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Endnoten

Ludwig Wittgenstein, Philosophische Untersuchungen, z. B. §§ 19, 23, 241.

Jean-Paul Sartre, Das Sein und das Nichts, vgl. z. B. S. 753833.

In der Arbeit an diesem Essay habe ich von vielfältigen Diskussionen mit anderen profitiert – weit mehr, als ich es hier im Einzelnen würdigen kann. Ein ganz besonderer Dank für kritische Lektüren von Vorstufen dieses Textes gilt Juliane Schiffers, Holm Tetens und Tobias Wieland.

Immanuel Kant, Kritik der praktischen Vernunft, A56.

Vgl. u. a. Michael Tomasello, Die Ursprünge der menschlichen Kommunikation.

Friedrich Nietzsche, Jenseits von Gut und Böse, S. 81.

Johann Gottfried Herder, Abhandlung über den Ursprung der Sprache, 1. Teil.

Helmuth Plessner, Die Stufen des Organischen und der Mensch, S. 365.

Arnold Gehlen, Der Mensch, S. 16.

Jean-Jacques Rousseau, Du contrat social / Vom Gesellschaftsvertrag, S. 9.

Vgl. Hans-Georg Gadamer, Wahrheit und Methode, S. 448.

Vgl. Aristoteles, Politik, 1253a1–11.

Vgl. Matthew Boyle, »Wesentlich vernünftige Tiere«.

Johann Gottfried Herder, Abhandlung über den Ursprung der Sprache, S. 28.

Vgl. Aristoteles, Über die Seele, bes. 412a–413a.

Vgl. hierzu Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte, Einleitung, bes. S. 64–71.

Martin Heidegger, Sein und Zeit, S. 145.

Z. B. Hermann Lotze, Grundzüge der Logik und Encyclopädie der Philosophie.

Vgl. als aktuelle Position: John McDowell, Geist und Welt.

Vgl. Charles Taylor, »Self-Interpreting Animals«.

Für Luzia und Jonathan

Dieses Buch hat einen irreführenden Titel. Die Frage »Was ist der Mensch?« wird und kann es nicht beantworten – zumindest nicht so, wie man es vielleicht erwarten würde. Das Ziel meiner Überlegungen besteht nämlich nicht darin, Bestimmungen zusammenzutragen, die den Menschen ausmachen. Ich gehe davon aus, dass ein solches Vorhaben zum Scheitern verurteilt wäre. Es lässt sich nicht einfach so sagen, wer wir Menschen sind. Wer es dennoch versucht, geht an vielem, was Menschen ausmacht, notwendigerweise vorbei. Unumgänglich wird er irgendeine historisch-kulturelle Konzeption beziehungsweise irgendwelche historisch-kulturellen Selbstverständnisse von Menschen mehr oder weniger absolut setzen. Wenn man das macht, landet man aber nicht bei Bestimmungen, die Menschen insgesamt umfassen. Man beginnt vielmehr, irgendeine Normierung von Menschen vorzuschlagen. Das allerdings steht – nicht zuletzt und ganz besonders – der Philosophie schlecht zu Gesicht.

Was ich in diesem Essay vorhabe, ist so besser von seinem Untertitel her zu verstehen. Es geht mir darum zu klären, welche Bedeutung die Frage, wer wir sind, für uns als Menschen hat. Über dem antiken Orakelheiligtum in Delphi stand die prägnante Aufforderung »Erkenne dich selbst!«. Die Alten schätzten es also wohl so ein, dass es wichtig für uns ist, nach uns zu fragen. Aber warum ist dies so? Auch wenn ich an diesem Punkt noch nicht alles vorwegnehmen kann und will, ist so viel klar: Ich werde dafür argumentieren, dass für uns Menschen die Frage, wer wir sind, eine zumeist unterschätzte Bedeutung hat. Wir sind leicht geneigt zu denken, es stehe fest, was und wer wir Menschen sind. So scheint es uns erst einmal nicht sonderlich wichtig, überhaupt danach zu fragen.

Dies gilt auch dort, wo uns alles ganz und gar selbstverständlich scheint. Nun könnte man einwenden wollen, dass wir dort, wo alles selbstverständlich ist, eben doch einfach so sind. Dies aber ist ein Irrtum. Wenn es uns wichtig ist, in irgendeiner Weise eine Selbstverständlichkeit zu betonen, geht es genau um sie. Aus diesem Grund fühlen sich diejenigen, die diese Selbstverständlichkeit verteidigen, gestört, wenn jemand – und sei es eine Philosophin oder ein Philosoph – ihnen Fragen stellt. Das Gefühl der Störung ist als Symptom zu begreifen. Es zeigt, dass es darum geht, mit seinen Selbstverständlichkeiten in Ruhe gelassen zu werden. Das aber ist mehr, als einfach nur in irgendeiner selbstverständlichen Weise zu sein. Es ist eine bestimmte Weise, in der es einem um etwas geht – in diesem Fall unter anderem um die Bewahrung von Selbstverständlichkeiten.

Die Überlegungen dieses Buches wollen einen Beitrag dazu leisten, das Bild vom Einfach-so-Sein des Menschen zu überwinden. Dieses Bild können wir auch mit dem Begriff der Natur artikulieren, indem wir sagen, dass Menschen von Natur aus in einer spezifischen Weise sind. Man kann hier von einer

Nun leben Menschen ja nicht nur in einer natürlichen, sondern auch in einer kulturellen Umwelt. Entsprechend kann man denken, dass Menschen nicht nur natürlich bestimmt sind. Hier lässt sich der aus der Philosophie Ludwig Wittgensteins (18891951) stammende Begriff der Lebensform heranziehen,1 um zu sagen, dass Menschen in einer spezifischen Lebensform leben. Der Begriff der menschlichen Lebensform ist aber zumeist nur eine andere Art und Weise zu sagen, dass Menschen einfach so sind. Im Zuge einer Kritik problematischer Naturalisierungen muss man demnach auch den Begriff der Lebensform kritisch unter die Lupe nehmen.

Wer das, was Menschen ausmacht, in der ein oder anderen Weise naturalisiert, trägt der Tatsache keine Rechnung, dass sie nur sind, indem es ihnen in bestimmter Weise um etwas geht. Menschen stehen grundsätzlich vor der Aufgabe, zu bestimmen, was sie in all ihren Dimensionen – in ihrem Handeln, ihrem Empfinden, ihrer Körperlichkeit, ihrem Sprechen und vielem anderen mehr – ausmacht. Um das besser zu verstehen, muss man ein anderes Bild des Menschen entwerfen. In der Erläuterung dieses anderen Bildes stehen nicht die Begriffe der menschlichen Natur oder der menschlichen Lebensform im Zentrum, sondern, wie sich zeigen wird, zum Beispiel diejenigen der Selbstbestimmung und der Offenheit im Sinne von Freiheit.

Menschen sind mit der Anforderung konfrontiert, sich selbst zu bestimmen und sich dadurch Freiheit zu erarbeiten. Sie sind nicht von Natur aus selbstbestimmt und können auch nicht ihre Lebensform als Garant für Selbstbestimmung anführen, sondern haben Selbstbestimmung als Chance und Last gleichermaßen zu realisieren. Analog verhält es sich mit Freiheit, die unter anderem Jean Paul Sartre (19051980) dem Menschen

In dem Bild vom Menschen, das ich zeichnen will, hat die Frage, wer wir sind, eine zentrale Bedeutung. Sie ist entscheidend dafür, dass Menschen etwas aus sich machen. Menschen beantworten die Frage, wer sie sind, immer in spezifischer Weise. Unter anderem dadurch werden sie zu genau denen, die sie sind. Antworten geben sie zum Beispiel mittels ihrer religiösen Überzeugungen, mit Vorstellungen, die in Kunstwerken artikuliert werden, oder in Grundregeln, die sie für ihr Zusammenleben formulieren bzw. an die sie sich in diesem Zusammenleben halten. Die Überzeugungen, Vorstellungen und Grundregeln sind prägend für die Art und Weise, wie Menschen ihren jeweiligen Alltag durchleben. Sie kommen nicht nur als kultureller Zusatz zum Alltag hinzu, sondern sind das, was dem Alltag überhaupt Gestalt verleiht.

Wenn dies aber nun einmal so ist: Warum sollte man sich dann überhaupt lange mit der Frage befassen, warum wir nach uns fragen? Es scheint doch so, als wolle ich dafür argumentieren, dass wir unumgänglich Antworten auf die Frage geben, wer wir sind. Aber so einfach ist es nicht. Das Problem ist, dass wir uns in unseren Antworten auf die Frage, wer wir sind, missverstehen können. Wir können sie so verstehen, als stellten wir einfach fest, wer wir sind. Nennen wir dieses Missverständnis »eine Vergegenständlichung des Menschen durch sich selbst«. Eine solche Vergegenständlichung droht

Und genau an diesem Punkt ist die philosophische Reflexion darüber, was der Mensch ist, entscheidend. Sie leistet nicht allein Beiträge zur Bestimmung des Menschen, sondern kann insbesondere klären, warum es falsch ist, die Frage, wer wir sind, im Sinne einer Vergegenständlichung misszuverstehen. Die Philosophie mischt also nicht allein dabei mit, wie Menschen etwas aus sich machen, sondern trägt vor allem dazu bei, an Offenheit als Aufgabe des Menschen zu erinnern, und so Verhältnisse, in denen diese Offenheit verloren zu gehen droht, zu kritisieren. Gerade aus diesem Grund ist es wichtig, über die Frage nachzudenken, inwiefern Menschen immer vor der Frage stehen, wer sie sind; und es ist wichtig, dieses Nachdenken so anzulegen, dass es nicht nur für philosophische Fachleute nachvollziehbar ist.

Philosophinnen und Philosophen reden oft in einer Weise, dass diejenigen, die nicht tagein und tagaus mit Philosophie befasst sind, wenig damit anfangen können. Das ist zwar insgesamt sicher unvermeidlich. Aber es ist auch wichtig, dass philosophische Überlegungen für ein breites Publikum verständlich werden, denn Philosophie ist letztlich keine Fachwissenschaft, sondern eine Reflexionspraxis, die einen Beitrag dazu leistet, dass Menschen zu denen werden, die sie sind. Sie muss auch Leserinnen und Lesern, die sich nicht im engeren Sinn akademisch mit Philosophie auseinandersetzen, etwas zu sagen haben. Aus diesem Grund habe ich mich in dem vorliegenden Essay darum bemüht, eine Schreibweise zu finden, die auf akademische Disziplinierung so weit wie möglich verzichtet. Was ich schreibe, soll für möglichst viele möglichst leicht verständlich sein. Dieses Ziel ist umso wichtiger, als das,

Dieses Buch erscheint in der Reihe »Was bedeutet das alles?«. Auch diese Frage ist nicht nur in der Philosophie beheimatet. Sie wird von Religionen genauso gestellt wie von der Kunst und von den theoretischen Wissenschaften. Zudem ist sie als eine Variation auf die Frage, wer wir sind, zu begreifen. Dass wir uns überhaupt fragen, welche Bedeutung etwas hat, ist Ausdruck der Tatsache, dass für uns nichts einfach selbstverständlich ist, dass wir grundsätzlich vor der Frage stehen, wer wir sind. Insofern geht es mir in den folgenden Überlegungen auch darum zu klären, warum wir uns überhaupt die Frage stellen, was das alles bedeutet.3