DAVID FISHER

 

 

DIE MEUTE

- 13 SHADOWS, Band 23 -

 

 

 

Roman

 

 

 

 

 

 

Apex-Verlag

Inhaltsverzeichnis

Das Buch 

 

DIE MEUTE 

Prolog 

Erstes Kapitel 

Zweites Kapitel 

Drittes Kapitel 

Viertes Kapitel 

Fünftes Kapitel 

Sechstes Kapitel 

Siebtes Kapitel 

Achtes Kapitel 

Neuntes Kapitel 

Zehntes Kapitel 

Elftes Kapitel 

Zwölftes Kapitel 

Dreizehntes Kapitel 

Vierzehntes Kapitel 

Epilog 

 

Das Buch

 

Ausgesetzt von Sommerurlaubern auf der kleinen Insel vor Long Island, rottet sich eine Meute von Hunden zusammen...

Der Hunger zwingt sie zu einer erbarmungslosen, blutigen Jagd – ihre Beute sind wehrlose Menschen...

 

Der Roman DIE MEUTE von DAVID FISHER wurde in Deutschland erstmals im Jahr 1977 veröffentlicht – als Roman zum gleichnamigen Film von Robert Clouse, in den Hauptrollen: Joe Don Baker, Hope Alexander-Willis, Richard B. Shull und Bibi Besch. 

DIE MEUTE erscheint als durchgesehene Neuausgabe in der Horror-Reihe 13 SHADOWS aus dem Apex-Verlag, die ganz in der Tradition legendärer Heftroman-Reihen wie GESPENSTERKRIMI und VAMPIR-HORROR-ROMAN steht. 

  DIE MEUTE

 

 

 

  Prolog

 

 

Es war der zweite Sonntag im September. Die Urlaubssaison war zu Ende. Neben der Vordertür türmten sich die Dinge, die mit der Fähre wieder in die Stadt zurückbefördert werden sollten: fünf mit Kleidung vollgestopfte Koffer, der kleine Schwarz-Weiß-Fernseher, die Pappschachteln mit Töpfen, Pfannen und dem Geschirr, das nicht zerbrochen war. Außerdem der sorgfältig geputzte Gusseisengrill, ein Karton mit Kinderspielzeug und die rote Begonie, die die Mutter so hingebungsvoll gepflegt hatte, in der Hoffnung, sie möge vielleicht das Trauma der Verpflanzung in das Stadt-Apartment überleben.

»Alles fertig?«, rief der Vater vom ersten Stock aus.

»Alles bis auf den Hund. Du erledigst das, ja?« Es war nicht als Frage gemeint.

Nicht mehr gebraucht wurden fünf Zahnbürsten, einige dreiviertelleere Flacons und verschiedene Toilettenartikel, ein stumpfes Tranchiermesser, zwei schmutzige Rupfendecken, ein Bündel zu klein gewordener Kinderkleider, eine räudige Haarbürste und der Hund.

Der Sommerhund, der Hund dieses Sommers, war eine Mischung aus verschiedenen Rassen, von denen am ehesten noch etwas Terrierartiges zu erkennen war. Nach dem grauhaarigen Liftfahrer in ihrem Haus hatten die Kinder ihn Jake genannt. Den Kindern, die ihn im Mai vor dem Ertränken bewahrt hatten, hatte er im Sommer als Spielgefährte gute Dienste geleistet.

Der Vater ging nach oben ins Schlafzimmer. Er suchte nach einer Zigarette und fand schließlich eine im Kosmetikköfferchen seiner Frau. Diese letzte Arbeit vor dem Aufbruch nach Hause, diesen jährlichen Gang mit dem Sommerhund in den Wald, fürchtete er. »Liebling, bist du sicher, dass du ihn nicht mitnehmen willst? Die Kinder verstehen sich wirklich prächtig mit ihm.«

Sie war sich ganz sicher. Sommerhunde konnte man im Winter nicht brauchen. Man musste sie frühmorgens und spätabends ausführen, in Kälte, Regen und Schnee. Verreiste man über das Wochenende, dann brauchte man einen Nachbarn, der sie betreute. Sommerhunde bedeuteten Haare auf dem Teppich, Allergiegefahr, Impfungen, Hundemief in der Küche.

Trotzdem. Bei dem Gedanken, was Jake jetzt bevorstand, war dem Vater nicht wohl.

»Weißt du«, begann er zögernd, »die Kinder werden allmählich alt genug...«

»Kein Wort mehr«, unterbrach sie ihn. »Und ich lasse nicht zu, dass ständig ein Hund durch die Wohnung streicht und an den Möbeln herumpisst.«

»Und du glaubst nicht, dass wir in der Stadt jemanden finden können, der ihn nimmt?« Er machte einen nervösen Zug an seiner Zigarette.

Sie bürstete ihr langes brünettes Haar - einhundertmal, wie immer. »Nein. Wir würden ihn doch nur ins Tierasyl geben, und dort würden sie ihn vergasen.« Einundzwanzig - zweiundzwanzig, sie hatte ihren eigenen Rhythmus. »Bring ihn also bitte in den Wald. Dort hat er zumindest eine Chance zu überleben.«

»Und was für eine«, erwiderte der Vater resignierend.

Sie hörte einen Moment zu bürsten auf. »Was?«

»Nichts.« Es hatte keinen Zweck, sich wegen des Hundes zu streiten. »Schon gut, ich bringe ihn fort.«

Er nahm die vier Meter lange Wäscheleine, die er für diesen Zweck gekauft hatte, und schabte mit einem Küchenmesser daran. Die Leine war jetzt an einer Stelle ganz dünn, hielt aber noch. Wenn der Hund lange und kräftig genug daran zerrte, dann würde der Strick hier reißen. Tat er es, dann hatte der Hund vielleicht eine Chance zu überleben.

Er legte den Strick auf die Anrichte und ging ins Kinderzimmer. Seine beiden Söhne hatten Jake gewaschen und gebürstet und ihm zur Feier des Tages ein hellblaues Band um den Hals geknüpft.

Jake hörte den Mann kommen, noch bevor er ihn sah. Voller Erwartung starrte er auf die Tür, die Ohren gespitzt, das Maul zu einer Art Lächeln verzogen. Wenn der Mann kam, dann bedeutete das, dass er am Kopf gekrault wurde oder zu fressen bekam.

»So, Jungs, verabschiedet euch von Jake. Ich bringe ihn jetzt in sein neues Zuhause.«

Jake versuchte sich zu befreien, als der ältere Junge ihn fest - zu fest umfasste.

»Können wir ihn denn nicht mitnehmen?«, bat der jüngere Sohn. »Wir würden uns schon um ihn kümmern, Dad, ganz bestimmt.«

»Du würdest gar nicht merken, dass er überhaupt da ist«, bekräftigte der ältere. »Wir würden ihn ausführen und füttern und waschen.«

»Tut mir leid, Jungs, aber das geht nicht. In der Stadt würde sich Jake nicht wohl fühlen. Kein Auslauf, keine anderen Hunde. Hier auf der Insel geht es ihm gut.«

»Aber Dad...«

»Kommt, Jungs, nun seid doch nicht kindisch.«

Der ältere Sohn packte den Hund noch fester. Jake begann zu winseln. »Du darfst ihn uns nicht wegnehmen!«, schrie der jüngere. »Er gehört mir!«

»Bobby!« Allmählich wurde der Vater ungeduldig. »Hör auf, dich wie ein kleines Kind zu benehmen!« Er packte den Hund am Halsband.

Jake verstand das nicht. Sein Platz war bei den Kindern, das wusste er aus Erfahrung. Andererseits bekam er von dem Mann häufig Futter. Er sträubte sich also nicht, als er ihm den Strick ans Halsband knüpfte, und trottete willig hinter ihm drein. Als sie in den Wald gingen, begann er jedoch, an der Leine zu zerren. Das Unterholz war so dunkel und fremd, und er hatte Angst. Aber der Mann zog ihn noch weiter - so fest, dass das Lederband ihm den Hals zuschnürte.

Schließlich erreichten sie eine Lichtung. Der Mann knotete die Leine um einen Ast und riss dann dreimal heftig daran. Der Hund verstand nicht, dass dies ein Test war. Der Mann musste sicher sein, dass der Strick zumindest so lange hielt, bis sie auf der Fähre waren.

Jake beruhigte sich, als der Mann sich zu ihm herabbeugte und ihn in der vertrauten Weise am Kopf kraulte. Aber dann ging er plötzlich davon.

Der Hund wollte ihm folgen, aber nach ein paar Metern riss ihn die Leine zurück. Er versuchte es noch einmal. Wieder stoppte ihn die Leine. Er lauschte, ob der Mann zurückkommen würde, hörte aber nur, wie sich seine Schritte entfernten.

Und zum ersten Mal verspürte er das Elend des Alleinseins.

Verzweifelt grub er die Pfoten in die Erde und zerrte am Strick, ohne sich befreien zu können. Das Halsband schnürte ihm fast die Luft ab. Aber er gab nicht auf. Er zog und zerrte mit aller Kraft - umsonst. In seiner Not begann er zu winseln und schließlich zu heulen. Der Mann bemühte sich, nicht darauf zu hören. Allmählich wurde das klagende Wimmern von Gebüschen und

Bäumen verschluckt und war schließlich kaum noch zu vernehmen, als er das Haus erreichte.

Die Fähre ging pünktlich. Langsam verschwand die Insel im Abenddunst. Jetzt gehörte sie wieder den wenigen Leuten, die das ganze Jahr über dort lebten.

 

 

 

 

  Erstes Kapitel

 

 

Der Hirsch trat auf die Lichtung und hob die Nase in den leichten Winterwind. Die Geräusche, die er hörte, verwirrten ihn - ein leises Rascheln im Unterholz, das von allen Seiten zu kommen schien.

Seitlich von ihm knackte ein trockener Zweig, und der Hirsch äugte hinüber, ohne etwas erkennen zu können.

Die gefahrdrohende Witterung wurde stärker. Aus dem leisen Rascheln war jetzt deutlich vernehmbares Knistern und Knacken geworden. Langsam verließ der Hirsch die Lichtung, um im Dunkel des Waldes Schutz zu suchen.

Plötzlich tauchte vor ihm ein schmutzig-brauner Stöberhund auf, der heiser knurrend die Zähne bleckte. Der Hirsch verhoffte und änderte dann seine Richtung, um der Gefahr aus dem Weg zu gehen. Ein Deutscher Schäferhund kam von rechts. Jetzt sah er vor sich einen dunkelbraunen Airedaleterrier. Erneut wandte der Hirsch sich um. Jetzt brachen drei weitere Hunde, eine Dogge, ein Irish Setter und ein zweiter, kleinerer Schäferhund aus dem Dickicht.

Die Kakophonie beängstigender Geräusche verwirrte den Hirsch. In panischem Schrecken machte er einen Satz nach links, sah sich plötzlich einem hechelnden Mischlingshund gegenüber, machte zwei, drei weitere Sätze nach rechts, blieb dann abrupt stehen.

Er war umstellt. Ein Entkommen war nicht mehr möglich. Wenn er sein Leben retten wollte, musste er kämpfen.

Die Hunde hinter ihm griffen als erste an. Der Hirsch fuhr herum, versuchte, sie mit seinem Geweih aufzuspießen, aber sie waren zu schnell. Ständig griffen sie von einer anderen Seite an. Immer wieder vermochte der Hirsch, sie abzuwehren, doch langsam wurde er müde. Schließlich gelang es der Dogge, sein linkes Hinterbein zu fassen. Der Hirsch schüttelte sie ab. Aber noch ehe er sich umdrehen konnte, hatte sich der Irish Setter in seinem Bein verbissen und ließ nicht mehr los. Stechender Schmerz durchfuhr ihn. Schon hatte ihn ein weiterer Hund gepackt und riss ihn zu Boden.

Im nächsten Augenblick hatte sich die ganze Meute auf ihn gestürzt und zerriss den noch zappelnden Hirsch bei lebendigem Leib.

 

Larry Hardman verabscheute Bloomingdales. »Bist du allmählich soweit?«, drängte er seine Frau.

Diane Hardman nahm einen Flanell-Schlafanzug und begutachtete ihn sorgfältig, ohne auf ihren Mann zu achten.

»Ich weiß wirklich nicht, was du hier für die Insel kaufen willst«, stieß er missmutig hervor.

»Warme Sachen, Liebling«, sagte sie, und das Wort Liebling hatte einen sarkastischen Unterton. »Ganz warme Sachen für mich und die Kinder. Du möchtest doch nicht, dass deine Kinder im Urlaub erfrieren, oder?«

Dagegen konnte er nichts sagen. »Jedenfalls sind mein Bruder und ich auf dieser Insel aufgewachsen, und irgendwie haben wir es geschafft, auch ohne Sechsundzwanzig-Dollar-Pyjamas von Bloomingdales zu überleben.«

»Ich weiß, ich weiß«, erwiderte sie lächelnd. »Deine Mutter war ja so überaus naturverbunden.«

Er lächelte zurück. »Was du nun bestimmt nicht bist.«

»Richtig, Larry, genau das bin ich nicht. Dafür bin ich eine kritische Kundin.« Sie wandte sich wieder ihren Einkäufen zu. Wenn es ans Bezahlen ging, würde Bloomingdales stolz auf sie sein.

Am nächsten Morgen würden Larry und Diane, er erfolgreicher Architekt, sie ehemaliges Fotomodell, mit dem sechsjährigen Sohn Josh, der vierjährigen Tochter Marcy und dem zwei Jahre alten Basset Dopey ihre mit allen technischen Raffinessen der Neuzeit ausgestattete Wohnung in der Seventyeighth Street verlassen und den Zug nach Port Jefferson nehmen. Gegen Mittag würden sie an Bord der vierzehntägig verkehrenden Winterfähre nach Burrows Island gehen und kurz nach zwei das Haus von Thomas und Frieda Hardman erreichen. Sie hatten einen zweiwöchigen Winterurlaub vor sich.

Und einiges mehr. Das Problem zwischen ihnen bestand aus Thomas und Frieda Harman - braven und freundlichen Leuten, die freilich schon alt waren. Larry wollte seine Eltern zu sich in die Stadt nehmen. Diane sträubte sich dagegen, mit ihren Schwiegereltern zusammenzuleben.

Es war das Hauptthema ihrer Streitgespräche beim Abendessen. »Sie sind schon alt«, betonte er immer wieder. »Und im Winter ist die Insel fast menschenleer. Niemand kann ihnen helfen, wenn es mal nötig sein sollte.«

»Bis auf die Polizei.«

»Gibt es nicht auf der Insel. Zuständig ist die Polizei von Suffolk County.«

»Da brauchen sie ja nur anzurufen.«

»Bei gutem Wetter würde es vierzig Minuten dauern, bis die Polizei kommt. Bei schlechtem Wetter ist die Insel praktisch von der Außenwelt abgeschnitten.«

»Ihr ganzes Leben haben sie auf dieser traurigen Insel verbracht«, wandte sie ein. »In der Stadt würden sie sich völlig verloren Vorkommen.«

»Du könntest ihnen doch helfen, sich einzuleben.«

»Und wie, wenn ich fragen darf? Vergiss nicht, ich habe bereits zwei Kinder, einen Hund, eine große Wohnung und einen Mann zu versorgen. Und mein eigenes Leben möchte ich auch noch leben.«

»Ach...« Er hob die Brauen. »Du bist es, die uns versorgt? Und ich dachte immer, es ist das Mädchen, das von mir hundertdreißig Dollar die Woche kriegt. Ich hatte noch gar nicht bemerkt, dass du seit neuestem kochst und saubermachst. Im Übrigen könntest du von meiner Mutter durchaus etwas lernen. Sie ist eine sehr liebe alte Dame.«

Diane hob die sorgfältig manikürten Finger und zählte ab, was sie da lernen konnte. »Häkeln, stricken, einmachen und, nicht zu vergessen, Socken stopfen, das macht eins, zwei, drei, vier.«

Und Verantwortungsbewusstsein überlegte er, behielt diesen Gedanken aber für sich. Vielmehr sagte er: »Für die Kinder wäre es gut, wenn sie ihre Großeltern hier hätten.«

»Dass sie einen Platz auf der Insel haben, wohin sie fahren können, ist noch viel wichtiger. Zurück zur Natur, nicht wahr? Reich mir die Broccoli, bitte.«

Larry reichte ihr die Broccoli. »Uns würde es auch nicht schaden, wenn wir hin und wieder dort ausspannten. Hier verbringen wir unsere ganze Zeit damit, Geld zusammenzuraffen.«

»Ach, bitte, Larry, ich dachte, das Thema wäre erledigt. Wie schon häufig gesagt - tut mir leid, wenn du mit mir nicht glücklich bist. Tut mir leid, wenn...«

»Warum drehst du mir jedes Wort im Mund herum? Ich habe niemals gesagt..

»Willst du mich bitte ausreden lassen?« Sie wartete. »Bitte?« Er sagte nichts. Sie legte die Gabel hart auf den Teller, womit sie eine definitive Erklärung anzukündigen pflegte. »Es tut mir auch leid, dass du nicht gern in der Stadt wohnst, aber dagegen kann ich nichts tun. Die Luft hier kann ich nicht reinigen. Ich kann auch die Straßenräuber nicht vertreiben. Manche Menschen sind Stadtmenschen, und sie lernen, mit den Problemen der Stadt fertigzuwerden. Andere sind für das Land geschaffen. Wenn die nachts keine Mücken ums Bett summen hören, sind sie nicht glücklich. Ich, Larry, bin ein Stadtmensch. Ich gehöre hierher. Ich gehöre zu den Leuten, für die du diese großen, gut isolierten, vollklimatisierten Paläste entwirfst. Falls du aber nur glücklich werden kannst, wenn du in einem Blockhaus wohnst, dann lass dich bitte von mir nicht abhalten. Aber du gehst ohne mich und ohne die Kinder. Okay?«

Schließlich hatten sie einen Kompromiss erreicht. Diane erklärte sich einverstanden, zwei Wochen auf der Insel zu verbringen. Während dieser Zeit würde Larry versuchen, seine Eltern zum Umzug nach Manhattan zu überreden. Stimmten sie zu, dann würden sie drei Monate lang das Gästezimmer bewohnen. Wenn sie sich dann zum Bleiben entschlossen, konnte Larry ein Apartment für sie suchen.

Weigerten sie sich jedoch, die Insel zu verlassen, würde Larry die Sache nie mehr zur Sprache bringen. Nie mehr.

Dies lag der Einkaufsfahrt zu Bloomingdales zwecks Erwerb von lediglich drei Sechsundzwanzig-Dollar-Pyjamas zugrunde. Soll er sich seinen dummen Hintern wegfrieren, dachte sie liebevoll.

Thomas Hardman schob seinen Stuhl zurück und nahm einen langen Zug aus seiner geschnitzten Pfeife. »Sonst noch etwas?« Die monatliche Zusammenkunft des aus sechs Männern bestehenden Einwohnerrats von Burrows Island näherte sich ihrem Ende.

Als sich niemand zu Wort meldete, schlug er mit der flachen Hand auf den Tisch und vertagte damit die Sitzung. Nach dem offiziellen begann der gesellschaftliche und damit wichtigere Teil. Ted Goodall schenkte für jeden ein Glas Johnny Walker ein und stellte die halbvolle Flasche in die Mitte des Tisches. »Zum Wohl.«

»Zum Wohl«, echote die Runde.

Die monatliche Sitzung bot den Männern eine Gelegenheit, ohne ihre Frauen zusammenzukommen.

»Ohne euch wird es ziemlich trostlos hier werden«, sagte Charlie Cornwall. Fleming, Curtis und Goodall hatten vor zu verreisen.

»Du kannst es wohl gar nicht erwarten, uns loszuwerden«, meinte Ted Goodall lachend.

»Passt nur auf«, sagte Don Curtis. »Wenn wir wieder zurückkommen, hat er sich inzwischen zum König der Insel gekrönt.«

»Zum König? Das würde Charlie wohl nicht genügen«, sagte George Fleming. »Zumindest zum Kaiser.«

Als sie die bevorstehende Party zum fünfundsechzigsten Geburtstag von Harriet Fleming besprochen hatten, erwähnte George Fleming beiläufig, dass ein zwei Meter langes Stück seines hölzernen Zauns weggerissen worden sei. »Richtig weggerissen«, erklärte er, »nicht etwa vom Wind umgeworfen. Wirklich seltsam.«

Bemüht, den Tabak in Glut zu halten, machte Thomas Hardman einen langen Zug an seiner Pfeife.

»Vielleicht war es Big Ben.« Don Curtis meinte den sagenhaften Grizzlybären, der angeblich immer noch in den Tiefen des Waldes lebte.

»Ich sage euch eins«, erklärte Charlie Cornwall. »Das waren die Hunde. Die werden jetzt immer frecher. Letzte Woche habe ich in meinem Garten überall Spuren von ihnen gefunden. In meinem Garten! Das hat es früher niemals gegeben.«

»Ach was, Charlie«, widersprach Thomas Hardman, »Hunde reißen doch keine Zäune ein.«

Charlie schüttelte skeptisch den Kopf. »Ich weiß nicht, Tom. Solche Viecher machen die seltsamsten Dinge, wenn sie hungrig genug sind. Der Winter ist dieses Jahr ziemlich hart, und da finden die Tiere nicht mehr genug Futter im Wald.«

»Dazu muss ich was sagen«, begann Ned Stewart, und der Umstand, dass dieser sonst so schweigsame Mann sich überhaupt zu Wort meldete, sicherte ihm sofort die Aufmerksamkeit der anderen. »Drei von diesen Hunden, ein kleiner und zwei große Schäferhunde, glaube ich, die kamen vor vier Tagen aus dem Wald. Und die saßen auf der anderen Seite der Schlucht, meinem Haus gegenüber. Sie starrten zu mir herüber, als ob sie mich bedrohen wollten. Saßen einfach so da. Bellten nicht, rührten sich nicht - gar nichts. Mir wurde ganz komisch.«

Tom versuchte, die Sache ins Lächerliche zu ziehen. »Vielleicht hatten sie Maggies Küchengerüche geschnuppert und wollten ihr einen Besuch abstatten.« Maggy Stewart war die anerkannt schlechteste Köchin der Insel. Aber niemand lachte.

»Ich glaube, wir sollten da vielleicht doch etwas unternehmen«, sagte Charlie Cornwall etwas nervös.

»Ich auch«, stimmte George Fleming zu.

Thomas Hardman fand offenbar, dass das Gespräch eine unwillkommene Wendung nahm. »Also, was wollt ihr denn gegen eine Rotte von zehn, vielleicht fünfzehn halbverhungerten Hunden tun?«

»Den Hundefänger holen«, schlug Ted Goodall halb scherzhaft vor, während er die zweite Runde einschenkte, »Dafür ist er doch da, oder?«

»Ja, sicher«, antwortete George Fleming lachend. »Der wartet ja nur darauf, im November über den Sund zu kommen und sich durch den ganzen Schnee hier zu wühlen, um ein paar halbwilde Hunde zu fangen.«

Charlie Cornwall hob sein Glas und beobachtete das Funkeln des Kaminfeuers darin. »Die können doch nicht einmal ihre eigenen Straßen sauber halten. Warum sollten sie sich da um ein paar Hunde auf einer fast verlassenen Insel kümmern? Die Hunde sind schon unser eigenes Problem.«

»Erschießen wir sie«, sagte Ned Stewart mit für ihn uncharakteristischer Entschlossenheit.

»Was?«, fragte Tom ungläubig.

»Ich sagte, erschießen wir sie, Tom.« Ned sah vom Boden auf und starrte Hardman an. »Wenn die vor deinem Haus säßen, würdest du das doch auch tun. Das waren keine normalen Hunde. Irgendwie waren die seltsam. Die hatten was vor. Wir müssen...«

Tom setzte sein Glas ab. »Hatten was vor? Aber das sind doch Hunde.«

Stewart starrte ihn unverwandt an. »Wir müssen sie kriegen, bevor sie uns kriegen.«

»Was soll denn das heißen - kriegen? Es geht doch um nichts weiter als um ein paar streunende Hunde. Harmlose kleine Viecher. Die tun doch niemandem etwas. Die fürchten sich doch viel mehr vor uns als wir uns vor ihnen.«

»Die Hunde haben Hunger, Tom«, sagte Ned Stewart ruhig.

»Ich glaube, er hat Recht«, stimmte ihm George Fleming zu. »Wir sollten auf Nummer Sicher gehen. Holen wir unsere Gewehre und knallen sie ab.«

Tom betrachtete seine kalt gewordene Pfeife, als er aufstand. »Wenn man euch reden hört«, sagte er, »dann meint man, es wäre der Krieg ausgebrochen. Und das wegen ein paar streunenden Hunden. Eigentlich hätte ich euch für vernünftiger gehalten.« Er machte eine Pause, um dem, was er noch hinzufügen wollte, zusätzlichen Nachdruck zu verleihen. »Solche Hunde haben wir hier schon immer gehabt. Jedes Jahr am Ende der Urlaubssaison werden sie ausgesetzt. Aber deswegen brauchen wir uns doch keine Gedanken zu machen. Das sind Haustiere, keine Wölfe. Und außerdem besorgt die Natur schon das Nötige.«

Thomas Hardman war in Wut geraten. Er liebte die Welt so, wie Gott sie geschaffen hatte. Gottes Geschöpfe tötete er nur, wenn es absolut notwendig war. Vor kurzem hatte er zum ersten Mal in seinem Leben eine Falle gestellt, aber nur, weil ihn die stark gestiegenen Lebensmittelpreise dazu zwangen. Nie hatte er wissentlich ein harmloses Tier gequält, und auch jetzt hatte er nicht die Absicht.

»Das ist doch wirklich nur dummes Zeug«, schimpfte er. »Lassen wir doch die Hunde in Ruhe. Im Frühjahr ist nichts mehr von ihnen zu sehen, wie immer. Und niemandem passiert etwas.«

»Vielleicht hat Tom recht«, sagte Fleming, der meist nicht sehr fest auf einer einmal gefassten Meinung beharrte.

Ted Goodall, der sich für den philosophischen Kopf der Insel hielt, brachte schließlich auch seine Meinung zum Ausdruck. »Wenn wir noch ein wenig warten, kann das nicht schaden«, erklärte er in seinem aristokratischsten Ton. »Wenn sie anfangen, uns Ärger zu machen, können wir sie immer noch erschießen.«

»Ted hat Recht«, pflichtete Hardman ihm bei. »Wir müssen in Zukunft nur dafür sorgen, dass die Urlauber keine Hunde mehr aussetzen, wenn sie nach Hause fahren. Wir könnten anordnen, dass die Tiere registriert werden müssen. Das würde sicher schon genügen.«

Charlie Cornwall lachte laut auf. Seine Familie war etwa gleichzeitig mit der Thomas Hardmans auf die Insel gezogen, und Hardman war seitdem sein bester Freund gewesen. Deshalb konnte sich Cornwall erlauben, laut zu sagen, was die anderen nur dachten.

»Tom, ich glaube, du könntest einen Hasen aus seinem Fell schwatzen, wenn du nur wolltest.« Mit dramatischer Geste erhob er sich. Cornwall war fast einsneunzig groß und überragte Hardman um Haupteslänge. Während er sprach, sah er auf Tom hinunter, was fast noch wirkungsvoller war als das, was er sagte. »Wäre wohl nicht so schlimm, wenn ein paar von uns ihr Gewehr nähmen und diese Hunde erschießen würden. Die Insel verliert nicht viel dabei.«

Thomas Hardman stopfte seelenruhig seine Pfeife.

»Andererseits hast du vielleicht doch recht. Wir sind keine jungen Männer mehr. Ted«, er wandte sich Ted Goodall zu, »du bist der Jüngste hier. Wie alt bist du - fünfundfünfzig?«

»Sechsundfünfzig.«

»Sechsundfünfzig. Alles in allem ist es vielleicht doch keine so gute Idee, dass wir hier auf Hundejagd gehen. Aber eines will ich dir sagen, Tom. Du hast uns dazu überredet abzuwarten, und wenn irgendetwas passiert, dann halten wir uns an dich.«

Hardman, der nicht so leicht einzuschüchtern war, hielt dem Blick seines Freundes stand. »Meine Verantwortung kenne ich, Charlie. Du brauchst mich nicht darauf hinzuweisen.«

Man einigte sich, das Hundeproblem bei der nächsten Sitzung offiziell zu behandeln - falls es bis dahin noch ein Problem war.

Als Thomas Hardman nach Hause ging, fand er am Rand der Schlucht bei seinem Haus frische Tierfährten.

 

»Diese alten Narren schießen sich noch gegenseitig in den Hintern«, sagte er, als seine Frau das Abendessen auf den Tisch brachte.

Frieda Hardman hatte ein feines Gefühl für die Stimmungen ihres Mannes. Sie merkte, dass ihm die Nachmittagssitzung noch im Kopf herumging. »Ja, Tom.«

»Ich weiß nicht, was in die Burschen gefahren ist. Sie waren ganz anders als sonst. Vor allem Ned Stewart.«

Frieda legte ihm eine Extraportion Bratkartoffeln nach. Es war das Alter, das ihnen Probleme bereitete, das wusste Frieda. Sie hatten Angst, nicht mehr gebraucht zu werden. »Vielleicht ist es nur der Winter«, sagte sie. »In diesem Jahr ist er so schlimm wie schon lange nicht mehr.«