Die Herausgeberin
Friedhilde Bartels, Gesundheits-und Krankenpflegerin, Präsidentin der Deutschen Fachgesellschaft für Aktivierend-therapeutische Pflege (DGATP) e. V., ehemalige Pflegedienstleiterin der Medizinisch-Geriatrischen Klinik, Albertinen-Krankenhaus/Albertinen-Haus gGmbH.
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Fallbeispiel |
1. Auflage 2019
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© W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart
Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart
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ISBN 978-3-17-029112-6
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Der Wert der Pflege als eigenständiger Beruf zeigt sich besonders in der Geriatrie. Die Pioniere dieser immer noch jungen Disziplin betonten von Anfang an den Wert der Teamarbeit und im Besonderen den Stellenwert der Pflege. Dies galt von Anfang an für den Bereich der Altenhilfe und die erst spärlich vorhandenen geriatrischen Krankenhausabteilungen. Lange bevor es den Mediziner als Geriater gab, wurde der Beruf der Altenpflege eingeführt. Meine Lehrer in der Schweiz Jucker und Steinmann prägten dafür in den 70er Jahren den Begriff »Aktivierende Pflege«.
Seither hat sich vieles getan. Aus einer kleinen Zahl geriatrischer Kliniken, die 1993 die Bundesarbeitsgemeinschaft der klinisch-geriatrischen Einrichtungen auf Initiative des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung mit 19 Mitgliedern gründeten, wurde der heutige Bundesverband Geriatrie, der mehrere 100 Einrichtungen zählt.
Da geriatrische Inhalte in den pflegerischen Ausbildungen kaum vorhanden waren wurden Fort- und Weiterbildungskonzepte an neu entstandenen geriatrischen Akademien vermittelt. Im Albertinen-Haus in Hamburg wurde die Weiterbildung zur »Fachkrankenschwester für Klinische Geriatrie und Rehabilitation« eingeführt.
Das Bobath-Konzept, das primär von Physiotherapeuten und Ergotherapeuten angewandt wurde, erwies sich dabei auch als gute Grundlage für die Weiterbildung der Pflegekräfte in der Geriatrie.
Die Bobaths, die in den 80er-Jahren auch wieder mit Kursen in Deutschland begannen, betonten von Anfang an, dass ihr Konzept ein 24-Stunden-Konzept sei und wiesen auf die große Verantwortung der Pflege hin.
Die Pflege prägt das Milieu eines Hauses, sie hat es in der Hand durch Erkennung von Ressourcen, das Potenzial eines Patienten zu fördern und somit therapeutisch einzugreifen. Unser Leben – ein Bobath-Satz – ist Reaktion auf äußere Reize. Diese Reize müssen fachgerecht vermittelt werden. Pathologisches ist zu hemmen, Gesundes zu bahnen.
Dieses Vorgehen verlangt ein spezielles Wissen und nicht zuletzt einen Stellenplan, der Aktivierend-therapeutische Pflege auch zulässt.
Dank der BIKA® mit eigenen Pflegekursen bilden sich die Pflegenden im Bobath-Konzept heute selbständig weiter. Dank der Deutschen Fachgesellschaft für Aktivierend-therapeutische Pflege (DGATP e. V.) ist die Pflege des geriatrischen Patienten heute zu einem spezialisierten selbständigen Arbeitsfeld geworden, das dem alten und behinderten Patienten hilft, wieder unabhängig zu werden.
Es ist Frau Friedhilde Bartels als Herausgeberin mit einem Team von anerkannten Autorinnen gelungen, die Inhalte der Aktivierend-therapeutischen Pflege der Geriatrie übersichtlich darzustellen, Fortbildungskonzepte aufzuzeigen, und auch die konkrete Anwendung zu beschreiben. Das spezielle Wissen, das in erstaunlich kurzer Zeit entstand, wird in den einzelnen Kapiteln dieses Buches umfassend dargestellt.
Sicher hilft dieses Buch, den Wert der Pflege im Bereich Krankenhaus, Pflegeheim und ambulanter Pflege zu verbreiten. Dies zum Wohl der alten und kranken Patienten, die möglichst selbständig leben möchten.
In diesem Sinne wünsche ich dem Buch eine große Verbreitung.
Prof. Dr. Hans Peter Meier-Baumgartner |
im November 2018 |
ADW |
Albertinen-Diakoniewerk e. V. |
AEDL |
Aktivitäten und existenzielle Erfahrungen des Lebens |
ATP-G |
Aktivierend-therapeutische Pflege in der Geriatrie |
ATL |
Aktivitäten des täglichen Lebens |
BFD |
Berufsfreiwilligendienst |
BVG |
Bundesverband Geriatrie e. V. |
DGATP |
Deutsche Fachgesellschaft Aktivierend-therapeutische Pflege e. V. |
FWB |
Fachweiterbildung |
FSJ |
Freiwilliges Soziales Jahr |
GFK |
Geriatrische frührehabilitative Komplexbehandlung |
GKP |
Gesundheits- und Krankenpflege |
GPA |
Gesundheits-und Pflegeassistenz |
ICF |
Internationale Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit |
IDT |
Interdisziplinäres Team |
KPH |
Krankenpflegehilfe |
MA |
Mitarbeiter/Mitarbeiterin |
MAV |
Mitarbeitervertretung |
MDK |
Medizinischer Dienst der Krankenkassen |
MGK |
Medizinisch-Geriatrische Klinik |
PDL |
Pflegedienstleitung |
TZ |
Teilzeit |
VZ |
Vollzeit |
ZNS |
Zentrales Nervensystem |
Mit zunehmendem Alter wird die Erhaltung der individuellen Gesundheit bestimmend für die Lebensqualität. Insgesamt stellt das Altern der Gesellschaft neue Herausforderungen, und dies nicht nur in Hinsicht der Finanzierung der Sozialversicherungssysteme, sondern auch hinsichtlich der Rahmenbedingungen für ein erfolgreiches und produktives Altern sowie der Betreuung und Pflege von Hochaltrigen.
2015 ging man davon aus, dass bis zum Jahr 2060 ca. 33 % der Bevölkerung in Deutschland älter als 65 Jahre sein werden. Die durchschnittliche Lebenserwartung wird dann für Frauen bei 88,8 und für Männer bei 84,8 Jahren liegen (vgl. Langejürgen 2015). Infolge des Flüchtlingszustroms könnte davon ausgegangen werden, dass dies eine große Auswirkung auf die Altersstruktur der Bevölkerung haben wird. Laut Pressemitteilung des Statistischen Bundesamts hat »[die] aktuelle hohe Zuwanderung […] nur sehr eingeschränkte Auswirkungen auf die langfristige Bevölkerungsentwicklung. Sie schlägt sich vor allem im kurzfristigen Anstieg der Bevölkerungszahl nieder. Die Alterung der Gesellschaft, wie oben beschrieben, verzögert sich lediglich« (Statistisches Bundesamt 2016).
Somit ist in den kommenden Jahrzehnten aufgrund der Zunahme der durchschnittlichen Lebenserwartung dennoch mit einer deutlichen Alterung der Bevölkerung zu rechnen.
Im Vergleich zu jüngeren Teilen der Bevölkerung ist der Ressourcenverbrauch im Gesundheitswesen bei alten und hochaltrigen Patienten sehr deutlich erhöht.
Dies wird die Gesellschaft zukünftig aus ökonomischer Sicht zum einen vor das Problem des fehlenden bzw. knappen pflegenden Personals stellen, zum anderen werden die Kosten zur Erhaltung und Wiederherstellung von Gesundheit stark ansteigen. Übertragen auf die Gesundheitskosten, die infolge sturzbedingter Verletzungen bei Personen über 65 Jahren auftreten, würde dies eine knappe halbe Milliarde Euro an Mehrkosten bedeuten.1 Ab dem 1.1.2019 gilt die Personaluntergrenzenverordnung (PpUGV) auch in der Geriatrie. Diese regelt die maximale Anzahl von Patienten pro Pflegekraft. Diese darf während der Tagesschicht 10 und während der Nachtschicht 20 Patienten pro Pflegekraft betragen.
Ein höheres Lebensalter ist mit physiologischen Veränderungen des alternden Organismus verbunden. So kommt es beispielsweise zu Veränderungen der Anteile von Muskelmasse, Körperfett und Wasser, zu Einschränkungen von Nieren- und Leberfunktion und zu Veränderungen der Abwehrleistung. Dies bedingt u. a. Auswirkungen auf Stoffwechselprozesse oder Arzneimittelwirkungen. Diese Prozesse bedeuten ein erhöhtes Risiko insbesondere des Hochaltrigen, Fähigkeitsstörungen mit dem weitergehenden Risiko einer sozialen Beeinträchtigung zu erleiden. Dies ist typisch für den geriatrischen Patienten. Große Herausforderungen werden dabei an die richtige Bestimmung und Zuordnung der Symptome gestellt (vgl. Frühwald 2007; von Renteln-Kruse 2009).
Durch altersbedingte Funktionseinschränkungen, begrenzte Kompensations- und Anpassungsfähigkeit und der damit einhergehenden erhöhten körperlichen, kognitiven und emotionalen Instabilität sind geriatrische Patienten bei Neuerkrankungen akut gefährdet, Komplikationen oder Folgeerkrankungen zu erleiden, ihre Alltagskompetenz zu verlieren und dauerhaft pflegebedürftig zu werden. Frailty wird dieses typisch geriatrische Syndrom bezeichnet, welches auf der Multimorbidität gekoppelt mit Hinfälligkeit, Pflegeabhängigkeit oder dem Verlust alltagsrelevanter Funktionen beruht (vgl. Steinhagen-Thiessen et al. 2003).
Der geriatrische Patient trägt demnach eine Vielzahl von Risikofaktoren in sich, da ein gleichzeitiges Nebeneinander von physiologischen Alterungsprozessen, behandelbaren Erkrankungen und schon vorhandenen körperlichen Behinderungen bestehen kann (vgl. Frühwald 2007). Um geriatrische Patienten adäquat »versorgen« zu können, ist ein spezifisches Behandlungskonzept umzusetzen, welches sich nach den individuellen Bedarfen dieser Patienten richtet (vgl. Meier-Baumgartner et al. 1998).
Die erforderliche medizinische Betreuung der geriatrischen Patienten orientiert sich stets an der individuellen Erkrankungs- und Lebenssituation. Somit ist das Ziel des geriatrischen Behandlungskonzeptes, die Patienten bei der Aufrechterhaltung oder Wiedererlangung der größtmöglichen Selbstständigkeit in einem weitgehend selbstbestimmten Alltag aktivierend-therapeutisch zu unterstützen. Die Geriatrie stellt eine Verzahnung von kurativen und rehabilitativen Maßnahmen dar (vgl. Lübke 2005).
Um das Behandlungskonzept in der Geriatrischen Versorgung erfolgreich umsetzen zu können, bedarf es einer ganzheitlichen Betreuung und Versorgung dieser Patienten innerhalb eines flächendeckenden und abgestuften Versorgungsangebots. Unabhängig davon, ob es sich um eine ambulante geriatrische, akut-geriatrische, frührehabilitative oder geriatrisch-rehabilitative Versorgung handelt, ist die prozessorientierte multiprofessionelle Zusammenarbeit verschiedener medizinischer Fachberufe in einem geriatrischen Team unter ärztlicher Leitung erforderlich. In diesem Team arbeiten u. a. speziell ausgebildete Ärzte, Pflegekräfte, (Neuro-)Psychologen, Ergotherapeuten, Physiotherapeuten, Logopäden, aber auch Sozialarbeiter und Seelsorger zusammen. Einen wesentlichen Bestandteil des multiprofessionellen geriatrischen Teams bilden die Pflegekräfte – überwiegend examinierte Gesundheits- und Krankenpfleger sowie Altenpfleger mit geriatriespezifischen Kenntnissen (Loos et al. 2001). Diese geriatriespezifischen Kenntnisse schließen die Aktivierend-therapeutische Pflege (ATP-G) als Grundsatz der geriatrischen Pflege ein.
Die Maßnahmen der Aktivierend-therapeutischen Pflege in der Geriatrie sind unabdingbarer Bestandteil und Grundlage des individuellen Behandlungs- und (Früh-)Rehabilitationskonzepts, da durch diese eine Vielzahl von Patienten erst in die Lage versetzt wird, weitergehende Therapieangebote erfahren und wahrnehmen zu können.
Frühere Ansätze in der Geriatrie befassten sich hauptsächlich mit der Kompensation, dem Ausgleich oder dem Ersatz von auftretenden Defiziten im Alter (vgl. Wedler 1999).
Die Versorgungsstrukturen in der Geriatrie entwickelten sich durch das in Kraft treten der Gesundheitsreform 1989, in der es hieß: »Rehabilitation vor Pflege« immer weiter. Dadurch sind in den Bundesländern verschiedene geriatrische Konzepte entstanden (vgl. Jamour 2008).
Die Aktivierend-therapeutische Pflege in der Geriatrie stellt nicht nur ein Konzept der Hilfe zur Selbsthilfe dar, sondern setzt sich gleichzeitig auch in Bereichen wie der Sekundärprävention fort. Der Patient erhält eine umfassende Beratung und Anleitung im Umgang mit Erkrankungen, Risikofaktoren sowie Hinweise zur Vermeidung von Komplikationen. Die Einbeziehung der Angehörigen ist in diesem Zusammenhang von großer Bedeutung. So können Angehörige bspw. die Möglichkeit erhalten, an aktivierend-therapeutischen Leistungen der Pflege teilzunehmen. Patientenschulungen spielen auch in den Bereichen der Pneumonie-, Thrombose- und Dekubitusprophylaxe eine wichtige Rolle (vgl. von dem Knesebeck et al. 2006; Nüchtern 2005).
In berufsgruppenübergreifenden Besprechungen werden die Effizienz der verschiedenen Therapiemaßnahmen abgesprochen, überprüft und gegebenenfalls modifiziert (vgl. Schulz et al. 2008).
Wie bereits in Band I: Aktivierend-therapeutische Pflege in der Geriatrie, beschrieben, hat eine Arbeitsgruppe, bestehend aus Pflegefachkräften und Ärzten des Bundesverbandes Geriatrie sich 2008–2010 innerhalb eines Projektes mit dem komplexen Thema »Aktivierend-therapeutische Pflege« intensiv auseinandergesetzt.
Der Bundesverband Geriatrie ist ein Verband von Klinikträgern, dem derzeit 360 Mitglieder angehören und der über 22.000 Betten/Rehabilitationsplätze verfügt. So sind unter anderem fast alle größeren Klinikverbünde und -konzerne mit ihren geriatrischen Einrichtungen Mitglieder des Bundesverbandes.
Die Ergebnisse dieser Arbeitsgruppe wurden in Band I als Begriffsdefinition und beschreibender Katalog der Bedarfsgruppen und der entsprechenden Maßnahmen vorgestellt. Bei der Erarbeitung sowohl der Begriffsdefinition als auch des Katalogs hat sich die Arbeitsgruppe ausschließlich mit Blick auf die dargestellten Besonderheiten der Patienten des Fachbereichs Geriatrie beschränkt.
Zum Einstieg in das Thema wird hier nochmals kurz auf die zugrundeliegende Beschreibung eingegangen.
Aktivierend therapeutische Pflege in der Geriatrie (ATP-G) bezieht sich auf Menschen mit
• Unterstützungs- und Pflegebedarf sowie
• (Früh-) Rehabilitationsbedarf.
Sie geht über die Grundpflege hinaus und ist mit der Behandlungspflege nicht zu vergleichen.
Unter Beachtung der vorhandenen Fähigkeiten und Fertigkeiten sowie aktueller gesundheitlicher Einschränkungen stehen insbesondere das (Wieder-) Erlangen und Erhalten von Alltagskompetenz im Mittelpunkt.
Ziel ist, die individuell optimal erreichbare Mobilität des Menschen, die Selbstständigkeit und Teilhabe in der Form, wie diese vor der aktuellen Verschlechterung bestanden haben, wieder zu erreichen.
Dies beinhaltet, den alten, multimorbiden Patienten mit multiplen Funktionseinschränkungen trotz und mit seiner aktuellen oder chronifizierten Einschränkung die Möglichkeiten seines Handelns selbst erfahren zu lassen und dahingehend zu motivieren, mit pflegerischer Unterstützung Aktivitäten wieder zu erlernen und einzuüben. Aktivierend-therapeutische Pflege greift auch die Arbeit der Therapeuten auf, setzt diese im interdisziplinären Behandlungskonzept fort und gibt Impulse zur Zieldefinition des Behandlungsteams.
Die Zielformulierung und Bestimmung der erforderlichen Interventionen im Rahmen der Aktivierend-therapeutischen Pflege werden gemeinsam mit dem Betroffenen, im interdisziplinären geriatrischen Team und gegebenenfalls mit den Angehörigen erarbeitet, umgesetzt und evaluiert. Die Aktivierend-therapeutische Pflege in der Geriatrie wird demnach geprägt von einem Beziehungsprozess mit zielgerichteten Maßnahmen und aktivierend-trainierenden Aktivitäten mit dem Betroffenen.
Nach Definition der Deutschen Gesellschaft für Geriatrie, der Deutschen Gesellschaft für Gerontologie und Geriatrie sowie des Bundesverbands Geriatrie ist für den geriatrischen Patienten kennzeichnend eine geriatrietypische Multimorbidität und höheres Lebensalter (überwiegend 70 Jahre oder älter). Die geriatrietypische Multimorbidität ist hierbei vorrangig vor dem kalendarischen Alter zu sehen; oder durch Alter 80+ auf Grund der alterstypisch erhöhten Vulnerabilität, z. B. wegen
• des Auftretens von Komplikationen und Folgeerkrankungen,
• der Gefahr der Chronifizierung sowie
• des erhöhten Risikos eines Verlustes der Autonomie mit Verschlechterung des Selbsthilfestatus.
Mit Blick auf diese Definition ergeben sich Besonderheiten hinsichtlich des Bedarfs, der Risiken und der Verbindlichkeiten bei der Aktivierend-therapeutische Pflege in der Geriatrie, beispielsweise die Beachtung eines erhöhten Sturz- und Dekubitusrisikos, die in der individuellen Pflege der Betroffenen ihren Niederschlag finden.
Die genannte Begriffsdefinition ( Kap. 1.4) bildet die Grundlage für einen beschreibenden Katalog der Aktivierend-therapeutischen Pflege in der Geriatrie
Die geriatrischen Patienten werden vier Bedarfsgruppen (vgl. Bartels/Eckardt/Wittrich 2019) zugeordnet, je nach Ausmaß der notwendigen zu leistenden Aktivierend-therapeutischen Pflege in der Geriatrie. Der Aktivierend-therapeutische Pflegebedarf der geriatrischen Patienten richtet sich dabei nach dem Schweregrad der Erkrankung und/oder den Ressourcen in den Bereichen der sensomotorisch und/oder der kognitiven/neuropsychologischen Störungen (z. B. Demenz).
Für die bekannten Begriffe der Pflegemodelle (z. B. ATL, AEDL) werden die Bezeichnung »Handlungs- und Pflegeschwerpunkte« verwendet. Für die abzubildende Aktivierend-therapeutische Pflege in der Geriatrie, als Rückgrat des Gesamtkonzeptes der Pflege in der Geriatrie, wurden drei Handlungs- und Pflegeschwerpunkte ausgewählt:
• Aspekte der Beziehungsarbeit
• Bewegung (Mobilität, Positionierung)
• Selbstversorgung (Körperpflege, Kleiden, Nahrungsaufnahme und Ausscheidung)
Dabei sind grundsätzlich die individuellen Bedürfnisse, Bewegungsmuster und Ressourcen (sensomotorische und/oder kognitiv/neuropsychologische Störungen, die sich auf Aktivitäts- und Partizipationsebene auswirken können, ICF) zu berücksichtigen.
Ein wesentlicher Bestandteil für die Handlungsabläufe ist die Motivationsförderung. Diese geht jeder Maßnahme voraus. Jede Durchführung ist immer ein fließendes Zusammenspiel von vorhandenen und grundsätzlich zu ermittelnden Ressourcen des Patienten und der darauf angepassten und abgestimmten Unterstützung der Pflegekraft. (So viel Hilfe wie nötig, so wenig wie möglich.)
In den Auflistungen der Handlungs- und Pflegeschwerpunkte sind die Besonderheiten der Selbstversorgung und der Bewegung beschrieben. Sie sind immer im Kontext der Bedarfe des einzelnen Patienten (vgl. Bedarfsgruppen) zu sehen. Zukünftig können Kliniken für den Fachbereich der Geriatrie anhand dieser Übersichten ihren eigenen an hausinterne Dokumentationsvorgaben angepassten Katalog der Aktivierend-therapeutischen Pflege in der Geriatrie erstellen und die in ihrem Haus angewendete Leistungserfassung umsetzen (vgl. dazu Bartels/Eckardt/Wittrich 2019).
Bartels, F.; Eckardt, C.; Wittrich, A. (2019): Aktivierend-therapeutische Pflege in der Geriatrie, Band 1: Grundlagen und Formulierungshilfen, 2. Auflg., Kohlhammer Verlag, Stuttgart
Frühwald, T. (2007): Krankheiten im Alter – einige Aspekte der Geriatrie, in: Gatterer, G. (Hrsg.): Multiprofessionelle Altenbetreuung. Ein praxisbezogenes Handbuch, 2., aktualisierte und erweiterte Auflg., Springer-Verlag, Wien
Hodek, J. M.; Ruhe, A.; Greiner, W. (2009): Gesundheitsbezogene Lebensqualität bei Multimorbidität im Alter, in: Bundesgesundheitsblatt, Band 52, Seite 1188-1201
Jamour, M. (2008): Medizin des Alterns und des alten Menschen, in: Schaps, K.-P.; Kessler, O.; Fetzner, U. (Hrsg.): Querschnittsbereiche, Heidelberg
Langejürgen, R. (2015): Leiter des Verbandes der Ersatzkassen e.V. (vdek), Landesvertretung Bayern: Netzwerke in der Geriatrie 2015 Sichtweise der Kostenträger, MDK Bayern Geriatrie-Symposium, Regensburg, 8.7.2015
Loos, S.; Plate, A.; Dapp, U.; Lüttje, et al. (2001): Geriatrische Versorgung in Deutschland – Ergebnisse einer empirischen Untersuchung, in: Zeitschrift für Gerontologie und Geriatrie, Band 34, Heft
Lübke, N. (2005): Erforderliche Kompetenzen der Geriatrie aus Sicht des Kompetenz-Centrums Geriatrie, in: Zeitschrift für Gerontologie und Geriatrie, Band 38, Heft 1
Meier-Baumgartner, H.P.; Hein, G.; Oster, P. et al. (1998): Empfehlungen für die Klinische-Geriatrische Behandlung. 2. überarbeitete Auflg., Jena
Nüchtern, E.; Mohrmann, M. (2005): Begutachtung von Vorsorge- und Rehabilitationsleistungen in der GKV, in: Das Gesundheitswesen, Heft 67, Seite 59–64
Schulz, R.-J.; Kurtal, H; Steinhagen-Thiessen, E. (2008): Rehabilitative Versorgung alter Menschen, in: Kuhlmey, A.; Schaeffer, D. (Hrsg.): Handbuch Gesundheit und Krankheit im Alter, Bern
Statistisches Bundesamt (2016): Pressemitteilung Nr. 021 vom 20.01.2016, 12.45 Uhr, https://www.destatis.de/DE/PresseService/Presse/Pressemitteilungen/2016/01/PD16_021_12421.html;jsessionid=22C7ADDC890AD7C0D3F87638EA921 B13.cae3
Statistisches Bundesamt (2003): Bevölkerungsentwicklung Deutschlands von 2002 bis 2050. Ergebnisse der 10. Koordinierten Bevölkerungsvorausberechnung, Presseexemplar, Wiesbaden
Steinhagen-Thiessen, E.; Hamel, G.; Lüttje, D. et al. (2003): Geriatrie – quo vadis? Zur Struktur geriatrischer Versorgung, in: Zeitschrift für Gerontologie und Geriatrie, Band 36, Heft 5
von dem Knesebeck, O.; Döhner, H.; Kaduszkiewicz, H. et al. (2006): Forschung zur Versorgung im höheren Lebensalter, in: Bundesgesundheitsblatt – Gesundheitsforschung – Gesundheitsschutz, Band 49, Seite 167–174
von Renteln-Kruse, W. (2009): Medizin des Alterns und des alten Menschen, 2. überarbeitete Auflg., Darmstadt
Wedler, H. (1999): Geriatrische Versorgung, ökonomischer Nutzen und die Euthanasiedebatte, in: Zeitschrift für Gerontologie und Geriatrie, Band 32, Heft 4
1 Ausgehend von einem Wachstum der Bevölkerungsgruppe der 65-Jährigen und Älteren um 44 % bis zum Jahr 2050.
Der Ansatz der Pflege in der Aktivierend-therapeutischen Pflege in der Geriatrie baut auf der Identifikation von Ressourcen auf, um sie während der Frührehabilitation oder des Rehabilitationsprozesses systematisch zu fördern. Sie werden gezielt zu Kompetenzen umgewandelt. Die Erlangung oder Wiedererlangung von Kompetenzen sind das Ergebnis eines Aushandlungs-/eines Motivationsprozesses zwischen geriatrischem Patient und Pflegenden, an dessen Ende die Erreichung des individuellen Rehabilitationsziels steht.
Etymologisch stammt der Begriff Ressource aus der französischen Sprache und bedeutet sich erholen, sich erheben, aufstehen. Seine Bedeutung kann auch vom lateinischen resurgere, im Sinne von wiedererstehen, sich wiederaufrichten, abgeleitet werden.
Übertragen auf geriatrische Patienten sind unter Ressourcen das Repertoire von Fähigkeiten und Fertigkeiten, im Sinne von Kompetenzen sowie ihre individuellen Stärken, zu verstehen. Unter Kompetenzen werden dabei auch der Umgang mit der Bewältigung neuer Aufgaben, das Erreichen individueller Ziele, der Umgang mit Verlusten und die Bewältigung von Neuem und das Wiedererlangen von Lebensaufgaben verstanden.
Eine Systematisierung der unterschiedlichen Ressourcenarten ist notwendig. Dabei bildet eine Kategorie von Ressourcen ihre Lokalisation ab und eine zweite die Zusammenhänge ihrer Wechselwirkungen miteinander.
Es kann zwischen internen und externen Ressourcen unterschieden werden. Während die internen Ressourcen personenbezogene Merkmale beschreiben, z. B. Alter, Geschlecht, Persönlichkeit, Gesundheit, Kognition, Motivation, Bewältigungsstrategien, bezeichnen externe Ressourcen äußere Bedingungen, wie unter anderem Einkommen, Wohnbedingungen oder zur Verfügung stehende Hilfsmittel.
Die wechselseitigen Zusammenhänge zwischen internen und externen Ressourcen werden beim geriatrischen Patienten besonders im Bereich der sozialen Beziehungen deutlich. Die Gestaltung sozialer Netzwerke hängt in großem Maße von den persönlichen Eigenschaften des Patienten ab, z. B. von seiner Kontaktfreudigkeit, seiner Beziehungsfähigkeit. Zugleich bedarf es aber auch eines Lebensumfeldes als externe Ressource, welches soziale Kontakte leicht ermöglicht und fördert ( Abb. 2.1).
Abb. 2.1: Interne und externe Ressourcen
Unter sozialen Ressourcen wird z. B. die familiäre oder gesellschaftliche Rolle verstanden. Sie hängt eng zusammen mit soziodemographischen Daten wie Familienstand, Alter und Geschlecht. Die personalen Ressourcen beschreiben z. B. Gesundheitszustand, Intelligenz. Persönliche Wertevorstellungen und Normen, wie z. B. konfessionelle Bindung, ermöglichen das Verständnis von persönlicher Sinngebung. Individuelle Kompetenzen zielen auf die aktuellen Fähigkeiten und Fertigkeiten z. B. im Rahmen der Alltagsgestaltung ab. Individuelle Bewältigungsstrategien sind bewährte Herangehensweisen an Probleme wie z. B. der Umgang mit Stresssituationen, die sich im Laufe des Lebens des geriatrischen Patienten bewährt haben.
Im Bereich der externen Ressourcen existieren materielle Ressourcen in Form von Einkommen aber auch Hilfsmitteln. Unter Sozialbeziehungen sind quantitative und qualitative soziale, insbesondere familiäre Kontakte, zu verstehen. Einstellungen und Erwartungen des persönlichen Umfeldes untermauern die persönliche Zielsetzung, z. B. familiäre Verpflichtung für ältere Menschen als Großeltern. Die Gestaltung des unmittelbaren Lebensumfeldes wie z. B. Wohnausstattung oder Lage der Wohnung runden die Liste der externen Ressourcen ab.
Im täglichen Umgang mit geriatrischen Patienten ist die Kenntnis der sog. individuellen Ressourcen unerlässlich. Ihre systematische Einschätzung bei geriatrischen Patienten erfasst die vorhandenen Fähigkeiten und Fertigkeiten. Sie wiederum bilden das Fundament für die Erhaltung oder die Wiedererlangung von persönlicher Selbstwirksamkeit ( Kap 2.1.4 Selbstwirksamkeit) als übergeordnetes Ziel einer geriatrischen (Früh-)Rehabilitation.
Auch hier können eine Vielzahl unterschiedlicher Ressourcen für eine bessere Übersicht systematisiert werden.
Das folgende Schaubild ( Abb. 2.2) beschreibt eine Übersicht über individuelle Ressourcen.
Abb. 2.2: Übersicht über individuelle Ressourcen