Bozen_Mrd_Schweigen_cover-image.png

Corrado Falcone

Mörderisches Schweigen

Kriminalroman

390453.png

Impressum

Bisherige Veröffentlichungen:

Der Bozen-Krimi – Der Pate

Immer informiert

Spannung pur – mit unserem Newsletter informieren wir Sie
regelmäßig über Wissenswertes aus unserer Bücherwelt.

Gefällt mir!

429381.png Instagram_Logo_sw.psd Twitter_Logo_sw.jpg 

Facebook: @Gmeiner.Verlag

Instagram: @gmeinerverlag

Twitter: @GmeinerVerlag

Besuchen Sie uns im Internet:

www.gmeiner-verlag.de

© 2019 – Gmeiner-Verlag GmbH

Im Ehnried 5, 88605 Meßkirch

Telefon 0 75 75 / 20 95 - 0

info@gmeiner-verlag.de

Alle Rechte vorbehalten

3. Auflage 2019

Lektorat: Teresa Storkenmaier

Herstellung: Julia Franze

Umschlaggestaltung: U.O.R.G. Lutz Eberle, Stuttgart

unter Verwendung eines Fotos von: © derProjektor / photocase.de

Druck: GGP Media GmbH, Pößneck

Printed in Germany

ISBN 978-3-8392-5880-4

Haftungsausschluss

Personen und Handlung sind frei erfunden.

Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen

sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

1.

Andreas stach das Paddel in den See. Schneller, immer schneller. Das grüne Wasser brach und wirbelte Tausende von silbernen Tropfen auf, in denen sich die Morgensonne brach. Sein Kajak schnellte voran. Pfeilschnell glitt er über die Wasseroberfläche. Hinter sich hörte er ein Lachen.

»Gleich habe ich dich«, keuchte Michael, und tatsächlich sah Andreas das Kajak seines Freundes neben sich auftauchen.

»Von wegen!« Auch er lachte nun, legte noch einen Zahn zu, war schon eins mit dem Paddel, dem See, er war die Geschwindigkeit selbst, mit der er über das Wasser flog. Das Ufer kam näher.

»Wenden!« Zwangsläufig musste er Tempo wegnehmen, er wendete rasant.

»Gleich habe ich dich eingeholt!«, rief Michael, ebenfalls flott wendend.

»Niemals!« Andreas spürte die Wassertropfen auf dem Gesicht und die Sonne, er sah das gleißende Blau des Himmels, die grünen Schatten der Berge um sich herum und kam sich beinahe schwerelos vor. Als könnte er abheben, schweben. Diese Stunde Training vor der Arbeit genoss er, und mit Michael machte es mehr Spaß als allein, er war einfach ein Wettkampftyp. Wegen einer Frau hatte er seine sportlichen Aktivitäten zurückgeschraubt; das würde ihm nicht noch einmal passieren, so viel stand fest.

Er hatte schon beinahe die Mitte des Sees erreicht, als ihm auffiel, dass Michael nicht mehr hinter ihm war. Eher erstaunt als verärgert drosselte er seine Fahrt. Wandte sich um. Michael war längst nicht so geübt wie er. Daher fiel ihm die Verantwortung zu, und Verantwortung lag ihm.

Sein Freund hockte ein gutes Stück hinter ihm in seinem Kajak und stocherte mit dem Paddel im Schilf herum, das einen dichten Gürtel rund um das Ufer bildete.

»Michael?« Andreas wendete und stieß sein Paddel ins Wasser. Eine Wolke, eine einzige, schob sich nun über den Rand des Massivs vor ihm.

Michael wandte Andreas sein Gesicht zu. Er war totenblass. »Ich glaube, da treibt eine Leiche!«

Mit ein paar schnellen Stößen war Andreas neben seinem Freund.

»Ver…«

»Da ist nichts mehr zu machen, was?«

Ein aufgedunsenes Gesicht, mehr konnte Andreas zuerst nicht erkennen, Reste von Kleidung.

»Sag doch, Andreas!«

Der zog schon sein Handy aus der wasserdichten Hülle. »Da ist wirklich nichts mehr zu machen.« Es schüttelte ihn innerlich, dennoch bemühte er sich, seiner Stimme einen festen Klang zu geben, als er den Notruf wählte. Aus den Augenwinkeln sah er ein Moped, das die schmale Uferstraße entlangfuhr, im Schritttempo.

»Hier ist Andreas Tratter. Wir haben eine Leiche im Obergellner See gefunden.«

Das Moped hielt. Andreas konnte den Fahrer nicht erkennen, aber er fühlte die Augen dieses Zaungastes durch den Helm auf sich gerichtet. Unversehens lief Gänsehaut über seine nackten Arme.

»Okay. Wir bleiben vor Ort.«

Das Handy wegsteckend, fragte er Michael: »Weißt du, wer das ist?« Er deutete auf das Moped, das sich bereits knatternd entfernte.

Stumm schüttelte Michael den Kopf.

2.

Am frühen Morgen in der stillen Kirche fand Severin zu sich. Bevor der Tag mit seinen vielfältigen Aufgaben begann, zog er sich hierher zurück, um zu beten. Zum Herrn zu rufen, aus der Tiefe heraus, in der er gefangen war, den Herrn anzuflehen, ihm gnädig zu sein. Denn bei Gott war Vergebung. Trotz der Verzweiflung, die ihn im Griff behielt, hatte er immer daran geglaubt.

Hatte er?

Für ein paar Minuten des Gebets, in dem er seine Not herausschreien durfte, fühlte er so etwas wie Erleichterung. Ganz wörtlich. Als würde eine Last von seinen Schultern genommen. Als könnte er sich aufrichten aus der gekrümmten Haltung des Zweifels und der Furcht.

Er vermochte mit niemandem zu reden. War verdammt, alles zurückzuhalten. Es kam nicht in Frage, bei Holzer zu beichten. Niemals. Wenngleich Holzer etwas ahnte.

Severin senkte den Kopf, faltete die Hände noch fester. Betete leise murmelnd Psalm 130. De profundis clamavi ad te, Domine. Aus der Tiefe rufe ich, Herr, zu dir. Jedes Wort, jede Silbe trug in sich sein inniges Flehen, während der Klang seiner Stimme leise raschelnd den Altarraum erfüllte.

Als er den Psalm beendet hatte, blieb er noch einen Moment auf seinen Knien, bevor er sich aufrichtete und zum Altar ging. Später würde er die Beichte abnehmen, das Dorf war klein, die katholische Tradition steckte den Leuten in den Knochen. Severin gab viel auf die alten Formen, deswegen hatte ihm die Aussicht gefallen, Pfarrer in Obergelln zu werden. In dem winzigen Dorf in traumhafter Landschaft funktionierte noch das Gemeinwesen, man kannte sich, man ging sonntags zur Kirche und auch mal unter der Woche zur Morgenmesse, das gefiel ihm. Wenn nur nicht …

Severin machte eine tiefe Kniebeuge. Bekreuzigte sich.

Zuerst hörte er das leise Knattern nicht, das sich über die Dorfstraße näherte und abrupt abstarb. Er war noch zu sehr in Gedanken. Als die schwere Kirchentür mit lautem Knall zufiel, fuhr er herum.

»Ich hatte dich doch gebeten, außerhalb der Messe nicht herzukommen«, sagte er kühl, im Ton eines Lehrers, der sich in seiner wertvollen Zeit mit unausgeglichenen Teenagern herumschlagen musste.

»Die haben eine Leiche im See gefunden. Ich glaube, es ist die Teresa.«

Vor Überraschung machte Severin einen Schritt zurück, achtete nicht auf die Altarstufen, geriet ins Straucheln, fing sich gerade so.

»Die Teresa, sagst du?«

Hinter ihm öffnete sich die Sakristeitür. Holzer kam heraus. Er hat die Gabe, stets den günstigsten Moment zu finden, haderte Severin.

Holzer zog sich sofort zurück, seinen missbilligenden Blick nicht verbergend.

Severin schloss kurz die Augen.

»Du solltest jetzt gehen, Lisa!«, bestimmte er kühl und wandte sich ebenfalls der Sakristei zu.

3.

Commissario Sonja Schwarz stand am Fenster und ließ den Blick über den Weinberg schweifen. Der Kaffee tat gut, wenigstens ein Stück Routine im Chaos. Kaffee und die Polizeiarbeit hielten sie aufrecht. Wenn sie sich beschäftigt hielt, musste sie nicht an Thomas denken, konnte die Zweifel und Schuldgefühle ausschalten. Arbeit gab es wahrhaftig genug, im Weinberg stand nicht alles zum Besten, sie lebten von der Substanz. Wenn sie sich nicht ranhielten, wenn die Ernte nicht gut würde, wenn irgendetwas Unerwartetes über sie hereinbrach, würden sie das Gut nicht halten können. Vielleicht. Alles stand stets auf der Kippe, es gab keine Sicherheit. Dazu das ständige Misstrauen, das sich in jeder freien Minute heranschlich und keine klaren Gedanken mehr zuließ. Sie musste handeln. So schnell wie möglich.

Sonja sah, wie Julian in seinen verstaubten Arbeitshosen und einem weißen T-Shirt vom Gesindehaus kommend zum Werkschuppen ging, wobei er Laura fröhlich zuwinkte. Die grinste zurück, während sie die Haare unter ihren Strohhut band. Der Traktor. Eine der Sorgen.

Allerdings bei Weitem nicht die größte.

Sie war diejenige, die das würde klären müssen. Katharina konnte sie es nicht zumuten, ihre Schwiegermutter hängte sich ohnehin schon mehr rein, als gut für sie war, schonte ihr Herz nicht, wie von den Ärzten dringend geraten, sondern schuftete von morgens bis abends im Weinberg. Sogar Sonjas Tochter Laura vernachlässigte das Studium, um öfter helfen zu können. Wenigstens waren jetzt Semesterferien, so dass Sonjas Selbstvorwürfe nicht allzu heftig rumorten. Die Familie gab wirklich alles. Manchmal kam Sonja ihr Leben vor wie ein Forschungsprojekt. Sie testeten einfach aus, wie viel sie schaffen konnten. Mit Hilfe war nicht zu rechnen, noch jemanden anzustellen, war momentan keine Option.

Dabei ging es in Wirklichkeit um sehr viel mehr. Wenn sie das Weingut verlören, dann war ihr Leben hier in Bozen nur noch ein Wunschtraum, ein Konstrukt, an das sie bis zur Verzweiflung geglaubt hatte, das jedoch von vornherein zum Einsturz verdammt war. Leben, wo andere Urlaub machen, mit diesem lockeren Spruch hatte Thomas sie damals dazu bewegt, von Frankfurt nach Südtirol zu ziehen, neu anzufangen, und Sonja hatte sich allmählich eingewöhnt. Dann waren Schritt für Schritt Dinge ins Rollen gekommen, die allesamt darauf zielten, der Familie Schwarz den Garaus zu machen. Thomas war tot. Zurück blieb eine vage Vorstellung, was die Familie sein könnte. Wenn er noch da wäre.

Jetzt ersetzte ein Verwalter mit hervorragenden Referenzen ihren Mann. Sonja kochte innerlich. Julian Bittner war nicht Julian Bittner, der echte hatte einen Unfall gehabt, der falsche sich dessen Vita zunutze gemacht. Ihr Argwohn stieß ihren Mitmenschen mitunter übel auf. Doch in diesem Fall war Sonja froh, sich zu einer Überprüfung durchgerungen zu haben, und das Ergebnis gefiel ihr nicht.

Überhaupt nicht.

Sie stellte die Tasse in die Spülmaschine. Ging nach draußen.

Obwohl noch früh am Morgen, brannte die Sonne bereits auf das Anwesen. Grün funkelten die Weinberge rund um Eppan, es war einer von diesen Postkartentagen, über die die Touristen sich freuten. Eine Wanderung, abends ein gutes Essen und ein Glas Magdalener. Ab ins Bett und tief geschlafen.

So lief es für Sonja schon lange nicht mehr. Sie ging zum Werkschuppen hinüber. Fühlte die ausgetrocknete Erde unter ihren Sohlen. Es müsste dringend regnen, schoss ihr durch den Kopf. Von fern hörte sie das Hämmern eines schweren Gegenstands auf Metall.

Julian stand über die Motorhaube des alten Traktors gebeugt. Von Nahem sah sie die Ölschlieren auf seinem weißen T-Shirt und die Strähnen, die ihm vor den Augen hingen.

»Morgen«, sagte Sonja.

Er drehte sich um, ein fröhliches Lächeln auf den Lippen. »Morgen! Ich fürchte, der macht es nicht mehr lang.«

»Einer meiner Kollegen hat Sie überprüft. Ich weiß nicht, wer Sie sind, aber Julian Bittner sind Sie nicht. Wie heißen Sie wirklich?«

Das Lächeln kullerte ihm aus dem Gesicht.

»Und warum haben Sie sich hier unter falschem Namen und mit einer gefälschten Biografie anstellen lassen? Haben Sie gedacht, wir kriegen das nicht raus?«

»Tja …« Julian klappte die Motorhaube herunter und legte den Schraubenschlüssel mit einem satten Klonk darauf. Ein trauriger Ausdruck legte sich auf seine Züge. »Um ehrlich zu sein … doch! Doch, ich habe damit gerechnet, dass Sie irgendwann dahinterkommen. Ich dachte lediglich, es würde ein wenig länger dauern. Dass ich noch Zeit habe, Sie kennenzulernen. Und Katharina.«

Sonja starrte ihn an. Als Polizistin hatte sie gelernt, hinter die Fassade zu schauen. Doch noch blieb ihr der Blick hinter die ihres Verwalters versperrt. Zunächst. Bloß nicht auf Andeutungen einlassen. Niemanden im Gespräch etwas recht machen. »Ich hätte gern eine Antwort.«

Doch statt Julian meldete sich ihr Handy zu Wort.

»Matteo, was gibt es?« Wenn ihr Vorgesetzter am frühen Morgen anrief, blieben nicht viele Optionen.

»Wir haben eine Leiche im Obergellner See. Die Kollegen sind gerade bei der Bergung. Holst du mich ab? Mein Wagen ist immer noch nicht fertig.«

»Geht klar. Ich mache mich auf die Socken.« Sie steckte das Handy weg. »Also?«

Julian wand sich. »Es ist nichts Schlimmes. Eher was Persönliches. Nicht so leicht zu erklären, und Sie müssen weg …«

»So viel Zeit habe ich noch.«

»Ich weiß, Sie könnten mich jetzt einfach rausschmeißen. Ich würde es sogar verstehen«, sagte Julian zerknirscht. »Trotzdem: Könnte ich heute noch hier arbeiten? Katharina und Laura schaffen es doch nicht allein. Sogar zu dritt kommen wir kaum rum. Heute Abend setzen wir uns dann zusammen, und ich erkläre alles. Wär’ das ein Vorschlag?«

Sonja blickte in sein braun gebranntes Gesicht. Ihre Entschlossenheit geriet ins Wanken. Auf keinen Fall würde sie so schnell klein beigeben. Sie hasste es, an der Nase herumgeführt zu werden. Und spürte Wut im Bauch, ganz plötzlich. Seit dem Anschlag, seit der Sache mit Thomas, kamen immer wieder solche Momente. Ein unerklärlicher Zorn. Auf den Menschen vor ihr. Auf die Welt. Auf sich selbst. Weil sie zugelassen hatte … Sie wischte die wütenden Gedanken weg. Das hier forderte nun all ihre Aufmerksamkeit.

»Sie werden es verstehen, da bin ich mir sicher.« Julian legte seine schwarz verschmierte Hand auf die Motorhaube des alten Traktors.

Eine unschuldige Geste, die Sonja den Wind aus den Segeln nahm. Zudem wartete Matteo darauf, dass sie ihn an der Werkstatt abholte. Wenngleich die Tote aus dem See auch noch ein paar Minuten Zeit hatte.

»Also gut. Bis heute Abend.« Sie nickte Julian knapp zu, wandte sich um und ging zu ihrem Wagen. Mit einem Mal fühlte sie sich zu müde für eine Auseinandersetzung.

»Mama?« Ihre Tochter Laura kam ihr nach. Unter dem Strohhut konnte man deutlich den Sonnenbrand auf ihrer Nase sehen. Sie fuchste sich mit so viel Herzblut in die Winzerei, dass Sonja sich schäbig vorkam. Sie verließ das Weingut jeden Morgen. Geld verdienen. Kriminelle jagen. Ihr Gehalt war das einzig sichere Standbein für die Familie. Laura hatte noch nicht lange mit dem Studium begonnen. Was, wenn das Weingut den Bach runterging? Wo würde Laura dann eines Tages arbeiten?

»Ja?«

»War was?« Laura zeigte zum Werkschuppen. »Ich habe mitgekriegt, dass du mit Julian geredet hast.«

»Ja, es ist was, aber lass uns heute Abend darüber reden, in Ordnung?«

»Wenn du meinst …« Laura sah sie enttäuscht an.

»Ich muss zum Dienst. Zwei Kajakfahrer haben eine Leiche im Obergellner See gefunden. Kümmerst du dich um Katharina? Sie klotzt schon wieder ran, als wollte sie die Arbeit allein machen.« Sonja zeigte an dem blühenden Rosenstock vorbei in die Rebenreihe, durch die ihre Schwiegermutter gerade eine Schubkarre wuchtete, die sie offensichtlich nur mit großer Anstrengung schieben konnte.

»Mach ich. Ich dachte eigentlich, jetzt, wo Julian für uns arbeitet, gönnt sie sich ab und zu mal eine Pause.«

»Sieht ja wohl kaum so aus!« Das kam schärfer, als Sonja beabsichtigt hatte. Sie ignorierte Lauras ratlosen Blick. »Ich muss dann. Bis heute Abend!«

4.

Warten konnte er. In der »Famiglia« lernte man Geduld. Man lernte auch zu unterscheiden, welche Situationen unmittelbares Handeln erforderten und welche nicht. Vitale hatte das Umfeld beobachtet und seine Kontakte spielen lassen. Geld tat ein Übriges. Davon war reichlich vorhanden. Aus der Werkstatt dröhnten schon die üblichen Geräusche eines beginnenden Arbeitstages. Auch auf der Straße herrschte reger Betrieb, Kunden brachten ihre Autos zur Inspektion, parkten hinter dem Werkstattgebäude und meldeten sich im Büro an. Durch die Glaswand sah Vitale, wie die meisten einen Espresso serviert bekamen, bevor ihr Auftrag in den PC eingegeben wurde. Lief alles über Computer heutzutage. Wurde immer schwieriger, etwas unter der Hand zu machen. Vitale hatte sich schnell genug angepasst.

Manche Kunden warteten einfach, bis ihr Wagen fertig war, andere bekamen einen Leihwagen gestellt und waren wenig später wieder vom Gelände verschwunden. Ein Dutzend Mechaniker in blauen Arbeitshosen und ebensolchen Jacken, auf denen das gelbe Geschäftssymbol der Werkstatt prangte, wuselten zwischen Hof und Werkstatt umher.

Ein Mann kam zu Fuß. Breit lächelnd beobachtete Vitale, wie der Mann flott ausschritt, mit der einen Hand das schwarze Haar zurückstreichend, mit der anderen die Sonnenbrille ruckend. Wie man ihn kannte, den Matteo Zanchetti, dachte Vitale. Häme tat ihm gut. Er musste oft genug den Kopf einziehen, da traf es sich hervorragend, wenn er einmal über einen anderen herziehen konnte. Vor allem über so einen Latin Lover wie den Commissario Capo! Der würde nämlich bald sein blaues Wunder erleben, dann war es mit dem Gel in der Haartolle vorbei! Höhnisch verzog Vitale das Gesicht. Mit der »Famiglia« spaßte man nicht. Würde der Ragazzo schon lernen.

Von seinem Posten schräg hinter dem Werkstatthof beobachtete er, wie Matteo Zanchetti das Büro betrat, einen Moment an der Anmeldung wartete, ungeduldig mit den Fingern auf den Tresen klimperte. Die Angestellte hinter dem Bildschirm klickte nervös auf der Tastatur herum, um dem Commissario Capo sodann einen negativen Bescheid zu geben. Vitale grinste breit. Er konnte der Frau die Worte von den Lippen ablesen: Tut uns leid, Commissario, Ihr Wagen ist noch nicht fertig.

Nach einem kurzen Schlagabtausch zog Zanchetti wütend ein Handy aus der Jeanstasche und tippte eine Nummer. Sprach erregt, gestikulierte, ganz der Süditaliener, lief bereits durch das Büro, über den Hof und zur Straße. Unwillkürlich zog Vitale den Kopf ein, obwohl man ihn in seinem Versteck keinesfalls sehen konnte. Jetzt trat er von einem Bein aufs andere. Das Licht spiegelte sich in den Gläsern seiner Sonnenbrille. Vitale glitt noch ein bisschen weiter hinter das Führerhaus des LKWs zurück, der ihn perfekt verbarg. Und selbst, wenn Zanchetti ihn sehen würde: Er sah einfach aus wie ein Brummifahrer, der neben seinem Truck wartete.

Wenig später hielt ein Tiguan neben Zanchetti. Die Polizei mal privat. Mit quietschenden Bremsen fuhr der Wagen wieder an, kaum dass Zanchetti eingestiegen war.

Vitale sah die Locken der Fahrerin durch das geöffnete Fenster im Wind wehen. Es konnte losgehen.

Die Bullen würden schon noch damit herausrücken, was mit Rossi passiert war. Soweit er, Vitale, mitbekommen hatte, besaß die »Famiglia« inzwischen sogar einen Maulwurf in der Questura.

Zielstrebig überquerte er die Straße und näherte sich dem Werkstattgebäude. Der Mechaniker winkte ihn zur Seite. Niemand achtete auf sie, als sie in der Umkleide die Klamotten tauschten. Zur Sicherheit trug Vitale ein Halstuch, das sein Feuermal verdeckte. Besser, niemand hier bemerkte und merkte sich diesen auffallenden roten Fleck. Er griff nach seinem Werkzeugkasten und machte sich auf den Weg zu der Hebebühne, auf der Zanchettis Audi TT stand.

5.

Sonja parkte ihren Wagen neben dem Flatterband. Der See lag still und grün wenige Meter weiter. Zwei Kajaks lagen auf dem Uferstreifen. Ein paar Uniformierte sicherten das Gelände. Der Van der Kriminaltechniker traf auch gerade ein.

»Also, auf in den Kampf«, murmelte Sonja, in Gedanken immer noch bei ihrem Verwalter zu Hause, der nicht der war, für den er sich ausgegeben hatte. Hin- und hergerissen zwischen dem Bauchgefühl, ihn sofort zu entlassen, und dem Gedanken, dass sie auf dem Weingut dann ohne Hilfe dastünden, und das bei Katharinas angeschlagener Gesundheit, starrte sie auf das Dorf Obergelln, das gute hundert Meter über dem See am Hang lag, sonnenbeschienen und viel zu schön, um zu Sonjas momentaner Stimmung zu passen.

Matteo war längst ausgestiegen und schwang elegant ein Bein nach dem anderen über das Flatterband.

Sie machte, dass sie hinterherkam. Erstaunt sah sie ihren Kollegen Commissario Jonas Kerschbaumer mit Notizblock und Bleistift auf Matteo zukommen. »Ist der nicht noch krankgeschrieben?«, murmelte Sonja, während sie ihrerseits eilig über das Flatterband kletterte.

Der Blick, mit dem Jonas ihre und Matteos Ankunft quittierte, sagte alles. Er war immer noch sauer auf sie beide, ließ keine Gelegenheit aus, ihnen genau das unter die Nase zu reiben. Hielt ihnen Unkollegialität und Geheimniskrämerei vor, was zwar nicht korrekt war, jedenfalls nicht ganz, doch Jonas versteifte sich gern auf seine Meinungen. Und ganz falsch liegt er nicht, dachte Sonja. Wieder ein Mann, der ihr Mitleid erregte, jedenfalls konnte sie deutlich sehen, dass er nach der Verletzung immer noch Schmerzen hatte und seinen Arm nicht wie gewohnt bewegen konnte. Matteo würde das anders sehen. Sie konnte nur hoffen, dass das Zerwürfnis zwischen Jonas einerseits und ihr und Matteo andererseits sich mit der Zeit in Luft auflösen würde. Zudem war sie nicht imstande und willens, während der Arbeit auch noch Kollegen zu therapieren.

»Hoi, Jonas, was gibt’s?«, grüßte sie möglichst locker.

»Die zwei Kajakfahrer da drüben haben eine weibliche Leiche im See gefunden.« Er las von seinen Notizen ab, Sonja bemerkte den unterkühlten Tonfall. »Sie hat wahrscheinlich bis vor Kurzem im Hochgebirge unter dem Schnee gelegen und wurde erst mit dem Schmelzwasser von der letzten Hitzewelle runtergespült. Die Leiche ist ziemlich gut erhalten, obwohl die Frau schon seit ein paar Monaten tot sein muss.«

»Diese Berge geben ihre Geheimnisse immer zeitversetzt preis. Todesursache?«, fragte Matteo, während er seinen Blick über die umliegenden Gipfel schweifen ließ.

»Sie ist erstochen worden. Genaueres kann uns vielleicht die Gerichtsmedizin später sagen. Oberflächlich lässt sich erstmal nicht viel mehr erkennen, dafür ist die Verwesung dann doch zu weit fortgeschritten.«

»Versuche herauszufinden, wo der Tatort ist!« Matteo nickte Jonas zu. »Auch wenn wir dafür wohl ein bisschen Glück brauchen werden.«

Jonas steckte den Block in die Jeanstasche und wandte sich kühl ab. »Nach so langer Zeit kaum vorstellbar.« Er ging davon.

Sonja sah ihm nach. »Ich hatte so gehofft, dass sich alles wieder einrenkt.«

»Er soll sich mal nicht so haben!«, wischte Matteo ihre Bedenken beiseite.

»Nicht einfach, mit einem Kollegen zusammenzuarbeiten, der einem vorwirft, dass man ihm nicht vertraut.«

»Dazu hat er kein Recht. Dass ausgerechnet du dich von seiner Mitleidstour verrückt machen lässt!«

Sonja ließ ihn stehen und ging zu den beiden Kajakfahrern. Fehlte noch, dass Matteo ihr Unprofessionalität unterstellte. Besser, sie besann sich auf ihre harte Seite.

»Hallo, Sofia!«, grüßte sie die uniformierte Polizistin. »Personalien aufgenommen?«

Sofia Lanthaler blickte Jonas hinterher, der zu einem Streifenwagen hinüberging und dabei in sein Handy sprach. Aufgeschreckt nickte sie. »Morgen, Commissario! Der Dunkelhaarige ist Andreas Tratter, der andere sein Freund Michael Bohl. Sie arbeiten beide im Zentralkrankenhaus Bozen als Pfleger. Wenn sie Spätdienst haben, trainieren sie mit ihren Kajaks morgens auf dem See.«

Sonja begrüßte die jungen Männer und stellte sich vor. Tratter und Bohl waren sportliche, sonnengebräunte Muskelmänner, die trotz des Schrecks, den sie nicht einfach so unter den Teppich kehren konnten, optimistische Zeitgenossen zu sein schienen.

»Sie trainieren regelmäßig hier?«

»Ja, diese Woche schon jeden Tag. Wenn wir Frühdienst schieben, kommen wir gegen Spätnachmittag, aber dann ist es meist schon sehr heiß«, sagte Andreas Tratter.

»Und Ihnen ist nie irgendwas Besonderes aufgefallen?«

»Nein! Michael ist plötzlich zurückgeblieben …«

»Ich habe zuerst gar nicht gemerkt, dass es eine Leiche ist. Ich dachte, da schwimmt ja was Seltsames im Wasser, habe an ein Tier gedacht …« Michael Bohl schüttelte den Kopf. »Irgendwie wird mir jetzt erst klar, dass ich mit dem Paddel eine Tote berührt habe. Die trieb knapp vor dem Schilfgürtel. Wie ein Stück Holz!« Er blickte rasch weg. »Sie ist schon länger tot, nicht wahr?«

»Ja, wir nehmen an, dass sie vom Schmelzwasser in den See gespült wurde. Kann noch nicht lange her sein.«

Die beiden Freunde sahen einander ratlos an.

»Gut möglich, dass wir uns noch einmal bei Ihnen melden.« Sonja sah zu Sofia, die ein paar Schritte beiseitegegangen war und mit einem Carabiniere sprach.

Der massige Mann hob nun den Blick und suchte Sonja. Die nickte ihm zu. Er kam zu ihr.

»Der Jonas will sich versetzen lassen.«

»Was?« Sonja starrte Peter Kerschbaumer an. Jonas’ Vater war ein Urgestein der Bozener Polizei, einer, den sie schätzte, der ihr seit ihrer Ankunft aus Frankfurt viel geholfen hatte, stets ruhig, zuverlässig, freundlich. Nun kam sie sich vor, als hätte sie ihn hintergangen.

»Er will nicht mehr mit dir und Matteo zusammenarbeiten.« Vorwurfsvoll sah er sie an, die Augen gegen die Sonne zusammengekniffen. Sein Uniformhemd spannte über dem Bauch. Sie mochte ihn. Und schon wieder steckte sie in einer Zwickmühle.

»Peter, es war ein Undercovereinsatz, und der Jonas ist mir heimlich nachgegangen.«

»Weil ihr ihn nicht einbezogen habt!«

Sonja seufzte. »Wenn es so einfach wäre …« Die Operation an jenem Tag war wirklich eine komplizierte Aktion gewesen. Wenn sie dabei Rossi erwischt hätten …

»Sprecht euch halt wenigstens mal aus!« Kerschbaumer stapfte davon. Sonja beschloss, so bald wie möglich ein Wörtchen mit Jonas zu reden, doch unter Druck setzen lassen würde sie sich nicht. Zudem schien es dem verletzten Kollegen zumindest in Liebesdingen ganz gut zu gehen. Wie Jonas und Sofia ständig Augenkontakt suchten, einander im Blick behielten, auch wenn sie so taten, als bemerkten sie sich gar nicht, sprach Bände. Ihre traute, wortlose Zweisamkeit wurde jedoch unterbrochen, als Jonas’ Handy läutete. Sonja ging zu ihrem Wagen, als er ihr hinterherrief:

»Sonja! Warte!«

Sie wandte sich um, hoffend beinahe, der Kollege würde von selbst die Aussprache suchen.

»Ja, Jonas?«

»Wir haben schon eine Reaktion von der Vermisstenstelle. Die Tote ist Teresa Gamper, 36. Sie verschwand vor vier Monaten spurlos. Ihr Mann Joachim führt die Wirtschaft oben in Obergelln.« Er wies unbestimmt den Berg hinauf.

»Gute Arbeit. Danke dir.«

Jonas nickte ihr zu und ging wieder zu Sofia hinüber. Die allerdings stieg gerade mit einem anderen Uniformierten in den Streifenwagen. Mit hängenden Armen sah Jonas dem Auto nach.

6.

Severin zog sich in den Beichtstuhl zurück. Im Halbdunkel vermochte er sich endlich seinen Gedanken hinzugeben. Die Teresa … wenn Lisa recht behielt, würde das eine Menge Gerede im Dorf auslösen. Die kleine Gemeinschaft von Obergelln hatte der Frau des Kneipenwirts das Leben mehr als schwer gemacht. Ein bunter Vogel passte eben nicht in ein Dorf, von dem aus man entweder auf den kleinen See oder auf den Schlern blicken konnte, und dann steckten sie hier oben auch noch eine erkleckliche Anzahl an Tagen im Jahr in den Wolken. Trostlos konnte das Leben hier sein, vor allem im Herbst und Frühjahr, wenn eben nicht das traumhafte Wetter herrschte, für das die Touristen herkamen. Konfus wischte er sich den Schweiß von der Stirn. In Obergelln ließ es sich nur aushalten, wenn man einen Job im Sägewerk hatte. Oder Pfarrer war. Obwohl Südtirol in Sachen Beschäftigung ganz gut dastand, litten die kleinen Ortschaften doch an ihrer Abgeschiedenheit. Für eine Anstellung unten in Bozen waren andere Fähigkeiten gefragt als die, über die man im Dorf verfügte, und das bisschen Landwirtschaft am steilen Hang reichte bei den meisten nur für die Selbstversorgung. Manche verkauften noch Käse oder Joghurt auf dem Bozener Wochenmarkt. Das war es dann.

Severin hörte, wie die schwere Kirchentür geöffnet wurde, das vertraute Knallen, als sie ins Schloss fiel, und er vernahm Schritte, die auf den Beichtstuhl zuhielten.

Er wappnete sich. Konzentration jetzt. Er würde diese Pfarrstelle übernehmen, also ging es darum, dass er als Vertrauensfigur rüberkam. Die Leute sollten wissen, woran sie mit ihm waren. Im Allgemeinen gab er sich streng, natürlich nur im Sinne seiner tiefen religiösen Überzeugungen. Er stand dafür, dass der Mensch einen festen Standpunkt brauchte und seine Meinungen nicht permanent wechseln konnte. Dass man auch mal was einstecken musste, nicht gleich davonlaufen konnte. Darauf verstand er sich, auf das Durchhalten, und er würde es schaffen, alles schaffen, was er sich vorgenommen hatte.

Licht fiel in den Beichtstuhl, als jemand die Tür aufriss und sich ächzend auf die Kniebank fallen ließ.

»Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes«, begann eine Männerstimme. Tief, ein wenig außer Atem.

Severin zuckte zusammen. Ausgerechnet …

»Amen«, vollendete er automatisch.

»Ich hab gesündigt. In Gedanken, Worten und Werken. Herr Pfarrer, ich muss eine schreckliche Schuld bei Ihnen abladen.«

Severin wartete. Er unterbrach ungern, ließ den Sündern lieber Zeit, selbst um die Worte zu ringen.

»Ich habe meine Frau geschlagen. Ich wollte es nicht. Es ist mit mir durchgegangen.« Ein lautes Seufzen.

Severin fühlte sich durch die Anwesenheit des Mannes, der kaum in das Kämmerchen hineinpasste, körperlich bedrängt. Durch das Gitter erkannte er die groben Gesichtszüge, das wirre Haar.

»Nachher tut es mir immer leid. Ich schaffe es nicht, mich zu beherrschen. Mein Leben ist ein Gefängnis, Herr Pfarrer. Die Verantwortung. Diese Routine, immer das Gleiche. Natürlich kann meine Frau nichts dafür. Geschlagen habe ich sie trotzdem. Sie ist ganz blau im Gesicht.«

Severin meinte, wieder das leise Knarren der Kirchentür zu hören; in dem Moment sprach der Mann neben ihm schon weiter:

»Sie hätte einen Besseren verdient als mich. Wahrscheinlich sollte ich noch mehr arbeiten, kaum noch im Haus sein, dann käme ich gar nicht in Versuchung, die Hand gegen sie zu erheben. Verstehen Sie mich?«

»Ich höre Ihnen zu«, bestätigte Severin, wenngleich er abgelenkt war. Er hatte doch etwas gehört, als sei die Kirchentür zugefallen, ganz sanft, weil jemand sie gehalten hatte, um keinen Lärm zu machen, aber die Tür war wirklich schrecklich schwer, ein Knacken gab es immer, wenn das Schloss einrastete.

»Wie es aussieht, haben sie die Teresa gefunden. Sie muss schon eine Weile tot sein.«

Panik stieg in Severin auf. Jetzt schwappte das Unglück über ihn hinweg. Er zwang sich, gleichmäßig zu atmen. Also hatte Lisa ganze Arbeit geleistet, im Wirtshaus von ihrer Beobachtung erzählt, so was machte in Lichtgeschwindigkeit die Runde.

»Die Teresa wollte hier auch nicht mehr bleiben. Ich konnte sie gut verstehen, wissen Sie, wahrscheinlich sieht man mir das nicht an, ich sehne mich auch oft weg, denke, ich könnte noch einmal neu anfangen an einem anderen Ort.« Der Mann senkte die Stimme. »Für Sie gibt es keine Zweifel, nicht wahr?«

»Es ist zutiefst menschlich, Zweifel zu haben.« Severin wusste nur zu genau, wovon er redete.

»Was ist die eine Sünde, die Gott nicht mehr verzeiht, Herr Pfarrer?«

»Gottes Güte ist unergründlich und ewig. Um Vergebung zu erlangen, muss der Sünder seine Taten ehrlich bereuen und sein sündiges Leben aufgeben.«

»Gottes Güte? Wird Gott einem Sünder immer und immer wieder vergeben? Ist das Ihre Gewissheit? Ruhen Sie sich darauf aus?« Es schien, als habe der Mann keine Antwort erwartet. Er sprach weiter und immer weiter. Severin rann der Schweiß den Rücken hinunter, während er stocksteif dasaß und um Luft in der engen Kammer rang. Er wollte nicht glauben, was er da hörte, und zugleich erschien es ihm entsetzlich logisch.

Es blieb länger still, bevor Severin endlich etwas sagte. Er sprach hektisch, rief sich innerlich zur Ruhe, haspelte weiter. Sich an die Formel klammernd endete er schließlich:

»Der Herr schenke dir Verzeihung und Frieden. Ich spreche dich los von allen deinen Sünden. Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes.«

Als er »Geistes« sagte und nach dem Kreuzzeichen die Hand wieder in seinen Schoss fallen ließ, fiel die Kirchentür ins Schloss. Diesmal gab es keinen Zweifel.

Jemand hatte sie gehört.

7.

Sonja steuerte ihren Wagen die Straße nach Obergelln hinauf. In einer Kurve kam ihnen eine Ape entgegen. Sonja stieg auf die Bremse, gab gleichzeitig Lichthupe.

»Principessa, lass uns am Leben!«, stöhnte Matteo.

»Himmel noch mal!« Sie ließ das Fenster herunter, rüffelte den Fahrer: »Sie fahren mitten auf der Straße!«

Der Mann zuckte nur die Achseln und trat aufs Gas.

»Stronzo!«

»Du fluchst wie eine Neapolitanerin.«

»Muss ich von dir gelernt haben.« Sonja klickte auf dem Navi herum. »Ich glaube, das GPS kennt kein Obergelln.«

»Muss ja am Ende der Straße liegen. Man hat es vom See aus prima gesehen«, gab Matteo zurück.

Tatsächlich passierten sie das Ortsschild zwei Minuten später.

»Jetzt müssen wir nur noch das Wirtshaus finden!«

»Die liegen ja meistens neben der Kirche, vero?« Matteo grinste.

Sonja fuhr an der Kirche vorbei, ein heller Bau mit dem für die Gegend typischen schlanken Turm, der mit grauen Schindeln gedeckt war. Dahinter fiel bereits der Berg steil ab. Kaum dass Platz für einen winzigen Friedhof blieb.

»Keine Kneipe. Und da vorn endet die Teerstraße.«

»Lass uns aussteigen und zu Fuß gehen.«

Sie ließen den Wagen stehen. Sonja hatte den Eindruck, als wollte das Dorf sie abstoßen, einfach ausspucken. Zwei Frauen mit verbitterten Gesichtszügen, die die Polizisten feindselig anstarrten, gingen grußlos an ihnen vorbei. Kalte Schwere legte sich über Sonjas Schultern. Seit sie Thomas verloren hatte, fühlte sie sich den Unbilden des Daseins noch mehr ausgesetzt als zuvor. Die knallharte Seite, die sie in ihrem Job hervorkehrte, dominierte nicht immer. Tief drin spürte sie Verunsicherung. Auch was ihre Zukunft betraf. Was würde aus dem Weingut werden? Wenn es schon nicht einfach war, aus den Schulden herauszukommen, die ihnen noch der längst verstorbene Schwiegervater aufgehalst hatte, stand sie jetzt allein da, nur mit einer herzkranken Schwiegermutter und einer Tochter, die zwar fleißig war, doch auch ihr eigenes Leben entdecken sollte … Und dann auch noch Julian und seine erfundene Identität! Das triste Dorf mit seinen feindseligen Bewohnern trug nicht gerade dazu bei, ihre Laune zu heben.

»Das ist die andere Seite von Südtirol«, riss Matteo sie aus ihren Gedanken. »Inzucht. Vernachlässigung. Tristezza.«

»Heimweh nach dem Süden?«

»Manchmal ja, manchmal nein. Neapel ist kein Pflaster mehr für mich.«

Sonja schwieg. Über das berufliche Vorleben ihres Capos wusste sie nur, dass er im Mezzogiorno in einer Anti-Mafia-Einheit gearbeitet hatte. An seiner neuen Stelle im Norden war er schneller, als ihnen beiden lieb sein konnte, mit der hiesigen Mafia in Gestalt des Restaurantbesitzers Rossi aneinandergeraten. Als Sonja in Bozen anfing, hatte sie nicht damit gerechnet, auf das organisierte Verbrechen zu stoßen, hatte jedoch bald feststellen müssen, dass Südtirol auch in dieser Hinsicht beim besten Willen keine heile Welt darstellte. Und die Eskapaden rund um ihren letzten Fall hätten sie deutlicher nicht belehren können.

»Grüß Gott!«, wandte sich Matteo an einen Bauern, der mit einer Sense über der Schulter die Straße entlangschlurfte. »Wo liegt denn das Wirtshaus vom Gamper Joachim?«

Der Bauer musterte abschätzig Matteos schwarzes Gelhaar, die schicken Jeans, das eng anliegende Hemd, die karamellfarbenen Chelseas. Unwirsch wies er in eine Seitenstraße.

»Schönen Dank auch!« Matteo zuckte die Achseln. »So viel zum Thema vereintes Europa.«

»Thematisch ein recht gewagter Sprung.« Sonja grinste. »Guck mal, die Streife ist auch schon hier.« Sie wies auf den Fiat Panda der Polizia di Stato, der gerade vor ihnen in die Seitenstraße einbog. »Entweder kennen sie sich aus oder sie haben ein besseres Navi. Ist das Sofia?«

»Ist sie.«

»Sie hat was mit Jonas.«

»Soll mir recht sein.«

»Apropos Jonas. Kerschbaumer senior hat mir anvertraut, dass Jonas sich versetzen lassen will.«

»Wegen …?«

»Weil wir ihn in diese Rossi-Aktion auf den Hütten nicht einbezogen haben.«

»Was für ein Quatsch!«

»Er fühlt sich über den Tisch gezogen.«

»Für emotionales Tamtam habe ich keine Geduld. Wir sind Kollegen. Ich verlange, dass wir einen professionellen Umgang miteinander pflegen. Klar? Vor allem wenn es um Rossi geht.«

Sonja nickte. »Kann aber auch nicht schaden, wenigstens im Nachhinein ein wenig aufeinander einzugehen. Menschen haben nun mal Gefühle.«

»Das musst ausgerechnet du mir reinreiben – die härteste Kommissarin, die mir bisher untergekommen ist.«

»Hattet ihr in Neapel überhaupt Kommissarinnen

»Spar dir deinen Kulturpessimismus. Und jetzt frisch ans Werk. Die Uniformierten sind schon bei der Arbeit.«

In der düsteren Wirtsstube hockten zwei Männer vor ihrem Bier. Beide mit Hut, der alten Tradition folgend, dass ein Südtiroler nur vor dem Herrgott und vor sonst keinem seine Kopfbedeckung abnahm. Auf den Fenstersimsen lag der Staub zentimeterdick. Eine Fliegenfalle schlängelte sich von der Decke. Sonja überfiel in dem niedrigen Raum das Bedürfnis, den Kopf einzuziehen. Ein Mann von der Statur eines Basketballers, wenngleich mit hängenden Schultern, kam auf die Kriminalbeamten zu.

»Ja?«, fragte er in einem Ton, der verriet, dass ihn nichts, aber auch gar nichts besonders interessierte.

»Sind Sie Joachim Gamper?« Sonja zückte ihren Dienstausweis.

»Bin ich.«

»Commissario Sonja Schwarz, das ist Commissario Matteo Zanchetti. Können wir uns in Ruhe unterhalten?«

Schweigend wies der Mann auf einen leeren Tisch. »Platz haben wir gerade genug.«

Wer trinkt auch gern zwischen Staub und toten Fliegen seinen Schoppen, dachte Sonja.

Sie setzten sich.

»Lisa, bring uns was zu trinken!«, rief Gamper der Kellnerin zu.

»Sie haben Ihre Frau Teresa vor vier Monaten als vermisst gemeldet, Herr Gamper.«

»Haben Sie sie …?« In seinem Gesicht flackerte Unsicherheit auf.

»Teresa wurde tot aufgefunden. Zwei Kajakfahrer haben ihre Leiche im See unten entdeckt. Es tut uns leid, Herr Gamper.«

Der Wirt wurde blass. Er barg das Gesicht in den Händen.

»Sie wurde erstochen.« Matteo beugte sich vor. »Können Sie sich vorstellen, wer das getan haben könnte?«

Die Bedienung brachte eine Flasche Wasser und drei Gläser. Wie erstarrt blieb sie neben dem Tisch stehen.

»Erstochen?«, flüsterte sie.

»Ja. Wahrscheinlich in etwa zu der Zeit, als Sie sie als vermisst meldeten, Herr Gamper. Haben Sie eine Ahnung, wer das getan haben könnte?«

»Verdammt! Was weiß ich. Stell’s halt hin, Lisa!«, knurrte er die Kellnerin an. Die beeilte sich, das Tablett abzustellen, und zog sich blitzschnell hinter die Theke zurück.

»Sie hat’s herausgefordert. Weißt du selbst.« Einer der beiden Gäste grinste dümmlich herüber.

»Halt die Klappe!«

»Alle wissen’s. Das ganze Dorf.«

Blitzartig sprang Gamper auf, stürzte sich auf den Mann, dessen Strohhut auf den Boden kullerte, und legte ihm die riesigen Hände um den Hals. »Du bist ja hirntot, du Trottel!«

Matteo schoss hoch.

»Auseinander!« Es kostete ihn Mühe, die beiden Männer voneinander zu lösen. Der Gast betastete seinen Hals, ein triumphierendes Grinsen im Gesicht.

»Was haben Sie damit gemeint?«, schnauzte Matteo ihn an.

»Ach, nix!« Der Mann hob seinen Hut auf, schlug ihn ein paarmal übers Knie und setzte sich wieder.

»Ich würde vorschlagen, wir sprechen nebenan weiter.« Matteo griff Gamper am Arm, der schüttelte ihn ab. »Vernünftig. Wir können nämlich auch anders.«

»Die plappern doch alle bloß nach, was sie irgendwo hören«, murmelte die Kellnerin.

»Was meinen Sie damit?« Sonja folgte Matteo und dem Wirt in die Küche und bedeutete der jungen Frau, ihr zu folgen.

»Wie das eben so ist im Dorf. Da setzt einer ein Gerücht in die Welt, und schon tun alle so, als hätten sie’s aus erster Hand.«

»Kannte der Mann die Teresa?« Sonja schloss die Tür.

»Pfff … Das ist ein Dorf, hier kennt jeder jeden!«

»Ihr Name?«

»Lisa Mayn. Ich arbeite hier als Bedienung. Schon ziemlich lange. Habe als Schülerin angefangen, um was dazuzuverdienen.«

Gamper hatte seinen Wutanfall verdaut. Er hockte sich auf einen Stuhl, der unter ihm viel zu winzig aussah.

»Die haben immer schlecht über die Teresa geredet im Dorf. Weil sie sich eben nicht so angepasst hat. Sie wollte halt was vom Leben. Unsere Ehe – naja, mit der war nicht mehr viel los. Wir sind sogar mal zum Pfarrer zur Eheberatung. Hat leider nichts genützt. Ich konnte der Teresa wohl nicht geben, was sie am meisten gebraucht hätte.«

»Was wäre das?« Matteo verschränkte die Arme, lehnte sich ans Fenster. An der verschmierten Scheibe klebten tote Mücken.

»Abwechslung. Was Besseres als das hier!« Der Wirt wies auf den Herd. »Mit so einem Wirtshaus macht man keine großen Sprünge. Für mehr hat’s eben nicht gereicht. Die Teresa wäre gern weggegangen von hier.«

»Was hat der Gast vorhin gemeint, als er sagte, Ihre Frau hätte es herausgefordert?«

Gamper winkte ab. »Gerüchte. Bloß Gerüchte. Ich habe das nicht geglaubt.«

»Was – das!« Matteo schüttelte den Kopf. »Worum ging es bei den Gerüchten?«

»Dass sie mit einem anderen abgehauen wäre.«

»Gab es da jemanden Bestimmten?«

Sonja bemerkte den Blick, den Lisa und Gamper tauschten.

»Die Teresa hat ein Spiel gespielt, verstehen S’?« Gamper seufzte tief. »Die hat so getan, als wäre sie leicht zu haben, da sind so gut wie alle Männer drauf reingefallen. Im Wirtshaus hat sie immer gute Laune verbreitet, und das verstehen manche von diesen Deppen falsch.«

»Und wie gefiel Ihnen dieses Spiel?« Matteo stieß sich vom Fenster ab und wanderte um Gamper herum wie ein Tiger, der sein Opfer umkreist.

»Was sollte ich denn machen! Sie hat mir gesagt, es ist nichts. Also habe ich ihr vertraut. Ihre Ausgelassenheit hat die Gäste angelockt und zum Trinken animiert. Die Stimmung war locker. Da kam mehr Geld in die Kasse als jetzt.«

»Das klingt tolerant, aber Ihrem Gast gegenüber waren Sie eben nicht so friedfertig.«

»Weil’s mich ankotzt, wie die im Dorf immer gleich für alles eine Erklärung haben. Die Welt ist so und fertig.«

»Ist das ein Grund, gleich auf jemanden loszugehen? Ihn zu würgen?«

Joachim Gamper richtete sich auf. »Sie haben mir kurz vorher gesagt, dass Sie meine Frau gefunden haben und dass sie tot ist und erstochen. Soll ich das einfach so wegstecken oder was?«

»Womit wir beim Thema wären«, schaltete Sonja sich ein. »Jemand hat Teresa ermordet. Haben Sie einen Verdacht? Gab es einen Mann, der ihr nachstellte, der hartnäckiger war als andere? Hatte Teresa eine Affäre mit einem aus dem Dorf?«

Die Frage richtete sich an Gamper genauso wie an Lisa. Beide schüttelten den Kopf.

»Also, tratschen tu ich sowieso nicht«, sagte die Kellnerin. »Ich muss nach den Gästen sehen.«

»Kann ich mich in Ihrer Wohnung mal umsehen?«, fragte Sonja den Wirt.

Der zuckte nur die Achseln. »Ihre Kollegen sind doch schon oben.«

8.

Sonja nahm ihre Tasche und stieg hinauf in den ersten Stock. Das enge Treppenhaus mit den steilen Stufen deprimierte sie noch mehr als Wirtsstube und Küche. Alles wirkte schäbig und vernachlässigt, als wäre das ganze Leben es nicht wert gewesen, sich ein wenig Mühe zu geben. Im Schlafzimmer der Gampers steckte der uniformierte Beamte gerade ein Handy in eine Beweismitteltüte.

»Buongiorno, Agente Ludolfer.«

»Ach, die Frau Commissario! Hat der Wirt schon gestanden?«

»Ist das Teresas Handy?«

»Sieht so aus«, erwiderte Ludolfer eingeschnappt. »Lag in der Schublade von ihrem Nachtkästchen. Ist allerdings total entladen. Müssen die Techniker ran.«

»Wo ist eigentlich Sofia?«

»Die hat einen Anruf bekommen. Ist kurz raus.«

Sonja blickte aus dem Fenster. Unten sah sie Sofia stehen.

»Ich bin im Einsatz, ich kann nicht einfach so herumtelefonieren!«, polterte die Polizistin ins Handy. »Wie? Bei einem Mordfall in Obergelln. Warum? Ja, er ist dabei.«

Sieht nicht gerade nach einem romantischen Telefonat aus, dachte Sonja und ging nach unten, wo sie Sofia im Hausflur abpasste.

»Ist was passiert?«

Die Polizistin zuckte zusammen. »Ich – nein, gar nicht.«

»Sie und Ludolfer, Sie können dann schon zurück nach Bozen fahren. Ich will noch mit dem Pfarrer sprechen.«

»Ist gut. Bleibt der Capo auch noch?«

»Warum?«

»Also … ich wollte nur wissen, ob wir das Handy mit reinnehmen sollen oder ob er das macht.«

»Nehmen Sie es ruhig mit! Wird hier noch ein Weilchen dauern.«

Sofia nickte und rief nach Ludolfer.

»Nichts mehr gefunden«, sagte der. »Ist halt auch schon eine Weile her. In vier Monaten kann viel passieren.«

»Haben Sie die Personalien von der Kellnerin und den beiden Gästen?«

»Alles aufgenommen.«

»Dann bis später!« Sonja sah den Beamten nach, wie sie in den Streifenwagen stiegen und davonfuhren.

Matteo kam aus der Küche.

»Lass und zum Sägewerk fahren. Teresa hat dort als Buchhalterin gearbeitet. Kann ja sein, dass jemand eine andere Meinung über unser Mordopfer hat.«

9.

Sofia war froh, nach dem Einsatz in Obergelln wieder in einer Stadt zu sein. Bozen mochte nicht das Tor zur Welt darstellen, doch die farbenfrohe Innenstadt und die sommerliche Atmosphäre konnten ihre Sorgen wenigstens ein wenig mildern. Als sie aus dem Streifenwagen stiegen, bot Ludolfer an, das Handy direkt zur Kriminaltechnik zu bringen, um anschließend in der Kantine eine Kleinigkeit zu essen. Die Kleinigkeit ist wahrscheinlich nicht ganz klein, dachte Sofia beim Blick auf die zum Zerreißen gespannte Knopfleiste am Uniformhemd ihres Kollegen.

»Mach das. Ich muss noch was nacharbeiten. Bis später.« Sie wandte sich um und eilte die Treppen zu den Büros der Ermittlungsabteilung hinauf. Noch waren die Kommissare nicht im Haus, nur Jonas war bestimmt längst vom See zurück.

»Jonas?« Sie streckte den Kopf durch die Bürotür.

Tatsache, Jonas saß am Schreibtisch und raufte sich das blonde Haar. Verwirrt sah er hoch. »Hallo …«

»Ist Capo Zanchetti schon aus Obergelln zurück?« Es konnte nicht sein, immerhin waren sie und Ludolfer als Erste losgefahren und auf direktem Weg nach Bozen gekommen, aber besser, sie vergewisserte sich.

»Nein, warum?«

»Ich brauch dringend eine Akte, müsste was nachsehen.«

Jonas blickte sie undurchdringlich an. »Also gut. Komm.«

Sofias Herz schlug schneller, als sie ihm in den kleinen Aktenraum hinter Matteo Zanchettis Büro folgte. Die Tür zu schließen und einander in die Arme zu fallen, war eins. Sie roch sein Aftershave, den Schweiß in seinem Nacken, fuhr mit der Hand durch sein Haar.

»Du brauchst einen Haarschnitt, Kerschbaumer«, raunte sie zwischen zwei Küssen. »Willst du dich eigentlich wirklich versetzen lassen?«

Jonas zuckte zurück.

»Was meinst du?«

»Na – du hast es doch selbst gesagt!« Jetzt wurde Sofia unsicher. Sie trat ihm zu nahe. Die meisten Männer mochten das nicht. Ohnehin war es schwierig, während der Dienstzeiten ihre Liebe geheim zu halten. Beziehungen zwischen Kollegen konnten zum Problem werden. Keiner im Haus sah sie gern. Vor allem, wenn die Verbindungen in die Brüche gingen und monatelang noch Porzellan zerschlagen wurde. Das wird nicht geschehen, dachte Sofia. Nicht mit uns. Unvorstellbar.

»Ich kann nicht mit Leuten arbeiten, die mir nicht vertrauen«, brummte Jonas, während er mit den Haarsträhnen spielte, die sich aus Sofias Zopf gelöst hatten.

»Ehrlich gesagt, ich verstehe das alles sowieso nicht. Was war das für ein Einsatz? Und warum steht nichts in den Berichten?«

»Weil es eine verdeckte Aktion war. Matteo und Sonja haben Rossi eine Falle gestellt. Ich hatte keine Ahnung davon. Als ich Sonja nachgegangen bin, gab es einen unvorsichtigen Moment … Dann flogen auch schon die Kugeln.«

Sofia schüttelte traurig den Kopf. Dass Jonas angeschossen worden war, schockierte sie immer noch. Ihr selbst war im Dienst noch nie etwas Schlimmes zugestoßen, vielleicht war Bozen auch nicht das Pflaster für die ganz großen Dinge, aber seitdem der Name Rossi an allen Ecken und Enden fiel, seitdem die Rede davon war, dass der Capo den Mafioso ausgetrickst und damit die Rache der »Famiglia« auf sich persönlich gelenkt hatte … Sie drängte die schwarzen Gedanken weg. Sie würde das schon durchstehen.

»Gott sei Dank, dass es nur ein Streifschuss war.«