Klaus Oehmann, Patrick Blumschein

Schluss mit der Donutpädagogik

Lebensnahe Lernaufgaben leicht gemacht

ISBN Print: 978-3-0355-1566-4

ISBN E-Book: 978-3-0355-1567-1

1. Auflage 2019

Alle Rechte vorbehalten

© 2019 hep verlag ag, Bern

www.hep-verlag.com

Inhaltsverzeichnis

Vorwort, Andreas Müller gewidmet

Die Autoren

1Einleitung: Veränderte Anforderungen, neue Aufgabenstellungen

2Bedeutung und Verständnis von Lernaufgaben

2.1Eine neue Aufgabenkultur entwickeln

2.2Eine Lernaufgabe ist keine Prüfungsaufgabe

2.3Alles Lernen ist Problemlösen − Ansätze aus der Forschung

3Der Aufgabendidaktische Kompass

3.1Problem

Was ist überhaupt ein Problem

Wie und wo finde ich unterrichtsrelevante Probleme?

Wie übertrage ich Probleme in eine Lernaufgabe?

3.2Situation

Problem und Situation gehören ohne Wenn und Aber zusammen

Nicht nur für die Prüfungen lernen, sondern für das Leben

Wie viel Wissen wird außerhalb der Schule erworben?

Die Situation verknüpft das Problem mit der Lernaufgabe

Situatives Wissen als Schlüssel für Problemlösen in Situationen

Es ist noch kein Meister vom Himmel gefallen

3.3Kompetenzen

Vom Input zum Output − Kompetenzmodelle zum Lernen

Wie komplex ist die Handlungskompetenz?

Wie baue ich die Kompetenz in die Lernaufgabe ein?

Wie nützlich sind Kompetenzmodelle für die Planung?

Wie viel Kompetenz steckt in der Bildung − oder umgekehrt

Die Kompetenz erscheint in der (gemeinsamen) Handlung

Wie es mir passt − die Selbstorganisationskompetenz fördern

Wie Aufgabentypen die Kompetenzentwicklung fördern

Reif für die Insel oder motiviert für das Lernen?

3.4Handlung

Keine Praxis ohne Theorie − keine Theorie ohne Praxis

Der Planungsablauf für handlungsbasierten Unterricht

Das AVIVA-Modell zur Unterrichtsplanung

Das Konzept der vollständigen Handlung

Der Planungszyklus PDCA

Je komplexer ein Problem, desto wichtiger der Anfang

Selbststeuerung und Selbsttätigkeit wird im Handlungsraum erlernt

3.5Lernende

Das wichtigste Ziel? Selbstwirksamkeit erleben!

Der erste Streich: Ein optimales Anforderungsniveau schaffen

Der zweite Streich: Autonomie und Selbstbestimmung ermöglichen

Der dritte Streich: Soziale Eingebundenheit und Kooperation arrangieren

Freitag ist nicht Frei-Tag, sondern Demokratietag

Gamification steigert die Attraktivität der Schule

Fazit:Lebensnahe Lernaufgaben sind der Dreh- und Angelpunkt des guten Unterrichts

Anhang

Literaturverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Vorwort, Andreas Müller gewidmet

Liebe Leserinnen und Leser,

versetzen Sie sich in die Situation einer typischen Unterrichtsstunde. Beobachten Sie die Schüler*innen. Überlegen Sie, wie viel Zeit diese pro Unterrichtsstunde tatsächlich aufs Lernen verwenden. Was macht er oder sie sonst noch so in der Stunde? Quatschen, spielen, träumen? Auf der anderen Seite, wenn Sie sich die Lernzeit anschauen, was tun die Schüler*innen eigentlich, wenn sie lernen? Einen Lückentext ausfüllen, etwas zusammenrechnen, nachfragen, zuhören? Bei unseren eigenen Betrachtungen haben wir festgestellt, dass die Schüler*innen ca. 50 Prozent der Zeit im Unterricht für das Lernen verwenden − maximal! Oftmals ist das, was wir in so einer Unterrichtsstunde beobachten, wenig ansprechend und wir kommen nicht umhin, festzustellen, dass sich die leistungsstarken Lerner schnell langweilen und die schwächeren gar nicht erst ins Lernen kommen. Dieser Zustand ist für alle recht unbefriedigend. Doch was können wir dagegen tun? Wie bewirken wir, dass die Schüler arbeiten und die Lehrer*innen weniger Stress haben? Das vorliegende Buch will hier anknüpfen und Sie dabei unterstützen, Lernaufgaben zu konstruieren, die für alle herausfordernd und erfolgreich bearbeitbar sind.

Andreas Müller vom Institut Beatenberg hat uns gezeigt, wie Lernaufgaben funktionieren und wie wir dafür die Lernenden ins Zentrum rücken müssen. Es ist nicht die erste Frage, wie toll ein Schulbuch ist und was der Lehrplan sagt, sondern vielmehr, wie sich der oder die Lernende für eine Aufgabe begeistern kann, wie er oder sie sich erfolgreich dabei erlebt, wie sie Lust haben, in die Tiefe zu gehen, und wie stolz sie sein können, wenn sie vor den anderen ihre Lösung präsentieren können. Das Lernen muss alle erreichen und es muss fordernd und fördernd sein.

Schule kann auch anders sein!

Wir widmen dieses Buch unserem Freund, dem inspirierenden Denker und Schulreformer Andreas Müller, der uns viel zu früh verlassen hat.

Die Autoren

Klaus Oehmann

Klaus Oehmann ist Fachleiter am Europa-Studienseminar für berufliche Schulen in Gießen. Sein Arbeitsschwerpunkt ist die Schul- und Unterrichtsentwicklung auf Basis der Reformpädagogik; Lernaufgaben sind der Schlüssel dazu. Er arbeitet als Lehrbeauftragter für Wirtschaftsdidaktik an der Goethe-Universität Frankfurt am Main und als Lehrkraft an der Max-Weber-Schule Gießen und ist dort verantwortlich für die Juniorenfirma Sinn & Zweck.

Patrick Blumschein

Patrick Blumschein ist Erziehungswissenschaftler an der Pädagogischen Hochschule Freiburg. Von zentraler Bedeutung in seiner Arbeit war und ist immer die Frage, wie Lernumgebungen menschliches Lernen herausfordern und unterstützen können. Seit 2015 leitet er das Zentrum für Lehrkräftefortbildung der pädagogischen Hochschule Freiburg und ist als Dozent in den BA/MA-Studiengängen tätig.

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Einleitung: Veränderte Anforderungen, neue Aufgabenstellungen

«Aufgaben verleihen Flügel.»

In den letzten Jahren hat sich in der Entwicklung von Schule und insbesondere von Unterricht sehr viel getan. Manche reden von einer Reformwelle, andere erkennen bereits Dagewesenes wieder. Angestoßen wurden die Veränderungen durch Ergebnisse aus nationalen und internationalen Vergleichen von Schülerleistungen (z. B. PISA, TIMSS, IGLU, PIRLS, VERA) sowie durch wissenschaftliche Forschungsergebnisse aus der Lehr-Lern-Forschung. Hinzu kamen gesellschaftliche Herausforderungen wie z. B. die Digitalisierung, Inklusion und Migration. Die Schulverwaltungen reagierten darauf mit neuen Lehr- und Bildungsplänen, und auf der Ebene der Lehrkräfteausbildung kamen neue Ausbildungsthemen hinzu. Ergänzend wurden auch in den Schulen den Lehrkräften vermehrt Fortbildungsangebote unterbreitet, wie z. B. das der Kompetenzorientierung.

Diesen aktuellen und zukünftigen Herausforderungen können wir in der Schule und Hochschule nur begegnen, wenn die Lehrkräfte grundlegend kompetenzorientiert professionalisiert werden und sich eine fundamentale Änderung in der Lehreraus- und weiterbildung vollzieht. Damit sich in der Schule die Grundlagen für lebenslanges Lernen und nachhaltiges Leben entfalten können, braucht es dafür die besten und kompetentesten Lehrkräfte, also Fachleute für Lehren und Lernen.

Auf die Lehrkraft kommt es an, so lautet eine Erkenntnis aus der Hattie-Studie. Dem können wir zustimmen, jedoch ist das nur die eine Seite der Medaille. Im Unterricht kommt es neben der Lehrkraft eben auch ganz entscheidend auf die Aufgabenstellung an, mit der die Lernenden konfrontiert werden und über die ein Lernprozess in Gang gesetzt wird. Schließlich ist es erst die Aufgabe, die dem Unterricht die zentralen Impulse verleiht. Stellen wir uns ein Flugzeug ohne Flügel vor: Es wird niemals abheben können. Und so verhält es sich auch mit einer Lehrkraft ohne Lernaufgaben. Sie bleibt vielleicht eine sympathische Lehrkraft, kann aber kaum Lerneffekte bewirken. In diesem Sinne ist es angezeigt, den Lehrkräften ein taugliches Werkzeug an die Hand zu geben, das sie in der Praxis beim Erstellen von Lernaufgaben unterstützt. Dieses Werkzeug haben wir entwickelt und ihm den Namen «Aufgabendidaktischer Kompass» gegeben.

Das Buch richtet sich daher an alle Interessierten, die mehr darüber erfahren möchten, wie mit Hilfe des Aufgabendidaktischen Kompasses eine neue Aufgabenkultur in den Schulen etabliert werden kann. Die praktische Erprobung erfolgte am Europa-Studienseminar für berufliche Schulen in Gießen in der Fachrichtung «Wirtschaft und Verwaltung». Aufgrund der positiven Rückmeldungen der Lehrkräfte im Vorbereitungsdienst zum Konzept und Instrument des Aufgabendidaktischen Kompasses kamen wir dem Wunsch nach, einen praxistauglichen Leitfaden darüber zu schreiben.

Im anschließenden Kapitel 3, «Definition und Bedeutung von Lernaufgaben», klären wir den Begriff «Lernaufgabe». In Kapitel 4 stellen wir Ihnen den Aufgabendidaktischen Kompass und dessen Anwendung vor. Zudem zeigen wir mit dem Aufgabendidaktischen Kompass, welche Bestandteile eine Lernaufgabe enthalten muss, damit diese überhaupt als Lernaufgabe bezeichnet werden kann. Angelehnt an K. Popper ist es nicht unser Anspruch, Wahrheiten über Lernaufgaben zu verkünden, sondern Irrtümer darüber zu vermeiden. Abschließend ziehen wir ein Fazit. Wir haben den Text durch drei zusätzliche Info-Elemente aufgelockert. In der Textbox «Erfahrungswert» berichten wir von konkreten Erfahrungen, die Ihnen das Verständnis erleichtern. In der Textbox «Praxistipp» geben wir konkrete Hilfen für Unterrichtsarbeit, die Sie gleich umsetzen können, und in der Textbox «Hintergrund» können Sie Ihren Wissensdurst stillen.

«Es gibt Berge, über die man hinübermuss.»

2

Bedeutung und Verständnis von Lernaufgaben

Schüler: «Warum machen wir das?»

Lehrer: «Für die Prüfung.»

Die Gestaltung von Unterricht und Aufgaben sind zweifelsfrei die zentralen Schwerpunkte der beruflichen Tätigkeit von Lehrkräften. In der Auseinandersetzung mit beiden Arbeitsbereichen überwiegt jedoch der Unterricht. Das zeigt sich nicht nur in der Anzahl der Veröffentlichungen zu didaktischen Modellen und Methoden des Unterrichts, sondern es muss dabei ernüchternd konstatiert werden, dass Aufgaben in didaktischen Modellen leider zu wenig bis keine Beachtung geschenkt wird (vgl. Blömeke; Müller 2008, 241).

Das trifft auch lehramtsübergreifend auf die Studien- und Ausbildungsinhalte von Lehrkräften zu. Fortbildungsangebote über den unterrichtlichen Einsatz von Methoden finden sich in Fülle, solche zur Aufgabendidaktik jedoch eher selten. Deshalb ist es nicht verwunderlich, dass in der Unterrichtspraxis eher Aufgaben dominieren, die den Unterricht methodisch ergänzen − und dies im Sinne von «den Stoff abarbeiten».

«Lernende sind keine Aktenordner.»

Abbildung 1: Warum wir die Schule schwänzen (Quelle: APA/BMUK)

Schule und Unterricht sollten Lernende nicht entmutigen, sondern bestärken und ihnen eine echte Freude bereiten, sodass Schüler*innen wieder «Bock aufs Lernen» und Unterricht haben. Über eine veränderte Aufgabenkultur können Lehrkräfte ganz gezielt Einfluss darauf nehmen, und hierbei kommt Lernaufgaben eine entscheidende Bedeutung zu, dass z. B. das Schulschwänzen seinen Reiz verliert.

2.1 Eine neue Aufgabenkultur entwickeln

Ergebnisse einer U. S.-amerikanischen Befragung durch die National Association of Independent Schools besagen, dass 79 Prozent der befragten Lernenden das eingesetzte Unterrichtsmaterial für uninteressant halten. 39 Prozent geben an, dass die Aufgabenstellungen keinerlei Relevanz für sie besitze.[1] Zu ähnlichen Ergebnissen würden wir sicherlich auch in Deutschland, Österreich und der Schweiz kommen. Um gerade dies zu verändern, haben wir den Aufgabendidaktischen Kompass entwickelt, ein Instrument, das Lehrkräfte bei der Etablierung einer neuen Aufgabenkultur unterstützt.

Es steht außer Frage, dass eine gute Lernaufgabe viele Funktionen übernehmen muss, die früher von der Lehrkraft getragen wurden. Sie muss u. a. Informationen bereitstellen, die Problemstellung verständlich machen, anregend und interessant sein, verschiedene Lösungswege bereitstellen und Rückmeldung geben. Daher kann eine neue Aufgabenkultur nur erfolgreich sein, wenn sie gut geplant an den Start geht. Mit am Start sollte auch der Aufgabendidaktische Kompass sein, denn er hilft, die Unterrichtsplanungen und den Einsatz von Lernaufgaben zu professionalisieren.

In der Schulzeit einschließlich der Hochschulzeit erledigen Schüler*innen bzw. Studierende unzählige Abarbeitungsaufgaben, und als spätere Lehrkräfte praktizieren sie demzufolge genau das Gleiche. Das wird als transgenerative Weitergabe bezeichnet, in der das Altbekannte unreflektiert weitergeführt wird: Zum einen geben diese alten Muster erst einmal Sicherheit und zum anderen verfügen viele Lehrkräfte nicht über die entsprechenden aufgabendidaktischen Kompetenzen. Ein Kreislauf mit dem Ergebnis, dass in Schulen das Lehren dominiert und nicht das Lernen. Schüler*innen nehmen am Unterricht jedoch dann mit Interesse teil, wenn sie lernen können und nicht durchgängig belehrt werden. Eine Unterrichtskultur, in der die Belehrung und das Abarbeiten von Aufgaben ohne echte Problemstellung überwiegt, wird den Lernenden und den gesellschaftlichen, privaten sowie betrieblichen Anforderungen nicht gerecht. Demzufolge braucht es in Schule und Unterricht einen Wechsel:

weg von einer, wie wir es nennen, Donutpädagogik, in der der Kern, eine zeitgemäße Aufgabendidaktik, immer hohler wird, und das Drumherum, wie Methodenzauber, didaktiklose Apps, häufige Gesamtlehrerkonferenzen über Budgets statt über Pädagogik und Didaktik, immer aufgeblähter,

hin zu einer Pädagogik, in deren Fokus die Lernprozesse der Schüler*innen und damit adäquate Lernaufgaben stehen. Diese bilden das Herzstück bzw. den Motor einer neuen Unterrichts- und Aufgabenkultur und machen Unterricht zu dem, was er sein sollte, und dies sind Sternstunden des Lernens in der Gemeinschaft.

Der Aufgabendidaktische Kompass wurde aus der Unterrichtspraxis entwickelt und eignet sich optimal als Werkzeug beim Erstellen von solchen Lernaufgaben. Er unterstützt diese veränderte Unterrichts- und Aufgabenkultur.

Lernaufgaben können sehr vielseitig konstruiert und durchlaufen werden. Sie sollten aber stets selbstgesteuertes Lernen der Schüler*innen fördern. Deswegen muss der Problemcharakter in jeder Lernaufgabe auffindbar sein, jedoch nicht immer in seiner vollen Komplexität, was wiederum vom Entwicklungsstand und Kompetenzniveau der Lernenden abhängt. Es wird deutlich, dass eine Lernaufgabe kein Puzzleteil des Unterrichts darstellt, sondern selbst den Rahmen bildet, in dem Lernen überhaupt erst stattfinden kann. Damit wird die Vorstellung überwunden, dass Lernaufgaben kleinschrittige Arbeitsabfolgen im Unterricht sind. Das Motto lautet: Think big, not small!

Es ist nicht unser Anspruch, alle Kriterien für die Qualität von Lernaufgaben allumfassend zu erheben, sondern wir konzentrieren uns mit dem Aufgabendidaktischen Kompass auf die fünf wesentlichen Merkmale, die eine qualitativ hochwertige Lernaufgabe kennzeichnen:

ein Problem, das neugierig macht,

eine Situation aus dem Leben,

eine Handlung, die einen mehrschrittigen Ablauf beinhaltet,

Kompetenzen, die mehrdimensional sind,

Lernende, die berücksichtigt werden und sich aktiv beteiligen können.

2.2 Eine Lernaufgabe ist keine Prüfungsaufgabe

Unter dem Begriff «Lernaufgabe» wird vieles subsumiert. Mittlerweile sind Lernaufgaben fast alles, bloß nicht das, was sie sein sollten − nämlich: qualitativ hochwertige Aufgaben, die Lernprozesse im Unterricht anstoßen und ermöglichen. Eine einheitliche Definition der Lernaufgabe existiert bis dato noch nicht, jedoch finden sich etliche Überschneidungen. Eine Gemeinsamkeit besteht in der Literatur allerdings darin, sie von Kontroll- bzw. Leistungsaufgaben abzugrenzen. Diese werden nach Abschluss einer Lernaufgabe und somit eines Lernprozesses durchgeführt und dienen der Leistungsermittlung und -bewertung. In unserem Verständnis sind Lernaufgaben grundsätzlich bewertungsfrei und unterscheiden sich damit von Prüfungsaufgaben. Nichtsdestotrotz sollten die Prüfungsanforderungen in Lernaufgaben ihre Berücksichtigung finden.

Lernaufgaben werden traditionell definiert als «Aufforderung an Lernende, eine bestimmte Handlung auszuführen, eine Frage zu beantworten, ein Problem zu lösen, eine Anweisung umzusetzen, einen Auftrag zu realisieren, aber auch eine Entscheidung zu fällen und selbst Fragen zu stellen, die helfen, ein Problemfeld zu erhellen» (Pahl 1998, 13, in Bloemen et al. 2011, 21).

Neulich in der S-Bahn: Zwei Lehrkräfte unterhalten sich über die Funktion von Lernaufgaben und kommen zu dem Ergebnis, dass diese hier und da zur Veranschaulichung und Übung dienen, wenn Lehrstoff durchgenommen wurde.
Kontrolleur: «Das ist zu wenig, bitte nachlösen, ähm nachlesen.»

Diese Aussagen der beiden Lehrkräfte führen in die Lernzieldiskussion der 1960er-Jahre zurück. Die leitende Frage zu dieser Zeit war, durch welche exakte Handlung zeigt ein Lernender, dass er oder sie ein spezifisches Lernziel erreicht hat. Daran anknüpfend wurden Unterrichtsaufgaben entwickelt, die sehr eng an Prüfungsaufgaben herankamen, z. B. Multiple-Choice-Aufgaben und Lückentexte. In diesem Sinne werden Lernaufgaben als Instrumente verstanden, die zur Lernzielerreichung führen und sich sehr eng an den Vorgaben für das gewünschte Verhalten orientieren. Die Folge einer solchen Unterrichts- und Aufgabenpraxis ist das sogenannte «teaching to the test».

Bezogen auf die Aufgabenpraxis, die überwiegend heutzutage praktiziert wird, bedeutet dies, dass Unterricht und Lernaufgaben auf die Prüfung hin ausgerichtet sind. Das Ergebnis einer solchen Unterrichts- und Aufgabenpraxis ist für Lernende frustrierend und demotivierend. Mit dem Bildungs- und Erziehungsauftrag hat dies beileibe nichts zu tun, und der angesammelte Haufen Wissen ist größtenteils nutzlos, da es kaum Bezüge zur Praxis gibt und auch keine Anwendung stattfindet, was wir als isoliertes Wissen bezeichnen.

Dies veranschaulicht folgender Post einer Schülerin im Internet, die ihren Unmut über das für sie nutzlos angehäufte Schulwissen kundtut.

«Ich bin fast 18 und hab keine Ahnung von Steuern, Miete oder Versicherungen. Aber ich kann ‘ne Gedichtanalyse schreiben. In 4 Sprachen.»
User @nainablabla auf Twitter

Die von B. Bloom vorgelegte Taxonomie kognitiver Lernziele berücksichtigt nicht ausschließlich das Wissen rund um das Auswendiglernen und Erinnern, sondern auch das Verstehen, Anwenden oder gar Analysieren, Entwickeln und Bewerten. Somit bewegen wir uns also weg von rein mechanischen Prinzipien hin zu eher selbststeuernden Tätigkeiten und dem Lösen von Problemen durch die Lernenden selbst. Das Problemlösen ist dabei ein individueller Vorgang. Um diesen Problemlöseprozess besser zu verstehen und ihn sinnvoll unterstützen zu können, wird zunächst das typische Expertenhandeln analysiert und versucht, die dahinter liegenden kognitiven Prozesse abzubilden. Zudem ist es ebenso wichtig, die Wissensstruktur der Novizen bzw. Anfänger zu analysieren, denn erst aus dem Abgleich von Experten und Novizen lassen sich letztendlich Konsequenzen für die Entwicklung von sinnstiftenden und gehaltvollen Lernaufgaben ableiten. So gibt es für viele Probleme zumeist mehrere richtige Lösungswege, und oftmals sind diese mit unterschiedlichen Inhalten realisierbar. Ein Businessplan kann für jede Art von Geschäft erstellt werden, egal ob für den Verkauf von Fahrrädern, Computern oder Kaffee. Interessant sind natürlich inhaltsspezifische Besonderheiten, aber auch hier gilt es, Unterschiede zu erkennen und zu berücksichtigen. Außerdem ist wichtig, die individuellen Unterschiede der Lernenden zu berücksichtigen, zum Beispiel in Bezug auf ihr Vorwissen, Arbeitstempo oder ihre Motivation. Zudem ist es sinnvoll, dass bestimmte Arbeitsaufgaben eher allein oder in Kleingruppen bearbeitet werden. Diese Überlegungen zeigen, dass die Anforderungen an eine Lernaufgabe recht bald komplex werden.

2.3 Alles Lernen ist Problemlösen − Ansätze aus der Forschung

Seit den großen Schulleistungstests wurde erkannt, dass der problemlösende Zugang zu einer Aufgabe viel stärker beachtet werden muss. Zentrale Fragen sind:

Was muss der Lernende können?

Wie zeigt sich das in der Performanz bzw. im Outcome?

Wie muss eine Lernaufgabe gestaltet sein, damit der Lernende seine Kompetenzen entsprechend der gesetzten Ziele entwickeln oder verändern kann?

Wie können wir Lernaufgaben gestalten, die für Nutzer*innen mit unterschiedlichen Fähigkeiten sinnvoll bearbeitbar sind?

Wie können Lernende aus Fehlern lernen?

Wie lernen Schüler*innen eigentlich das Lernen, damit sie auch nach der Schule und Ausbildung eigenständig weiterlernen können?

Mit Hilfe des Aufgabendidaktischen Kompasses ist es möglich, komplexe Lernaufgaben zu konzipieren, die eine Antwort auf die oben aufgeworfenen Fragestellungen geben. Somit erleben Schüler*innen ihre Anwesenheit im Unterricht als sinnvoll und gewinnbringend. Infolge der Befassung mit den zu bearbeitenden Lernaufgaben können sie ihre Ressourcen entfalten und neue erschließen, was zu einer Stärkung ihres Selbstkonzepts führt. Der Lernaufgabe kommt somit eine Schlüsselfunktion für erfolgreichen Unterricht zu. Um diesen Schlüssel auch nutzen zu können, gilt es, zu erfassen und zu verstehen, was eine Lernaufgabe überhaupt ist und wie diese sich von den üblichen, eher traditionellen Aufgaben der Abarbeitung unterscheidet. Hilfreiche Hinweise finden sich dazu u. a. bei U. Maier et al. (2014), G. Gerdsmeier und C. Köller (2008), J. Leisen (2010) sowie C. Arnes (1992), auf die wir nachfolgend kurz eingehen.

Im ersten Schritt stellen wir mit dem Kategorisierungsraster von U. Maier et al. (2014) ein allgemeindidaktisches Konzept zur Aufgabenkonstruktion und -analyse vor. Darüber kann bestimmt werden, ob eine Lernaufgabe auch tatsächlich das bewirkt, was von ihr verlangt wird.

Tabelle 1: Kategorisierungsraster (Quelle: Maier et al. 2014, 48)

Die vorgeschlagenen Dimensionen lassen sich in einer Lernaufgabe in verschiedenen Ausführungen realisieren und zeigen deren vielfältige Gestaltungsmöglichkeiten auf. Dies kann mit einem Mischpult verglichen werden, bei dem die unterschiedlichen Einstellmöglichkeiten in der Folge zu unterschiedlichen Ergebnissen führen. Einen bedeutsamen Einfluss auf die Gestaltung von Lernaufgaben haben die Dimensionen Wissensart und kognitiver Prozess, wie Forschungsarbeiten hinreichend belegen (vgl. ebd. hier.). Diese wiederum korrelieren mit dem Umfang des in einer Lernaufgabe zu bearbeitenden Wissens, was U. Maier et al. als Wissenseinheiten bezeichnen und Einfluss auf die Komplexität einer Lernaufgabe hat.

Die Dimension Offenheit gibt an, wie viele Lösungswege zum Ziel führen und ob das Ziel eindeutig bestimmbar oder eher offen ist, also wie viele richtige Lösungen es geben kann. Mit der Dimension Lebensweltbezug wird ausgedrückt, wie realistisch das dargestellte Problem bzw. die Situation überhaupt ist. Ferner ist die Sprachkompetenz der Lernenden bei der Aufgabenstellung zu berücksichtigen. Eine sprachsensible Aufgabengestaltung zeigt sich in den sprachlichen Formulierungen und Ausführungen und eröffnet damit wieder die Möglichkeit, die Komplexität einer Aufgabe zu steuern. Die Dimension Repräsentationsform geht auf die Darstellung der in einer Aufgabe präsentierten Information ein, die symbolisch oder bildhaft gemacht werden. Damit ist auch gemeint, ob z. B. die Schüler*innen eine Grafik zum Text anfertigen, was wiederum einen Wechsel des Repräsentationsformates bedeutet und dadurch herausfordernder wird.

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