Graue Bienen

Fußnoten

  1. Allgemeine Bezeichnung für radikale ukrainische Nationalisten, die gegen den Einfluss Russlands und gegen die russische Sprache in der Ukraine auftreten. Nach Stepan Bandera, einem der Anführer der ukrainischen Nationalisten in der Westukraine, als diese zu Polen gehörte.

  2. Krimtatarisch: »Mama, wer ist da?«

  3. Krimtatarisch: »Ein Bekannter deines Vaters aus dem Donbass.«

  4. Selbstverteidigung der Krim – paramilitärische Gruppe, organisiert von Kosaken und anderen Krimbewohnern zur Verteidigung gegen einen möglichen Überfall ukrainischer Nationalisten auf die Krim. Entstand als Reaktion der prorussischen Krim auf die Ereignisse in Kiew 20132014.

  5. Anderer Name für selbstorganisierte oder von verschiedenen gesellschaftlichen Vereinigungen organisierte prorussische paramilitärische Gruppen auf der Krim.

  6. Sonderpolizei zur Bekämpfung von Massenprotesten. Bekannt für ihre Härte gegenüber Protestierenden.

  7. Krimtatarisch: »Es ist der Wille Allahs, passen Sie auf sich auf!«

  8. Krimtatarisch: »Mögen die Freunde gesund sein!«

  9. Krimtatarisch: »Möge Allah seiner Seele Frieden geben!«

  10. Umgangssprachlicher Ausdruck für russische Polizisten oder Mitglieder des FSB.

Die Kälte brachte Sergej Sergejitsch gegen drei Uhr nachts auf die Beine. Der von ihm eigenhändig nach dem Bild aus der Zeitschrift Geliebte Datscha gebaute kleine Kaminofen, mit der Glastür und den zwei runden Kochplatten obendrauf, schenkte keine Wärme mehr. Die Blecheimer, die danebenstanden, waren leer. In der Dunkelheit griff Sergejitsch in den nächsten von ihnen und stieß mit den Fingern auf ein paar Kohlekrümel.

»Na dann!«, brummte er verschlafen. Er zog Hosen an, stieg mit nackten Füßen in die alten Filzschuhe und warf den Mantel über. Er nahm die Eimer und ging nach draußen.

Hinter dem Schuppen blieb er vor dem Kohlehaufen stehen und fand mit dem Blick sofort die Schaufel, auf dem Hof war es viel heller als im Haus. Laut schlugen die ersten Kohlen auf dem Boden der Eimer auf. Aber bald fielen sie gleichsam geräuschlos.

Irgendwo in der Ferne feuerte ein Geschütz. Eine halbe Minute später wieder ein Schuss, nur kam er anscheinend von der anderen Seite.

»Können die Dummköpfe nicht schlafen? Oder wollen sie sich aufwärmen?«, brummte Sergejitsch unwillig.

Er kehrte in sein dunkles Haus zurück und zündete eine Kerze an. Ihr angenehmer, warmer Honigduft stieg ihm in

Im Ofen war noch ein wenig Glut übrig, aber trotzdem brauchte es Späne und Papier, bis die kalte, aus dem Frost geholte Kohle Feuer fing. Als hinter der rußigen Scheibe schon blaue lange Flammenzungen tanzten, ging Sergejitsch noch einmal auf den Hof hinaus. Ferner Geschützdonner, der im Haus kaum zu hören war, kam von Osten her. Aber da erregte ein anderes, näheres Geräusch seine Aufmerksamkeit, und er lauschte angespannt: Durch die Straße nebenan fuhr eindeutig ein Auto. Bis es irgendwo stehenblieb. Es gab ja nur zwei Straßen im Dorf: die Lenin- und die Schewtschenkostraße, dazu den Mitschurinweg von der einen zur anderen. In der Leninstraße wohnte er selbst, in nicht sehr stolzer Einsamkeit. Das Auto war also durch die Schewtschenko gefahren. Dort war auch nur ein einziger Bewohner übrig geblieben – Paschka Chmelenko, ebenfalls Frührentner, fast gleich alt, Sergejitschs Kindheitsfeind von der ersten Klasse der Dorfschule an. Paschkas Gemüsegarten blickte Richtung Horliwka, das hieß, er war Donezk um eine Straße näher als Sergejitsch. Sergejitschs Garten lag zur anderen Seite, Richtung Slowjansk. Sein Gemüsegarten ging zum Feld hinunter, das sich erst abwärts erstreckte und dann wieder anstieg, nach Schdaniwka. Schdaniwka war vom Garten aus nicht zu sehen, es versteckte sich gleichsam hinter dem Buckel. Aber die ukrainische Armee, die sich mit Unterständen und Schützengräben in diesen Buckel hineingegraben hatte, konnte man von Zeit zu Zeit hören. Und wenn er sie nicht hörte, dann wusste Sergejitsch trotzdem, dass sie dort in ihren

2

Paschka kam am Mittag zu ihm. Sergejitsch hatte gerade einen zweiten Eimer voll Kohlen in den Ofen geschüttet und oben den Teekessel aufgesetzt. Er hatte vorgehabt, in aller Stille einen Tee zu trinken, aber daraus wurde nichts.

Bevor er den ungebetenen Gast ins Haus ließ, verbarg er sein »Schutzbeil«, das an der Wand lehnte, hinter dem Reisigbesen. Am Ende hatte Paschka zu seiner Selbstverteidigung eine Pistole oder eine Kalaschnikow, wer wusste das schon! Sähe er dann das Beil im Flur, würde er grinsen, wie immer, wenn er zeigen wollte, dass er sein Gegenüber für einen Trottel hielt. Sergejitsch hatte zur Selbstverteidigung eben nur ein Beil. Sonst nichts. Nachts legte er das Beil unters Bett, und deshalb war sein Schlaf tief und ruhig. Nicht immer, natürlich.

Sergej Sergejitsch öffnete Paschka die Tür. Dabei brummte er nicht besonders freundlich, weil in seinem Geist über den Nachbarn von der Schewtschenkostraße plötzlich all die alten Vorwürfe hereinbrachen, deren Verjährung wohl niemals eintrat.

Er musste daran denken, wie gemein Paschka oft gewesen

»Grüß dich, Sersch!«, grüßte Paschka etwas angespannt, als er ins Haus trat.

»Heute Nacht gab es Strom!«, teilte er mit und sah sich nach dem Reisigbesen um, mit dem er sich den Schnee von den Stiefeln fegen wollte.

Er griff sich den Besen und grinste beim Anblick des Beils.

»Stimmt nicht!«, entgegnete Sergejitsch ruhig. »Hätte es Strom gegeben, dann wäre ich davon aufgewacht. Bei mir sind alle Lichtschalter an, damit ich nicht verpasse, wenn er kommt!«

»Du hast sicher fest geschlafen! Du schläfst doch so, dass dich auch eine Explosion nicht weckt. Und er war auch nur eine halbe Stunde lang da. Hier, schau.« Er zeigte Sergejitsch sein Handy. »Ich konnte es sogar ein Stück weit laden. Vielleicht willst du jemanden anrufen?«

»Ich habe niemanden zum Anrufen. Willst du einen Tee?«, fragte Sergejitsch, ohne einen Blick auf das Handy zu werfen.

»Woher hast du denn Tee?«

»Woher?! Von den Baptisten!«

Sie setzten sich an den Tisch, Paschka mit dem Rücken zum Ofen. Vom Ofen und seinem Eisenrohr, das wie eine Säule zur Decke aufstieg, kam Wärme.

»Wieso ist der so dünn?«, brummelte der Gast, als er in seine Tasse sah. Und fragte gleich darauf schon freundlicher: »Hast du vielleicht etwas zu essen?«

Sergejs Blick wurde böse. »Mir bringt man nachts keine humanitäre Hilfe!«

»Mir auch nicht.«

»Was denn sonst?«

»Gar nichts!«

Sergejitsch schnaubte und trank von seinem Tee. »Und diese Nacht war wohl auch niemand da?«

»Wieso, hast du etwas gesehen?«

»Ja, ich habe draußen Kohlen geholt, als es kalt wurde.«

»Ach, das waren Unsere, von drüben!«, bestätigte Paschka. »Aufklärer.«

»Und, was haben sie aufgeklärt?«

»Sie haben geschaut, ob Ukros im Dorf sind.«

»Wirklich?« Sergejitsch fixierte Paschkas hin- und herhuschenden Blick.

Paschka, als wäre er in die Enge getrieben, ergab sich sofort.

»Nein«, gestand er. »Es waren irgendwelche Typen. Sagten, sie wären aus Horliwka. Haben einen Audi ohne Papiere für dreihundert Dollar angeboten.«

»Und, hast du ihn gekauft?«, fragte Sergejitsch mit einem schiefen Grinsen.

»Warum sind sie denn bei mir nicht vorbeigekommen?«, fragte Sergejitsch mit einem weiteren skeptischen Grinsen.

»Ich habe ihnen gesagt, dass ich allein im Dorf bin. Und es gibt ja auch keinen Weg mehr von der Schewtschenko zur Lenin. Dort ist doch der Krater von dem Einschlag bei den Mitkows. Bloß ein Panzer kommt da durch!«

Sergejitsch schwieg. Er sah nur Paschka weiter an, mit seiner schlauen Visage, die gut zu einem alten Taschendieb gepasst hätte, den man viele Male geschnappt und verprügelt hatte und der davon schreckhaft geworden war. Paschka, der mit seinen neunundvierzig Jahren gut und gern zehn Jahre älter als Sergejitsch erschien. Vielleicht wegen der fahlen Farbe seines Gesichts, vielleicht wegen der abgeschabten Wangen. Als hätte er sich das Leben lang mit einem stumpfen Rasierer rasiert und seine Haut ruiniert. Sergejitsch sah ihn an und dachte dabei, dass er, wären sie beide nicht hier im Dorf als Einzige zurückgeblieben, nie mehr mit ihm geredet hätte. Sie hätten so, parallel, jeder in seiner Straße sein Leben gelebt. Er, Sergejitsch, in der Lenin und Paschka in der Schewtschenko. Bis zum Tod hätten sie nicht miteinander geredet. Wäre nicht der Krieg gewesen.

»Sie haben lange nicht mehr geschossen hier bei uns«, seufzte sein Gast. »Bei Gatnaja haben sie früher nur nachts geballert, aber jetzt auch schon am Tag! – Sag mal«, Paschka beugte sich plötzlich ein wenig nach vorn. »Wenn Unsere dich um etwas bitten würden, würdest du es tun?«

»Na, Unsere, aus Donezk! Was spielst du den Dummen?«

»Meine ›Unseren‹ sind im Schuppen, und sonst kenne ich keine ›Unseren‹. Du bist für mich auch nicht besonders ›Unserer‹!«

»Hör mal, was bist du so griesgrämig? Hast du nicht ausgeschlafen?« Paschka zog eine unzufriedene Grimasse. »Oder sind deine Bienen erfroren, dass du deinen Ärger an mir auslässt?«

»Ich werd’s dir geben, erfroren!« Sergejitschs Stimme klang ernsthaft drohend. »Wenn du etwas gegen meine Bienen sagst –«

»Aber ich achte doch deine Bienen! Im Gegenteil, ich mache mir Sorgen!«, unterbrach ihn Paschka schnell und schwenkte um: »Ich verstehe nur nicht, wie sie über den Winter kommen. Ist ihnen im Schuppen etwa nicht kalt? Ich würde dort vor Kälte eingehen!«

»Solange der Schuppen heil ist, ist es nicht kalt!« Sergejitsch ließ sich besänftigen. »Ich passe auf! Ich schaue jeden Tag nach.«

»Und wie schlafen sie in den Bienenstöcken?«, fragte Paschka. »Wie die Menschen?«

»Ja, wie die Menschen! Jede in ihrem Bettchen.«

»Aber du hast doch dort keine Heizung. Oder hast du eine eingebaut?«, fragte Paschka verwundert.

»Sie brauchen keine! Bei ihnen drin sind es 37 Grad plus. Sie machen es sich selbst warm.«

Jetzt, wo sie über die Bienen sprachen, wurde das Gespräch freundschaftlicher. Paschka erkannte, dass man bei so friedlicher Stimmung auch gut gehen konnte. Sogar das

»Hast du dir übrigens mit der Rente etwas überlegt?«, fragte Paschka zum Abschluss.

»Was gibt es da zu überlegen?« Sergejitsch zuckte die Achseln. »Sobald der Krieg zu Ende ist, bringt die Postbotin sie mir für drei Jahre auf einmal! Dann fängt das wahre Leben an!«

Paschka grinste und wollte ein wenig sticheln, hielt aber den Mund.

Bevor er ging, sahen er und Sergejitsch sich noch einmal an.

»Hör mal, solange es noch geladen ist …«, Paschka hielt Sergejitsch noch einmal das Handy hin. »Vielleicht rufst du deine Witalina an?«

»Was heißt da ›meine‹?«, fragte Sergejitsch verwundert. »Seit sechs Jahren ist sie nicht mehr meine. Nein, ich rufe nicht an.«

»Und deine Tochter?«

»Jetzt geh schon! Ich habe doch gesagt, ich habe niemand zum Anrufen!« Dann schlug er hinter dem Gast die Tür zu.

3

»Was kann das nur sein?«, überlegte Sergejitsch laut.

Er stand am Rand seines Gemüsegartens vor dem weißen Feld, das sich wie eine breite Zunge den Hügel hinunter erstreckte und dann ebenso sanft wieder anstieg, Richtung Schdaniwka. Dort, am verschneiten Horizont, versteckten

Gewöhnlich brachten Sergej Sergejitsch die Füße wie von selbst hierher zum Rand des Gemüsegartens, ohne dass er darüber nachdachte. Er wanderte oft über seinen Hof, sah auf seinem Besitz nach dem Rechten. Mal ging er in den Schuppen zu den Bienen, mal in die Garage zu seinem grünen Lada Schiguli, mal zu dem Haufen lang brennender Kohlen, der mit jedem Tag kleiner wurde, aber dennoch Zuversicht in die Wärme von morgen und übermorgen gab. Manchmal trugen seine Füße ihn auch in den Obstgarten, dann blieb er bei den schlafenden Apfel- und Aprikosenbäumen stehen. Seltener fand er sich am äußersten Rand des Gartens wieder, wo die endlose Schneekruste knirschte und unter den Füßen brach. Aber die Stiefel sanken nie tief ein, weil der Winterwind den Schnee immer aufs Feld hinunter zur Senke blies. Und das hieß, oben und in Sergejitschs Gemüsegarten blieb nur wenig von ihm übrig.

Es war bald Mittag, eigentlich Zeit, nach Hause zu gehen, aber dieser Fleck dort, wo sich das Feld hinauf nach Schdaniwka, zu den ukrainischen Schützengräben zog,

»Vielleicht ist das ein Mensch?«, fragte Sergejitsch sich wieder laut, während er hinstarrte.

Einen Augenblick lang schien es, als wäre die Luft durchsichtiger geworden.

›Was kann denn sonst dort sein?‹, überlegte er. ›Hätte ich ein Fernglas, dann würde ich alles erkennen! Und würde schon zu Hause im Warmen sitzen … Vielleicht hat ja Paschka ein Fernglas?‹

Diesmal folgten seine Füße seinen Gedanken und brachten ihn zu Paschka. Der Granattrichter neben dem Haus der Mitkows, um den er am Rand entlang einen Bogen gemacht hatte, blieb hinter ihm zurück. Weiter ging er durch die Schewtschenko, in der Spur des kürzlich durchgefahrenen Autos, über das Paschka am Ende vielleicht die Wahrheit gesagt hatte, aber auch gelogen haben konnte, das kam bei ihm vor!

»Hast du ein Fernglas?«, fragte Sergejitsch ohne Gruß seinen Kindheitsfeind, der ihm die Tür öffnete.

»Da liegt etwas im Feld auf meiner Seite. Vielleicht eine Leiche!«

»Ich komme!« In Paschkas Augen leuchtete ein fragender Funke auf. »Warte!«

Der Krater beim Haus der Mitkows blieb hinter ihnen zurück. Im Gehen sah Sergejitsch hinauf zum Himmel – es kam ihm vor, als würde es bereits dunkel, obwohl selbst die kürzesten Wintertage nicht um halb zwei zu Ende waren! Dann warf er einen Blick auf das massive alte Fernglas, das an einer braunen Lederschnur auf Paschkas vorgewölbter Mantelbrust baumelte. Natürlich hätte sich der Pelzmantel nicht so gewölbt, wenn Paschka nicht die langen Enden seines Schaffellkragens hineingestopft hätte. Der Kragen selbst stand wie ein Zaun um seinen dünnen Hals und beschützte ihn zuverlässig vor dem eisigen Wind.

»Und wo?« Paschka setzte das Fernglas an die Augen, kaum hatten sie am Rand des Gemüsegartens haltgemacht.

»Schau dort rüber, geradeaus und ein bisschen nach rechts, am Hang!« Sergejitsch wies mit der Hand hin.

»So, so, so«, murmelte Paschka. »Ja! Ich sehe es!«

»Und was ist da?«

»Eine Soldatenleiche. Aber zu wem gehört er? Wo sind denn seine Abzeichen? Nein, man sieht es nicht. Er ist blöd gefallen!«

»Lass mich durchschauen!«, bat Sergejitsch.

Paschka nahm das Fernglas herunter und reichte es ihm.

»Da, Imker! Vielleicht hast du ein schärferes Auge!«

»Was siehst du?«, fragte Paschka.

»Was ich sehe? Da liegt einer. Tot. Soldat. Weiß der Teufel, von welcher Seite! Vielleicht von diesen, vielleicht von jenen!«

»Verstehe.« Paschka nickte, und sein Kopf, der in dem hochgestellten Schaffellkragen wackelte, brachte Sergejitsch, der das Fernglas schon abgesetzt hatte, zum Lächeln.

»Was ist?«, fragte Paschka misstrauisch.

»Du siehst aus wie eine umgedrehte Glocke mit deinem Kragen. Dein Kopf ist zu klein für diesen Luxus!«

»Er ist, wie er ist«, sagte Paschka bissig. »Einen kleinen Kopf trifft eine Kugel dafür schwerer. Einen großen wie deinen verfehlt man auch aus einem Kilometer Entfernung nicht!«

Gemeinsam stapften sie durch den Obstgarten, den Gemüsegarten, den Hof bis ans Tor zur Leninstraße. Schweigend, ohne sich anzusehen. Hier bat Sergejitsch Paschka, ihm das Fernglas für ein paar Tage dazulassen. Paschka ließ es ihm. Dann ging er zum Mitschurinweg, ohne sich noch einmal umzudrehen.

4

In der Nacht wurde Sergej Sergejitsch nicht von der eigenen Kälte wach, sondern von einer fremden, geträumten. Genauer: Er träumte, er sei ein Soldat. Erschossen und auf dem Schnee

»Warum lässt du mich nicht schlafen?«, flüsterte er.

Wohl eine halbe Stunde saß er so da, während seine Augen sich an die Dunkelheit gewöhnten. Die Luft im Zimmer teilte sich in horizontale Schichten auf, den Fußknöcheln wurde es kalt, den Schultern und Wangen warm.

Sergejitsch seufzte, zündete eine gelbe Kerze an und ging zum Schrank, öffnete die linke Tür und hielt die Kerze vor das Schrankinnere. Da hing zwischen leeren Kleiderbügeln ein Kleid seiner Frau, seiner Exfrau Witalina. Sie hatte es absichtlich zurückgelassen, als eindeutigen Hinweis. Als einen der Gründe, warum sie gegangen war.

Im zitternden Halbdunkel der kleinen Flamme war das Muster des Kleides nicht besonders gut zu sehen, aber das brauchte Sergejitsch auch nicht. Er kannte es in- und auswendig, sein ganzes simples Sujet: Über den hellblauen Stoff liefen große rote Ameisen, die einen aufwärts, die anderen abwärts, dicht an dicht, vermutlich Tausende von Ameisen! Wie konnte einem Kleidererfinder nur so etwas in den Kopf kommen! Konnte es nicht einfach und schön wie bei allen sein, ein Kleid mit Punkten oder Margeriten, oder mit Veilchen?

Die Augen fielen ihm zu, und im Halbschlaf sah er wieder das vertraute Kleid mit den Ameisen. Nur dieses Mal nicht im Schrank, sondern an ihr, an Witalina. Es war lang, bis über die Knie. Die roten Ameisen rannten förmlich über den Stoff, weil Witalina im Dorf die Leninstraße entlangging und ein leichter Wind den Saum des Kleides hin- und herwehte. Witalina ging nicht, sie schwebte. Genau so, wie sie das erste Mal aus dem Hof auf die Straße getreten war. Man konnte sagen, sie war hinausgegangen, um sich der Straße und dem ganzen Dorf zu zeigen wie irgendeinen bedeutenden Ausweis, bei dessen Anblick alle den Weg freigeben mussten. An jenem ersten Tag nach ihrer Ankunft aus Winnyzja hatte sie noch nicht alle Taschen und Koffer ausgepackt, aber sofort aus ihren Sachen das Ameisenkleid herausgeholt, es gebügelt, angezogen und sich zur Kirche aufgemacht, die am Ende der Straße stand. Er hatte versucht, sie aufzuhalten, sie angefleht, etwas anderes anzuziehen, aber ach wo! Mit Witalinas Charakter und ihrer Liebe zum »Schönen« war schwer auszukommen gewesen. Unmöglich sogar.

Sie dachte damals, Sergejitsch würde gemeinsam mit ihr durch die Straße spazieren, aber er begleitete sie nur bis zum Tor. Er schämte sich, weiterzugehen mit seiner Frau, die sich mit roten Ameisen herausgeputzt hatte.

Sie war allein losgegangen, mit mutigem, geradezu

Natürlich zerriss sich in den nächsten paar Tagen das ganze Dorf das Maul über sie …

Dabei hatte er sich ja nicht wegen des Kleides in sie verliebt und sie zur Frau genommen! Ohne das Kleid war sie viel besser und gehörte ihm allein! Leider nicht so lange, wie er es sich gewünscht hatte.

Seltsamerweise war in Sergejitschs Traum jener erste Gang Witalinas durch das Dorf anders, als es sich in Wirklichkeit abgespielt hatte. Im Traum ging er neben ihr und hielt sie an der Hand. Er grüßte die Nachbarn und Nachbarinnen, er nickte ihnen zu, auch wenn ihre Blicke an dem Kleid mit den Ameisen klebenblieben wie Fliegen im Sommer an dem Fliegenpapier über dem Tisch.

In seinem Traum gingen sie bis zu der Kirche, aber sie traten nicht durch die offene Tür dort ein, sondern gingen um die Kirche herum zum Friedhof, wo die stummen Kreuze und Grabsteine den Menschen die Lust nahmen, zu lächeln oder laut zu reden. Dort führte Sergejitsch Witalina zum Grab seiner Eltern, die keine fünfzig geworden waren, dann zeigte er ihr seine anderen Verwandten: die Schwester des Vaters mit ihrem Mann, seinen Cousin mit den beiden Söhnen, die im Suff bei einem Autounfall umgekommen waren, auch seine Nichte vergaß er nicht, obwohl man sie am äußersten Rand des Friedhofs hatte verschwinden lassen, oberhalb der Schlucht. Das Ganze nur, weil ihr Vater sich mit dem Vorsitzenden des Dorfsowjets gestritten hatte und der sich, wo er eben konnte, an ihm gerächt hatte.

Hier erinnerte Sergejitsch sich im Schlaf, dass sie tatsächlich am zweiten oder dritten Tag nach Witalinas Ankunft auf den Friedhof gegangen waren, nur war sie da passend gekleidet gewesen, ganz in Schwarz. Das Schwarz stand ihr sehr gut, so erschien es ihm damals.

Vor dem Fenster krachte es plötzlich laut. Sergejitsch fuhr zusammen und verlor den Faden seines Traums. Der Friedhof verschwand, auch Witalina in ihrem Ameisenkleid und er selbst, als wäre im Kino während der Filmvorführung der Streifen im Projektor gerissen.

Der Krach brachte Sergejitsch allerdings nicht dazu, die Augen zu öffnen.

›Irgendwo hat es eingeschlagen‹, dachte er. ›Und nicht besonders nah, bloß ein großes Kaliber! Wäre es nahe gewesen, dann hätte es mich aus dem Bett geschleudert.‹ Und hätte das Geschoss das Haus getroffen, dann wäre er für immer in diesem Traum geblieben, in dem es gemütlicher und wärmer war als im Leben. Obendrein ärgerte ihn auch das Ameisenkleid nicht mehr, es begann ihm eher schon zu gefallen!

5

»Er liegt doch direkt vor ihren Füßen!« Paschka war böse und verbarg seine Empörung nicht. »Sie hätten ihn schon mal holen können!«

Von der zerbombten Kirche her wehte ein kalter,

Sie standen wieder am Rand des Gemüsegartens. Paschka schaute an diesem Morgen finster drein. Finster hatte er auch vor etwa einer Stunde auf Sergejitschs Klopfen hin die Tür geöffnet, ohne ihn hereinzubitten. Allerdings hatte er sich schnell fertiggemacht und nichts dagegen gehabt, mit seinem alten Kindheitsfeind an den Rand des Gartens zu kommen.

»Vielleicht lässt er dich ja nicht schlafen«, brummte er im Gehen. »Aber ich habe mit ihm nichts zu tun! Er liegt da eben, na und! Irgendwann werden sie ihn verscharren und beerdigen!«

»Aber das ist doch ein Mensch!«, versuchte Sergejitsch, seinen Standpunkt zu erklären, und stolperte dabei, weil er nicht auf den Boden sah. »Ein Mensch muss entweder leben oder im Grab liegen!«

»Da wird er schon noch landen.« Paschka winkte ab. »Eines Tages landet jeder unter der Erde.«

»Aber vielleicht steigen wir runter und ziehen ihn wenigstens in das Wäldchen, damit man ihn nicht sieht?«

»Ich steige da nicht runter! Sollen das die machen, die ihn dort hingeschickt haben!«

Paschkas Stimme klang so entschlossen, dass Sergejitsch begriff, dass dieses Gespräch sinnlos war. Trotzdem redete er weiter.

Er redete auch noch, als sie auf dem festgetretenen Schnee vor dem Feld standen, das sich den Hügel hinunterzog.

Er sah eine Weile hindurch und verzog das Gesicht. Was er sah, gefiel ihm genauso wenig wie Sergejitsch, nur brachte es ihn offenbar auf ganz andere Gedanken als seinen Nachbarn.

»Wenn er von ihnen heruntergekommen ist, dann ist er einer von den Ukros«, begann Paschka, laut zu überlegen, nachdem er das Fernglas abgesetzt hatte. »Wenn er zu ihnen wollte, dann ist er von uns! Wenn wir wüssten, dass es Unserer ist, könnte man es den Jungs in Karusselino sagen, dann könnten sie ihn nachts wegschleppen. Aber er liegt ja quer! Und es ist nicht klar, wo er hinwollte. Sersch, hast du übrigens heute Nacht den Flieger gehört?«

»Ja«, nickte Sergejitsch.

»Anscheinend haben sie den Friedhof getroffen.«

»Und wer?«

»Weiß der Teufel. Hast du ein bisschen Tee für mich?«

Sergejitsch biss sich auf die Lippen. Nein zu sagen war unpassend, schließlich war Paschka ja doch auf seine Bitte hin mitgekommen, obwohl er nicht gewollt hatte!

»Ich gebe dir welchen, gehen wir.«

Der von den Sohlen ihrer schweren Stiefel zermahlene Schnee knirschte trocken unter den Füßen wie gefrorener Sand.

Sergejitsch ging voraus. Dabei überlegte er, in was er den Tee für Paschka hineinfüllen konnte. In eine Streichholzschachtel – das war wenig, dann wäre er gekränkt, in ein Mayonnaiseglas – das war viel.

Vor seiner Haustür trampelten beide auf dem Beton und klopften den Schnee ab.

Am Ende schüttete Sergejitsch den Tee für Paschka doch

»Soll ich dir das Fernglas noch dalassen, oder hast du genug gesehen?«, fragte Paschka und versuchte, dankbar auszusehen.

»Ja, lass es hier«, bat Sergejitsch.

Dieses Mal trennten sie sich freundschaftlich.

Als er allein war, ging Sergejitsch beim Schuppen vorbei und besuchte seine überwinternden Bienen, überprüfte, ob alles in Ordnung war. Dann schaute er in die Garage und betrachtete seinen grünen Schiguli-Kombi. Er überlegte, den Motor anzulassen, fürchtete aber, dass es die Bienen aufschrecken würde. Sie befanden sich ja nebenan hinter der Holzwand, der Schuppen und die Garage waren wie Zwillinge und auch nahezu unter einem Dach.

Vor dem Fenster begann schon die frühe Winterabenddämmerung. Sergejitsch versorgte sich für die Nacht mit Kohle, er schüttete einen halben Eimer davon in den Ofen, schloss die Ofentür und stellte oben einen Topf mit Wasser auf. Heute gab es bei ihm zum Abendessen Buchweizengrütze. Dann würde er bei Kerzenschein ein Buch lesen, Kerzen hatte er jetzt viele. Mehr als Bücher. Die Bücher waren alle alt und sowjetisch, sie standen im Büfett hinter Glas, links vom Service. Sie waren alt, aber lasen sich leicht, die Buchstaben waren groß und deutlich, und alles war verständlich, weil sie einfache Geschichten erzählten. Die Kerzen standen in zwei Kisten in der Ecke. Darin lagen sie in dichten Schichten, jede Schicht von der anderen durch ein Wachspapier getrennt. Dieses Wachspapier allein war bereits eine Kostbarkeit! Damit konnte man selbst im

6

Nach ein paar ruhigen, windstillen Tagen kam ein Abend, der dunkler war als gewöhnlich. In einem Aufruhr am Himmel, der in der winterlichen Dunkelheit von unten nicht zu sehen war, hatten schwere Wolken die leichten fortgeschoben, und plötzlich fielen aus ihnen weiche Flocken auf den alten, im trockenen Wind hart gewordenen Schnee.

Gähnend warf Sergejitsch eine neue Ladung lang brennender Kohle in den Ofen und löschte mit zwei Fingern die gelbe Kirchenkerze. Damit hatte er schon alles, was vor dem

Stille ist natürlich etwas Relatives, und als persönliche Klangerscheinung stimmt jeder Mensch sie nach sich selbst. Früher war Sergejitschs Stille genau wie die aller anderen gewesen. Das ferne Brummen eines Flugzeugs am Himmel oder das Zirpen der Grillen, das nachts durchs offene Fenster hereinflog, wurde mühelos Teil von ihr. Jedes leise Geräusch, das einen nicht ärgert oder zwingt, sich nach ihm umzudrehen, wird letztlich Teil der Stille. So war es früher mit der Stille in Friedenszeiten. So wurde es dann auch mit der Stille in Kriegszeiten, in der die Geräusche des Krieges die friedlichen unterdrückten, die Geräusche der Natur verdrängten, mit der Zeit aber selbst uninteressant und alltäglich wurden, sich dann gleichsam ebenfalls unter die Flügel der Stille legten und keine Aufmerksamkeit mehr erregten.

Jetzt lag Sergejitsch da, durch den Schneefall, der ihm zu laut schien, von einer seltsamen Unruhe gepackt. Und statt einzuschlafen, dachte er nach.

Wieder fiel ihm der auf dem Feld liegende Tote ein. Aber diesmal kam ihm schnell der erfreuliche Gedanke, dass er jetzt schon sicher nicht mehr zu sehen war! Denn ein solcher Schnee deckte alles zu, bis zum Frühling, bis zum Tauwetter! Im Frühling würde alles anders, die Natur würde

Er aber würde, wenn der Krieg weiterging, das Dorf Paschka überlassen und seine Bienen, alle sechs Stöcke, dorthin bringen, wo kein Krieg war. Wo es auf den Feldern keine Explosionskrater, sondern Blumen oder Buchweizen gab, wo man unbeschwert und furchtlos durch den Wald, das Feld, die Dorfstraße gehen konnte. Wo viele Menschen waren und einem das Leben allein wegen ihrer Menge und ihrer Sorglosigkeit wärmer vorkam, auch wenn sie einen im Vorübergehen nicht anlächelten.

Die Gedanken an seine Bienen versetzten Sergejitsch in friedliche Stimmung und brachten den Schlaf schon näher. Er dachte an jenen Tag, der in seinem Herzen und seiner Erinnerung einen besonderen Platz einnahm: als ihn zum ersten Mal der Herr des Donbass und beinahe des ganzen Landes, sein ehemaliger Gouverneur, besucht hatte, ein Mensch, der in jeder Hinsicht verständlich und vertrauenerweckend gewesen war wie ein alter Abakus. Er kam in einem Jeep mit zwei Leibwächtern. Das Leben war damals ganz anders, ruhig. Bis zur Stille des Krieges waren es noch zehn Jahre oder mehr! Die Nachbarn kamen

»Soll ich die Schuhe ausziehen?«, fragte sein Gast.

Sergejitsch sah auf die Schuhe und erstarrte ungläubig: Sie liefen spitz zu, waren äußerst präzise geformt und schillerten perlmuttfarben wie in einer Pfütze schwimmendes Benzin im hellen Sonnenlicht, nur war das Perlmutt edler als die Benzinmuster. Das Perlmutt der Schuhe leuchtete so, als würde die Luft über ihnen schmelzen, wie es bei großer Hitze vorkam, und ließ Farbe und Form der Schuhe noch plastischer und flirrender aussehen.

»Nein, wozu ausziehen?!«, sagte Sergejitsch kopfschüttelnd.

»Gefallen sie dir?«, fragte sein Gast lächelnd und brachte den Hausherrn mit seinen Worten dazu, den Blick von den Schuhen loszureißen.

»Ja, natürlich! So etwas Schönes habe ich noch nie gesehen«, gestand Sergejitsch.

»Zweiundvierzig!«

Der Gast nickte und trat zu der mittleren Kiste, unter der ein hölzerner Hocker als Stufe stand. Er stieg hinauf und setzte sich behutsam auf die dünne Matratze. Er legte sich auf die rechte Seite, streckte vorsichtig die Beine aus und sah Sergejitsch kindlich wie ein Schüler den strengen Lehrer an. »Besser auf den Rücken oder auf den Bauch?«, fragte er. »Auf dem Rücken ist es besser«, riet Sergejitsch ihm. »Mehr Berührungsfläche zwischen Körper und Bienenstöcken.« – »Du kannst gehen, ich schlafe ein Weilchen. Man wird dich rufen!«, sagte der Gast und warf einen Blick zu den Bodyguards hinüber, die ein wenig abseits von der Bienenliegebank standen. Einer von ihnen nickte zum Zeichen, dass er verstanden hatte.

Sergejitsch kehrte ins Haus zurück und schaltete den Fernseher ein – damals gab es Strom. Er versuchte, sich abzulenken, aber konnte sich in Gedanken von dem hohen Gast und seinen Schuhen nicht losreißen. Etwas ließ ihm keine Ruhe: Wenn nur die Füße der Bienenstöcke unter dem Gewicht des auf ihnen liegenden Riesen nicht einknickten! Sergejitsch kochte sich einen Tee und trank, aber die Besorgnis über die möglicherweise fehlende Stabilität seiner selbstgebauten Bienenstöcke verschwand nicht. Denn beim Bauen hatte er nur auf den Komfort der Bienen geachtet; dass der Schlaf auf den Bienen nützlich und heilsam war, hatte er noch nicht gewusst.

Damals ließ der hohe Gast aus Dankbarkeit dreihundert Dollar und eine Literflasche Wodka zurück. Von dem Tag

Ein Jahr später, wieder im frühen Herbst, war der Gouverneur erneut zu ihm gekommen. Zu der Zeit hatte Sergejitsch auch schon die Laube um die Liegebank gebaut. Sie war leicht und zerlegbar, so dass man sie in einer Stunde auf- und in einer Stunde wieder abbauen konnte. Die Matratze hatte er noch dünner gemacht, damit das Stroh nicht die leiseste Vibration der hunderttausend Bienen dämpfte.

Sein Gast sah müde aus. Er hatte etwa zehn Männer als Wachen dabei, und wohl genauso viele Autos standen in der Leninstraße an seinem Zaun aufgereiht. Wer darin saß und warum sie nicht ausstiegen, begriff Sergejitsch nicht. Dieses zweite Mal lag oder schlief der Herr des Donbass fünf oder sechs Stunden auf den Bienenstöcken. Zum Abschied schenkte er Sergejitsch nicht nur tausend Dollar im Umschlag, sondern umarmte ihn auch kräftig wie ein Bär. Als würde er sich von einem ihm lieben Menschen verabschieden.

›Das war’s‹, hatte Sergejitsch gedacht. ›So ein Glück wiederholt sich nicht!‹ Gründe, so zu denken, gab es mehrere. Einer davon war vollkommen banal: Für das Schlafen auf Bienen wurde jetzt in jeder größeren Stadt geworben. Die Konkurrenz war sehr groß. Und er, Sergejitsch, machte für sich überhaupt keine Werbung. Im Dorf wussten sie, dass der Exgouverneur eigens aus Kiew hergefahren war, um auf seinen Bienen zu schlafen. Und sie erzählten es ihren Freunden, Verwandten und Bekannten aus anderen Dörfern und Städtchen. So, dass mit einer für die anderen Imker

Das erste Geschoss hatte die Kirche getroffen. Und schon am nächsten Morgen begannen die Bewohner, Malaja Starogradowka zu verlassen. Zuerst schickten die Väter die Mütter mit den Kindern zu Verwandten: die einen nach Russland, die anderen nach Odessa oder nach Mykolajiw. Dann gingen die Väter selbst: Die einen wurden »Separatisten«, die anderen wurden Flüchtlinge. Als Letzte brachten sie die alten Männer und Frauen fort. Unter Geschrei, Weinen,

»Und was ist mit dir?«, fragte Sergejitsch ihn. Sie grüßten sich seit der Kindheit nicht.

»Wieso? Was soll sein? Soll ich etwa hier alles aufgeben? Ich hab einen tiefen Erdkeller, da setze ich mich rein, wenn nötig!«

Das war im ersten Frühling des Krieges gewesen. Jetzt war schon sein dritter Winter. Seit fast drei Jahren hielten er und Paschka hier zu zweit das Leben im Dorf aufrecht! Man konnte das Dorf doch nicht ohne Leben lassen. Wenn alle weggingen, dann kam auch niemand mehr zurück! Aber so würden sie auf jeden Fall wiederkommen. Wenn entweder der Unsinn in Kiew aus war oder die Raketen und Granaten.