Am Tag, als man Mrs McKechnie anschlitzte, war sonst wenig los in West Byfleet. Nicht dass in Pyrford oder selbst in ganz Guildford viel los gewesen wäre: Es brauchte eine Woche harter Arbeit, um mit dem Polizeibericht eine ganze Seite im Guildford Advertiser vollzukriegen, und auch dann handelte es sich hauptsächlich um gutbürgerliche Weiche-Kragen-Kriminalität: Unterschlagung, klimakterieller Ladendiebstahl, Hundesteuerhinterziehung; manchmal gab’s eine Disco-Rauferei, doch die meisten Jugendlichen hatten Angst, deswegen bei den Jungkonservativen rauszufliegen. Als dann Mrs McKechnie angeschlitzt wurde, hätte man erwarten dürfen, dass der Advertiser damit die Seite Sieben aufmachte; tat er aber nicht. Den Aufmacher lieferte das andere, was die Männer noch machten, die Zugabe, dieses abartig Gemeine, das selbst Big Eddy, der ja nun wirklich einen eigenartigen Humor hatte, nicht gut finden konnte. Das sagt einem doch alles über die Zeitungsfritzen.

Als Rosie McKechnie an einem Augustnachmittag die Haustür von The Pines öffnete, glaubte sie, es sei der Gasmann. Jeder andere hätte das auch geglaubt. Wenn man zur Haustür kommt, durch das eingelassene Buntglas einen untersetzten Umriss ausmacht, die Kette

Der kleine Mann kam rasch durch die Tür und stieß Mrs McKechnie mit seinem gesenkten Kopf hart in die linke Brust. Dann drückte er ihr die Arme an die Seiten, blieb einfach stehen und hielt sie fest. Sie spürte einen heftigen anhaltenden Schmerz in ihrer Brust; sie blickte entsetzt hinab auf den Scheitel des kleinen Mannes und stellte fest, dass seine Haare mit Gaze verdeckt waren; sie sah wieder hoch zur offenen Tür und bereitete sich seelisch darauf vor loszuschreien, als der zweite Mann ankam. Er glitt herein, schloss vorsichtig die Tür hinter sich, legte den Finger auf die plattgedrückte, fleischige Zone, die alles war, was die Strumpfmaske von seinen Lippen erkennen ließ, und machte:

»Schhh.«

Ihr wurde leichter, als er das tat; dann bekam sie plötzlich erst recht Angst. Ihr Mund wollte sich zu einem Schrei formen, doch sofort war der zweite Mann neben ihr, und seine Hand legte sich wie eine Zwinge über ihr Gesicht.

»Na, na, Rosie, keinen Lärm«, flüsterte er, »keinen Lärm. Wir wollen keinen Lärm. Wir brauchen keinen Lärm. Verstanden?«

Sie hatte verstanden. Es blieb ihr keine andere Wahl. Der eine brach ihr zwei Arm voll Rippen, der andere erstickte sie beinah. Sie verdrehte die Augen nach unten und konnte nur einen bestrumpften Kopf erkennen, der gegen ihre Perlen drückte (o Gott, meine Juwelen); und

Jetzt redete der Lange wieder, ihr direkt ins Ohr.

»Nun pass mal auf, Rosie, ich werd dir sagen, was wir machen. Nein, andersherum, ich werd dir sagen, was wir nicht machen. Wir legen dich nicht um. Wir legen dich nicht flach. Wir tun dir nicht weh. Wir klauen auch nichts – naja, außer wenn wir natürlich etwas sehen, das uns besonders gut gefällt. Klar?«

Er lockerte den Griff über ihrem Gesicht; sie wollte den Mund öffnen, überlegte es sich anders und nickte einfach.

»Brav, Rosie, und kein Lärm, wie gesagt. Also, wir sind nur wegen einer Sache hier, und wenn wir die erledigt haben, verschwinden wir wieder. O.K.?«

Sie nickte wieder.

»Aber wir schätzen es gar nicht, wenn du uns dazwischenfunkst. Deshalb müssen wir dich leider ein wenig fesseln. O.K.?«

Sie nickte. Ihr Kinn schmerzte von der Hand des Langen. Der Kleine hatte überhaupt nichts gesagt, sie nur mit jener stillen Erregung festgehalten, die sie an die Zeit ihrer scheuen Jugendflirts erinnerte.

»Als Erstes werde ich deinen Mund loslassen, diese Scheißmaske abnehmen und sie dir um die Augen

Dann ließ er vorsichtig ihr Gesicht los, trat hinter sie, riss sich den Strumpf vom Kopf und band ihn ihr rasch über die Augen.

»Brav, Schätzchen. So, dann nimmt jetzt der Kleine seine Maske ab und bindet sie dir über den Mund. Wir müssen nämlich vielleicht ein bisschen im Haus rumlaufen, und wir wollen doch nicht zurückrennen und dir das Maul stopfen müssen.«

Sie spürte, wie ihre Arme freikamen, und stand dann einfach da, die Augen verbunden, während die beiden Männer sie knebelten. Der Strumpf zog ihr die Mundwinkel unsanft nach hinten, drückte die Zunge zurück und schien den ganzen Mund auszufüllen. Er schmeckte scheußlich. Einer der Männer verknotete ihn fest in ihrem Nacken.

»Tut mir leid wegen dem Brylcreem, Schätzchen«, sagte der Lange. Er war anscheinend der Einzige, der sprach. »Die Frage war: Brylcreem oder Schuppen. Wir hätten dich wählen lassen sollen. Ist nicht zu fest, oder?«

Es war zu fest; es schmerzte in den Mundwinkeln; es war, als würden ihr die Lippen aufgerissen. Sie nickte.

»Ah, doch ein wenig fest? Tut mir wirklich leid, Rosie, aber du musst es einmal von unserer Seite aus sehen.

Er sprach offensichtlich zum Kleinen, der ein Grunzen von sich gab. Dann hörte sie ein leises Klickern. Der Antwort des Langen entnahm sie, dass der Kleine offenbar auf das Glas seiner Armbanduhr geklopft hatte.

»O.K., wir wollen ja keine Wurzeln schlagen. Warte mal ’ne Sekunde, Rosie, lauf uns nicht weg.«

Sie ließen sie für ein paar Minuten allein, kamen dann zurück und drängten sie in einen Raum, der ihr Wohnzimmer sein musste. Sie setzten sie auf einen rustikalen Esstischstuhl, den einer der beiden aus der Küche geholt haben musste. Dann spürte sie, wie ihr die Knöchel mit etwas gefesselt wurden, das jedenfalls kein Seil war. Zum Schluss banden sie ihr die Hände zusammen.

»Zwei Paar in bester Nylonqualität sind das, Rosie. Beste C & Arsch. Herbstbeige haben wir für dich ausgesucht. Haben uns gedacht, das könnte deine Farbe sein.«

War es nicht, aber weshalb überhaupt diese Vertraulichkeit? Wenn sie gekommen waren, um etwas zu stehlen, warum nahmen sie es dann nicht einfach? Aber sie konnten unmöglich bloß etwas stehlen wollen, denn warum hätten sie sich sonst die Mühe gemacht, ihren Namen

Der Lange mit der ruhigen Stimme, in die sich gelegentlich Londoner Rowdytöne mischten, war noch immer bei den Strümpfen.

»Zwei Paar gratis, Rosie. Das ist besser als ein Drücker, oder? Und wenn dir die Farbe nicht zusagt, kannst du sie ja verschenken, nicht wahr? Wenn ich du wäre, Rosie, dann wären die Nylons für mich der Silberstreif am Horizont dieser kleinen Geschichte hier, ehrlich. Und wie gesagt, wenn sie dir nicht passen, dann könnten sie ja Barbara passen. Ja, ich könnte mir vorstellen, dass sie Barbara passen.«

Rosie McKechnie kannte keine Barbara. Vielleicht hatte sie die eine oder andere Barbara in der Schule oder in ihren Zwanzigern gekannt, aber jetzt zumindest kannte sie keine, die so hieß. Sie war jetzt Ende vierzig und konnte sich an keine Barbara aus den letzten zwanzig Jahren erinnern. Warum also hatte der Mann den Namen wiederholt? Es klang nach Absicht.

Eine Pause trat ein. Als der Lange wieder zu sprechen anfing, klang er fast entschuldigend.

»Ich fürchte, jetzt kommen wir zum unangenehmen

Wieder hielt er inne. Rosie hatte plötzlich schreckliche Angst. Ihr Körper sagte ihr, dass sie Angst hatte. Sie merkte, wie ein Tröpfchen Urin austrat, aber nur eins.

»Schon gut, wir wollen dich nicht umlegen, das ist nicht unser Metier. Wir wollen dich auch nicht flachlegen, obwohl sich, wenn du mir die Bemerkung gestatten willst, Mr McKechnie sehr glücklich schätzen kann. Aber leider werden wir dich ein klein wenig anschlitzen müssen. Es wird ein bisschen wehtun – das ist leider nicht zu vermeiden –, aber wir werden uns alle Mühe geben, damit es so wenig weh wie möglich tut. Weil, wir sind ja keine Sadisten nicht. Und der Boss hat klare Anweisungen gegeben. Es wird also nicht so schlimm werden, wie es sein könnte.«

Rosie McKechnie begann in ihre Augenbinde zu weinen. Sie war überzeugt davon, dass sie ihr das Gesicht zerschneiden würden. Das Gesicht, das sich Brian an einem nebligen Abend im November 1952 aus all den Revuetänzerinnen von Ahoy There! herausgepickt hatte. Er hatte sie von der sechsten Parkettreihe aus herausgepickt, obwohl sie einen Matrosenanzug trug und ein dämliches Käppi mit einer roten Bommel obendrauf. In Frankreich, so hatte ihr Brian gesagt, gehen die Mädchen zu den Matrosen hin und bitten darum, die Bommel anfassen zu dürfen; das soll Glück bringen; der Preis besteht in einem Kuss. Als Brian mit einem Strauß Astern

»Jetzt wird’s Zeit für Stanley, fürchte ich«, sagte der Lange. Stanley: Das musste der Kleine sein; den Namen musste sie sich einprägen. »Also, Mrs McKechnie« (er war auf einmal förmlich geworden), »wir werden jetzt einen kleinen Schnitt machen, einen Kratzer eigentlich nur, und zwar so in der Gegend Ihrer Schulter.« Gottseidank, sie hatten es nicht auf das Gesicht abgesehen. »Es wird ein klein wenig wehtun, aber Sie werden nicht allzu sehr bluten, paar Stiche, acht bis zehn, würd ich sagen, und, nun ja, eine Zeit lang keine rückenfreien Kleider, aber Sie werden staunen, wie schnell Sie sich erholen.«

Sie wartete. Sie konnte nichts anderes tun als auf das zu warten, was als Nächstes passieren würde.

Was als Nächstes passierte, war, dass der Kleine in seine Hosentasche langte und ein dickes schwarzes Linolschneidemesser mit verstellbarer Klinge hervorholte. Es war graublau und hatte obendrauf ein kleines gezacktes Rädchen, das, wenn man es nach vorne schob, die Klinge zum Vorschein brachte. Auf ein Zeichen des Langen ging er aus dem Wohnzimmer, einen Flur mit ein

Godfrey war der große, fette, grauhaarige Kater der McKechnies. Ein Brocken von einem machohaften Stenz mit eindeutigen Ansichten über Reviergrenzen. Der Typ Kater, der Katzen gegen die Wand drückte und sie der Frigidität beschuldigte, wenn sie sich nicht ergaben. Selbst für die feline Welt, wo Selbstsucht und Gerissenheit als Kardinaltugenden gelten, war Godfrey ein außergewöhnlich böser Kater. Die anderen Katzen machten einen Bogen um ihn; man hatte einige der kleineren Hunde der Gegend beobachtet, wie sie auf die andere Straßenseite wechselten, um ihm auszuweichen; nicht einmal seine Besitzer mochten ihn besonders. Sie versorgten ihn mit allem, was er brauchte, und gingen ihm sonst, so gut es ging, aus dem Weg.

Als der Kleine an der Anrichte vorbeikam, hörte er ein scharfes, zischendes Fauchen. Er drehte sich um und sah Godfrey. Der Kleine hielt sich für einen Katzenkenner und streckte die Hand aus, um Godfrey am Kinn zu kraulen. Godfrey schätzte es nicht, am Kinn gekrault zu werden; er mochte es überhaupt nicht, wenn ihm Menschen zu nahe kamen. Als die Hand herankam, hieb er mit seiner rechten Pfote danach.

Godfrey hielt seine Krallen gut in Schuss. Auf dem Handrücken des Mannes erschienen drei weiße Linien; nach einigen Sekunden schienen sie zu platzen, und Blutperlen kamen zum Vorschein. Ungläubig starrte der Mann seine Hand an. Im Stehen sah er sich langsam in der

Dann ging er zur Spüle hinüber und ließ das kalte Wasser laufen. Zuerst wusch er sich das Blut von der Hand und hielt sie mehrere Minuten lang unter den Strahl, um die Blutung zu stillen. Dann füllte er den Wasserkessel und stellte ihn auf. Als aus der Tülle Dampf aufstieg, nahm er sein blaues Messer, fuhr die Klinge aus und hielt sie für etwa eine Minute in den Wasserdampf.

Als er ins Wohnzimmer zurückkehrte, wirkte der Lange zum ersten Mal an diesem Nachmittag ungeduldig. Das Rückenteil am Kleid der Frau war jetzt offen.

»Hat aber gedauert.«

Der Kleine streckte die rechte Hand aus und sprach die einzigen beiden Worte, die ihn Rosie McKechnie überhaupt sagen hörte.

»Bleder Kader.« Die Stimme war heller als die des anderen Mannes und hatte einen starken irischen Einschlag. Als er das Messer in die rechte Hand nahm, die linke mitten auf den Rücken der Frau legte, sie vornüber beugte und auf ihrer rechten Schulter, ein paar Zentimeter neben dem Träger ihres BHs einen raschen, aber sorgfältig platzierten vertikalen Einschnitt vornahm,

Jetzt sprach der Lange wieder.

»Sieben Zentimeter. Sieben Zentimeter hat der Boss gesagt.« Rosie war jetzt vornüber gebeugt, sie krümmte sich vor Schmerzen. »Und wie es aussieht, sind’s auch sieben Zentimeter.« Er kauerte neben der geknebelten Frau und redete beinah zärtlich auf sie ein. »Jetzt lehn dich zurück, Schatz, sonst blutet es nur noch mehr.« Sie richtete sich auf und versuchte, dabei die Wunde nicht zu beanspruchen. »Acht bis zehn wirst du brauchen, meiner Schätzung nach. Vielleicht auch zwölf. Das wird schon werden. Du könntest was zu trinken haben, wenn du magst.«

Sie schüttelte den Kopf. Sie trank keinen Schnaps; nie. Nach einem Glas Brandy würde sie sich noch eher übergeben müssen als vom Geschmack der Frisiercreme in der Maske des Langen.

»Gleich sind wir so weit«, sagte der Lange.

Der Kleine trug das Messer wieder in die Küche, um es abzuwaschen. Er drehte den Kaltwasserhahn auf, hielt die Klinge für ungefähr eine Minute darunter, trocknete sie am Allzwecktuch und versorgte das Messer wieder in der Tasche. Dann hielt er die Hand erneut unter den Strahl, obwohl mittlerweile fast kein Blut mehr kam. Er tupfte die drei parallelen Striemen auf dem Handrücken mit seinem Taschentuch trocken und marschierte zu dem Herd mit dem Bratspieß in Augenhöhe. Er drehte

Drüben im Wohnzimmer lockerte der Lange den Strumpf über Mrs McKechnies Augen.

»Wenn du deinen Kopf kräftig schüttelst, dann dürfte das Ding von allein abgehen«, sagte er. »Tut mir leid, dass wir nicht mehr für dich tun können, aber du musst dich einmal in unsere Lage versetzen. Wir müssen halt tun, was der Boss sagt. Es bringt keinem was, nicht zu tun, was der Boss sagt.«

Sie hörte, wie der Kleine aus der Küche zurückkam.

»Da drin alles sauber aufgeräumt?«, fragte der Lange und erhielt ein Grunzen als Antwort. »Gut, hier habe ich auch aufgewischt«, fuhr er fort, um sich dann ein letztes Mal an Rosie McKechnie zu wenden.

»Also dann, tschüs, Rosie, wir müssen weiter. Ja und, äh, hoffentlich passen die Strümpfe. Irgendwem werden sie schon passen.«

Wenige Sekunden später schloss sich leise die Haustür. Mrs McKechnie merkte, dass ihr Kleid bis zur Taille nass war von ihrem eigenen Blut. Sie hatte kaum noch die Kraft, die Augenbinde abzuschütteln. Schließlich rutschte diese herunter, und Mrs McKechnie fand sich wieder, wie sie durchs Fenster in ihren hinteren Garten hinausschaute. Zumindest, dachte sie, haben sie mir das Gesicht nicht zerschnitten. Zumindest haben sie nichts mitgenommen. Zumindest haben sie nichts aus lauter Bösartigkeit zerschlagen, wie man das von Einbrechern sonst hört. Aber waren das überhaupt Einbrecher? In wenigen Stunden würde Brian heimkommen; er konnte

Als Brian aus London zurückkehrte, vermutete er, seine Frau habe mal wieder das Abendessen anbrennen lassen. Der schwere, langsame, rotgesichtige Mann stand nach dem Fußmarsch vom Bahnhof nach Hause noch keuchend im Flur, etwas unschlüssig, ob er zuerst in die Küche oder ins Wohnzimmer gehen sollte. Aus der Küche roch es beißend nach Verbranntem, obwohl es irgendwie nicht den Geruch von verkohltem Essen hatte, an den er sich im Lauf der Jahre gewöhnt hatte; es war irgendetwas anderes, Durchdringenderes. Es roch nach versengten Matratzen. Aus dem Wohnzimmer hörte er ein unterdrücktes Schluchzen; Rosie flennte mal wieder, weil sie sein Essen vermurkst hatte. Ihre Tränen entwaffneten ihn jedes Mal, ganz gleich wie groß sein Ärger bei solchen Anlässen war.

Brian war ein fürsorglicher Ehemann und strebte vor der Küche zuerst ins Wohnzimmer. Verkohlt war verkohlt, auf die paar Minuten kam es nun auch nicht mehr an. Dann sah er, dass Rosie an den Stuhl gefesselt war. Er stürzte zu ihr und wollte eben seine fülligen Arme um sie legen, als er das Blut bemerkte. Er löste den Knebel und befreite dann Arme und Beine. Als er ihren Kopf zwischen seinen Händen hielt und sie auf Stirn und Wangen küsste, sah sie ihn mit den Augen eines verirrten Kindes an und brachte kein Wort heraus. Nachdem sie etwa eine Minute schockiert geschwiegen hatten, ging er zum Telefon und rief seinen Hausarzt an; dann verständigte er die Polizei. Als er aufgelegt

»Wer ist Barbara?«

»Barbara? Weiß ich nicht. Wieso?«

Doch sie antwortete einfach nur und wie von weit her: »Wer ist Barbara?«

McKechnie blickte finster und eilte davon, um zu retten, was vom Essen noch zu retten war. Barbara hieß seine gegenwärtige Geliebte. Aber seine Geliebte war sie erst seit wenigen Wochen – wer konnte das denn schon herausgefunden haben? Und wen kümmerte so was überhaupt? Was hatte das mit dem Überfall auf seine Frau zu tun? Warum standen die georgianischen Kerzenleuchter nach wie vor unangetastet auf dem Wohnzimmertisch? Warum war nichts angerührt worden?

Als er die Küche erreichte, musste er feststellen, dass im Haushalt doch etwas angerührt worden war. Was sich da auf dem Bratspieß in Augenhöhe langsam drehte, war bestimmt nicht Brian McKechnies Abendessen.

Der Arzt kam, machte dreizehn Stiche, sedierte Mrs McKechnie und steckte sie ins Bett. Eine Stunde später kamen zwei Polizisten, entschuldigten sich für die Verzögerung und redeten sich auf Personalknappheit hinaus; sie stellten fest, dass das Opfer schwer betäubt war, richteten ein paar Fragen an Mr McKechnie, die nichts erbrachten, verboten ihm, irgendetwas anzufassen – »Was soll das heißen: Irgendetwas?«, gab er zurück –, inspizierten beiläufig Türen und Fenster und versprachen, am nächsten Tag wiederzukommen.

Mr McKechnie saß vor einer Fertigsuppe, Geschmacksrichtung Ochsenschwanz, und rätselte, warum jemand seine Frau überfallen und ihr dabei den Namen seiner Geliebten nennen sollte. Er wusste von keinerlei Feinden. Seine Geliebte, die im Nebenberuf als seine Sekretärin tätig war, war nicht verheiratet; und obwohl sie ihre Haare durchaus reizvoll auftürmte, fremden Männern zulächelte und beim Gehen ihren Hintern etwas heftiger als unbedingt nötig schwenkte, wusste er doch von keinem, der ihm ihre Zuneigung streitig machen würde. Davon abgesehen, dass Brian, falls sich doch ein Konkurrent melden sollte, nicht gar so sehr an ihr hing: Sie konnte jederzeit gehen, wenn sie es wünschte. Die Zeiten, da er noch um eine Frau gekämpft hatte,

Am nächsten Tag saß ein Kommissar der Kriminalpolizei von Guildford zusammen mit einem Kollegen am Bett von Rosie McKechnie. Schritt für Schritt trugen sie zusammen, was sie wusste, obwohl es größtenteils das war, was sie nicht wusste. Ein großer Mann mit rowdyhaftem Cockney-Akzent und braunem Pullover; ein kleiner Mann mit möglicherweise irischem Akzent, der sich, wie es Rosie vorsichtig formulierte, über Godfrey »abfällig geäußert« hatte. Der Kleine hieß möglicherweise Stanley. Zweimal – fast dreimal – war nachdrücklich eine gewisse Barbara erwähnt worden. Auch jemand, der als Boss bezeichnet wurde, war mehrfach erwähnt worden.

»Hatten Sie Streit mit jemandem, Mrs McKechnie?«

»Nein – ich streite mich nicht. Außer mit der Putzfrau. Welche Art von Streit denn?«

»Na, Kräche, Reibereien, Sie wissen schon, Wortgefechte, etwas in der Art.«

»Nein.«

»Kennen Sie einen Stanley?«

»Da wäre Brians Onkel, aber …«

»Schon klar, Mrs McKechnie. Wie steht es mit Barbara?«

»Dann können wir wohl nur auf die Kollegen vom Labor hoffen. Es sei denn, dass uns Ihr Mann irgendwie weiterhelfen kann.«

Die beiden Polizisten gingen mit Mr McKechnie langsam die Treppe hinunter.

»Probleme, Sir«, sagte Bayliss, der Kommissar, ein rotblonder, etwas heftiger Mann im blauen Anzug. »Probleme. Keinerlei Hinweise zur Identität der beiden, oder jedenfalls keine, mit der nicht der größte Teil der englischen Bevölkerung unter Verdacht stünde. Keinerlei Fingerabdrücke, sagt der Kollege. Nichts gestohlen. Kein offensichtliches Motiv, oder wüssten Sie eins?«

»Ich wüsste keins.«

»Und ein besonders gemeines Verbrechen. Ganz abgesehen von der Katze. Die Frage, die sich hier stellt: die Tat eines Wahnsinnigen, von zwei Wahnsinnigen, oder nicht? Wenn es nur um die Katze ginge, würde ich sagen, ja. Da laufen genug Schwerverrückte frei herum. Ich weiß von Wahnsinnigen, die Katzen zum reinen Vergnügen von Hochhäusern runtergeschmissen haben. Aber aufspießen und rösten – das kannte ich noch nicht. Sie etwa, Willett?«

Sein Kollege ließ einen Augenblick lang alle Verbrechen gegen Feliden, mit denen er bisher zu tun gehabt hatte, Revue passieren. »Da gab’s Ertränkungen und, na ja, Verstümmelungen«, erwiderte der. »Und dann war da mal was mit einem Benzinkanister, aber das ist schon länger her. Aber so etwas nicht.«

»Sie sind die Experten.«

»Ja, das sind wir wohl. Nett von Ihnen, das zu sagen, Sir. Worauf ich hinauswill, Mr McKechnie, ist ein Motiv. Willett, was meinte Mrs McKechnie gleich wieder, dass sie über diesen Burschen Stanley sagten?«

Willett klappte seinen Notizblock auf und blätterte ein paar Seiten zurück. »›Zeit für Stanley‹ oder so ähnlich hat der Lange ihrer Meinung nach gesagt.«

»›Zeit für Stanley.‹ Das klingt fast danach, als sollte der andere losgelassen werden. Fast als würde man ihn von der Leine lassen. Kennen Sie irgendwelche Stanleys, Sir?«

»Mein Onkel, aber …«

»Wohl kaum. Sonst jemand?«

»Leider nein.«

»Na gut. Kommen wir zum einfacheren Teil. Wer ist Barbara?«

»Keine Ahnung.«

»Sie sind doch ein kleiner Schürzenjäger, nicht wahr, Sir?«

»Was soll das heißen? Alles andere.«

»Nie ein Seitensprung in allen Ehren? An Gelegenheiten wird es ja nicht gefehlt haben, wenn ich das mal so sagen darf. Nie über die Stränge geschlagen?«

»Also Sie und Mrs McKechnie …?« Bayliss bezog sich ohne Zweifel auf die Tatsache, dass Rosie ein eigenes Schlafzimmer hatte.

»Nachdem es Sie offenbar hochbringt, über derartige Dinge Bescheid zu wissen: Die Antwort lautet in der Tat: Nein, wir tun’s nicht mehr. Wir sind allerdings nach wie vor die besten Freunde.«

»Das würde ich keinen Augenblick bezweifeln wollen, Mr McKechnie. Was jetzt Ihre Frau angeht: Hat sie … hat sie gelegentlich Besucher?«

»Jetzt reicht’s mir aber. Mit welchem Recht glauben Sie eigentlich, mir solche Fragen stellen zu können? Meine Frau wurde mit dem Messer angegriffen, sie ist nicht vergewaltigt worden. Warum suchen Sie nicht nach der Tatwaffe oder sonst was? Was soll denn in Teufels Namen bei dieser Art Verhör herauskommen?«

»Das nun weiß man nicht immer so genau, ehe man nicht die Antworten bekommen hat. Also kein Stanley, keine Barbara, auch kein Herumgevögel; und was ist mit dieser Figur, die Boss genannt wurde?«

»Könnte jeder sein. Jeder hat einen Boss.«

»Ich bin mein eigener Boss.«

»So sagen Sie uns doch bitte, Mr McKechnie, wovon Sie der Boss sind.«

McKechnie GmbH & Co. KG. Eingetragen im Handelsregister. Geschäftssitz der Firma: Rupert Street, W1. Einfuhr von und Handel mit Spielzeug, Scherzartikeln, Boutiquenbedarf, Faschingskostümen, Kleinfeuerwerkskörpern, Zauberkästen und Karnevalsmasken. Polizistenhelme im Sortiment, aber nur in Kindergrößen. Geschäftsgang saisonabhängig, flau im Sommer, Spitzen in der Vorweihnachtszeit, versteht sich. Die Bücher in Ordnung. Umsatz sechsstellig. Der Warenbestand in zwei kleinen Lagerhäusern, eines in der Lexington Street, das andere in einem kleinen Hinterhof in der Greek Street. Ein kleines, einträgliches, ehrenhaftes Unternehmen. So weit Mr McKechnies Geschichte.

»Klingt beinah zu schön, um wahr zu sein. Hätten Sie was dagegen, wenn wir einmal vorbeischauen und uns in Ihrem Büro mit Ihnen unterhalten?«

»Natürlich nicht. Den Rest der Woche werde ich zu Hause bleiben und mich um meine Frau kümmern. Sie

»Sehr entgegenkommend von Ihnen. Jetzt aber zu dem, was wir hier haben. Ich schicke morgen den Polizeiarzt herüber, damit der sich die Verletzung Ihrer Frau ansieht – vielleicht stellt er etwas fest, was uns Aufschluss über die verwendete Waffe geben könnte. Wir nehmen den Kater mit, falls Sie nichts dagegen haben, und wir hätten auch gerne das Kleid, das Ihre Frau trug. Sollte Ihnen zu diesen Namen doch noch etwas einfallen, dann geben Sie uns Bescheid, nicht wahr?«

»Ja, natürlich.«

Kaum waren die Polizisten aus dem Haus, rief McKechnie schon in seinem Büro an. Barbara ging dran; das war zu erwarten – denn sonst gab es niemanden dort. Er fragte sie, ob er nicht immer lieb zu ihr gewesen sei, und sie bestätigte es. Er fragte sie, ob sie ihm einen Gefallen tun könne, und sie sagte, sie hoffe, es sei der gleiche wie sonst, der mache ihr nämlich Spaß. Er sagte, nein, diesmal nicht, du kleine Verführerin, diesmal sei es ein bisschen was anderes. Er habe gewisse Schwierigkeiten, die er ihr ein andermal erklären würde. Er bitte sie darum, das Büro dichtzumachen und drei Wochen bezahlten Urlaub zu nehmen. Nein, die drei Wochen Jahresurlaub blieben ihr, die könne sie später mal nehmen. Nein, das solle nicht heißen, dass er sie rausschmeiße. Ja, er habe sie noch immer sehr gern. Ja, das würden sie auch bald wieder machen. Bald, sehr bald. Und er werde ihr einen Scheck mit einem Monatsgehalt an ihre Wohnanschrift schicken.

Das war an einem Dienstag. Am Mittwoch kam der Polizeiarzt, untersuchte Mrs McKechnie, äußerte sein Beileid für Godfrey und brummte im Weggehen etwas von islamischen Strafpraktiken.

Am Donnerstag geschahen zwei Dinge. Der Guildford Advertiser erschien mit einer Schlagzeile über die halbe Seite Sieben: PERVERSER KATZENMORD BEI RÄTSELHAFTEM ÜBERFALL: POLIZEI JAGT IRRE. Und Polizeikommissar Bayliss tauchte wieder auf, in seinem Schlepptau Willett.

»Nach dem, was uns der Polizeiarzt berichtet hat«, sagte Bayliss, »können wir Ihren Onkel Stanley mit Sicherheit ausschließen.« McKechnie wirkte verwirrt. Bayliss zog ein kurzes, maschinengeschriebenes Dokument aus seiner Mappe und las daraus vor: »›Opfer … Wunde … Wundhof …‹ Ah ja, hier: ›Mögliche Tatwaffe: mittleres bis schweres Messer mit schmaler Klinge. Von der Klinge wurde nur eine kleine Fläche benutzt, also handelt es sich vermutlich weder um eine Art Klappmesser noch um ein nachgeschliffenes Küchenmesser, sondern eher um eine Art Zuschneidemesser oder auch um ein Spezialwerkzeug zur Holzbearbeitung. Für einen vorangegangenen Gebrauch des Messers ließen sich keine Spuren finden, da die Wunde zum Zeitpunkt der polizeilichen Untersuchung bereits gründlich gereinigt

Bayliss sah hoch und lächelte selbstzufrieden; dann nickte er Willett zu, der in seinem Notizblock suchte und neuerlich Mrs McKechnies Worte zitierte: »›Zeit für Stanley‹ oder so ähnlich.«

Bayliss hatte noch immer diese Selbstzufriedenheit im Gesicht. McKechnie konnte sich nicht vorstellen, warum es Bayliss irgendwie freuen konnte, dass einer der wenigen Hinweise, die er überhaupt hatte, hinfällig geworden war. Bayliss erklärte:

»Nun, bisher haben wir nach jedem gesucht, der auf den Namen Stanley hört. Jetzt suchen wir nur mehr nach Leuten mit Stanleymessern. Das müsste unsere Chancen eigentlich etwas verbessern.«

McKechnie wusste nicht, ob Bayliss ein Blödmann war oder bloß schnoddrig.

In der Woche darauf tauchten Bayliss und Willett in McKechnies Büro in der Rupert Street auf. Seine neue Sekretärin Belinda führte sie herein. Er hatte der Agentur ohne Umschweife klargemacht, dass er ein wirklich tüchtiges Mädchen wolle, weil er diese Flittchen mit kurzem Rock wirklich satthabe, die nur seine Ausgaben für Tipp-Ex verdoppelten und das auszubügeln meinten, wenn sie beim Aktenablegen ihr Höschen aufblitzen ließen. In der Agentur begriff man, was er meinte, schrieb das firmeninterne Kürzel »fromm« auf die Rückseite der Karteikarte und schickte ihm Belinda, ein Mädchen, das ein wenig hinkte und zwischen deren Brüsten ein riesiges silbernes Kreuz baumelte, als sollten

Als Bayliss hereinkam, fragte er beiläufig, wie lange Belinda schon da arbeite, doch McKechnie war auf die Frage gefasst. Er habe immer Aushilfskräfte, sagte er, er finde sie zuverlässiger, und die Arbeit sei nicht allzu anspruchsvoll, und bisweilen mache er den Laden wochenlang dicht, und außerdem sei das Büro sowieso so klein, dass er es nicht darauf ankommen lassen könne, eine Sekretärin am Hals zu haben, mit der er nicht klarkäme. Oh, sie kämen von allen möglichen Agenturen, mal von der, mal von jener; er wisse schon gar nicht mehr, wo er Belinda her habe. Aber sie könnten sie ja selber fragen, wenn sie wollten. Der Name seiner vorhergehenden Sekretärin? Oh, Sheila, und die davor, Tracy, und vor der, ach, Millie oder so ähnlich.

Als Bayliss und Willett gingen, fühlte sich McKechnie, als hätte er ein sattes Geschäft an Land gezogen. Er ging zu Bianchi hinüber und verwöhnte sich mit dem Besten, das die Küche zu bieten hatte, nur um zu zeigen, wie zufrieden er mit sich war.

In der folgenden Woche erhielt er den ersten Anruf. Belinda sagte ihm, dass ein Mr Salvatore am Apparat sei.

»Mr McKechnie?«

»Ja.«

»Und wie geht es uns heute?«

»Kann nicht klagen.«

»Allerdings. Was kann ich für Sie tun?« Diese Ausländer ließen sich aber auch Zeit – sie hielten das wohl für besonders britische Umgangsformen. McKechnie kannte einen griechischen Einzelhändler, der jedes Mal, wenn er ans Ende seines einleitenden Verbeugens und Kratzfüßelns gelangt war, den Anlass seines Anrufs vergessen hatte. Dann musste er wegen seiner Bestellung später noch mal anrufen.

»Und Ihre Frau, Mr McKechnie, befindet sich auch wohl?«

McKechnie war empört, obwohl sich der Ton des Anrufers nicht verändert hatte. »Es geht ihr gut. Was kann ich für Sie tun?«

»Dort, von wo ich herkomme, haben wir nämlich ein Sprichwort – die Gattin eines Mannes ist das Prunkstück seiner Tafel. Ist das nicht ein wunderschöner Ausdruck, ein überaus galanter Ausdruck?«

McKechnie legte auf. Wer immer der Mann war, er sollte entweder zur Sache kommen oder ihm gestohlen bleiben. Abgesehen davon, dass McKechnie gern etwas Zeit gehabt hätte, um darüber nachzudenken, was da im Busch war.

Er bekam sie nicht. Das Telefon klingelte fast sofort wieder, und Belinda sagte entschuldigend:

»Die Verbindung ist wiederhergestellt, Mr McKechnie. Entschuldigen Sie die Unterbrechung, ich muss einen falschen Knopf gedrückt haben.« Das war die Sorte Sekretärinnen, die sie einem heutzutage schickten – der alte Typ, und selbst manche von den Zwickelblitzerinnen,