image

Hannelore Bublitz

Judith Butler zur Einführung

image

Junius Verlag GmbH
Stresemannstraße 375
22761 Hamburg
Im Internet: www.junius-verlag.de

© 2002 by Junius Verlag GmbH
Alle Rechte vorbehalten
Covergestaltung: Florian Zietz
Titelfoto: Jerry Bauer
E-Book-Ausgabe Januar 2019
ISBN 978-3-96060-093-0
Basierend auf Printausgabe
ISBN 978-3-88506-678-1
5., ergänzte Auflage 2018

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

Inhalt

1.Einleitung: Butlers Position im Spektrum poststrukturalistischer Theorie

2.Butlers sprach- und diskurstheoretisches Programm

Der Aufbau ihres Werkes

Die produktive Macht des Wortes

Zitat und Wiederholung

Anrufung und Diskurs

Diskurs und Materie

Genealogie

Dekonstruktion

3.Die feministische Theorie

Verortung Butlers im Feld der Geschlechterforschung

»Das Unbehagen der Geschlechter«

Kritische Genealogie der Geschlechterontologie

Die »Matrix der Intelligibilität«

»Körper von Gewicht«: Diskursive Grenzen des Geschlechts

Performativität des Geschlechts

Die Macht der Geschlechternormen

4.Butlers philosophisches Programm

Subjekt und Macht: Unterwerfung und Subjektwerdung

Normative Grenzen des Menschlichen

Kritik der ethischen Gewalt

5.Butlers politische Philosophie

Parodistische Vervielfältigung

Politik der Bezeichnungspraxen

»Queer«: Subversive Identitätspolitik(en)

»Politik des Performativen«

Kritik staatlicher Gewalt und des Krieges

Ethik der Gewaltfreiheit

Politischer Widerstand – Politische Bündnisse

6.Kritischer Ausblick

Anhang

Ein Interview mit Judith Butler

Anmerkungen

Literaturhinweise

Zeittafel

Über die Autorin

1. Einleitung: Butlers Position im
Spektrum poststrukturalistischer Theorie

Eine Einführung in die Theorie Judith Butlers sieht sich mit der Aufgabe konfrontiert, ein sehr komplexes Theorieprojekt so zu vermitteln, dass es sich auch dann erschließt, wenn man nicht über die einschlägigen Vorkenntnisse verfügt. Dies lässt sich am ehesten bewerkstelligen, wenn man zunächst die Grundzüge ihres Denkens offen legt.

Unter Rekurs auf die entsprechenden Theoreme lassen sich zentrale Begriffe wie Diskurs, Dekonstruktion, Performativität, Materialität, auf die Butler zurückgreift, im Spektrum poststrukturalistischer Theorie und damit auf einem angemessenen Niveau klären. Auf diese Weise gelingt es nicht nur, Licht in das Dunkel der grundbegrifflichen Voraussetzungen dieser schwierigen Theorie zu bringen. Vielmehr verspricht dieses Verfahren auch Hinweise darauf, gegen welche lieb gewordenen Denkgewohnheiten sie sich richtet und was ihre Rezeption so schwierig und kontrovers macht. Wie keine andere Autorin der letzten Jahre hat Butler eine Diskussion ausgelöst, die durch ihren radikalen Gestus mehr als andere provoziert, aber auch fasziniert hat. Ihre Wirkung reicht in die unterschiedlichsten Gebiete hinein: Nicht nur in akademischen Debatten werden lang tradierte Grundannahmen diskutiert und neu bestimmt, werden Kategorien und festgelegte Vorstellungen wie das Denken in Kategorien des Körpers und der Identität neu überdacht. Auch lebensweltliche und politische Kontexte haben durch die von Butler angeregte Diskussion neuen Stoff erhalten und zu einer Auseinandersetzung und Auflösung von Kategorien wie der Identitätskategorie geführt. In der Verknüpfung von theoretischen und praktisch-philosophischen Perspektiven mit Politik schreibt sich Butler, ähnlich wie der französische Philosoph Michel Foucault, in eine »Politik der Wahrheit«1 ein, die in kritischer Perspektive über die Historizität und die Wahrheitswirkungen von Sprache und Diskurs aufklärt.

Butlers Anliegen kreist um die Verschränkung von Subjekt und Macht, von Physischem und Diskursivem in der »Materialität des Körpers«. Macht nimmt hier ganz offensichtlich materielle Dimensionen an. Denn, so Butler: »Materialität ist die unkenntlich gewordene Wirkung der Macht.« (KvG: 332)2 Diese schwierige Denkfigur der Materialisierung lässt sich auflösen, wenn man die sprach- und diskurstheoretischen Grundlagen klärt, die ihr zugrunde liegen. Butlers Theorie greift auf die diskurstheoretische Annahme der Wirkmächtigkeit von Diskursen und auf das Theorem der performativen Kraft von Sprache zurück, die sie von Michel Foucault und John Austin entlehnt. Foucault und Butler gemeinsam ist die Auffassung, dass die Produktivität diskursiver und sprachlicher Macht das fundamentale Konstruktionsprinzip von Wirklichkeit ist.

Unter Bezugnahme auf diese Positionen geht Butler davon aus, dass der Körper nicht unabhängig von seiner kulturellen Form existiert. Vielmehr erscheint er in seiner »Natürlichkeit« als etwas Normatives, das nicht losgelöst von seiner diskursiv-symbolischen Form existiert und wahrgenommen werden kann. Butler vertritt – mit Aristoteles – die Auffassung, dass »Materie nie ohne ihr schema auftritt«, also immer an eine kulturelle Form ihrer Wahrnehmbarkeit gebunden ist, die zugleich konstitutiv ist für die Materie selbst, was bedeutet, dass »das Prinzip ihrer Erkennbarkeit […] von dem, was ihre Materie konstituiert, nicht ablösbar ist« (KvG: 57).3 Die immer schon kulturell-symbolische Form des Körpers unterliegt Grenzziehungen, Verwerfungen und Ausschließungen. Dies macht Butler deutlich am »biologischen« Geschlecht des Geschlechtskörpers: Es konstituiert sich als »reglementierendes Ideal«. Was wir als Natur zu denken gewohnt sind, unterliegt nicht nur kulturellen Normen, sondern einer »regulierenden Praxis, die die Körper herstellt, die sie beherrscht«, und die »sich als eine Art produktive Macht erweist, als Macht, die von ihr kontrollierten Körper zu produzieren – sie abzugrenzen, zirkulieren zu lassen und zu differenzieren« (KvG: 21). Butler problematisiert diesen Vorgang, der dem Körper als »idealem Konstrukt« innewohnt und ihm erst eine – soziale – Existenz verschafft. Sie entziffert ihn als Zwang, als erzwungene Materialisierung eines »regulativen Ideals«. Schon der bloß physische Körper beruht demnach auf der Materialisierung4 normativer Ideale, erweckt aber den Eindruck des Natürlichen und Naturgegebenen. Erfolgreiche Macht bemisst sich daran, dass sie ihren Gegenstand in eine für selbstverständlich und natürlich gehaltene Ontologie, Natursubstanz und Wesenseigenschaft verwandelt. Butler spürt diesem Augenschein der Naturhaftigkeit des Körpers nach und rekonstruiert ihn als Wirkung einer Macht, die den Körper in seiner stofflichen Materialität erst hervorbringt und formt. Der Körper erscheint so nicht als Naturressource von Mensch und Gesellschaft, sondern als von Anfang an vergesellschaftete, einer sozialen Norm unterworfene körperliche Materialität.

Auch die »Materialität« der Psyche als reflexive Instanz des Subjekts entsteht im Zusammenspiel von diskursiven Macht- und Subjektivierungsstrategien. Die Psyche als Ort der Verankerung des Sozialen im Subjekt ist zugleich die Instanz, die Körper und Macht aneinander bindet. (Vgl. PdM) Butler unternimmt den Versuch, die Macht- und Subjekttheorie des französischen Theoretikers Michel Foucault mit einer Theorie psychischer Prozesse zu verbinden, die die Machtförmigkeit der psychischen Topographie in Rechnung stellt; ein Projekt, dem, so Butler, sowohl die foucaultsche wie die psychoanalytische Orthodoxie bisher ausgewichen sind. (Vgl. PdM: 8)

Macht ist demnach zugleich Unterwerfungs- und Erzeugungsprinzip von körperlicher Materie und psychischer Struktur. Im Rückgriff auf Foucault geht Butler davon aus, dass Körper ebenso wie Subjekte durch Machtoperationen erzeugt und geformt werden. Entwurf, Herstellung und Unterwerfung – der Materialität und Körperlichkeit – des Subjekts bilden einen Vorgang. Anders ausgedrückt: Machtoperationen erzeugen Subjekte, indem sie vor allem ihren Körper der Macht unterwerfen. Es handelt sich um eine Machtform, die Subjektbildung und Unterwerfung nicht unterscheidet. (Vgl. PdM: 34)

Gegen alle Kritik hält Butler an ihrer sprach- und diskurstheoretischen Position fest. Sie geht von der Vorstellung aus, Körper und Geschlecht seien sprachlich geformt, Worte besäßen, institutionell durch einen ›Geschlechterapparat‹ gestützt, die Macht, die Geschlechter bis in ihre körperliche Materialität hinein zu strukturieren. Allerdings hebt sie auch darauf ab, wie das Gespräch am Schluss dieses Bandes (S. 142ff.) zeigt, dass Körper wie auch Subjekte keineswegs lediglich aus Sprechakten und Normen bestehen, sondern auf etwas verweisen, das sich nicht der Norm fügt. Der Körper existiert nach Butler, entgegen dem Alltagsverständnis, nicht als voraussetzungslose Naturressource. Butler versteht ihn vielmehr als von Sprache und Diskursen durchdrungene Form, die die Materie annimmt. Er entsteht, wie Butler im Anschluss an Foucault annimmt, unter Zwang und als »wiederholbare Materialität«, d.h. als Performanz. Damit wird der Mensch mit seinem Körper nicht nur in den Rahmen bestimmter Körpertechniken und -technologien gezwängt, sondern auch zum Ort subversiver Strategien. Denn: Performanz als ständige Wiederholung von Normen verweist darauf, dass »die Körper sich nie völlig den Normen fügen« (KvG: 21).

Damit wird die fundierende Rolle, die der physische Körper als Bezugspunkt für soziale Prozesse der Einordnung, der Klassifikation und der Unterscheidung einnimmt, infrage gestellt. Als Ort der Einschreibung historischer Eindrücke wird selbst der physische Körper zur Diskursstelle einer politischen Machtgeschichte. Dies ist aber aus diskurstheoretischer Sicht keine Geschichte der Ereignisse, die an ihm, dem »eigentlichen«, unversehrten Körper Spuren der Einschreibung hinterlassen. Es handelt sich vielmehr um eine Geschichte, in der der Körper als Kulturkörper erst hervorgebracht wird. Der Körper wird in Übereinstimmung mit einem Naturbegriff gebracht, der kulturell entworfen wird und als Natur erscheint.

Wie kommt es nun zu dieser paradigmatischen Bedeutung des physischen Körpers im Denken Butlers, wie sie auch andere poststrukturalistische und diskurstheoretische Ansätze annehmen? Worin ist das – gar nicht so neue – Interesse am Körper begründet, das die Sprach- und Leibphilosophie mit den Kultur- und Geschichtswissenschaften teilen? Bildet nicht der Körper als »das Andere der Vernunft«5 jenen verdrängten Teil abendländischer Rationalität, der in einer eher »unterirdischen Geschichte«6 angesiedelt ist? Gilt er der abendländischen Kultur, insbesondere der cartesischen Bewusstseinsphilosophie, nicht als dasjenige, von dem sich der Geist im »Prozess der Zivilisation« (Elias) immer stärker distanziert?

Das neuzeitliche Programm des Vernunftgebrauchs orientiert sich nicht nur an der Entgegensetzung von Natur und Kultur, sondern auch an Naturbeherrschung. Auch der Körper zählt zur Natur. Insofern der menschliche Körper in das Programm der Bemächtigung einbezogen ist, erscheint er als Stützpunkt und Scharnier gesellschaftlicher Ermächtigungs- und Disziplinierungsprozesse wie auch als Hülle einer in ihm verborgenen Wahrheit. Er ist Gegenstand einer Kartographierung, die ihn, wie eine Landkarte, in Körperzonen und Funktionssysteme aufteilt. Effekt seiner apparativen Anordnung ist die »Produktion wirklicher Körper«7, die als physiologische Grundlage und »Einschreibefläche« kultureller Disziplinaranordnungen eine privilegierte Stellung im Wissensraum des Menschen einnehmen. Versuchsanordnungen unterworfen und vermessen, wird er zur humanwissenschaftlichen Variable wirtschaftlicher, sozialer und politischer Kontexte: Effektive Arbeitsleistung, Rassen- und Geschlechtszugehörigkeit, nicht zuletzt die Differenz von Rasse und Geschlecht werden physiologisch an ihm gemessen. Der Körper und seine ihm innewohnende Logik werden zum Instrument und zum Kern wissenschaftlicher Deutungen der Moderne.8 An ihm zeigen sich – vermittelt über das Auge, den Blick, die normierte Wahrnehmung und die Sprache9 – nicht nur die »Wahrheit« der »Rasse« und die des Geschlechts, sondern auch die der Kultur und der Gesellschaft. Der Körper ist so das Ergebnis einer Macht, die in umfassender Weise die »Biologisierung von Mensch und Gesellschaft« bewirkt.10 Die Anatomie des Körpers steigt in diesem Kontext auf zur »politischen Ökonomie« und »Anatomie des menschlichen Körpers«11. Dabei richtet sich die Macht wesentlich »auf die Körper und […] auf das, was diese tun«12. Den Zusammenhalt des sozialen Körpers gewährleistet demnach eine Ökonomie der Macht, die auf besonderen (Mess-)Verfahren der Humanwissenschaften und gesellschaftlichen Disziplinierungs- und Kontrolltechniken beruht. Körpertechniken sind also nicht natürlich, sondern Teil der Kultur.13 Sie nehmen Weltbildcharakter an: der Körper des Königs, das Modell des Leviathans als Modell des künstlichen Menschen, als Staatskörper, »dessen Bürger den Körper abgeben und dessen Seele der Souverän ist«14. Der Volks- und Gesellschaftskörper sind ebenso Teil einer politischen Geschichte wie der Körper des Individuums.15

Hier ist die Schnittstelle, an der Butlers Theorie greift: Ihr Augenmerk richtet sich auf die Materialität des Körpers als vollkommen uneindeutiges und uneinheitliches Maß und als keineswegs natürlicher Grund aller Dinge, aber auch als Instrument der Unterwerfung unter eine soziale Ordnung. Wie Foucault geht Butler davon aus, dass der anatomische Körper vollständig politisch besetzt ist. Er wird zum Einsatz im Machtspiel. Butlers These lautet (im Anschluss an die Theorie Monique Wittigs), dass der Körper weder unveränderlich noch natürlich ist, sondern einen spezifischen politischen Einsatz der Kategorie Natur darstellt. Diese These und die Auffassung, dass Wissen und Macht in der Sprache, im Diskurs zusammenwirken, erfordern »eine Form der kritischen Untersuchung, die Foucault im Anschluß an Nietzsche als ›Genealogie‹ bezeichnet hat« (UG: 9). Die genealogische Kritik erforscht die politischen Einsätze, die auf dem Spiel stehen, wenn Identitätskategorien als Ursprung und Ursache bezeichnet werden, obgleich sie Effekte von Macht, von Institutionen und Verfahrensweisen sind.

In der Verkörperung gesellschaftlicher Normen und Konventionen vermutet Butler das Zusammenspiel von Körper und Macht. Sie fragt sich, wie es zu der hervorragenden Bedeutung des einen Körpers, der andere ausschließt, kommt. Ihr Denken kreist um die Frage, wie es der Macht gelingt, den Eindruck zu erwecken, es handle sich beim Körper um eine biologische Voraussetzung gesellschaftlicher und politischer Prozesse, und sie nimmt an, dass die Antwort auf diese Frage in den Kategorien unseres Denkens selbst liegt. Gegenstand des Theorieprogramms von Butler sind daher wissenschaftliche Kategorien und Begriffe, aus denen Vorstellungen vom unwandelbaren Wesen der Menschen – als bestimmende Subjekte von Geschichte und authentische Identitäten – hervorgehen. Damit schreibt Butler sich in den Zusammenhang von Theoriepositionen des Poststrukturalismus und des Dekonstruktivismus ein, deren Vertreter, Foucault und Jacques Derrida, neue Denkansätze entwickelt haben. Sie teilt nämlich, in der Ablehnung subjekttheoretischer und bewusstseinsphilosophischer Auffassungen, mit diesen die Skepsis gegenüber der Idee, dass das menschliche Subjekt Urheber und Schöpfer aller Dinge ist. Das heißt nicht, das Subjekt überhaupt zu verneinen oder abzuschaffen. Vielmehr geht es ihr wie einem Großteil der als »postmodern« etikettierten Denkrichtungen darum, das Subjekt, wie auch den Körper, aus seinem »metaphysischen Gehäuse« (KoG: 52) zu befreien, ihm seinen überhistorischen und einzigartigen Stellenwert zu nehmen.16

Gleichzeitig lehnt Butler es ab, einer postmodernen oder poststrukturalistischen Position zugeschrieben zu werden, weil damit die Unterschiede zwischen verschiedenen theoretischen Positionen verwischt werden. Mit diesem Einwand wendet sie sich gegen einen Gestus der »Begriffsherrschaft«, der ihrer Auffassung nach widersprüchliche Positionen vereinheitlicht. Dennoch ist auch ihre eigene Theorie von dieser Macht, die die Begriffe durchdringt – so lautet ja eine These Butlers –, nicht frei. Gerade im Rückgriff auf ein Spektrum von Positionen ist es möglich, die Prämissen ihrer Theorie als hinterfragbare, als anfechtbare Annahmen der kritischen Rezeption zu öffnen. Der Anspruch dieser Einführung ist es daher, über das Nachzeichnen der Konturen, der grundlegenden Begriffe und Argumentationslinien der Theorie Butlers hinaus ihre Eigenwilligkeit und darin eben auch ihre Ausschließungen sichtbar zu machen.

Im Wesentlichen lässt sich Butlers Theorie um fünf Komplexe herum anordnen, die inhaltlich voneinander abzugrenzen sind: 1. Butlers Theorieprogramm und seine sprachphilosophischen und diskurstheoretischen Grundannahmen, -begriffe und -bezüge. Hier erfolgt die eingehende Erörterung ihrer theoretischen Gedankengänge. Insbesondere ihre Bezüge auf Theoretiker wie Foucault, Austin, Derrida, Althusser sowie Nietzsche und Freud werden im Kontext ihres Werks umrissen. In der Rückführung der Grenzziehungen und Ausschließungen nicht lebbarer und nicht gelebter Körper auf die Wirkung von Diskurs- und Machtverhältnissen wird zugleich die politische Dimension im Denken Butlers sichtbar. 2. Die genuin feministische Theorie. Hier geht es darum, zentrale Strukturen des Denkens der Zweigeschlechtlichkeit und deren normierende Wirkungen vorzustellen. Darüber hinaus erfolgt hier die Verortung Butlers im Feld der Geschlechterforschung. 3. Butlers Kritik am Identitäts- und Subjektbegriff sowie am Konzept eines normativen Geschlechterapparats und einer heterosexuellen Zwangsmatrix’ mündet 4. in ein philosophisches Programm, das in der Darstellung subjekttheoretischer Annahmen die Dimensionen performativer Machtwirkungen ausleuchtet, zugleich aber auch die normativen Grenzen des Subjekts sichtbar macht. Sowohl aus der Kritik der Geschlechternormen als auch aus der Kritik einer ethischen und staatlich-kriegerischen Gewalt ergeben sich schließlich politische Programmatiken und Strategien, die in Butlers politischer Philosophie theoretisch fundiert werden.

In einem abschließenden Dialog geht Butler auf kritische Positionen und Lesarten ihres Werks ein. Hier wird deutlich, dass ihre Verortung im Horizont poststrukturalistischer Theorie keineswegs ihren Anschluss an andere Denkfiguren und Theoriepositionen ausschließt. In den Umrissen einer kritischen Ontologie rückt Butler die Ausschließungslogik kultureller Normen des Geschlechts ins Zentrum ihrer Betrachtungen. Hier wie im Rahmen ihrer politischen Theorie nimmt das ›Denken des Möglichen‹ einen breiten Raum ein, das sie dem ständig prekären Status des Menschlichen im Rahmen kultureller und staatlicher Gewalt entgegensetzt und in einer radikalen Ethik der Gewaltfreiheit zuspitzt.

2. Butlers sprach- und diskurstheoretisches Programm

Der Aufbau ihres Werkes

Ähnlich wie Foucault stellt Butler die Frage nach dem Verhältnis von Subjekt, Körper und Macht. Bereits in ihren frühen Schriften hinterfragt sie die Identitätslogik eines transzendental begründeten und kohärent gedachten Subjekts, die das moderne Subjektdenken dominiert.17 An dieser Dekonstruktion eines mit sich identischen Subjekts entzündet sich eine erste Welle der Kritik an Butler. Mit ihrer Fixierung auf die für ihre Theorie zentrale These der Performativität der Diskurse und des Diskursiven unterscheide Butler nicht zwischen Sprache und Praktik und sei daher in ihrer Zentrierung auf eine sprachlichdiskursive Subjektbildung hermetisch.18 Diese Kritik richtet sich im Übrigen auch gegen Foucaults Machtbegriff, insofern er kein Außen oder Jenseits der Macht annimmt. Butler übernimmt diese Sichtweise der Macht von Foucault in radikal konstruktivistischer Form. Ihre Theorie spannt den Bogen von der Dekonstruktion eines als fiktiv erkannten, mit sich identischen Subjekts, wie es Hegel in seiner Subjektkonzeption entwirft, zur Frage der (Gefühls-)Bindungen, die das Subjekt mit der Macht, durch die es gebildet wird, eingeht und die es auf sich zurück- und gegen sich wendet. Diese Subjektkonzeption verdankt sich einer bestimmten Lesart Hegels, vor allem aber ihrer Bezugnahme auf Foucault, Nietzsche, Althusser und Freud. Anders als bei Foucault richtet sich Butlers Augenmerk nicht auf alternative Formen der Selbstbeziehung und eine Ethik der Widerständigkeit und Lebenskunst, sondern auf die – ambivalente – Struktur der Macht im Subjekt als Ausgangspunkt für dessen sprachliche Einmischung in die hegemoniale Kraft vorgegebener Strukturen und deren Re- und Neuartikulation. Ausgehend von der hegelianischen Denkfigur eines mit sich identischen Subjekts über Foucaults nachhegelianische Auffassung des Subjekts als Wirkung von Diskurs- und Machtbeziehungen gilt Butlers Interesse der Subjektivierung als paradoxer Machtform und der innerpsychischen Repräsentanz diskursiver Macht.

Zunächst widmet sie sich im Rahmen ihrer Doktorarbeit Subjects of Desire (SoD), die nicht ins Deutsche übersetzt wurde und in der deutschsprachigen Rezeption ihrer Theorie auch keine nennenswerte Rolle spielte, ganz dem hegelianischen Denken in der französischen Philosophie des 20. Jahrhunderts, besonders bei Kojève, Hippolyte und Sartre. Poststrukturalistische Theorie war zu dieser Zeit in ihrer Rezeption der kontinentalen philosophischen Tradition noch nicht oder nur von untergeordneter Bedeutung. In den Siebzigerjahren studiert Butler Hegel und die deutsche Philosophie bei Dieter Henrich und Hans-Georg Gadamer in Heidelberg. Später, in den frühen Achtzigern, dann Marx, Heidegger und Kierkegaard. Die Rekonstruktion der Bedeutung, die dem Begehren in Hegels Subjekttheorie zukommt, steht ganz im Zeichen der Auseinandersetzung mit dem deutschen Idealismus, der Phänomenologie und der Frankfurter Schule.

In ihrer nicht nur im deutschsprachigen Raum als beunruhigend empfundenen und kontrovers diskutierten Schrift Das Unbehagen der Geschlechter (UG) wendet sich Butler dann der Relevanz des Biologischen bei der Determinierung der Geschlechtsidentität, der technologisch-diskursiven Erzeugung biologischer Körper als Geschlechtskörper und der immer wiederkehrenden Einsetzung der heterosexuellen Zwangsordnung der Gesellschaft zu, die sich, so ihre Diagnose, den (Geschlechts-)Subjekten normierend als Matrix auferlegt. Hier greift sie auch die Denkfigur des Begehrenssubjekts wieder auf und behandelt die diskursive Produktion des Begehrens als Problem einer erzwungenen, heterosexuellen Begehrensorientierung und der damit verbundenen Geschlechterkonstruktion. Ihre Kritik an der Sex-gender-Unterscheidung, wonach eine Geschlechtsidentität auf einer biologischen Differenz der Geschlechter beruht, spitzt sich auf die These zu, dass Subjekte auch in ihrer körperlich-materiellen Geschlechtlichkeit performativ, und das heißt bei Butler, durch zitatförmige Wiederholung einer diskursiven Ordnung, erzeugt werden. Mit der Infragestellung einer vordiskursiven und vorsymbolischen Materialität des Körpers und der Rekonstruktion seiner normativen Herstellung richtet sie sich gegen jedes metaphysische Ursprungsdenken, das sich in Wesens- und Seinskategorien artikuliert. Stattdessen fragt sie nach den Machtmechanismen, die bestimmen, welche Körper und Lebensformen in einer Gesellschaft von Gewicht sind und wie diese produziert werden. Nach der Dekonstruktion der Vorstellung eines in sich kohärenten Subjekts und eines naturhaft vorausgesetzten Körpers widmet sie sich der Frage, wie sich Körper und Subjekt als Wirkung von Macht bilden.

In Haß spricht (HS) erweitert Butler ihre theoretische und politische Perspektive zu einer »Politik des Performativen«: Zentral ist hier die performative Kraft der Sprache nicht nur in ihrer konstitutiven Funktion für das Körperschema und das Subjekt, sondern auch in ihrer politischen Bedeutung der Reartikulation verworfener Körperbilder und Subjektivierungsweisen. Das Subjekt formiert sich Butlers sprachtheoretischem Programm zufolge in und durch Sprache. Gleichzeitig verfügt es über die Möglichkeit der Zurückweisung normativer Zuschreibungen und Verletzungen.

In Psyche der Macht wendet sie sich erneut der Subjektbildung und der Frage der innerpsychischen Struktur der Macht im Subjekt zu. Im Anschluss an Foucaults diskurs- und machttheoretische Subjektkonzeption geht Butler nicht nur davon aus, dass das Verhältnis von Subjekt und Macht das einer primären, fundamentalen Abhängigkeit ist, das, aufgrund der Wirkmächtigkeit von Diskursen, im Entwurf und Prozess der Subjektbildung zugleich die Unterwerfung des Subjekts unter die Macht einschließt. Vielmehr geht sie, in kritischer Auseinandersetzung mit verschiedenen Theorien der Subjektivierung und Subjektbildung, dem bereits in die Entstehungsgeschichte des Subjekts eingeschriebenen engen Zusammenhang von Psyche und Macht nach. In der Inauguration des Menschen als gesellschaftliches Wesen wird so ein Subjekt sichtbar, das sich der Verankerung des Sozialen in der Psyche (als Ort der primären Objektbeziehungen und der Gewissensbildung) verdankt. Die Macht befindet sich demnach genau dort, wo das Subjekt sich authentisch und souverän wähnt, nämlich im Bereich des – moralischen – Bewusstseins und der Selbstreflexion. Moral erscheint bei Butler, wie schon bei Nietzsche, als bestimmte Art der Gewalt, die das Subjekt als Kultursubjekt begründet und es als reflexives Wesen moralischen Maßstäben eines sozialen Gewissens unterwirft.

Gleichzeitig schlägt sie aber auch eine gegen die Macht gerichtete Interpretation der Handlungsfähigkeit des Subjekts vor, die sie in der Auseinandersetzung mit Hegels »Theorie des unglücklichen Bewusstseins«19 und mit nachhegelianischen Subjektivierungskonzepten, wie denen von Nietzsche, Freud, Althusser und Foucault, entwickelt. Hier wird deutlich, dass und wie das Subjekt gesellschaftliche Subjektentwürfe in seiner Konstitution partiell umschreibt und damit begrenzte Formen der Sozialität erweitert.

Die produktive Macht des Wortes

Butlers Theorieprojekt ist zentriert um die Vorstellung, dass Worte von der Macht durchdrungen sind und die Macht haben, Dinge wie den biologischen Körper aus der begrifflichen Substanz heraus zu fertigen. Ein zentraler Aspekt ist daher die Infragestellung des Materiekonzepts und des Körpers als vorgängiger Voraussetzungen der Zeichen und der Sprache, der diskursiven und symbolischen Bedeutungen. Die Frage ist, wie die Materialität des Körpers erzeugt wird und welchen Körpern Gewicht beigemessen wird und warum. Dabei ist die zugrunde liegende Annahme, dass Diskurse – vermittelt durch performative Sprechakte – körperliche Gestalt annehmen. Die Begriffe »Materialisierung« und »Performativität« dienen zur Erklärung dieses Vorgangs.

Die Vieldeutigkeit und fast willkürliche Anwendbarkeit des Performanzbegriffs haben dazu beigetragen, dass er zu einem Leitbegriff geworden ist. Diese Konjunktur des Begriffs verstellt jedoch den Blick auf seine je nach Disziplin unterschiedlichen Bedeutungen.

So bezieht sich der Begriff der Performanz in der Sprachphilosophie durchaus auf etwas anderes als etwa in der Ethnologie, der Kultur-, Theater- und Medienwissenschaft. Verweist er dort auf die sprechakttheoretischen und universalpragmatischen Geltungsansprüche von Sprache und kommunikativem Handeln, so bezeichnet er kultur- und theaterwissenschaftlich noch am ehesten das Aufführen von – theatralen oder rituellen – Handlungen, die »performance«. Damit kommt nicht nur der Aspekt der Inszenierung eines Als-ob-Verhaltens ins Spiel, dessen kulturwissenschaftliche Bedeutung darin liegt, dass sich alle Äußerungen immer auch als Inszenierungen, und das heißt: als »performances«, betrachten lassen. Kultur erhält vielmehr selbst in gewisser Weise den Status der Inszenierung sozialer Dramen. Medientheoretisch steht hingegen vor allem der Akt der Verkörperung von Botschaften im Vordergrund, der wesentlich durch die Dynamik der Reproduzierbarkeit bestimmt wird. Erst die kulturwissenschaftliche Wende des Performanzbegriffs thematisiert jedoch beide Aspekte, den der »Performanz« und der »Performativität«. Hier werden die Schnittstellen des Zusammenwirkens von »performances« und »performatives« beschrieben. Im Zusammenspiel der Verkörperung von Inszenierungen mit der »wiederholbaren Materialität« von Äußerungen und Mitteilungen wird die konstitutive Bedeutung des Performanzbegriffs sichtbar: »Performance« als Darstellung und Inszenierung erscheint so als verkörperte Erscheinungsform von performativen Sprechakten. Sie verweisen auf eine soziale und semiotische »Matrix der Macht« (KvG: 52)20, die sowohl der Performanz (von Inszenierungen) als auch der Performativität (von Sprechakten) vorausgeht. Seine volle Bedeutung erhält der Performanzbegriff aber erst durch den Umstand, dass die Aus- oder Aufführung sich nicht auf einmalige Ereignisse bezieht, sondern kontextuell immer wieder vollzogen und in der Wiederholung verändert wird. Denn: Diskursive Ordnungen sind keine Naturgesetze; sie haben, im Gegensatz zu diesen, zwar prägenden, aber keinen determinierenden Einfluss auf individuellen Sprachgebrauch.