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Die Herausgeber

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Norbert Neuß, Prof. Dr. habil., Erziehungswissenschaftler und Hochschullehrer an der Justus-Liebig-Universität Gießen. Leiter zweier kindheitspädagogischer Studiengänge (BA & MA); zahlreiche Forschungsprojekte und Publikationen; aktuelle Arbeitsschwerpunkte sind Bildung in der Frühen Kindheit, Pädagogische Qualität aus Kindersicht sowie pädagogische Intuition, Kontakt und weitere Informationen: www.dr-neuss.de

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Lena S. Kaiser, Prof. Dr. phil., Professur für Kindheitswissenschaften an der Hochschule Emden/Leer. Ihre Arbeits- und Forschungsschwerpunkte sind: Kindheitsforschung, Lernwerkstattarbeit und Elementardidaktik, Theorie-Praxis-Verknüpfung in kindheitspädagogischen Studiengängen sowie Reggio-Pädagogik.

Norbert Neuß, Lena S. Kaiser (Hrsg.)

Ästhetisches Lernen im Vor- und Grundschulalter

Verlag W. Kohlhammer

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1. Auflage 2019

 

Alle Rechte vorbehalten

© W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

 

Print:

ISBN 978-3-17-033072-6

 

E-Book-Formate:

pdf:      ISBN 978-3-17-033073-3

epub:   ISBN 978-3-17-033074-0

mobi:   ISBN 978-3-17-033075-7

Inhaltsverzeichnis

 

 

 

  1. Einleitung
  2. I          Theoretische Perspektiven ästhetischer Bildung
  3. 1          Ästhetische Erfahrung als Grundkategorie frühkindlicher Bildung
    Norbert Neuß & Lena S. Kaiser
  4. 2          Bedeutung der Ästhetik für kindliche Bildungsprozesse
    Gerd E. Schäfer
  5. 3         Die Bedeutung ästhetischen Lernens für eine Theorie der Kindheit – pädagogisch-anthropologische und sozialwissenschaftliche Begründungszusammenhänge
    Ludwig Duncker
  6. II          Empirische Zugänge über Wahrnehmungen und Phänomene
  7. 4          »Ästhetisch-Künstlerisch Forschen« – Möglichkeiten einer transdisziplinären ästhetischen Bildung in der frühen Kindheit
    Andreas Brenne
  8. 5          Das Ästhetische im Sammeln – akteursspezifische Sichtweisen im Vor- und Grundschulalter
    Bianca Bloch, Lena S. Kaiser & Antje Danner
  9. 6          »Das ist schön!«: Zum Bilden von ästhetischen (Geschmacks-) Urteilen von Kindergartenkindern
    Katharina Schneider
  10. 7          Prozessualität, Medialität und Interaktion. Fallstudie zu Erfahrungen eines dreieinhalbjährigen Kindes beim Fingermalen auf dem Touchscreen eines Tablet-Computers
    Isabell Meyer & Georg Peez
  11. 8          Zuhören in Kindertagesstätten fördern – Bericht und Ergebnisse des evaluierten Programms »Lilo Lausch – Zuhören verbindet«
    Norbert Neuß & Simone Dumpies
  12. III          Konzepte ästhetischer Praxis
  13. 9          Ästhetische Bildungsprojektarbeit in der Reggio-Philosophie
    Jennifer Zick
  14. 10       Gestaltendes Tätigsein mit dem Denkwerkzeug GMGM – imaginative Darstellungen im Kontext von Mathematik und Kunst
    Kerensa Lee & Roland Karl Metzger
  15. 11       Spielerisch-ästhetisches Lernen im Kunstmuseum. »Kunstspiele« für Kinder
    Alfred Czech
  16. 12       Kinderzeichnungen – selbsterarbeitete Symbolik von Kindern verstehen
    Norbert Neuß
  17. IV          Vermittlung von ästhetischer Bildung an Hochschulen
  18. 13       Berufsqualifizierende Professionalisierung: Blicke schärfen – forschend Lernen. Mit Studierenden das bildnerische Verhalten von Vor- und Grundschulkindern erkunden
    Constanze Kirchner
  19. Die Autorinnen und Autoren

Einleitung

 

 

 

Der vorliegende Band versammelt Perspektiven, die sich mit der Deutung ästhetischer Verhaltensweisen und Wahrnehmungsmuster von Kindern im Alter von 0 bis 12 Jahren mit besonderem Fokus auf kindliche Aneignungsprozesse beschäftigen. Die Beiträge implizieren einen wissenschaftlich ausgearbeiteten und intendierten Empirie- oder Praxisbezug, der sich in einer (selbst-)kritischen wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit einem Projekt oder einer durchgeführten Studie zeigt. Dabei liegt der Fokus darauf, wie ästhetische Handlungsweisen und Fähigkeiten bei Kindern wahrgenommen, differenziert und interpretiert werden können, sodass sich Hinweise eröffnen, wie Bildungsprozesse in der Kindheit begleitet, angeregt und unterstützt werden können. Insgesamt zeigt der Band theoretisch fundiert, empirisch hinterfragend und praxisorientiert Möglichkeiten zur Reflexion und Deutung ästhetischer Verhaltensweisen aus interdisziplinären Zugangsweisen auf und richtet sich damit an Wissenschaftler genauso wie an pädagogische Fachkräfte. Die Zugänge spiegeln sich in den Überschriften der Abschnitte, in denen sich jeweils verschiedene Teilbeiträge sammeln.

In Teil I, »Theoretische Perspektiven ästhetischer Bildung«, werden zunächst wesentliche Grundbegriffe frühkindlicher Bildung in Bezug auf entwicklungsbezogene Perspektiven ästhetischer Bildung geklärt. Einleitend beginnen die Herausgeber Norbert Neuß und Lena S. Kaiser thesengeleitet über ästhetische Erfahrung als Grundkategorie kindlicher Bildung nachzudenken. Kinder werden als Akteure ihrer sozialen Welt und Konstrukteure ihrer sozialen und kulturellen Welt konzeptualisiert. Dies wird von Gerd E. Schäfer anhand der »Bedeutung der Ästhetik für kindliche Bildungsprozesse« vorgenommen sowie durch den Beitrag »Die Bedeutung ästhetischen Lernens für eine Theorie der Kindheit – pädagogisch-anthropologische und sozialwissenschaftliche Begründungszusammenhänge« von Ludwig Duncker in einen ästhetischen Zusammenhang gerückt. Die Autoren liefern Argumente zur Offenlegung frühkindlicher ästhetischer Bildungsprozesse, um die mitverhandelten kindlichen Aneignungsprozesse und Entwicklungsaufgaben transparenter und die Ziele und Grundannahmen zugänglicher werden zu lassen. Die der ästhetischen Bildung impliziten differenzierten Aneignungsprozesse und Ausdrucksvariationen werden versammelnd dargestellt und theoriebasiert erklärt.

In Teil II, »Empirische Zugänge über Wahrnehmungen und Phänomene«, sind verschiedene Beiträge versammelt, die sich mit unterschiedlichen Fragestellungen ästhetischer Handlungsweisen von Kindern annähern. Die Beiträge mit empirischen Fragestellungen fokussieren die an Alltagserfahrungen gebundenen und mit alltäglichen Dingen verknüpften Wahrnehmungen, ästhetische Verhaltensweisen sowie Handlungs- und Erkenntnisformen. Der Beitrag »Ästhetisch-Künstlerisch Forschen« – Möglichkeiten einer transdisziplinären ästhetischen Bildung in der frühen Kindheit von Andreas Brenne zu einem fragenden und entdeckenden Umgang mit Dingen und Phänomenen alltäglicher Erfahrung eröffnet diesen Teil. Bianca Bloch, Lena S. Kaiser und Antje Danner nehmen einen handelnden Umgang mit den Phänomenen in den Blick und diskutieren anhand von Interviews mit Kindern »das Ästhetische im Sammeln« und beziehen sich dabei auf akteursspezifische Sichtweisen im Vor- und Grundschulalter. Der Beitrag »›Das ist schön!‹: Zum Bilden von ästhetischen (Geschmacks-)Urteilen von Kindergartenkindern« von Katharina Schneider diskutiert ausgehend von ethnografisch gelagerten Beobachtungen die Bedeutung individueller Wahrnehmungen und Empfindungen zur Bildung eines gemeinschaftlichen Sinns als Basis eines ästhetischen (Geschmacks-)Urteils. Isabell Meyer und Georg Peez beschäftigen sich in ihrem Beitrag »Prozessualität, Medialität und Interaktion« anhand einer Fallstudie zu Erfahrungen eines dreieinhalbjährigen Kindes beim Fingermalen auf dem Touchscreen eines Tablet-Computers mit Erfahrungsräumen als Möglichkeitsräume und Erfahrungsdefiziten, die beispielsweise durch die Immaterialität der Farbe auf den Touchscreen zustande kommen. Anliegen des Kapitels ist es, durch die in den verschiedenen Beiträgen diskutierten Zugangsweisen, die Komplexität ästhetischer Verhaltensweisen und differenzierten Betrachtungsweisen Möglichkeiten der Kritik und Weiterentwicklung von Hinweisen, wie Bildungsprozesse in der Kindheit begleitet, angeregt und unterstützt werden können, zu reflektieren. Der letzte Beitrag dieses Kapitels von Norbert Neuß und Simone Dumpies »Zuhören in Kindertagesstätten fördern – Bericht und Ergebnisse eines evaluierten Programms« führt anhand eines Projektes in eine weitere ästhetische Ausdrucksweise ein.

In Teil III, »Konzepte ästhetischer Praxis«, beschäftigen sich die Beiträge damit, welche Möglichkeiten sich aus den Thematisierungen von Handlungs- und Praxiskonzepten für weitere »lernästhetische«-Diskurse gewinnen lassen. Vorgestellt werden daher unterschiedliche Handlungs- und Praxiskonzepte wie sie aktuell für den Elementar- und Primarbereich entwickelt werden. Zum einen sind dies Konzepte, die im Rahmen von Alltagserfahrungen und ästhetischen Praxen von Kinder und Erwachsenen in alltäglichen Handlungen genutzt werden – dazu gehören handwerkliche und technische Verfahren wie malen, skizzieren, kleben, montieren, schneiden, usw. Zum anderen sind dies bildungsbereichsübergreifende, elementardidaktische Konzepte, die es Kindern ermöglichen, ausgehend von gemachten Erfahrungen Lernen und Lernprozesse zu entwickeln. Hierzu stellen Jennifer Zick in ihrem Beitrag »Ästhetische Bildungsprojektarbeit in der Reggio-Philosophie« und Kerensa Lee mit Roland Metzger in ihrem Beitrag »Gestaltendes Tätigsein mit dem Denkwerkzeug GMGM – imaginative Darstellungen im Kontext von Mathematik und Kunst« unter anderem didaktische Ansätze vor. Der Beitrag »Spielerisch-ästhetisches Lernen im Kunstmuseum ›Kunstspiele‹ für Kinder« von Andreas Czech diskutiert nochmal eine andere didaktische Perspektive, die sich nicht auf die klassischen institutionellen Bildungssettings wie KiTa oder Schule bezieht, sondern auf außerschulische Bildungsangebote. Einen weiteren Zugang über Wahrnehmungen und Phänomene in Bezug auf ästhetisches Lernen in der Kindheit liefert Norbert Neuß in seinem Beitrag »Kinderzeichnungen – Selbsterarbeitete Symbolik von Kindern verstehen«, um die konkreten Erfahrungen von und mit Kindern auf die ihnen innewohnenden Struktur- und Sinnzusammenhänge zu befragen und sie zu diskutieren. In der Annäherung über diese unterschiedlichen Zugänge geht es in diesem Kapitel darum, ästhetisches Lernen als elementardidaktische Praxis zu befragen und damit die Entwicklung von Konzepten gerade auch in seinen Funktionen und Möglichkeiten herauszuarbeiten.

In Teil IV, »Vermittlung von ästhetischer Bildung an Hochschulen«, diskutiert Konstanze Kirchner in ihrem Beitrag »Berufsqualifizierende Professionalisierung: Blicke schärfen – forschend Lernen« vermittlungswissenschaftliche Orientierungen in Bezug auf die ästhetische Bildung von Studierenden an Hochschulen. Wie werden angehende PädagogInnen auf Ästhetik in ihrem späteren beruflichen Handlungsfeld durch die Hochschule berufsqualifizierend vorbereitet und professionalisiert? Ihr Beitrag versammelt und diskutiert Ansätze zur Ausrichtung des Lernens auf individuelle Lernprozesse und Förderung von selbstorganisiertem und aktivem Lernen im Bereich der ästhetischen Bildung und Kunstvermittlung. Schließlich konstituiert sich der Professionalisierungs- und Akademisierungsdiskurs in der frühen Kindheit über zentrale Begriffe wie Theorie-Praxis-Verknüpfung, Berufsqualifizierung und Theoretisierung, die im Kern aktueller Diskussionen zu sein scheinen.

Norbert Neuß und Lena S. Kaiser

Winter 2018

I          Theoretische Perspektiven ästhetischer Bildung

1          Ästhetische Erfahrung als Grundkategorie frühkindlicher Bildung

Norbert Neuß & Lena S. Kaiser

Die Bedeutung der ästhetischen Dimension frühkindlicher Bildung ist unbestritten (vgl. Neuß 1999; Schäfer 1999, 2001; Mattenklott/Rora 2004; Staege 2016). Sie ist nicht nur in den Bildungsplänen der Länder verankert und durch viele praktische Handreichungen oder Projekte präsent, sondern auch in wissenschaftlichen Positionen mit (früh-)kindlichem Lern- und Entwicklungsbezug vertreten. So formuliert Schäfer (2001: 7): »frühkindliche Bildung ist zunächst ästhetische Bildung«. Dabei werden nicht Kunstwerke oder ihre Rezeption in den Mittelpunkt gerückt, sondern besonders die alltäglichen sinnlichen Wahrnehmungen und Erfahrungen, die Kinder im Umgang mit der materiellen und sozialen Welt machen. Diese Sicht versucht nicht die Bildungsrelevanz künstlerischer Praktiken zu mindern, sondern rückt zunächst die subjektiven, alltäglichen Wahrnehmungserfahrungen als Grundlage des Lernens in den Mittelpunkt der Betrachtung. Ästhetische Erfahrungen sind nicht zwangsläufig an bestimmte Gegenstände der Kunst gebunden, sondern können auch durch den Reiz von Alltagsgegenständen ausgelöst werden.

Dennoch gibt es bestimmte Gegenstände, die ästhetische Erfahrungen eher ermöglichen als andere. Helene (4,5 Jahre): »Ich habe mal ein Schloss gesehen. Groß war das. Sooo groß. Größer als ich – auch als Du. Da kann eine Prinzessin wohnen, wenn sie will. Sie hat dann eine Krone, die glitzert und ist sehr schön«.

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Abb. 1.1: Zeichnung von Helene (4 Jahre) – eine Prinzessin mit Krone

Ästhetische Erfahrung vollzieht sich im Alltag, aber nicht alles was wir wahrnehmen, wird zu einer ästhetischen Erfahrung. Obwohl jedes Objekt oder jedes Erlebnis ästhetische Dimensionen der Wahrnehmung beinhalten kann, bedarf es der besonderen Aufmerksamkeit und Empfindsamkeit des Wahrnehmenden (vgl. Rumpf 2015). Damit kann alles, was wir wahrnehmen, auch eine ästhetische Dimension in der Weltaneignung enthalten. Was als solches in den Blick gerät, ist äußerst subjektiv. Während bei einem Kind vielleicht einfache Sandklumpen eine ästhetische Erfahrung hervorrufen, macht ein anderes Kind eine besondere beim Essen und ein anderes beim Sammeln oder Zeichnen. Dabei geht es um das Hervortreten von Dingen und Erlebnissen in dieser besonderen Erfahrungsdimension. Vielfach geht bei Kindern mit dieser Aufmerksamkeit eine ästhetische Verarbeitung als eine Form des Verstehens einher. Das Einordnen, Umordnen und Anordnen von Dingen in beispielsweise kleine Kästchen ist eine Weise des Systematisierens, des Verstehens und des handelnden (ordnenden) Umgangs – also Formen der ästhetischen Erkenntnis.

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Abb.1.2: Schatztruhen mit Buchstaben (1) Glitzersteinen (2) und Diamanten und Gartensteinen (3)

Ein bloßes Ansehen der gesammelten Gegenstände durch Erwachsene wird nicht reichen, um zu erfassen, worum es den Kindern in ihrer besonderen Form des ästhetischen Ausdrucks geht. Erst ein verstehender, sinndeutender Zugang eröffnet ein Verständnis der ästhetischen Ausdrucksformen von Vor- und Grundschulkindern.

»Dieses Verstehen muß sich nicht verbal vollziehen, es kann sich auch in leiblicher Bewegung entfalten, etwa beim Tanzen zu einer Musik oder bei der mit allen Sinnen tastenden Erkundung einer Rauminstallation; dennoch entfaltet es sich grundsätzlich im Kontext einer interpretativen, imaginativen und manchmal reflexiven Erschließung künstlerischer Objekte« (Seel 2000: 158).

Ästhetische Erfahrung umfasst nicht nur Wahrnehmung, sondern auch alle Formen der sinnlichen Ordnung und inneren Verarbeitungsweisen.

Die folgenden Thesen beziehen sich auf diese angedeuteten ästhetischen Prozesse sowie Verarbeitungs- und Ausdrucksweisen und fokussieren dabei einzelne Aspekte, die dann in den unterschiedlichen Beiträgen dieses Buches vertieft werden.

1.1       Ästhetische Wahrnehmung und ästhetische Welterschließung

These 1: Ästhetische Erfahrung ist im Kindesalter eine grundlegende Lernform, weil diese unmittelbar mit sinnlicher Erfahrung, Körpererfahrung und sensumotorischer Wahrnehmungserfahrung verbunden ist.

Lernen geschieht durch Prozesse, bei denen Veränderungen in der Wahrnehmung und Verarbeitung von Wirklichkeit stattfinden. Ästhetische Erfahrung ist als eine Erkenntnisform zu verstehen, in der die Erkenntnis mit einer besonderen Wahrnehmung beginnt, diese dann durch eigenwillige Verarbeitungs- und Ausdrucksprozesse angeeignet wird und als solche Erfahrung wiederum die Erkenntnisfähigkeit des Subjektes erweitert.

Wie lässt sich aber das Verhältnis von Erlebnis und Erfahrung umschreiben? Erleben ist ein im Bewusstsein stattfindender, unmittelbarer und unreflektierter Vorgang, bei dem das Individuum und die Objektwelt untrennbar in der Erlebniswirklichkeit gegenwärtig sind. Solange die Ereignisse unmittelbar und distanzlos sind, haben sie die Qualität eines Erlebnisses. Erfahrungen entstehen, indem der Mensch sich seines Erlebens bewusst wird. Bollnow (1968) beschreibt dies als einen Prozess der inneren Aneignung.

»Erfahrungen erwachsen vielmehr erst in der Art, wie der Mensch das ihm von außen her Begegnende sich auch innerlich anzueignen weiß, mit ihnen sich selber verwandelt und so zur Überlegenheit des an seinen Erfahrungen gereiften Menschen gelangt« (ebd.: 235).

Zu einer Erfahrung wird ein Erlebnis durch die innerliche Verarbeitung und Reflexion. Dazu bedarf es einer kritischen Distanz dem eigenen Erleben gegenüber, aus der heraus die Unmittelbarkeit des Erlebnisses durch seine Reflexion in die Mittelbarkeit der Erfahrung verwandelt werden kann.

»Erfahrungen sind jene in einem komplexen Aneignungsprozess mit Hilfe symbolischer Formen verarbeiteten Wahrnehmungen und Erlebnisse, die sich aufgrund dieser Verarbeitung zu einem neuen Deutungs- und Handlungsmuster des Individuums verdichten« (Jank/Meyer 1991: 315).

Damit Erlebnisse zu Erfahrungen werden, müssen sie im Bereich des Bewußtseins eine Ordnung erfahren, indem sie von einem unmittelbaren unreflektierten zu einem mittelbaren reflektierten Zustand geführt werden. Im Hinblick auf die ästhetische Erfahrung bedeutet dies Folgendes.

Am Beginn eines Lernprozesses stehen die Aufmerksamkeit und die Wahrnehmung eines subjektiven, sinnlichen Eindrucks. Dieser zumeist unbewusste Aufmerksamkeitsfokus ist bei jüngeren Kindern oftmals mit Entwicklungsthemen bzw. -aufgaben verbunden. Das dieses oder jenes Erlebnis (z. B. glitzerndes Wasser, raschelnde Blätter, die Höhe eines Hauses, ein Schatten an der Wand o. ä.) besonders in die Wahrnehmung des Betrachters bzw. Kindes getreten ist, wird oftmals an den sich anschließenden Aneignungs- und Verarbeitungsformen erkennbar, in denen das Wahrgenommene innerlich verarbeitet wird. Bei diesem Prozess werden vielfältige Aktivitäten des Ordnens, Vergleichens, Verknüpfens, Konstruierens, Versprachlichens und Erweiterns eingesetzt. Durch die Verarbeitung von sinnlichen Wahrnehmungserlebnissen entstehen ästhetische Erfahrungen.

»Ästhetische Erfahrungen sind handlungsentlastende, vollzugsorientierte, selbstzweckhafte, an sinnliche Wahrnehmung gebundene, affektiv, volitiv und kognitiv bestimmte Begegnungen mit Phänomenen, die durch die Weise, in der sie sich oder ihre Gehalte holistisch präsentieren, eine Selbstbegegnung der Erfahrenden in der Fremdbegegnung (Jauß 1982) mit dem Gegenstand ermöglichen und damit einen Rückbezug auf die Hintergrunderwartungen von Erfahrungssituationen einschließen« (Kleimann 1996: 90).

Dabei sind die unterschiedlichsten Formen ästhetischer Erfahrung schon im Kleinkindalter denkbar: (1) leibliches und zunächst zweckfreies Erkunden und Gegenwärtigen von Phänomenen (Materialität etc.), (2) orientierendes Vergegenwärtigen von Phänomen in gestalterischen Darstellungen sowie (3) das Entwickeln, Entfalten und Verstehen von möglichen Sichtweisen der Welt (vgl. Seel 1991). Ästhetische Wahrnehmungen und Erfahrungen legen eine besondere Art und Weise der Welterfahrung und des In-der-Welt-Seins-dar.

1.2       Ästhetisches Gestalten

These 2: Beim ästhetischen Gestalten entwickelt sich eine permanente Wechselwirkung zwischen dem gestaltenden Kind und dem entstehenden Produkt. Die motorisch-emotionalen Impulse, die vom Gestalter in das Produkt einfließen, kehren in Form eines Wirkungseffektes zu ihm zurück. Inneres Erleben wird so in einem »Außen« erlebbar.

Hierbei geht es um eine Form der Selbstbewegung, die zwar durch ein Außen angeregt und gefördert werden kann, aber als eine innere Bewegung, also als autonomer Aneignungsprozess (in der Wechselwirkung) zwischen Innen und Außen verläuft. Es geht um die Einwirkung von Außen und der Rückwirkung von Innen. Mit dem Produkt der Symbolisierung (Sprache, Spiel, Zeichnung usw.) stehen Meinungen, Gedanken, Erinnerungen oder Gefühle als symbolischer Ausdruck in der Welt und ermöglichen auch ein aktives Verhalten oder eine Position ihm gegenüber. Die Möglichkeit, sich gegenüber dem eigenen symbolischen Ausdruck wie zu einem anderen zu verhalten, hat der Philosoph Helmuth Plessner (1981: 297) als »exzentrische Positionalität« bezeichnet. Dieser Ausdruck beschreibt die menschliche Fähigkeit, zu sich selbst in Distanz treten zu können.

»Der Umstand, daß ich in Selbststellung es bin, der Material und Formen der Innensphäre hergibt, und daß diese Selbststellung mir noch selbst gegeben ist, ermöglicht die Entdeckung der psychischen Realität und gleichzeitig ihre Umgestaltung« (ebd.: 297).

Beim ästhetischen Gestalten wirken sinnliche, emotionale und kognitive Prozesse zusammen, was diese Form des Gestaltens sehr komplex macht. Auch wenn dies kein bewusster Prozess ist, so erleben Kinder im Gestalten auch immer etwas von sich selbst. Dadurch, dass inneren Eindrücken ein Ausdruck verliehen wird, können die Wirkungseffekte aber nicht nur für das Kind erlebbar werden, sondern auch Fachkräften dienlich sein, um das Kind und sein Erleben besser kennenzulernen.

These 3: Ästhetisches Gestalten ist eine frühe, oftmals vorsprachliche Verarbeitungs- und Erkenntnisform, bei der Freude am Experimentieren sowie motorische und emotionale Impulse zusammenfließen. Selbstwirksamkeit wird erfahren und Selbst- und Weltwahrnehmung werden erkennbar. Daher wird der bildnerischen Tätigkeit eine persönlichkeitsbildende Funktion zugeschrieben.

Im Umgang mit Material – im konkreten ästhetischen Gestalten – kann sich ästhetische Empfindung und Erfahrung entfalten. Das ästhetische Gestalten selbst eröffnet vielfältige Sinneseindrücke und experimentelle Handlungen, die in besondere Weise in Selbstaufmerksamkeit verbunden mit Sachaufmerksamkeit im Umgang mit Materialien, münden können. Bedeutungsvoll scheint daher im ästhetischen Gestalten die Verbindung von bildnerischer Tätigkeit und Phantasie, Vorstellungsvermögen, Imagination, sinnlicher Wahrnehmung und verstandesmäßiger Logik zu liegen ohne eine Art der Rechtfertigung durch erfüllte soziale Erwartungen zu bedürfen (vgl. Mollenhauer 1996: 89f.). Die Erfahrung von Selbstwirksamkeit durch ein unreglementiertes und frei von Bewertung erlebtes »Hinterlassen von Spuren« in der Welt scheint Kinder zu stärken und eine bedeutsame Rolle für weitere Lern- und Entwicklungsprozesse zu spielen. Insbesondere die Interpretationsoffenheit des Ästhetischen erzeugt Deutungsambivalenz. Aus dieser Perspektive ermöglicht das Ästhetische das Äquivoke, Mehrdeutige, Doppeldeutige und Mehrsinnige. Es »ist [daher] keine logische Ordnung, sondern eine der Deutungsdifferenzen, der Deutungsambivalenzen oder der Oppositionen« (Mollenhauer 1999: 93). Dies eröffnet verschiedene ästhetische Dimensionen. Beim ästhetischen Gestalten erfährt das Kind Selbstwirksamkeit. Diese ist ein wichtiges Element der Identitätsbildung.

»Selbstwirksam zu sein heißt, aufgrund bisheriger Erfahrungen auf seine Fähigkeiten und verfügbaren Mittel vertrauen zu können und davon auszugehen, ein bestimmtes Ziel auch durch Überwindung von Hindernissen am Ende tatsächlich erreichen zu können« (Fröhlich-Gildhoff 2013: 51).

Insbesondere das Erleben von Stolz und Erfolg auf das eigene »Erzeugte« gehört zu einem wichtigen Teil der Persönlichkeitsbildung. Dabei spiegelt sich ein Angedenken, Erinnern und ein Nach-denken im Sinne von hinterher-denken, als aktive Tätigkeit des sich Erinnerns in den Äusdrucksphänomenen der Kinder wieder. Dabei ist ein »Angedenken […] etwas anderes, als etwas im Gedächtnis zu behalten, weil der Ausdruck ›Angedenken’ eine aktive Tätigkeit des Sich-Erinnerns enthält, also ein dynamisches Element, während die Vorstellung von den gespeicherten Daten im zentralen Nervensystem eine statische ist« (Mollenhauer 1999: 92). Insbesondere die konstruktivistische Neurobiologie hat dazu beigetragen, Wahrnehmung, Informationsverarbeitung und Erinnerung stärker unter der Perspektive der Wirklichkeitskonstruktion zu betrachten (vgl. Maturana/Varela 1987). Die Prozesse der Konstruktion liegen aber auf zwei Ebenen. Einerseits sind damit grundlegende Erkenntnisfähigkeiten und -grenzen umschrieben. Andererseits finden sich Bedeutungskonstruktionen in den symbolisch-ästhetischen Aneignungsweisen von Kindern wieder. In den spezifischen Ausdrucksphänomenen der Kindheit werden die differenzierten ästhetischen Dimensionen der Welterschließung mit ihrer Deutungsambivalenz erkennbar. Zu diesen Ausdrucksphänomenen gehören u. a. die Kinderzeichnungen, die unsichtbaren Freunde (vgl. Neuß 2008), das Rollenspiel (Kaiser/Neuß 2012), die Sammelleidenschaft und die frühen emotionalen Peer Bindungen (»Sandkastenliebe«) (vgl. Neuß/Schäfer 2017). Um die ästhetische Dimension des Lernens zu verstehen, eignen sich diese Phänomene besonders gut.

These 4: Ästhetisches Gestalten geht mit zunehmender kognitiv-sprachlicher Entwicklung zu symbolischen Darstellungsformen über, die vor allem für das Entstehen von Imaginationen, Fantasien und Vorstellungen zentral sind. Ästhetisches Gestalten fördert bildliche Denkvorgänge und den Aufbau von bildlichen Repräsentationen.

Das Besondere am ästhetischen Ausdruck ist seine Symbolhaftigkeit (image Kap. 12). Um den ästhetischen Ausdruck zu verstehen und eventuell Bezüge zu Entwicklungsthemen der Kinder herzustellen, bedarf es eines symbolischen Verständnisses menschlichen Ausdrucks (Saner 1988). Leicht lässt sich das am Spiel verstehen. Eine Banane kann im Spiel zu einem Zauberstab oder auch einer Waffe werden. Die Bedeutung »Zauberstab« oder »Waffe« ist erst im Spiel durch die sprachliche Bezeichnung des Kindes oder durch seine kontextuellen Handlungen erkennbar. Diese Formen der objektbezogenen Imaginationen und Phantasien erzeugen den symbolischen Gehalt des ästhetischen Ausdrucks. Daher erfordert ein Verstehen des ästhetischen Ausdrucks (z. B. von der pädagogischen Fachkraft oder den Eltern) ein Überschreiten des Gezeigten und ein sich Einlassen auf die verborgenen, hinzugedachten oder imaginierten Bedeutungsanteile.

Für die Entwicklung der Kinder können diese Symbolisierungsprozesse gar nicht hoch genug eingeschätzt werden, wie auch Garlichs (1993) verdeutlicht:

»Bildhafte Ausdrucksformen sind eine zum Leben notwendige, für manche Kinder vielleicht sogar überlebensnotwendige Ausdrucksmöglichkeit. Im Innern der Kinder liegt sozusagen ein Schatz von Eindrücken bereit, angesammelt durch den unablässigen Strom von Wahrnehmungen und Empfindungen, ungeordnet und undurchschaubar, bereit in Bildern Gestalt zu gewinnen« (ebd.: 85).

Anders als der sprachliche Ausdruck, der vielfach durch das Bewusstsein gefiltert wird, ermöglicht die bildhafte Symbolsprache, auch vorbewusste und unbewusste Impulse zum Ausdruck zu bringen. Diese besondere Fähigkeit präsentativer Symbolisierungsformen wurde von Cassirer und Langer (1987) herausgestellt.

»Die Kraft, sich in Bilder auszudrücken, Symbole zu setzen, ist eine genuin menschliche Möglichkeit. Bildzeichen stehen am Anfang einer jeden Kultur und stellen immer mehr als bloße Abbildungen dar« (Cassirer zit. n. Garlichs 1993: 86).

Symbolisierungsvorgänge, die auf präsentative Mittel wie z. B. Zeichnen und Gestalten zurückgreifen, sind Vorgänge der Reflexion. Aber ästhetisches Gestalten ist nicht dem Unbewußten, Irrationalen oder Emotionalen zuzurechnen, wie Gunter Otto (1994) verdeutlicht: »Das Ästhetische ist ›Das Andere der Vernunft‹« und sei ein genereller Modus, sich selbst im Verhältnis zur Welt und zur Weltsicht anderer zu erfahren.

1.3       Ästhetische Bildung und ästhetische Anregung

These 5: Auf die Bildung von Wahrnehmungs- und Vorstellungstätigkeit durch entsprechende Arrangements, Räume und Materialien muss höchste Aufmerksamkeit in vor- und grundschulpädagogischen Einrichtungen gerichtet werden.

Kinder erkunden die Welt mit allen Sinnen. Die Erkundung von Welt und das Wahrnehmen und Erfahren von Differenziertheit und Vielfältigkeit sind Ausgangspunkte, um Fragen zu stellen und zu eigenen Konstruktionen von Wirklichkeit und Welt zu gelangen. Gleichzeitig geht damit aber auch einher, dass es Ideen und Zugangsweisen braucht, um Wirklichkeit differenziert wahrnehmen zu können. Ästhetische Erfahrungen können dann angeregt werden, wenn die pädagogischen Arrangements (z. B. Atelier, Lernwerkstatt o. ä.) die spezifischen alltäglichen Tätigkeiten (vgl. Neuß 2014)1 der Kinder berücksichtigen:

•  Sammeln und Vergleichen (vgl. Bloch, Kaiser & Danner in diesem Band)

•  Zeichnen und Modellieren (vgl. Meyer & Peez in diesem Band)

•  Arrangieren und Ordnen (vgl. Brenne in diesem Band)

•  Spielen und Gestalten (vgl. Schneider in diesem Band)

•  Erzählen und Rollenspiel

•  Wahrnehmen und Darstellen (vgl. Lee & Metzger in diesem Band)

•  Phantasieren und Träumen

•  Gestalten und Konstruieren (vgl. Zick in diesem Band)

•  Staunen und Beobachten (vgl. Czech in diesem Band)

•  Singen und Tanzen

Diese Tätigkeiten sind aus Entwicklungsfeldern und -aufgaben der Kinder und den Grunddimensionen des kindlichen Lernens abgeleitet. Ästhetische Arrangements und Angebote in diesen aufgezeigten Bereichen eröffnen in besonderer Weise Möglichkeitsräume, auch mit anderen in Austausch und Reflexion zu kommen und dabei differenzierte Welterfahrungen machen zu können.

These 6: Ästhetische Wahrnehmungs- und Handlungsweisen sind in sehr geringem Umfang durch standardisierte und genormte Anregungen (Ausmalbilder, vorgestanzte Grafiken, Schablonen usw.) anzubahnen, sondern vor allem durch die freien, nichtfestgelegten Erkundungswege.

Gelegenheiten für ästhetische Wahrnehmungs- und Handlungsweisen können sich gleichermaßen aus ungeplanten wie aus arrangierten Situationen ergeben. Solche können besondere Sinnes-, Gefühls- oder Körpereindrücke (bspw. Freude, Angst), besondere Ereignisse (Weihnachten, Geburtstage), Naturphänomene (Schatten, Regenbogen), Alltagsmaterialien (Küchenutensilien), Kunst (Gemälde, Installationen), Musik und Geräusche usw. sein. Wenn Materialien und Umgebung zum Werken und Wirken einladen und damit weitere Momente des Staunens, Irritierens, Fragens, Forschens und (Ver-)Wunderns eröffnen, können sich verschiedene ästhetische Denk- und Handlungsformen, die die Komplexität ästhetischer Prozesse ausmachen, vernetzen. Festgelegte Bearbeitungs-, Denk-, Handlungs- und Erkundungswege stören diese Form der Vernetzung ästhetischer Handlungsweisen und begrenzen diese eher. Obwohl es Kinder gibt, die die genormten, vorgegebenen Schablonen sehr bevorzugen, sollte in pädagogischen Institutionen der Erfindergeist, die Kreativität und die freie Schaffenskraft gefördert werden. Dies verlangt jedoch auch von den pädagogischen Fachkräften ein ebensolches Maß an Mut zu unkonventionellen Projekten.

These 7: Weil die ästhetische Wahrnehmung als grundlegende Lernform zu verstehen ist, ist ihre Förderung auf keinen Bildungsbereich begrenzbar, sondern erfordert ein bildungsbereichsübergreifendes Lernverständnis mit entsprechenden pädagogischen Konsequenzen.

Ästhetisches Lernen, welches mit der sinnlichen Wahrnehmung, der Körperwahrnehmung, den Emotionen und der sprachlichen und symbolischen Ausdrucksfähigkeit verbunden ist, sollte seine Aufmerksamkeit in allen Bildungsbereichen haben. – Oder anders formuliert: Das ästhetische Lernen macht darauf aufmerksam, dass das Denken in Bildungsbereichen und das Umsetzen von bildungsbereichsspezifischen Angeboten ein Irrweg in der Frühen Bildung ist. Ist es tatsächlich denkbar, dass man mit Kindern z. B. ein Waldprojekt veranstaltet, in dem keine sprachlichen, spielerischen, ästhetischen, bewegungsorientierten oder gesundheitsbezogenen Aspekte zum Tragen kommen – sondern nur die »naturwissenschaftlichen«? Es geht also zukünftig darum, in allen pädagogischen Aktivitäten mit Kindern auch ihre besonderen sinnlich-ästhetischen Wahrnehmungs- und Ausdrucksweisen zu erkennen und zu fördern. Dabei gilt es nochmals zwischen den selbstbildnerischen Tätigkeiten der Kinder (vgl. Neuß 2014) und den angeleiteten Angeboten zu unterscheiden. Es ist äußerst fraglich, inwiefern punktuelle, domänenspezifische Angebote eine tatsächliche »domänenspezifische« Förderung (und Zielerreichung) bezwecken. Vielmehr ist von multifaktoriellen Wirkungen pädagogischer Angebote auszugehen, die nicht – wie in der Schule angenommen wird – eindimensional-zielorientiert wirken, sondern je nach subjektiver Wahrnehmungs- und Interessenverarbeitung ablaufen. Diese Erfahrung machen pädagogische Fachkräfte tagtäglich. Sie planen ein Angebot, z.B das Backen eines Kuchens. Die dabei gemachten Erfahrungen können sehr unterschiedliche Lerndimensionen ausbilden. Es wäre viel zu schlicht, dieses Angebot an der Wand der täglichen Aktivitäten unter »Alltagskompetenzen« einzuordnen. Diese Zuordnung macht vielleicht sogar dafür unaufmerksam, dass die Kinder dabei soziale, sprachliche, motorische, haptische, olfaktorische, sinnliche und naturwissenschaftliche Erfahrungen machen und leistet somit einem funktionalistischen Lernverständnis Vorschub. Daher ist ein bildungsbereichsübergreifendes Denken gefordert, welches in den Selbstbildungstätigkeiten der Kinder, im Freispiel und in den eher angebotsorientierten Lernformen alle »Bildungsbereiche« zu erkennen vermag.

Literatur

Bollnow, Otto Friedrich (1968). Der Erfahrungsbegriff in der Pädagogik. In: Zeitschrift für Pädagogik (4), S. 221–252.

Duncker, Ludwig/Maurer, Friedemann/Schäfer, Gerd E: (Hrsg.) (1990). Kindliche Phantasie und ästhetische Erfahrung. Wirklichkeiten zwischen Ich und Welt. Langenau-Ulm.

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1     Der Übersicht halber sind die Beiträge des vorliegenden Buches hier exemplarisch einem Bereich zugeordnet, gleichwohl einige Beiträge sich mehreren Bereichen zuordnen ließen, damit ist die Zuordnung weder vollständig noch abschließend gedacht, sondern folgt allein einem exemplarischen Charakter.

2          Bedeutung der Ästhetik für kindliche Bildungsprozesse

Gerd E. Schäfer

»Jede unserer Erkenntnisse beginnt bei den Sinnen« (Leonardo da Vinci, 2006, S. 17).

Wenn man davon ausgeht, dass Kinder vom ersten Augenblick ihres extrauterinen Lebens an Erfahrungen machen, speichern und bewerten, dann sind die sensorischen, motorischen und emotionalen Prozesse die Grundlage dafür, wie Welt wahrgenommen und gedacht wird. Aus den verschiedenen Bereichen der Künste wissen wir, dass man die Sensibilität für die sensorischen Wahrnehmungen und den sensorischen Ausdruck in hohem Maße differenzieren kann. Wenn zwei das Gleiche wahrnehmen, dann kann die Wahrnehmung eines jeden doch sehr unterschiedlich ausfallen. Und dies gilt nicht nur für den künstlerischen Bereich, sondern auch für den Alltag und zwar von Anfang an. Die erste Bildungsaufgabe besteht also in der Differenzierung und Bildung der sensorischen Möglichkeiten; dies jedoch nicht als sensorisches Training, sondern als eine Strukturierung der wahrgenommenen Welt mit sinnlichen Mitteln. Seit wir gewohnt sind Kunst und Wissenschaft voneinander zu trennen, ist uns das Verständnis dafür weitgehend verloren gegangen, dass jede Wahrnehmung einer äußeren oder inneren Wirklichkeit zunächst ein ästhetischer Akt ist, der diese Wirklichkeit aus einem Eindruck von zunächst ungeordneten Reizen in ästhetisch geordnete sensorische Muster verwandelt. Nur eine sinnlich geordnete Welt kann schließlich ins Bewusstsein treten und mit anderen geistigen Werkzeugen – Spiel, Phantasie, Gestalten, Beschreiben, Nachdenken usw. – weiterbearbeitet werden. Wo wir keine sinnliche Ordnung einrichten können, werden wir von chaotischen Reizen überwältigt.1

Diese Umwandlung muss am Anfang des Lebens für alle Lebensbereich erst einmal eingerichtet werden, bevor sie uns dann später automatisch zur Verfügung steht, so dass wir den Eindruck haben, die Welt läge bereits geordnet in Dingen der Natur und der Kultur vor uns. Sie bildet ein verkörpertes, implizites Wissen, welches uns wie natürlich vorkommt und das wir deswegen nicht in Zweifel ziehen.2

Wir geraten aber auch als Erwachsene noch in Verwirrung, wenn wir etwas, was wir wahrnehmen, nicht identifizieren, d. h. bereits bekannten Mustern zuordnen können. Was am Anfang des Lebens eine zentrale Aufgabe darstellt, beschränkt sich im weiteren Leben nur noch auf die Situationen und Erfahrungen, die wirklich neu sind. Aber man kann sein Leben auch darauf einrichten, möglichst wenig oder möglichst viel Neues noch zu erfahren. Und dementsprechend muss man lernen, mit solchen Verwirrungen immer wieder umzugehen, sie zu ordnen und erkennbar zu machen, oder diese aus dem Leben, so gut es geht, auszuklammern. Doch diese Ordnung des Neuen mit den sensorischen und anderen geistigen Mitteln bleibt eine zentrale Aufgabe, wenn es darum geht, neue und bisher nicht gelöste Probleme anzugehen.

Unter Ästhetik wird hier also kein Vorläufer künstlerischer Gestaltung verstanden. Vielmehr wird dieser Begriff in seiner elementaren Bedeutung – wie sie Baumgarten im 18. Jahrhundert bereits entwickelt hat3 – verwendet, nämlich als Ordnung der sinnlichen Wahrnehmung. Wirklichkeit wird nicht einfach realistisch wahrgenommen, sondern »ästhetisch konstituiert«.4

Im Kontext frühkindlicher Bildungsprozesse bedeutet dies, dass

•  sinnliche Erfahrung5 kein a priori der kindlichen Entwicklung ist, sondern von den Entwicklungsmöglichkeiten abhängt, die im soziokulturellen Umfeld gegeben sind;

•  diese eine Entwicklung durchmachen und auf diese Weise die biographischen Erfahrungen strukturiert wird;

•  alle Formen des Wahrnehmens mithin ein Denken sind.

Die Entwicklung sensorischer Erfahrung ist also gleichbedeutend mit einer Entwicklung des ästhetischen Denkens. Jedes Wahrnehmen ist ein Erkenntnisprozess, der später – in vertrauten Bereichen individueller Lebenswirklichkeit – weitgehend automatische abläuft6, in seinen Anfängen in der frühen Kindheit jedoch einen wesentlichen Aspekt kindlicher Bildung ausmacht.

Unter dem Begriff der Ästhetik wird hier also eine Theorie der sinnlichen Erkenntnis vorgestellt. Von daher wird ästhetische Bildung als die Bildung eines Denkens durch ästhetische Praktiken, eines ästhetischen Denkens begriffen. Damit werden die gestalterischen Produkte als Formen kindlicher Reflexion über ihr Bild von der Welt angesehen und nicht als Vorformen eines künstlerischen Ausdrucks.

2.1       Wahrnehmen wird zu einem großen Teil erlernt

Aus der Perspektive von Erwachsenen erscheint Wahrnehmen als eine Selbstverständlichkeit. Wir erinnern uns auch nicht, dass wir es gelernt haben. Niemand hat es uns beigebracht. Wir haben es auch nicht grundsätzlich lernen müssen, denn wir konnten es schon vom ersten Augenblick nach der Geburt oder schon vorher. Unsere Wahrnehmungsinstrumente sind nämlich in einem Jahrmillionen langen Lernprozess der Evolution entstanden. Ihr Bau, ihre Leistungsmöglichkeiten wie ihre Grenzen sind genetisch festgelegt. Aber was aus diesem vorgegebenen Potenzial gemacht wird, das hängt von den Herausforderungen der Umwelt ab, in die ein Kind hineingeboren wird.7

Es ist leicht nachvollziehbar, dass ein Akrobat eine differenziertere Bewegungs- und Körperwahrnehmung hat und haben muss, als der Mensch mit einem »normalen« Bewegungsbereich, ebenso der Handwerker oder Segler. Ein Musiker hat sein Ohr in der Regel weiter geschult als derjenige, dem Musik nicht viel bedeutet. Das geht bis in die musikalischen Richtungen und Stile, die man bevorzugt. Ein Psychotherapeut wird Emotionen feiner wahrnehmen und erkennen als wir das im Alltag tun.

Die Unterschiede beginnen schon mit den Landschaften, in denen wir aufwachsen, deren Farbigkeit und Räumlichkeit unterschiedlich ist, je nach Ort, Klimazonen, Vegetation und Bevölkerungsdichte. Ein Mitteleuropäer dürfte kaum in der Lage sein, die Unterschiede der Farbigkeit, der Bewegungen, der Wolkenbildung und der Formen des Windes überhaupt zu erkennen wie es ein Fischer tut, der von Kindheit an gewohnt ist, sich mit dem Boot auf dem Meer zu bewegen. Wir wissen auch, dass solche Fähigkeiten verloren gehen, wo sie nicht mehr ausgeübt werden, deutlich in allen handwerklichen Künsten, die in verschiedenen Regionen der Welt ausgeübt wurden und die durch moderne Produktionsmethoden ersetzt werden.

Die Wirklichkeit, in der Menschen leben, ist so vielfältig, herausfordernd durch immer neue und nicht erwartbare Blickwinkel, dass sie von einer genetischen Ausstattung – und wäre sie noch so reichhaltig – nicht erfasst werden könnte. So kommen wir zwar mit Sinnesmöglichkeiten auf die Welt. Sie müssen aber erst auf die jeweils gegebenen Umwelten und ihre spezifischen Wahrnehmungsbedingungen eingestellt werden.

Selbst wenn wir als Erwachsene dies kaum mehr nachvollziehen können, am Beginn des menschlichen Lebens ist das differenzierte Wahrnehmen noch eine Aufgabe, die auch zum Problem werden kann, wenn die Herausforderungen – z. B. durch ungünstige soziale Bedingungen – hinter dem zurückbleiben, was in einem kulturellen Umfeld tatsächlich standardmäßig benötigt wird. Ich werde darauf zurückkommen.

2.2       Welche Weisen der Sinneswahrnehmung gibt es beim Menschen?

Es gibt in der gesamten Lebenswelt Millionen von Lösungen für das Problem der Wahrnehmung. Ich beschränke mich auf den Menschen: Er ist – wie sehr viele Lebewesen – mit vielfachen Wahrnehmungssystemen ausgestattet. Und es kommt ein weiterer Schritt hinzu: Er kann ein Bewusstsein von dem entwickeln, was er wahrgenommen hat.

Die Wahrnehmungssysteme der Menschen lassen sich in drei Dimensionen unterteilen:

•  Die Wahrnehmung über die Fernsinne. Mit ihnen erfahren wir etwas über die Welt außerhalb unseres Körpers.

•  Die Wahrnehmungen über unsere Körpersinne. Mit ihnen erfahren wir etwas über Zustände unseres Körpers und wie die Dinge aus der äußeren Welt auf den Körper einwirken.

•  Die emotionale Wahrnehmung. Auch Emotionen muss man als eine Wahrnehmungsform betrachten. Wir sprechen von Gefühlswahrnehmungen. Liebe, Haß, Ärger, Gleichmut usw., mit solchen Gefühlen erfahren wir etwas über die Beziehungen, in welchen wir uns befinden.

Um uns in der Welt zu orientieren, benötigen wir alle drei Wahrnehmungsdimensionen. Es ist wie ein Koordinatensystem mit drei Dimensionen: Ein Gegenstand lässt sich in der Welt da draußen sehen und hören. Er kann meinen Körper beeinflussen, mich z. B. zu bestimmten äußeren oder inneren Bewegungen veranlassen, oder mein Gleichgewichtssystem ansprechen. Und die Begegnung mit ihm ruft in mir Gefühle hervor. Man kann auf einzelne Wahrnehmungsweisen verzichten. Manche Ereignisse sprechen nicht alle Sinne an. Man kann sie vielleicht nicht hören oder riechen. Doch je vielfältiger die Wahrnehmungsweisen sind, desto lebendiger, genauer, plastischer werden die »Vorstellungen«, die wir aus unseren Wahrnehmungen gewinnen.