INHALT

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ÜBER DEN AUTOR

Kevin Kwan wurde 1973 in Singapur geboren und zog als Kind mit seiner Familie in die USA. Von der TIME wurde er kürzlich auf die Liste der 100 einflussreichsten Persönlichkeiten gesetzt. Crazy Rich Asians ist sein Debüt, das in den USA monatelang auf der Bestsellerliste stand, in 30 Sprachen übersetzt und auch international zum Bestseller wurde. Der Roman ist der Auftakt zu einer Trilogie. Kevin Kwan lebt derzeit in New York und kennt das in seinen Romanen beschriebene kuriose Milieu aus eigener Erfahrung. »Die Realität ist verrückter«, sagt er.

ÜBER DAS BUCH

Rachel ist überglücklich: Ihr Freund Nick möchte sie endlich seiner Familie in Singapur vorstellen. Doch schon kurz nach ihrer Ankunft in Asiens schillerndster Stadt wird Rachel klar, dass Nick aus der obersten Schicht der Superreichen stammt, einem geschlossenen Kreis, der unermessliche Reichtümer besitzt. Plötzlich sieht sie sich konfrontiert mit schrillen Verwandten, glamourösen Nebenbuhlerinnen und Privatjets mit ayurvedischen Yogastudios. Welchen Wert hat Liebe in dieser maßlosen Welt?

»Diese 48-Karat-Strandlektüre macht verrückt viel Spaß.« Entertainment Weekly

»Eine schwindelerregende Shopaholic-Komödie.« The New York Times

»Es ist unmöglich, sich nicht in diesen Roman über eine riesige Familie von Wichtigtuern hineinziehen zu lassen.« Glamour

Kein & Aber

Kein & Aber

 

Für meine Mutter
und meinen Vater

PROLOG

COUSINS UND COUSINEN

LONDON, 1986

Nach dem sechzehnstündigen Flug aus Singapur, der Zugfahrt von London Heathrow und dem Fußmarsch durch die regennassen Straßen ließ sich Nicholas Young völlig erschöpft auf den nächstbesten Sessel in der Hotellobby fallen. Seine Cousine Astrid Leong setzte sich vor Kälte zitternd, aber schicksalsergeben neben ihn. Ihre Mutter Felicity, seine daai guze1, meinte, es sei eine Sünde, wegen neun Blocks ein Taxi zu rufen, und hatte alle gezwungen, von der U-Bahnstation Piccadilly zu Fuß zu gehen.

Einem unbeteiligten Beobachter wäre womöglich aufgefallen, wie brav der ungewöhnlich gefasste Achtjährige und das stille, ätherische Geschöpf in einer Ecke saßen, doch von seiner Position hinter dem Schreibtisch mit Blick auf die Lobby sah Reginald Ormsby lediglich zwei kleine Chinesen, die mit ihren klatschnassen Mänteln das Damastsofa ruinierten. Und das war bloß der Anfang. Direkt daneben tupften sich drei chinesische Frauen wie wild mit Papiertaschentüchern ab, während ein Teenager durch die Lobby schlitterte und Schlammspuren auf dem Schachbrettmarmor hinterließ.

Ormsby eilte aus dem Zwischengeschoss nach unten. Er würde diese Ausländer schneller abwimmeln können als seine Mitarbeiter an der Rezeption. »Guten Abend, ich bin der Manager. Wie kann ich Ihnen weiterhelfen?« Er sprach langsam und betont deutlich.

»Guten Abend, wir haben ein Zimmer reserviert«, erwiderte die Frau in perfektem Englisch.

Ormsby sah sie überrascht an. »Unter welchem Namen?«

»Eleanor Young und Familie.«

Ormsby erstarrte – der Name war ihm ein Begriff, immerhin hatten die Youngs die Lancaster-Suite gebucht. Aber wer hätte gedacht, dass »Eleanor Young« eine Chinesin war, und wie um alles in der Welt war sie hier gelandet? Das Dorchester und das Ritz nahmen solche Leute vielleicht auf, aber das hier war das Calthorpe, seit der Regentschaft von George IV. in Besitz der Calthorpe-Cavendish-Gores und im Grunde ein Privatclub für Familien, die im Debrett’s oder dem Almanach de Gotha auftauchten. Ormsby musterte die tropfnassen Frauen und Kinder. Lady Uckfield residierte dieses Wochenende im Hotel, und er malte sich mit Grauen ihre Reaktion aus, wenn diese Leute am nächsten Morgen beim Frühstück auftauchten. Er fasste einen Entschluss. »Das tut mir furchtbar leid, aber ich kann unter dem Namen leider keine Reservierung finden.«

»Sind Sie sich sicher?«, fragte Eleanor überrascht.

»Durchaus.« Ormsby lächelte angespannt.

Felicity Young trat zu ihrer Schwägerin an die Rezeption. »Gibt es hier ein Problem?« Sie konnte es kaum erwarten, sich endlich die Haare zu föhnen.

»Alamak2, er findet unsere Reservierung nicht.« Eleanor seufzte.

»Wieso nicht? Hast du vielleicht unter einem anderen Namen reserviert?«

»Nein, lah. Wieso sollte ich? Die Reservierung war unter meinem Namen«, erwiderte Eleanor irritiert. Wieso musste Felicity ihr ständig Inkompetenz unterstellen? Sie wandte sich wieder an den Manager. »Könnten Sie bitte noch einmal nachsehen, Sir? Ich habe die Reservierung vorgestern extra bestätigt. Wir haben die größte Suite gebucht.«

»Ich weiß, dass Sie die Lancaster-Suite gebucht haben, aber ich finde Ihren Namen leider nicht«, beharrte Ormsby.

»Aber wenn Sie wissen, dass wir die Lancaster-Suite gebucht haben, wieso können wir sie dann nicht haben?«, fragte Felicity leicht verwirrt.

Verdammter Mist. Ormsby verfluchte sich innerlich. »Nein, nein, da haben Sie mich falsch verstanden. Ich meinte, Sie glauben vielleicht, dass Sie die Lancaster-Suite reserviert haben, aber ich habe dazu leider keine Unterlagen.« Er tat so, als würde er ein paar Dokumente durchsehen.

Felicity beugte sich über die polierte Eichentheke, zog das ledergebundene Reservierungsbuch zu sich heran und blätterte um. »Hier! Da steht es doch. ›Mrs Eleanor Young, vier Übernachtungen in der Lancaster-Suite.‹ Sehen Sie das etwa nicht?«

»Madam! Dieses Buch ist vertraulich!«, schnauzte Ormsby sie an. Die zwei Empfangsmitarbeiter warfen sich peinlich berührte Blicke zu.

Felicity musterte den rotgesichtigen Mann mit der einsetzenden Glatze, und plötzlich wurde ihr klar, was hier vor sich ging. Seit ihrer Kindheit in den letzten Tagen der Kolonialherrschaft in Singapur hatte sie eine solche Herablassung nicht mehr erlebt, und sie hatte eigentlich gedacht, offen zur Schau getragener Rassismus wäre ausgestorben. »Sir«, sagte sie höflich, aber bestimmt. »Ihr Hotel wurde uns von der Frau des anglikanischen Bischofs in Singapur wärmstens empfohlen, und ich habe unseren Namen in Ihrem Buch genau gesehen. Ich weiß ja nicht, was hier los ist, aber wir haben eine lange Reise hinter uns, und unsere Kinder sind müde und unterkühlt. Ich bestehe darauf, dass Sie uns sofort in unsere Suite lassen.«

Ormsby war pikiert. Wie konnte es diese Chinesin mit der Thatcher-Dauerwelle und dem grotesken »britischen« Akzent wagen, derart mit ihm zu reden? »Ich fürchte, wir sind leider ausgebucht.«

»Wollen Sie damit behaupten, dass im gesamten Hotel kein einziges Zimmer frei ist?«, fragte Eleanor ungläubig.

»Ja«, erwiderte er kurz angebunden.

»Und wo sollen wir um diese Uhrzeit noch hin?«

»Vielleicht finden Sie was in Chinatown.« Er hatte schon genug Zeit mit diesen Ausländern verschwendet.

Frustriert gingen die beiden Frauen zu ihrer kleinen Schwester Alexandra Cheng, die das Gepäck bewachte. »Na endlich! Ich muss unbedingt in die Wanne.«

Felicity machte keinen Hehl aus ihrer Wut. »Dummerweise weigert sich dieser widerliche Kerl, uns unser Zimmer zu geben.«

»Was? Wie bitte?« Alexandra war verwirrt.

»Ich glaube, er hat was gegen Chinesen.« Felicity klang, als könnte sie selbst nicht glauben, was sie da sagte.

»Gam seoi, ah!«3, rief Alexandra. »Lass mich mal mit ihm reden. In Hongkong habe ich ständig mit solchen Typen zu tun.«

»Vergiss es, Alix. Das ist ein klassischer ang moo kau sai4«, meinte Eleanor.

»Aber ist das hier nicht angeblich eins der Spitzenhotels in London? Wie können die sich da so aufführen?«, fragte Alexandra.

»Meine Rede!«, zürnte Felicity. »Normalerweise sind die Briten höflich, mich hat hier noch nie jemand so behandelt.«

Eleanor nickte zustimmend, dabei gab sie Felicity innerlich eine Mitschuld an diesem Desaster. Wenn sie bloß nicht so kiamsiap5 wäre, hätten sie sich in Heathrow ein Taxi genommen und wären in einem weitaus besseren Zustand hier angekommen. (Natürlich half es auch nicht gerade, dass ihre Schwägerin immer so nachlässig gekleidet war. Seit dem Trip nach Thailand, bei dem man ihre Verwandten für ihre Dienerschaft gehalten hatte, trug sie auf Reisen stets legere Kleidung.) Alexandras zwölfjähriger Sohn Edison Cheng schlenderte auf die drei zu und nippte dabei an einer Cola.

»Aiya, Eddie, wo hast du das denn her?«, fragte Alexandra.

»Von der Bar.«

»Und wie hast du das bezahlt?«

»Gar nicht, ich habe denen gesagt, sie sollen es auf unsere Rechnung setzen«, erwiderte Eddie leichthin. »Können wir jetzt hoch? Ich will was beim Zimmerservice bestellen.«

Felicity schüttelte missbilligend den Kopf. Hongkonger Jungs waren dafür berüchtigt, verwöhnt zu sein, aber ihr Neffe war wirklich eine Nummer für sich. Zum Glück waren sie hier, um ihn im Internat unterzubringen, wo man ihm schon noch Vernunft beibringen würde – ein paar eiskalte Duschen und altbackenes Toastbrot mit Bovril wären genau das Richtige für ihn. »Nein, wir übernachten jetzt doch nicht hier«, erklärte Felicity. »Pass auf Nicky und Astrid auf, und wir überlegen uns, was wir stattdessen machen.«

Eddie ging zu seinem Cousin und seiner Cousine, um das Spiel aus dem Flugzeug fortzusetzen. »Runter vom Sofa!«, befahl er. »Ich bin der Vorsitzende, deswegen darf ich als Einziger sitzen. Nicky, du hältst mir das Glas hin, sodass ich an den Strohhalm komme. Astrid, du bist meine Assistentin, du kannst mir die Schultern massieren.«

»Wieso bist du der Vorsitzende, und Nicky und ich sind bloß Vizepräsident und Sekretärin?«, beschwerte sich Astrid.

»Das habe ich euch doch schon erklärt. Ich bin der Vorsitzende, weil ich vier Jahre älter bin als ihr. Du bist die Sekretärin, weil du ein Mädchen bist. Irgendwer muss mich ja massieren und Schmuck für meine Geliebten aussuchen. Der Vater von meinem besten Freund Leo, Ming Kah-Ching, ist der drittreichste Mann in Hongkong, und seine Sekretärin macht das auch.«

»Aber wenn ich dein Vizepräsident sein soll, musst du mir schon wichtigere Aufgaben geben«, meinte Nick. »Wir haben immer noch nicht beschlossen, was unsere Firma überhaupt macht.«

»Doch, habe ich. Wir bauen Limousinen nach Kundenwunsch, Rolls-Royce und Jaguar«, erklärte Eddie.

»Können wir nicht was Cooleres bauen, eine Zeitmaschine oder so?«

»Ich rede hier von Superlimousinen mit Whirlpool, Geheimfächern und Schleudersitz, wie bei James Bond.« Eddie stand so ruckartig auf, dass er Nick versehentlich das Glas aus der Hand schlug. Cola ergoss sich über Polster und Boden, und das Geräusch von zersplitterndem Glas hallte durch die Lobby. Chefportier, Concierge und Empfangsmitarbeiter blitzten die Kinder wütend an, während Alexandra zu ihnen eilte.

»Eddie, jetzt schau dir bloß an, was du für eine Sauerei gemacht hast!«

»Da war nicht meine Schuld. Nicky hat es fallen gelassen.«

»Aber das war dein Glas, und du hast es mir aus der Hand gehauen«, verteidigte sich Nick.

Ormsby kam auf Felicity und Eleanor zu. »Ich muss Sie jetzt leider bitten, unser Haus umgehend zu verlassen.«

»Können wir erst noch Ihr Telefon benutzen?«, bat Eleanor.

»Ich glaube, Ihre Kinder haben schon genug Schaden für einen Abend angerichtet, finden Sie nicht?«

Draußen nieselte es immer noch, und das Grüppchen drängte sich unter einer grün-weiß gestreiften Markise auf der Brook Street zusammen, während Felicity in einem Telefonhäuschen stand und Hotels anrief.

»Daai guze sieht in dem roten Häuschen aus wie ein Wachposten.« Nick gefiel die überraschende Wendung, die der Abend genommen hatte. »Mummy, was machen wir, wenn wir nichts zum Übernachten finden? Wir können ja im Hyde Park schlafen. Da steht so eine Trauerbuche, die Äste hängen so tief, das ist wie in einer Höhle. Da drunter sind wir dann auch vor dem Regen geschützt.«

»Jetzt hör doch auf mit dem Blödsinn«, erwiderte Eleanor. Ihr Sohn war viel zu altklug. »Niemand übernachtet im Park. Daai guze sucht uns gerade ein anderes Hotel.«

»Ooooh, ich will aber viel lieber im Park übernachten«, quietschte Astrid begeistert. »Nicky, weißt du noch, wie wir das große Metallbett bei Ah Ma in den Garten gebracht und unter den Sternen geschlafen haben?«

»Ihr könnt von mir aus in der longkau6 schlafen, aber ich nehme dann doch lieber die Suite mit Club Sandwiches, Champagner und Kaviar«, erwiderte Eddie.

»Jetzt spiel dich mal nicht so auf, Eddie. Wann hast du jemals Kaviar gegessen?«, fragte seine Mutter.

»Bei Leo. Der Butler bringt uns immer Kaviar mit so kleinen Toastdreiecken. Immer nur iranischen Beluga, weil Leos Mutter sagt, dass der am besten ist.«

»Ja, das klingt nach Connie Ming«, murmelte Alexandra. Sie war froh, dass ihr Sohn endlich dem Einfluss dieser Familie entkommen war.

Felicity versuchte gerade, ihrem Ehemann in Singapur die Notlage über eine knisternde Verbindung auseinanderzusetzen.

»Was für ein Quatsch, lah! Ihr hättet auf die Suite bestehen sollen!« Harry Leong war außer sich. »Du bist immer zu höflich. Man muss diesen Dienstleistern zeigen, wo es langgeht. Hast du ihm denn nicht gesagt, mit wem er es zu tun hat? Ich rufe sofort beim Handelsminister an.«

»Hör auf, Harry, das hilft jetzt auch nichts mehr. Ich habe es schon bei über zehn Hotels versucht. Wer konnte denn ahnen, dass heute Commonwealth Day ist? Alles ist voll mit VIPs. Die arme Astrid ist nass bis auf die Knochen. Wir müssen was für die Nacht finden, bevor deine Tochter erfriert.«

»Hast du es bei deinem Cousin Leonard versucht? Vielleicht gibt es ja eine Direktverbindung nach Surrey«, schlug Harry vor.

»Ja, aber der ist das ganze Wochenende über in Schottland auf Moorhuhnjagd.«

»So ein Mist«, seufzte Harry. »Ich probiere es mal bei Tommy Toh in der Singapurer Botschaft, die kümmern sich bestimmt darum. Wie heißt dieses Scheißrassistenhotel noch gleich?«

»Calthorpe.«

Harry horchte auf. »Alamak, ist das der Laden von diesem Rupert Calthorpe-Schlagmichtot?«

»Keine Ahnung.«

»Wo ist es denn?«

»In Mayfair, in der Nähe der Bond Street. Das Hotel selbst ist wirklich hübsch, aber dieser Manager …«

»Ich glaube, das ist es! Ich war letzten Monat mit Rupert Dingsbums und noch so ein paar Briten in Kalifornien golfen, da hat er mir davon erzählt. Weißt du was, ich rufe ihn mal an. Bleibt, wo ihr seid, ich melde mich gleich wieder.«

Ormsby starrte die drei chinesischen Kinder ungläubig an, als sie, keine Stunde nachdem er die ganze Sippe auf die Straße gesetzt hatte, erneut zur Tür hereinplatzten.

»Eddie, ich hole mir was zu trinken. Wenn du was willst, musst du es dir selbst holen«, erklärte Nicky und spazierte durch die Lobby.

»Deine Mummy hat gesagt, für Cola ist es jetzt zu spät«, warnte Astrid, die mit den Jungs Schritt zu halten versuchte.

»Na, dann bestell ich mir eben eine Rum-Cola«, erwiderte Eddie.

»Was in aller Welt …« Ormsby stürzte quer durch die Lobby, um die Kinder aufzuhalten. Bevor er sie jedoch eingeholt hatte, betrat Lord Rupert Calthorpe-Cavendish-Gore das Hotel zusammen mit den Chinesinnen, denen er anscheinend gerade eine Führung gab. »Und 1918 hat mein Großvater dann René Lalique engagiert, um die Glasarbeiten hier in der Eingangshalle auszuführen. Lutyens, der für die Restaurierung verantwortlich war, hielt natürlich nicht viel von diesen Jugendstilelementen.« Die Damen lachten höflich.

Die gesamte Belegschaft ging sofort in Habachtstellung. Der alte Lord hatte das Hotel seit Jahren nicht betreten. Lord Rupert wandte sich dem Manager zu. »Ah, Wormsby, richtig?«

»Ja, M’lord.« Er war zu benommen, um seinen Chef zu korrigieren.

»Würden Sie bitte ein paar Zimmer für Mrs Young, Mrs Leong und Mrs Cheng herrichten lassen?«

Ormsby setzte zu einem Protest an. »Aber Sir, ich habe sie doch gerade erst …«

»Und noch was, Wormsby«, fuhr Lord Rupert unbeirrt fort. »Informieren Sie das Personal bitte, dass mit dem heutigen Abend die lange Geschichte meiner Familie als Hüter des Calthorpe zu einem Ende gekommen ist.«

Ormsby starrte ihn ungläubig an. »M’lord, hier liegt doch sicher ein Missverständnis vor.«

»Nein, durchaus nicht. Ich habe das Calthorpe mit allem Drum und Dran soeben verkauft. Wenn ich Ihnen die neue Hausherrin vorstellen dürfte: Mrs Felicity Leong.«

»Wie bitte?«

»Mrs Leongs Ehegatte, Harry Leong, hat mir per Telefon ein wunderbares Angebot unterbreitet. Toller Kerl übrigens, den rechten Schwung sollten Sie mal sehen. Jetzt kann ich mich ganz dem Hochseeangeln vor Eleuthera widmen, ohne mir ständig den Kopf über diesen gotischen Schutthaufen zu zerbrechen.«

Ormsby starrte die Frauen mit offenem Mund an.

»Kommen Sie, Ladys, darauf stoßen wir jetzt erst mal mit Ihren hübschen Kindern an der Long Bar an«, verkündete Lord Rupert fröhlich.

»Sehr gern«, erwiderte Eleanor. »Felicity, wolltest du diesem Mann nicht noch etwas sagen?«

Felicity wandte sich an Ormbsy, der anscheinend kurz vor einem Ohnmachtsanfall stand. »Stimmt, das hätte ich ja fast vergessen.« Sie lächelte. »Ich muss Sie jetzt leider bitten, unser Haus umgehend zu verlassen.«

TEIL EINS

Nirgendwo auf der Welt sind die Leute reicher als in China.

Ibn Battuta, 14. Jahrhundert

1

NICHOLAS YOUNG UND RACHEL CHU

NEW YORK, 2010

»Und du bist dir da wirklich ganz sicher?« Rachel pustete sanft auf ihren heißen Tee. Sie saßen an ihrem gewohnten Fensterplatz im Tea & Sympathy, und Nick hatte sie gerade eingeladen, den Sommer mit ihr in Asien zu verbringen.

»Na klar, ich würde mich freuen«, versicherte Nick ihr. »Du wolltest doch diesen Sommer sowieso nicht unterrichten, also was spricht dagegen? Das Klima?«

»Nein, nein, ich will dich bloß nicht von deinen Pflichten als Trauzeuge abhalten.«

»Ach was, mit Colins Hochzeit sind wir doch nach einer Woche in Singapur fertig, und danach können wir den restlichen Sommer durch Asien gondeln. Ich will dir zeigen, wo ich aufgewachsen bin, und dich an meine Lieblingsorte entführen.«

Rachel warf ihm einen neckischen Blick zu. »Gehört dazu auch die heilige Höhle, in der du deine Jungfräulichkeit verloren hast?«

»Auf jeden Fall! Wir können es gemeinsam nachspielen.« Nick lachte und bestrich sich einen ofenwarmen Scone mit Marmelade und Rahm. »Du hast doch auch eine Bekannte in Singapur, oder?«

»Ja, Peik Lin, meine beste Freundin von der Uni«, erwiderte Rachel. »Sie meint schon seit Jahren, dass ich sie endlich mal besuchen soll.«

»Ein Grund mehr. Glaub mir, du wirst Asien lieben! Du wirst dich gar nicht mehr einkriegen, garantiert. Und dann das ganze Essen! Dir ist klar, dass sich in Singapur alles ums Essen dreht, oder?«

»So wie du beim Essen immer ins Schwärmen gerätst, habe ich mir das fast schon gedacht.«

»Erinnerst du dich noch an den Artikel von Calvin Trillin im New Yorker, wo es um Street Food in Singapur ging? Ich kenne Orte, von denen selbst Calvin noch nie gehört hat.« Nick biss herzhaft in seinen Scone und sprach mit vollem Mund weiter. »Diese Scones sind der Hammer, aber warte erst mal ab, bis du die von meiner Ah Ma probierst.«

»Deine Ah Ma backt Scones?« Rachel versuchte, sich eine traditionelle chinesische Großmutter beim Zubereiten der typisch englischen Gebäckstücke vorzustellen.

»Na ja, sie backt sie nicht selbst, aber bei ihr gibt es trotzdem die besten der Welt. Du wirst schon sehen.« Nick blickte sich rasch um, ob ihn auch niemand gehört hatte. Nur ungern würde er sich in seinem Lieblingscafé unbeliebt machen, weil er gedankenlos fremden Scones die Treue schwor, und sei es denen seiner Großmutter.

Das Mädchen am Nebentisch, das sich hinter einer dreistöckigen Etagere mit Mini-Sandwiches versteckte, versetzte jedes Wort ihrer Sitznachbarn ein Stück mehr in Verzückung. Sie hatte schon vermutet, dass er es war, aber jetzt war sie sich sicher. Nicholas Young! Obwohl Celine Lim damals erst fünfzehn gewesen war, würde sie nie vergessen, wie er einmal im Pulau Club7 an ihrem Tisch vorbeigegangen war und ihrer Schwester Charlotte ein umwerfendes Lächeln geschenkt hatte.

»Ist das einer von den Leong-Brüdern?«, hatte ihre Mutter gefragt.

»Nein, das ist Nicholas Young, ein Cousin von den Leongs«, erwiderte Charlotte.

»Der Sohn von Philip Young? Aiya, wann ist der denn so in die Höhe geschossen? Und gut sieht der aus!«, rief Mrs Lim.

Charlotte konnte sich die nächste Frage schon denken. »Ist gerade aus Oxford zurück. Hat zwei Abschlüsse, Geschichte und Jura.«

»Wieso hast du ihn denn nicht angesprochen?«, fragte Mrs Lim.

»Du verschreckst doch sowieso jeden, der sich auch nur in unsere Nähe wagt«, gab Charlotte zurück.

»Alamak, du dummes Huhn! Ich will euch doch bloß vor Heiratsschwindlern beschützen. Der da wäre jedenfalls ein guter Fang. Coeng ihn dir!«

Celine traute ihren Ohren kaum. Ermunterte ihre Mutter Charlotte gerade wirklich dazu, sich diesen Kerl zu schnappen? Sie musterte Nicholas neugierig, wie er sich mit seinen Freunden an einem Tisch unter einem blau-weißen Sonnenschirm am Pool amüsierte. Selbst aus der Ferne stach er deutlich hervor. Im Unterschied zu den anderen Jungen, die alle den Standardhaarschnitt vom indischen Friseur trugen, hatte Nicholas perfekt zerzaustes schwarzes Haar, die markanten Gesichtszüge eines kantonesischen Popstars und unfassbar dichte Wimpern. Er war der schönste Junge, den sie je gesehen hatte.

Ihre Mutter ließ nicht locker. »Charlotte, warum lädst du ihn nicht zu deiner Benefizveranstaltung am Samstag ein?«

»Mum, jetzt hör schon auf.« Charlotte lächelte mit zusammengebissenen Zähnen. »Ich weiß, was ich hier tue.«

Es stellte sich heraus, dass Charlotte absolut nicht wusste, was sie da tat. Sehr zur Enttäuschung ihrer Mutter ließ Nicholas sich nämlich nicht auf der Benefizveranstaltung blicken. Doch der Nachmittag im Pulau Club hatte sich derart in Celines jugendlichem Gedächtnis eingeprägt, dass sie Nick sechs Jahre später am anderen Ende der Welt sofort wiedererkannte.

»Hannah, ich muss unbedingt ein Foto von dir mit diesem köstlichen Sticky Toffee Pudding machen.« Celine zückte ihr Handy und richtete es auf ihre Freundin, fokussierte jedoch auf Nicholas. Sie drückte ab und schickte das Foto sofort an ihre Schwester, die inzwischen im kalifornischen Atherton wohnte. Ein paar Minuten später erhielt sie Antwort.

BigSis: OMFG! DAS IST JA NICK YOUNG! WO BIST DU?

Celine Lim: T & S

BigSis: Wer ist das Mädchen?

Celine Lim: Freundin, glaub ich. Sieht nach ABC8 aus.

BigSis: Hmm … Ring am Finger?

Celine Lim: Nichts zu sehen.

BigSis: Finds bitte für mich raus!!!

Celine Lim: Dann hab ich aber was gut bei dir!

Nick bewunderte die winzigen Hunde, die auf der Greenwich Avenue auf und ab spazierten wie auf einem Laufsteg. Vor einem Jahr waren französische Bulldoggen der letzte Schrei gewesen, jetzt waren sie anscheinend von italienischen Windhunden verdrängt worden. Er setzte seine Überredungskampagne fort. »Singapur ist der ideale Ausgangspunkt. Man muss nur über die Brücke, schon ist man in Malaysia, und in Hongkong, Kambodscha und Thailand ist man auch ruck, zuck. Wir könnten sogar die Inseln vor Indonesien mitnehmen.«

»Das klingt wirklich toll, aber zehn Wochen? Ich weiß nicht, ob ich so lange verreisen will.« Rachel merkte, wie sehr Nick sie überzeugen wollte, und sie fand die Vorstellung auch aufregend. Vor ihrem Master-Abschluss hatte sie ein Jahr in Chengdu unterrichtet, konnte sich damals aber keine Ausflüge jenseits der chinesischen Grenze leisten. Als Wirtschaftswissenschaftlerin war sie mit Singapur durchaus vertraut, dieser winzigen, faszinierenden Insel an der Spitze der malaiischen Halbinsel, die sich innerhalb weniger Jahrzehnte von einem verschlafenen britischen Kolonialnest zum Land mit der weltweit größten Millionärsdichte gemausert hatte. Nur zu gern würde sie es sich mit eigenen Augen ansehen, insbesondere mit Nick als Reiseführer an ihrer Seite.

Irgendetwas an dieser Reise bereitete ihr jedoch Kopfzerbrechen. Was hatte das alles zu bedeuten? Aus Nicks Mund klang es nach einer spontanen Idee, aber so, wie sie ihn kannte, war mit Sicherheit ein großes Maß an Planung miteingeflossen. Sie waren seit fast zwei Jahren zusammen, und jetzt lud er sie zu einer ausgedehnten Reise in seine Heimat ein, wo sie auch noch der Hochzeit seines besten Freundes beiwohnen sollte. Bedeutete das wirklich, was sie dachte?

Rachel spähte in ihre Tasse und wünschte, sie könnte etwas aus den Teeblättern des tiefgoldenen Assams herauslesen. Sie hatte sich nie nach einem Märchenprinzen gesehnt, und mit neunundzwanzig war sie für chinesische Verhältnisse praktisch schon eine alte Jungfer. Ihre Verwandtschaft unternahm zwar unablässig Kuppelversuche, doch sie hatte sich in den letzten Jahren hauptsächlich auf ihren Abschluss, ihre Doktorarbeit und ihren Karrierestart konzentriert. Die überraschende Einladung hatte allerdings einen verkümmerten Instinkt in ihr geweckt. Er will mich mit nach Hause nehmen. Er will mich seiner Familie vorstellen. Ihre innere Romantikerin erwachte allmählich aus dem Dornröschenschlaf, und sie wusste, ihr blieb nur eine Antwort.

»Ich sollte es erst mit dem Dekan besprechen, aber weißt du was? Ich komme mit!«

Nick beugte sich über den Tisch und küsste sie beglückt.

Wenige Minuten später, noch bevor Rachel ihre Pläne für den Sommer wirklich festgezurrt hatte, hatte sich ihr Gespräch mit Nick bereits in alle Ecken der Welt verbreitet wie ein wild gewordener Virus. Nachdem Celine (Modestudentin an der Parsons School of Design) ihrer Schwester Charlotte Lim (frisch verlobt mit dem Risikokapitalanleger Henry Chiu) in Kalifornien gemailt hatte, rief diese ihre beste Freundin Daphne Ma (die jüngste Tochter von Sir Benedict Ma) in Singapur an und berichtete ihr atemlos von den Neuigkeiten. Daphne schickte Nachrichten an acht weitere Freundinnen, darunter Carmen Kwek (Enkelin des »Zuckerkönigs« Robert Kwek) in Schanghai, deren Cousine Amelia Kwek mit Nicholas Young in Oxford studiert hatte. Amelia musste das einfach ihrer Freundin Justina Wei (Instantnudelerbin) in Hongkong weitersagen, und Justina, deren Büro im Gebäude von Hutchison Whampoa sich direkt gegenüber von dem Roderick Liangs (Liang Finance Group) befand, unterbrach dessen Telefonkonferenz, um ihm den neuesten Klatsch zu unterbreiten. Roderick wiederum skypte seiner Freundin Lauren Lee, die derzeit mit ihrer Großmutter Mrs Lee Yong Chien (keine weiteren Erklärungen nötig) und ihrer Tante Patsy Teoh (Miss Taiwan 1979, inzwischen Exfrau des Telekommunikationsmoguls Dickson Teoh) im Royal Mansour in Marrakesch urlaubte. Patsy rief vom Pool aus Jacqueline Ling (Enkelin des Philanthropen Ling Yin Chao) in London an, wohl wissend, dass Jacqueline in direkter Verbindung zu Cassandra Shang (Nicholas Youngs Cousine zweiten Grades) stand, die das Frühjahr stets auf dem Anwesen ihrer Familie in Surrey verbrachte. Und so verbreitete sich der exotische Klatschstamm rasch über den Buschfunk des asiatischen Jetsets, und innerhalb weniger Stunden wussten praktisch sämtliche Angehörige dieses illustren Kreises, dass Nicholas Young in weiblicher Begleitung nach Singapur zurückkehren würde.

Alamak! Wenn das mal keine Neuigkeiten waren.

2

ELEANOR YOUNG

SINGAPUR

Es war allgemein bekannt, dass Dato’9 Tai Toh Lui sein erstes Vermögen auf nicht ganz einwandfreie Art gemacht hatte, indem er in den frühen Achtzigern die Loong-Ha-Bank zu Fall brachte. Seitdem waren jedoch mehr als zwei Jahrzehnte vergangen, und seine Frau Datin Carol Tai hatte dem Familiennamen durch großzügige Spenden bei den richtigen Benefizveranstaltungen wieder zu Ansehen verholfen. Jeden Donnerstag hielt sie für ihre Freundinnen einen Bibelkreis mit gemeinsamem Essen in ihrem Privatgemach ab, und Eleanor Young war stets mit von der Partie.

Carols prunkvolles Gemach befand sich nicht etwa in der weitläufigen Glas-Stahl-Konstruktion in der Kheam Hock Road, das bei den Nachbarn lediglich das Star-Trek-Haus hieß. Stattdessen lag es auf Anraten des Securityteams ihres Mannes versteckt im Poolhaus, einer weißen Travertinfestung, die sich über dem Pool erhob wie ein modernes Taj Mahal. Um dort hinzugelangen, musste man entweder den kleinen Pfad durch den Steingarten nehmen oder eine Abkürzung durch den Dienstbotenflügel.

Eleanor war der kürzere Weg lieber. Sie mied die Sonne um jeden Preis, um nur ja ihre porzellanweiße Haut zu bewahren. Außerdem hatte sie es als Carols älteste Freundin weiß Gott nicht nötig, an der Eingangstür zu warten, bis der Butler sie über ihre Ankunft informiert hatte. Und noch dazu ging sie gern durch die Küche. Die alten amahs10, die über die großen Wasserbadtöpfe aus Emaille wachten, ließen sie immer an den Heilkräutern mit dem rauchigen Duft schnuppern, aus denen sie den Trank für Carols Mann brauten (er bezeichnete ihn als »natürliches Viagra«), und die Küchenhilfen, die draußen Fische schuppten, überschütteten Eleanor jedes Mal mit Komplimenten, wie jung sie mit dem schick durchgestuften, kinnlangen Bob und der glatten Haut für ihre sechzig Jahre doch aussah (sobald Eleanor außer Hörweite war, wurde allerdings sofort diskutiert, welche teure Luxusbehandlung sie wohl diesmal kurz vorher über sich hatte ergehen lassen).

Eleanors langjährige Freundinnen und treue Bibelkreisgefährtinnen Daisy Foo, Lorena Lim und Nadine Shaw saßen stets schon erwartungsvoll im Salon bereit. Geschützt vor der äquatorialen Hitze, machten sie es sich hier bequem und diskutierten die jeweilige Tageslosung. Der Ehrenplatz auf Carols Huanghuali-Bett11 aus der Qing-Dynastie war dabei immer Eleanor vorbehalten, denn obwohl sie sich in Carols Haus befanden und sie die mit dem milliardenschweren Financier-Ehemann war, war Eleanor die Ranghöhere. So war es schon seit ihrer Kindheit, als sie noch in der Serangoon Road wohnten. Die Hierarchie gründete hauptsächlich darauf, dass Carol, in deren Familie Chinesisch gesprochen wurde, sich Eleanor gegenüber unterlegen fühlte, weil diese mit Englisch als Muttersprache aufgewachsen war. (Die anderen ordneten sich ihr ebenfalls unter – sie hatten mit ihren Männern zwar alle ausgesprochen gute Partien erwischt, doch Eleanor spielte als Mrs Philip Young noch mal in einer ganz anderen Liga.)

Der erste Gang bestand heute aus geschmorter Wachtel und Abalone auf handgemachten Nudeln. Daisy (eine geborene Wong von den Wongs aus Ipoh, mittlerweile jedoch mit dem Gummimagnaten Q. T. Foo verheiratet) hatte ihre liebe Mühe, die festen Nudeln voneinander zu lösen, während sie in der King-James-Bibel nach Timotheus blätterte. Mit ihrer Dauerwelle und der randlosen Brille, die weit vorn auf ihrer Nasenspitze saß, wirkte sie wie die Direktorin eines Mädcheninternats. Sie war mit ihren vierundsechzig Jahren die älteste der Runde, und obwohl alle anderen die New-American-Standard-Bibel verwendeten, blieb sie ihrer Ausgabe treu. »Ich war auf der Klosterschule, da ist die King James für mich nun mal die einzig Wahre«, pflegte sie zu sagen.

Sie hielt das Buch geschickt mit der einen Hand, während sie mit den Elfenbeinstäbchen in der anderen hantierte, und es spritzten lediglich ein paar Tropfen der nach Knoblauch duftenden Nudelbrühe auf die zarten Bibelseiten.

Nadine blätterte währenddessen in ihrer ganz persönlichen Bibel, dem Singapore Tattle. Jeden Monat wartete sie sehnsüchtig auf die neueste Ausgabe. Wie viele Fotos waren wohl diesmal von ihrer Tochter Francesca, der gefeierten »Shaw-Foods-Erbin«, in der Society-Rubrik abgedruckt? Nadine selbst mit ihrem an Kabuki-Theater erinnernden Make-up, dem faustgroßen Diamantschmuck und dem auftoupierten Haar war ebenfalls oft in Promi-Zeitschriften zu bewundern.

»Aiya, Carol, im Tattle sind zwei volle Seiten über deine Gala zugunsten der Christian Helpers!«, rief sie.

»Jetzt schon?«, fragte Carol. »Ich dachte, das dauert noch.«

Die Redakteure überhäuften sie ständig mit Komplimenten zu ihrem »zeitlosen Look im Stil der klassischen Schanghaier Sängerinnen«, aber im Gegensatz zu Nadine war es ihr immer ein wenig peinlich, ein Foto von sich in einer Zeitschrift zu sehen. Als wiedergeborene Christin fühlte sie sich jedoch verpflichtet, jede Woche an ein paar Wohltätigkeitsveranstaltungen teilzunehmen. Und außerdem war es »gut fürs Geschäft, ein bisschen Mutter Teresa zu spielen«, wie ihr Mann gern erklärte.

Nadine betrachtete prüfend ein Bild. »Also, Lena Teck hat seit ihrer Mittelmeerkreuzfahrt aber auch ganz schön zugenommen, oder? Lieber den Magen verrenkt, als dem Wirt was geschenkt. Aber die sollte mal lieber ein bisschen aufpassen, Teck-Frauen neigen zu dicken Knöcheln.«

»Ich glaube, der ist es herzlich egal, ob sie dicke Knöchel kriegt oder nicht«, meldete sich Lorena zu Wort. »Angeblich haben sie und ihre fünf Brüder jeweils siebenhundert Millionen von ihrem Vater geerbt.«

»Mehr nicht? Ich dachte, Lena hat mindestens eine Milliarde«, erwiderte Nadine. »Aber sag mal, Elle, wieso ist hier eigentlich kein Foto von deiner Nichte Astrid drin? Sie war bei der Gala doch von Fotografen umzingelt.«

»Vergebene Liebesmüh«, antwortete Eleanor. »Ihre Mutter hat doch damals, als sie noch klein war, einen Deal mit den ganzen Herausgebern gemacht.«

»Wieso das denn?«

»Du kennst doch die Familie von meinem Mann, die würden lieber tot umfallen, als in irgendeiner Zeitschrift aufzutauchen.«

»Sind die sich jetzt etwa zu fein, um sich mit anderen Singapurern blicken zu lassen?«, empörte sich Nadine.

»Aiya, es gibt doch wohl einen Unterschied zwischen zu fein und diskret«, warf Daisy ein. Sie wusste nur zu gut, dass Familien wie die Leongs und die Youngs absolut keinen Spaß verstanden, wenn es um ihre Privatsphäre ging.

»Zu fein hin oder her, ich finde Astrid jedenfalls ganz hinreißend«, meinte Carol. »So was soll man ja eigentlich nicht sagen, aber bei der Spendengala hat sie von allen den größten Scheck ausgestellt. Und mich noch darum gebeten, dass das anonym bleibt. Die Rekordsumme dieses Jahr ist nur ihr zu verdanken.«

Die neue Haushaltshilfe, eine hübsche Festlandchinesin, trat mit einer großen Perlmuttschatulle ins Zimmer. Eleanor betrachtete die junge Frau. Ob das wohl auch eine von denen war, die der Dato’ höchstpersönlich bei der »Vermittlungsagentur« in Suzhou ausgesucht hatte? Die Stadt genoss den Ruf, Heimat der schönsten Mädchen von ganz China zu sein.

»Was hast du denn heute für uns?«, fragte Eleanor ihre Gastgeberin.

Diese öffnete die Schatulle und holte nacheinander mit schwarzem Samt ausgeschlagene Tabletts voll blitzender Juwelen heraus und breitete sie auf dem Bett aus. »Ich wollte euch zeigen, was ich mir aus Burma mitgebracht habe.«

Carols neueste Käufe waren immer ein Highlight der Bibelstunde.

»Die Kreuze sind aber hübsch gearbeitet, ich wusste gar nicht, dass man in Burma so eine Qualität bekommt!«

»Nein, die Kreuze sind von Harry Winston«, korrigierte Carol. »Die Rubine sind aus Burma.«

Lorena stand auf und marschierte schnurstracks zum Bett. Sie schnappte sich einen Rubin von der Größe einer Litschi und hielt ihn prüfend gegen das Licht.

»Aiya, in Burma muss man aufpassen, die behandeln die Rubine da oft synthetisch nach, damit sie mehr leuchten.« Als Frau von Lawrence Lim (von den L’Orient-Jewelry-Lims) kannte sie sich bei dem Thema aus.

»Ich dachte, burmesische Rubine sind die besten der Welt«, warf Eleanor ein.

»Ladys, jetzt hört doch mal auf, das Land Burma zu nennen«, sagte Daisy. »Das heißt seit über zwanzig Jahren Myanmar!«

»Alamak, du klingst ja schon genau wie Nicky. Ständig musst du mich verbessern!«, gab Eleanor zurück.

»Wo wir gerade bei Nick sind, wann kommt er eigentlich aus New York zurück?«, fragte Daisy. »Ist er nicht Colin Khoos Trauzeuge?«

»Schon, aber du kennst ihn doch. Und als seine Mutter erfahre ich sowieso immer alles als Letzte«, antwortete Eleanor.

»Wohnt er nicht bei euch, solange er hier ist?«

»Doch, natürlich. Er bleibt immer erst mal eine Weile bei uns, bevor er zur Alten Dame weiterzieht.« Das war der Spitzname, den sie ihrer Schwiegermutter verpasst hatte.

»Bin ja mal gespannt, was sie zu dem Extragast sagt«, raunte Daisy.

»Wie, welcher Extragast denn?«

»Na, seine Begleitung … du weißt schon, für die Hochzeit.« Daisy sah sich amüsiert im Zimmer um. Alle wussten, wovon sie redete.

»Ich verstehe immer noch nicht, wen du meinst. Wen bringt er denn mit?« Eleanor klang verwirrt.

»Seine neueste Freundin, lah!«, klärte Lorena sie auf.

»Im Leben nicht! Nicky hat doch keine Freundin.«

»Wieso willst du das denn nicht wahrhaben?« Lorena hatte Nick schon immer für den bestaussehenden jungen Mann seiner Generation gehalten, und angesichts des Vermögens der Youngs war es wirklich ein Jammer, dass ihre Tochter Tiffany es nie geschafft hatte, seine Aufmerksamkeit zu erregen.

»Du hast doch aber zumindest von ihr gehört, oder?«, fragte Daisy, immer noch im Flüsterton. »Sie kommt aus New York.« Sie genoss ihre Rolle als Unheilsbotin.

»Eine Amerikanerin? Das würde Nicky doch nie tun. Deine Informationen sind immer ta pah kay12

»Was soll denn das heißen?«, empörte sich Daisy. »Meine Informationen sind überhaupt nicht ta pah kay, ich habe das aus absolut zuverlässiger Quelle. Außerdem ist sie angeblich Chinesin.«

»Im Ernst? Wie heißt sie denn? Und wo kommt sie her? Jetzt sag nicht, vom Festland, das ertrage ich nicht.«

»Ich glaube, Taiwan«, gab Daisy vorsichtig zurück.

»Ach du meine Güte! Hoffentlich nicht so ein taiwanesischer Tornado!« Nadine lachte.

»Wie meinst du das?«, fragte Eleanor.

»Du weißt schon, Mädchen aus Taiwan haben doch diesen gewissen Ruf. Die tauchen einfach auf, die Männer verlieben sich sofort unsterblich, und ehe man sich’s versieht, sind sie schon wieder verschwunden. Aber vorher räumen sie einem noch das Konto leer – als wäre ein Tornado durchgefegt«, erklärte Nadine. »Ich kenne viele Männer, die auf so eine reingefallen sind. Denk doch mal an den Sohn von Mrs K. C. Tang. Seine Frau hat ihn komplett ausgenommen und sich dann mit den Familienerbstücken aus dem Staub gemacht. Oder die arme Annie Sim, deren Mann ist doch mit dieser Barsängerin aus Taipeh abgehauen.«

Da betrat Carols Mann den Raum. »Hallo, die Damen! Na, wie läuft die Jesusrunde heute?« Mit der Zigarre in der einen und einem Schwenker mit Hennessy in der anderen Hand war er ganz das Klischee des asiatischen Tycoons.

»Hallo, Dato’!«, antworteten die Freundinnen im Chor und setzten sich schnell etwas züchtiger hin.

»Dato’, Daisy möchte anscheinend, dass ich einen Herzinfarkt bekomme«, stichelte Eleanor. »Sie meint, Nick wäre mit einer Taiwanesin zusammen!«

»Da mach dir mal keinen Kopf, Lealea. Die Taiwanesinnen sind klasse Frauen, die wissen wenigstens noch, wie man sich richtig um einen Mann kümmert. Und wahrscheinlich ist sie eh hübscher als diese verwöhnten Inzestmädchen, mit denen du ihn die ganze Zeit verkuppeln willst.« Der Dato’ grinste, dann fuhr er mit gesenkter Stimme fort: »Außerdem würde ich mir an deiner Stelle weniger Gedanken um Nicholas als um Sina Land machen.«

»Was? Wieso das denn?«

»Sina Land toh tuew. Geht gerade so richtig den Bach runter«, verkündete der Dato’ sichtlich zufrieden.

»Aber Sina Land ist ein Blue Chip, das kann gar nicht sein«, widersprach Lorena. »Mein Bruder hat mir neulich noch erzählt, dass die ganz viele neue Projekte in West-China haben.«

»Von meinem Informanten weiß ich, dass die chinesische Regierung von diesem Riesendeal in Xinjiang zurückgetreten ist. Ich habe meine Aktien gerade ganz schnell über Bord geworfen, und bis Börsenschluss heute Abend setze ich noch mal jede Stunde hunderttausend im Leerverkauf ab.«

Der Dato’ paffte eine gewaltige Rauchwolke von seiner Cohiba und drückte einen Knopf neben dem Bett. Die große Glaswand mit Blick auf den glitzernden Pool öffnete sich wie ein automatisches Garagentor, und der Dato’ spazierte fröhlich in den Garten hinaus in Richtung Haupthaus.

Einen Moment lang herrschte absolute Stille. Man hörte fast die Rädchen in den Köpfen der Frauen rotieren. Plötzlich sprang Daisy auf und stieß dabei ihr Tablett mit dem Essen um.

»Schnell, schnell, wo ist meine Handtasche? Ich muss meinen Broker anrufen!«

Eleanor und Lorena griffen ebenfalls nach ihren Handys, und Nadine hatte die Nummer ihres Börsenmaklers sogar auf Kurzwahltaste und sprach bereits mit ihm. »Verkaufen, weg damit! sina land! Ja, alles weg! Ich habe gerade aus erster Hand erfahren, dass das Ding gelaufen ist!«

Lorena saß am anderen Bettende und hielt sich diskret eine Hand vor den Mund. »Das ist mir egal, Desmond, wir gehen in den Leerverkauf.«

Daisy hyperventilierte. »Sam tung, ah!13 Ich mache jede Sekunde einen Millionenverlust! Wo steckt denn dieser verdammte Börsenmakler? Wehe, der ist noch beim Essen!«

Carol tippte derweil in aller Seelenruhe auf den Touchscreen neben ihrem Nachttisch. »Mei Mei, kommst du bitte kurz? Hier müsste etwas aufgewischt werden.«

Dann schloss sie die Augen, hob die Arme und fing an zu beten. »O Herr, unser Heiland, gesegnet sei dein Name. Vergib uns unsere Sünden. Danke, dass du uns mit deinem Segen überhäufst. Danke, Herr, für die Geselligkeit, die wir heute in deinem Namen genießen durften, für das Essen, für die Macht deines heiligen Wortes. Halte deine schützende Hand über unsere lieben Schwestern Eleanor, Lorena, Daisy und Nadine, während sie versuchen, ihre Sina-Land-Aktien zu verkaufen.«

Carol öffnete kurz ein Auge und stellte zufrieden fest, dass zumindest Eleanor mitbetete. Dabei ahnte sie natürlich nicht, dass ihre Freundin innerlich für etwas ganz anderes betete. Eine Taiwanesin! Bitte, lieber Gott, mach, dass das nicht wahr ist!

3

RACHEL CHU

NEW YORK

In Cupertino, Kalifornien, war es jetzt kurz nach dem Abendessen, und wenn Rachel nicht gerade bei Nick übernachtete, rief sie ihre Mutter üblicherweise an, bevor sie zu Bett ging.

»Rate mal, wer gerade das große Haus im Laurel Glen Drive an den Mann gebracht hat?«, wurde Rachel von Kerry Chu auf Mandarin-Chinesisch begrüßt.

»Wow, Glückwunsch, Mom! Das ist ja jetzt schon dein drittes Haus diesen Monat, oder?«

»Ja, ich habe den Bürorekord von letztem Jahr gebrochen. Es war einfach die richtige Entscheidung, zu Mimi Shen in Los Altos zu wechseln.«

»Ich wette, du wirst wieder Maklerin des Jahres.« Rachel schüttelte ihr Kopfkissen auf. »Ich habe übrigens auch aufregende Neuigkeiten … Nick hat mich eingeladen, den Sommer mit ihm in Asien zu verbringen.«

Kerrys Stimme sank um eine Oktave ab. »Tatsächlich?«

Rachel war mit diesem Tonfall bestens vertraut. »Mom, jetzt komm bloß nicht auf irgendwelche Gedanken.«

»Aiya! Was für Gedanken? Als Nick letztes Jahr zu Thanksgiving hier war, haben alle davon geschwärmt, wie gut ihr zueinander passt. Jetzt stellt er dich eben seiner Familie vor. Meinst du, er macht dir einen Antrag?«

»Übers Heiraten haben wir noch überhaupt nicht gesprochen.« Rachel freute sich zwar ungemein auf die Reise und alles, was eventuell damit einherging, aber sie wollte Kerry erst mal keine allzu großen Hoffnungen machen. Ihre Mutter war ohnehin schon viel zu stark an ihrem privaten Glück interessiert.

Kerry ließ sich die Vorfreude allerdings nicht nehmen. »Typen wie Nick kenne ich doch. Soll er sich ruhig als akademischer Freigeist geben, tief drinnen ist der Mann für die Ehe geschaffen. Der will sesshaft werden und haufenweise Kinder haben, da hat er keine Zeit zu verlieren.«

»Mom, hör auf!«

»Außerdem übernachtest du doch sowieso schon ständig bei ihm. Dass ihr nicht schon lange zusammenwohnt …«

Rachel lachte. »Du bist die einzige chinesische Mutter, die ihre Tochter dazu ermutigt, vor der Ehe mit einem Mann zusammenzuziehen.«

»Ich bin ja auch die einzige chinesische Mutter mit einer unverheirateten Tochter, die stramm auf die dreißig zugeht. Weißt du eigentlich, was ich mir tagtäglich anhören muss? Ich bin es langsam leid, dich ständig zu verteidigen. Erst gestern habe ich bei Peet’s Coffee zufällig Min Chung getroffen. ›Ich weiß, deine Tochter wollte sich erst mal auf ihre Karriere konzentrieren, aber wird es nicht langsam Zeit, dass sie unter die Haube kommt?‹ Du weißt ja bestimmt, dass ihre Tochter mit der Nummer sieben bei Facebook verlobt ist, oder?«

»Ja, ja, ich kenne die ganze Geschichte. Er hat ihr keinen Verlobungsring gekauft, sondern stattdessen in ihrem Namen ein Stipendium bei Stanford gestiftet«, erwiderte Rachel gelangweilt.

»Und die ist nicht halb so hübsch wie du«, empörte sich Kerry. »Deine Onkel und Tanten haben schon lange die Hoffnung aufgegeben, aber mir war immer klar, dass du eben auf den Richtigen wartest. War dann natürlich ein Professor. Wenigstens kriegen eure Kinder so Rabatt auf die Studiengebühren. Sonst würdet ihr euch das doch niemals leisten können.«

»Apropos Onkel und Tanten, kannst du das bitte vielleicht noch ein bisschen für dich behalten?«

»Aiya! Na gut, von mir aus. Du warst schon immer übervorsichtig, damit du bloß nicht enttäuscht wirst. Aber ich weiß genau, was als Nächstes passiert«, erwiderte ihre Mutter fröhlich.

»Bis irgendwas passiert, müssen wir jedenfalls keinen Riesenaufriss machen«, beharrte Rachel.

»Wo übernachtet ihr denn in Singapur?«

»Wahrscheinlich bei seinen Eltern.«

»Wohnen die in einem Haus oder einer Wohnung?«

»Keine Ahnung.«

»So was musst du doch herausfinden!«

»Wieso? Willst du ihnen ein Haus in Singapur andrehen?«

»Na, weißt du denn, wie die Übernachtungsarrangements aussehen?«

»Übernachtungsarrangements? Mom, wovon redest du?«

»Aiya, schläfst du im Gästezimmer, oder teilt ihr euch ein Bett?«

»Darüber habe ich noch überhaupt nicht …«

»Das ist doch das Wichtigste! Geh lieber nicht davon aus, dass Nicks Eltern so fortschrittlich sind wie ich. Diese Singapurchinesen sind furchtbar streng. Ich will bloß nicht, dass seine Eltern denken, ich hätte dich nicht anständig erzogen.«

Rachel seufzte. Sie wusste ja, dass ihre Mutter es gut meinte, aber jetzt machte sie sich über Details Gedanken, auf die sie selbst nie gekommen wäre.

»Und wir müssen uns überlegen, was du als Gastgeschenk mitbringst«, fuhr Kerry fort. »Finde am besten heraus, was Nicks Vater gern trinkt. Scotch? Wodka? Whiskey? Ich habe von der Weihnachtsfeier noch haufenweise Johnnie Walker Red übrig, da kann ich dir eine Flasche schicken.«

»Mom, ich schlage da bestimmt nicht mit einer Flasche Schnaps auf, den sie auch dort bekommen können. Ich lasse mir was typisch Amerikanisches einfallen.«

»Ah, für Nicks Mutter habe ich schon die perfekte Idee. Bei Macy’s sind gerade diese hübschen Goldpuder von Estée Lauder im Angebot, und dazu gibt es so ein edles Ledertäschchen mit Lippenstift und Parfüm und Augencremeproben. Glaub mir, Asiatinnen lieben solche Pröbchen.«

»Mom, mach dir keinen Kopf, ich kümmere mich schon darum.«