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Lise Gast

Die unsichtbaren Fäden

ROMAN

Saga

»Richard!«

Keine Antwort. Er schlief noch.

»Richard!«

Dumpfes Stöhnen.

Bess gab nicht nach. »Richard Löwenherz!«

»Nein!« Das klang wütend und zugleich um Erbarmen oder doch wenigstens um Aufschub flehend.

Beinahe wäre Bess weich geworden. »Du schläfst ja gar nicht mehr.«

»Doch!«

»Löwe, bitte, du mußt aufwachen. Heute – weißt du, was heute vor fünfundzwanzig Jahren war?«

»Vermutlich unser Hochzeitstag.« Diesmal klang es verzweifelt. Bess fühlte Mitleid in sich aufsteigen, sah nach der Uhr. Erst halb sieben. Der Gottesdienst begann um halb zehn. Es war in der Tat früh.

Mit einem ihrer Blitzentschlüsse sprang sie aus dem Bett, zog die Decke um Richards Schultern, lief hinüber ins Bad und rettete so den Morgenschlaf ihres Mannes. Er war ein Nachtvogel, sie eine Frühaufsteherin. Gemeinhin heißt es, solche Ehen könnten nie gutgehen. Pfarrer Richard Lauterbach und seine Frau Elisabeth bewiesen das Gegenteil.

Elisabeth. Der Name war entschieden zu lang für die kleine Person, zu der er gehörte, und sie mochte ihn nicht. Er hatte jedoch den Vorteil, daß er sich unendlich abwandeln ließ. Lisa, Lilli, Betti, Lisette, Elsbeth, Lisawett – Richard erwies sich auch in dieser Beziehung als schöpferisch und voller Einfälle. Er war überhaupt im Gegensatz zu seiner Größe und Schwere, ganz abgesehen von Alter und Amt, in mancher Hinsicht noch herzerfrischend unerwachsen, ja, jungenhaft vergnügt. Bess, wie sie bei ihm zur Zeit hieß, fand das immer wieder reizvoll, denn sie lachte so gern. Sie war in einem Kreis von Brüdern aufgewachsen, in dem es laut und lustig zuging, dieses Elternhaus hatte sie geprägt.

Unter der heißen Dusche sang sie, wie sie meinte, leise, in Wirklichkeit ziemlich kriegerisch vor sich hin. Sie sang meist, während sie brauste. Heute war es ein altes Jägerlied, von dem sie nicht wußte, wann und wo sie es gelernt hatte. »Ich bin ein freier Wildbretschütz und hab ein weit Revier . . .« Richard sollte weiterschlafen, denn er hatte wohl wieder erst gegen Morgen zur Ruhe gefunden. Daß er gedacht hatte, er hätte den Hochzeitstag vergessen! Der Arme. Nein, daß ihm das nicht passierte, dafür sorgte sie jedes Jahr. Aber bei ihr gab es darüber hinaus noch unzählige Gedächtnistage.

Heute vor fünfundzwanzig Jahren! Das war ihr erstes großes Fest gewesen. Besser: Kristers Fest. Kristian Richard Amadeus Lauterbach. Schöne Namen, geliebte Namen. Als der letzte Vers »Und daß er einem andern g’hört, macht keine Sorge mir . . .« zu Ende war, murmelte Bess diese Namen vor sich hin, zärtlich wie damals, als der lange Kerl, der sie bekam, noch als winziges Menschlein auf ihrem Schoß lag. Und dann sogleich – nur keins der Kinder vorziehen! – die der anderen: Martin Emanuel und Hans Dietrich Theophil. Ganz gerecht war es ja nicht, daß der erste und der dritte je einen Namen mehr hatten – der erste, weil er der älteste, der dritte, weil er das Nesthäkchen war. Aber vielleicht empfanden sie es nicht so, jedenfalls nicht mehr heute.

Heute! Im selben Augenblick wurde ihr bewußt, daß sie zu diesem Wochenende ja alle hier waren. Wahrhaftig, ein Fest! Hoffentlich trug keiner von ihnen einen Dolch im Gewände, der den Frieden des Sonntags stören könnte – etwa, sich ein Motorrad kaufen zu wollen, wovor Bess schon lange heimlich zitterte, oder vielleicht umzusatteln. Oder weltschmerzliche Gespräche zu führen über eine alte, neu aufgewärmte Liebe, die hier angeschleppt wurde und mit der die Streiterei sogleich wieder losbrach. Alle drei befanden sich zur Zeit in dem Alter, in dem die Liebe großgeschrieben wird.

Bess stoppte ihre wildwuchernde Phantasie und gleichzeitig die heiße Dusche, drehte das kalte Wasser auf und rettete sich prustend in den Bademantel. Befriedigt tappte sie ins Schlafzimmer zurück, rubbelte sich ab, stieg in die nagelneue beigefarbene Hose und nahm den quergestreiften braunen Pulli aus dem Fach. Als sie auf dem Stuhl am Fenster saß und ihre Schuhe zuschnürte, hatte Richard die Augen längst geöffnet und beobachtete sie belustigt.

»Weißt du, wie du aussiehst?« fragte er nach einer Weile halblaut, so, als hätten sie sich längst unterhalten. »Nicht wie eine Pfarrsche . . .« Er sprach das Wort im Dialekt seiner Heimat aus, es klang ein wenig nach »Parrsche«, zwischen P und Pf.

Bess sah amüsiert auf. »Sondern?«

»Wie ein Eisläufer.«

Es war eine seiner liebenswerten Eigenschaften, daß er hübsche Komplimente machte, mitunter sogar schon früh am Morgen. Ihn zu wecken war kein Spaß, sondern oft eine Schwerarbeit; war er aber einmal wach, gab es nichts von vorwurfsvollem Schweigen oder gar Brummen.

»Danke! Hör mal, was mir vorige Woche passierte, als du in Göttingen warst. Ich stand im Garten, und jemand aus Herhofen, einer, der noch nicht lange dort wohnt, er wollte – ach, gleichgültig, was er wollte, ich weiß es auch nicht mehr. Der stand also hinter mir und rief: ›Du, Kleine, kannst du deinem Vater was ausrichten?‹ « Richard lachte. »So alt bin ich!«

»Alt. Unsinn!« Sie ging zu ihm hinüber, setzte sich auf seine Bettkante und sah in sein Gesicht, in das breite, massige, rotbraune Gesicht mit dem – Bäkchen über der ein wenig aufgestülpten Oberlippe und den schönen, dunklen Augen, die man jetzt, da er keine Brille trug, so gut sah. »Unfug: alt! Richtig bist du. Genau richtig. So wie ich dich haben möchte.« Sie küßte ihn ganz schnell. Dann, wie um zu verwischen, in welchen nachdenklichen Ernst sie plötzlich geraten war, sagte sie gewollt munter: »Löwe, brüll mal!«

»Uaaah! Übrigens . . .«

»Was denn?«

»Du fragtest vorhin . . .«

»Ja? Was denn?«

»Was heute vor fünfundzwanzig Jahren war – ich weiß es.« Er blickte sie an, stolz wie ein Kind, das vom Lehrer aufgerufen wurde und gut gelernt hat.

»Na? Hochzeitstag hast du gesagt. Wo Krister schon über fünfundzwanzig ist! Gehört es sich, daß eine Pfarrsche ihr erstes Kind zu früh bekommt?«

»Nein.« Er lachte. »Das gehört sich nicht. Ich hatte mich um ein Jahr verrechnet. Aber etwas ganz, ganz Wichtiges war es, deshalb . . . Kristers Taufe, stimmt’s?« »Stimmt. Einen rauf mit Schulmappe. Ach, was war das für ein Tag!«

Sie lachten alle zwei. Beiden stand der Tag wieder vor Augen, jener erste große Festtag ihrer Ehe, der so anders verlief, als sie es sich ausgemalt hatten.

»Erstens das Wetter. Nein, wie war ich enttäuscht!«

Bess war aufgesprungen und lief über den Flur zur Küche, ohne die Tür hinter sich zu schließen. Wortlos waren sie sich darüber einig, daß heute »großes Fest« gefeiert werden müsse. »Großes Fest« – was das war, wußten nicht einmal die Jungen. Das gehörte ganz ihnen beiden allein! Frühstück im Bett für Richard, lang, gemütlich, wobei sich der Genuß von Minute zu Minute steigerte, je mehr man fühlte, daß man »eigentlich« aufstehen sollte.

Bess trug das Tablett herein, wobei sie unaufhörlich schwatzte. »Ich hatte mir vorgestellt, daß der Tauftag des Erstgeborenen hell sein müsse. Sonnig, zart, lieblich. Wie heimlicherweise ein Engelein leise mit rosigen Füßen die Erde betritt . . . So. Damals verstand ich das Mörike-Gedicht zum ersten Mal richtig, ich sah geradezu die rosigen Füße des Engels vor mir, so rosig und süß wie die von Krister. Und ich wußte, daß du das Gedicht in der Predigt bringen würdest. Aber dann goß es und war kalt, und . . .

› Es klärt auf. Es klärt bestimmt auf ‹ , sagtest du. Du sagtest es auch zu Hennings, als sie kamen. Und Henning antwortete in seiner trockenen Art: › Und wieder gilt der alte Spruch: Es klärt sich auf zum Wolkenbruch. ‹

Das hörte ich damals zum ersten Mal.«

»Richtig, Hennings! Hennings kamen.« Richard lachte in sich hinein, während er herumrutschte, damit das Tablett, das eben auf seinem Bauch landete, nicht schräg zu stehen kam. »Sie hatten sich zwar angesagt, aber der Brief muß verlorengegangen sein, oder – nein, Telefon hatten wir damals noch nicht. Und auch nicht allzu viel zu essen. Heute kann man sich das gar nicht mehr vorstellen . . . Wir ahnten überhaupt nicht, was uns bevorstand.«

»Und es schüttete. Und dann kam ein Sturm auf, der eine ganze Reihe von Dachpfannen abriß, und du und Henning – ich seh euch noch klettern, und . . .«

»Und ihr standet unten und habt gezetert, ihr beiden holdseligen jungen Mütter, wie es immer heißt.«

»Es war die reine Liebe. Wir hatten Angst um euch, Eve und ich.«

»Eve, richtig! Eve Henning mit ihrer kleinen Christiane. Sie wollten ihr erstes Kind hier taufen lassen, weil ihr Vater hier einmal Pastor gewesen war oder ihr Großvater.«

»Großvater. Und da kamen sie also, und wir hatten es vergessen. Besser: ich. Jaja, ich, du konntest nichts dafür. Und für das Wetter auch nicht, und das Essen reichte nicht . . .«

»Es hat gereicht!« Richard, der wie viele Männer seiner Statur gutes und reichliches Essen sehr schätzte, sagte es im Brustton der Überzeugung. »Du hast großartig gekocht, und wenn man dünne Scheiben schneidet, werden es bekanntlich mehr. Es war, alles in allem, ein gelungenes Fest, an das man gern zurückdenkt, auch noch nach einem Vierteljahrhundert.«

»Und du hast Wein herbeigezaubert in Mengen, ich habe nur so gestaunt. Hennings blieben über Nacht, es war so gemütlich.« Sie strich ihm ein zweites Brötchen und legte es auf den Teller vor ihn. »Komm, iß . . . Ja, und Christiane wurde die Kleine getauft, das paßte gut zu Krister. Sie haben noch eine Tochter bekommen, Hennings, eine Friederike, soviel ich mich erinnere.«

»Und keinen Sohn?«

»Doch, auch. Nur wir . . .«

»Du bekommst mal Schwiegertöchter«, sagte er tröstend.

»Jaja!« Sie lächelte, ihm zuliebe. Er wußte es.

Zu gern hätte sie wenigstens eine Tochter gehabt. »Kein Kind mehr, unter gar keinen Umständen«, hatte der Arzt nach der Geburt des dritten Sohnes gesagt. Eine Zeitlang hatten sie dann eine Tochter annehmen wollen, ganz klein, als Säugling, am liebsten als Neugeborenes. Aber das war schwierig, ja unmöglich, da sperrte sich der Amtsschimmel, es kam jedenfalls nicht dazu. Nein, es wäre möglich gewesen, dachte Bess. Man hätte . . .

»Bess, Lilli, Isawett! Willst du wirklich unser großes Fest trüben!« Er zog sie an sich, das Tablett verrutschte rettungslos. Es klirrte und rasselte.

Und es rasselte noch etwas anderes in ihren Kuß hinein: das Telefon. Bess richtete sich auf und knurrte ein höchst unchristliches Schimpfwort, das er anstandshalber überhörte, während sie die Bettkante verließ und hinüberlief und den Hörer abhob.

»Ja? Bitte? Hier Lauterbach. Wer? Was? Eve, du? Nein, sowas! Ihr kommt? Heute? Natürlich sind wir da, und . . . Na, ob wir uns freuen! Nein, wirklich. Wir sprachen gerade von euch, von der Taufe Kristers und eurer Ältesten. Also ihr kommt? Ausgezeichnet, bei uns ist sowieso heute großes Fest.«

Während sie umherlief, um alles für den Besuch vorzubereiten, dachte Bess an Eve Henning. Die war nun schon seit ein paar Jahren Witwe, sie hatte ihren Mann, einen älteren Studienfreund von Richard, durch einen Herzinfarkt verloren. Dabei war er schlank, ja mager gewesen und hatte vernünftig gelebt. Schlanke Menschen bekommen seltener Herzinfarkte als beleibte, das wußte Bess. Richard wäre da viel gefährdeter.

O Richard!

Nein, jetzt wollte sie nicht daran denken. Nur daran, es Eve schön zu machen, sie herzlich zu empfangen und ihr alles zuliebe zu tun, was sie nur konnte. Vor dem Mittagessen würden sie nicht dasein, hatte Eve gesagt, vielleicht reichte die Zeit doch noch, daß sie trotz des Besuches mit zur Kirche ging.

Die Zeit reichte. Aber richtig zuzuhören, dazu reichte es bei Bess an diesem Sonntag nicht. Richard sprach auch nicht so gut wie sonst, fand sie, und er sah schlecht aus, müde. Ich hätte ihn länger schlafen lassen sollen, dachte Bess reuig, er braucht seinen Morgenschlaf. Wie oft hatte sie sich das schon gesagt und wie oft dagegen gehandelt! Dafür mußte er sich nach dem Gottesdienst sofort hinlegen. Sie nahm sich fest vor, ihn dazuzubringen, und war mit ihren Gedanken schon wieder bei Hennings. Alle Kinder noch in der Ausbildung, als der Vater starb, wie schwer mußte das sein! Und wie lange würde es noch dauern, bis der Jüngste – ja, das jüngste Kind war ein Sohn, jetzt wußte sie es wieder – fertig und selbständig war!

Bess fuhr auf, als Richard amen sagte. Sie hatte nur Bruchstücke von der Predigt mitbekommen. Beschämt erhob sie sich und legte die Hände zusammen.

Der Sonntag ging nicht so gut weiter, wie er angefangen hatte, Bess mußte das kummervoll feststellen, obwohl sie wirklich alles tat, ihn festlich zu gestalten. Richard hatte sich natürlich nicht hinlegen können; da die Katechetin krank war, hielt er an diesem Sonntag selbst Kindergottesdienst, und als er dann ins Haus herüberkam, wartete bereits der Amtsbruder des Nachbarortes in seinem Zimmer. Bess brachte den beiden einen Schluck Wein und deckte inzwischen unten den Tisch, weckte die Söhne oder versuchte wenigstens, sie wachzukriegen, ärgerte sich, daß sie nicht aufstanden beziehungsweise schon fort waren. Martin als einziger erschien zur angegebenen Zeit am Mittagstisch, und dann wurde das Essen verschoben, weil man auf Hennings warten wollte. Bess hätte zu gern alle drei Söhne dabeigehabt. Martin war – nun, nicht der am wenigsten hübsche, das fand Bess nicht. »Du bist rettungslos verliebt in deine Brut«, hatte Richard manchmal gesagt. Aber Martin war zum Vortraben, wie die Bauern beim Pferdehandel sagen, vielleicht nicht ganz geeignet. Er trug, wie viele junge Männer, sein Haar allzu lang, jedenfalls nach Ansicht seiner Mutter. Es bauschte sich im Nacken, als wollte er es zum Pferdeschwanz anschonen oder einen Zopf tragen wie die Soldaten des Alten Fritzen. Bess fand das scheußlich, zumal er dazu ein Bärtchen hatte und ein wenig dick war für sein Alter. Er als einziger schlug in der Figur seinem Vater nach; Bess bemühte sich, es so zu sehen und nicht als Folge seiner Verfressenheit. Es brachte sie innerlich auf, wenn sie sah, wie Martin sich den Bauch vollschlug, während gerade er vorsichtig sein sollte mit den Kalorien. Freilich, es gab Fohlenspeck, der sich auswuchs, aber so jung war Martin mit seinen dreiundzwanzig ja auch nicht mehr. Und Bart und Locken als Buchhändler . . .

Nun ja, heutzutage fiel so etwas nicht mehr aus dem Rahmen. Heute war alles möglich: Daß Jungen Locken trugen und Bärte, auf die sie wohl nächstens treten würden, am Sonntagmorgen einfach nicht aufstanden oder schon fort waren . . . Krister hatte ungefragt den Wagen des Vaters genommen und war damit verschwunden, ohne zu hinterlassen, wohin und bis wann. Der Jüngste schlief noch, herausfordernd und aufsässig, wie Bess fand, und der erwartete Besuch kam und kam nicht. Das Essen ließ sich auch nicht unbegrenzte Zeit warm halten, schließlich aßen sie zu dritt, Richard, Bess und Martin. Es herrschte keine Festtagsstimmung.

»Ich kann nichts dafür, Eve sagte, sie würden mittags dasein«, verteidigte sich Bess kläglich, als Richard noch einmal fragte, was eigentlich verabredet gewesen sei.

»Sie wollen nach dem Süden, Urlaub machen, alle vier zusammen.«

»Vielleicht hast du dich verhört? Vielleicht hat sie gesagt: Nicht zum Essen?«

»Ich verhör mich doch nicht. Immer soll ich schuld sein!«

»Oder sie hatten einen Unfall und liegen im Krankenhaus«, sagte Martin gemütlich und nahm sich den siebenten Kloß, um seine nicht unbeträchtliche Sahnesauce aufzustippen. »Vielleicht sind sie auch schon tot . . .«

Bess fuhr auf. »Bist du still! Das ist Blasphemie, sowas sagt man nicht. Bei der heutigen Verkehrsunfallziffer. Und den Teufel darf man sowieso nicht an die Wand malen.«

»Und als Pfarrfrau nicht abergläubisch sein«, sagte Martin grinsend. Er grinste wirklich unverschämt, nicht charmant, wie er auch sein konnte. Bess fühlte die Wut aufsteigen.

Und nun war die Stimmung ganz und gar verdorben. Auch Richard in seiner Langmut gelang es nicht, sie wiederherzustellen. Man trennte sich mißlaunig und ohne das übliche und beliebte Täßchen Mokka nach dem Sonntagsessen in Richards Zimmer, das Bess sonst »ausnahmsweise« dort bereitete. Es war seit je koffeinfreier Kaffee, denn Richard brauchte seine Mittagsruhe, und er wußte das auch, spielte aber geduldig den Nichtsahnenden. Bess warf sich wütend auf die Couch in ihrem Zimmer, um ein bißchen zu weinen. So schön hätte der Tag werden können!

Gerade als ein tröstlicher Schlaf sie einzuhüllen begann, erschienen die angekündigten Gäste. Und, da paßte es ihr erst recht nicht. So munter und wach sie am frühen Morgen war, so ungeheuer schwer fiel es ihr, nach dem Mittagsschlaf wieder aufzustehen. Und wie sah man da aus! Als wäre man seit zwanzig Jahren im Altersheim oder schon drei Tage im Grab gewesen.

Bess brauchte all ihre christliche Nächstenliebe, um »Da seid ihr ja!« und »Herzlich willkommen!« zu rufen, und es klang trotzdem bemerkenswert lahm. Dabei konnte Eve Henning gar nichts dafür, daß alles verfahren war und verquer. Sie kam ahnungslos herein, sehr gut angezogen und sehr gut aussehend, und auch das empfand Bess als einen Wespenstich des Schicksals. Vor allem ärgerte sie Richards bewundernder Blick, als er Eve begrüßte. Er sollte nun einmal keine andere Frau gut aussehend finden und ihr Komplimente darüber machen – er machte Eve eins in der ersten Sekunde. Na, und den Töchtern!

Natürlich war es keine Kunst, mit so schönen Töchtern Eindruck zu schinden, wenn die eigenen Söhne widerborstig waren und nicht erschienen. Bess goß Kaffee auf und hätte die Kanne am liebsten an die Wand geschmettert, als unversehens Friederike hereinhuschte. Friederike, die jüngere Tochter. Nach ihr kam Daniel.

»Kann ich dir helfen, Tante . . .« Sie stockte. Dann sagte sie mit einem unbeschreiblich lieben und ein wenig verlegenen Ausdruck: »Du, darf ich Tantel zu dir sagen? Zusammengezogen aus Tant’ und Elisabeth: Tant’ El? Wir hatten früher eine Tante, die wir Tantel nannten, sie stammte aus Schlesien. Wir hatten sie furchtbar gern. Und dich – darf ich dich so nennen?« fragte sie noch einmal und wurde dunkelrot.

Damit war ein Pflaster auf Bess’ wunde Seele geklebt. »Selbstverständlich gern, Kind«, sagte sie schnell.

Friederike sah entzückend aus mit ihrer klaren siebzehnjährigen Haut und den schönen, ein wenig zu hellen blauen Augen. Zu helle Augen hatte auch Eve, fiel Bess jetzt wieder ein. Und die kann sie nicht nachschminken, dachte sie noch rasch, ehe sie kapitulierte vor dem liebevollen Blick dieser jungen Friederike. Eve war zu stark geschminkt, das war ihr sofort aufgefallen. Jetzt aber schob Bess all ihren Groll beiseite und nahm das Mädchen rasch um die Schultern.

»Ja, du kannst mir helfen. Wir dachten, ihr kämt eher. Nun hat Martin alles aufgefuttert.« Sie lachte. Tatsächlich, es ging schon wieder, das Lachen.

»Welcher ist Martin?« fragte Friederike begierig. »Der Mittlere? Mutti wußte nichts Genaues über eure Kinder, nur daß der Älteste so heißt wie Christiane – ich meine: eben passend.«

»Kristian, ja. Wir nennen ihn aber Krister.«

»Krister? Hab ich noch nie gehört. Ein wunderbarer Name!« sagte Friederike begeistert. »Und der zweite heißt Martin? Und der Jüngste . . . Es muß herrlich sein, so viele Söhne zu haben. Immer hab ich mir viele Brüder gewünscht, nicht nur einen – immer. Eine aus meiner Klasse hat sieben Geschwister. Wenn jemand sie fragt, wie viele Brüder sie habe, und sie antwortet: drei, dann sagt jeder achtungsvoll: oh! Aber sobald sie hinzusetzt: und vier Schwestern!, kommt ein bedauerndes: oh!«

Friederike setzte die beiden Ohs scharf gegeneinander ab, das erste klang hoch und freudig, das zweite tief und ausgesprochen bedauernd.

Bess mußte lachen. »Sowas Dummes! Schwestern sind doch etwas Schönes, ich hätte so gern wenigstens eine Tochter. Oder zwei. Solche wie dich . . .« Nun wurde sie auch verlegen. »Komm, mach die Kondensmilch auf, da liegt der Öffner. Wie dich und deine Schwester, solche Töchter ließe ich mir gefallen!«

Versöhnt mit der Welt trat sie ins Wohnzimmer, wo Eve mit Richard saß. Sie unterhielten sich lebhaft.

Übermäßig geschminkt ist sie ja gar nicht, versuchte Bess edelmütig zu denken, und bei großen Töchtern muß man wahrscheinlich mehr auf sich achten. Obwohl – nein, die hektische Konkurrenz zwischen den Generationen, in der die Mütter es den Töchtern unbedingt gleich- oder sogar zuvortun wollten, die hatte sie immer als unwürdig abgelehnt. Wenn man alt wird, wird man alt, dafür sind die Kinder jung. Außerdem, auch wenn die Jungen das nicht glauben wollen: Jugend ist nicht das einzige auf der Welt, was glücklich macht. Bess ahnte nicht, daß diese Überlegung rein theoretischer Art und ihr Edelmut ein bißchen billig war. Sie hatte einen Mann, der sie jung fand, der ihr jeden Tag etwas Hübsches sagte, der nie eine andere begehrenswert gefunden hatte. Da war es leicht, zufrieden zu sein.

»Ach, ihr wollt heute noch weiter?« fragte sie enttäuscht. Eve hob das Handgelenk mit der zierlichen Uhr. »Wir müßten längst weiter sein. Wir wurden aufgehalten. Aber vorbeifahren wollten wir doch nicht. Und da du so freundlich sagtest, ihr hättet gerade von uns gesprochen, setzte ich mich den Kindern gegenüber durch. Sie haben es eilig, weiterzukommen.«

»Wir hatten aber wirklich von euch gesprochen«, sagte Bess und setzte die Kaffeekanne ab. »Und wir dachten, ihr kämt wegen dem Jahrestag.«

»Welchem Jahrestag?« fragte Eve.

»Na, dem von Kristers und Christianes Taufe! Weißt du das nicht mehr? Heute vor fünfundzwanzig Jahren?«

Eve hatte offensichtlich nicht darangedacht und es am Telefon wohl auch überhört, man merkte es deutlich. Aber daß sie es nicht zugab und sofort rief: »Aber natürlich habe ich!« das, fand Bess, hätte nicht sein müssen. Lieber ehrlich sagen: »Oh, das hatte ich vergessen!« oder so etwas. Sie mußte doch sicher vielerlei im Kopf behalten. Jawohl, das kam auch im nächsten Augenblick. »Weißt du, es lastet so viel auf mir. Der Bruder meines Mannes – er war nicht der Vormund der Kinder, das bin ich, solange ich nicht wieder heirate, und ich denke nicht dran, ein zweites Mal zu heiraten – der ist vor kurzem auch gestorben. Es war vorauszusehen und für ihn sicherlich eine Erlösung. Aber er war der einzige Mensch, an den ich mich manchmal wenden konnte, wenn ich in Schwierigkeiten war. Ich meine nicht wirtschaftliche Schwierigkeiten, denn ich bekomme ja meine Pension als Beamtenwitwe; doch wenn ich Sorgen hatte mit den Kindern und der Schule oder Scherereien mit dem Hausbesitzer oder wenn ich im Umgang mit Behörden nicht weiterwußte, da stand er mir immer bei. Jetzt haben wir niemanden mehr, keinen Verwandten, keinen Freund, keinen Kollegen, der sich um uns kümmert oder uns hilft. Mein Schwager war der einzige. Es ist schon nicht einfach, wenn man Witwe ist und so eine Anzahl Kinder hat . . .«

Es klang, als wäre es ein Dutzend, fand Bess. Sie rief sich gleich zur Ordnung; natürlich hat es eine Frau in so einem Fall nicht leicht. Aber es klang so wehleidig, so süchtig nach Bedauern und Trost . . .

»Um so mehr sollte man sich da an alte Freunde halten«, sagte sie so warm wie möglich. »Wie gut, daß ihr gekommen seid!« Sie verteilte die Tassen auf dem Tisch, Friederike die Tellerchen. Der dreizehnjährige Daniel saß stumm dabei, sein schmales Gesicht war verschlossen.

Christiane war auf die Veranda hinausgegangen. Krister erschien genau in dem Augenblick, als Bess die erste Tasse Kaffee eingoß, und er sah so nett aus, groß und schlank und hell und sauber, daß ihr Herz einen kleinen Hopser machte.

»Komm, setz dich hier neben Christiane. Ihr seid über dasselbe Taufbecken gehalten worden, ihr zwei – erinnert ihr euch denn gar nicht mehr aneinander ? Da muß ich mich doch wundern.«

Krister zeigte sich von seiner besten Seite. »Natürlich, ich weiß es noch wie heute. Grüß dich, TaufSchwesterchen«, sagte er mit seinem bezauberndsten Lächeln, während er Christiane ansah, und mit einem Schlag war alles gut.

Auch Hans erschien sehr vergnügt und unbefangen und kuchenhungrig, und Bess war insgeheim froh, daß Martin nicht kam, denn Eve verbreitete sich soeben ausführlich über die bärtigen und unmanierlich gelockten jungen Männer unserer Zeit. Da war es gut, daß Martin nicht die Illustration dazu lieferte.

Hans nahm dann die Gitarre vom Flügel und stimmte ein wenig daran herum, und schon waren sie alle zusammen in einem der Lieder, die jeder kennt, der jung ist oder mit der Jugend lebt. Es wurde ein stimmstarker, bemerkenswert einiger Chor, und jeder erbat sich eins seiner Lieblingslieder. Richard schmunzelte, wenn er die Singenden ansah. Und nun wurde der Aufbruch der Gäste immer wieder hinausgeschoben.

Schließlich aber war es doch soweit.

»Wir kommen auf dem Rückweg wieder vorbei, ein wenig länger als diesmal, wenn wir dürfen«, sagte Eve, als sie schon im Auto saß, und es klang so ehrlich und herzlich, daß Bess alle geheimen Vorbehalte über Bord warf. »Über Nacht, wenn es euch recht ist, damit wir einen langen Abend haben. Können wir tatsächlich bei euch übernachten, zu so vielen? Sonst gehen wir ins Hotel.«

»Nein, ihr bleibt bei uns, das ist doch klar. Also bis dann. Ich freu mich. Ihr kommt bestimmt!«

Sie wollten nach Italien. Bess winkte und wandte sich dann dem Haus zu; sie hakte sich bei Richard ein.

»Nun war es doch noch ein harmonischer Nachmittag. Glaubst du, daß sie kommen?«

»Die kommen, darauf kannst du dich verlassen.« Richard lachte leise in sich hinein. »Ich käme übrigens auch. Du hast eine Art, es Gästen hübsch zu machen, die unwiderstehlich ist.«

»Ach, Löwenherz! Ich hab halt gern Besuch. Und Eve ist wahrhaftig nicht zu beneiden. Da gönnt man ihr alles Gute. Hoffentlich gelingt ihr die Reise. Es ist nicht einfach, mit drei so verschiedenartigen Kindern unterwegs zu sein. Aber ich denke es mir schön.«

»Möchtest du auch mal nach Italien?«

Bess schüttelte den Kopf. Zu einer gemeinsamen großen Reise mit den Kindern hatte es nie gereicht. »Am liebsten bin ich hier. In unserem alten Haus mit der gräßlich steilen Treppe.« Das Haus war nicht als Pfarre gebaut, und Bess hatte recht, es unpraktisch zu nennen. »Bei dir«, setzte sie ganz schnell hinzu, verschämt, sehr zärtlich.

»Obwohl ich genauso bin wie das Haus: gräßlich, zum Ärgern, und viel zu groß für solch eine Winzperson wie dich. Stimmt’s?«

»Bin ich wirklich so winzig?« fragte Bess sofort. Eve war groß und schlank, und Bess beneidete alle großen und schlanken Frauen um ihre Figur.

»Puderwinzig klein. Und wenn du nicht so klein wärst . . .« Er brach ab.

»Dann?« fragte Bess atemlos.

»Dann hätt ich dich nur halb so gern.« Weg war er. Seiner Massigkeit zum Trotz konnte er behende sein wie ein Wiesel.

Bess lachte. Und als sie dann den Tisch abräumte, das Tablett über den Flur schleppte und die Tür mit dem Knie hinter sich zustieß, sang sie vor sich hin, ohne es zu wissen.

Im Spätsommer gab es viel zu tun, viel zu bedenken, viel zu organisieren. Das Semester fing zwar erst im Oktober an, aber Krister fuhr schon jetzt nach Hamburg, wo er Biochemie studierte; dort war es ihm gelungen, einen Laborplatz zu bekommen. Martin blieb in seiner Lehrstelle, er arbeitete in einer Buchhandlung in Göttingen. Hans, der nach dem Abitur seine Militärzeit als Sanitäter abgeleistet hatte, wollte in Erlangen anfangen; er hatte sich zur Theologie entschlossen und würde zunächst bei Bekannten seines Vaters wohnen, bis er ein Zimmer fand. Er brach gleichzeitig mit Krister auf. Vaters Freund in Erlangen hatte ihm einen interessanten Ferienjob vermittelt.

Bess war sehr verwundert, als Martin eines Tages ihr und Richard verkündete, er hätte die Budenwirtschaft satt und habe sich ein Auto gekauft. Er werde täglich zur Arbeit fahren und zu Hause wohnen. Die Aussicht, den Sohn wieder daheim zu haben in der zweifellos kritischen Zeit, in der die Kinder sich vom Elternhaus zu lösen pflegen, beglückte Bess so sehr, daß sie nicht verstand, wie unwillig Richard darauf reagierte.

»Natürlich kann er sich diese alte Schleuder kaufen, wenn er sie selbst bezahlt, dazu braucht er unsere Erlaubnis nicht«, sagte Richard. Martins VW zeichnete sich nicht gerade durch übergroße Modernität aus. »Aber der nächste Winter kommt bestimmt, wie uns die Kohlenhändler so klar vor Augen führen. Na, und im Winter damit auf der Straße liegen – danke schön. Außerdem hätte er vorher mit mir sprechen können, statt mich vor vollendete Tatsachen zu stellen. Vielleicht sogar dich fragen, ob es dir recht ist, daß er wieder zu Hause wohnt.«

»Warum soll es mir denn nicht recht sein?« Bess war ehrlich verblüfft. »Es ist doch selbstverständlich, daß er zu Hause wohnen kann.«

»So. Immer. Immer ist es dir selbstverständlich, wenn sie etwas von dir verlangen.« Richard war so heftig, wie es sonst nicht seine Art war.

Bess schwieg betroffen.

Gerade kam die Kindergärtnerin, um etwas zu fragen. Sie war ein nettes junges Mädchen, und Richard widmete sich ihr. Bess ging hinaus in den Garten und sprach mit dem alten Mann, der ihr bei den schwereren Arbeiten half, einem Rentner, dessen Gehör nachzulassen begann. Sie nahm Richards Verstimmung nicht allzu ernst. Vermutlich verstand er seine Heftigkeit selbst nicht mehr.

Bess lief umher und versuchte, die mannigfaltige Arbeit zu bewältigen. Um diese Zeit gab es viel Zusätzliches: Die Wintersachen der Familie sollten durchgesehen und ergänzt werden, Krister und Hans mußte sie einige Kleidungsstücke nachschicken, vielerlei am und im Haus war zu richten. Die Apfelbäume trugen in diesem Jahr schwer. Obst ist eine Gabe Gottes, und Bess erinnerte sich der Zeiten, da eine Handvoll davon ein Vermögen bedeutete. In Süddeutschland vermostete man die Äpfel, hier wurden sie eingekocht, und das brauchte Zeit.

Bess setzte sich an den Gartentisch in die milde Sonne, um Äpfel zu schneiden, und dabei stellte sie sich vor, wie hübsch es wäre, eine Tochter neben sich zu haben, die ihr dabei half. So eine wie Friederike. Daß diese Tochter gar nicht hier säße, sondern in der Schule wäre, jedenfalls vormittags, und nachmittags ihre Schularbeiten machte oder lieber schwimmen ginge, vermutlich in männlicher Begleitung, das fiel ihr nicht ein.

Gleich darauf erschien eine Gastarbeiterfrau, eine Griechin, mit ihrem Kind, das sie trotz des warmen Tages dick in ein Wolltuch eingewickelt auf dem Arm trug. Es war krebsrot und schrie.

Bess betrachtete es mitleidig.

Diese Frau Zapkeni hatte Vertrauen zu ihr gefaßt, seit Bess einmal alle Griechinnen, Türkinnen und Italienerinnen, die im Dorf lebten, mit ihren Kindern zu einem Gartenfest eingeladen hatte. Lange hatte sie überlegt, was man miteinander treiben könne, ohne die Sprache zu beherrschen, vom Topfschlagen bis zum Wurstschnappen und den Ballspielen. Richard konnte an dem Tag nicht dabeisein, also mußte es Bess allein schaffen. Hans hatte ihr dann geholfen. Ihn darum zu bitten, wagte sie nicht; wie manchmal kam er jedoch später von selbst, scharte die kleineren Jungen um sich und begann, mit ihnen Kreisball im Sitzen zu spielen. Da ging es lustig zu, und man hörte lautes Kreischen in verschiedenen Sprachen, auch mal ein deutsches Schimpfwort dazwischen.

Die Kinder saßen im Kreis auf dem Rasen und mußten einander einen Ball zuwerfen, ohne daß einer, der in der Mitte stand, ihn erwischte. Hans ging zuerst selbst in die Mitte, er warf sich wie ein Torwart hinter dem Ball her, überschlug sich, kugelte zwischen den erst ein wenig verdutzt dreinschauenden kleinen Murillos herum und steckte sie allmählich mit seinem Eifer an. Den größten Erfolg aber hatte Richard, der nach einiger Zeit heimkam und sogleich in den Garten ging, um nachzuschauen, wie die Sache lief. Er bat, in den Kreis zu dürfen, und die Jungen klatschten Beifall. Sie wurden aber enttäuscht, wenn sie gehofft hatten, der »Herr Farr« würde sich recht blamieren. Richard hatte früher viel Handball gespielt, er sprang und reckte sich im Sprung, und binnen kurzem hatte er den Ball erwischt, so daß ein anderer in den Kreis mußte. Die kleinen Mädchen, die inzwischen von Bess beschäftigt worden waren, verloren das Interesse und drängten sich zu den Jungen. Zuletzt war alles ein wildes Getobe, sogar ein paar südländische Mütter taten mit. Bess war hinterher zerrauft, erhitzt und sehr glücklich. Sie verabschiedete jede Mutter und jedes Kind mit Handschlag und Namen.

»Und wie schön manche Namen klingen! Evangelia und Romeo und Petros und Antigone – wenn sie auch Antigónne ausgesprochen wird«, sagte sie und lachte erschöpft. »Ja, auch die eigenen Eltern sprechen diesen klassischen Namen unklassisch aus, ich hab aufgepaßt. Fehlt nur eine Penelópe.«

Frau Zapkeni also hatte damals auch mitgespielt oder doch zugesehen, dabeigewesen war sie bestimmt, Bess erinnerte sich jetzt wieder genau. Sie führte sie ins Haus und bat sie, das Kind auszuwickeln. Es hatte überall kleine rote Pusteln, Wind- oder Wasserpocken wahrscheinlich.

»Du zum Doktor gehen, Doktor wieder gesund machen«, sagte sie in der ungeschickten Art, in die man so leicht verfällt, wenn man mit Ausländern spricht.

»Geschrien hast du, als wäre die arme Frau taub«, sagte Richard später, als sie davon erzählte. Er war im Nebenzimmer gewesen.

Bess schämte sich ein wenig. »Aber . . .«

»Aber daß sie kam, war ein Erfolg!« Er lächelte.

»Hättest du die Frauen damals nicht eingeladen, dann wäre das nicht geschehen. Übrigens, wie ist es mit dem diesjährigen Bazar? Ich will ihn früher ansetzen als im letzten Jahr, damit ich mit meinen Terminen zurechtkomme. Kann ich wieder mit deiner Hilfe rechnen, oder hast du zuviel zu tun?«