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Vorwort

Die Kritik am Elektroauto war immer Bestandteil meiner Kritik an der Autogesellschaft. 1986 zitierte ich in »Eisenbahn und Autowahn« die Neue Zürcher Zeitung, die – vergleichbar der heutigen Argumentation in China – darauf verwies, dass das Elektroauto MEV-1 der Schweizer Industrie eine Chance böte, da die »Autoindustrie auf diesem Gebiet keinerlei Erfahrungsvorsprung« hätte. 2007 beschrieb ich in »Verkehr. Umwelt. Klima«, dass das Elektromobil »oft der Zweit- und Drittwagen ist«. Im September 2014 plädierten Prof. Hermann Knoflacher und ich in Peking auf dem »4th China-EU-Forum on Social Ecology« für eine stadtverträgliche Mobilität und gegen die Orientierung auf E-Pkw, die sich damals in China bereits abzeichnete. 2018 entwickelte ich im Auftrag von Bürgerinitiativen in Dortmund und Hannover Pläne für eine umweltverträgliche Stadtmobilität als Gegenmodell zur jeweils propagierten Elektromobilität. Im selben Jahr erschien im Institut für sozialökologische Wirtschaftsforschung (isw) eine von mir verfasste Broschüre zu »Elektro-Pkw als Teil der Krise der aktuellen Mobilität«.

Mittlerweile ist es unernst, Elektromobilität als ein Projekt fortschrittlicher Verkehrsplanung darzustellen, das gegen die »fossilen« Großkonzerne durchgesetzt werden müsste. 2018 fuhren die zwölf größten Autokonzerne Rekordgewinne ein und starteten gleichzeitig das größte Investitionsprogramm ihrer Geschichte – pro Elektromobilität. Die Ölkonzerne investieren derzeit massiv im angestammten Geschäft und steigen zugleich in die Stromerzeugung ein. Die Internationale Energie-Agentur (IAE), eine Energie-Lobbyorganisation, freut sich, dass »die Zukunft elektrisch« und die Stromerzeugung (u.a. mit neuen AKW) massiv gesteigert wird – wegen der Elektromobilität. Damit ist die Elektromobilität Teil eines zerstörerischen Prozesses, den wir seit Anfang des 20. Jahrhunderts mit der Automotorisierung erleben. Ebenso wie es vor einem Jahrhundert eine auch von »progressiven« Kräften getragene Begeisterung für Henry Ford gab, so gibt es gegenwärtig einen auch von »fortschrittlichen« Gruppen befeuerten Hype um Elon Musk und Tesla. Ford und Musk verkörpern den US-amerikanischen Kapitalismus der jeweiligen Zeit; die Ideologie der beiden Milliardäre ist vergleichbar elitär und menschenverachtend.

Es ist an der Zeit, die Offensive zugunsten des Elektroautos in einen dreifachen Gesamtzusammenhang zu stellen: Es handelt sich dabei erstens um einen weiteren Schritt zur Intensivierung einer Mobilitätsorganisation, bei der immer mehr Menschen vom Auto abhängig gemacht werden. Zweitens um einen Prozess, in dessen Folge die Belastungen, die mit jedem Autoverkehr zusammenhängen, weiter steigen – hinsichtlich Verkehrsopfern, Stadtqualität und Emissionen, die die Gesundheit und das Klima schädigen. Drittens um eine Entwicklung, die vom Wachstumszwang der bestehenden Wirtschaftsordnung und den Profitinteressen der führenden Konzerne in der Autoindustrie, im Technologiesektor und in der Energiewirtschaft vorangetrieben wird.

Eine überzeugende Verkehrswende fühlt sich anders an. Etwa so: Anfang 2019 diskutiert der CDU-Oberbürgermeister der Stadt Münster im niederländischen Groningen darüber, wie der Anteil der Fahrradwege in Münster von aktuell 40 Prozent auf das Groningen-Niveau von 60 Prozent gesteigert werden kann. Addiert man Fußgängerwege und Fahrten des Öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) hinzu, dann bleibt für Pkw-Verkehr ein Restmarktanteil, bei dem die Antriebsart einigermaßen unwesentlich ist.

Winfried Wolf,
im Februar 2019

Kapitel 1: Drei Anläufe zur Durchsetzung der Elektroautos. Oder: Es geht bei E-Mobilität nicht um Klimapolitik

Bei den Elektromobilherstellern herrscht Goldgräberstimmung. Die Marktprognosen versprechen bis zu einer Million verkaufter E-Mobile in den nächsten fünf Jahren.

VCD-Zeitschrift »Fairkehr«, März 1991

Ein Star der Messe ist in diesem Jahr [2018; W.W.] der Silverado, den die Marke Chevrolet [eine Tochter von GM; W.W.] gerade auf den Markt gebracht hat. Ein Pick-up, mehr als fünf Meter lang, voll beladen rund sechs Tonnen schwer. Nur wenige Schritte entfernt davon zeigt Ford den F-150, das meistverkaufte Auto Amerikas. Es ist sogar noch ein wenig größer als der Chevy, noch bulliger. Der Hype, der derzeit um elektrische, selbst fahrende, vernetzte Pkw herrscht, spielt auf der NIAS [Automesse von Detroit; W.W.] keine allzu große Rolle. In der alten Autostadt Detroit ist mehr Gegenwart als Zukunft zu betrachten. All die glamourösen Ankündigungen großer Firmen und kleiner Start-ups […] täuschen über die Realität auf Amerikas Straßen hinweg. Pick-ups dominieren das Bild. – noch immer.

Stefan Beutelsbacher und Benedikt Fuest, Revolution im Automobilbau, »Die Welt« vom 20. Januar 2018

Der Weg scheint vorgezeichnet: Mit Elektroautos in eine sonnige Zukunft. In Deutschland wurde im Herbst 2018 die »Nationale Plattform Elektromobilität« gleich mal umbenannt in »Nationale Plattform Zukunft der Mobilität«. So wie der Begriff Elektromobilität, den seit mehr als 100 Jahren elektrisch betriebene Eisenbahnen, S-Bahnen, Stadtbahnen und Straßenbahnen für sich in Anspruch nehmen konnten, gekapert wurde, so soll es zukünftig bei E-Autos gleich um »die Mobilität als solche« gehen. Und zwar ausschließlich um erstens motorisierte Mobilität und zweitens um eine solche auf Straßen mit Pkw. Der deutsche Wirtschaftsminister Peter Altmaier führte anlässlich der Vorstellung der »Nationalen Plattform Zukunft der Mobilität« aus: »Deutschland muss auch im nächsten Jahrzehnt die Zukunft der Mobilität mitgestalten, wenn nicht anführen. Batteriezellfertigung und autonomes Fahren sind hier zentral. Entscheidend wird sein, dass wir Innovationen in Deutschland nicht nur entwickeln. Wir müssen sie – im wahrsten Sinne des Wortes – auch hier auf die Straße bringen!«1

Angesichts einer solchen Grundstimmung wirken kritische Einwände wie aus einer vergangenen Dino-Welt. So meldete sich im Januar 2019 Volker Schmidt, der Niedersachsenmetall-Hauptgeschäftsführer und Vertreter des niedersächsischen Metall-Unternehmerverbandes, zu Wort. Die EU versuche, »Elektromobilität mit der Brechstange einzuführen«, meinte er. Dabei sei »Elektromobilität äußerst CO₂-intensiv«. Im Übrigen sei zu bedenken: »Wenn wirklich im prognostizierten Umfang E-Autos gekauft werden, steigt der Stromverbrauch bei uns exorbitant an. […] Diese Rechnung macht bei uns interessanterweise niemand auf. Dann kann es passieren, dass wir unser Ziel von 50 Prozent erneuerbarer Energie bis 2030 erst gar nicht erreichen und stattdessen mehr Kohle- oder importierten Atomstrom benötigen. Die Einführung der E-Mobilität ist vorne und hinten nicht zu Ende gedacht.«2 Es sieht gerade Anfang 2019 stark danach, dass dieses Ziel bei weitem verfehlt wird. Denn fast zur gleichen Zeit war in deutschen Medien zu lesen, wie dramatisch die deutsche Energiewende im Jahr 2018 ausgebremst wurde. So hieß es in der ökologisch engagierten Tageszeitung taz im Januar 2019: »Das Arbeitspferd der Energiewende lahmt: 2018 hat sich der Windkraftausbau mehr als halbiert. […] Mit dem absehbaren Szenario dürfte die Energiewende, deren wichtigste Säule die Windkraft ist, in den kommenden Jahren heftig ins Stocken geraten. Ein Ausgleich für die Windflaute ist kaum möglich. Den Zuwachs für die Photovoltaik hat die Bundesregierung klar begrenzt.« Wobei es dann noch heißt: »Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) gilt als Bremser der Erneuerbaren«.3 Das ist derselbe Mann, der die Elektro-Pkw-Offensive betreibt. Schließlich kommt der Strom aus der Steckdose. Oder eben aus der Ladesäule.

Volker Schmidt, der ohne Zweifel die Interessen von VW vertritt, genauer, der die alte VW-Strategie vertritt und der die gewaltigen Investitionen von VW in die Fertigung von Elektro-Pkw noch nicht verinnerlicht hat (siehe Kapitel 3), verwies beim Stichwort »CO₂-intensive Elektromobilität« auf die Studie des Swedish Environmental Research Institute mit dem Titel »The Life Cycle Energy Consumption and Greenhouse Gas Emissions from Lithium-Ion Batteries«, auf die wir auch noch genauer eingehen werden (siehe Kapitel 6).4 Umgehend erhob sich ein Chor von Gegenstimmen. So wurde – beispielsweise in der österreichischen Tageszeitung Der Standard – betont, es handle sich da ja gar nicht um eine »echte Studie«; der knapp 50-seitige Text biete »nur einen Überblick über die Ergebnisse vorhandener Studien über den aktuellen Stand der Technik«.5 Als ob eine Studie, die eine größere Anzahl von Studien miteinander vergleicht und die auf dieser Basis zu dem verheerenden Ergebnis einer »CO₂-intensiven Elektromobilität« kommt, nicht ernst zu nehmen wäre. Als »Entlastung« wird dann in deutschen Medien und im zitierten Standard eine neue Studie der Forschungsstelle für Energiewirtschaft (FfE) in München angeführt, die die Feststellungen in der schwedischen Studie relativiert. Nicht erwähnt wird, dass die Münchner Forschungsstelle vor allem die Interessen der deutschen Energiewirtschaft – also die der Stromproduzenten – vertritt. Aldi Süd gab sich jüngst als Kofinanzier der FfE aus. Diese Lebensmittelhandelskette informierte uns über ihr Engagement für Elektromobilität wie folgt: »Für die Stadt ist so ein Elektroauto ja praktisch. Freunde besuchen und zur Arbeit fahren. […] Abends noch schnell in den Biergarten (natürlich auf ein alkoholfreies Bierchen). Alles kein Problem mit einem umweltfreundlichen E-Auto. In Städten und als Zweitauto hat sich das Elektroauto schon oft bewährt. Etwas verzwickter wird es, wenn das E-Auto für längere Fahrten genutzt wird […] Die Praxis-Reichweite von Elektroautos liegt aktuell bei gut 200 Kilometern. [… ] Gut, dass ALDI SÜD sich auch hierzu Gedanken gemacht hat. Im Sommer 2018 erhalten 28 weitere ALDI SÜD Filialen eine Schnellladestation. Das Besondere daran: Diese liegen im Abstand von maximal 160 Kilometern. Sie sind über das ganze ALDI SÜD Gebiet verteilt und ganz nah an den wichtigsten Autobahnen.«6

Derzeit erleben wir den dritten Anlauf zur Durchsetzung des Elektro­autos. Einen ersten gab es Anfang des 20. Jahrhunderts. Als Henry Ford mit der Massenproduktion von Autos mit Verbrennungsmotoren startete, hatte die Mehrzahl der im Verkehr befindlichen Automobile einen Elektroantrieb (siehe Kapitel 8). Weitgehend in Vergessenheit geraten ist der zweite Anlauf Anfang der 1990er-Jahre. Tatsächlich gab es vor drei Jahrzehnten ähnliche Debatten über das Elektroauto wie heute. Damals wurden auch bereits vergleichbare kritische Stimmen laut wie diejenigen, die heute vorgetragen werden. Die Umweltbehörde, die damals konkrete gesetzliche Vorgaben für Elektro-Pkw entwickelte, trägt den Namen California Air Ressources Board (CARB). Es handelt sich um dieselbe Behörde, die 2015 maßgeblich dazu beitrug, dass die Kampagne der deutschen Autokonzerne »Clean Diesel« sich zu einem VW-Skandal und zu Dieselgate entwickelte. 1991 wurde von CARB für Kalifornien festgelegt: Zwei Prozent aller dort neu zugelassenen Pkw und leichten Nutzfahrzeuge müssten ab dem Jahr 1997 einen Elektro­antrieb haben. Bis 2003 müsste dieser Anteil bei 10 Prozent liegen.7 Letzteres ist der Anteil, der in China seit dem 1. Januar 2019 gilt. In Europa gab es einen »Solar- und Elektromobil-Salon«, der mehrmals stattfand, das dritte Mal beispielsweise im März 1991 in Basel. Auf dieser – nach Selbstdarstellung – »weltweit einzigen Informations- und Verkaufsmesse« für Solar- und Elektromobile wurden bereits 1991 u.a. »zehn typengeprüfte, im gewerblichen Raum gefertigte Elektromobile« vorgestellt, die »über gut ausgebaute Händlernetze landesweit [= Schweiz-weit; W.W.] vertrieben und teilweise exportiert« wurden.8 Damals ging man fest von einem großangelegten Einstieg der führenden Autokonzerne in den Bau von Elektroautos aus. In dem zitierten Bericht der Neuen Züricher Zeitung (NZZ) heißt es diesbezüglich: »Vor dem Hintergrund, dass mehrere Autokonzerne für die zweite Hälfte des Jahrzehnts [der 1990er-Jahre; W.W.] die Serienfabrikation von Elektroautos angekündigt haben, sieht beispielsweise Max Horlacher, wohl erfahrenster Konstrukteur in der Schweiz, Erfolgschancen eher in den Bereichen Prototypen und Komponentenbau.«

Es gab damals auch in dem soeben wiedervereinigten Deutschland konkrete Modelle von Elektrofahrzeugen, die sich im Einsatz befanden. In Bonn wurden im März 1991 von dem damaligen Bundesforschungsminister Riesenhuber zwei VW-Jetta-Modelle mit Elektromotor vorgestellt. Dazu hieß es in einem Bericht: »Anstatt mit Bleibatterien werden sie [die VW Jetta; W.W.] mit einer Natrium-Schwefel-Hochenergiebatterie betrieben. Seit 1973 bastelt die Firma Asea Brown Boveri (ABB) an der komplizierten Technik; jetzt ist sie serienreif. Die besonderen Vorteile der Batterien beruhen auf ihrem geringen Platzbedarf und ihrem niedrigen Gewicht.« Als Reichweite der Pkw wurden erstaunliche 150 Kilometer – »bei vorsichtiger Fahrweise sogar 200 Kilometer« – angegeben.9 Der CDU-Staatsminister für Landesentwicklung und Umweltfragen in Bayern, Peter Gauweiler, präsentierte zum selben Zeitpunkt »zwei umweltfreundliche Elektromobile von BMW und Audi«, die zum »Minister-eigenen Fuhrpark« zählten.10 In Dänemark verkehrten zum selben Zeitpunkt allein vom Elektro-Pkw-Modell »Mini-el City« mehr als 1500 Fahrzeuge. In der Schweiz wurden in wenigen Wochen im Jahr 1991 700 Citymobile dieses Typs verkauft. Es handelte sich, so damals das deutsche Blatt Wirtschaftswoche, um »das mittlerweile erfolgreichste Elektroauto Europas«. Es wurde »über die Vertragshändler renommierter Automarken vertrieben« – was, so der Bericht, zu einem Problem wurde.11

Sperrung der Innenstädte für Diesel-Pkw? Nein, eine Sperrung der Innenstadt für alle herkömmlichen Pkw wurde debattiert: Just so erfolgt 1991 in München – gewissermaßen eine Neuauflage zu den Pkw-Fahrverboten, die 1973 in Westdeutschland im Zusammenhang mit der Ölkrise und den »autofreien Sonntagen« debattiert wurden (siehe Kapitel 3). Bereits 1991 sollten es Elektro-Pkw sein, mit denen der größte Teil der motorisierten Mobilität bewältigt werden sollte. Aus einem Bericht: »Schon in zwei bis drei Jahren soll die mit giftigen Autoabgasen verpestete Altstadt [von München; W.W.] für Kraftfahrzeuge mit den herkömmlichen Verbrennungsmotoren dichtgemacht werden. Mit dieser einschneidenden Forderung will Umweltschutzreferent Rüdiger Schweikl den Stadtrat noch vor der Sommerpause [1991; W.W.] konfrontieren. […] Gestern stellte das Umweltschutzreferat zum Abschluss einer einjährigen Testreihe ein gutes Dutzend abgasfreier Autos auf der Theresienwiese vor.«12

Und zur gleichen Zeit – es sei wiederholt: vor mehr als einem Vierteljahrhundert – gab es bereits die Kritik an den Elektro-Pkw-Visionen, wie sie auch heute vorzufinden ist. Nach einem vierjährigen, aufwendigen Test mit Elektro-Pkw auf der Insel Rügen in den Jahren 1992 bis 1996 – beteiligt waren 60 Fahrzeuge, davon 36 Pkw von VW, Opel, BMW und Daimler-Benz; die Kosten betrugen 60 Millionen Mark – lauteten die Ergebnisse, verfasst vom Institut für Energie- und Umweltforschung (IFEU) in Heidelberg, das wiederum bei seiner Forschungsarbeit vom Bundesforschungsministerium beauftragt worden war, wie folgt: »Die Bilanz fällt […] nur im lokalen Bereich positiv aus. Da E-Mobile keinen Auspuff haben, werden weder Menschen noch Gebäude durch direkte Schadstoffeinwirkung beeinträchtigt. […] Zwiespältig ist hingegen die Situation bei der regionalen Schadstoffbelastung. Beim derzeitigen Energiemix der Kraftwerke, aus denen der Batteriestrom der E-Mobile stammt, tragen diese zwar weniger als konventionelle Autos zum Sommersmog und zur Stickstoffbelastung der Böden bei. Aber stärker zum Sauren Regen. Eindeutig negativ ist die Bewertung beim Thema Klima. Elektroautos verbrauchen pro Kilometer zwischen 50 Prozent (Vielfahrer) und 400 Prozent mehr Primärenergie als vergleichbare Autos mit Verbrennungsmotoren. Der Ausstoß des Treibhausgases CO₂ liegt auch im günstigsten Fall deutlich über dem der Konkurrenz, da über zwei Drittel des Stroms aus fossilen Kraftwerken stammen.« Es handelte sich dabei keineswegs um eine Einzelwertung eines spezifischen Instituts. Im selben Bericht heißt es: »Das Umweltbundesamt (UBA) in Berlin sieht sich in seiner Ablehnung der Elektroauto-Strategie bestätigt.«13

Wenn es diese Wiederholung in Sachen Elektromobilität gibt, was hat sich also geändert, dass dieses Thema seit wenigen Jahren neu auf die Tagesordnung der Wirtschafts- und Verkehrspolitik gelangte – und dass nunmehr die Mobilität mit Elektroautos massiv umgesetzt wird? Es gibt dafür im Wesentlichen drei Gründe: Erstens hat sich die Klimakrise neu zugespitzt. Die Klimakonferenzen in Paris und in Katowice sind hier Meilensteine. Zweitens gibt es die tiefe Glaubwürdigkeitskrise der Autokonzerne, wofür der Begriff Dieselgate steht. Und drittens gibt es seit wenigen Jahren eine spezifische Wirtschaftspolitik der Volksrepublik China zur Durchsetzung der Elektromobilität, hinter der kaum Klimapolitik, sondern primär eine Industriepolitik zur Durchsetzung der chinesischen Autoindustrie auf dem Weltmarkt steckt (siehe Kapitel 5).

Doch auch in Europa geht es nicht um Klimapolitik, wenn die Elektro­mobilität gepuscht wird. Dies sei an zwei einigermaßen praktischen Beispielen verdeutlicht. Ein Elektro-Pkw emittiert auch bei optimistischer Annahme und den gesamten Lebenszyklus berücksichtigend maximal 30 Prozent weniger CO₂ als ein herkömmlicher Pkw. Würde man in Deutschland ein Tempolimit einführen und EU-weit deutlich niedrigere Tempolimits als die bestehenden (beispielsweise Tempo 100 auf Autobahnen wie in den USA und Tempo 80 auf Landstraßen und Bundesstraßen) umsetzen, dann könnte man weitgehend ähnliche CO-2-Einsparungen erzielen.14 Vergleichbares gilt, wenn man Auflagen für den Bau von Pkw beschließen würde, die das Gewicht der Pkw begrenzen (und höhere Gewichte bzw. besonders PS-starke Motoren massiv mit Steuern belegen würden), also den Trend zu großen Pkw und vor allem den zu den SUVs ausbremsen würden. Dabei müsste dann auch der Luftwiderstand bei Pkw als ein wichtiger Faktor für den Energieverbrauch Berücksichtigung finden. Genauer: Dieser Faktor müsste neu entdeckt werden. Früher warben Autohersteller mit einem niedrigen Luftwiderstand.15 Es wurde in den Werbebroschüren für Pkw auch erklärt, wie wichtig der »cw-Wert« für den Kraftstoffverbrauch und für die Klimabilanz eines Autos sei. Inzwischen wird das Thema ausgeblendet; ja, die Hersteller verschweigen, wie die Autofachpresse kritisch vermerkt, bewusst den Luftwiderstandswert eines jeweiligen Modells.16 Sie tun dies, weil sie Pkw bauen können, deren Luftwiderstand dem eines Billy-Regals von Ikea entspricht. Und weil die Kraftstoffpreise (relativ zu den Einkommen der jeweiligen Pkw-Besitzer) so niedrig und die Kosten für die Pkw-Nutzung (beispielsweise im Fall von Geschäftswagen, die bei den Neuzulassungen in Deutschland und Österreich dominieren) so tief liegen, dass der hohe und teilweise sogar steigende Kraftstoffverbrauch – und damit die Klimabelastung – im Geldbeutel kaum eine Rolle spielen. Im Sommer 2018 konnte man im Blatt Auto Bild – das Woche um Woche mit einer Auflage von mehreren Hunderttausend Exemplaren erscheint – lesen: »Wie relevant der Luftwiderstand in der Praxis ist, bewies Autobild vor vier Jahren. Bei einem Autobahntest mit Durchschnittstempo 130 verbrauchte ein VW Golf 2.0 TDI 7,5 l/100 km, ein gleich motorisierter [VW-]Tiguan 9,9 l. Differenz 32 Prozent.« Allgemein heißt es zu dem Thema in dem Blatt unter Verweis auf wissenschaftliche Studien: »Der aerodynamische Widerstand steigt im Quadrat zur Geschwindigkeit. Mehr Widerstand bedeutet mehr Verbrauch und weniger Geschwindigkeit. […] Thomas Indinger vom Lehrstuhl für Aerodynamik und Strömungstechnik an der TU -München sagt: ›Ab 60 km/h ist die Aerodynamik der dominierende Fahrwiderstand und hat somit den höchsten Einfluss auf den Kraftstoffverbrauch‹.«17

Die Unterschiede sind gewaltig. Während die aktuelle Mercedes A-Klasse oder der Opel Calibra einen – für die heutigen Verhältnisse – niedrigen Wert für den Luftwiderstand haben (0,48 und 0,49), liegen die meisten Mittelklassewagen (z.B. Ford Focus, Audi A8, VW Golf Variant, Hyundai i20) aktuell bei einem Luftwiderstandswert von über 0,60. Das ist bereits das Doppelte des weiter oben zitierten Werts des Audi A100 mit Baujahr 1982. Die meisten SUVs haben nochmals deutlich höhere Luftwiderstandswerte: Zum Beispiel der VW Tiguan Allspace (0,84), der Audi Q8 (0,91), der Volvo XC90 (0,92) und – als Spitzenreiter – der Porsche Cayenne (0,96). Die Bilanz in Auto Bild: »Bei den zusammengetragenen Aerodynamikdaten zeigt sich, dass auf den hinteren Plätzen ausnahmslos SUVs mit ihren hohen Stirnflächen liegen.«

Was heute kaum vorstellbar ist, geschah 1991. Damals war es die IG Metall, die eine grundsätzliche Debatte zum Thema Verkehrspolitik und Alternativen zur vorherrschenden Struktur von Mobilität und Transport führte. Am 9. und 10. November 1991 gab es in Frankfurt am Main eine »Gemeinsame verkehrspolitische Konferenz der Industriegewerkschaft Metall und des Deutschen Naturschutzringes«. Auf dieser Konferenz hielt der Verkehrswissenschaftler und Biochemiker – heute würde man auch sagen: der Querdenker – Frederik Vester das Hauptreferat. Die einleitenden Sätze, gesprochen vor mehr als einem Vierteljahrhundert, sind brandaktuell: »Die Umweltsituation auf unserem Planeten ist für die Menschheit zu einer Überlebensfrage geworden. […] Was uns bevorsteht sind möglicherweise verheerende Dürren wie Überschwemmungen, Klimakatastrophen durch den Anstieg von CO₂, sich akkumulierende Gifte und radioaktive Verseuchung in der Luft, Wasser und Boden. […] Die Grenze der Belastbarkeit unserer Erde ist bereits in mehreren, für die menschliche Existenz wichtigen Bereichen erreicht.« Vester entwickelte in seinem Referat eine Reihe eher immanenter, technischer Reformvorschläge. Er relativierte damals bereits die Behauptungen, Elektroautos könnten eine umfassende Perspektive bieten.18

Vester beendet seinen Vortrag mit der folgenden entscheidende Passage: »In einer 1989 erschienenen Dissertation kommt der Schweizer Verkehrsspezialist Eugen Meier zu dem klaren Schluss, dass eine Verkehrsinvestition grundsätzlich neuen Verkehr verursacht. […] Denn das Verhalten der Menschen orientiert sich […] am Angebot und kompensiert dann die erreichten Effekte. Anders als sonst in der Wirtschaft, wo die Nachfrage das Angebot regelt, regelt auch hier wieder das Angebot die Nachfrage. Werden mehr Wege angeboten, nimmt sie der Mensch an. Er hält sich sogar länger und öfters im Verkehr auf, sein übriges Zeitbudget schmilzt, die erhöhte Mobilität geht auf Kosten des sonstigen Handlungsspieltraums.«

Mit der Elektromobilität werden neue Fahrzeuge und neue Straßen auf den Verkehrsmarkt kommen. Das Angebot wird erhöht. Es wird neuer Verkehr – und zwar Straßenverkehr – induziert. Die Klimabelastung wird in der Summe deutlich steigen. Entscheidend ist – gleich wie der Antriebsstrang beschaffen ist, unabhängig davon, ob es Verbrenner oder Elektroautos sind –, dass Verkehr und Transportleistungen reduziert und verbleibender Verkehr auf die Füße, auf Fahrräder und auf öffentliche Verkehrsmittel verlagert werden. Das wird nur möglich sein, wenn die Macht der Autokonzerne erkannt und gebrochen und wenn jedes Greenwashing von individueller Elektromobilität als Augenwischerei erkannt wird.

1. Presseerklärung der Bundesregierung vom 19. September 2018, siehe: https://www.bmvi.de/SharedDocs/DE/Pressemitteilungen/2018/073-nationale-plattform-zukunft-mobilitaet.html [aufgerufen am 3.2.2019]

2. Interview in der Neuen Osnabrücker Zeitung vom 28. Januar 2019.

3. Joshua Kasberg und Manfred Kriener, Das Horrorjahr 2020, in: taz vom 29. Januar 2019.

4. Die schwedische Abkürzung für das genannte Institut lautet IVL; weiter unten wird auf die Studie nochmals genauer eingegangen; siehe: https://www.ivl.se/download/18.5922281715bdaebede9559/1496046218976/C243+The+life+cycle+energy+consumption+and+CO2+emissions+from+lithium+ion+batteries+.pdf [zuletzt aufgerufen am 4.2.2019]

5. Der Standard vom 4. Februar 2019. Interessant ist da, dass der (namentlich nicht gezeichnete, also redaktionelle) Aufmacher auf Seite 1 die Überschrift trägt »Ökobilanz von Elektroautos besser als gedacht«. Auf Seite 9 gibt es dann einen Artikel mit der einigermaßen anders gewichtenden Überschrift »Supersauber sind E-Autos auch nicht«. Verfasserin ist Regina Bruckner.

6. Pressemitteilung ALDI Süd vom 9.8.2018; hervorgehoben von W.W. Siehe: https://blog.aldi-sued.de/elektrotankstellen-aldi-sued/ [abgerufen am 4.2.2019].

7. U.a. nach: Peter Klinkenberg, »Der schöne Traum vom abgasfreien Auto«, in: Frankfurter Rundschau vom 18. Mai 1991.

8. Neue Zürcher Zeitung vom 22. März 1991.

9. Jürgen Sussenburger, »Ohne Geräusch und Abgase durch Bonns Innenstadt fahren«, in: Frankfurter Rundschau vom 21. März 1991.

10. Gastkommentar von Peter Gauweiler, in: Welt am Sonntag vom 9. Juni 1991.

11. »Den renommierten Automarken ist das Nebengeschäft ihrer Händler ein Dorn im Auge. ›Dieses Auto passt nicht in unsere Philosophie‹, erklärt etwa Ruedy Hess, Sprecher von BMW Schweiz, ›der BMW-Fahrer hat andere Ansprüche‹. Auch Mercedes und Nissan verboten ihren Händlern das Geschäft, der Opel-Importeur kündigte einen ähnlichen Schritt an.« Nach: Wirtschaftswoche vom 7. Juni 1991.

12. Otto Fischer, »Der Verkehrsstrom soll nur noch elektrisch fließen«, in: Süddeutsche Zeitung vom 4. April 1991.

13. Joachim Wille, »Elektroautos sind keine Patentlösung für die Umwelt«, in: Frankfurter Rundschau vom 10. Februar 1997. Eine ähnliche Bilanz zog damals der TÜV Rheinland. Siehe: »Nach Berechnungen des TÜV Rheinland: Elektroautos erhöhen die Luftverschmutzung«, in: Süddeutsche Zeitung vom 30. Juli 1991.

14. In den USA gilt außerhalb von Ortschaften eine Geschwindigkeitsbegrenzung von 55-65 mph, was 88-105 km/h entspricht. Die Geschwindigkeit auf einigen Interstates (ähnlich wie die deutschen Autobahnen, nur häufig mit noch mehr Spuren) beträgt 70 bis maximal 75 mph, das entspricht 112-120 km/h. Diese deutlich unter dem EU-Niveau liegenden Geschwindigkeitsbegrenzungen werden in der Regel mit der damit bewirkten reduzierten Zahl von Unfällen und Straßenverkehrstoten bzw. Verletzten, mit niedrigeren Schadstoffemissionen und mit einer Verflüssigung des Verkehrs begründet.

15. 1982 wurde der neue Audi 100 in der Audi-PR mit der Schlagzeile beworben: »Seit wir das aerodynamisch beste Serienauto der Welt bauen, können Sie auch mit komfortablen Limousinen wieder rechnen.« Das Fahrzeug hatte einen Wert für Aerodynamik (»cw-Wert«) von 0,30. Heute wirbt z.B. Skoda für das Modell Kodiaq mit dem Slogan: »Gönnen Sie Ihren Verfolgern ein wenig Windschatten«. Gemeint ist, dass dieser Pkw einen hohen Luftwiderstand hat. Der Luftwiderstand »setzt sich aus mehreren Faktoren zusammen: Der Luftwiderstandsbeiwert (cw) sagt aus, wie windschnittig eine Fahrzeugform ist. Hinzu kommt die Stirnfläche (A). Sie kann man sich als Schatten eines von vorn angestrahlten Autos vorstellen. Der Luftwiderstandsbeiwert multipliziert mit der Stirnfläche ergibt den Luftwiderstand (cw mal A). Je geringer dieser Wert ist, desto weniger Kraft muss der Motor zum Fahren aufbringen.« Auto Bild vom 2. August 2018.

16. Das Blatt Auto Bild befragte im August 2018 mehrere Autohersteller nach den cw-Werten einzelner Modelle und dokumentierte deren Antworten. Die Mehrzahl der Hersteller hielt sich bedeckt. Einige verweigerten explizit eine Aussage. Volvo beispielsweise teilte mit: »Wir konnten noch nie eine ausgeprägte Nachfrage von Kunden zum Thema Aerodynamik feststellen«. Deshalb werde dieser Aspekt »nicht sonderlich betont«. Auto Bild vom 2. August 2018.

17. Matthias Moetsch, Der verschenkte Fortschritt, in: Auto Bild vom 2. August 2018.

18. Referat Frederic Vester, »Anforderungen an zukünftige Fahrzeuge: Pkw, Fahrrad, Lkw, Busse und Bahn«, Frankfurt im November 1990, (Zitate auf Seiten 13 und 15 des Manuskripts). Zur Deutschen Bundesbahn – das war noch vier Jahre vor der »Bahnreform« mit der Bildung der Deutschen Bahn AG – sagte er: »Der Trend bei der Bundesbahn mit der von ihr herausgegebenen Parole ›Schiene statt Straße‹ weckt allerdings falsche Hoffnungen. Denn […] die Entwicklung bei der Bundesbahn ging genau umgekehrt. […] Sie selbst betreibt die zunehmende Verlagerung des Personen- und Güterverkehrs auf die Straße und ist längst zum größten Busunternehmer und Lkw-Spediteur der Bundesrepublik geworden.«