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Heiner F. Klemme

David Hume zur Einführung

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Wissenschaftlicher Beirat

Michael Hagner, Zürich

Dieter Thomä, St. Gallen

Cornelia Vismann, Frankfurt a.M. †

Für Anna Lena und Franziska

Junius Verlag GmbH

Stresemannstraße 375

22761 Hamburg

www.junius-verlag.de

© 2007 by Junius Verlag GmbH

Alle Rechte vorbehalten

Covergestaltung: Florian Zietz

Titelbild: David Hume

(Porträt von Allen Ramsay, 1766)

E-Book-Ausgabe September 2018

ISBN 978-3-96060-068-8

Basierend auf Print-Ausgabe

ISBN 978-3-88506-637-8

2., ergänzte Auflage 2013

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

Inhalt

1. Leben und Werk

2. Verstand

Eindrücke und Ideen

Existenz

Erkenntnis, Wahrscheinlichkeit, Kausalität

Wunder

Der teleologische Gottesbeweis

Das skeptische System

Die Immaterialität und Unsterblichkeit der Seele

Personale Identität

Philosophische Melancholie

3. Affekte

Die indirekten Affekte

Sympathie

Die direkten Leidenschaften und der Wille

Freiheit und Notwendigkeit

Beweggründe

4. Moralischer Geschmack

Vernunft versus Gefühl

Sein und Sollen

Der moralische Standpunkt und die Realität unserer Gefühle

Wohlwollen und Gerechtigkeit

Selbstmord

5. Ästhetischer Geschmack

6. Der Skeptiker

7. Hume heute

Anhang

Anmerkungen

Literatur

Zeittafel

Über den Autor

1. Leben und Werk

»… wenn wir Philosophen sind, sollten wir es nur nach skeptischen Prinzipien und aufgrund einer Neigung sein, die wir zu dieser Art von Beschäftigung in uns empfinden.«1

David Hume wird am 26. April (nach dem gregorianischen Kalender am 7. Mai) 1711 geboren und stirbt am 25. August 1776 in seiner schottischen Geburtsstadt Edinburgh. Sein erstes Werk, der dreibändige Traktat über die menschliche Natur, erscheint in den Jahren 1739 und 1740. Zur großen Enttäuschung seines ambitionierten Autors ist ihm zunächst kein Publikumserfolg beschieden. Heute wird dieses Werk zu den Meilensteinen der modernen Philosophie gezählt. Humes letzte Schrift, die Dialoge über natürliche Religion, wird von seinem gleichnamigen Neffen 1779 veröffentlicht. Im Gegensatz zu seinem Erstlingswerk wendet sich Hume in seinem nachgelassenen Werk nicht direkt an seine Leser. Vielmehr lässt er Vertreter drei verschiedener philosophisch-theologischer Positionen über die Tragfähigkeit der Gottesbeweise debattieren. Hume verzichtet auf eine Publikation der Schrift zu seinen Lebzeiten, weil er befürchtet, trotz der durch die Dialogform getragenen und bekräftigten unparteiischen Perspektive von religiösen Eiferern persönlich angegriffen zu werden. Wie gut es ihm jedoch gelingt, als Person gegenüber dem verhandelten Inhalt zurückzutreten, zeigt der Umstand, dass bisher keine einvernehmliche Antwort auf die Frage gefunden wurde, welche der den verschiedenen Dialogpartnern in den Mund gelegten Worte denn letztlich Humes eigene gewesen sein mögen.

Die Dialoge sind nicht nur ein literarisches Meisterwerk, sie bringen auch Humes grundsätzliche Einstellung zur Philosophie vorbildlich zum Ausdruck: Wer die Neigung zur Philosophie empfindet, sollte sie als besonnener und unparteiischer Beobachter betreiben. Er sollte sich an Tatsachen und Argumenten, nicht aber an Fiktionen und vermeintlichen Evidenzen orientieren. Wenn wir an die Grenzen unserer Erkenntnisfähigkeit stoßen, sollten wir dies offen eingestehen. Unsere Skepsis ist nicht das Ergebnis unserer »Furcht vor der Wahrheit«2, wie G.W.F. Hegel meint, sondern begründet sich nach Ansicht des bekennenden Skeptikers Hume durch unsere Einsicht in die Grenzen unseres empirisch fundierten Wissens. Über ein anderes Wissen verfügen wir nicht.

Auf der Grundlage dieser Einsicht verfasst Hume seine philosophischen Schriften und findet mit dem Menschen bereits in seinem Erstlingswerk den Gegenstand, dem seine lebenslange Aufmerksamkeit gilt. Denn die auf Beobachtung und Erfahrung beruhende Kenntnis der menschlichen Natur steht am Anfang und im Zentrum unserer gesamten Erkenntnis. Die »Wissenschaft vom Menschen« (science of Man) ist, wie Hume in der Einleitung zum Traktat ausführt, für die Logik, die die Natur unserer Ideen sowie die Prinzipien unserer Verstandestätigkeit verstehen will, ebenso unverzichtbar wie für die Moralphilosophie (morals), die Ästhetik und die politische Theorie. Und selbst die Mathematik, die Naturwissenschaften und die auf Vernunft gegründete natürliche Religion setzen in gewisser Weise Kenntnisse über den Menschen als erkennendes, fühlendes und handelndes Wesen voraus.3

Hume folgt einer seinerzeit weit verbreiteten Unterscheidung, wenn er die Lehre vom Menschen (moral philosophy) von der Naturphilosophie (natural philosophy) unterscheidet.4 »Moral philosophy« schließt die Disziplin der Moralphilosophie ein, umfasst aber auch alle anderen Disziplinen, die wie die Psychologie, die Ästhetik (criticism) oder die Wissenschaft von der Politik (politics) um eine umfassende Erkenntnis des Menschen bemüht sind.5 Im Gegensatz zur »moral philosophy« zielt die »natural philosophy«, die Thema von Isaac Newtons Naturalis philosophiae principia mathematica (1687) ist, auf die Erkenntnis materieller Körper. Für die Naturphilosophie gibt es kein gut und böse, kein schön und hässlich. Für sie ist der menschliche Körper nur »eine ungeheuer komplizierte Maschine«6, die nach Kräften wirkt, die ihr selbst oft genug verborgen sind.

Für die Richtigkeit seiner Auffassung von Moralphilosophie kann Hume zwei Evidenzen anführen: erstens den Erfolg der modernen Philosophie, die die von Francis Bacon ins Werk gesetzte und von Isaac Newton zur Erklärung der Naturphänomene herangezogene experimentelle Methode des Denkens auf das Gebiet der »moralischen Gegenstände« (moral subjects)7 anwendet. Vertreter dieser Philosophie sind Autoren wie John Locke, Lord Shaftesbury, Bernard de Mandeville, Francis Hutcheson oder Joseph Butler. Trotz zahlreicher inhaltlicher Differenzen, die zwischen diesen Philosophen bestehen, sind sie sich doch darüber einig, dass wir in methodischer Hinsicht keine unnötigen Hypothesen erfinden sollten. Ihre Gegner finden diese Anhänger der erfahrungsbasierten Philosophie in den zeitgenössischen Vertretern der Metaphysik und des Rationalismus, in René Descartes und Baruch de Spinoza, in den Platonikern von Cambridge (Henry More und Ralph Cudworth) oder mit Samuel Clarke, William Wollaston und Gilbert Burnet in Autoren, die heute kaum noch bekannt sind. Hume stellt sich auf die Seite der Experimentalphilosophen, nicht ohne eine Sonderrolle für seine Arbeit zu reklamieren: Mit dem Mut und der Überheblichkeit eines siebenundzwanzigjährigen Genies erwartet Hume von seinem Traktat, dass es Epoche machen wird, weil er der erste Autor ist, der die experimentelle Methode kompromisslos auf die menschliche Natur anwendet. Er möchte die »gleichförmigen Mechanismen« (regular mechanism) sichtbar machen, die unserem Wahrnehmen und Fühlen zugrunde liegen und sich ihrer Art nach nicht unterscheiden von den »Gesetzen der Bewegung, der Optik, der Hydrostatik oder jedes Teils der Naturphilosophie«8.

Zweitens kann Hume darauf verweisen, dass eine Philosophie, die die Erfahrung zugunsten einer falsch verstandenen Vernunft gering schätzt, schädlich für alle Menschen ist. Wird die Vernunft zur alleinigen Richtschnur unseres Meinens, Wollens und Handelns erhoben, verursacht sie Aberglauben, Schwärmerei und Enthusiasmus. Diese zeigen ihre verderblichen Wirkungen im religiösen Fanatismus und im Bürgerkrieg. Wer eine falsche, d.h. der menschlichen Natur nicht angemessene Philosophie betreibt, steht in der Gefahr, an Körper und Seele zu erkranken. Dies jedenfalls ist die Einsicht, die Hume am eigenen Leibe erfährt.

Nach dem Abbruch des ungeliebten Studiums der Rechte an der Universität Edinburgh kehrt Hume 1729 in den nahe an der englischen Grenze gelegenen Ort Ninewells zurück, wo seine Mutter und seine Geschwister leben. Der Vater war bereits 1713 verstorben. Getrieben von der Leidenschaft für die Philosophie und der Erkenntnis, dass die Bücher der Philosophie, die er bis dahin studiert hatte, zwar »endlose Dispute«9, aber keine gesicherten Erkenntnisse enthalten, macht sich Hume auf die Suche nach einer Philosophie, durch die die Wahrheit gefunden werden kann. Im Alter von achtzehn Jahren eröffnet sich ihm schließlich eine von ihm nicht näher charakterisierte »neue Gedankenszenerie«10. Hume will jetzt nur noch Philosoph sein. Doch schon bald werden seine Anstrengungen zunichte gemacht. Neben einem Zustand der inneren Unzufriedenheit treten körperliche Beschwerden auf, erst Skorbut, dann Speichelfluss. Schon nach kurzer Zeit erkennt er den Grund seiner Gebrechen: Er hat sich in der falschen Absicht mit den falschen Gegenständen beschäftigt. Er erkennt, dass die beabsichtigte Verbesserung von Gemüt und Wille, Vernunft und Verstand durch die einsame Beschäftigung eines Gelehrten mit den altehrwürdigen philosophischen Themen Tod und Armut, Scham und Schmerz nicht gelingen kann. Denn selbst ein Philosoph muss sich Zeit für die Welt und ihre Zerstreuungen nehmen.

Mit dem neuen, zwischen Studierstube und Gesellschaft angesiedelten Leben verbessert sich Humes Gesundheitszustand zusehends. Seine durch einseitige Spekulationen entflammte Einbildungskraft kühlt ab, und er erkennt den zentralen Mangel der seit der Antike gepflegten Moralphilosophie: »Jeder zog seine Phantasie zu Rate, um neue Gebäude der Tugend und des Glücks zu errichten, ohne die menschliche Natur zu betrachten, von der jede moralische Folgerung abhängig ist. Daher entschloss ich mich, sie zu meinem hauptsächlichen Studienobjekt und zur Quelle von demjenigen zu machen, von dem ich jede Wahrheit in der Ästhetik wie in der Moral ableiten würde.«11 Gründen wir die Philosophie auf eine hitzige Einbildungskraft und nehmen wir Hypothesen an, nur weil wir ein Gefallen an ihnen finden, werden wir weder feste Prinzipien noch Gefühle (sentiments) haben, die mit den Erfordernissen unserer Lebensführung vereinbar sind. Der freie Flug der Einbildungskraft ist vernunftwidrig und schadet der Philosophie wie dem Philosophen. In seiner Untersuchung über die Prinzipien der Moral (EM), der Neufassung des dritten Buches (»Über Moral«) seines Traktats, plädiert Hume 1751 deshalb für die neue Wissenschaft: »Die Menschen sind jetzt von ihrer Leidenschaft für Hypothesen und Systeme in der Naturphilosophie kuriert und vertrauen nur Argumenten, die auf Erfahrung beruhen. Es ist wirklich an der Zeit, daß sie eine ähnliche Reform bei allen moralischen Untersuchungen anstreben und jedes ethische System verwerfen, das nicht auf Tatsachen und Beobachtungen beruht, gleichgültig wie subtil und einfallsreich es sein mag.«12

Mit seiner gegen Ende 1730 vollzogenen Wende zur empirischen Erforschung des Menschen beginnt Humes eigenständiges Philosophieren – und aus dem großen und hageren David wird nach und nach ein wohlgenährter, in sich selbst ruhender »bon David«, wie er Jahrzehnte später von seinen Freunden in Paris genannt werden wird. Hume hat die Philosophie gefunden, die zum Menschen passt.

Doch warum sollen wir uns überhaupt mit der Philosophie der menschlichen Natur beschäftigen? Ist der Philosoph Gesetzgeber im Reiche der Natur und der Freiheit, wie Immanuel Kant in der Kritik der reinen Vernunft13 behauptet? Oder stellt die Philosophie, wie Hegel überzeugt ist, die »Rose im Kreuze der Gegenwart dar«14, die uns mit der Wirklichkeit versöhnt? Wohl kaum. Humes Gründe für unsere philosophische Beschäftigung mit der menschlichen Natur sind bescheidener. Er unterscheidet zwischen einem subjektiven und einem objektiven Grund. Der subjektive Grund ergibt sich aus den Neigungen einer Person. Empfindet eine Person keine Neigung zur Philosophie, dann sollte sie sich einer anderen Tätigkeit widmen, die ihrem Temperament besser entspricht. Wer jedoch wie Hume selbst die Ursachen, Gründe und Prinzipien kennen lernen möchte, die unser Urteilen, Fühlen und Handeln steuern, der hat den besten Grund, sich mit der Philosophie zu beschäftigen. Das subjektive Verlangen, Aufschluss über die ›letzten‹ Ursachen unserer Erfahrungsurteile zu erlangen, ist der »Ursprung« von Humes Philosophie:

»Ich kann nicht umhin, Verlangen danach zu haben, mit den Prinzipien des moralisch Guten und Schlechten, der Natur und der Grundlage der Regierung und den Ursachen der verschiedenen Leidenschaften und Neigungen vertraut zu sein, die mich bewegen und regieren. Ich fühle mich unwohl bei dem Gedanken, ein Objekt zu billigen und ein anderes zu missbilligen, ein Ding schön und ein anderes deformiert zu nennen, über Wahrheit und Falschheit, Vernunft und Torheit zu urteilen, ohne die Prinzipien zu kennen, denen ich folge. Ich bin um den Zustand der gelehrten Welt besorgt, die unter einer so bedauernswerten Unkenntnis in allen diesen Angelegenheiten leidet. Ich fühle in mir einen Ehrgeiz entstehen, etwas zur Instruktion der Menschheit beizutragen und mir einen Namen durch meine Erfindungen und Entdeckungen zu machen. Diese Gefühle entstehen natürlicherweise in meiner gegenwärtigen Verfassung, und sollte ich mich bemühen, sie zu vertreiben, indem ich mich einer anderen Beschäftigung oder Zerstreuung zuwende, fühle ich, dass ich an Freude einbüßen würde. Dies ist der Ursprung meiner Philosophie.«15

Doch es gibt auch einen objektiven Grund, sich mit der Philosophie zu beschäftigen, dient diese doch der Verbesserung (improvement) unserer individuellen und gemeinschaftlichen Lebensführung. Die Wissenschaft vom Menschen versteht sich – obwohl Hume diesen Ausdruck nicht verwendet – als eine Philosophie der Aufklärung. Den Nutzen der Wissenschaften sieht Hume denn auch vor allem darin, dass sie uns lehren, »zukünftige Ereignisse durch ihre Ursachen zu kontrollieren und zu lenken«16. Durch unsere Beschäftigung mit den zwischen Ursachen und Wirkungen bestehenden Beziehungen können die Behauptungen von schlechter Philosophie und falscher Religion als Anmaßungen entlarvt werden. Denn obwohl die Irrtümer in der Philosophie an sich betrachtet »lediglich lächerlich«17 sind, entfalten sie eine schädliche Wirkung, sobald wir ihnen die Herrschaft über unser Denken und Wollen zugestehen. Auf diese Weise schützt uns unser kausales Wissen vor Enthusiasmus und Hypochondrie.

In seiner Untersuchung über den menschlichen Verstand (EHU) von 1748 versucht Hume, die Nützlichkeit des philosophischen Denkens, das im Medium abstrakter philosophischer Gedankentätigkeit Distanz zur gewöhnlichen Lebenspraxis suchen muss, um dieser Praxis dienen zu können, unter Rückgriff auf die Unterscheidung zwischen einer leichten und einer schweren Philosophie zu erläutern: Die leichte Philosophie, die die Veredelung der Sitten und die Beförderung der Tugend zur Absicht hat, richtet sich auf das Handeln des Menschen, seinen Geschmack, seine Neigungen und seine Gefühle. Die schwere Philosophie ist dagegen um die Festsetzung der letzten Prinzipien bemüht, die unseren Verstand leiten, unsere Gefühle des Billigens und des Tadelns erregen und Grundlage unserer ästhetischen Wertschätzung sind. Beide Typen von Philosophie beschäftigen sich mit der Natur des Menschen. Doch welche dieser beiden ist die richtige? Hume findet eine salomonische Antwort: So wie der Maler von den genauen anatomischen Kenntnissen des Menschen profitiert, ist auch die schwierige Philosophie der leichten Philosophie von Nutzen. Denn ohne die schwierige, nach letzten Prinzipien der menschlichen Natur fragende Philosophie läuft die leichte Philosophie Gefahr, Realitäten zu behaupten, die in Wahrheit der Phantasie entspringen. Und ohne die leichte Philosophie würde die schwierige Philosophie keinen fühlbaren Nutzen entfalten. Trotz ihrer engen Beziehung aufeinander, sollten diese beiden Typen von Philosophie aber nicht miteinander vermischt werden: Der Anatom der menschlichen Natur sollte nicht versuchen, zugleich als Sittenmaler vor die Augen seiner Leser zu treten. Diese methodische Distinktion ist grundlegend für Humes gesamte Philosophie. Nur an wenigen Stellen seiner Schriften überschreitet Hume, der Anatom der menschlichen Natur, diese Grenze zum Sittenmaler.

Kurz vor seinem Tode verfasst Hume eine wenige Seiten umfassende Autobiographie (My Own Life), die postum erscheint. In ihr nimmt er auch seinem eigenen Leben gegenüber die Perspektive eines Anatoms der menschlichen Natur ein. Nüchtern und distanziert informiert er uns über die äußeren Stationen seines Lebens, den Gang seiner philosophischen Entwicklung und die zahlreichen Anfeindungen, denen er aufgrund seiner Ansichten und Überzeugungen ausgesetzt gewesen ist. Die wichtigsten Stationen seines Lebens sind schnell erzählt: Hume hat einen älteren Bruder, der den Adelstitel erbt, und eine Schwester, die ihm im Alter den Haushalt besorgen wird. Weil er vom schmalen väterlichen Erbteil kaum leben kann, ist er auf einen Brotberuf angewiesen. Nach dem Abbruch seines Studiums der Rechte nimmt er eine Tätigkeit bei einem Kaufmann in Bristol an, die er jedoch schon bald aus uns unbekannten Gründen aufgibt. Vielleicht wollte er sich ganz der Philosophie widmen. Von 1734 bis 1737 hält er sich in Frankreich auf, wo er in Reims und in La Flèche – dem Ort, an dem ein Jahrhundert zuvor Descartes lebte – an seinem Traktat arbeitet, der schließlich unter seiner Aufsicht in London gedruckt und anonym publiziert wird. Weil dieses Werk seiner eigenen Wahrnehmung nach als »Totgeburt aus der Presse«18 fällt, sieht er von der Ausarbeitung und Publikation weiterer Bände ab. Noch im Jahre 1740 veröffentlicht er anonym eine kleine Schrift mit dem Titel Abriss eines neuen Buches, betitelt: Ein Traktat über die menschliche Natur etc., in der er in Gestalt einer fingierten Rezension auf seinen Traktat aufmerksam macht. Inhaltlich konzentriert er sich vor allem auf die Darstellung seiner Kausalitätstheorie.

In den Jahren 1741 und 1742 erscheinen seine Moralischen und politischen Versuche. In ihnen erörtert er in einer literarisch gefälligen Art und Weise diverse historische, politische, geistes- und ideengeschichtliche Phänomene. Als eine Art von »Botschafter«19 aus dem Herrschaftsbereich der Gelehrsamkeit möchte er den Bewohnern des Reichs der Unterhaltung und des Gesprächs die Erkenntnisse vermitteln, die ihm im Bereich der Philosophie bedeutsam erscheinen. Humes Überzeugung nach sollte der Gelehrte den Kontakt mit dem breiten Publikum suchen, weil dies für beide Parteien von Vorteil ist. Im gegenteiligen Falle produziert der Gelehrte in seiner Zurückgezogenheit dicke Folianten, die kein Mensch lesen will und auch nicht lesen sollte, und die Öffentlichkeit bleibt orientierungslos sich selbst überlassen.

Wohl aus finanziellen Überlegungen entschließt sich Hume 1745, als Tutor des jungen (und schwachsinnigen) Marquis von Annandale in England tätig zu sein. Als Sekretär des Generals Saint Clair begibt er sich 1746 auf eine Militärexpedition an die Küste Frankreichs, 1747 gefolgt von einer militärisch-diplomatischen Mission an die Höfe von Wien und Turin im Range eines Adjutanten des Generals. Humes eigenen Angaben nach waren dies die beiden einzigen Jahre, in denen er seine philosophischen Studien unterbricht – und ein Vermögen anspart, das für ihn die lang ersehnte finanzielle Unabhängigkeit bedeutet.20

An äußeren Ereignissen ist neben einer 1752 erfolgten Anstellung als Bibliothekar der Anwaltskammer in Edinburgh, einer diplomatischen Mission nach Paris und der Ernennung zum Botschaftssekretär 1763 noch seine Tätigkeit als Unterstaatssekretär im Londoner Außenministerium (1767-1768) erwähnenswert. Den unseligen Streit mit Jean-Jacques Rousseau, der Europas gelehrte Welt 1766 über Monate in Atem hält, erwähnt Hume in seiner Autobiographie dagegen mit keinem Wort. Hume hatte mit dem in Frankreich mit Haftbefehl gesuchten Philosophen Freundschaft geschlossen und ihn nach England eingeladen. Doch schon kurze Zeit nach seiner Ankunft in England wittert der paranoide Autor des Émile (1762) Tücke und Verrat. Hume, der Rousseaus Geisteszustand zunächst nicht erkennt, ist außer sich vor Wut und nennt Rousseau »den schwärzesten und abscheulichsten Schurken, nicht zu vergleichen mit allem, das es gegenwärtig auf Erden gibt, und tiefsten Herzens schäme ich mich alles dessen, was ich je zu seinen Gunsten geschrieben habe«21.

Ein wichtiges Amt ist Hume Zeit seines Lebens verwehrt worden: Auf Druck religiöser Kreise und der (presbyterianischen) Kirche von Schottland erfüllen sich seine Hoffnungen auf die Übernahme der Professur für Ethik und Pneumatische Philosophie in Edinburgh in den Jahren 1745 und 1746 nicht. Auf ein gegen ihn gerichtetes Pamphlet reagiert Hume mit einiger Verzweiflung in einem Verteidigungsschreiben, das im Mai 1745 ohne sein Wissen von Henry Home unter dem Titel Brief eines Edelmannes an seinen Freund in Edinburgh veröffentlicht wird. Voller Empörung wehrt sich Hume gegen verkürzte und sinnentstellte Zitate aus seinem Traktat und die in der Folge erhobenen Vorwürfe, er vertrete einen »universellen Skeptizismus«, stelle Grundsätze auf, die zum »Atheismus« führten, begehe Irrtümer bezüglich des Wesens, der Existenz und der Eigenschaften Gottes, bestreite die »Immaterialität der Seele« und beabsichtige nicht zuletzt, »die Grundlagen der Moral zu untergraben«22. Weil auch ein zweiter und letzter Versuch, eine Professur für Logik in Glasgow zu bekommen, in den Jahren 1751 und 1752 erfolglos bleibt, ist Hume der einzige bedeutende schottische Philosoph im Zeitalter der Aufklärung, dem eine Universitätskarriere verwehrt wird.

Die Anfeindungen durch zumeist religiös motivierte Kritiker hat Hume durch Gelassenheit zu parieren versucht. Um diese Gelassenheit bemühte er sich auch angesichts der mangelhaften Resonanz, auf die einige seiner Werke zunächst stießen. Das Scheitern seines Traktats, das er mehr auf die Form der Darstellung als auf dessen Inhalt zurückführt, motiviert ihn dazu, seine Gedanken neu zu sortieren. Die Neufassung des ersten Teiles des Traktats (»Über den Verstand«) publiziert er 1748 unter dem Titel Philosophische Versuche über den menschlichen Verstand. In dieser Schrift, die er in späteren Auflagen Eine Untersuchung über den menschlichen Verstand nennt, verzichtet er auf die Erörterung besonders problematischer Lehrstücke wie seine Ausführungen über die Existenz einer geistunabhängigen Welt und über die personale Identität. Thematisch neu ist dagegen die Auseinandersetzung mit der Wunderproblematik und mit der Lehre vom zukünftigen Leben. Während Hume die neue Darstellung seiner Moralphilosophie von 1751 in seiner Autobiographie als die beste unter allen seinen Schriften bezeichnet23, wird die recht kurz ausgefallene Überarbeitung des Buches »Über die Affekte«, die 1757 innerhalb der Vier Abhandlungen (»Abhandlung II: Über die Affekte«) erscheint, mangels Originalität bis heute kaum zur Kenntnis genommen. Der überwiegende Teil des Textes besteht aus wörtlichen Zitaten von Buch II seines Traktats. Neben den Abhandlungen »Über die Tragödie« und »Über den Maßstab des Geschmacks« präsentiert Hume in den Vier Abhandlungen auch seine »Naturgeschichte der Religion«. Unter Rückgriff auf bereits unter antiken Philosophen geläufige Ansichten möchte Hume den Ursprung und die Entwicklung der Religion durch gewöhnliche Eigenschaften des menschlichen Geistes (wie Furcht und Hoffnung) erklären. Als natürliche Geschichte der Religion ist diese Arbeit sowohl gegen den rationalistischen Religionsbegriff der Deisten wie gegen den Offenbarungsglauben der Kirche gerichtet. Besonders kritisiert wird seine These, dass der Polytheismus (und nicht der Monotheismus) die historisch erste Religion auf Erden gewesen sei. Nach Humes Tod erscheinen schließlich Zwei Versuche (1777), in denen er sich mit dem moralischen Status des Selbstmords und mit einem zukünftigen Leben auseinandersetzt, sowie die bereits erwähnten Dialoge über natürliche Religion.

Den größten Publikumserfolg erzielt Hume zu seinen Lebzeiten jedoch nicht mit seinen philosophischen Arbeiten. Mit der Übernahme der Stelle eines Bibliothekars am Juristenkollegium steht ihm eine Bibliothek von mehr als 30.000 Bänden zur Verfügung, die ihn in die Lage versetzt, seinen bereits 1745 gehegten Plan, eine unparteiische Geschichte Englands zu schreiben, in die Tat umzusetzen. Der erste (zunächst ebenfalls erfolglose) Band der Geschichte von England erscheint 1754, der letzte 1761, dem Jahr, in dem der Vatikan alle seine Schriften auf den Index Librorum prohibitorum setzt. Nach Zeiten der Anfeindungen von Seiten politischer Kreise, die sich in seinem Geschichtswerk nicht richtig dargestellt fühlen, findet es jedoch immer mehr Anhänger und Freunde. So lobt beispielsweise Johann Jakob Dusch, der Übersetzer ins Deutsche, Hume als »einen der aufgeklärtesten Geister unserer Zeit« und gesteht ihm bei aller Kritik zu, was dieser für sich in Anspruch genommen hatte: »Unter seinen Händen wird die Geschichte das, was sie ursprünglich ist. Wir lesen die Betrachtungen eines Staatsmannes, der ein Philosoph ist, der die verborgenen Triebfedern der Handlungen und Begebenheiten aufdecket, den Zweck der Geschichte, die Belehrung der Lebendigen, nie aus den Augen verliert, und die vortrefflichsten Maximen der Sittenlehre unter dem Schleyer der Begebenheiten hervorzieht.«24

Mit seinem Geschichtswerk wird Hume ein reicher Mann, einem breiten Publikum bekannt und bis weit ins 19. Jahrhundert als der Historiker der englischen Geschichte gefeiert. Einen Widerspruch zwischen der Geschichte und der Philosophie gibt es für Hume nicht. Ganz im Gegenteil ergänzt das Studium der Geschichte wie der Schriften antiker Schriftsteller unser Erfahrungswissen über die Natur des Menschen. Nicht zufällig greift Hume in seinen philosophischen Arbeiten immer wieder auf Beispiele aus der Geschichte, der antiken Literatur und der Philosophie zurück, um die allgemeinen Prinzipien der menschlichen Natur zu erforschen und ihre konkreten Ausgestaltungen unter wechselnden sozialen, geistigen und politischen Umständen kennen zu lernen. »Diese Berichte über Kriege, Intrigen, Parteienhader und Revolutionen sind so zahlreiche Sammlungen von Erfahrungstatsachen [experiments], aus denen der Politiker oder der Moralphilosoph die Prinzipien seiner Wissenschaft in gleicher Weise bildet, wie der Physiker oder Naturforscher mit dem Wesen von Pflanzen, Mineralien und anderen Dingen der Außenwelt durch entsprechende Versuche [experiments] vertraut wird.«25

Über Jahre und Jahrzehnte wird Hume von seinem Verleger William Strahan gedrängt, seine History of England mit einem Band abzuschließen, der die Periode von der »Glorious Revolution« von 1688 bis zum Regierungsantritt Georges I. im Jahre 1714 umfassen sollte. Tatsächlich lässt sich Hume zunächst erweichen und beginnt Mitte der fünfziger Jahre des 18. Jahrhunderts etwas lustlos mit vorbereitenden Arbeiten, die er jedoch schon bald abbricht. Selbst die Zusage Strahans, für einen entsprechenden Band den von Hume scherzhaft eingeforderten Gegenwert der Falkland-Inseln zu bezahlen, lehnt Hume Anfang der siebziger Jahre ab. Er will den Band nicht schreiben, »weil ich zu alt, zu dick, zu faul, und zu reich bin«26. Statt neue Projekte zu beginnen, bescheidet er sich mit stilistischen Überarbeitungen seiner bereits vorliegenden Publikationen und Manuskripte, von denen nur der Traktat ausgenommen ist.

Humes Reaktion auf Strahans Angebot scheint allzu verständlich, gibt es doch nichts mehr, was ihn wirklich neugierig machen könnte. Mit sechsundvierzig Jahren bringt er seine letzte philosophische, mit fünfzig Jahren seine letzte historische Monographie zur Publikation. Nach seiner Wende zur Philosophie der menschlichen Natur weist seine philosophische Entwicklung keine signifikanten Brüche und erst recht keine revolutionär neuen Ansichten mehr auf; sie gleicht eher einem breiten Strom, der sich langsam, aber stetig seiner Mündung nähert, ohne jemals über die Ufer zu treten. Ähnlich wie die Flüsse die Landschaft mit Leben erfüllen, legen wir Menschen uns nach Hume mit unseren Gefühlen und Leidenschaften in die Dinge hinein. Wir geben ihnen Farbe und Bedeutung und fügen aufgrund der Mechanismen unseres Geistes Elemente zu Ganzheiten, die an sich betrachtet nichts anderes als vereinzelte Sinneseindrücke sind. Diesen Mechanismus will Hume verstehen. Denn wer ihn versteht, der versteht die Ursachen und Prinzipien, die unsere Gegenwart und Zukunft bestimmen.

Diese Philosophie wollen wir am Leitfaden des Traktats von der menschlichen Natur darstellen und diskutieren, und dies, obwohl Hume im Vorwort der 1777 erschienenen Ausgabe der Versuche und Traktate über verschiedene Themen gegenüber seinen Lesern den Wunsch äußert, sie sollten seinen Traktat nicht mehr lesen.27 Allerdings distanziert sich Hume nicht aus philosophischen, sondern gewissermaßen aus polemischen Gründen von seiner Erstlingsschrift. Sein Bedauern gilt nicht dem Inhalt seines Traktats, sondern vielmehr der Tatsache, dieses Werk überhastet und stilistisch unausgereift publiziert zu haben, so dass es leicht Gegenstand unfairer und bigotter Kritik werden konnte. In einem 1751 verfassten Brief an Gilbert Elliot empfiehlt er zwar die erste Untersuchung zur Lektüre, weist aber zugleich darauf hin, dass diese Schrift dieselben »philosophischen Prinzipien« wie der Traktat enthält. Durch die in der Untersuchung erfolgte Kürzung und Vereinfachung der bereits im Traktat erörterten Fragen hofft er, diese vollständiger beantworten zu können.28 Weil der Traktat Humes wichtigstes und innovativstes philosophisches Werk ist, sollten wir ihm seinen Wunsch nach Missachtung dieses Werkes nicht erfüllen. Schließlich finden sich hier nahezu alle zentralen Begriffe, Konzeptionen und Theorien seiner späteren Schriften ausgeführt oder doch zumindest angedeutet.

In loser Anlehnung an die Logik von Port-Royal (1662), in der zwischen Begriff, Urteil, Schluss und Methode unterschieden wird, beginnt Hume im ersten Buch des Treatise (»Über den Verstand«) mit einer Analyse dessen, was unserem Geist in der Wahrnehmung präsent ist (Eindrücke und Ideen) und geht dann über zum Urteil, das entweder Relationen zwischen Ideen (relations of ideas) oder Tatsachen (matters of fact)29 betrifft. Diese heute oft »Humes Gabelung« genannte Unterscheidung aus der ersten Untersuchung besagt, dass Urteile über Relationen, die zwischen Ideen bestehen, einer intuitiven oder demonstrativen Erkenntnis (knowledge) fähig sind, während unsere Urteile über Tatsachen bloß zu Wahrscheinlichkeiten führen (probability). Tatsächlich wird Hume zeigen, dass unser Urteilen eigentlich ein Fühlen ist.30

Im Anschluss an die Analyse unserer Urteile erörtert Hume den Zusammenhang von Urteilen in einem philosophischen System. Im Zentrum seines Interesses steht das philosophische System der Skeptiker. Die Methode schließlich wird zum einen im Aufbau des Buches selbst sichtbar und dokumentiert sich zum anderen in der »experimentellen Methode«, die im Wesentlichen Gedankenexperimente und (wiederholbare, signifikante) Beobachtungen bezeichnet. Humes Auseinandersetzung mit der Wunderproblematik, seine Kritik an der Idee der Unsterblichkeit der Seele und am teleologischen Gottesbeweis gehören in den systematischen Kontext seiner Analyse der Erfahrungserkenntnis und sollen auch in diesem Kontext vorgestellt werden.