Diagnose: Depp 1-4

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Diagnose: Depp 1-4

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Die Handlung und alle handelnden Personen sind frei erfunden. Jegliche Ähnlichkeit mit lebenden oder realen Personen wäre rein zufällig.

Reale Personen wären auch vernünftig genug, Safer Sex zu praktizieren, im Gegensatz zu den Fantasiegestalten in diesem Roman. Die müssen sich darum keine Sorgen machen, da es sie nicht gibt.

Aufgrund vereinzelter homoerotischer Szenen ist dieses Buch nur für Personen über 18 Jahren geeignet. Ja, es enthält schwulen Sex. Gern geschehen.

1. Diagnose: Depp 1

2. Diagnose: Depp 2 – Der Nachmittag danach

3. Diagnose: Depp 3 – Die Comfort Zone

4. Diagnose: Depp 4 – Der perfekte Antrag

 

1. Diagnose: Depp 1

 

Das Schlimmste sind nicht die Schmerzen. Das Schlimmste sind die Fragen.

»Und?«, fragt der alte Mann im Bett neben mir. Dem seriösen Haarschnitt und den Trauerfalten nach ist er ein Finanzbeamter im Ruhestand.

»Und was?« Ich schaue desinteressiert an die Decke.

»Wie ist das passiert?«

Ich zucke mit den Achseln.

»Ein blöder Zufall«, sage ich. »Und warum sind Sie hier?«

»Nierensteine«, krächzt er. Seine Äuglein, umgeben von einem dichten Fleischfaltenkranz, mustern mich neugierig. »Und Sie so?«

»Nierensteine? Wie interessant. Und deshalb muss man ins Krankenhaus? Wurden Sie operiert?«

»Jupp.«

Er richtet sich auf, was ihm einige Mühe zu bereiten scheint. Es dauert so lange, dass ich Zeit habe, mir eine plausible Lüge auszudenken. Aber mir fällt keine ein.

Auf der Suche nach einer Ausrede schaue ich mich in dem Krankenhauszimmer um. Es ist hauptsächlich beige. Beigefarbene Wände, beigefarbene Decke, beigefarbene Möbel. Über jedem Bett hängt eine Steckerleiste und die kalte Deckenbeleuchtung spiegelt sich in dem graublauen Boden mit dem abscheulichen Fleckenmuster wider. Der Geruch ist eine Mischung aus Sagrotan und altem Mann. Toll.

»Jetzt mal raus mit der Sprache.« Er lächelt vertrauenserweckend. »Was ist passiert?«

Nope, denke ich. Mich kriegst du nicht mit deinem Lächeln, Alter. Dir trieft die Sensationsgier ja aus allen Poren.

»Och, das war ein seltsamer Zufall«, beginne ich und weiß nicht, wie ich enden soll.

Was wäre eine realistische Geschichte? Dass ich mich zwischen eine Bombe und eine Horde Schulkinder geworfen habe und mysteriöserweise nur an zwei Stellen Verletzungen davongetragen habe? Aber von einer Bombe hätte man in der Zeitung gelesen, oder? Der alte Mann liest Zeitung. Neben ihm auf dem hässlich-beigefarbenen Beistelltisch liegt eine.

»Was für ein Zufall?« Er lächelt bis zu den Ohren, aus denen weiße Haarbüschel quellen. Seine Ohren sind gigantisch.

»Wussten Sie, dass Nase und Ohren ein Leben lang weiterwachsen? Man kann das Alter daran erraten, wie … wie bei Bäumen. Baumringen.« Ich schaue intelligent.

»War das ein Erotik-Unfall?« Er deutet auf die locker mit Mullbinden bedeckten Stellen.

»Nein!«, sage ich und dann, weil ich in Wahrheit genau so neugierig wie der Alte bin: »Bei was für einem Erotik-Unfall holt man sich denn solche Verbrennungen?«

»Tja nun …« Er stützt sich auf einen Ellenbogen und mustert erst meine rechte Hand, dann meinen Schritt. »Vielleicht, wenn man sich mit Lampenöl befriedigt und dann eine Kerze umwirft, die auf einen kippt?«

»Ich befriedige mich nicht mit Lampenöl«, sage ich, äußerst würdevoll. »Ich habe nicht mal welches daheim.«

»Und Kerzen?«

»Ja, schon.«

»Hm.« Er kratzt seine Hängebacke. Also die im Gesicht. »Haben Sie mit Brandbeschleuniger …«

»Nein!« Ich richte mich auf und schreie, denn sofort schießt der Schmerz in die betroffenen Stellen. Mist. Wie lange ist es her, dass sie mich betäubt haben?

Sie haben mich gegen ein Uhr morgens eingeliefert und inzwischen dämmert es schon. So lange wach zu bleiben ist normalerweise kein Problem, aber heute fühle ich mich, als hätte man mich über Sandpapier gezerrt. Rau, wund und vollkommen fertig. Mein Gehirn ist Matsch. Mir fällt nicht einmal eine plausible Ausrede für den Alten ein.

»Also was denn nun?«, fragt er tadelnd. »Machen Sie nicht so ein Geheimnis daraus, Jungchen.«

»Ich bin fast dreißig«, murre ich. Nur noch vier Jahre. Und es macht mir überhaupt gar keine Angst.

Zum Glück bin ich noch gut in Form. Wenn ich an meinem fast nackten Körper hinabschaue, sehe ich definitiv mehr Muskeln als Fett. Auf dem weißen Laken liegen kräftige, gebräunte Beine, schmale Hüften und fast ein Sixpack. Eine Menge unverhüllte Haut für so einen öffentlichen Ort. Hoffentlich besucht niemand den Alten, solange mein gesamter Unterkörper freiliegt. Frei bis auf die Mullbinden, die das Wichtigste verdecken. Na ja, da sind ja auch die schlimmsten Verbrennungen. Ich schlucke.

»Sie haben gesagt, es wird ohne Narben abheilen«, murmele ich. Leider hört der Alte mich.

»Wer weiß.« Er macht ein schmatzendes Geräusch. »Das sieht schon übel aus. Sind das Verbrennungen dritten Grades?«

»Ersten und zweiten«, sage ich. »Und die zweiten Grades sind nur 2a.«

»Was soll das denn heißen?«

»Dass sie nicht so schlimm sind wie 2b? Keine Ahnung. Irgendetwas Gutes hoffentlich.«

Der Alte schaut zweifelnd. Ich hasse ihn. Nicht ganz so sehr, wie ich mich selbst gerade hasse, aber … ziemlich. Warum habe ich das getan?

Na, weil’s lustig war, sagt mein innerer Fünfzehnjähriger. War doch total komisch.

Bis es schiefgegangen ist, tadelt eine vernünftige, ruhige Stimme, auf die ich nicht oft höre. Solche Aktionen lassen wir in Zukunft schön sein.

Aber warum?, fragt der Fünfzehnjährige. Meistens geht’s doch gut. Das Weißwurstwettessen war super.

Ja, bis auf das Ende.

Und als du nackt auf das Dach der Limo geklettert bist, bei Bernds Junggesellenabschied …

Stimmt, das war lustig.

»Jungchen …«

»Nein.« Ich verschränke die Arme. Meine verletzte Hand stößt gegen meinen Bizeps und ich wimmere vor Schmerz.

»Tut weh, was?« Der Alte muss ein Genie sein. »Jetzt erzählen Sie schon, was geschehen ist, dann geht es Ihnen besser.«

»Warum soll es mir dann besser gehen?«

Er zuckt mit den Achseln. Ich schenke ihm einen bösen Seitenblick.

»Ihnen geht’s dann vielleicht besser«, knurre ich.

»Ach, jetzt hören Sie aber auf …«

»Er hat sich einen Böller in die Hose gesteckt«, sagt der Krankenpfleger.

Wann ist der hereingekommen?! Mit einer Miene, als hätte er sich die Zähne mit Essig geputzt, marschiert er zu dem Alten hinüber. »Wie geht es Ihnen heute, Herr Erdhaus?«

Der Alte beachtet ihn nicht.

»Du hast dir einen Böller in die Hose gesteckt?«, fragt er, so begeistert, dass er mich duzt. Seine Augen leuchten. »Warum?«

»Ich habe mir keinen Böller in die Hose gesteckt!« Unter Qualen erhebe ich mich, um den Krankenpfleger wütend anzustieren. Er dreht sich nicht mal um.

»Ach nein?«, fragt der Alte. »Was denn dann?«

»Ich habe …« Wie erkläre ich das? »Also erstmal war es eine rote Bengalfackel und dann habe ich sie nicht in meine Hose gesteckt, sondern davor gehalten.«

Der Alte nickt und reibt sich das Kinn.

»Ach so. Warum das?«

Ich schweige würdevoll. Der blöde Krankenpfleger schweigt nicht.

»Er hat sie angezündet und so getan, als wäre sie sein Penis. Dann hat er die Luft gevögelt.«

»Ach was«, sagt der Alte. Herr Erdhaus. »Bengalos, sind das diese Sprühdinger, die so hell leuchten? Die beim Fußball? Wo sich immer die ganzen Hooligans daran verletzen?«

»Es war kein Bengalo!«

»Aber so ein Sprühding?«, fragt Herr Erdhaus.

»Ja klar, das war ja der Witz daran.« Ich versuche wieder, die Arme zu verschränken. Wieder scheitere ich an den Schmerzen.

Ein Lächeln erscheint in dem faltigen Gesicht. Ich hasse ihn. Und den Krankenpfleger noch mehr. Ich versuche, mit reiner Willenskraft ein Loch in den breiten Rücken des Kerls zu brennen. Klappt nicht. Der Idiot untersucht die Wunde des Alten weiter. Ich sehe nicht genau, was er macht, nur die Falten auf der Rückseite seines Kittels, die sich bewegen. Und einen Schopf dunkler Haare. Hm. Irgendwie kommt er mir bekannt vor.

»Bengalos sind illegal«, sage ich. Irgendwie lässt sich die Situation doch noch retten, oder? Und mit »die Situation« meine ich »mein Ruf«. »Bengalfeuer dagegen sind legal, sicher und werden überprüft. Von einer Prüfstelle.«

»Und wie jeder weiß, fügt man sich mit einem sicheren, geprüften Feuerwerkskörper keine Verbrennungen zu, wenn man ihn sich in den Schritt hält.«

Der Krankenpfleger klingt dermaßen arrogant. Eine schöne, volle Stimme, aber dieser hochnäsige Tonfall versaut den Effekt.

»Ich hab nicht geplant, mich zu verbrennen«, motze ich. »Ich … Die Prüfstelle muss unsauber gearbeitet haben.«

Der Alte wirft mir einen ungläubigen Blick zu. Der Krankenpfleger dreht sich um und wirft mir einen noch ungläubigeren Blick zu.

Da erkenne ich ihn.

»Hey, du bist doch der Ex von Roberto!«

Diese Spaßbremse, die den ganzen Abend Wasser und Cola getrunken hat, kaum an Gesprächen teilgenommen hat und immer geschaut hat, als wäre er der einzige Erwachsene auf einer Kindergartenparty.

Der Kerl, der mich gerettet hat.

»Äh«, sage ich. »Danke. Für alles.«

»Bitte«, sagt er säuerlich. Seine blauen Augen mustern mich, als wäre ich ein besonders ekelhaftes Insekt.

Blaue Augen. Plötzlich kommen die Erinnerungen zurück.

Bisher waren sie ein wirres Gemisch aus Schreien, Schmerzen, Bier, Dunkelheit und Chaos. Okay, ich hatte vielleicht ein wenig getrunken. Wahrscheinlich wäre ich sonst nicht auf meine erstklassige Bengalfeuerschwanz-Idee gekommen. Aber … das bin ich halt.

Der Moment steht mir klar vor Augen: die lachenden Gesichter rund um mich, Bernds Grölen, Anfeuerungsrufe, mein eigenes Lachen, bunte Lampionketten, der Mond, der über der Gartenparty strahlt, dröhnende Musik, irgendein mieser Oldie …

Dann … helles Licht, plötzlicher Schmerz, wie flüssiges Metall, das sich in Hand und Schritt gräbt. Die lachenden Gesichter verwandeln sich in entsetzte. Ich winde mich auf dem Boden, Grasgeruch, Brandgeruch, dieser widerliche Gestank nach verkohltem Fleisch und … blaue Augen.

Ehrlich, ich hatte nie eine Schwäche für blaue Augen. Aber sie gehören zu dem Kerl, der mir blitzschnell die Hose ausgezogen und mich mit lauwarmem Bier überschüttet hat. Der Kerl, der meinen … äh, meine Potenz gerettet hat. Vermutlich.

Ich strahle den Krankenpfleger an.

»Danke«, wiederhole ich. »Wenn du nicht gewesen wärst … Ich weiß gar nicht, wie schlimm es geendet wäre.« Und vorstellen will ich es mir auch nicht. Auf gar keinen Fall. Allein der Gedanke verursacht eine kalt kribbelnde Gänsehaut. »Du hast meinen … meine … Gesundheit gerettet.«

»Ich bin sicher, du schaffst es bald, sie erneut zu gefährden.« Er hat ein hübsches Gesicht, trotz des missmutigen Ausdrucks darauf. Oder kommt mir das nur so vor, weil er mein wunderbarer, edler Retter ist?

»Wie wär’s, wenn ich dich auf ein Bier einlade, sobald ich wieder fit bin?« Ich schenke ihm mein allercharmantestes Lächeln. »Als Dank?«

»Das ist nicht nötig«, sagt der Kerl und knallt einen winzigen Plastikbecher auf meinen Beistelltisch. »Trink das. Frühestens in sechs Stunden gibt es die nächste Dosis.«

Schmerzmittel! Endlich! Trotzdem lasse ich das Zeug stehen, um ihm noch charmanter zuzulächeln.

»Ich bestehe darauf«, sage ich, so sexy-rau, dass es mir selbst fast peinlich ist. Aber normalerweise funktioniert das halt.

Normalerweise.

»Nein, danke«, sagt der Krankenpfleger und verlässt das Zimmer.

Hm. Sieht aus, als wären sowohl mein charmantes Lächeln als auch meine sexy-raue Stimmlage kaputt.

»Ich glaube, der mag dich nicht«, sagt der Alte überflüssigerweise.

»Das wird sich schon noch ändern«, sage ich und kippe das Schmerzmittel herunter wie einen Kurzen. »Irgendwann mögen mich alle.«

Der Alte hebt eine Augenbraue.

»Er hat dich nicht von deiner besten Seite kennengelernt.«

»Stimmt wohl. Aber die lernt er noch kennen.«

Da der Alte die Frechheit hat, zweifelnd zu schauen, ignoriere ich ihn und schlafe ein. Ich träume von weißem Licht und blauen Augen.

 

Als ich aufwache, ist der Krankenpfleger wieder da. Er führt Herrn Erdhaus gerade vom Klo zu seinem Bett. Ah, die Spülung hat mich geweckt.

»He, Robertos Ex«, sage ich. »Wie heißt du nochmal?«

Er schweigt. Mit geübten Griffen hilft er Herrn Erdhaus zurück in sein Krankenbett. Er macht das gut. Effizient und respektvoll. Ich sehe die fleckigen Waden des Alten unter dem hellen Nachthemd. Die Haare darauf sind weiß.

»Werner? Victor?«, rate ich. »Es war was mit V, oder? Volker?«

Der Blick, den er mir zuwirft, könnte nicht genervter sein.

»Vincent«, brummt er. Der Alte liegt wieder sicher in seinem Bett und beobachtet uns.

»Warum magst du mich nicht, Vincent?«

Vincent runzelt die Stirn. Heiß. Eigentlich ist er nicht mein Typ. Eigentlich gar nicht. Seit wann stehe ich auf ernste, blasse Murrköpfe? Seit sie mir das Leben retten, vermutlich.

»Ich habe kein Problem mit dir«, sagt er nach kurzem Zögern. Ich frage mich, wie alt er ist. So alt wie ich?

»Heißt das, du magst mich?«, frage ich und hole mein allersupercharmantestes Lächeln heraus.

Nutzt wieder nichts. Kopfschüttelnd verlässt er den Raum.

»Vergiss es, Jungchen«, krächzt der Alte. »Den taust du nicht auf.«

»Vielleicht will ich ihn gar nicht auftauen«, lüge ich. Ich weiß auch nicht, was mit mir los ist. Betrübt mustere ich den Alten. »Wie heißt du eigentlich?«

»Heinrich. Heinrich Erdhaus.« Wie auch sonst.

»Hallo Heinrich. Ich bin Dario.« Ich nicke ihm zu.

»Angenehm.« Er faltet die Hände über dem Bauch und grinst mir zu. »Darf ich fragen, was du studierst? Ich vermute, du studierst noch, oder?«

»Ne, dafür hatte ich keine Geduld. Ich bin freiberuflicher Fotograf. Vor allem Events.«

»Das hätte ich mir denken können«, sagt er. »So, wie du aussiehst.«

»Danke«, sage ich, auch wenn ich nicht sicher bin, dass das ein Kompliment war. »Ich schätze, du bist Finanzbeamter im Ruhestand?«

Der Alte schaut mich an wie einen Hund, der spontan angefangen hat, zu singen.

»Woher weißt du das?«

»Erfahrung. Kommt mit dem Job.«

Er nickt und so etwas wie Respekt kriecht in seine Züge. Zum ersten Mal, seit ich in sein Zimmer gerollt wurde.

»2003 habe ich aufgehört. Dachte, ich ziehe mit meiner Marianne nach Hawaii, aber dann …«, beginnt er, als die Tür aufgerissen wird.

Bernd platzt in den Raum. Er sieht aus wie immer, nämlich wie ein Braunbär im Anzug. Er glotzt auf meine verbundene Hand und meinen verbundenen Schwanz und beginnt, herzhaft zu lachen. Ich hasse Bernd. Er ist mein bester Freund und ich war sein Trauzeuge, aber ich hasse ihn.

»Feuerschwanzsalamander!«, ruft er, als er sich beruhigt hat. »Gut siehst du aus!«

»Feuerschwa-was?!« Ich starre ihn entgeistert an. »Sag mir, dass das nicht mein neuer Spitzname ist.«

Bernd strahlt über sein ganzes breites Gesicht.

»Na, zumindest nennen dich Norbert, Chris, Kai, Noel und Roberto so. Ist doch lustig.«

»Stimmt.«

Er zieht einen Metallstuhl heran, der quietschende Geräusche auf dem Boden macht, und setzt sich. Heinrich mustert uns neugierig. Ein bisschen stolz bin ich schon auf meinen Unterhaltungswert.

»Und, wie sieht’s aus? Da und da?« Bernd deutet auf die entsprechenden Stellen. »Wird es … abheilen?«

Die Frage ist ihm sichtlich unangenehm.

»Ja. Zum Glück. Zwiebelt zwar noch ordentlich, aber in ein, zwei Wochen soll alles abgeklungen sein.« Ich betrachte meine Hand, der, ehrlich gesagt, nicht meine größte Sorge galt. Ich habe zwei fette Brandblasen auf dem Handrücken, aber die Finger hat es nicht erwischt.

»Gut, gut.« Er lächelt. »Das freut mich. Dann solltest du in zwei Wochen diese Nummer anrufen.«

Er schiebt mir eine Visitenkarte rüber. Ein grünes Quadrat mit weißen Buchstaben.

»Erik Werther, Physiotherapie?«, lese ich. »Ich brauche doch keine Physiotherapie für meine Hand.«

»Ne, aber für deinen Schwanz vielleicht.« Er prustet los. »Erik war auch auf der Party. Ich soll dir seine Nummer geben, falls du Lust auf ein Date hast. Der breit gebaute Rothaarige, mit dem du am Anfang gequatscht hast.«

»Oh.« Ich erinnere mich. »Richtig, der war hübsch. Dachte nicht, dass … dass das was wird, nach der peinlichen Aktion.«

Bernd grinst breit.

»Na, immerhin hat er dich ohne Hose gesehen. Das muss Eindruck gemacht haben.«

Ich stöhne leise.

»Erinner mich nicht daran. Echt, ich will den Abend nur noch vergessen.« Bis auf dieses eine, blauäugige Detail. »Wusstest du, dass Robertos Ex hier arbeitet?«

»Die bleiche Spaßbremse?«

»Er hat mich gerettet!«, schnappe ich. So heftig, dass ich selbst ganz erstaunt bin. Bernd weicht zurück.

»Ja, schon … aber das ist ja auch sein Job, oder?«

»Er hat mich gerettet, als alle anderen nur blöd geglotzt haben.« Bernd schaut betroffen und sofort tut es mir leid. »Sorry, ich … Er ist mir nur vorher nie wirklich aufgefallen. Auch an dem Abend nicht. Dabei sieht er so gut aus.«

»Findest du?« Bernd legt den Kopf schief. »Ist der nicht total gewöhnlich?«

»Was?« Wo hat Bernd seine Augen? »Wahrscheinlich bist du schon abgestumpft, weil du verheiratet bist.«

»Hey, ich merke noch, wenn andere Männer gut aussehen. Du zum Beispiel.« Er zwinkert mir zu. Ich grinse ihn an.

»Und du erst, Sommersprosse.« Ich kaue auf meiner Unterlippe herum. »Warum war eigentlich Robertos Ex da, aber Roberto nicht?«

»Roberto war auf Malle und ist heute morgen erst wiedergekommen. Ich glaube, Chris hat den Ex mitgebracht.«

»Er heißt Vincent. Schöner Name, nicht wahr?« Ich lächle verträumt. Bernd gafft mich an.

»Äh. Ja. Na ja, Roberto meinte, er wäre ein ziemlicher Langweiler.«

»Haben sie sich deshalb getrennt?«

»Keine Ahnung.«

»Kannst du das rausfinden?« Ich sehe ihn mit großen Augen an. »Ihr arbeitet doch zusammen. Bitte?«

»Äh ja, okay.« Er schaut mich fragend an. »Warum interessiert der dich so? Der ist doch gar nicht dein Typ.«

»Warum nicht?« Ich verschränke die Arme.

»Weil er eine Spaßbremse ist, und du einer, der sich Böller in die Hose steckt? Weil du viel hübscher bist als er? Echt, du kannst doch was Besseres haben. Diesen Physiotherapeuten zum Beispiel. Der kann sich bestimmt verbiegen wie eine Brezel.«

»Brezeln sind nicht sexy. Und Vincent sieht total gut aus.«

»Er ist langweilig.«

»Überhaupt nicht!« Ich richte mich auf und krümme mich gleich darauf vor Schmerzen.

»Pass auf!«, ruft Bernd unnötigerweise.

»Geht schon«, lüge ich. »Geht schon, echt. Ist schon viel besser … Wie spät ist es?«

»Kurz vor eins, wieso?«

»Um eins gibt es wieder Schmerzmittel.« Ich fahre mir mit der linken Hand durch die Haare. »Wie sehe ich aus?«

»Gut.« Bernd verzieht das Gesicht. »Du siehst immer gut aus. Wie ein Surfer. Das ist ja das Problem mit dir. Du kannst noch Physiotherapeuten abschleppen, wenn du dich mit verbranntem Schwanz auf dem Boden windest und heulst.«

»Du hast geheult, Jungchen?«, fragt Heinrich.

»Überhaupt nicht.«

Bernd lacht.

»Es brennt!«, jault er in einer hohen Stimmlage, die ich ganz bestimmt nie erreicht habe. »Es brennt! Ich werde impotent!«

»Das habe ich nie gesagt.« Ich verschränke die Arme. Autsch.

»Doch, hast du«, behauptet Bernd, dieser Lügner.

»Wo bleibt dein Mitgefühl?«, murre ich.

Diesen Moment sucht Vincent sich aus, um ins Zimmer zu kommen. Von wegen gewöhnlich. Wie ein blauäugiger Halbgott in einem weißen, wehenden Kittel marschiert er herein und knallt einen Mini-Plastikbecher auf meinen Beistelltisch. Dann erst scheint er Bernd zu bemerken.

»Hallo Bernd«, sagt er, einigermaßen nett. Warum ist er zu mir nicht einigermaßen nett? Ist er etwa … an Bernd interessiert? Bitte nicht!

»Vincent!« Bernd strahlt. »Wie läuft’s? Ich hoffe, der kleine Feuerschwanzsalamander treibt dich nicht in den Wahnsinn.«

Vincent brummt irgendetwas Unverständliches und wendet sich zu Heinrich um. Sehnsuchtsvoll betrachte ich seinen breiten Rücken.

»Danke für die Schmerzmittel«, sage ich. Er antwortet nicht.

»Erzähl ihm was über mich«, flüstere ich Bernd zu. »Was Gutes.«

Bernd, mein bester Freund auf der Welt, hält zu mir.

»Vincent, kannst du dich an den heißen Rothaarigen von der Party erinnern? Rate mal, wer ein Date mit ihm hat?«

Nein! Ich versuche, Bernd aufzuhalten, aber es ist zu spät.

»Unser Superstecher hier. Ich schwöre dir, der kann noch im Halbschlaf Kerle aufreißen, ob er will oder nicht. Ist fast, als wäre er als Kind in einen Liebestrank gefallen.«

Vincents Rücken verspannt sich. Was zur Hölle stimmt mit Bernd nicht? Das ist doch nichts Gutes, was er hier erzählt! Das klingt, als wäre ich … Keine Ahnung.

»Ich habe kein Date mit dem Physiotypen!«, rufe ich. Autsch. Ich sollte wirklich lernen, mich weniger zu bewegen.

»Hast du vor, gleich zu dem nach Hause …«

»Nein!« Wenn Blicke töten könnten, wäre Bernd jetzt ein roter Fleck auf dem Kunststoffboden. »Ich bin überhaupt nicht auf schnellen Sex aus, weil ich etwas Ernstes und … Solides will.«

Bernd wiehert los, dieser Trottel. Vincent dreht uns immer noch den Rücken zu und der Alte schaut, als wären wir Drei ein besonders interessanter Auffahrunfall.

»Ja, klar!«, prustet Bernd. »Vincent, weißt du, wie lange seine längste, ernsteste Beziehung gehalten hat? Drei …«

»Sei ruhig!«, zische ich und versuche, ihm den Mund zuzuhalten. Ausgerechnet jetzt dreht Vincent sich um.

»Drei Jahre?«, fragt er. Das scheint ihn echt zu interessieren. Nein!

»Ne, drei …«

»Halt die Klappe!«

»Drei Monate?«

Bernd schüttelt den Kopf.

»Drei Wochen. Drei Wochen hat unser ernster, solider Feuerschwanzsalamander durchgehalten, bevor ihm langweilig wurde.«

Vincent nickt, als hätte Bernd (der Arsch) etwas bestätigt, das er eh schon geahnt hätte. Mein Retter sieht müde aus. Unter seinen Augen liegen tiefe Schatten und er ist bleich. Dabei haben wir Frühling und die Sonne scheint bereits seit Tagen. Eine Strähne seines dunklen Haars fällt in seine Stirn. Sexy. Verwegen.

»Geht’s dir gut, Vincent?«, frage ich. »Du siehst abgekämpft aus.«

Ein wenig Überraschung erscheint in seiner mürrischen Miene.

»Meine Schicht ist bald zu Ende.« Oh, diese volle Stimme. »Und ich schätze, du wirst nachher entlassen, also … Mach’s gut. Gute Besserung.«

»Was?!«

Aber … Okay, sie haben gesagt, ich müsste nur eine Nacht zur Beobachtung da bleiben. Und das auch nur, weil ich vor Panik den halben Laden zusammengebrüllt habe. Damals, als sie mich eingeliefert haben.

»Aber dann sehe ich dich ja gar nicht mehr.«

Ich klinge wie ein Vollidiot. Wie ein totaler Honk, aber … Nein!

»Denk dran, noch zwei Wochen lang Salbe auf die betroffenen Stellen aufzutragen«, sagt Vincent auf dem Weg zur Tür. Ich richte mich wimmernd auf.

»Vincent«, sage ich mit fester Stimme. »Magst du … Wollen wir uns mal treffen, wenn ich entlassen bin? Essen gehen oder so? Ich würde dich echt gern kennenlernen. Also besser kennenlernen als jetzt.«

Der Alte und Bernd glotzen mich an. Klar ist es blöd, dass sie im Raum sind, aber … das ist meine letzte Chance.

Blaue Augen durchbohren mich. Er scheint verwundert, vielleicht freut er sich sogar, gleich … Nein, er schüttelt den Kopf. Todernst.

»Das ist keine gute Idee«, sagt Vincent und schließt die Tür hinter sich.

Totenstille. Dann hüstelt der Alte.

»Also dazu gehörte Mumm«, sagt er. »Du hast meinen Respekt, Jungchen.«

»Super. Danke«, murmele ich.

Bernd hebt seine Kinnlade vom Boden auf und keucht.

»Du hast das ernst gemeint, oder? Du findest ihn wirklich … Und ich dachte, du verarschst mich.«

»Warum sollte ich dich verarschen?«, frage ich, vollkommen entrüstet.

»Weil du … Weißt du noch, als du mir erzählt hast, Toms Geburtstag wäre eine Mottoparty? Und dann war ich zwischen all den Anzugträgern der Einzige, der sich als Glücksbärchi verkleidet hatte.«

»Oh.« Ich kratze mich mit der gesunden Hand am Kopf. »Ja. Mist.«

»Das nennt sich wohl Karma«, sagt Heinrich, der überflüssige Schilderer meines Lebens.

»Also, wenn du noch willst, kriege ich heraus, wieso sich Roberto und der Kerl getrennt haben. Obwohl ich es verstehen kann.« Bernd runzelt die Stirn. »Dieser Vincent ist sauarrogant. Von wegen keine gute Idee. Am Arsch. Es ist eine super Idee, dich zu daten. Du bist vielleicht ein Idiot, aber du bist lustig und siehst gut aus. Ganz im Gegensatz zu ihm.«

Ich bin gerührt. Ein wenig.

»Danke, Bernd. Aber ich müsste nur … Ich müsste mal richtig in Ruhe mit ihm reden können. Kein Wunder, dass er so einen schlechten Eindruck von mir hat. Ich meine, alles, was er über mich weiß ist, dass ich mir fast selbst den Schwanz abgesengt habe, beziehungsunfähig bin und rumhure.«

»Sorry«, sagt Bernd zerknirscht. »Ich frage Roberto. Am besten frage ich ihn auch gleich, wie die beiden überhaupt zusammengekommen sind. Und wo. Und wieso.«

»Warum?«

»Na, passen die etwa zusammen?« Bernd sieht mich fragend an. »Ne, tun sie nicht. Roberto ist doch ein Typ wie du, was wollte er mit diesem Langweiler?«

»Ich finde, das passt sehr gut zusammen«, knurre ich.