gedächtnis

vergessen

künstlerinich

ich

wollte bauarbeiter werden

schreiner werden

musiker und

schriftstellerin

ich

wollte zeichnen bauen schnitzen sägen planen

schreiben erfinden

komponieren musizieren

und

herumlaufen herumstehen betrachten

immer

jeden tag

jeden tag tätig sein

täglich leidenschaftschaftlich konzentriert

mit den händen denken

spielend arbeiten

und vor allem

selbst und

allein

ich

wollte künstler werden

Picasso werden

Munch Goya Michelangelo

unendliche säulen wie Brancusi machen

tiere wie Franz Marc

engel wie Klee

künstler sein

unbedingt

absolut

frei

wie ein mann leben

aber aber

nie mann sein

ich

wollte frau sein

und und und

wie ein mann leben

wie ein mann arbeiten

niemals niemandem dienen

nie nie nie

gattin mutter muse freundin partnerin

werden wollen sein

nie

niemals

nie

ich

wurde künstlerin

und die ganze welt wie sie sich darstellt

zuerst lernen

dann vergessen

ich wurde künstlerin

lernte alles

vergass alles

alles alles alles

den begriff kunst

das künstlerbild

und sämtliche gestaltungs- und technikprinzipien

künstlerin sein

ist das grosse privileg

alle und alles zu vergessen

die arbeit kunst neu zu erfinden

ich

lerne indem ich vergesse

ich

arbeite laufend

und vergesse laufend was ich tue

jeden tag von vorne beginnen

sisyphusähnlich

aber aber aber

ohne dieses männlichklassische leiden

sondern neugierig

neu gierig schnell konzentriert

mein leben retten im alltag

jeden tag erfinden

damit jede arbeit gleichwertig sei

gleich gleich gleich

bei mir sieht man nichts

meine arbeit ist

weg

weggeräumt versorgt geordnet nicht sichtbar

bei mir hängen keine eigenen bilder

wozu auch

ist getane arbeit

weggeordnet und versorgt

niemals jedoch

nie nie nie

wirklich nie

niemals

fortgeworfen und entsorgt

die kleinste zeichnung sei gleichwertig wie die grösste

raumarbeit!

das ölbild wie das aquarell!

der film wie das video!

schreiben wie fotografieren wie schnitzen wie singen!

keine selektion!

wozu auch

dieses finale

scheinbar geniale

einzelwerk

das den künstler

gottähnlich weit

über den alltagsmenschen stellt

wozu auch

besser und schlechter

in der arbeit kunst ist alles gut

oder alles schlecht

alles alles macht sinn

wenn alles keinen zweck hat

ist sinnvoll

und zwecklos

ist unbrauchbar

und ohne verwendung

muss wirklich

immer

unbedingt

frei

sein

routine aber

ist der tod meines arbeitens

routine!

nicht zu verwechseln mit können

können wie das üben eines instrumentes

jeden tag

das ganze leben

üben

wissen und können

immer immer neu üben

körperliches intellektuelles geistiges einüben

mit den augen sehen

mit den händen denken

mit den armen und beinen und füssen laufen

mein hirn ist mein körper

alles ist darin gespeichert

alles alles alles

die ganze welt

mein ganzes leben

ein grosser fluss

dessen wasser heute

breit und langsam

seinem ende zufliesst

so arbeite ich.

miriam cahn 15.9.2013

miriam cahn

cité des arts

18 rue de l’Hôtel de Ville

cedex 04 75 180 Paris/France

Basel, den 30. Dezember 78

Lieber Herr Morgenthaler,1

schon seit einer Weile beschäftigt mich der Gedanke, dass ich sehr gerne Zeichnen unterrichten würde. Ausgehend davon, dass ich Ihre Gewerbeschule sehr genau kenne, und mich immer mehr mit dem Zeichnen auseinandersetze, möchte ich einen Kurs aufbauen, der sich bezieht auf das Zeichnen an der Gewerbeschule, welches sich grundsätzlich auf Würfel, Ellipse etc. bezieht.

Aufgrund meiner eigenen Erfahrungen und meiner allmählichen Loslösung dieser «akademischen» Zeichenweise möchte ich Ihnen einen Kurs anbieten, der sich als Gegenbewegung versteht zum Zeichnen an Ihrer Schule: als Gegenpol zu diesem ganz logisch-intellektuellen Abzeichnen und Umsetzen der Gegenstände, Menschen und Räume, Abzeichnen im Sinne von möglichst genauer Wiedergabe, genormt, weil die Persönlichkeit des Zeichners zurücksteht zugunsten einer sogenannt objektiven Wiedergabe des Gezeichneten.

Ich möchte behaupten: die Persönlichkeit des Zeichners kommt dabei zu kurz. Betrachtet man die Zeichnungsprodukte aus Ihrer Schule, so merkt man nur minimale Unterschiede zwischen den Zeichnungen: der persönliche Duktus fällt beinahe weg, als «beste» Zeichnungen bewertet werden diejenigen, die am «richtigsten» das Abzuzeichnende «erfassten», ohne zu hinterfragen, was eigentlich richtig und erfassen heissen könnte. Ich möchte einen Kurs machen, der die Schüler ermöglicht zu probieren, was für sie ganz persönlich heisst: was ist ein Würfel, eine Röhre, eine Frau, ein Mann, ein Kind (ein «Akt», oder eine «Figur» welch’ entpersönlichte, akademische Bezeichnungen!), ein Tier, Landschaften, Räume, Bewegungen etc. Wichtig erscheint mir dabei, die Beziehung zu zeigen zu dem, was man da zeichnet, eine persönliche Bedeutung zu legen in jedes gezeichnete Zeichen, und dies ernst zu nehmen, auch wenn es «bloss» Gekraxel ist und keine «fertige» Zeichnung.

Nun, wie wäre ein solcher Kurs aufgebaut? Ich gehe dabei von meinen eigenen Erfahrungen aus. Ich würde als erstes den RAUM lockern und ändern, in dem wir arbeiten würden. Z.Bsp. indem ich mit den Schülern zusammen die Bedeutung der Staffeleien, Böcke, Zeichenbretter, genormter Blätter, Stifte etc. erarbeiten würde, Versuche machen mit ihnen, das umzustellen, wegzustellen, und probieren würde, einen leeren Raum zu schaffen, wo wir versuchen würden, herauszufinden, ja, was fange ich an mit mir selber. Dies leitet hinüber zur Bedeutung des KÖRPERS, zur Körperhaltung beim Zeichnen, die den eigentlichen Duktus ausmacht. Ich könnte mir in diesem Stadium des Kurses vorstellen, dass wir etwa folgende Übungen machen würden: Zeichnen am Boden, Zeichnen an der Wand, Zeichnen in kleinen Gruppen, «blind»-zeichnen etc., um damit die «Kopf»-kontrolle abzubauen zugunsten einer eigenen, individuellen Bewegung. Ich könnte mir gut vorstellen, in diesem Stadium streng bloss Würfel zeichnen zu lassen, es ist erstaunlich, wie ein Würfel zu einem persönlichen Zeichen wird, wenn man ihn in einer ungewohnten Haltung oder blind zeichnet.

Die nächste Stufe wären dann DIE PERSÖNLICHEN ZEICHEN. In diesem Stadium wäre den Schülern überlassen, was sie wie darstellen wollen. Im Dialog würden wir herauszufinden versuchen, ja, was bedeuten für mich die Dinge und wie stelle ich sie dar? Die persönlichen Zeichen sind ja umfassend: von exakt auf glattes Papier mit hartem Bleistift gezeichneten bis zum weichen Schmieren auf grossen Flächen, von miniaturhaften Darstellen von Sachen bis zu unklaren schriftähnlichen Zeichen. Dies ist alles nicht zu beurteilen ausser vom Standpunkt her: hat der Schüler das GEWOLLT? Und woher kommen vielleicht die Normen, die ihn leiten? Denn Zeichnen ist eine ewige Auseinandersetzung zwischen den eingeübten, genormten ästhetischen Vorstellungen und den ganz persönlichen Zeichensprachen. Da die Gewerbeschule eine starre ästhetische Vorstellung vermittelt, wäre ein solcher «Gegenkurs» nur fördernd um eine neue Auseinandersetzung: was ist Aesthetik, und mir scheint, dass diese Auseinandersetzung, dieser Streit doch auch an den Ausbildungsstätten, vor allem an dieser, geschehen sollte.

Eigentlich ist mir völlig unklar, wo ich diesen Kurs einordnen könnte: im Vorkurs, Grafikfachklasse, bei den Künstlern, FFI,2 Zeichenlehrern, Bauzeichnern, Fotografen etc. Es ist eigentlich egal. Es ist ganz klar, dass dies ein Versuch ist, von dem ich auch nicht weiss, wie er herauskommt und ob ich es schaffe. Ich habe allerdings schon Erfahrungen gesammelt im Arbeiten mit Leuten: ich habe Zeichenunterricht an der Sekundar- und Realschule gegeben und habe eine Weile eine Malschule für Kinder und Erwachsene betrieben. Ich traue mir durchaus zu, mit Leuten zu arbeiten, nur kann ich kein Erfolgsrezept liefern: es käme auf einen Versuch draufan.

In diesem Sinne warte ich auf eine Antwort

herzliche Grüsse

Ihre Miriam Cahn

karte an birgit kempker

gerade erreichen mich Deine karten von gut + böse

mund + hunger + einem schönen gefühl

wie ich verreisen muss um zu lehren

3 monate nur

die schülerinnen und schüler lieben wie ich lehre

und doch ist es mir sehr unangenehm

wie sie mich anschauen

tage vorher bin ich schon in panik

hasse es

werde mir ihre namen nie merken können

möchte ihre arbeiten nie sehen müssen

ist mir egal was sie lernen

bei gott bin ich froh nicht davon leben zu müssen

wie manche meiner kolleginnen und kollegen

deren radikalität der einsamkeit dadurch aus ihren

knochen gesaugt wurde.

14.5.1994

Kommission für Künstlerateliers Paris

Fräulein Miriam Cahn

Cité Internationale des Arts

18, rue de l’Hôtel de Ville

F-75180 Paris Cedex 04

Basel, den 15. März 1979

Sehr geehrtes Fräulein Cahn,

wie uns die Verwaltung der Cité Internationale des Arts3 soeben mitteilt, müssen die frais généraux schon wieder den Lebenserhaltungskosten angepasst und von ff. 520.- pro Monat auf ff. 555.- pro Monat für eine Einzelperson ab 1. April 1979 erhöht werden.

Unser Gemeinwesen wird wie üblich etwa 80% dieser Unkosten übernehmen und der Verwaltung der Cité Internationale des Arts ab 1. April 1979 ff. 440.- pro Monat überweisen. Der von Ihnen zu entrichtende Restbetrag beläuft sich somit auf ff. 115.- pro Monat. Wir bitten Sie höflich um Kenntnisnahme und wünschen Ihnen weiterhin viel Erfolg in Paris.

Mit freundlichen Grüssen

KOMMISSION FUER KUENSTLERATELIERS PARIS

Die Sekretärin

S. Keller

Miriam Cahn

cité des arts

Paris/France

Frau Keller, Erziehungsdepartement Basel

Paris, den 6.Mai

Liebe Frau Keller,

ich schreibe Ihnen aufgrund unseres Gespräches im April über die Situation des Pariser Ateliers. Ich habe noch mit Herrn Stöcklin4 darüber geredet, und er ist mit der Lage auch nicht zufrieden und hat Ihnen schon einige Briefe dazu gesendet. Wir sollten ja ca. 20% der «frais généraux» zahlen und finden das beide nicht richtig, besonders nachdem wir ein paar Vergleiche gemacht haben mit der Situation von anderen Künstlern innerhalb der cité. Wir sind übereingekommen, einen Zahlungsstreik zu machen, Herr Stöcklin wird sein nächstes halbes Jahr nicht zahlen, und ich das ganze Jahr nicht.

Ich bin nicht bereit, diesen Beitrag zu zahlen, weil keine Rede von «Künstlerförderung» sein kann, wenn ich hier noch draufzahlen muss, wenn ich hier sein will, nach Ihrer Formulierung, hier sein «darf». Sie vergessen dabei, dass ich aufgrund meiner Arbeiten hier bin, und dass ich, wenn ich mich um das Atelier bewerbe, erst nachher erfahre, dass ich mich an den «frais généraux» beteiligen sollte, und sonst – nach Ihren Worten – verzichten müsste. Diese Beteiligung macht pro Jahr ca. pro Atelier Fr. 500.-, ein Betrag, der mir für die Stadt Basel durchaus tragbar scheint – wenn sie sich schon für unfähig betrachtet, den Künstlern den Aufenthalt hier zu zahlen.

In diesem Zusammenhang komme ich auf die Künstlerförderung der Stadt Basel generell zu sprechen. in Basel gibt es ja noch das Kunststipendium und den Kunstkredit, wobei dieser als indirekte Künstlerförderung zu betrachten ist. Dort muss man ja entweder Auftragskunst machen, was lange nicht mehr jedem liegt, oder man ist auf Ankäufe angewiesen, was bedingt, dass man an Weihnachtsausstellung und Kunstkreditausstellung, wenn diese ein einigermassen offenes Thema haben, mitmacht. Viele, die nicht in den gängigen Mitteln arbeiten, können da nur schwer mitmachen, da die Strukturen dieser Ausstellungen noch aus den Vorstellungen von einerseits Bildhauern mit plastischen Werken, andererseits Malern mit Bildern an den Wänden, stammen. So bleibt noch das Stipendium als direkte Förderung. Dessen grosser Fehler ist, dass es dem Stipendienamt angegliedert ist und dessen Reglement unterliegt. Dadurch kommt es zu einer totalen Undurchsichtigkeit: weder erfährt man öffentlich, wer Stipendien bekommt, noch warum, und ausserdem werden die Arbeiten nicht ausgestellt. Dann kommt hinzu, dass es eine ungute Mischung zwischen Wettbewerb (oder Kunstpreis) und sozialer Unterstützung ist, d.h. bei «unklaren» Fällen schaut man in die Steuer – was zum Zirkelschluss führt, dass die jobbenden Künstler (oder von Eltern, Frauen, Männern abhängigen) als Leute mit genug «Einkommen» eingestuft werden, dabei geben sie doch ein, um eben von diesen Abhängigkeiten wegzukommen, damit sie in Ruhe arbeiten können!

Für die Grösse einer Stadt wie Basel sind ausserdem Fr. 80’000.-pro Jahr viel zu wenig, wenn man bedenkt, dass sich jedesmal etwa 100 Künstler bewerben, darunter eben die zwei Pariser-Atelier-Leute mit ihrem Anspruch auf Minimum Fr. 10’000.-.

Dass diese Zwei sich noch zu den anderen hin beim Stipendium bewerben müssen, finde ich ganz grundsätzlich falsch – die Stadt sollte automatisch mit dem Vergeben der Ateliers eine Unterstützung geben – und nicht, wie gehabt, dass wir noch zahlen müssen.

Dem Vergleich zu Aarau und Deutschland hält diese Regelung sowieso nicht stand. Die Stadt Basel bezeichnet sich ganz gerne in der Öffentlichkeit als Kunststadt – das Gegenteil ist der Fall, betrachtet man die direkte Kunstförderung. Im Fall Pariser Atelier wird deutlich, dass die Stadt zur Zeit des wirtschaftlichen Aufschwungs der 60er Jahre zwar bereit war, ein Atelier für Fr. 80’000.- zu kaufen (das andere der Kunstverein). Die Folgen wollte die Stadt nur minimal tragen: eine wirkliche Förderung würde heissen, die Künstler auch finanziell während der Dauer ihres Aufenthaltes in Paris zu unterstützen, und das wurde der Stadt zuviel – ich nehme an, aus der Einstellung heraus, es sei «verlorenes» Geld, d.h. eine Idee wird finanziert und nicht unbedingt ’was zum Vorweisen wie den Theaterneubau zum Beispiel.

Wenn das Erziehungsdepartement beim diesjährigen Zusammenstellen des Budgets für das Finanzdepartement etwas mehr Willen zur Künstlerförderung manifestieren will, so braucht es nur einen Posten von Fr. 20’000.- zum Pariser Atelier als selbstverständlich und sinnvoll zu erachten – und zu fordern. Dann könnte man davon reden, dass die Stadt Basel ihre Künstler fördert – oder zumindest einen Anfang dazu macht.

Zum Vergleich liefere ich Ihnen hier noch ein paar Beispiele, die ich hier in der cité zusammengesucht habe; sie mögen im Detail vielleicht nicht ganz stimmen, da ich sie aufgrund mündlicher Information zusammengestellt habe.

DEUTSCHLAND:

die Pariser Ateliers werden von den Städten und den Bundesländern getragen, wobei alle 2 Jahre das Bundesland wechselt. In diesem Falle: Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf.

1. Ein Künstler bekommt 6 Monate Paris, Atelier frei, + 1300 DM pro Monat + Fahrkosten + einmalige Materialkosten + Wohnungsmietezuschuss direkt vom Landes-Kultusministerium gezahlt.

2. Drei Künstler/innen bekommen 6 Monate Paris, Verlängerung möglich + 700 DM pro Monat, Atelier frei. Dasselbe gilt für New York, und beides ist für Akademiestudenten. Landeskulturministerium, Stadt und private Gelder.

3. ein Künstler bekommt ein Atelier in New York, 6 Monate, Atelier frei, 1’500 DM monatlich + Fahrkosten gezahlt von der Stadt Düsseldorf.

4. die Stadt Düsseldorf hat ausserdem einen Etat von ca. 10›000 DM pro Jahr für den Katalog, wenn man eine Ausstellung machen kann. Ausserdem finanziert sie eine Artothek mit Leasing für Grafiken.

5. das Deutsch-Französische Jugendwerk, Sitz in Bad Honnef. 4 Künstler bekommen 6 Monate in Paris + FFs 2’600.- + Fahrkosten + Kosten eines Kataloges.

6. Duisburg: 4 Künstler bekommen ein 2-Jahresstipendium, Atelier frei, 1’000 DM pro Monat + Zusammenarbeit mit der Industrie bei grösseren Arbeiten. Die Strukturen sind natürlich anders als bei uns, ich will aber damit demonstrieren, dass es innerhalb des Raumes Düsseldorf viel mehr Möglichkeiten für einen Künstler gibt als bei uns. AARGAU:

1. Paris: ein Künstler/in bekommt ein Atelier, dieses frei 3–6-Monate. Dazu ein Stipendium, wobei es darauf ankommt, in welche Kategorie er/sie kommt: Förderungskategorie: maximal Fr. 10’000.-

Werkjahrkategorie: maximal Fr. 20’000.- pro Mensch

2. Man kann noch per Antrag einen Werkbeitrag verlangen für ein Projekt.

3. Ankäufe, wobei die Jury z. Teil in die Ateliers kommt. Ausserdem bei allen diesen Sachen das Alter unbeschränkt.

Das jährliche Budget schwankt entsprechend des Gesamtbudgets des Kantons, da es einfach einen bestimmten Prozentsatz des Gesamtbudgets ausmacht. Das Fördern besorgt ein Kuratorium, eine eigens dafür eingesetzte Kommission.

So, das wär’s. Ich bitte sie, meine schlechten Schreibmaschinenkenntnisse sowie deren Zustand zu entschuldigen. eine Kopie des Briefes geht an die KULTURINITIATIVE BASEL,5 deren Mitglied ich auch bin.

KOMMISSION FUER KUENSTLERATELIERS PARIS

Basel, den 12. Juni 1979

Sehr geehrtes Fräulein Cahn,

auf Ihr Schreiben vom 6. Mai 1979 antworten wir Ihnen wie folgt:

Mit unseren Schreiben vom 9. Februar 1978 haben wir ihnen die Bedingungen genannt, zu denen Ihnen unsere Kommission ein Künstleratelier in der Cité Internationale des Arts zur Benützung überlassen konnte. Gleichzeitig haben wir Ihnen ein règlement général überlassen, das Sie über die mit dem Aufenthalt in der Cité Internationale des Arts verbundenen Verpflichtungen informiert. Mit den von uns genannten Bedingungen haben Sie sich ohne Vorbehalt einverstanden erklärt, indem Sie uns die zur Weiterleitung an das Eidg. Departement des Innern bestimmten Gesuchsformulare für eine Identitätskarte des Europarates unterschrieben zurückgeschickt haben.

Es war Ihnen von Anfang an bekannt, welchen Anteil Sie an die entstehenden allgemeinen Unkosten zu entrichten haben.

Das gleiche règlement mussten Sie beim Antritt Ihres Aufenthaltes in der Cité unterschreiben und damit bestätigen, dass Sie vom Inhalt des Reglements Kenntnis genommen haben, mit den darin enthaltenen Vorschriften einverstanden und bereit sind, diese einzuhalten.

Unter anderem wird in diesem Reglement festgehalten, dass die monatlich anfallenden allgemeinen Unkosten zu Beginn jeden Monats im Voraus zu bezahlen sind.

Die Verwaltung der Cité Internationale des Arts wird von uns regelmässig orientiert, welchen Betrag die Stadt Basel an den frais généraux leistet und welchen Betrag sie bei den Künstlern persönlich zu erheben hat. Es ist somit Sache der Verwaltung der Cité Internationale des Arts, den von Ihnen geschuldeten Betrag bei Ihnen einzuverlangen.

Wir werden jedoch die Cité-Verwaltung über die von Ihnen beschlossene Zahlungsverweigerung orientieren und es der Cité-Verwaltung anheimstellen, ob sie unter den gegebenen Umständen Ihren Ausschluss gemäss §13 des règlement général beschliesst.

mit vorzüglicher Hochachtung

Kommission für Künstlerateliers Paris

der Präsident: Peter Althaus6

die Sekretärin: S. Keller

Paris, 27. August 79

Meine Herren von der Kommission, liebe Frau Keller

was soll ich Ihnen schreiben? Schlussendlich habe ich meinen Zahlungsstreik aufgegeben, weil mir der Aufenthalt hier wichtiger war, als ein von vornherein aussichtsloser Machtkampf. Doch möchte ich nicht abgeschlossen haben, ohne eine kleine Analyse gemacht zu haben. Unser Streit ist meiner Meinung nach eines der vielen kleinen Beispiele, wie in der letzten Zeit das Verhältnis zwischen der Stadt Basel und ihren Künstlern funktioniert, resp. nicht funktioniert.

Mein erster Brief an Sie legte ausführlich die Gründe dar für meine Zahlungsverweigerung. Der Sinn davon war, einen Dialog herauszufordern, der sich schon seit Jahren im Kreis herumdreht: die Künstlerförderungen doch neu zu durchdenken und anders zu organisieren. Was ich Ihnen hier schrieb, war Ihnen ganz gewiss nicht neu; seit Jahren schon bekommen Sie Briefe die cité-Situation betreffend, und in Bezug auf die restliche Förderung in Basel sind in den letzten Jahren verschiedene Versuche von Gruppen und Einzelpersonen unternommen worden, mit dem Erziehungsdepartement in einen Dialog zu treten.

Nun hat mir der ganze weitere Verlauf unserer kleinen Geschichte einen der Gründe gezeigt von dieser seit Jahren dauernden Lähmung in den Gesprächen zwischen uns Künstlern und der Stadt. Es ist, wie ich schon vermutet hatte, ein vollständiges Nicht-Ernstnehmen der Künstler von Seiten des Staates – nur so lässt sich Ihr bürokratisch-aggressiver Antwortbrief erklären. Ein reiner Sanktionsbrief, unterschrieben von Ihrem Präsidenten, Peter Althaus. Was mich nun besonders ärgert, ist die Tatsache, dass mir derselbe Peter Althaus privat schrieb: «Ich kann bei der Stadt Euer Vorgehen verständnisvoll interpretieren, aber ich habe keinerlei Machtmittel.» Er hatte das Machtmittel, unter einen solchen unzumutbaren Brief seine Unterschrift zu verweigern und damit das Seine beizutragen und vielleicht sogar Diskussionen innerhalb der Kommission anzureissen – eine Diskussion zum Beispiel über das Verhältnis Atelier + Stipendium.

Ausserdem können Sie sich, meine Herren, die Frage stellen, inwieweit Sie Ihre Kompetenzen und Ihre Macht überhaupt gebrauchen – mein Eindruck ist, dass Sie schon seit Jahren nicht mehr gehandelt haben. Ihre Kommission wäre doch dazu da, die Interessen der Künstler gegenüber der Stadt zu vertreten, sich zu informieren, was wir für Forderungen haben, abzuchecken, wo Möglichkeiten liegen, und zu versuchen, möglichst viel im Interesse der Künstler durchzusetzen. Diese kleine Episode nun mit dem unüberlegt unterschriebenen Sanktionsbrief zeigt doch deutlich, dass Sie keinerlei Veränderung anstreben: wenn Sie nämlich so vorgehen (Sanktionen als einzige Reaktion auf ein schon seit Jahren vorgetragenes Begehren unsererseits), wie gehen Sie dann mit unseren anderen Interessen um?

Meine Herren, dieses Verhalten der Kommission nützt Niemandem ausser dem Erziehungsdepartement, das durch diese liberal scheinende Hinhaltetaktik sich den Aufwand spart, Lösungen in Bezug auf Künstlerförderung zu suchen – dem Finanzdepartement damit erspart, für dieselbe Summen freizuschaufeln – Sie sehen das Bild: ein allgemeines Sparen auf dem Rücken der Künstler.

Und damit ein Sich-Sparen überhaupt der Frage der Funktion der Kunst heute in unserer Stadt; damit der Gesellschaft.

Denn: eine gute Förderung hiesse, das Vertrauen zu Kunst und Künstler haben, dass, was von uns gemacht wird, auch wenn es unsere heutige Gesellschaft in Frage stellt, schlussendlich der Gesellschaft, dem Staat, der Stadt was bringt.

Mir stellt sich da allerdings allmählich die Frage, wenn ich unser Verhältnis so erlebe, ob ich einer solch blinden und tauben Gesellschaft, einem solchen Staat, einer solchen Stadt überhaupt was bringen kann und somit, was schulde?

Gruss, Miriam Cahn

P.S. Kopien an die Kulturinitiative und Peter Burri7

K. (oder B.) war künstler: wir redeten über kunst, welt, gefühle und liebten uns. am morgen frage ich ihn, ob er wiederkomme. er wusste nicht. ein paar tage später traf ich ihn zum essen mit freunden. beim abschied fragte ich ihn, ob er zu mir kommen wolle. er sagte: immer diese ansprüche, und ging in sein hotel. tage später traf ich ihn auf der strasse.

– er fühle sich verfolgt, er wolle heute nicht zu mir kommen. – ich weinte, er nahm mich in seine arme, ich schmiss ihm mein fahrrad vor die füsse. dann ging er in sein hotel. nach ein paar tagen gingen wir mit freunden essen und tanzen. K. (oder B.) begleitete mich zur brücke und küsste mich. ich fragte ihn, ob er mich überhaupt wolle? er wollte mich nicht. warum er mich dann küsse? – ich weinte, und er ging in sein hotel.

miriam cahn

Mörsbergerstr. 52

4057 Basel

an Herrn Regierungsrat Keller

Basel, den 21. März 80

lieber Herr Keller,

am 1. April werde ich vor Gericht erscheinen müssen. Der Grund ist eine Anklage auf Sachbeschädigung von Seiten des Baudepartementes Basel. Ich habe im Nov./Dez. letzten Jahres Zeichnungen in Kohle8 an die Pfeiler und Wände der Nordtangente im Bereich des Wiesenkreisels gemacht. Dies war eine für mich wichtige Arbeit, da ich extrem vergängliches Material, wie die Kohle, verbinden wollte mit extrem hartem, wohl auf Jahrtausende gebautem Material, dem Beton, und einer sehr entfremdeten Bauweise, der Autobahnarchitektur. Ich wollte mit dem Gegensatz: individuelles Zeichen – anonymes Bauwerk arbeiten.

Nun werde ich für diese meine Arbeit vom Baudepartement verklagt. Merkwürdigerweise wird ausgerechnet in diesem Bereich der Autobahn über den Kunstkredit ein Auftragswettbewerb an 7 Künstler ausgeschrieben, wobei 250’000.- Fr. aus dem Baukredit zur Verfügung stehen. Falls der Gerichtsentscheid am 1. April für mich ungünstig ausfällt, werde ich demselben Baudepartement eine hohe Summe zahlen müssen für Reinigungskosten wegen Entfernung meiner Kohlezeichnungen – die, wie sogar ein Polizeifoto zeigt, von selber verwittern und verschwinden werden, was von Anfang an bei dieser Arbeit meine Absicht war.

Herr Keller, ich frage Sie da, was ist Ihre Beziehung zur Kunst?

Einerseits werden Künstler gefördert, andrerseits nicht nur nicht in Ruhe gelassen, sondern sogar kriminalisiert – es ist in meinem Falle immerhin ein Strafverfahren. Es drängt sich mir damit der Verdacht auf, dass hier eine Art Staatskunst betrieben wird in dem Sinne, dass dekorative, erhaltende Kunst am Bau extrem gefördert wird besonders an Bauwerken, welche von grossen Teilen der betroffenen Bevölkerung abgelehnt werden wie die Heuwaage9 früher und die Nordtangente jetzt. Und dass experimentelles Arbeiten, das keinen Ewigkeitswert will und diesen Wert in Frage stellt, so wie ich es versuche zu machen, sanktioniert wird mit der Begründung «deliktische Handlung» …

Herr Keller, Sie klagen mich im Grunde genommen nicht ein, weil ich in einer Gegend, die vorläufig eine Riesenbaustelle ist, mit Kohle an die Wand gezeichnet habe (für Sie: «Sachschaden»), da müssten Sie, konsequenterweise, jedes Kind einklagen, das Kreidezeichnungen an die Wände macht – vom technischen Prozess her genau dasselbe wie meine Arbeiten. Sie klagen mich ein, weil ich meine Meinung mit meinen eigenen provisorischen Mitteln direkt an Ort gezeigt habe – in meinen Augen ein Grundrecht in jeder richtig funktionierenden Demokratie.

ich erwarte eine Antwort und grüsse Sie einstweilen miriam cahn

P.S. Ich lege Ihnen noch ein Interview aus der BAZ bei, das meine Arbeit eingehender erklärt.

REGIERUNGSRAT

DIPL.-ING. ETH

Eugen Keller

VORSTEHER DES BAUPEPARTEMENTS

KANTON BASEL-STADT

Fräulein

Miriam Cahn

Mörsbergerstraße 52

4057 Basel

Basel, den 9. April 1980

Sehr geehrtes Fräulein Cahn

ich komme zurück auf Ihr Schreiben vom 21. März 1980.

In der Zwischenzeit hat die Gerichtsverhandlung am 1. April stattgefunden, an der von unserer Seite Herr Baumann, Chef des Nationalstrassenbüros, vertreten war. Ich hoffe, dass Sie feststellen konnten, dass es uns nicht darum ging, hier eine exemplarische Aktion durchzuführen, sondern dass wir uns bemühten, in diesem speziellen Fall auch unser Verständnis zu bekunden. Der Richter hat unsere Argumentation verstanden und Ihnen einen Vergleich vorgeschlagen, den Sie leider nicht annahmen. Sie werden sicher dafür Verständnis haben, dass niemand dulden kann, dass auf ein Bauwerk Malereien angebracht werden, die nicht in Auftrag gegeben werden. Wenn sie sich nachträglich als Kunstwerk entpuppen, so steht das dem Eigentümer frei, es zu erhalten.

Leider hat die ganze Angelegenheit aber eine negative Seite. Die nicht künstlerisch engagierten Wandbemaler haben ganz andere Motive, ihre Aussagen in aller Öffentlichkeit vorzulegen. Sie bewerkstelligen ihr nächtliches Machwerk mit Farbmaterial, das nur mit hohem Aufwand entfernt werden kann. Der Staat hat dafür schon sehr viel Geld aufwenden müssen. Aus diesem Grunde habe ich es auch bedauert, erfahren zu müssen, dass Sie sich nicht bereit erklären konnten, künftig auf unaufgeforderte Malereien zu verzichten, obwohl Ihnen Herr Baumann eine sanfte Brücke bauen wollte.

Wir haben uns bereit erklärt, Ihre Malereien überall dort stehen zu lassen, wo sie nicht stören. Es gibt allerdings Flächen, die später mit einem Farbanstrich versehen werden müssen und für die ein rauher Untergrund für die Haftung notwendig ist. Daneben gibt es Abschnitte, die der Deutschen Bundesbahn gehören. Sofern die DB auf ein Stehenlassen der Werke einwilligt, werden auch hier keine Kosten entstehen.

Die Belange des Kunstkredites unterstehen dem Erziehungsdepartement. Dieses Departement ist für die Ausschreibung der Wettbewerbe verantwortlich. Der Kunstkredit – man mag zu ihm stehen wie man will – hat immer wieder versucht, junge Künstler zu fördern, und es ist mir deshalb nicht ganz klar, weshalb Sie es ablehnen, an Wettbewerbs-Ausschreibungen des Kunstkredites teilzunehmen. Mir scheint, dass dies ein besserer Weg wäre, Ihren Ansichten sichtbaren Ausdruck zu verleihen, weil das Bemalen von fremden Wänden oder Stützpfeilern nicht dem Gutdünken einzelner anheim gestellt bleiben kann. Trotz allem kann keine Rede davon sein, dass wir Sie kriminalisieren wollten. Ich glaube, wir haben dies durch unser Verhalten vor dem Einzelrichter bewiesen, und es bleibt mir nur die Hoffnung übrig, dass Sie für unseren Standpunkt wenigstens eine Prise Verständnis aufbringen können.

Mit freundlichen Grüssen

E. Keller

WACH RAUM

ein großer quadratischer raum, die decke niedrig, künstliches licht von oben, 12 betten, je 3 an jeder wand, in der mitte der pfleger am elektronischen schaltpult. er wird dort nicht weggehen, da er den alarmknopf immer erreichen soll.

– und wie heißt dieser raum?

– wachsaal. jede station braucht ihren wachsaal.

blutungseinbruch. kinder haben, ein haus haben, männer haben, und während das blut aus mir herausfloß, wurden meine beine von erinnerung überwältigt schwach, ich zog die decke über den kopf …

der soldat sitzt an der grenze unter der erde vor seinem computer + wartet auf den befehl …

als ich meine schwester in der klinik besuchte, erzählte sie mir von der wirkung der depotspritze: jede minute sei ihr vorgekommen wie eine ewigkeit, sie habe alles um sich herum genau wahrgenommen, jedes geräusch, jede regung, alles, doch sei um sie selber eine undurchdringliche masse gewesen, das innere hätte nicht nach aussen kommen können, bis zu den einfachsten gesten und worten. wir hielten uns und weinten. ich konnte ihr keinen einzigen grund angeben, der es wert gewesen wäre, zu leben, keinen einzigen. die bäume, die landschaft? die stadt, heimat, land? die eltern, freunde? tätigkeit? politik? – sie war mein spiegel: ich kannte nur ein paar tricks mehr, um zu überleben.

WACH RAUM 1982

miriam cahn

Mörsbergerstr. 52

4057 Basel

PRO HELVETIA

Dr. Christoph Eggenberger

Lieber Herr Dr. Eggenberger,

ich möchte Ihnen mitteilen, dass ich an der Ausstellung «Schweizer Zeichnungen 1970–1980»10 nicht mitmachen werde. Dies ist aus meiner Arbeit zu begründen: Ich hänge meine Sachen selbst an Ort und Stelle, den Gegebenheiten/Zeit/Raum entsprechend.

Kompromisse gehe ich dort ein, wo mich das Ausstellungskonzept überzeugt, z.Bsp. «Feminismus international» in Holland.

Ihr Ausstellungskonzept hingegen überzeugt mich gar nicht: ich sehe darin nur kulturelle Repräsentation der Schweiz im Ausland auf dem Rücken der Künstler, und nicht die Vermittlung unserer Arbeit aus einer Stellungnahme der Ausstellungsmacher heraus. Es ist kulturpolitisch einfacher, 45 Zeichner (viel mehr gibt es wahrscheinlich nicht) auszusuchen, als nur ein paar, da damit Auseinandersetzungen und Stellungnahmen vermieden werden. Dies ist nicht in meinem Interesse.

In der Hoffnung, dass einige meiner Künstlerkollegen ähnlich reagieren – freundliche Grüsse

Ihre Miriam Cahn

PRO HELVETIA

Hirschengraben 22

CH-8001 Zürich

Zürich, 6. April 81

Liebe Frau Cahn,

Ihr Schreiben hat mich – nach unserem Telefongespräch – nicht überrascht, aber zutiefst enttäuscht hat es mich. Und dies aus verschiedenen Gründen.

Ganz persönlich und ganz vordergründig fühle ich mich verletzt, weil ich gerade das, was Sie anprangern, nie gewollt und nie im entferntesten gedacht habe und nie gegenüber unserem Stiftungsrat vertrete. Wir sind kein Kulturministerium, wir machen nicht in kultureller Repräsentation, wie Sie schreiben.

Ich hoffe, dass Ihr Entschluss nur deshalb zu erklären ist, weil Sie uns schlecht kennen: ich würde mich sehr freuen, Sie persönlich kennenzulernen.

Sie wissen, dass die Pro Helvetia die Ausstellung in Regensburg finanziell unterstützt, auch die Ausstellung im Luzerner Kunstmuseum: beide geben zu Diskussionen Anlass, zu Auseinandersetzungen mit den ausgestellten Kunstwerken, zum Dialog mit dem In- und ausländischen Publikum. Wir suchen – ausser in einigen wenigen Veranstaltungen – nie die Repräsentation der Schweiz, wir suchen das Gespräch über die Sprachregion im Landesinnern und über die Grenzen im Ausland hinaus. Durch Ihr Schreiben sehe ich meine ganze – aufreibende – Arbeit als in Frage gestellt.

Und zur Zeichnungsausstellung: nicht Pro Helvetia ist zuerst auf den Gedanken gekommen zu versuchen, eine Bilanz zu ziehen über die Schweizer Zeichnung in den 70er Jahren: es waren die Ausstellungsmacher, die diese Idee an uns herangetragen haben, eine Idee, die wir dankbar aufgegriffen und mit allen unseren Mitteln unterstützt haben. Kaum einer anderen Ausstellung widmen wir uns in diesem Masse wie dieser. Die Herren Charles Goerg und Hans Christoph von Tavel stehen am Anfang dieses Projekts, sie arbeiten auch im Komitee mit, zusammen mit Hans Hartmann, Dieter Koepplin, Martin Kunz, Pietro Sarto und mir.

Allen Künstlern geht diese Woche die definitive Künstlerliste zu. Die Formulierung des Konzepts liegt nicht bei: das Komitee unter der Leitung von Charles Goerg versuchte das Phänomen «Zeichnung» in den 70er Jahren in der Schweiz zu fassen. Ich kann mir kaum ein aktuelleres Thema vorstellen und auf die Antwort, das Resultat, das erstmals im Dezember im Musée Rath in Genf zu sehen sein wird, bin ich sehr gespannt.*

Ich teile Ihre Hoffnung nicht, dass sich andere Künstler Ihrer Haltung anschliessen: bis heute habe ich allerdings von dieser Seite ganz andere, sehr positive Stimmen gehört.

Wir haben letzte Woche im Komitee Ihre besondere Problematik besprochen, dass Sie Ihre Werke an Ort und Stelle selbst hängen. Diese Möglichkeit können wir ihnen leider nicht an allen Stationen der Ausstellung gewähren; doch sehen wir vor, dass einige Künstler einen Raum oder einen Wandwinkel von 3 x 3m oder auch mehr zugewiesen erhalten, einen Raum, den sie nach ihren Vorstellungen gestalten können und der an jeder Ausstellungssituation so wieder aufgebaut wird. Sie brauchen also lediglich einen solchen Raum zu bestimmen und in einem Modell oder Skizze anzugeben, wie Sie Ihre Werke gehängt wissen wollen. Ich will Sie eigentlich garnicht dazu überreden, Ihre Meinung zu ändern: Sie geben damit ihre Stellungnahme ab und wir mit der Ausstellung die unsrige. Das Reizwort, das mich zu diesem langen Brief verleitet hat, ist bloss die Repräsentation auf dem Rücken der Künstler. Sie können viele Künstler in unserem Land fragen und Sie werden feststellen, dass dem in keiner Weise so ist!

Mit freundlichen Grüssen – und hoffentlich auf bald Christoph Eggenberger

*Ich glaube nicht, dass wir mit dieser Auswahl uns Auseinandersetzungen und Stellungnahmen ersparen: ganz im Gegenteil. Viele Tendenzen und viele Namen fehlen, müssen fehlen, weil sonst ein Lexikon entsteht, aber keine Ausstellung. Ich bin davon überzeugt, dass dies hier eine Ausstellung gibt und eine anregende, das heisst eine gute dazu!

Lieber Dr. Eggenberger,

Vielen Dank für Ihren offenen Brief. Er zeigt mir, dass meine Verweigerung zu Auseinandersetzungen führt. Ich möchte ein wenig ausführen, was ich in meinem ersten Brief andeutete. Kunst ist kaum von Politik zu trennen, wenn Politik individuell erfahren wird.

Die Pro Helvetia unterstützt Projekte von kultureller Arbeit im Ausland. Da die Schweiz als sogenanntes neutrales Land wenig Aussenpolitik betreibt, verlagert sie diese auf andere Ebenen, z. Bsp. auf Wirtschaft, Entwicklungshilfe und eben Kultur. Mit Hilfe der Pro Helvetia betreibt die Schweiz nicht nur Förderung der schweizer Kunst im Ausland, sondern auch kulturell-politische Repräsentation der Schweiz. Wo es nicht mehr vorwiegend darum geht, die Arbeit der schweizer Künstler im Ausland zu vermitteln, sondern um Repräsentativ-Ereignisse, rede ich von Repräsentation auf dem Rücken der Künstler.

Seit einigen Jahren beobachte ich, dass es vermehrt Ausstellungen gibt, die unter vorwiegend nationalistischen Gesichtspunkten zusammengestellt werden und als «Multipack» durch die Länder gereicht werden: die «jungen» Italiener, die «neuen wilden» Deutschen, die «offenen» Schweizer (?) etc. Eine Tendenz, die sich mit der sog. «Tendenzwende», der politischen Reaktion der letzten Jahre verbindet. Zusammen mit diesen Ausstellungen wird oft Geschichtsfälschung betrieben: die 70er Jahre werden verdammt als bild-los, kopf-lastig etc., politisch-kulturelle Utopien wie Linksradikalismus, soziale Plastik, Feminismus sind plötzlich verschwunden – ein allgemeines Aufatmen geht durch die Kunstwelt, es gibt wieder «Bilder» – (zu verkaufen).

Nun, die Luzerner Ausstellung ist – trotz aufwendigen Titel11 – weder eine bewusst historische oder persönliche Stellungnahme des Martin Kunz zu den letzten 10 Jahren, noch konnten, mit wenigen Ausnahmen, die Künstler ihre Arbeit so zeigen, wie SIE es sich dachten. Der Brief im Tages-Anzeiger von Martin Disler weist darauf hin. Das Resultat ist eine nationale Weihnachtsausstellung mit höherem Anspruch. Ich bin dort mit dickem Kopf herausgekommen und mit dem Gefühl, dass hier gute Künstler durch schlechte Präsentation verheizt wurden – von Dieter Roth bis zu Martin Disler.

Diese Ausstellung reist nun ins Ausland. Das Bild der schweizer Kunst wird wieder mal ein mittelmässiges sein, es wird wieder Quantität statt Qualität gezeigt. Wenn sogar einer der Besseren, nämlich Martin Disler, aus Entsetzen aussteigt, bestätigt mir das bloss meine Zweifel an dieser Art Ausstellungsmacherei von oben. Ich befürchte leider, dass die Zeichnungsausstellung ähnlich wird, 45 Leute sind einfach eine Zumutung, wenn sie bloss aus technisch-medialen Gründen (die Zeichnung) zusammengestellt werden.

Der Zeichnungspavillon in der documenta12 ist mir noch in sehr schlechter Erinnerung, was die Künstlerzeichnungen betrifft. Gerade Zeichnungen sind oft ein TEIL der künstlerischen Arbeit. Ich stelle mir vor: 45 Teilarbeiten reisen herum und werden als Ganzheiten missverstanden. Und bald sind wir wieder soweit, dass künstlerische Arbeit unter vorwiegend technisch-medialen Gesichtspunkten klassifiziert werden wird und nicht mehr unter geistiger Arbeit in diesem oder jenem Medium. Es gibt das «Phänomen Zeichnung» gar nicht, sondern nur Arbeiten, in denen mehr oder weniger gezeichnet wird.

Die Ausstellung in Regensburg hingegen hat mich überzeugt: sie hatte ein bescheidenes Konzept «Aspekte der jungen schweizer Kunst»; nach Rücksprache mit uns Künstlern13 wurde die Anzahl niedrig gehalten; wir haben die Ausstellung in Zusammenarbeit mit dem Ausstellungsmacher selber einrichten können und hatten daher konkrete Auseinandersetzungen über Kunst – und Ausstellungsmacherei – was viel interessanter ist als von vornherein festgelegte Strukturen. Damit komme ich zu meinen Vorstellungen über Förderung von schweizer Kunst im Ausland: Schwerpunkt ARBEITEN im Ausland: Gastdozenturen, Ateliers, Atelieraustausch, Reisestipendien, von Künstlern und Ausstellungsmachern am Ort selbst eingerichtete Ausstellungen, Austauschprojekte aller Art.

Nun, ich hoffe, dass ich hier Ihnen meinen Standpunkt etwas klarer machen konnte. Dass die Mehrheit der Künstler nicht meiner Meinung ist, bedeutet mir bloss, dass die «Mehrheit», wie immer, auf dem Holzweg ist und – leider – gleichzeitig bestimmt, was läuft.

Gruss aus den verschiedenen Bewegungen

Ihre Miriam Cahn

miriam cahn

mörsbergerstr. 52

4057 basel

basel, 10. oktober 82

liebe Hella Santarossa,14

vielen dank für Euren brief, leider werde ich nicht nach Berlin kommen können. Ich finde jedoch eure aktion sehr gut und werde daher versuchen, hier schriftlich darzulegen, was ich dazu meine. «Zeitgeist»15 ist eine folge von «Westkunst»,16 documenta 7,17 biennale Venedig,18 alles ausstellungen, in denen die künstler und die paar künstlerinnen nur noch handlanger sind von grössenwahnsinnigen ausstellungsmachern, die sich profilieren wollen. Im falle von «Zeitgeist» wurde bei 8 künstlern sogar soweit gegangen, bilder in bestimmten formaten zu bestellen! (im «Spiegel»19 zu lesen). diese ausstellungen gehen wirklich kein risiko ein. wenn ich die liste der eingeladenen künstler anschaue, teile ich in 2 gruppen ein: «sichere» ältere künstler wie Beuys, Kounellis, Penck etc,20 die sehr schöne arbeiten machen, aber kein risiko bedeuten, da sie sehr bekannt sind, und «sichere» jüngere künstler wie Chia, Clemente, Schnabel etc,21 die auch sehr schöne arbeiten machen, aber zu dieser überstürzt lancierten malergeneration gehören, dass sie auch schon so bekannt sind, dass sie für ausstellungsmacher kein risiko bedeuten. künstlerinnen jedoch bedeuten je nach dem ein risiko, weil sie arbeiten machen, die nicht einzuordnen sind – es sei denn politisch.

warum ausschliesslich malerei und plastik? heute, wo jede technik zum kunstmachen gehört? Ich sehe das so: malerei und plastik sind traditionell eingebettet und daher «brauchbar»: im wohnzimmer, in der sammlung, in der traditionellen galerie, im museum, in gruppen- oder massenausstellungen. kein kopfzerbrechen mehr über: wie kann ich sowas hängen, sammeln (installationen, videos, performances, konzepte), wie vermitteln (installationen, die räume brauchen, videos, die maschinen brauchen, konzepte «ohne bilder» etc.), wie aufbewahren, wie verkaufen, und überhaupt: was wollen diese künstler und künstlerinnen eigentlich? die diskussion über das ineinandergreifen von kunstmachen, leben, kunstvermitteln, zuschauern und kauf ist plötzlich wie weggeblasen, um wieder der traditionellen verteilung platz zu machen: der künstler produziert, der galerist verkauft, der kunstvereinleiter stellt aus, der sammler und das museum bewahren auf, die medien sind zufrieden, weil sie wieder bilder abbilden können, und die herren der welt freuen sich.

und um dieses system aufrecht zu erhalten, eignet es sich am besten, traditionelle techniken zu DEM ausdrucksmittel in der kunst aufzubauschen und alle anderen abzuwerten. malerei und plastik lassen sich so sehr gut verkaufen. der diskurs ist also nicht mehr: warum wählt dieser künstler/diese künstlerin die und die technik im zusammenhang mit seiner/ihrer arbeit, leben und umwelt, sondern: welche technik ist am besten verwertbar. dazu wird der alte mythos des künstlers wiederaufgenommen, des malers, des bildhauers, der, einsam, abgeschieden, leidend, in einer grossen geste seine bilder hinpinselt, wütend in holz haut, und sich um gotteswillen nicht um seine funktion als künstler in der heutigen gesellschaft kümmert – es könnte ihn ja am schaffensprozess hindern, diesem göttlichen, diesem in einer patriarchalen kulturtradition aufgehobenen mythos des genies. frauen haben da nichts zu suchen.

unfreiwillig, vermutlich eher zynisch haben also die ausstellungsmacher von «Zeitgeist» den genau richtigen namen für ihre ausstellung gewählt und manifestieren damit ein bequemgefährliches einverständnis mit der heutigen situation, anstatt sie kritisch zu analysieren, was ihre funktion als ausstellungsmacher wäre.

In diesem zusammenhang ist klar, warum keine künstlerinnen (eine = keine) eingeladen wurden. es handelt sich um bewusste geschichtsfälschung: haben doch künstlerinnen in den letzten 10– 20 jahren vieles mit ihren arbeiten aufgedeckt: sie haben sich mit ihren mitteln (auch malerei, auch zeichnung) gegen ihre gesellschaftliche funktion gestellt; sie haben sich quergestellt gegen eine traditionell-patriarchale kunst und eine allzu billige verwertung ihrer arbeit und haben neue wege gesucht; als material haben sie ihre biografien genommen, ihre nicht-geschichte der frau aufgearbeitet, ihre körper und räume als zentrum; als technik das dazu passende, und als waffe den feminismus.

gemeinsam bei diesen künstlerinnen ist, dass sie quer durch alle techniken experimentieren und dabei oft als zentrum ihrer arbeit das frausein sehen.

die frage ist doch, ob solche ausstellungen wie «Zeitgeist» sinnvoll sind. soll eine künstlerin überhaupt anstreben, in solchen ausstellungen mitzumachen? grundsätzlich ja, aus gründen der chancengleichheit und künstlerischen freiheit. aber, nach meinen erfahrungen in der documenta 7, nicht um jeden preis. ich bin in der d7 über zynismus und tiefgehende verachtung gegenüber künstlerinnen und künstlern und ihre arbeiten gestolpert, also das pure gegenteil der offiziellen aussage der ausstellungsleitung: man wolle der kunst einen würdigen rahmen geben. ich behaupte auch, dass diese schlechte situation der ausstellung auch angesehen wurde, und habe mich gewundert, dass nicht mehr künstlerinnen und künstler ausgestiegen sind. für mich bedeutete aussteigen eine logische konsequenz aus meiner arbeit heraus.

wir künstlerinnen sollten die forderung nach paritätischen ausstellungen unbedingt stellen. gerade wenn ich als künstlerin der heutigen ausstellungsmache skeptisch gegenüber stehe, so sollte ich unbedingt die möglichkeit haben, diese auch an ort auszuprobieren, wie unsere künstlerkollegen auch.

ich glaube auch, dass ausstellungen sehr anders aussehen würden, wenn künstlerinnen gleich behandelt würden wie künstler. nun, ich hoffe, dass Ihr was erreichen werdet mit Eurer aktion (und wenn es auch nur verunsicherung ist).

herzlich Miriam Cahn

miriam cahn

1970 – 1980

ausbildung abschliessen

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ausbildung vergessen

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kaiseraugst besetzen22

frauenbewegung

reisen

ausbildung vergessen

kunst

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kunst

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1980 – 1990

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stationierung pershing II23

karriere

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kunst

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weggehen

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kunst

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karriere

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kunst

wiederkommen

kunst

mauerfall27

AKADEMIE DER BILDENDEN KUENSTE MÜNCHEN «Arbeitskreis Ästhetik»

München, den 24. Februar 83

Liebe Miriam Cahn,

An der Akademie der Bildenden Künste in München sind die Hälfte der Studierenden weibliche Personen, denen im Lehrkörper keine einzige ProfessorIN als Vorbild zur Verfügung steht!

Es ist uns deshalb ein dringendes Anliegen, Sie als anerkannte und erfolgreiche Malerin auf die Ausschreibung eines Lehrstuhls für Malerei + Graphik hinzuweisen – siehe beiliegende Kopie – mit der Bitte, sich zu bewerben, falls Sie Lust zu einer Lehrtätigkeit haben.

Sollten Sie dies im Grunde nicht ernsthaft beabsichtigen, so bitten wir Sie trotzdem um eine Bewerbung und zwar aus taktischen Gründen – damit die Emanzipation in der extrem patriarchalen Struktur und Denkweise unserer Akademie weiter vorangetrieben wird.

Sie würden durch Ihre Solidarität unsere Bemühungen sehr unterstützen, nur schon dadurch, dass damit der Prozentsatz weiblicher Bewerbungen steigt.

Zunächst genügt als Bewerbung ein Brief (Lebenslauf, Kataloge, ev. Fotos) vollkommen, dem später im Ernstfall ein umfangreiches Dossier folgen könnte.

Mit freundlichen Grüssen

Heidrun Schimmel