PETER MENNIGEN

 

 

Blue Steel

 

 

 

Roman

 

 

 

Apex Crime, Band 13

 

 

Apex-Verlag

Inhaltsverzeichnis

Das Buch 

BLUE STEEL 

 

1. 

2. 

3. 

4. 

5. 

6. 

7. 

8. 

9. 

10. 

11. 

12. 

13. 

14. 

15. 

 

 

Das Buch

 

Der erste Einsatz der jungen Polizistin Megan Turner endet in einem Desaster: In Notwehr tötet sie einen bewaffneten Räuber, der die Pistole auf sie richtet. Doch dessen Waffe wird nie gefunden. Megan Turner wird vom Dienst suspendiert, grausame Morde werden ihr angelastet. Konsequent und fanatisch verfolgt sie einen psychopathischen Killer. Immer tiefer verstrickt sie sich in ein perverses Spiel, immer größer wird ihr Verlangen nach Rache...

 

Blue Steel von Peter Mennigen ist die packende Roman-Adaption des gleichnamigen Neo-Noir-Thrillers aus dem Jahr 1990 (Regie: Kathryn Bigelow) – in den Hauptrollen: Jamie Lee Curtis als Megan Turner, Ron Silver als Eugene Hunt und Clancy Brown als Nick Mann.

Der Apex-Verlag veröffentlicht Blue Steel in seiner Reihe APEX CRIME – in einer vom Autor durchgesehenen Neuausgabe.

  BLUE STEEL

 

 

 

 

  1.

 

 

Megan Turners Hand krampfte sich fester um den Griff der 38er. Die drückende Stille und Leere um sie herum machten sie nervös.

Von dieser Art Absteige gab es Dutzende an der Lower East Side New Yorks. Hinter abgeblätterten Türen verbarg sich tagsüber das lichtscheue Gesindel, der Abschaum der Stadt.

Es war einer dieser magischen Orte, an denen man so gut wie alles kriegen konnte, was das Herz begehrte - illegale Waffen, Crack, Sex -, vorausgesetzt, man besaß das nötige Kleingeld.

Nur mit Mühe gelang es der angehenden Polizistin, den Übelkeit erregenden Gestank nach ranzigem Bohnerwachs und Moder zu ignorieren. Der Boden unter ihren Füßen fühlte sich schwammig an. Vom Ende des langen Korridors drangen undeutlich Stimmen an ihr Ohr.

»Nein, lass mich in Ruhe«, kreischte eine Frauenstimme.

»Halts Maul, Schlampe!«, brüllte ein Mann. »Ich werde dich umbringen. Halts Maul, hab' ich gesagt!«

Mit jedem Schritt wurden die Stimmen lauter..., deutlicher. Ein Baby schrie. Irgendetwas wurde an die Wand geworfen. Möbel gingen zu Bruch. Danach war außer dem klatschenden Geräusch von Schlägen und dem leisen Wimmern einer Frau sekundenlang nichts zu hören.

Dann wieder: »Du mieses Luder. Ich werde dir in deinen beschissenen Kopf schießen.«

»Tu mir nicht weh«, flehte sie.

Die Stammgäste dieser Etablissements gehörten zu den Gestrandeten des Big Apple. Der tägliche Kampf ums nackte Überleben hatte sie hart gemacht. Beim geringsten Anlass blitzten Messer oder flogen Fäuste.

Erneut erklang das Geräusch von Schlägen, begleitet von einem bitteren, brutalen Lachen.

Der Flur kam Megan so endlos vor wie ein langer Güterzug. Einige der schmuddeligen Deckenlampen funktionierten noch. Ihr gelblicher Schein warf formlose Schatten auf die verschimmelte Tapete.

»Du sollst dein Maul halten, du Miststück«, hallte es von neuem durch den Gang. 

»Hilfe! Hört mich denn keiner?«, stöhnte die Frau in dem letzten Zimmer.

Meter für Meter näherte sich Megan dem Eingang. Ihr Atem ging schnell und flach. Das rissige Linoleum knarrte.

Vor der Tür verharrte sie einen Augenblick. Die Waffe hielt sie schussbereit mit beiden Händen umschlungen.

»Verdammt, halt endlich dein Maul!«, dröhnte es aus dem Zimmer. »Zur Hölle mit dir! Hör mir gefälligst zu! Ich werde dich umbringen!«

Megan versetzte der Tür mit aller Kraft einen Tritt. Ohne einen Gedanken daran zu verschwenden, wer oder was sie dahinter erwartete, rammte sie den Zugang auf. Um solche Kleinigkeiten konnte sie sich immer noch kümmern, wenn sie drinnen war.

»Polizei! Lassen Sie die Waffe fallen!«, rief sie mit fester Stimme.

Eigentlich war Megan Turner nicht die Frau, der man auf den ersten Blick zutraute, für den robusten Job eines New-York-City-Polizisten geschaffen zu sein.

Sie war Anfang Zwanzig, mittelgroß, schlank, eine gutaussehende Frau, nach der man sich auf der Straße zweimal umsah. Ihr brünettes Haar war kurz frisiert, nach praktischen Gesichtspunkten gestylt, nicht nach dem Diktat der Mode. Früher hatte sie mal lange Haare gehabt, aber die verfilzten unter der Schirmmütze. Das Auskämmen nach Feierabend war jedes Mal eine einzige Tortur gewesen. Megan brachte es sogar fertig, ungeschminkt und in der tristen Polizeiuniform attraktiv auszusehen.

»Bleib, wo du bist, Bulle, oder ich puste der Schlampe das Gehirn aus dem Schädel.« Der Kerl in dem Zimmer war höchstens Ende Dreißig, hatte blondes, dichtes Haar und ungepflegte Bartstoppeln.

Zudem war er fast einsneunzig groß und kräftig, sehr kräftig. Die Muskelberge, die sein ärmelloses Shirt offenbarte, hätten sogar jemanden vom Kaliber eines Arnold Schwarzeneggers ins Grübeln gebracht.

Offensichtlich war er der Zuhälter der Blondine, die sich in seinem Würgegriff krümmte. Das zerrissene Kleid schlotterte lose an ihrem schlanken Körper, die langen Strähnen klebten an ihrem verschwitzten Gesicht.

Der Kraftprotz schien nicht sonderlich beeindruckt von der Waffe zu sein, die Megan auf ihn gerichtet hielt.

»Helfen Sie mir, Officer!«, flehte die junge Frau, die er wie einen Schild vor sich gepresst hielt, mit tränenerstickter Stimme.

Mit der anderen Hand presste der Mann den Lauf einer schweren Automatic gegen ihre rechte Wange.

»Sofort loslassen... lassen Sie die Frau los.« Megan wunderte sich über den ruhigen Klang ihrer Stimme. Innerlich war sie aufgewühlt.

Der Geruch von Desinfektionsmittel und Schweiß lag in der Luft. Das kleine Kabuff war vollgepfropft mit schäbigen Möbeln und Ramsch aus Billigläden.

»Ich möchte nicht, dass jemand verletzt wird. Ich werde nicht schießen«, versuchte Megan den Zuhälter zu beruhigen.

Ihr blieb auch keine andere Wahl. Laut Dienstvorschriften war der Geiselnehmer in so einem Fall durch einen gezielten Schuss außer Gefecht zu setzen. Das war leichter gesagt als getan. Die schöne Blondine zappelte wie verrückt in seinem Arm. Die Wahrscheinlichkeit, sie statt des Typen zu treffen, war viel zu groß.

»Bleib, wo du bist, du Scheißbulle«, knurrte er drohend. »Komm bloß keinen Schritt näher, sonst ist sie tot«,

Seine glühenden Augen verrieten der Polizistin, dass er es hundertprozentig ernst meinte.

»Ganz ruhig.« Megan flüsterte fast. »Lassen Sie sie los.«

»Dich leg ich um«, kreischte der Hüne mit überschnappender Stimme. Anscheinend gingen ihm die Nerven vollends durch.

Er schleuderte die Blondine beiseite. Sie behinderte ihn jetzt nur. Blitzschnell riss er die Automatic herum und zielte auf Megan.

Die war einen Augenblick lang wie betäubt, dann drückte sie ab. Ihre 38er machte in dem kleinen Raum einen ohrenbetäubenden Lärm. Scharfer, beißender Rauch nach versenktem Pulver stieg ihr in die Nase.

Ein zweites Mal erfüllte das Brüllen der Polizeipistole den winzigen Raum.

Beide Kugeln schleuderten den Mann mit Wucht nach hinten. Ein Tisch mit schmutzigen Gläsern fiel um, scheppernd rollten leere Bierdosen über die Holzdielen. Der Zuhälter landete hart auf dem Bett und rührte sich nicht mehr.

Die plötzlich eingetretene Stille war bedrückend. Misstrauisch näherte sich Megan dem Bett. Es sah nicht so aus, als würde der Typ noch zu einem Problem, aber sie musste höllisch aufpassen. Man konnte nie vorsichtig genug sein.

Sie ging um das Bett herum - jederzeit bereit, auch die restlichen Patronen ihres Revolvers in den Körper des Ganoven zu versenken, falls der sich nur verstellte.

Als Megan die Bewegung wahrnahm, war es bereits zu spät zum Reagieren. Die Blondine schnellte auf der anderen Bettseite hoch.

Während sich Megans ganze Aufmerksamkeit auf den Kerl richtete, zog die Unbekannte heimlich eine leichte Automatic hervor. Sie riss die verchromte Waffe hoch, so dass sie kurz in dem Licht der verdreckten Deckenfunzel aufblitzte. In aller Ruhe drückte sie ab.

PÄNG -

»Scheißdreck!«, fluchte Megan. Sie war tot.

 

Es war, als habe der Regisseur beim Film Cut! gerufen. Lichter flammten auf. Eine Seitentür wurde aufgerissen, und vier junge Männer kamen herein. Sie machten sich daran, das Zimmer wieder herzurichten.

»In Ordnung, der nächste bitte«, knurrte Hank Logan missmutig mit säuerlicher Stimme.

Der erschossene Zuhälter hüpfte putzmunter vom Bett und gab der Blondine einen Kuss.

Arm in Arm schlenderten sie an Megan vorbei. Sie verließen das Zimmer, um sich auf ihren nächsten Auftritt vorzubereiten. Im Vorbeigehen warf der Mann der Polizeianwärterin einen amüsierten Blick zu.

Megan haderte immer noch mit ihrer Unvorsichtigkeit.

»Sie haben den Geiselnehmer umgebracht, aber Sie sind auch tot«, mit bitterem Lächeln kommentierte Logan ihre verkorkste Befreiungsaktion.

Er nahm einen Schreibblock, kritzelte eine Notiz hinter Megans Namen und nuschelte: »Da draußen brauchen Sie Augen im Hinterkopf!«

Seit 43 Jahren bildete Logan die Kadetten der Polizeiakademie des Staates New York aus. Er tüftelte diese praxisbezogenen Tests aus. Es machte ihm Spaß, wenn die Grünschnäbel auf seine kleinen Tricks und Fallen prompt hereinfielen.

 

*

 

Es ist kein Traum, es ist Wirklichkeit, sagte sich Megan immer wieder. Trotzdem, sie konnte einfach nicht glauben, dass sie es heute wirklich geschafft hatte.

Sie war eine der letzten im Umkleideraum der Kadettenschule. Im Flur hörte man rasche Schritte, die sich entfernten. Einige Nachzügler beeilten sich, in den Hof zu kommen, wo heute ihre Vereidigung stattfand.

Langsam und sehr bedächtig knöpfte Megan die Uniformbluse zu. Mit jedem Knopf verschwand ihr weißer Baumwoll-BH etwas mehr. Feierlich setzte sie die Schirmmütze auf und betrachtete ihr Konterfei im großen Wandspiegel.

Es gab nur wenige Dinge in der Welt, von denen sie wirklich überzeugt war. Eines davon war die Gerechtigkeit, die ein Polizist verkörperte. Das mochte zwar altmodisch klingen, aber es war ihre ehrliche Meinung.

Darum hatte sie auch schon immer Polizistin werden wollen. Sie hatte weder Mühen noch Strapazen gescheut, um dieses Ziel zu erreichen.

Sie besaß ein großes Maß an Risikobereitschaft, Autorität und Verantwortungsbewusstsein. Dank dieser Tugenden erwarb sie sich schnell den Respekt ihrer anfänglich spottenden männlichen Kollegen.

Ein Lächeln huschte über Megans Gesicht. Heute hatte sie es geschafft.

 

Dutzende von Kadetten traten zur Vereidigung an. Sie standen in Reih und Glied auf dem Ausbildungshof. Eine nervöse Stille entstand, als Commander Philps ans Mikrophon trat und zu ihnen sprach.

»Heben Sie die rechte Hand, und sprechen Sie mir nach«, schallte seine Stimme aus mehreren Lautsprechern.

Die Kadetten hoben die rechte Hand und wiederholten jeden Satz des Commanders.

»Hiermit bezeuge und erkläre ich, dass ich die Verfassung der Vereinigten Staaten verteidigen werde. Ebenso die Verfassung des Staates New York.«

Stolz und Ergriffenheit erfüllten Megans Herz. Sie spürte, wie sich ihre Augen mit Tränen füllten.

»Und ich erkläre, dass ich getreu alle Pflichten eines Polizisten im Dienste der Stadt New York erfüllen werde, so wahr mir Gott helfe.«

Megan fühlte sich unglaublich leicht. Eine sanfte Morgenbrise zog über sie hinweg. Der Himmel war stahlblau, ein herrlicher Tag kündigte sich an.

»Das schwöre ich nach bestem Gewissen, so wahr ich hier stehe.«

Nachdem der offizielle Teil der Vereidigung beendet war, strömten die Verwandten der Kadetten in den Hof.

Megan merkte plötzlich, dass sie hoffte, ihre Eltern würden trotz allem vielleicht doch noch kommen.

 

Mit sechzehn hatte sie ihre Eltern mit dem Entschluss überrascht, dass sie Polizist werden wollte. Für die beiden war es tatsächlich eine Überraschung gewesen, und ihr Vater war ein Mann, der keine Überraschungen liebte. Noch heute erinnerte sie sich an seine kleinen grauen Augen, die sie kalt anstarrten. Er hatte ihr verboten, ihr Vorhaben auszuführen.

Voller Bitterkeit hatte sie damals erkannt, dass es ihm sogar Spaß zu machen schien, ihr diesen Wunsch abzuschlagen. Er hatte sich ruhig ihre Argumente angehört, ihr Flehen, ja, ihr Betteln und sich innerlich daran geweidet.

Frank Turner hatte nichts am Hut mit dem ganzen Emanzipationskram. Eine Frau gehörte an den Herd und nicht in Männerberufe, basta.

Genauso dachte ihre Mutter Shirley, die die meiste Zeit ihres Lebens damit verbracht hatte, ihm Essen zu kochen, seine Socken zu stopfen und die Unterhosen zu waschen.

Die Erfahrung langer Ehejahre hatte sie gelehrt, dass es besser war zu schweigen, wenn der Herr des Hauses redete. Mehr als einmal hatte er sie aus nichtigen Gründen vor den Augen seiner Tochter verprügelt.

Er wollte von dem Blödsinn nichts mehr hören. Er drohte Megan, sie rauszuwerfen, wenn sie sich ihm nicht wie die Mutter unterordnen würde.

Zwei Jahre später hatte Megan das College beendet. Beim Aufnahmetest für die Polizeiakademie war sie unter den besten drei gewesen, und noch am gleichen Tag, an dem sie die Aufnahmebestätigung mit der Post bekommen hatte, war sie freiwillig von zu Hause ausgezogen.

Ihre Mutter hatte in der Folgezeit immer wieder versucht, eine Versöhnung zwischen Vater und Tochter herbeizuführen. Aber ihr Vater sprach heute noch kaum ein Wort mit ihr, wenn sie mal zu Besuch kam, was selten genug der Fall war.

Er saß dann meistens vor dem Fernseher und schüttete mürrisch ein Bier nach dem anderen in sich hinein, während Megan mit ihrer Mutter in der Küche plauderte.

Im Grunde genommen machte ihr das Zerwürfnis mit dem Vater nichts aus. Sie liebte ihre Mutter und hatte ein herzliches, ungetrübtes Verhältnis zu ihr.

Drei Jahre war es jetzt her, seitdem sie zu Hause ausgezogen war. Eine lange Zeit. Jedoch nicht lange genug, um die Beschimpfungen zu vergessen, die der Vater ihr hinterhergebrüllt hatte, als sie mit zwei Koffern und einer Reisetasche sein Haus verlassen hatte.

Es folgten harte Jahre, in denen sie oft drauf und dran gewesen war, alles hinzuschmeißen. Doch hatte sie damals Tracy Perez kennengelernt. Tracy war es, die ihr immer wieder Mut machte. Ohne ihre Hilfe hätte es Megan nie geschafft.

 

Heute begann ein neuer Lebensabschnitt für sie. Megan war bereit, die Vorfälle von damals zu vergessen.

Sie war so glücklich, dass sie den Groll gegen ihren Vater nicht mehr länger mit sich rumschleppen wollte. Wenn er sich dazu überwinden würde, heute ihrer Vereidigung beizuwohnen, dann würde sie ihn und Mutter in die Arme schließen.

Ihre Eltern kamen nicht, natürlich. Dafür aber Tracy. Sie brachte ihren Mann John und ihre beiden kleinen Kinder mit.

Überall flammten Blitzlichter auf. Die frischgebackenen Polizisten ließen sich mit ihren stolzen Eltern, Großeltern, Onkeln, Tanten und Freunden ablichten.

»Ich kann's nicht fassen«, lachte Tracy. »Du bist jetzt 'n Bulle, 'n elender, lausiger Bulle. Du bist auf der richtigen Seite des Gesetzes. Wie fühlst du dich?«

Dann wurde sie ernst. Sie wusste, was ihre Freundin alles durchgemacht hatte, um ihr Ziel zu erreichen.

»Gut, ich brauch' nur dringend 'ne Zigarette!« gab Megan ein wenig verlegen zurück.

»Megan..., ich bin stolz auf meinen Bullen. Ich liebe dich.« Sie umarmten sich.

»Wir machen jetzt 'n Foto. Tu so, als ob du im Dienst bist«, kicherte Tracy.

Einen Augenblick lang hätten sie beide fast angefangen zu heulen. Nur keine Sentimentalität aufkommen lassen, nicht an einem so herrlichen Tag wie heute.

Während John die Blende an seiner Kamera einstellte, nahmen die beiden jungen Frauen ihre Posen ein. Megan schlang ihren rechten Arm um Tracys Hals, formte Zeigefinger und Daumen der Linken symbolisch zu einer Pistole und tat so, als bedrohe sie ihre Freundin. Als das Blitzlicht aufflammte, schnitt Tracy dazu eine ulkige Grimasse.

 

 

 

 

  2.

 

 

Megan wohnte in einer ruhigen Ecke von Brooklyn. Hier kannte noch jeder jeden. Es war gewiss nicht die vornehmste Nachbarschaft, aber wenn man als Polizeischüler von einem kargen Stipendium leben musste, konnte man bei der Wohnungssuche nicht besonders wählerisch sein.

Ihr Zwei-Zimmer-Apartment befand sich im zweiten Stockwerk eines dieser typischen Backstein-Mietshäuser mit eisernen Feuerleitern an der Außenfront. Für den Preis war es gar nicht so übel.

Ein paar Blocks weiter stand das alte, kleine Haus, in dem früher einmal Al Capone gewohnt hatte, bevor er nach Chicago gezogen war und dort seine zweifelhafte Karriere gemacht hatte.

Auf dem Heimweg nach der Vereidigung kam Megan an kleinen Geschäften vorbei, vor denen Frauen standen, die den neuesten Klatsch austauschten. Kinder hockten auf den Treppenaufgängen der Häuser und spielten auf den Steinstufen. Andere liefen übermütig auf dem Gehsteig umher. Zwei alte Männer saßen auf einer Bank bei einer Partie Schach. Jugendliche liefen über den gegenüberliegenden Schulhof und spielten Basketball.

Von hier aus war es nur ein Katzensprung zur Brooklyn Bridge über den East River rüber nach Manhattan.

Zum ersten Mal trug Megan heute offiziell die Uniform eines Police Officers in der Öffentlichkeit. Sie war stolz darauf. Sie genoss es, dass sich die Leute nach ihr umdrehten.

»Aber Megan, wie sehen Sie denn aus?«, staunte der Müllmann, der ihr an der Haustür entgegenkam.

»Nicht übel, hä?«, lachte sie und trat in das Zwielicht des Treppenhauses.

»Das schöne blaue Auge des Gesetzes«, rief der Müllmann ihr hinterher.

»Genau«, rief sie beschwingt zurück, ging die Treppe hinauf und verschwand in ihrer Wohnung.

Erst jetzt, als die Anspannung allmählich von ihr abfiel, merkte sie, wie anstrengend die vergangenen Stunden gewesen waren. Sie streifte die Uniformjacke aus und ließ sich auf das alte Sofa fallen. Nachdem sie die Schuhe ausgezogen hatte, schaltete sie den automatischen Telefonbeantworter ein.

Aus dem kleinen Lautsprecher klang die Stimme ihrer Mutter: »Hallo, meine Kleine. Hier ist Mami. Herzlichen Glückwunsch und alles Gute. Ich hoffe, du kommst uns morgen Abend besuchen. Bis dann.«

 

*

 

Shirley und Frank Turner lebten in einem kleinen Vororthaus in Queens.

Megan war ihr einziges Kind. Shirley Turner war eine warmherzige Person, die zeitlebens unter ihrem Mann gelitten hatte.

Bitter erinnerte sich Megan daran, dass ihr Vater ihr niemals einen Kuss gegeben hatte oder sie mal umarmte. Für ihn waren Gefühle nichts anderes als ein Zeichen der Schwäche.

Das Essen verlief in eisiger Atmosphäre. Frank stocherte an seinem Steak herum und trank eine Menge Dosenbier. Er sprach kein Wort und würdigte seine Tochter keines Blickes.

»Es ist schön, dass du bei uns bist«, unterbrach Shirley das bedrückende Schweigen.

»Ich bin gerne bei euch«, antwortete Megan.

»Sieh mal einer an.« Frank Turner sprach die Worte ohne Betonung aus.

Er machte keinen Hehl daraus, dass ihre Gegenwart ihn störte. Er fühlte sich in seinem männlichen Stolz gekränkt. Seine Frau hatte es gewagt, ihre Tochter einzuladen, ohne ihn um Erlaubnis zu bitten. Natürlich hätte er diese Erlaubnis niemals gegeben.

Megan ignorierte die Bemerkung und versuchte, das Gespräch auf ein anderes Thema zu lenken: »Ich glaub', fast alle U-Bahnen haben gestreikt, und in der Zeitung stand nicht das geringste Wort darüber. Wie findet ihr das?«

Unverwandt starrte Frank auf seinen Teller und schaufelte stumm das Essen in den Mund. Seine Augen zeigten keine Regung.

»Der Bus hatte platte Reifen, und kein einziges Taxi war weit und breit zu kriegen«, erzählte seine Tochter weiter, wobei sie ihn aus den Augenwinkeln heraus beobachtet.

So in sich versunken hatte sie ihn früher schon öfter erlebt. Er grübelte, überlegte sich vermutlich irgendeine Gemeinheit, um ihre Mutter für ihr eigenmächtiges Handeln zu bestrafen. Wahrscheinlich würde er sie schlagen, sobald Megan das Haus verlassen hatte.

»Ich wäre so gerne bei deiner Vereidigung dabei gewesen, aber ich...«, flüsterte die Mutter leise, so als sollte es Frank nicht hören.

»Halts Maul, Shirley«, unterbrach Frank sie grob, seine Augen funkelten drohend.

»Lass sie doch ausreden, Dad«, bat Megan.

»Wir haben dir nichts zu sagen«, knurrte er.

»Wirklich nicht?«

»Hört doch auf damit«, flehte Shirley. Alles, was sie wollte, war ein schönes, friedliches Abendessen, ohne dass Vater und Tochter wieder miteinander stritten.

»Ich will es hören«, beharrte Megan und blickte ihren Vater herausfordernd an.

»Ich hab' 'ne Tochter, die 'n gottverdammter Scheißbulle ist«, platzte Frank Turner heraus und machte seiner aufgestauten Wut Luft.

Unter dem Tisch ballte Megan ihre Fäuste, doch ihr Gesichtsausdruck blieb ganz ruhig. Es gelang ihr sogar, ihm ein mitleidiges Lächeln zu schenken.

 

*

 

Megan liebte New York City. Nach Einbruch der Abenddämmerung ging es in der Metropole noch hektischer zu als tagsüber. Menschen drängten sich zwischen buntbeleuchteten Bars und Nachtclubs. Die Luft vibrierte unter dem Musikmischmasch, der aus unzähligen Kneipen drang.

Megans erste Schicht als Police Officer begann um zwanzig Uhr. Sie war Streifenpolizist Steve Travers zugeteilt worden. Der junge Schwarze war ein kumpelhafter Typ. Mit seinen Eltern war er als kleines Kind aus Atlantic City hierhergekommen und im Ghetto aufgewachsen. Er war fest entschlossen, etwas aus sich zu machen, und er hatte es geschafft.

»Also, wie kommt's?«, begann Travers die Unterhaltung in ihrem Streifenwagen. Wegen des Nervenkitzels?«

»Wie kommt was?«, fragte Megan irritiert, während sie das Polizeifahrzeug über Manhattans 5th Avenue in Richtung Harlem steuerte. 

»Na, dass du 'n Bulle bist«, lachte ihr Beifahrer ein wenig zu gekünstelt.

Da war es wieder, dieses alte Vorurteil. Man sah in ihr nur den weiblichen Cop, etwas Anomales.