ERNEST HAYCOX

 

 

Fiebernde Grenze

 

 

 

 

 

Apex Western, Band 10

 

 

Apex-Verlag

Inhaltsverzeichnis

Das Buch 

FIEBERNDE GRENZE 

 

Erstes Kapitel: Tochter der Armee 

Zweites Kapitel: Trompetenruf 

Drittes Kapitel: Im Canyon 

Viertes Kapitel: »Ein verliebter Mann ist ein Narr!« 

Fünftes Kapitel: Erkundungspatrouille 

Sechstes Kapitel: Entsetzen 

Siebtes Kapitel: Der Geschmack von Schweiß 

Achtes Kapitel: Lily Marrs Bandit 

Neuntes Kapitel: Tote zwischen den Hügeln 

Zehntes Kapitel: Mondschein auf der Plaza 

Elftes Kapitel: Ein Junge wird erwachsen 

Zwölftes Kapitel: Der Streit bricht aus 

Dreizehntes Kapitel: Männer schaffen sich ihre eigene Hölle 

Vierzehntes Kapitel: In den Herzen der Männer 

Fünfzehntes Kapitel: »Folge deinem Stern!« 

Sechzehntes Kapitel: Im Herzen der Nacht 

Siebzehntes Kapitel: In der Falle 

Achtzehntes Kapitel: Der Kampf 

Neunzehntes Kapitel: »Ich habe für dich gebetet!« 

Zwanzigstes Kapitel: Die Wahl 

 

The Spirit of Army Post Life - Ernest Haycox

Ein Essay von Dr. Karl Jürgen Roth 

 

 

Das Buch

 

Eleanor Warren ist in den einsamen Grenzforts des Westens aufgewachsen. Als sie nach dreijähriger Abwesenheit zum Regiment ihres Vaters nach Arizona zurückkehrt, fühlt sie sich sofort wieder gefangen vom Geist jener Männer, die in der Wüste - fern von den Bequemlichkeiten des normalen Lebens - einen zähen Kleinkrieg gegen die aufsässigen Elemente der Grenze führen.

Während der Apache Antone das ganze Land terrorisiert und immer neue Patrouillen seinen Schlupfwinkeln nachspüren, entwickelt sich in Fort Grant ein Drama von Pflichterfüllung, Ehrgeiz, Eifersucht und brennendem Hass: Eleanor ist mit Lieutenant Castleton verlobt, den sein Geltungsdrang immer stärker von der Gemeinschaft ausschließt. Lieutenant Tom Benteen hingegen, der seinen wachen Sinn für die Werte des Lebens bewahrt hat und trotz aller Pflichterfüllung kein sturer Soldat ist, gewinnt mehr und mehr die Sympathien von Vorgesetzten und Untergebenen. Und während die Soldaten von Fort Grant unter harten Strapazen Antone und seine Horden stellen, entscheidet sich unter der Glutsonne der Arizona-Wüste auch das Schicksal der Hauptfiguren...

 

Ernest Haycox verschmilzt in diesem Roman mit feiner Charakterisierungskunst eine abenteuerliche und bewegte Handlung untrennbar und überzeugend mit echten menschlichen Konflikten.

Der Apex-Verlag veröffentlicht den Roman Fiebernde Grenze – einen geradezu klassischen Indianer- und Kavallerie-Western – in seiner Reihe APEX WESTERN als durchgesehene Neu-Ausgabe, ergänzt um ein Essay von Dr. Karl Jürgen Roth.

  FIEBERNDE GRENZE

 

 

 

 

 

  Erstes Kapitel: Tochter der Armee

 

 

Zwei Wochen nach ihrer Abfahrt von San Francisco ließ die Newbern zwischen den Sandbänken und Uferweiden an der Mündung des Colorado ihre Anker fallen. Die Fracht und der einzige Passagier wurden an den Dampfer Cocopah übergeben.

Eleanor Warren, der Passagier, war ein schlankes Mädchen mit rötlich-braunem Haar. Sie hatte klar blickende, graue Augen und einen festgeformten Mund. Obwohl sie kaum über Durchschnittsgröße war, wirkte sie wegen ihrer geraden Haltung ziemlich groß. Irgendwie haftete ihr etwas von dem Wesen der Armee an. Schließlich war sie ja auch in einem Wagen auf dem Wege nach Fort Snelling in Minnesota geboren worden, da sich die Armeevorschriften und die Naturgesetze eben manchmal nicht aufeinander abstimmen lassen. Abgesehen von den letzten drei Jahren hatte sie praktisch ihr ganzes Leben im Schatten der Fahne verbracht. Jetzt hatte Eleanor die vornehme Erziehung von Mrs. De Launceys Bostons Schule für junge Damen hinter sich und kehrte wieder zu dem Regiment ihres Vaters zurück.

Am elften Tage der Fahrt legte die Cocopah in Ehrenburg an, und dort wartete schon eine Begleitmannschaft des 6. Regiments auf Miss Warren. Sie hatte darauf gehofft, Soldaten des 3. Regiments, Männer ihrer eigenen Einheit, zu treffen, um möglichst früh die ersehnten Neuigkeiten über das Regiment zu hören, aber sie war trotzdem sehr froh, als am nächsten Morgen der Armeewagen nach Westen aufbrach. Er wurde von vier Maultieren gezogen, und die Begleitmannschaft bestand aus acht sonnenverbrannten, rauen irischen Reitern und einem Lieutenant mit blauen Augen und einem dunkelblonden Schnurrbart nach der Art von General Custer. Sie war wieder bei Menschen, an die sie seit den Tagen ihrer Kindheit gewöhnt war - und das war für sie das Wesentliche; denn kein Gefühl der Welt kommt dem gleich, wenn eine Frau der Armee zu ihrer Einheit zurückkehrt.

Im Westen lag die hitzeflimmernde Wüste. Hier und da zeigten sich die Silhouetten von Kakteen, und die blauen Umrisse der Arizona-Berge stiegen plötzlich aus der Ebene auf.

Der Ambulanzwagen holperte über den steinigen Boden. Der Staub der Alkali-Wüste stob wie Mehlwolken auf und brannte in den Augen und auf der Haut. Nachts, in ihrem Leinwandzelt, lauschte Eleanor auf das schläfrige Geplauder der Soldaten am Lagerfeuer; sie hörte die Namen Geronimo und Casadora, Antone und General Crook - und sie hörte auch von geplünderten Wagenzügen und verbrannten Ranchhäusern.

Am sechsten Tage überquerten sie die Hügel nach Camp Verde, und von dort aus führte eine weitere Eskorte sie hoch hinauf in die bewaldete Mogollon-Kette, von deren Rand aus sie in das wilde, dunkle, zerklüftete Tonto-Becken hinabschauen konnte. Die Fahrt ging jetzt langsamer voran, und in der größeren Höhe wehte wenigstens am Abend eine erfrischende Brise.

Fünf Tage nach der Abreise von Camp Verde ritt der Geleitzug über das Paradefeld von Fort Apache. Eleanor Warren sprang aus dem Wagen und stand vor der Frau des Majors McClure, dem ersten vertrauten Gesicht ihres alten Kavallerieregiments.

»Ah, du bist jetzt also eine erwachsene junge Dame!«, rief die Majorsfrau, und sie weinte ganz offen, als sie Eleanor in die Arme schloss. »Ist es schon so lange her, dass ich in Fort Stanton deinen Koffer gepackt habe und dir dann nachschaute? Drei Jahre? - Was für ein hübsches Kleid du anhast. Ist das jetzt die Mode im Osten? - Wie lange warst du von Ehrenburg unterwegs?«

»Zwölf Tage.«

»Nun, bis zu deinem Vater in Camp Grant sind es weitere drei. Die Eskorte von dort ist noch nicht eingetroffen. Wir geben heute Abend eine Party für dich und plaudern über den Osten. Es ist drei Jahre her, seit ich zum letzten Male Mullvorhänge oder ein Hotelzimmer gesehen habe. Ich hoffe, du kannst eine Woche hierbleiben.«

Aber schon am selben Abend, kurz vor dem Zapfenstreich, galoppierte eine Truppe von Reitern über das Paradefeld, und von der Veranda vor McClures Haus her fragte eine Stimme: »Ist Miss Warren angekommen?«

Die Offiziere und die Damen des Forts waren alle im Zimmer, und sie lächelten Eleanor Warren zu, als diese aufstand und sich halb von der Tür abwandte. Auf dem Gang erklangen rasche Schritte, und Major McClure sagte gedehnt: »Sie ist hier, Phil.«

Dann drehte sich Eleanor Warren um. Sie war verwirrt und fürchtete sich davor, dass sich ihre Gefühle auf dem Gesicht zeigen mochten.

»Wie geht es dir, Phil?«, sagte sie leise und unsicher.

Nun stand er vor ihr, dieser Philip Castleton. Sein Hemd und seine Hose waren vom Ritt grau bestaubt, und die Sonne von Arizona hatte sein schon von Natur aus dunkles Gesicht noch dunkler gebräunt. Er war ein großer, schwarzäugiger Mann, rasch und zuverlässig und von einer dynamischen Energie beseelt, die auch dann noch von ihm ausstrahlte, wenn er ruhig dastand. Seine ganze Erscheinung offenbarte körperliche Härte und soldatische Zuverlässigkeit.

Jetzt aber strömte ein neues Gefühl aus seinem Blick, und sein ganzes Gesicht veränderte sich. Er hatte genug Geistesgegenwart, sich noch vor der Gruppe von Damen zu verbeugen. Dann aber sagte er leise:

»Eleanor...«

Ihre ganze Zurückhaltung fiel von ihr ab, und sie achtete auf niemand mehr, als sie in seine Arme glitt. Das war der Mann, den sie als Mädchen von achtzehn Jahren in Fort Stanton geliebt hatte. Jetzt kehrte sie als junge Frau zu ihm zurück, und alle ihre Befürchtungen der vergangenen drei Jahre verblassten. Sie wusste, dass sich nichts geändert hatte. In diesem Augenblick war sie glücklicher als je zuvor.

Die Trompeten bliesen zum Morgenappell, als die Wagen und die zehn Reiter der alten K-Kompanie auf dem Paradefeld warteten und Eleanor im strahlenden Sonnenschein aus Major McClures Haus trat. Sie warteten neben den Köpfen ihrer Pferde stehend, und die meisten waren alte Freunde von ihr. Auch Sergeant Tim Hannys sonst stets ernste Lippen hatten sich zu einem breiten Lächeln geöffnet - der deutsche Sergeant Konrad Reichert stand feierlich stramm da, und neben ihm war Corporal Oldbuck, der sie auf seinem Sattel getragen hatte, als sie als kleines Mädchen während der Schlacht von Bull Run hinter den Linien gewesen war. Sie schritt die Reihe entlang und schüttelte den Männern die Hand.

»Was ist aus dem Mexikaner-Mädchen in Stanton geworden, Hanny?«, fragte sie.

Hanny fuhr sich mit dem Handschuh über die herabhängenden Spitzen seines Dragonerschnurrbartes.

»Ach, Sie erinnern sich noch an sie? Ich auch. Aber - das muss ich Ihnen einmal privat erzählen. Nicht alle Männer in der alten K-Kompanie sind solche Gentlemen, als die sie erscheinen.«

Ein leises, beifälliges Murmeln der Erheiterung lief die Reihe entlang. Ein Reiter der Gruppe, der sich verspätet hatte, kam über das Feld und reihte sich ins Glied. Lieutenant Castleton sprach ihn mit einer Strenge an, die Eleanor überraschte. »Jackson, sobald wir in Grant sind, melden Sie sich bei mir. Eleanor, wenn du fertig bist...«

Eleanor grüßte die versammelten Offiziere und ihre Damen und ließ sich von Castleton in den Wagen helfen.

»Überbring Harriet Mixler meine Grüße und sage ihr, sie soll so bald wie möglich kommen!«, rief Mrs. McClure.

Castleton gab einen scharfen Befehl, die Reiter saßen auf und bildeten eine Doppelreihe. Der Wagen rollte über das Paradefeld und auf eine Art von Weg zu, der in eine Schlucht führte. Dann lag Fort Apache hinter ihnen.

Im Osten ragte das Felsmassiv der White Mountains auf, und in allen anderen Richtungen umgaben sie die Dome, Kuppen und scharfen Zacken des Hügellandes. Der Wagen rollte den Weg entlang, überquerte ein schmales Tal und tauchte wieder in eine kahle Schlucht.

Kleine Kakteen, Katzenkralle und Ambergras wuchsen auf den Hängen, und das Gelände wurde immer unwirtlicher. So führte der Weg durch die Hitze nach Südwesten, zum Camp Grant am San Pedro, hundertzehn Meilen von hier.

Phil Castleton ritt neben dem Wagen und sprach dann und wann mit ihr. Immer wieder hielt er inne und beobachtete den Weg. Diese Gespanntheit hatte sie auch schon bei den früheren Eskorten bemerkt. Jeder Mann des Kommandos ritt mit erhobenem Kopf, und jeder suchte das raue Gelände der sie umgebenden Hügel ab. Allmählich ging etwas von dieser Spannung und Unruhe auch auf das Mädchen über, und sie ertappte sich dabei, dass sie selbst die Felsen und Büsche beobachtete. »Hier oben sind die Coyotero-Apachen ziemlich aufsässig«, sagte Castleton. »In Grant ist es noch schlimmer. Die Chiricahuas kommen von den Dragoons herauf, und ein Teil der Aravaipas ist auch unzufrieden. Einen Unterhäuptling namens Antone jagen wir schon seit Monaten.«

»Phil«, sagte sie. »Vielen Dank für deine Briefe. Sie waren mir immer ein Trost.«

»Manchmal habe ich gehofft, sie würden dir so viel Heimweh machen, dass du zurückkommst. Drei Jahre waren eine lange Zeit, Eleanor.«

Sie stützte sich mit den Händen auf den Wagensitz, um die Stöße des rauen Weges abzudämpfen, und sah ihn mit zärtlichem Ernst an. Er war ein Mann, der selten lächelte und den sein Ehrgeiz hart zu sich selbst, aber manchmal auch hart gegen andere machte. Diese Härte zeigte sich in der kalten Schwärze seines Blickes und in den festen Linien um seinen Mund. Auf dem ganzen Wege nach Westen hatte Eleanor sich vor dieser Begegnung gefürchtet. Jetzt aber, wenn sie ihn ansah, fürchtete sie sich nicht mehr. Eine leise Erregung ließ ihr Herz schneller schlagen. Nichts hatte sich geändert seit dem Tage, an dem sie ihn, frisch von West Point kommend, in Fort Stanton hatte hineinreiten sehen.

Sie zogen weiter durch die Hügel nach Süden, und die steigende Hitze deutete darauf hin, dass sie tiefer kamen. Dann und wann erreichten sie ein trockenes Bachbett und folgten ihm in irgendeine Schlucht, in der die Sonne verschwand und die Hufschläge von Wand zu Wand widerhallten. So zogen sie weiter. Nachts

sicherten Posten nach allen Seiten die kleine Gruppe, und am Tage suchten die Männer aufmerksam die Hänge ab.

An einem Nachmittag kamen sie auf eine von Bergen eingesäumte Wiese und zu einer Hütte, deren Tür und Ölpapierfenster aufgerissen waren. Im Hof lag ein noch warmes totes Pferd, und Rauchgeruch haftete noch in der Luft. Castleton und Hanny gingen in die Hütte und kamen bald wieder heraus. Castletons Augen waren ganz schwarz vor Zorn.

»Gott weiß, was Bill Lay zugestoßen sein mag. Es ist erst vor zwei Stunden passiert. Hanny, schicken Sie Flankensicherung auf die Steilhänge.«

Kurz vor Einbruch der Dämmerung kam Castleton wieder zum Wagen geritten und wies auf den schlanken Stamm eines Sahuaro-Kaktus etwas höher am Hang. Ein Indianerpfeil war dort bis zum gefiederten Ende eingedrungen.

Am Abend kampierten sie in einer Senke. In der späten Dämmerung knirschte der Kies unter Pferdehufen. Die Soldaten fuhren hoch und ergriffen ihre Gewehre. So blieben sie, bis eine Gruppe von Kavalleristen aus einem Canyon auftauchte. Castleton ging der Abteilung entgegen und fragte: »Glück gehabt, Benteen?«

Der Offizier saß in einer müden, gelockerten Schlaffheit im Sattel. Er war groß und schmalhüftig und trug keine Schulterspange, also war er Sekondeleutnant. Das Abzeichen auf seinem Reiterhut besagte, dass er zur I-Abteilung ihres Regiments gehörte.

Da sie durch und durch eine Tochter der Armee war, bemerkte Eleanor diese Einzelheiten zuerst, und erst nachher erwachte ihr Interesse, den Mann selbst zu betrachten. Seine blaue Uniform war staubbedeckt, und der Schweiß hatte diesen Staub auch auf seine sonnengebräunten Wangen geklebt. Er hatte sehr lange Beine, und seine Haare waren sandrot. Aus zwei grauen, müde blickenden Augen musterte er sie einen Moment und schaute dann wieder Castleton an.

»Bisher war es nur ein Spazierritt«, sagte er mit einer weich und lässig klingenden Stimme. »Antones Bande kam hier entlang und hat sich dann zerstreut.«

»Sie haben vor kurzem Bill Lays Ranch verbrannt«, sagte Castleton.

»Wir werden es uns ansehen«, erwiderte Benteen.

Er wandte sich im Sattel um und blickte die sechs müden Reiter an, die er mit sich führte. Eleanor erkannte, dass er in der Art eines guten Offiziers ihre Leistungsfähigkeit prüfte. Dann hob er die Hand, trieb sein Pferd zum Galopp an und kam mit locker schwingenden Schultern wenige Yards an ihr vorbei. Er zog den Hut, sah sie direkt und ohne zu lächeln an und war bald darauf im Dunkeln verschwunden.

Als Castleton zurückkam, fragte sie: »Wer war das?«

»Tom Benteen, Sekondeleutnant der I-Abteilung«, sagte er knapp. »Er kam vor einem Jahr zum Regiment.«

Eleanor erkannte sofort, dass er Tom Benteen nicht leiden konnte. Da sie die Reibereien in der Armee gründlich kannte, registrierte sie diese Erkenntnis in ihrem Kopf und blieb stumm.

Im Morgengrauen des nächsten Tages waren sie schon wieder unterwegs. Sie erreichten den San Pedro und folgten seinem knochentrockenen Bett durch ein flaches Tal. Kurz vor Einbruch der Nacht erreichten sie die Vereinigung des San Pedro mit dem wasserlosen Aravaipa Creek. Das war die Stelle, an der die Adobe-Häuser und Zelte von Camp Grant ein freundlich belebtes Viereck auf dem hartgebackenen Boden bildeten.

Lichter schimmerten durch die blauen Abendnebel, und Männer kamen aus den Quartieren, als die Abteilung anhielt. Vor der mit Zweigen bedeckten Veranda - der Ramada - des längsten Adobe-Hauses salutierte Lieutenant Castleton.

»Sir, Lieutenant Castleton meldet sich von Fort Apache zurück. Ihre Tochter ist hier.«

Eleanor sprang vom Wagen und sah ihren Vater im Schatten der Veranda stehen. Er sagte nichts und regte sich auch nicht. Er hatte den Hut abgenommen, und im Näherkommen bemerkte sie, dass er in den drei Jahren völlig grau geworden war. »Meine Tochter«, sagte er nur und streckte die Arme nach ihr aus.

Sie weinte nicht gleich, als sie ihn küsste, aber ein überwältigendes Gefühl schnürte ihre Kehle zu. Die gleiche Empfindung hatte sie gehabt, wenn sie als kleines Mädchen Schutz und Trost bei ihm gesucht hatte.

Dann trat sie zurück und lächelte ihn unter Tränen an. Mit einem Male überfiel sie die traurige Erkenntnis, dass ihre Mädchenzeit mit all ihrem sanften, inneren Glück für immer verschwunden war.

»Du hast dich nicht verändert, Dad«, sagte sie hastig.

Er war ein vierschrötiger, ältlicher Mann, der sie jetzt mit einem sanften Lächeln betrachtete.

»Du siehst jetzt fast wie deine Mutter aus, als sie einundzwanzig war. Ich muss schon sagen, du bist eine sehr hübsche Frau geworden, Eleanor.«

 

 

 

 

  Zweites Kapitel: Trompetenruf

 

 

Eine Frau trat langsam aus dem Schatten der Ramada, und Major Warren sagte schnell und höflich:

»Eleanor, das ist Harriet, Mixlers Frau. Sie war bisher die einzige weiße Frau im Camp.«

Harriet Mixlers Augen waren groß und rund, und ein Ausdruck von Bitternis lag auf ihrem Gesicht.

»Es ist nett, Sie hier zu haben, Eleanor«, sagte sie leise.

»Wenn Sie Eleanor ihr Zimmer zeigen würden«, sagte Warren und trat vor, um die Abteilung zu inspizieren.

Die beiden Frauen gingen durch die niedrige Tür und traten in die schale, schwüle Hitze eines Zimmers. Im Lampenlicht waren der festgestampfte Erdboden zu sehen und die Zwischenwände, die andere kleine Räume abteilten.

Harriet ging in eines dieser Zimmer voran und blieb sich umwendend stehen.

Mit einer müden Geste wies sie auf ein eisernes Feldbett, einen Stuhl und einen Schrank aus Kistenbrettern. Zwei Bahnen neue Chintzvorhänge hingen an dem schmalen, kleinen Fenster.

»Ihr Vater wollte, dass ich es etwas wohnlicher mache, Eleanor. Mehr konnte ich nicht tun.«

»Sie müssen nicht vergessen, dass ich an solchen Orten groß geworden bin. Ich liebe das.«

»Und ich hasse das«, erwiderte Harriet.

Ihre Stimme hatte den weichen Klang der Südstaaten. Sie war ein schönes, schwarzhaariges Mädchen mit klaren, ausdrucksvollen Zügen gewesen. Offenbar war sie die Tochter eines Plantagenbesitzers und einst ein lebhaftes, heiteres und temperamentvolles Geschöpf gewesen. All das war verschwunden - wie Eleanor voller Mitleid sah.

»Ich habe die Tage gezählt, bis ich wieder hier sein konnte«, sagte Eleanor. »Es wird Ihnen hier auch noch gefallen, ganz bestimmt.«

»Niemals«, sagte Harriet. »Ich hasse die ganze Armee. Noch ein Jahr, und ich bin eine alte Frau mit einer Lederhaut und einem ruinierten Teint. Ich sitze hier in dieser abscheulichen, unerträglichen Hitze und hasse meinen eigenen Anblick. Ich hätte von hier Weggehen sollen. Jetzt ist es zu spät. Bis Tucson sind es fünfundfünfzig Meilen, und auch dort gibt es nichts als schmutzige Hütten. Bis Fort Apache sind es über hundert Meilen, und dort ist es nicht besser als hier. Es ist, als ob man lebendig begraben wäre.« Mit ihren großen, dunklen, unglücklich aussehenden Augen starrte sie Eleanor an. »Wissen Sie, wovor ich mich am meisten fürchte? Doc Shiraz ist drei Viertel der Zeit mit der Truppe unterwegs. Wenn die Zeit für mein Baby da ist, wird er wieder fort sein. Ohne ihn werde ich aber sterben. Meine Mutter ist an mir gestorben. Sogar die Indianer behandeln ihre Frauen besser als die Regierung die Offiziersfrauen.«

Plötzlich legte sie beide Arme um Eleanor und ließ den Kopf sinken. Ihr ganzer Körper zitterte, als sie erstickt weinte.

»Es ist ein Segen, dass Sie da sind. Ich fürchte mich ja so - so sehr.«

Eleanor legte den Arm um die Schulter der Frau.

»Nichts wird geschehen, Harriet«, sagte sie tröstend. Männerstimmen drangen von draußen durch die Nacht. Stiefel

stampften über die hartgebackene Erde, und Harriet trat zurück und glättete ihr Haar.

»Ich muss schrecklich aussehen«, flüsterte sie, als sie mit Eleanor in das große Zimmer zurückging.

Eben kam Warren mit Captain Harrison von der I-Abteilung. Harrison war ein grobknochiger Mann mit roter Nase und kurzgeschorenem schwarzem Bart. Seine undurchdringlichen braunen Augen leuchteten auf - eine Seltenheit bei ihm.

»Verdammt, vielleicht haben wir jetzt hier auch etwas mehr Vergnügen«, sagte er.

Aus der anderen Ecke des Zimmers sagte eine Stimme:

»Es gibt gehacktes Beefsteak, Miss Eleanor.«

»Cowen!«, rief das Mädchen erfreut.

Cowen trug einen schwarzen Tuchanzug und ein weißes, gestärktes Hemd. Auf seiner Weste klirrten leise die riesigen Glieder einer Uhrkette. Sein Haar war mit Pomade sorgfältig an den Kopf geklitscht und sein Schnurrbart gewachst. Er zeigte so viel Freude, wie das bei dem hölzernen Ernst seines Gesichts überhaupt möglich war. Cowen war seit 1863 der Koch der Warrens, und er konnte sich den meisten Anteil an Eleanors Erziehung durch das Stadium der staksig langen Beine und der schlechten Grammatik hindurch zugutehalten.

Jetzt schüttelte er ihr die Hand mit jener Förmlichkeit, die seinen Anschauungen von gutem Benehmen in der Öffentlichkeit entsprach.

»Dinge muss ich Ihnen über dieses Regiment erzählen«, sagte er leise. »Dinge...« Er hob vielsagend den Kopf und ging.

Die anderen Offiziere der beiden Kompanien kamen: Ray Lankerwell, Howell Ford und Dr. Shiraz, der flammend rote Koteletten trug.

»Du bist immer noch eine Tochter der Armee«, sagte Shiraz und forderte seinen Kuss. Dann wandte er sich sofort Harriet zu und zog sie sanft auf einen Stuhl. »Harriet, ich möchte, dass Sie heute Abend etwas Wein trinken.«

Sie klammerte sich an seinen Ärmel.

»Bleiben Sie die nächsten zwei bis drei Wochen bestimmt hier?«

»Ich werde hier sein«, sagte er mit seiner tiefen Stimme. »Ganz bestimmt.«

Cowen brachte das Abendessen, und man setzte sich zu Tisch. Warrens Gesicht wirkte jung und heiter, als er das Glas hob. »Auf dich, Eleanor«, sagte er.

»Auf unsere Eleanor«, fügte Dr. Shiraz hinzu.

»Und auf Harriet«, fuhr Warren sanft fort.

Als alle getrunken hatten, entwickelte sich eine lebhafte Unterhaltung. Nur Castleton schien von der allgemeinen Heiterkeit nicht angesteckt zu werden. Während sich die anderen entspannten, straffte er sich, als dürfte er sich auch jetzt nicht gehenlassen oder als ob ihn seine starke Energie ständig in einer düsteren, ungeduldigen Stimmung hielte.

»Dr. Shiraz, wollen Sie morgen mit mir in die Hügel reiten?«, fragte Eleanor.

Major Warren legte das Messer weg und sagte betont:

»Wir sind hier nicht in Stanton, Eleanor. Niemand verlässt das Fort, es sei denn mit einer Eskorte. In diesem Augenblick sind Apachen keine zehn Schritt von unseren Posten entfernt. Wenn du morgen über die Palisade hinwegschaust und einen Yucca-Klumpen siehst, dann ist die Möglichkeit sehr groß, dass der Kopf eines Apachen darunter steckt. Vor zwei Tagen haben wir einen Fahrer verloren, der sich nur vierzig Yards von den Ställen entfernt hatte. Wir fanden ihn mit einem Pfeil in der Brust. Es gibt keine Ausritte, Eleanor.«

Aus der Dunkelheit tönte plötzlich der Ruf eines Wachtpostens durch die Nacht.

»Corporal der Wache! Zu Posten Nummer eins!«, rief der Mann.

Major Warren entschuldigte sich und ging. Auf dem Paradefeld hörte man das Schnauben von Pferden. Major Warrens Stimme war zu hören. Er sprach freundlich und heiter, und jemand antwortete ihm im gleichen Tonfall. Die Soldaten traten weg, und Major Warren kam mit dem langbeinigen Lieutenant, den sie in der vorigen Nacht zwischen den Hügeln gesehen hatten. »Eleanor, ich stelle dir Mr. Benteen von der I-Abteilung vor. Meine Tochter Eleanor, Mr. Benteen.«

Benteen zog den Hut. Er war größer als jeder andere Offizier im Raum. Ein tagealter, rötlicher Bart bedeckte sein Gesicht, das mit Alkalistaub und eingetrocknetem Schweiß überzogen war. Seine grauen Augen und die Haltung seiner Schultern verrieten Müdigkeit. Die Wangenknochen traten stark hervor, und über die rechte Backe zog sich eine kleine Narbe.

Eleanor streckte ihm die Hand hin.

»Ich freue mich, dass Sie in dem Regiment sind, Mr. Benteen.«

»Ich warne dich, Tom«, sagte Shiraz. »Sie ist schon lange in der Armee und kennt die Vorschriften besser als die meisten Offiziere.«

Seine Hand war breit und fest an den Knöcheln. Er wirkte besonnen, und Eleanor erkannte, dass er sich bei allen Dingen Zeit ließ. So stand er auch jetzt da und sah sie fest an, als wolle er herausfinden, von welcher Art sie sei. Seltsamerweise hatte sie das Gefühl, dass er sie mit anderen Frauen verglich, die er gekannt hatte, und das zwang sie in eine Art Verteidigungsstellung und verwirrte sie. Als er schließlich lächelte, zeigte er seine festen, weißen Zähne.

»Man hat schon oft von Ihnen gesprochen«, sagte er in seiner ungezwungen wirkenden, langsamen Sprechweise. »Ich wollte, ich wäre damals schon in Stanton gewesen. So wie die Dinge liegen, habe ich jetzt einen sehr späten Start.«

Es war die höfliche Schmeichelei eines Mannes, und doch erweckte der Klang seiner Stimme ihre Neugier.

»Sind Sie auf Antones Fährte gestoßen?«, fragte Captain Harrison.

»Er hat sich jetzt achtzig Meilen weit in die Pinal-Berge zurückgezogen«, erwiderte Benteen. »Aber ich habe etwas über seine Gewohnheiten in Erfahrung gebracht, was bei der nächsten Jagd sehr wertvoll sein wird.«

Er trat zu Harriet Mixler und beugte sich etwas zu ihr hinab. Eleanor sah, wie sein Gesicht sanft wurde. Auch in seiner Stimme schwang ein Beiklang von Zuneigung mit.

»Ich habe gestern Georges Abteilung getroffen. Er wird morgen zurück sein.«

Eleanor bemerkte sehr wohl, wie die Nähe des Mannes auf Harrietst Gesicht einen Hauch von Freude zauberte. Das lag wohl an seiner Art, mit Frauen umzugehen, an dem Wissen, das er über sie besaß. Dann sah sie, wie Phils Blick Benteen flüchtig streifte, und wieder kam ihr zum Bewusstsein, dass er Benteen nicht leiden konnte. Seltsamerweise bekümmerte sie diese Erkenntnis.

Dann wandte sich Phil Castleton ihr plötzlich zu, und eine drängende Frage lag in seinem Blick.

»Major Warren«, sagte er in nervöser Hast. »Eleanor und ich haben unterwegs darüber gesprochen. Wir möchten heiraten und bitten um Ihr Einverständnis.«

Warren hatte eben eine mexikanische Zigarre in den Mund gesteckt. Jetzt nahm er sie in ehrlichem Erstaunen wieder in die Hand, und Dr. Shiraz ließ einen leisen Laut der Verblüffung hören.

Eleanor nahm Phils Arm. Die prüfenden Blicke der Anwesenden machten sie verlegen. Sie spürte die Starrheit in Phil Castletons Körper, so als spanne er sich gegen eine Gefahr, die ihm von den Menschen im Zimmer drohte. Etwas war hier eigenartig - etwas, das unausgesprochen in der Stille des Zimmers schwebte. Dann sagte ihr Vater nachdenklich:

»Das ist eine hübsche Neuigkeit. Natürlich habt ihr meine Einwilligung.«

Er bot Castleton die Hand und sah ihn in einer Art an, die Eleanor nie vergessen würde - in einer Art, die sie nicht einmal sich selbst erklären konnte. Harriet Mixler kam zu ihr herüber.

»Eleanor«, stammelte sie aufgeregt. »Eleanor...«

Ein Posten rief in der Dunkelheit irgendjemand an. Der Ruf wurde die Postenkette entlang zum Corporal der Wache durchgegeben. Stiefel stapften über das Paradefeld. Bis zu diesem Augenblick war es Eleanor nicht völlig bewusst gewesen, wie eng dieser Armeevorposten an das düstere Geheimnis dort droben zwischen den Hügeln gekettet war. All die Männer im Zimmer regten sich, als nähmen sie die Witterung einer Gefahr auf. Howell Ford schlüpfte zur Tür hinaus und kam gleich darauf wieder zurück.

»Nachee ist da - er will irgendetwas.«

Warren trat ins Freie, und die anderen Offiziere folgten ihm sofort.

Eleanor und Harriet beobachteten von der Tür aus die Szene auf dem Paradefeld. Ein Mann kam mit einer Laterne herangelaufen. In ihrem Schein sah Eleanor den Apachen, dessen Gestalt halb von den Offizieren verdeckt war. Er trug Hemd, Hose und Mokassins mit heruntergerollten Leggings. Ein Stirnband hielt sein pechschwarzes Haar zurück. Seine Augen glühten im Lampenlicht. Über dem Rücken trug er einen Sack.

»Wo ist Manuel Dura?«, rief Warren.

Ein Zivilist trat aus dem Schatten und ging zu der Gruppe hin.

»Stellen Sie fest, was er will«, sagte Warren.

Manuel Dura sprach in einem weichen, gleitenden Tonfall und fuchtelte dabei mit einem Finger vor dem Gesicht des Apachen herum. Die Züge des Indianers blieben unbewegt, als er rasch antwortete.

»Er will nicht sprechen, bis Nantan Langbein kommt«, übersetzte Dura. »Er kennt ihn von allen Offizieren am besten.« Benteen hatte an der Ecke des Hauses, etwas abseits von der Gruppe gestanden. Jetzt trat er vor. Der Indianer sprach, und Dura verdolmetschte.

»Major, er sagt, Sie wollten den Indianer haben, der den Fuhrmann getötet hat. Nachee ist ein guter Indianer, aber der andere ist böse. Deshalb bringt Nachee Ihnen den bösen.« Benteen sagte etwas in der Apachen-Sprache, und der Indianer hob den Kopf und brummte etwas. Dann warf er den Sack von der Schulter. Ein Gegenstand schlug dumpf auf den Boden, und Castleton trat schnell vor, um ihn vor den Frauen zu verbergen. Er war aber nicht schnell genug gewesen. Eleanor wandte sich hastig zu Harriet. Ihr selbst war übel geworden, aber sie versuchte, Harriet die Aussicht zu versperren. Aus dem Sack war der abgetrennte Kopf eines Apachen gerollt.

»Was war das?«, fragte Harriet flüsternd,

»Ich habe es nicht gesehen«, antwortete Eleanor.

Der Indianer schlüpfte lautlos in die Dunkelheit hinein. Dr. Shiraz bückte sich, schob den Kopf wieder in den Sack und nahm ihn auf.

»Ein ausgezeichnetes Exemplar«, sagte er kühl und schritt über das Piradefeld auf sein Quartier zu.

Die anderen Offiziere trennten sich, und Major Warren kam zurück. Er sah Harriet an.

»Er hat mir einen zerbrochenen Krug gebracht«, log er sofort. »Das ist das indianische Zeichen dafür, dass einer seines Stammes bestraft wurde.«

Dann trat er ins Zimmer und schenkte Wein ein. Castleton war an der Tür stehengeblieben und sah Eleanor an.

»Ich sehe dich morgen«, sagte er und ging.

»Gehen Sie mit mir zu meinem Haus zurück«, bat Harriet.

Sie gingen an der dunklen Reihe der Offiziershäuser entlang, und Eleanor wartete, bis Harriet in ihrem Haus das Licht angezündet hatte. Dann schlenderte sie langsam zurück. Hier und dort erloschen bereits die Lichter in den Häusern und Baracken. Der Geruch von den nahen Ställen, von Sage-Busch und frisch gebackenem Brot, von Leder und Leinwand - all die vertrauten Gerüche eines Armeelagers drangen in Eleanors Bewusstsein und hießen sie willkommen.

Am Haus ihres Vaters wartete eine dunkle Gestalt auf sie. Ihr Herz schlug ein wenig schneller, als Castleton sie ansprach.

»Eleanor«, sagte er und trat zu ihr. »Eleanor - Gott weiß, wie froh ich bin, dass du hier bist. Ich bin einsam gewesen.«

In der Dunkelheit war seine Zurückhaltung verschwunden. Er schloss sie in die Arme und küsste sie, und eine Weile lang dachte sie nichts anderes. Nach drei Jahren des Wartens hatte sie sich gewünscht, dass es so sein sollte.

»Du wirst nicht länger einsam sein«, murmelte sie und trat zurück. »Gute Nacht, Phil.«

»Gute Nacht.«

Sie sah, wie er an den Offiziershäusern entlang zu seinem eigenen kistenförmigen Adobe-Bau ging. Sie selbst trat ins Haus. Ihr Vater wartete auf sie. Er hatte etwas auf dem Herzen. »Ich muss daran denken, dass ich mich vielleicht nicht ganz richtig ausgedrückt habe«, begann er vorsichtig. »Als Castleton die Neuigkeit berichtete, hat es mir altem Mann die Rede verschlagen. Aber du weißt ja, wie ich empfinde. Es ist wirklich hübsch zu wissen, dass du im Regiment bleibst.«

»Wie ist Mr. Benteen zu uns gekommen?«, fragte sie.

Verblüfft sah er sie an und versuchte, den Sinn dieser Frage zu ergründen.

»Nun, Benteen hat sich im Bürgerkrieg als einfacher Soldat hochgearbeitet und ist einer Berufung des Präsidenten nach West Point gefolgt. Im Krieg hat er sich glänzend geschlagen. Man wies ihn dem Ingenieurkorps zu, unsere Waffengattung gefiel ihm aber besser, und er ließ sich versetzen. Er ist ein guter Soldat durch und durch.«

»Steht er im Rang über Phil?«, fragte sie.

»Ja.«

Sie wusste, dass er über dieses Thema nichts mehr sagen würde. Als sie in ihr Zimmer ging, hörte sie seine gemurmelten Worte: »Sie steckt schon wieder bis zum Hals im Regimentsklatsch!« Eleanor kleidete sich aus, hüllte sich in ihren Schlafrock und ging zu ihrem Bett am Fenster zum Paradefeld. Das Gesicht den Sternen zugewandt, lauschte sie auf die verhallenden Geräusche im Lager. Dann kam ihr Vater durch die Dunkelheit und ließ sich mit einem langen Seufzer auf sein Bett sinken. Endlich löste eine schwache, kühle Brise die erstickende Hitze ab und schaffte wenigstens etwas Erleichterung. In einer fernen Ecke des Paradefeldes begann ein Trompeter den Zapfenstreich zu blasen. Die kräftigen, melancholischen Töne schwangen weit durch die Dunkelheit. Ringsum im Lagerviereck erloschen die Lichter, und nur die Schritte der Posten waren noch zu hören.

So schlief Eleanor ein.

»Major Warren!«, rief eine erregte Stimme.

Eleanor erwachte und fuhr steil in die Höhe. Gestalten liefen über das Paradefeld.

»Der Summerton-Wagenzug, drunten im Canyon!«, rief jemand.

Eine Trompete blies das Alarmsignal und Lichter flammten auf.

»Ich bin durchgekommen«, sagte eine erschöpfte Stimme. »Die übrigen - ich weiß nicht...«

Lieutenant Benteens kräftige Stimme war nicht zu verkennen, als er rief:

»McSween - heraus mit den Männern!«

 

 

 

 

  Drittes Kapitel: Im Canyon

 

 

Das lange weiße Nachthemd ihres Vaters glitt durch die Dunkelheit. Benteen kam über das Paradefeld gelaufen.

»Nehmen Sie die ersten zwanzig Mann, die fertig sind«, sagte Warren. »Reiten Sie mit ihnen los. Kennen Sie den Ort?«

»Jawohl, Sir! Es ist im Canyon!«, rief Benteen und war schon wieder weg. Seine Stimme dröhnte durch die Nacht. »McSween, sammeln Sie zwanzig Mann - ganz gleich von welcher Abteilung. Oldbuck, lassen Sie Extrafeldflaschen füllen!«

»Dr. Shiraz, Sie begleiten die Abteilung!«, befahl Warren.

Auf der Mitte des Paradefeldes sammelten sich schon die Reiter. McSweens metallische Stimme trieb sie an. Castleton kam zu Warren. Eleanor hörte die Erregung in seiner Stimme. »Bekomme ich die Erlaubnis, mitzureiten, Major?«

»Sicher, sicher«, sagte Warren.

Dann lief er auf das Haus zu und fluchte leidenschaftlich, als er mit den nackten Zehen gegen eine Verandastufe stieß. Eleanor kauerte auf ihrem Bett, und trotz der Schwüle der Nacht fror sie. Die Reiter kamen mit den Pferden angelaufen. Dann zählten sie ab.

»Fertig zum Aufsitzen!«, ertönte das Kommando.

Sie hörte, wie sie sich in die Sättel schwangen.

»Doppelreihe rechts - marsch!«

Dann ritten sie an ihr vorbei.

»Galopp!«, befahl Benteen mit fester, kühler Stimme.

Die Abteilung jagte davon. Die Hufe hämmerten über das Paradefeld, und Staub stieg hoch.

»Eleanor!«, rief Harriet. »Eleanor!«

Das Mädchen antwortete noch nicht. Sie hörte, wie die Abteilung das Trockenbett des San Pedro erreichte, über den Kies jagte und weiter nach Südwesten ritt. Als dann die Geräusche verstummt waren, ging sie zu Harriets Bett und beugte sich darüber. Harriet zitterte und packte Eleanors Arm.

»Gehen Sie nicht fort«, stieß sie hervor. »Bleiben Sie hier bei mir.«

 

Benteen führte seine Abteilung weiter nach Süden und folgte dabei dem tief ausgefahrenen Frachtweg nach Tucson. Solange der Weg offen war, ließ er den Galopp beibehalten. Sie kamen vorüber an den Lichtern der Valley-Ranch und ritten weiter durch die Nacht, aus der Paloverde-Bäume und Pitahayas gespenstisch hochragten. Dann ritt die Abteilung durch das Kiesbett eines Wasserlaufes und verfiel in Schritt. Dr. Shiraz ritt am Ende der Kolonne.

Castleton holte Benteen ein und fragte:

»Wer war es?«

»Zwei Wagen mit Vorräten für die Summerton-Ranch. Es waren vier Mann. Die Wagen wurden verbrannt und die Maultiere getötet. Von den Männern weiß ich nichts.«

»Ich verstehe nicht, wie Oldtimer in einen Hinterhalt reiten konnten«, sagte Castleton unwillig. »Die Leute werden zu unvorsichtig. Natürlich wird es wieder Antone gewesen sein. Sie sagten doch, Sie hätten ihn in die Pinal-Berge verfolgt.«

»Vielleicht habe ich mich geirrt.«

»Vielleicht«, antwortete Castleton.

So war es: Benteens Gegenwart reizte ihn immer; sie weckte in ihm eine Verstimmung, die er nicht völlig verbergen konnte. Die ganze Art dieses Mannes, der sich bis zur Gleichgültigkeit lässig und ruhig benahm, widersprach seiner eigenen Auffassung über das Verhalten eines Offiziers. Nach seiner Meinung war Benteen schlaff und ungezügelt, und er hatte nichts von jener harten Hingabe und dem Pflichtgefühl, die ihn selbst beseelten. Und doch hielt man den Mann für den besten Indianerkämpfer im ganzen Regiment.