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Für Mr. Jakupcak, meinen ersten und besten Paläontologielehrer, für meine Frau Anne sowie alle anderen, die die nächste Generation unterrichten.

Übersetzung aus dem amerikanischen Englisch von Nikolaus de Palézieux

ISBN 978-3-492-99220-6

© Stephen (Steve) Brusatte, 2018

Titel der amerikanischen Originalausgabe: »The Rise and Fall of the Dinosaurs. A new history of a lost world« bei William Morrow, New York 2018

Deutschsprachige Ausgabe: © Piper Verlag GmbH, München 2018

Fachlektorat: Armin Schmitt

Redaktion: Fabian Bergmann

Covergestaltung: Cornelia Niere nach einem Entwurf von Mumtaz Mustafa

Covermotiv: Todd Marshall

Datenkonvertierung: Kösel Media GmbH, Krugzell

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Inhalt

Übersicht über das Dinosaurierzeitalter

Dinosaurierstammbaum

Weltkarten

 

Prolog: Das Goldene Zeitalter der Entdeckungen

1 Der Anbruch des Dinosaurier-Zeitalters

2 Dinosaurier erheben sich

3 Dinosaurier werden zu den Herrschern der Welt

4 Dinosaurier und die Kontinental-verschiebung

5 Tyrannische Dinosaurier

6 Der König der Dinosaurier

7 Dinosaurier in ihrer Blütezeit

8 Dinosaurier heben ab

9 Dinosaurier sterben aus

Epilog: Nach den Dinosauriern

 

Dank

Quellenangaben

Bildnachweis

Übersicht über das Dinosaurierzeitalter

Dinosaurierstammbaum

Weltkarten

Trias (vor etwa 220 Millionen Jahren)

Oberjura (vor etwa 150 Millionen Jahren)

Oberkreide (vor etwa 80 Millionen Jahren)

Prolog

Das Goldene Zeitalter der Entdeckungen

Zhenyuanlong

Wenige Stunden vor Tagesanbruch stieg ich an einem kalten Morgen im November 2014 aus einem Taxi und bahnte mir den Weg durch den Hauptbahnhof von Peking. Ich hielt meine Fahrkarte fest umklammert, während ich mich durch einen Schwarm Tausender frühmorgendlicher Pendler kämpfte; meine Nerven waren angespannt, weil die Abfahrtszeit meines Zugs immer näher rückte. Ich hatte keine Ahnung, wohin ich mich wenden sollte. Allein und nur weniger Worte Chinesisch mächtig, blieb mir nichts anderes übrig, als die Schriftzeichen auf meiner Fahrkarte mit den Symbolen auf den Bahnsteigen zu vergleichen. Mit einem Tunnelblick fuhr ich hektisch die Rolltreppen rauf und runter, hastete an Zeitungskiosken und Nudelständen vorbei und fühlte mich dabei wie ein Raubtier auf der Jagd. Mein mit Kameras, einem Stativ und weiteren wissenschaftlichen Geräten vollgepackter Koffer schleuderte hinter mir her, fuhr anderen Leuten über die Füße und knallte gegen ihre Schienbeine. Von allen Seiten prasselten wütende Rufe auf mich ein. Aber ich ließ mich nicht aufhalten.

Längst drang der Schweiß aus meiner Winterdaunenjacke, und ich keuchte in der von den Dieselabgasen der Züge geschwängerten Luft. Irgendwo weiter vorne erwachte ein Motor brüllend zum Leben, und ein Pfiff war zu hören. Ein abfahrbereiter Zug. Ich stolperte die Betonstufen hinab, die zum Bahnsteig führten, und zu meiner großen Erleichterung konnte ich nun auch die Schriftzeichen lesen. Endlich. Dies war mein Zug, der mich und meinen guten Freund und Kollegen Junchang Lü, einen der bekanntesten Dinosaurier-Jäger Chinas, nordostwärts nach Jinzhou bringen sollte – eine Stadt, die so groß wie Chicago ist und einige Hundert Kilometer von der Grenze zu Nordkorea in der alten Mandschurei liegt.

In den folgenden Stunden versuchte ich, es mir bequem zu machen, während wir langsam an Betonfabriken und dunstigen Kornfeldern vorbeirollten. Manchmal nickte ich ein, konnte aber nicht viel Schlaf finden. Ich war viel zu aufgeregt. Am Ende der Reise wartete ein Geheimnis auf mich – ein Fossil, über das ein Bauer gestolpert war, als er seine Ernte eingefahren hatte. Ich kannte ein paar körnige Fotos davon, die Junchang mir geschickt hatte. Wir stimmten beide in der Bewertung überein, dass der Fund bedeutend aussehe. Vielleicht war es ja sogar eines der wegweisenden Fossilien, die dem Fund des Heiligen Grals gleichkommen – eine neue Art und so makellos erhalten, dass wir spüren könnten, wie es vor zig Millionen Jahren als lebendes, atmendes Geschöpf gewesen war. Doch wir mussten es selbst in Augenschein nehmen, um ganz sicher zu sein.

Als Junchang und ich in Jinzhou den Zug verließen, wurden wir von einer Handvoll örtlicher Würdenträger begrüßt, die uns die Koffer abnahmen und uns zu zwei schwarzen SUVs führten. Schnell ging es zum städtischen Museum, einem überraschend gesichtslosen Gebäude am Rande der Stadt. Als handele es sich um ein hochrangiges politisches Gipfeltreffen, führte man uns im flackernden Neonlicht eines langen Flurs ernst und förmlich in einen seitlich gelegenen Raum, in dem ein paar Tische und Stühle standen. Auf einem kleinen Arbeitstisch lag eine Gesteinsplatte, die so schwer war, dass die Tischbeine einzuknicken schienen. Einer der örtlichen Honoratioren sprach auf Chinesisch mit Junchang, der sich danach zu mir wandte und mir kurz zunickte.

»Fangen wir an«, meinte er in seinem so eigenartig betonten Englisch, das eine Mischung aus der chinesischen Sprachmelodie ist, mit der er aufwuchs, und der gedehnten Sprechweise der Texaner, die er als Doktorand in Amerika angenommen hat.

Gemeinsam gingen wir zu dem Tisch. Ich spürte, wie alle Blicke auf uns ruhten, und eine unheimliche Stille herrschte im Raum, als wir uns dem Schatz näherten.

Vor mir lag eines der schönsten Fossilien, die ich je gesehen hatte. Es war ein Skelett, ungefähr von der Größe eines Maultiers; seine schokoladenbraunen Knochen ragten aus dem sie umgebenden trüb-grauen Kalkstein. Mit Sicherheit war es ein Dinosaurier; seine Steakmesserzähne, die spitzen Klauen und der lange Schwanz ließen keinen Zweifel aufkommen, dass dies ein naher Verwandter des räuberischen Velociraptor war, wie man ihn aus Jurassic Park kennt.

Doch es war kein gewöhnlicher Dinosaurier. Seine Knochen waren leicht und hohl, die Beine lang und dünn wie die eines Fischreihers, sein schlankes Skelett trug alle Anzeichen eines aktiven, dynamischen, sich schnell bewegenden Tiers. Und da waren nicht nur die Knochen; es gab auch Federn, die den gesamten Körper bedeckten. Buschige Federn an Kopf und Nacken, die wie Haare aussahen, am Schwanz dagegen lange, verzweigte Federn und an den Armen große Federkiele, die – nebeneinander aufgereiht und übereinander geschichtet – die Form von Flügeln hatten.

Dieser Dinosaurier sah aus wie ein Vogel.

Ungefähr ein Jahr darauf beschrieben Junchang und ich dieses Skelett als eine neue Art, die wir Zhenyuanlong suni nannten. Sie ist eine von ungefähr 15 neuen Dinosauriern, die ich innerhalb der letzten zehn Jahre bestimmt habe, während ich als Paläontologe Karriere machte. Sie führte mich von meinen Wurzeln im amerikanischen Mittelwesten zu einem Universitätsjob nach Schottland, dazu kamen viele Aufenthalte an Orten auf der ganzen Welt, wo ich Dinosaurier fand und sie erforschte.

Der Zhenyuanlong ist anders als die Dinosaurier, von denen ich noch in der Grundschule gehört hatte, ehe ich Wissenschaftler wurde. Man brachte mir bei, dass Dinosaurier große, schuppige, dumme Tiere und für ihre Umgebung so schlecht geeignet gewesen seien, dass sie einfach nur herumtrampelten, die Zeit verstreichen ließen und auf ihren Untergang warteten. Gleichsam ein Fehler der Evolution. Eine Sackgasse in der Geschichte des Lebens. Primitive Tiere, die kamen und gingen, lange bevor der Mensch die Szene betrat. Und ihr Lebensraum war eine urzeitliche Welt, die derart anders war als unsere heutige, dass es auch ein fremder Planet hätte sein können. Dinosaurier waren Kuriositäten, die man im Museum betrachten konnte, Filmungeheuer, die uns in unseren Albträumen heimsuchten, Objekte kindlicher Faszination, für uns moderne Menschen doch eher irrelevant und kaum einer ernsthaften Erforschung würdig.

Zhenyuanlong.

Doch diese Stereotypen sind unsinnig und vollkommen falsch. In den letzten Jahrzehnten ist man davon abgekommen, als eine neue Paläontologengeneration in nie dagewesenem Ausmaß Dinosaurierfossilien entdeckte. Überall auf der Welt – von den Wüsten Argentiniens bis zu den gefrorenen Einöden Alaskas – wird gegenwärtig im Durchschnitt einmal pro Woche eine neue Dinosaurierart entdeckt. Man lasse sich das auf der Zunge zergehen: einmal pro Woche eine neue Dinosaurierart. Das bedeutet ungefähr 50 neue Entdeckungen pro Jahr – darunter auch der Zhenyuanlong. Aber es geht nicht nur um diese neuen Entdeckungen, sondern es gibt auch neue Wege, sie zu erforschen – neue Technologien kamen auf, die den Paläontologen dabei halfen, die Biologie und Evolution der Dinosaurier auf eine Weise zu verstehen, die unseren Vorgängern noch unvorstellbar war. Computertomografien werden genutzt, um die Gehirne und Sinnesorgane der Dinosaurier zu erforschen, Computermodelle zeigen uns heute, wie sie sich bewegten, Hochleistungsmikroskope enthüllen sogar, welche Farbe sie hatten. Und noch vieles mehr.

Ich hatte das große Glück, an dieser aufregenden Entwicklung teilzuhaben – als einer von vielen jungen Paläontologen aus aller Welt, Männer und Frauen verschiedenster Herkunft, die zur Zeit von Jurassic Park erwachsen wurden. Sehr viele von uns Forschern, die wir zwischen Mitte 20 und Mitte 30 sind, arbeiten zusammen, aber auch mit unseren Mentoren aus der früheren Generation. Mit jeder neuen Entdeckung, die wir machen, jeder neuen Studie lernen wir ein wenig mehr über die Dinosaurier und ihre Evolutionsgeschichte.

Junchang Lü und ich studieren das prachtvolle Fossil des Zhenyuanlong.

In diesem Buch möchte ich die folgende gewaltige und abenteuerliche Geschichte erzählen – woher die Dinosaurier kamen, wie sie zu den dominierenden Tieren wurden, wie manche von ihnen zu Riesen, andere dagegen zu Vögeln wurden, weil sie Federn und Flügel entwickelten, und schließlich, wie der Rest von ihnen verschwand, was letzten Endes den Weg für die moderne Welt bahnte und damit für uns. Dabei möchte ich auch darstellen, wie wir diese Geschichte aus den uns vorliegenden fossilen Anhaltspunkten zusammensetzten, und ein Gespür dafür vermitteln, was es heißt, Paläontologe zu sein, dessen Aufgabe es ist, Dinos zu jagen.

Doch vor allem möchte ich zeigen, dass Dinosaurier keine Aliens und keine Fehlschläge der Natur waren und ganz sicher auch nicht irrelevant. Sie waren außergewöhnlich erfolgreich, gediehen mehr als 150 Millionen Jahre lang und brachten ein paar der erstaunlichsten Tiere hervor, die je gelebt haben – einschließlich der Vögel, den rund 10 000 lebenden Dinosaurierarten der Gegenwart. Ihre Heimat war unsere Heimat – dieselbe Erde, die den gleichen Launen des Klimas und der Umweltveränderungen unterworfen war, denen auch wir ausgesetzt sind oder vielleicht zukünftig ausgesetzt sein werden. Sie entwickelten sich gemeinsam mit einer sich stets verändernden Welt, die von gewaltigen vulkanischen Eruptionen und Asteroideneinschlägen erschüttert wurde, in der sich die Kontinente bewegten, der Meeresspiegel ständig schwankte und die Temperaturen höchst unberechenbar stiegen und fielen. Die Dinosaurier passten sich außerordentlich gut an ihre jeweilige Umgebung an, doch am Ende wurden die meisten von ihnen ausgelöscht, als sie mit einer plötzlichen Krise nicht zurechtkamen. Ohne jeden Zweifel birgt das für uns eine Lehre.

Mehr als alles andere aber ist der Aufstieg und Fall der Dinosaurier eine unglaubliche Geschichte über eine Zeit, als riesige Tiere und andere fantastische Geschöpfe sich die Welt zu eigen machten. Sie schritten auf demselben Boden voran wie wir, heute sind ihre Fossilien im Gestein begraben – es sind jene Spuren, die von ihnen berichten. Für mich ist es eine der größten Erzählungen in der Geschichte unseres Planeten.

Steve Brusatte,

Edinburgh, Schottland

18. Mai 2017

1

Der Anbruch des Dinosaurier-Zeitalters

Prorotodactylus