet.

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Der Chiemsee, auch bekannt als das Bayrische Meer (oben)

Der Königssee – einer der saubersten Seen Deutschlands (unten)

Von hier geht es an Wiesen und Wäldern vorbei hinunter ins Mangfalltal. Dort folgten wir schließlich dem Ufer des kleinen Flusses. Ungefähr auf halber Strecke kommt man zum Ayinger Bräustüberl, einer beliebten Einkehrmöglichkeit mit schattigem Biergarten, wo wir die erste Pause einlegten und den Sonnenschirm als Regenschirm benutzten.

Völlig durchnässt und durchgefroren erreichten wir am frühen Nachmittag Rosenheim, wo wir uns in einem kleinen Hotel am Stadtrand einquartierten. Mittlerweile waren mir erste Zweifel gekommen, warum ich mir das antue: stundenlang durch den Regen zu fahren bei Temperaturen unter zehn Grad Celsius, wenn es auf der Welt doch Regionen gibt, wo jeden Tag schönes Wetter und angenehme Temperaturen garantiert sind. Vielleicht hätte ich lieber Spanien als Reiseziel wählen sollen, zumal laut Wetterbericht auch für die kommenden Tage nicht unbedingt mit einer Hitzewelle und trockenem Wetter in Deutschland zu rechnen war.

Am nächsten Morgen ging es weiter in Richtung Chiemsee. Er ist der größte See Bayerns und wird deshalb auch »bayerisches Meer« genannt. Glücklicherweise hatten wir ein paar regenfreie Stunden und konnten somit die Schönheit des Chiemsee-Radwegs ein wenig genießen. Die Tagesetappe war mit knapp 50 Kilometern relativ kurz, denn wir hatten eine Einladung von Susanne und Matthias Untermayer, eine Nacht auf dem Moierhof zu verbringen – ein toller Erlebnisbauernhof nördlich des Chiemsees.

Matthias zeigte uns nach dem Abendessen seinen gesamten Hof. Neben Schafen, Pferden, Schweinen und Hühnern gibt es auch einen Kuhstall mit Milchproduktion. Obwohl Matthias seine Milch an die Molkerei Berchtesgadener Land verkauft, die ihren Bauern einen festen Milchpreis garantiert, kann man heute mit 200 Kühen keine Familie mehr ernähren. Die Untermayers richteten deshalb vor einigen Jahren Gästezimmer ein, um eine weitere Einnahmequelle zu haben.

Bevor der Tag zu Ende ging, zeigte sich die Sonne für ein paar Minuten. Ich nahm es als gutes Zeichen für die kommenden Tage. image

Von Österreich umzingelt – Das Berchtesgadener Land

Im südöstlichsten Zipfel Deutschlands ragt der Landkreis Berchtesgadener Land keilförmig nach Österreich hinein. Im Osten, Süden und Südwesten ist die Landkreisgrenze zugleich auch die Staatsgrenze. Während der Landkreis im Norden leicht hügelig ist, wird es ab Bad Reichenhall im Süden bereits alpin bzw. hochalpin mit dem zweithöchsten Berg Deutschlands: dem Watzmann mit 2713 Meter Höhe.

Unsere Tagesetappe führte uns vom Chiemsee in Richtung Südosten nach Traunstein und Bad Reichenhall. Nach knapp 80 Kilometern erreichten wir Berchtesgaden. Leider war die Sonne vom Vorabend nur ein kurzes Störfeuer. Es blieb weiterhin kalt mit viel Niederschlag, weshalb wir uns für zwei Nächte in einer Holzhütte auf einem Campingplatz einmieteten.

Um ehrlich zu sein, war das Wetter in Deutschland mit ein Grund, warum mein eigenes Land als Reiseziel bisher für mich nie infrage kam. Ich komme mit über 40 Grad in Australien besser zurecht als mit Sommertemperaturen unter zehn Grad hierzulande. Abends saß ich also da und starrte in die nicht enden wollenden Regenwolken. Nicht zum ersten Mal fragte ich mich, ob es wirklich eine gute Idee war, eine Reise durch Deutschland zu machen.

Auch nach dem Aufwachen gab es beim Blick nach oben keine Verbesserung zu vermelden. Der Tag startete so, wie der Vortag endete – mit viel Regen. Wir blieben also in der Region und ich besuchte am Vormittag das Salzbergwerk Berchtesgaden, bevor ich am Nachmittag in Begleitung von Marion in den Nationalpark Berchtesgaden fuhr. Hier darf auf keinen Fall eine Bootsfahrt mit dem Elektroschiff über den malerischen Königssee fehlen. Die mächtigen Felsen der Berchtesgadener Alpen fallen fast senkrecht zum Ufer des Königssees ab, der an seiner tiefsten Stelle stolze 192 Meter misst. Der Königssee ist der sauberste See Deutschlands und besitzt Trinkwasserqualität.

Wir fuhren eine halbe Stunde bis zur Halbinsel St. Bartholomä. Und sogar der Wettergott war uns hold und schenkte uns einige regenfreie Minuten. Ich machte ein paar »Beweisfotos«, um hinterher sagen zu können, dass ich wirklich vor Ort war. image

Mitten in Niederbayern – Die längste Burg der Welt

Tags darauf ging es von Berchtesgaden nach Burghausen. Ich traf meine ersten Mitfahrer dieser Reise: Andi und Bernd aus Burghausen. Wir waren auf der Stroblalm in der Nähe von Anger verabredet.

Ein Check am Vortag hatte gezeigt, dass es rund 700 Höhenmeter waren bis zur Alm. Da Marion trotz E-Bike Knieschmerzen plagten, fuhr sie mit dem Zug bis Waging am See voraus, wo wir sie später wieder aufgabelten.

Beim Start in Berchtesgaden kurz nach acht Uhr riss die Wolkendecke auf und die Sonne kam zum Vorschein. Und das Beste war: Ich konnte endlich die Berge sehen, die zuvor unter der Wolkendecke versteckt gewesen waren. Was für ein traumhafter Anblick!

Nach Tagen des Regens machte ich gleich mal eine Reihe Fotos und Videos. Denn ich wollte zumindest ein paar Aufnahmen von den Alpen haben, auf denen auch Berge zu sehen sind.

Andi und Bernd hatten den kompletten Tag inklusive Routenverlauf bereits durchgeplant. Es war Vatertag und so gab es schon um elf Uhr das erste Weißbier, natürlich mit Weißwurst. Schließlich musste ich auf dieser Reise die bayerische Fahne hochhalten und zumindest einige Klischees erfüllen. Nach der guten Stärkung ging es rasant bergab mit tollem Blick auf die Alpen.

Wir machten einen Abstecher nach Schönram, ein kleines Dorf, das an 364 Tagen im Jahr wahrscheinlich eher unscheinbar ist. Doch an diesem einen Tag war Brauereifest und Oldtimer-Treffen, was schon eine lustige Kombination ist, wie wir fanden.

Die beiden Männer, die sich schon seit der Schulzeit kennen, mittlerweile verschwägert sind und je fünf Kinder haben, verwandelten sich beim Anblick der vielen alten Motorräder und Autos wieder in kleine Jungs. Bernd und Andi waren großartig – die Sorte Menschen, bei denen man sich nicht vorstellen kann, dass sie jemals schlecht gelaunt sind oder laut brüllen können.

Vom Oldtimer-Treffen ging es den Waginger See entlang nach Burghausen. Und wie der Name schon verrät, steht hier auch eine Burg. Aber nicht irgendeine, sondern mit einer Ausdehnung von über einem Kilometer die längste Burg der Welt!

Marion und ich machten von der Burg ein paar tolle Bilder bei Sonnenuntergang. Als wir auf einer Parkbank sitzend den Anblick der Burganlage genossen, kam ein Reisebus voller Japaner an, die wohl auf dem Weg in die Burg waren. Da wurde mir richtig bewusst, dass es Menschen gibt, die einmal um die halbe Welt fliegen, um sich diese Burg anzusehen. Ich dagegen hatte es in 32 Jahren nicht geschafft hierherzufahren, obwohl sie direkt vor meiner Haustür liegt. Von München aus ist Burghausen mit der Bahn keine zwei Stunden entfernt. In meinem Erwachsenenleben war ich zwar vier Jahre im Ausland unterwegs gewesen, kannte aber noch nicht einmal die Highlights meines Heimatbundeslandes!

Dieser Moment war für mich ein regelrechtes Aha-Erlebnis. Zum ersten Mal realisierte ich, wie wenig ich bisher von Deutschland gesehen hatte. Und dieses Aha-Erlebnis sollte ich auf meiner Reise fortan mindestens dreimal pro Woche haben.

Als wir nach Sonnenuntergang zurück bei Andi waren, hatte dieser bereits das Abendessen zubereitet. Er wohnt mit seiner Familie in einem wunderschönen, modernen Haus direkt an der Salzach, hoch genug gelegen, um nicht vom Hochwasser gefährdet zu sein. Im Garten gab es Steckerlfisch vom Grill – ein absoluter Traum und die Krönung eines grandiosen Tags mit wirklich eindrucksvollen Menschen.

Der Abend sollte aber noch lange nicht zu Ende sein. Zum Abschluss gingen wir in die Bar Knoxoleum, die vielleicht verrückteste Kneipe, in der ich jemals war. Sie ist irgendwie halb Museum und halb nie vollendetes Kunstwerk und erstreckt sich über vier Stockwerke. Die künstlerische Gestaltung des gesamten Restaurants wurde vom Inhaber Franz Fiederer vorgenommen.

Es war einer dieser Abende, an dem man irgendwann auf die Uhr schaut und sich denkt: »Wieso ist es jetzt plötzlich halb zwei und wieso sind wir die letzten Gäste?« Bis ich im Bett lag, war es bereits nach zwei Uhr und ich hatte vier Bier getrunken, was für mich, der eher selten Alkohol trinkt, eine Menge ist.

Da Andi am nächsten Tag in die Arbeit musste, mir aber unbedingt noch etwas zeigen wollte, stellte ich den Wecker auf sechs Uhr. Mein müdes und biervernebeltes Gehirn brachte es gerade noch fertig auszurechnen, dass ich in dieser Nacht nur vier Stunden Schlaf haben würde. Fix und fertig von dieser schier unüberwindlichen Matheaufgabe fiel ich umgehend in den Tiefschlaf. Vier Stunden später klingelte der Wecker und mein Schädel fühlte sich an, als wäre gerade ein Güterzug darübergerollt. Ich wusste in den ersten Sekunden nicht, wo oben und wo unten ist. Eigentlich ist mir klar, dass ich Alkohol eher schlecht vertrage und oft schon nach drei Bier mit ziemlichem Kopfweh am Morgen aufwache. Trotzdem ist es immer schwer für mich, in einer geselligen abendlichen Runde strenge Selbstdisziplin walten zu lassen.

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Blick von der Stroblalm Richtung Berchtesgadener Land (oben)

Die Drei-Flüsse-Stadt Passau (unten)

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Blick von der Veste Oberhaus auf die Passauer Altstadt (oben)

Stephansdom in Passau (unten)

Dieser verkaterte Morgen war mir auf jeden Fall eine große Lehre. Da ich in den nächsten Wochen und Monaten noch sehr viele Privatübernachtungen bei netten Leuten haben würde, musste ich disziplinierter werden. Schließlich ist Reisen mein Beruf – mit großer Verantwortung und Pflichten – und kein Ferienlager am Ballermann. Also führte ich noch vor dem Frühstück die »Zwei-Bier-Regel« für mich ein, die besagt: pro Tag bzw. Abend nur zwei Bier bzw. zwei alkoholische Einheiten – um am nächsten Morgen fit und vor allem nicht verkatert zu sein.

Nach zwei großen, starken Kaffees ging es mir schon deutlich besser und Andi führte uns noch über die Staatsgrenze nach Österreich. Vom Nachbarland aus gibt es den besten Blick auf die Burganlage. So lernte ich, dass die Burg aus mehreren Einzelbereichen besteht und jeder Bereich für sich abgeschottet werden konnte, was eine Eroberung der Burg sehr schwer bis unmöglich machte.

Burghausen war im Mittelalter eine Großstadt, die durch den Salzhandel reich geworden ist. Damals kam das »weiße Gold« auf Schiffen aus Berchtesgaden über die Salzach nach Burghausen. Hier wurde es verladen und natürlich verzollt und versteuert, bevor es über den Landweg weiterging. Daher zählte Burghausen im Mittelalter zu den reichsten Städten Deutschlands.

Im Anschluss an diesen Ausflug brachte ich Marion zum Bahnhof, denn für sie ging es zurück nach München. Als wir auf den Zug warteten, kam ich mit einem älteren Herrn ins Gespräch, dem ich erzählte, was ich vorhatte und dass ich heute noch in Passau ankommen würde. Er gab mir den Tipp, auf jeden Fall bei Sonnenaufgang den Passauer Stephansdom zu besichtigen. image

Drei Flüsse und viele Sehenswürdigkeiten

Alleine fuhr ich weiter in Richtung Passau, zunächst den Innradweg entlang. Solltet ihr gerade überlegen, wo die nächste Radtour hingehen soll, streicht den Innradweg wieder von der Liste. Der Inn ist eigentlich nur ein riesiger, breiter Kanal und der Radweg nicht gerade der spektakulärste. Deshalb beschloss ich irgendwann, querfeldein zu fahren.

Nach 110 Kilometern erreichte ich die Drei-Flüsse-Stadt Passau. Hier fließen der grüne Inn, die schwarze Ilz und die blaue Donau zusammen. Wie ich bei meiner Stadtführung erfuhr, müsste ab Passau die Donau eigentlich Inn heißen, denn der Inn ist der breitere Fluss mit der größeren Wassermenge. Nur weil die Donau ein paar Kilometer länger ist, heißt der Fluss im weiteren Verlauf eben Donau.

Aufgrund ihrer Lage werden die Passauer regelmäßig vom Hochwasser heimgesucht. Im Jahr 2013 kam es zur zweitschlimmsten Flutkatastrophe in der Geschichte der Stadt. Die Altstadt und weitere Teile des Zentrums waren großflächig überschwemmt. Die braunen Wassermassen verwandelten Straßen und Gassen in Kanäle. Das Wasser stand teilweise bis zum ersten Stockwerk in den Häusern.

Während meiner Führung entdeckte ich immer wieder die Wasserstandsmarkierungen weit über mir an den Häuserfassaden. Die am Abend des 3. Juni gemessene Höchstmarke der Donau von 12,89 Metern überschritt dabei sogar deutlich die des sogenannten Jahrhunderthochwassers von 1954 mit damals 12,2 Metern und blieb nur knapp unter der Höchstmarke von 1501 (ca. 13,2 Meter). Nach dem ereignisreichen Tag knurrte mir der Magen und so genehmigte ich mir eine Schweinshaxe mit Knödeln. »Wenn ich so weiterfuttere, habe ich am Ende der Reise fünf Kilo mehr auf den Hüften«, dachte ich mir. In diesem Moment war mir das aber egal. Ich wollte in jeder Region, die ich bereiste, die traditionellen Gerichte probieren.

Der Mann vom Bahnhof sollte übrigens recht behalten. Den Stephansdom in Passau, einer der bedeutendsten Barockbauten italienischer Prägung auf deutschem Boden, fand ich sehr beeindruckend. Bekannt ist der Dom auch für seine Orgel, die zweitgrößte der Welt mit über 17 000 Orgelpfeifen. image

Natur und Kultur entlang der Donau

Die Donau ist, nach der Wolga in Russland, mit 2860 Kilometern der zweitlängste Fluss Europas und verbindet auf ihrem Lauf zehn Staaten miteinander. Nur der Nil durchquert, nach der Ernennung des Südsudans zum eigenständigen Staat, mehr Länder: elf, um genau zu sein.

Was ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht ahnen konnte, war, dass ich zwei Jahre später einmal den kompletten Donauradweg von der Quelle bis zur Mündung fahren sollte. Aber das ist eine andere Geschichte. Auf meiner Tour durch Deutschland war ich zumindest für zwei Tage auf dem Donauradweg unterwegs.

Im Gegensatz zum Innradweg hat mir der Donauradweg unglaublich gut gefallen. Denn die Donau ist kein Kanal, sondern ein wirklich schöner Fluss mit unzähligen Stränden und sehr viel Natur.