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Stefan Hauser, Nadine Nell-Tuor (Hrsg.)

Sprache und Partizipation im Schulfeld

Mündlichkeit, Band 6

ISBN Print: 978-3-0355-1233-5

ISBN E-Book: 978-3-0355-1236-6

1. Auflage 2019

Alle Rechte vorbehalten

© 2019 hep verlag ag, Bern

www.hep-verlag.com

Inhaltsverzeichnis

Sprache und Partizipation – eineiige Zwillinge oder zwei ungleiche Geschwister?

Stefan Hauser/Nadine Nell-Tuor

Zu den Beiträgen dieses Bandes

Literatur

«Das ist eben so, dass die Schüler kommen, die diskutieren können» – die Bedeutung sprachlicher Fähigkeiten für (schulische) Partizipationsmöglichkeiten

Anna Schnitzer/Rebecca Mörgen

1Einleitung

2Konzeptionelle Klärungen: Partizipation, Bildungsungleichheit und Sprache

3Methodische Verortung der Überlegungen: eine Studie zu Partizipation von Kindern und Jugendlichen in der Schweiz

4Bildung, Sprache und Partizipation: Differenzpraktiken in schulischen Partizipationsgremien

5Partizipation, Sprache und Bildungsungleichheit: Zusammenhänge und mögliche Bearbeitungsweisen

6Literatur

«Im normalen Leben funktioniert das auch nicht» – Rekonstruktionen des kollektiven Verständnisses von Schülerinnen- und Schülerpartizipation

Julia Häbig/Enikö Zala-Mezö/Daniela Müller-Kuhn/Nina-Cathrin Strauss

1Einleitung

2Partizipation – was kann darunter verstanden werden und wie lässt sie sich erforschen?

3Methodik

4Ergebnisse: äußere Strukturen einerseits, Merkmale der Schülerinnen und Schüler andererseits als Hindernisse für Partizipation

5Diskussion

6Literatur

«Du mueschs mit de Klass» – wie durch Anzeigen von Nicht-Verfügbarkeit die Partizipation im Klassenrat gesteuert wird

Nina Haldimann

1Einleitung

2Der Klassenrat als schulisches Partizipationsformat

3Daten und Methode

4Anzeigen von Nicht-Verfügbarkeit

5Fazit

6Literatur

«=was willst DU denn machen?» – partizipative Ordnungen in Lernentwicklungsgesprächen

Marina Bonanati

1Einleitung

2Partizipation in Lehrer-(Schüler)-Eltern-Gesprächen

3Methodisches zur Rekonstruktion partizipativer Ordnungen

4Empirische Rekonstruktionen: Wie partizipieren die Beteiligten im Lernentwicklungsgespräch an Entscheidungen?

5Resümee

6Literatur

Partizipation und Perspektivität – zum Beitrag von Lernenden an interaktiven Lernprozessen

Sören Ohlhus

1Die Perspektivität der Teilnahme an Lernprozessen

2Ein Lernprozess und sein Beteiligungsrahmen

3«Eigene Wege durch den Dschungel der funktionalistischen Rationalität»

4Entdeckung und Entwicklung einer taktischen Beteiligungsweise

5«Changing patterns of participation»

6Literatur

Sprache und Partizipation in kooperativen Lernsettings

Nadine Nell-Tuor

1Einleitung

2Partizipationsbegriffe

3Kooperative Lernformen

4Kooperieren heißt Interagieren – zur Bedeutung der (sprachlichen) Interaktion

5Fragestellung und methodische Verortung

6Einzelfallanalyse

7Ausblick und didaktische Implikationen

8Literatur

Partizipationsförderung in Mikroprozessen des Unterrichts

Katja Maischatz/Elke Hildebrandt/Serena Wälti/ Annemarie Ruess/Sabine Campana

1Einleitung: Das unentdeckte Land der Partizipation – ausgerechnet im Unterricht?

2Zwei Seiten einer Medaille: vom Recht auf Partizipation und von der Pflicht der Partizipationsförderung

3Partizipationsförderung im Unterricht

4Ausgewählte Ergebnisse

5Fazit

6Literatur

Schülerrückmeldungen zur Förderung der Partizipation in der Schule

Corinne Wyss/Meike Raaflaub/Nina Hüsler

1Einleitung

2Partizipation im schulischen Umfeld

3Hinweise und Empfehlungen zur Arbeit mit Schülerinnen- und Schülerfeedback

4Bisherige Erkenntnisse zu Schülerinnen- und Schülerfeedback

5Ein Überblick über die Ziele und Datenerhebungen im Projekt SelFreflex

6Darstellung der Ergebnisse

7Zusammenfassung und Diskussion der Ergebnisse

8Literatur

Sprache und Partizipation – eineiige Zwillinge oder zwei ungleiche Geschwister?

Stefan Hauser/Nadine Nell-Tuor

Im bildungspolitischen, erziehungswissenschaftlichen und didaktischen Diskurs der letzten Jahre hat der Partizipationsbegriff eine wichtige Rolle gespielt. Zum einen hat sich Partizipation in einem normativen Sinn, das heißt als Postulat nach mehr schulischer Mitsprache, viel Gehör verschafft (Kiper 1997, Shier 2001, Eikel 2006), was zu einer zunehmenden Akzeptanz und Verbreitung schulischer Partizipationsformate (wie Klassenrat oder Schülerparlament) beigetragen hat.1 Zum anderen hat sich Partizipation in der Unterrichtsforschung auch in einem deskriptiven Sinn als Analysekategorie etabliert, was zu einem besseren Verständnis dessen geführt hat, was mit Breidenstein (2006) als «Schülerjob» bezeichnet werden kann (vgl. dazu auch Brandt 2004, 2015). Unterschiedlich deutlich machen sich dabei die Vorstellungen über den Zusammenhang von Sprache und Partizipation bemerkbar. Während für einzelne Themenkomplexe wie z. B. die Bildungssprache (Feilke 2012; Morek/Heller 2012; Gogolin/Duarte 2016) das Verhältnis von Sprache (bzw. Sprachgebrauch) und Partizipation im Fokus des Interesses steht, bleibt dieser Zusammenhang in anderen Bereichen des Partizipationsdiskurses eher im Hintergrund.

Anspruch dieses Sammelbandes ist es, die Diskussion um den Zusammenhang von Sprache und Partizipation im Schulfeld aufzugreifen und weiterzuführen. Mit der für den Untertitel dieses einleitenden Beitrags gewählten Metaphorik aus dem Bereich der Verwandtschaftsbezeichnungen wird die Frage gestellt, wie eng die Beziehung zwischen Sprache und Partizipation zu verstehen ist. Nun ist die Wahl von Metaphern – wie man nicht erst seit der Konjunktur kognitiver Metapherntheorien (vgl. dazu Lakoff/Johnson 1980) weiß – folgenreich. So ließen sich mit der gewählten Verwandtschaftsmetapher bestimmte (z. B. biologistische) Lesarten verbinden, die hier aber nicht mitgemeint sind (etwa über Abstammung und Vererbung usw.). Vielmehr soll die Rede von ungleichen Geschwistern und eineiigen Zwillingen die Frage zur Disposition stellen, wie das Verhältnis zwischen Sprache und Partizipation zu konzeptualisieren ist. Dabei soll es nicht darum gehen, eine richtige Antwort auf die – eher plakative – Alternativfrage zu finden. Zielführender erscheint es, sich damit zu beschäftigen, welche theoretischen Implikationen und welche praktischen Konsequenzen es hat, wenn man den Überlegungen und Beobachtungen einen engen oder einen losen Zusammenhang zugrunde legt. Bock und Dreesen (2018) halten mit Bezug auf ein gesamtgesellschaftliches Verständnis von Partizipation fest, dass von einem engen Zusammenhang von Sprachgebrauch und Partizipation auszugehen ist: «Partizipation ist soziales, kommunikatives Handeln. Ein großer Teil dieses Handelns setzt Sprachfähigkeit und Sprachkompetenzen nicht nur voraus, er funktioniert v. a. mittels Sprachgebrauch» (Bock/Dreesen 2018, 7). Auch für die verschiedenen Dimensionen schulischer Partizipation stellt sich die Frage, wie Sprachgebrauch und Partizipation aufeinander bezogen sind und was aus diesem Verhältnis aus didaktischer Perspektive folgt. Denn wenn es zutrifft, dass das Mitwirken im Schulfeld eher «eine ‹Belohnung› für bereits vorhandene soziale und kommunikative Kompetenzen darstellt und weniger dem Erwerb solcher Fähigkeiten dienen soll», dann erstaunt es wenig, wenn vor allem jene Kinder im Vorteil sind, «die auch zu Hause die Chance haben, explizit mitzuwirken und über ihr Mitwirken zu verhandeln» (Rieker et al. 2015, 6). Um die hier zur Diskussion gestellte – nicht nur theoretisch bedeutsame, sondern auch didaktisch folgenreiche – Frage nach dem Zusammenhang von Sprachgebrauch und Partizipation zu vertiefen, gilt es zunächst auf unterschiedliche Partizipationsvorstellungen aufmerksam zu machen.

In der Literatur, die sich mit Fragen der Partizipation im Schulfeld befasst, kann – abgesehen von den bereits erwähnten normativen und deskriptiven Verwendungsweisen – auch zwischen einem spezifischen und einem holistischen Konzept von Partizipation unterschieden werden. Im Rahmen eines spezifischen Verständnisses lässt sich Partizipation als «das Ausmaß von Einflussmöglichkeiten auf Entscheidungsprozesse mittels Interaktionsprozessen zwischen Vorgesetzten und Untergebenen, Lehrpersonen und ihren Schülerinnen und Schülern, Kindern und Eltern» bestimmen (Reichenbach 2006, 55). Einem ähnlich engen Verständnis ist Moser (2010) verpflichtet, die Partizipation als «die bewusste Mitwirkung an Entscheidungen, die das eigene Leben und das der Gemeinschaft betreffen» definiert (Moser 2010, 71). In beiden Begriffsbestimmungen wird der Fokus auf die Teilhabe an Entscheidungsprozessen gelegt, was für das spezifische Partizipationsverständnis charakteristisch ist (vgl. auch Lötscher/Sperisen 2016); außerdem wird explizit die Bedeutung von Interaktionsprozessen hervorgehoben.2 Während Moser (2010) die Bewusstheit der Beteiligung an Entscheidungsprozessen besonders hervorhebt, wird in anderen Begriffsbestimmungen die Bedeutung der Freiwilligkeit betont (vgl. Bock/Dreesen 2018, 5), was in Mosers Definition wohl in der Bewusstheit mitenthalten ist. Gerade auch mit Blick auf den Zusammenhang von Sprachgebrauch und Partizipation scheint es zielführend zu sein, zwischen Bewusstheit und Freiwilligkeit zu unterscheiden, und zwar insofern als eine erzwungene Partizipation (etwa die verpflichtende Teilnahme am Klassenrat) zwar bewusst, aber nicht freiwillig geschieht. Für das Partizipationsverhalten wie auch für die oft zitierte Erfahrung von Selbstwirksamkeit erweist sich dieser Unterschied als äußerst folgenreich (Rieker et al. 2016; Hauser/Haldimann 2018).

Partizipation im Rahmen eines holistischen Konzepts wird demgegenüber als «Teilhabe und Teilnahme an der Gestaltung des Schulalltags» (de Boer 2006, 13) verstanden. In Arbeiten, denen ein holistischer Partizipationsbegriff zugrunde liegt, verweisen synonym verwendete Begriffe wie Mitsprache, Mitbestimmung, Mitwirkung, Teilhabe, Teilnahme, Beteiligung, Mitgestaltung, Mitentscheidung oder Einbeziehung darauf, dass es eine große Bandbreite sozialer Handlungen gibt, unter die der Partizipationsbegriff subsumiert werden kann. Auch Brandt (2015) geht von einem weiten Partizipationsverständnis aus, wenn sie hervorhebt, dass das «Geschehen im Klassenraum […] jedem Einzelnen ein umfangreiches Repertoire zum Teilsein und zur Teilnahme mit sehr unterschiedlichen Verantwortlichkeiten» eröffnet (Brandt 2015, 58; vgl. dazu auch Breidenstein 2006). Wie sich aus der Gegenüberstellung eines spezifischen und eines holistischen Verständnisses ergibt, bildet die Mitwirkung an Entscheidungen für das enge Partizipationsverständnis das Definitionskriterium schlechthin, während die Beteiligung an Entscheidungsprozessen im Rahmen eines holistischen Verständnisses lediglich einen besonderen Typ von Partizipation darstellt. Das Zusammenwirken der beiden erwähnten Dimensionen lässt sich wie folgt darstellen. Auf der einen Seite gibt es ein Kontinuum, das von einem spezifischen zu einem holistischen Partizipationsverständnis reicht und auf der anderen Seite ist ein Kontinuum zwischen deskriptiven und normativen Akzentuierungen feststellbar.

Abbildung 1, Dimensionen des Partizipationsbegriffs

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Auch in den Beiträgen des vorliegenden Sammelbandes sind bezüglich der beiden Dimensionen unterschiedliche Positionierungen beobachtbar, was bei einigen Beiträgen in einem primär deskriptiven Zugang und bei anderen in einer größeren Offenheit gegenüber normativen Vorstellungen zum Ausdruck kommt. Auch was spezifische und holistische Konzeptionen betrifft, finden sich unter den vorliegenden Beiträgen verschiedene Positionen. Die gesprächs- und interaktionslinguistischen Beiträge dieses Sammelbandes sind mehrheitlich deskriptiv orientiert und tendieren zu einem holistischen Partizipationsverständnis, während die erziehungswissenschaftlichen Beiträge weiter auseinander liegen und sich auf mehrere Quadranten verteilen.

Um nicht nur die theoretische Bedeutung, sondern auch die praktische Relevanz der Frage nach dem Zusammenhang von Sprache und Partizipation an einem Beispiel zu illustrieren, sei auf eine empirische Studie verwiesen, die nahe legt, dass bildungssprachliche Kenntnisse in einem engen Zusammenhang mit der Wahrnehmung von Partizipation (verstanden als Mitsprache an Entscheidungsprozessen) stehen:

«Die interviewten Kinder, die dabei einen von den Erwachsenen eingeführten Wortschatz verwenden, kommen eher aus Elternhäusern mit tendenziell hohem Bildungsstand und erleben die Partizipation als Empowerment. Kinder, die über keine entsprechenden Formulierungen verfügen, stammen eher aus Familien mit einfachen Bildungsabschlüssen. Sie schildern Partizipationsveranstaltungen tendenziell eher als Spielwiese.» (Unicef report 2015, 21)

Aus diesem Befund lässt sich die didaktische (und gesellschaftliche) Notwendigkeit ableiten, die Wirksamkeit von schulischen Partizipationsbestrebungen durch einen flankierenden Kompetenzaufbau auf sprachlicher Ebene zu unterstützen. Denn wo durch mangelnde sprachliche Fähigkeiten Partizipation kommunikativ nicht oder nur teilweise umgesetzt werden kann bzw. gar nicht als Möglichkeit der Mitsprache, sondern als Form eines Spiels erlebt wird, können die von den Lehrkräften initiierten Partizipationsbemühungen ihre intendierte Wirkung nicht entfalten.

Die vorliegenden Beiträge befassen sich unter verschiedenen Perspektiven mit dem Zusammenhang von Sprache und Partizipation; sie tun dies zum einen anhand unterschiedlicher Formen von Teilhabe und Mitbestimmung (z. B. Schüler- oder Klassenrat, Lernentwicklungsgespräch, Feedback durch Schülerinnen und Schüler) und sie tun dies zweitens vor dem Hintergrund verschiedener Partizipationskonzepte. Entsprechend unterschiedlich fallen auch die jeweiligen didaktischen Folgerungen aus.

Zu den Beiträgen dieses Bandes

Anna Schnitzer und Rebecca Mörgen gehen in ihrem Beitrag der Frage nach, welche Bedeutung sprachliche Fähigkeiten für die Wahrnehmung schulischer Partizipationsmöglichkeiten haben und weisen nach, dass Sprachkompetenzen Zugangsmöglichkeiten eröffnen, aber auch einschränken können. Unter Einbeziehung der Perspektive von Lehrpersonen und Schülerinnen und Schülern kommen die Autorinnen zum Schluss, dass Partizipationsgremien wie der Schülerrat oft Kindern mit höheren sprachlichen Fähigkeiten bzw. aus bildungsnäherem Milieu vorbehalten bleiben. Damit werden sprachschwächere Schülerinnen und Schüler nicht nur hinsichtlich ihrer Mitsprachemöglichkeiten benachteiligt, sondern es bleibt ihnen auch die Möglichkeit verwehrt, die geforderten Sprachfähigkeiten in den entsprechenden Kontexten zu trainieren. Dieser restriktiven Praxis liegt die verbreitete Vorstellung zugrunde, dass schulische Partizipationsveranstaltungen «gelingen» müssten. Demgegenüber heben die Verfasserinnen hervor, dass schulische Partizipationsmöglichkeiten auch als Übungsfeld für alle betrachtet und genutzt werden sollten.

Die Perspektive der Lehrpersonen auf Partizipation in der Schule (im Sinn der Mitbestimmung an Entscheidungsprozessen) untersuchen auch Julia Häbig, Enikö Zala-Mezö, Daniela Müller-Kuhn und Nina-Cathrin Strauss. Im Fokus ihres Beitrages stehen die kollektiven Orientierungen, welche aus Gruppendiskussionen mit Lehrpersonen rekonstruiert werden können. Die mittels dokumentarischer Methode ausgewerteten Gruppendiskussionen lassen erkennen, dass sich die Lehrenden in einem Dilemma wahrnehmen: Auf der einen Seite steht der als berechtigt anerkannte Partizipationsanspruch, auf der anderen Seite sehen die Lehrpersonen äußere, nicht beeinflussbare Grenzen der Realisierbarkeit dieses Anspruchs. Weiter machen die rekonstruierten kollektiven Orientierungen deutlich, dass die Lehrpersonen Partizipation nicht als gemeinsamen Aushandlungsprozess verstehen, sondern dass sie an den bestehenden Hierarchien zwischen sich und den Lernenden festhalten. Um bezüglich des Partizipationspostulats Bewegung in die Teams zu bringen, plädieren die Autorinnen dafür, dass die handlungsleitenden Überzeugungen und Orientierungen reflektiert werden.

Nina Haldimann richtet den Blick auf das interaktionale Zusammenspiel zwischen einer Lehrperson und den Schülerinnen und Schülern im Klassenrat. Der Klassenrat ist ein Unterrichtsformat, das nicht nur die Mitbestimmung der Lernenden, sondern auch eine an die Lernenden delegierte Zuständigkeit für die Planung und Durchführung vorsieht. Um diesem Partizipationsanspruch, der mit einer partiellen Verschiebung der Beteiligungsrollen einhergeht, Rechnung zu tragen, bringt die Lehrperson ihre Nicht-Verfügbarkeit bei gleichzeitiger räumlicher Anwesenheit auf vielfältige Weise zum Ausdruck. Wie die multimodal angelegte Interaktionsanalyse zeigt, verweigert die Lehrperson etwa den Blickkontakt mit einem sie adressierenden Kind oder sie verändert ihre Körperposition, um damit zu verstehen zu geben, dass sie nicht gewillt ist, die Verantwortung für die Durchführung des Klassenrats zu übernehmen. Gleichwohl steuert sie damit das Geschehen und beeinflusst die Partizipationsmöglichkeiten der Schülerinnen und Schüler erheblich. Die Autorin schließt ihren Beitrag mit Überlegungen dazu, wie die Lehrperson dem Paradox ihrer Nichtverfügbarkeit bei gleichzeitiger Anwesenheit begegnen könnte.

Marina Bonanati geht in ihrem Beitrag ebenfalls auf interaktional manifeste Ambivalenzen des Partizipationspostulats ein. Im Rahmen ihrer gesprächsanalytischen Darstellung zeigt sie auf, wie sich in der Interaktion konfligierende Anforderungen manifestieren können und wie die Beteiligten diese interaktiv bearbeiten. Gegenstand der Analyse sind Lernentwicklungsgespräche, bei welchen Lehrpersonen, der/die Lernende sowie die Eltern anwesend sind und in deren Zentrum Entscheidungen über das Lernvorhaben und die Lerninhalte des Schülers beziehungsweise der Schülerin stehen. Dabei lässt sich beobachten, dass die Schülerinnen und Schüler zwar als aktive Gesprächsteilnehmer positioniert, zugleich aber in ihrer Entscheidungsbefugnis stark eingeschränkt werden. Es zeigt sich, dass unter den gegebenen institutionellen Rahmenbedingungen unterschiedliche Ziele und kommunikative Erfordernisse aufeinandertreffen, die eine bruchlose Umsetzung des Partizipationsanspruchs deutlich erschweren.

Auch Sören Ohlhus nimmt eine konkrete schulische Situation in den Fokus, indem er aus gesprächsanalytischer Perspektive untersucht, wie ein Lernender in einer Förderlektion an der Interaktion mit seiner Tutorin beziehungsweise seinem Tutor partizipiert. Auf einen weiten Partizipationsbegriff rekurrierend beobachtet der Autor, wie der Schüler im Verlauf mehrerer Förderlektionen neue Beteiligungsmöglichkeiten entdeckt und erprobt und schrittweise Einfluss auf den fremdbestimmten Lernprozess nimmt. Die kleinschrittige Auswertung erfolgt anhand der von Goodwin beschriebenen Haltungen, welche die Einbindung von Akteuren in einen interaktionalen Beteiligungsrahmen vorsehen. Die Diskussion der empirischen Befunde wird schließlich mit der Frage verknüpft, wie sich im Rahmen der Analyse von Unterrichtskommunikation gesprächsanalytische und didaktische Fragestellungen verbinden lassen.

Mit der Frage, wie sich Schülerinnen und Schüler an einer bestimmten Unterrichtssituation beteiligen, befasst sich auch Nadine Nell-Tuor. Sie orientiert sich ebenfalls an einem weiten Begriff von Partizipation und untersucht die Interaktion in einer kooperativen Lernsituation, an welcher vier Schülerinnen und Schüler beteiligt sind. Als zentrale Gelingensbedingung kooperativen Lernens wird in der erziehungswissenschaftlichen und didaktischen Literatur die Interaktion zwischen den Lernenden betrachtet. Wie die gesprächsanalytische Auseinandersetzung mit verschiedenen Sequenzen kooperativen Lernens erkennen lässt, sind Zusammenhänge zwischen Aufgabenstellung und Interaktion sowie zwischen fachlicher Tiefe und sprachlicher Elaboriertheit zu konstatieren. Letzteres verweist auf den engen Zusammenhang von Sprache und Partizipation: Welche Beteiligungsmöglichkeiten sich den Einzelnen eröffnen, hängt von ihren (gezeigten) sprachlichen Fähigkeiten ab.

Auch Katja Maischatz, Elke Hildebrandt, Serena Wälti, Annemarie Ruess und Sabine Campana betrachten Partizipationsmöglichkeiten auf der Mikroebene des Unterrichts und legen ihrem Beitrag damit einen weiten Partizipationsbegriff zugrunde. Im Gegensatz zu den vorhergehenden gesprächsanalytischen Beiträgen nehmen sie eine erziehungswissenschaftlich-soziologische Perspektive ein, welche hinsichtlich des Partizipationspostulats auch normative Vorstellungen einschließt. Auf der Basis einer Klärung der rechtlichen Grundlagen von Partizipation präsentieren die Autorinnen Beobachtungen aus analysierten Unterrichtslektionen sowie Erkenntnisse aus Befragungen von Schülerinnen und Schülern sowie Lehrpersonen. Die Verfasserinnen kommen zu dem Schluss, dass die Beziehungsgestaltung zwischen Lehrenden und Lernenden einen maßgeblichen Einfluss auf die Möglichkeiten unterrichtlicher Teilhabe der Letzteren hat. Um den Partizipationsanspruch zu einem durchgehenden Unterrichtsprinzip zu machen, sei eine klare, aber anerkennende Gesprächsführung notwendig.

Eine weitere Form von Partizipation im Unterricht fokussieren schließlich auch Corinne Wyss, Meike Raaflaub und Nina Hüsler aus einer erziehungswissenschaftlichen Perspektive: das Feedbackgeben von Schülerinnen und Schülern an ihre Lehrpersonen. Untersucht wird, wie die Rückmeldungen von angehenden Lehrpersonen genutzt werden, wie die Lernenden das Feedbackgeben erleben und einschätzen und wie die Lehrenden dieses beurteilen. Obschon die Möglichkeit, Feedback geben zu können, von den Schülerinnen und Schülern als positiv eingeschätzt wird, kann nicht vorausgesetzt werden, dass die Lernenden dies ohne Weiteres zu geben imstande sind. Die Autorinnen thematisieren hierbei die Rolle von Sprachfähigkeiten als Voraussetzung des Feedbackgebens und regen dazu an, weniger sprachlich ausgerichtete Formen des Rückmeldens in Erwägung zu ziehen.

Widmung

Dieser Sammelband ist Prof. em. Dr. Brigit Eriksson gewidmet, die vor zehn Jahren an der Pädagogischen Hochschule Zug das Zentrum Mündlichkeit gegründet hat und auch die Begründerin der Buchreihe «Mündlichkeit» ist. Ihr verdankt die Sprachdidaktik im Bereich der Mündlichkeit wichtige Impulse.

Literatur

Bock, Bettina M./Dreesen, Philipp (Hrsg.) (2018): Sprache und Partizipation in Geschichte und Gegenwart. Bremen: Hempen.

Brandt, Birgit (2004): Kinder als Lernende. Partizipationsspielräume im Klassenzimmer. Frankfurt a. M.: Peter Lang.

Brandt, Birgit (2015): Partizipation in Unterrichtsgesprächen. In: de Boer, Heike/Bonanati, Marina (Hrsg.): Gespräche über Lernen – Lernen im Gespräch. Wiesbaden: Springer VS, S. 37–60.

Breidenstein, Georg (2006): Teilnahme am Unterricht. Ethnographische Studien zum Schülerjob. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.

Budde, Jürgen (2010): Inszenierte Mitbestimmung!? Soziale und demokratische Kompetenzen im schulischen Alltag. In: Zeitschrift für Pädagogik 56:3, S. 384–401.

de Boer, Heike (2006): Klassenrat als interaktive Praxis. Auseinandersetzung – Kooperation – Imagepflege. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.

Eikel, Angelika (2006): Demokratische Partizipation in der Schule. Beiträge zur Partizipationsförderung in der Schule. BLK-Programm «Demokratie lernen & leben».

Feilke, Helmuth (2012): Bildungssprachliche Kompetenzen – fördern und entwickeln. In: Praxis Deutsch, 39/233, S. 4–13.

Gogolin, Ingrid/Duarte, Joana (2016): Bildungssprache. In: Kilian, Jörg/Brouër, Birgit/Lüttenberg, Dina (Hrsg.): Handbuch Sprache in der Bildung. Berlin, Boston: De Gruyter, S. 478–499.

Hauser, Stefan/Haldimann, Nina (2018): Dimensionen von Partizipation im Klassenrat. In: Bock, Bettina M./Dreesen, Philipp (Hrsg.): Sprache und Partizipation in Geschichte und Gegenwart. Bremen: Hempen, S. 127–142.

Helsper, Werner/Lingkost, Angelika (2013): Schülerpartizipation in den Antinomien von Autonomie und Zwang sowie Organisation und Interaktion. Exemplarische Rekonstruktionen im Horizont einer Theorie schulischer Anerkennung. In: Hafeneger, Benno (Hrsg.): Pädagogik der Anerkennung. Grundlagen, Konzepte, Praxisfelder. Schwalbach: Debus Pädagogik Verlag, S. 132–156.

Kiper, Hanna (1997): Selbst- und Mitbestimmung in der Schule. Das Beispiel Klassenrat. Baltmannsweiler: Schneider.

Kunze, Ingrid (2004): Schülerpartizipation im Unterricht – Zugeständnis, Handlungsmaxime oder paradoxe Aufforderung? In: Ackermann, Heike/Rahm, Sibylle (Hrsg.): Kooperative Schulentwicklung. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, S. 293–316.

Lakoff, George/Johnson, Mark (1980): Metaphors we live by. Chicago: University of Chicago Press.

Lötscher, Alexander/Sperisen, Vera (2016): «Die Lehrperson ist eigentlich sozusagen unser Chef» – Entscheidungen im Klassenrat. In: Mörgen, Rebecca/Rieker, Peter/Schnitzer, Anna (Hrsg.): Partizipation von Kindern und Jugendlichen in vergleichender Perspektive. Weinheim, Basel: Beltz, S. 83–104.

Morek, Miriam/Heller, Vivien (2012): Bildungssprache – Kommunikative, epistemische, soziale und interaktive Aspekte ihres Gebrauchs. Zeitschrift für Angewandte Linguistik 57 (1), 67–101. Online: http://www.degruyter.com/view/j/zfal-2012-57.issue-1/zfal-2012-0011/zfal-2012-0011.xml (16.04.2019).

Moser, Sonja (2010): Beteiligt sein. Partizipation aus der Sicht von Jugendlichen. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.

Oser, Fritz/Biedermann, Horst (2006): Partizipation – ein Begriff, der ein Meister der Verwirrung ist. In: Quesel, Carten/Oser, Fritz (Hrsg.): Die Mühen der Freiheit. Probleme und Chancen der Partizipation von Kindern und Jugendlichen. Zürich: Rüegger, S. 17–37.

Reichenbach, Roland (2006): Diskurse unter Ungleichen – Zur Ambivalenz einer partizipativen Pädagogik. In: Quesel, Carsten/Oser, Fritz (Hrsg.), Mühen der Freiheit. Probleme und Chancen der Partizipation von Kindern und Jugendlichen. Zürich: Rüegger, S. 39–61.

Reichenbach, Roland (2016): Partizipieren und Partizipation ertragen. In: Mörgen, Rebecca/Rieker, Peter/Schnitzer, Anna (Hrsg.): Partizipation von Kindern und Jugendlichen in vergleichender Perspektive. Bedingungen – Möglichkeiten – Grenzen. Weinheim, Basel: Beltz Juventa, S. 217–237.

Rieker, Peter/Mörgen, Rebecca/Schnitzer, Anna/Stroezel, Holger (2015): Von der Stimme zur Wirkung. Studie zur Partizipation von Kindern und Jugendlichen in der Schweiz im Auftrag von UNICEF Schweiz. Studienergebnisse.

Rieker, Peter/Mörgen, Rebecca/Schnitzer, Anna/Stroezel, Holger (2016): Partizipation von Kindern und Jugendlichen. Formen, Bedingungen sowie Möglichkeiten der Mitwirkung und Mitbestimmung in der Schweiz. Wiesbaden: Springer.

Rüedi, Silja (2017): Kooperation und demokratisches Prinzip. Ein Beitrag zur Klärung des Begriffs Schülerpartizipation. Wiesbaden: Springer VS.

Shier, Harry (2001): Pathways to participation. Openings, opportunities and obligations. In: Children & Society 15, S. 107–117.

UNICEF Schweiz (2015): Von der Stimme zur Wirkung. Zürich: Schweizerisches Komitee für UNICEF.

«Das ist eben so, dass die Schüler kommen, die diskutieren können» – die Bedeutung sprachlicher Fähigkeiten für (schulische) Partizipationsmöglichkeiten

Anna Schnitzer/Rebecca Mörgen

1Einleitung

Die Bedeutung sprachlicher Fähigkeiten von Kindern für den schulischen Bildungserfolg steht spätestens seit den ersten PISA-Untersuchungen außer Frage. Sie haben aber nicht nur in Bezug auf den Bildungserfolg, sondern auch für die Wahrnehmung von Partizipationsmöglichkeiten in der Schule herausragende Bedeutung. Inwiefern Partizipationsmöglichkeiten, die auch für die Schule immer stärker gefordert werden und etwa in der Gründung von schulischen Partizipationsgremien münden, mit sprachlichen Fähigkeiten und so indirekt auch mit schulischem Bildungserfolg zusammenhängen, wird in der Forschung eher seltener in den Blick genommen. Dieser Zusammenhang soll im vorliegenden Beitrag genauer beleuchtet werden.

Um dem nachzugehen, wird nach theoretischen Klärungen zu Partizipation, Bildungsungleichheit und Sprache (2) die empirische Studie zu Partizipationsmöglichkeiten von Kindern und Jugendlichen in der Schweiz vorgestellt, auf der die folgenden Analysen beruhen (3). Anschließend wird empirisch herausgearbeitet, wie die verschiedenen beteiligten Akteurinnen und Akteure – pädagogische Fachkräfte und Kinder – auf die Bedeutung von sprachlichen Fähigkeiten für Partizipationsmöglichkeiten in der Schule Bezug nehmen (4). In einem abschließenden Fazit werden die Überlegungen zur Bedeutung sprachlicher Fähigkeiten für schulische Partizipationsmöglichkeiten und zum Zusammenhang mit Bildungsungleichheiten gebündelt (5). Es wird außerdem gefragt, wie das Angebot von Mitbestimmungsmöglichkeiten in der Schule für jene Kinder und Jugendlichen gestaltet sein sollte, die dem «klassischen» bildungsbürgerlichen Habitus weniger entsprechen.

2Konzeptionelle Klärungen: Partizipation, Bildungsungleichheit und Sprache

Partizipation – im Sinne von Teilhabe und Teilnahme – ist ein konstitutives Kriterium demokratisch verfasster Gesellschaften. Damit verbunden ist das gesellschaftliche wie auch sozialpolitische Anliegen, Individuen in öffentliche Entscheidungsprozesse einzubinden. Partizipation steht für die Teilnahme- und Teilhaberechte wie auch -pflichten von Personen an und gegenüber der Gesellschaft sowie «für Freiheit und Gleichheit ihrer Mitglieder» (von Schwanenflügel 2015, 48; vgl. hierfür auch Schnurr 2011, 1069; Magyar-Haas et al. 2019). Entsprechend ist die Möglichkeit der Partizipation von Kindern und Jugendlichen eine wichtige Voraussetzung für Chancengleichheit und «die Sicherung von gleichen Teilhaberechten» (vgl. von Schwanenflügel 2015, 55), die jedoch mit Befunden klassenspezifischer Unterschiede in den Bedingungen des Aufwachsens von Kindern und Jugendlichen und den damit verbundenen Möglichkeiten der gesellschaftlichen Teilhabe bricht (vgl. ebd.; Lareau 2011).3 Vor diesem Hintergrund nehmen Analysen zu Partizipation Fragen nach Mitbestimmung, Mitwirkung und Beteiligung von Kindern und Jugendlichen in politischen wie sozialen Angelegenheiten wie auch die Frage nach dem Zugang zu gesellschaftlich relevanten Ressourcen wie Bildung in den Blick (Magyar-Haas et al. 2019). Bezogen auf pädagogische Perspektiven wie auch Handlungskontexte von Partizipation ist hierbei zu berücksichtigen, dass Beteiligungs- und Mitwirkungsprozesse «nicht von Gleichheit, sondern von Ungleichheit» geprägt sind und sich demzufolge zwischen «Ungleichen» (Reichenbach 2006, 52) vollziehen. Einerseits werden bereits strukturell Erwachsene als «Wissende» und Kinder als «Lernende» hervorgebracht. Andererseits werden Kinder zwar im Anschluss an die UN-Kinderrechtskonvention als autonome, eigenständige Rechtssubjekte aufgefasst, Erwachsene damit aber nicht aus der Pflicht genommen, Verantwortung für Kinder zu übernehmen (vgl. Winklhofer 2014; Mörgen et al. 2016). Damit sind die Partizipationsprozesse, die in pädagogischen Kontexten – wie der Bildungsinstitution Schule – gefördert werden sollen, per se von einer strukturellen Ungleichheit zwischen den beteiligten Akteurinnen und Akteuren geprägt.

Partizipation lässt sich in einem weiten Verständnis als gesellschaftliche Teilhabe und aktive Teilnahme durch «auf Öffentlichkeit bezogenes individuelles Handeln» konzeptualisieren (von Schwanenflügel 2015, 15). Für fokussierte Analysen von Beteiligungsprozessen und der damit verbundenen Eröffnung von Teilhabe- und/oder Bildungsmöglichkeiten erscheint jedoch eine enge Betrachtungsweise sinnvoll, die Partizipation «als Einbindung von Individuen in Entscheidungs- und Willensbildungsprozesse» (Reichenbach 2006, 54) auffasst (vgl. auch Rieker et al. 2016; Knauer/Sturzenhecker 2005). So können Partizipationspraktiken dahingehend untersucht werden, inwieweit sie Kindern und Jugendlichen eine Erweiterung ihres Handlungsspielraumes ermöglichen. Partizipationsgremien in Schulen lassen sich vor diesem Hintergrund als Bildungsorte fassen (Büchner/Brake 2006; Busse 2010), an denen eine Beteiligung an «Entscheidungs- und Willensbildungsprozessen», kennengelernt und eingeübt werden kann, mit dem eine Erweiterung gesellschaftlicher Teilhabemöglichkeiten einhergeht.

Der Zugang zu gesellschaftlichen Teilhabemöglichkeiten ist in modernen Gesellschaften über formale Bildungsprozesse vermittelt. Bildungsinstitutionen ermöglichen in ihrer sozialen Praxis Zugang zu symbolischen und materiellen Ressourcen, schränken diesen aber auch ein oder blockieren ihn im ungünstigsten Fall ganz (Mecheril/Quehl 2015). So lässt sich sowohl im schweizerischen als auch im deutschen Bildungssystem eine enge Kopplung zwischen sozioökonomischem Status sowie kulturellem Kapital der Familie und den Bildungserfolgschancen in der Schule konstatieren (vgl. PISA-Konsortium 2008; Mecheril/Quehl 2015). Unterschiedliche klassen- und familienspezifische Sozialisationsbedingungen lassen unterschiedliche Voraussetzungen von Kindern und Jugendlichen für schulischen Bildungserfolg entstehen (vgl. Lareau 2011). Die (Re-)Produktion sozialer Ungleichheiten ist – wie in diesen Studien deutlich wird – letztlich auch eine Folge sprachlicher Fähigkeiten.

«Verborgene Mechanismen» (Bourdieu 2005) einer Leistungs- und Begabungsideologie bringen hierbei schulische Gremien wie den Schülerrat als ein Lern- und Bildungsfeld hervor, das nicht frei ist von pädagogischen Ungleichheits- und Differenzpraktiken, die Zugang sowie Teilhabemöglichkeiten an Partizipationsgremien regulieren. Der Zugang zu diesen Bildungsorten, der mit einer Ermöglichung beziehungsweise Verunmöglichung von Bildungsanlässen einhergeht, steht demnach nicht allen Kindern in gleicher Weise offen. Pädagogische Differenzpraktiken im Kontext von schulischen Partizipationsangeboten erfolgen dabei entlang der sozialen Herkunft der Kinder und Jugendlichen sowie über natio-ethno-kulturelle Zugehörigkeiten und Zuschreibungen (Mecheril 2003), die jeweils eng verknüpft sind mit den sprachlichen Fähigkeiten der Kinder. Sogenannte «Sprachdefizite», illegitime «Bildungssprachen» und/oder «Migrationssprachen» werden für den Bildungserfolg von Kindern und Jugendlichen als Herausforderung betrachtet (Brisić 2007, 43). Um mit Blick auf den Bildungserfolg im Feld der Schule «mitspielen zu können, muss man eine bestimmte Sprache beherrschen und über eine bestimmte Kultur verfügen» (Bourdieu 2005, 14). Insofern eine bestimmte Sprache notwendig ist, um sich feldspezifisch mitteilen, aber auch an sozialen und politischen Möglichkeitsbedingungen teilhaben und sich beteiligen zu können, kann man von einem hierarchischen Verhältnis von Sprache(n) und sprachlichen Fähigkeiten ausgehen, welches in den Analysen weiter expliziert wird (vgl. Mörgen/Schnitzer 2015, 7 f.). Sprache kann in diesem Zusammenhang als soziale Praxis aufgefasst werden, die als Teil des jeweils verfügbaren kulturellen Kapitals im Sinne Bourdieus verstanden werden kann (Bourdieu 1983). In diesem Sinne wird Sprache nicht ausschließlich als Verständigungsmedium aufgefasst, sondern als «a set of resources which circulate in unequal ways in social networks and discursive spaces, and whose meaning and value are socially constructed within the constraints of social organizational processes, under specific historical conditions» (Heller 2007, 2). Sie fungiert demnach als Zugangsmedium zu Bildungsinstitutionen und gesellschaftlichen Teilhabemöglichkeiten und ist zugleich Ergebnis sozialer Aneignungsprozesse. Inwiefern dabei über Sprache beziehungsweise über sprachliche Fähigkeiten und damit einhergehende Kompetenzzuschreibungen Zugangsmöglichkeiten zu Partizipationsgremien als institutionelle Bildungsorte vermittelt und damit soziale Positionen ausgehandelt werden, die wiederum mit unterschiedlichen Handlungsmöglichkeiten einhergehen, ist Gegenstand der nachfolgenden Analysen. Hier stellt sich einerseits die Frage, inwiefern in diesem Kontext politische Artikulationsmöglichkeiten beziehungsweise deren Einübung im Rahmen institutioneller Bildungsanlässe über sprachliche Fähigkeiten reguliert und überhaupt thematisiert werden. Andererseits lässt sich fragen, welche Anforderungen an pädagogische Fachkräfte – im schulischen Kontext zumeist Lehrpersonen – damit gestellt sind, Orte «gelingender» Partizipationsgelegenheiten als Bildungsräume zu gestalten, aber auch wie Kinder diese Anforderungen und politischen Artikulationsmöglichkeiten thematisieren.

Ausgehend von einem Verständnis institutioneller Partizipationsgremien als Bildungsorte, die Möglichkeiten für Bildungsprozesse eröffnen, lässt sich festhalten, dass institutionelle Bildungsmöglichkeiten mit ihrer Leistungs- und Begabungsideologie von einem ungleichen Zugang geprägt sind, der eine Teilnahme und damit einhergehende gesellschaftliche Teilhabe nicht allen Kindern in gleichem Maße eröffnet. Der Zugang wird über unterschiedliche Differenzpraktiken reguliert, die sich im Rahmen qualitativer Studien detailliert in den Blick nehmen lassen. In diesem Zusammenhang ist es allerdings wichtig, zwischen Differenzen und Ungleichheiten zu unterscheiden. Während Ungleichheiten als strukturelle Benachteiligungen im Zugang zu Ressourcen verstanden werden können (vgl. etwa Kreckel 2004, 17), lassen sich Differenzen als situative Unterschiede fassen: etwa in Bezug auf die unterschiedlichen «alltagsweltliche[n] Sprachwirklichkeiten» der Schüler/-innen, die nicht in jedem Falle mit den von der Schule erwarteten «Sprachvarianten» übereinstimmen (vgl. Mecheril/Plößer 2009, 196–197). Im Anschluss an Diehm et al. 2013 kann weiter davon ausgegangen werden, dass sich mithilfe qualitativ orientierter Ungleichheitsforschung – wie etwa der Studie, auf die im Folgenden Bezug genommen wird – Prozesse, Mechanismen und die Genese von Ungleichheitsformen rekonstruieren lassen, nicht aber «die repräsentative Abbildung von Ungleichheitsverhältnissen» (Machold 2017, 157). Rekonstruieren kann man hingegen, wie ungleichheitsrelevante Unterschiede, die für den Zugang zu gesellschaftlichen Ressourcen und sozialer Teilhabe, aber eben auch für den Zugang zu gremienförmigen Angeboten der schulischen Partizipation, bedeutsam sind, sozial hergestellt werden (ebd., 158). Für das Erfassen des Zusammenhangs von sozialer Ungleichheit und Differenz im Kontext qualitativer Forschung kann man davon ausgehen, dass sich über einen qualitativen Zugang soziale Mikroprozesse beobachten lassen und die situative Hervorbringung von Differenz rekonstruiert werden kann (Diehm et al. 2013). Diese wiederum können über eine Theoretisierung und die Formulierung verallgemeinerbarer Aussagen am empirischen Einzelfall zu Entstehungsprozessen sozialer Ungleichheit in Beziehung gesetzt werden (vgl. Machold 2017, 157; Lareau 2011).

3Methodische Verortung der Überlegungen: eine Studie zu Partizipation von Kindern und Jugendlichen in der Schweiz

Im Folgenden wird die Bedeutung von Sprache und sprachlichen Fähigkeiten für Partizipationsmöglichkeiten im institutionellen Setting Schule detailliert analysiert. Dabei sind die Daten der Studie «Partizipation von Kindern und Jugendlichen in der Schweiz», die von 2012 bis 2014 in Kooperation mit UNICEF Schweiz an der Universität Zürich durchgeführt wurde (Rieker et al. 2016), Grundlage der Überlegungen. In der qualitativen Teilstudie wurden pädagogisch und politisch motivierte Partizipationsangebote von Kindern im (außer-)schulischen Bereich untersucht. Im Zentrum stand die Frage, wie Partizipationsmöglichkeiten für Kinder in unterschiedlichen Kontexten – Familie, Peergroup, Schule und Gemeinde – gestaltet werden und wie die jeweiligen Akteurinnen und Akteure diese erleben. Im Rahmen eines ethnografischen Vorgehens (Breidenstein et al. 2013) wurden in zwei Gemeinden Schülerrats- und Kinderratssitzungen sowie Projektveranstaltungen teilnehmend beobachtet und insgesamt 32 leitfadengestützte Interviews mit Erwachsenen (Lehrer/-innen, sozialpädagogischen Fachkräften, Eltern, Verwalter/ -innen, Politiker/-innen) und Kindern geführt (Witzel 2000).4 Die Daten wurden im Kontext zweier kontrastierend ausgewählter Sozialräume in zwei Städten in der Deutschschweiz erhoben: Als Zentrum der Erhebung in Tulpenberg wurde ein Schulhaus an der Grenze eines privilegierten und eines deprivilegierten Wohnquartiers ausgewählt, das durch diese Lage von Kindern mit ganz unterschiedlichen sozio-ökonomischen Hintergründen besucht wird; in Rosenberg wurde ein Schulhaus in einem vorrangig von Schweizer Mittelschichtsfamilien geprägten Wohnquartier ausgewählt. Von den teilnehmenden Beobachtungen wurden ausführliche Protokolle angefertigt. Die audioaufgezeichneten Interviews wurden vollständig transkribiert, wobei alle Namen von Personen und Orten anonymisiert wurden. Die transkribierten Interviews sowie die Beobachtungsprotokolle wurden von der Forschungsgruppe mit gleichzeitigem Bezug auf die Methodik der Grounded Theory analysiert (Strauss 1998).

Für die folgenden Analysen wurden solche Interviews mit pädagogischen Fachkräften und Kindern ausgewählt, die geeignet sind, der Frage nachzugehen, inwieweit Partizipationsmöglichkeiten in der Schule von sprachlichen Fähigkeiten abhängen und so indirekt auch den schulischen Bildungserfolg bedingen. Die Perspektive der pädagogischen Fachkräfte wurde gewählt, weil diese entscheidend dazu beitragen, den Zugang zu den schulischen Partizipationsgremien zu regulieren und so zum einen entsprechende Differenzpraktiken besser rekonstruiert, zum anderen aber auch handlungspraktische Herausforderungen für die Beteiligten nachgezeichnet werden können. Kontrastierend hierzu kann anhand der Perspektive der Kinder die Frage danach gestellt werden, wie diese mit den schulischen Anforderungen und Erwartungen umgehen und inwiefern sie die Relevanz von sprachlichen Fähigkeiten für die Teilhabe an schulischen Partizipationsmöglichkeiten äußern.

4Bildung, Sprache und Partizipation: Differenzpraktiken in schulischen Partizipationsgremien

Welche Differenzpraktiken und welche handlungspraktischen Herausforderungen lassen sich nun aufzeigen und in welcher Weise werden dabei sprachliche Fähigkeiten für den Zugang zu Partizipationsgremien als schulischen Bildungsorten bedeutsam? Kinder und Jugendliche kommen mit ungleichen Voraussetzungen in die Schule. Das hat zur Folge, dass Lehrpersonen vor allem die Herausforderung bewältigen müssen – oder die Chance nutzen können –, heterogene Lerngruppen zu gestalten (vgl. Prengel 2017; Idel et al. 2017). Es wird darauf aufmerksam gemacht, dass die sogenannte Bildungssprache als grundlegend gilt, diese kann aber auch im schulischen Kontext gelernt und vermittelt werden (vgl. etwa Gogolin et al. 2013). Als charakteristische Merkmale einer Bildungssprache und der damit verbundenen Sprachfertigkeiten können unter anderem schlüssiges Argumentieren, das Wissen zu bestimmten Themen und das differenzierte Vokabular sowie das Verbalisieren abstrakter Inhalte genannt werden (vgl. ebd.).

4.1 Perspektive der Lehrpersonen

Schulische Partizipationsangebote, wie sie im Rahmen der oben skizzierten Studie beobachtet wurden, könnten geeignet sein, eben diese Fähigkeiten zu unterstützen: durch Einüben des Vertretens eigener Positionen, durch eine Erweiterung des Vokabulars über inhaltliche Diskussionen sowie im gemeinsamen Nachdenken über abstraktere Phänomene wie Verfahren der Entscheidungsfindung. Im Sprechen der befragten Lehrpersonen wird allerdings auch deutlich, dass von den Kindern bestimmte Fähigkeiten als Voraussetzung für gelingende Partizipation erwartet werden. Entsprechend sind es sodann auch ganz bestimmte Kinder, die den Zugang zu gremienförmigen Angeboten und damit zu einem pädagogischen Übungsfeld partizipativer Entscheidungspraktiken finden. Welche Differenzen dabei relevant werden, macht die folgende Aussage einer Lehrkraft deutlich:

«Ja, also ich meine, das ist eben so, dass die Schüler kommen, die diskutieren können, die zuhören können, die aufeinander eingehen können und so, weil sie mussten sich in ihrer Klasse zur Wahl stellen. Sie mussten eine Bewerbung schreiben, eine Begründung, warum bin ich geeignet, was würde ich denn für das Schulhaus machen, und sie mussten das dann quasi in ihrer Klasse zeigen und präsentieren, und die Klasse hat dann darüber abgestimmt, welches Mädchen und welcher Bube. Also denen ist im Voraus schon bewusst, dass sie einfach kommunikativ sein müssen.» (Frau Geissbühler, Rosenberg)

In der Schule in Rosenberg müssen die Kinder, um am Schülerrat überhaupt partizipieren zu können, ein formales Wahlverfahren bestreiten. Als gewählte Kandidatin beziehungsweise gewählter Kandidat werden sie dann in den Schülerrat entsendet. Dementsprechend werden von der Lehrperson Erwartungen an das «kompetente» Kind formuliert, das zunächst eine Art Assessment durchlaufen und sich selbst «vermarkten» muss. Die Analogie zu gegenwärtigen gesellschaftspolitischen Diskursen zum Leistungsprinzip und zum Selbstverantwortungsgedanken ist insofern bemerkenswert, als soziale Ungleichheit zwischen den Kindern zu einem individuellen Merkmal erklärt wird (vgl. kritisch hierzu von Schwanenflügel 2015, 58 f.). Denn die Kinder, die «kommunikativ» sind und sich in ihrer Klasse selbstbewusst präsentieren, haben eher die Möglichkeit, im Rahmen dieses Verfahrens als Vertreterinnen oder Vertreter ihrer Klasse ausgewählt zu werden. Über die konkreten Fähigkeiten, wie diskutieren und zuhören können, sollten die Kinder bereits vor ihrer Teilnahme an institutionalisierten Partizipationsanlässen verfügen. Die Differenzsetzungen, anhand derer die Auswahl der Kinder vollzogen wird, folgen demnach den Differenzlinien, die sich zum einen durch die Beherrschung der Bildungssprache, zum anderen aber auch durch Fähigkeiten der Selbstpräsentation ergeben. Im Sinne «gelingender» Partizipation wird so gesteuert, dass nur bestimmte Kinder das Gremium des Schülerrates besuchen und mitgestalten – oder wie es ein Kind ausdrückt: «schon ein bisschen mehr mitbestimmen» können als andere (Pascal). Die sich aus diesen Erwartungen und Begrenzungen ergebenden ausschließenden Mechanismen für die Kinder, die den Anforderungen durch ungleiche Voraussetzungen nicht genügen können (vgl. Lareau 2011), werden von den Lehrpersonen kaum reflektiert.

Bedeutsam ist in diesem Zusammenhang, dass die Zuschreibung von Kompetenzen wie «kommunikativ sein», die den Erwartungen der schulischen Akteurinnen und Akteure an «partizipierende» Kinder entsprechen, über eine Zuschreibung natio-ethno-kultureller Zugehörigkeiten erfolgen kann. Dies wird von einer Schulleitung wie folgt formuliert:

«Und das kennen viele fremdsprachige Kinder sowieso nicht aus, von ihren Ländern und auch von ihren Familien her nicht, dass man Mitsprache hat und dass man gute Argumente vorbringen kann und vielleicht die Gegenseite sogar überzeugen kann. Oder dass halt in Ländern keine Demokratie herrscht, wie wir das gewohnt sind. Wir haben dann gemerkt, dass wir das ein bisschen steuern müssen, vor allem auch die Auswahl der Kinder, also die müssen gewisse Fähigkeiten haben.» (Frau Sehm, Tulpenberg)