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Deutsche Erstausgabe (ePub) Juli 2018

 

Für die Originalausgabe:

© 2009 by H.J. Brues

Titel der amerikanischen Originalausgabe:

»Warriors and Healers«

 

Originalverlag:

Published by Arrangement with Dreamspinner Press LLC, 5032 Capital Circle SW, Ste 2, PMB# 279, Tallahassee, FL 32305-7886 USA

 

Für die deutschsprachige Ausgabe:

© 2018 by Cursed Verlag

Inh. Julia Schwenk

Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das der Übersetzung,

des öffentlichen Vortrags, sowie der Übertragung

durch Rundfunk und Fernsehen, auch einzelner Teile,

Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit

Genehmigung des Verlages.

 

 

Bildrechte Umschlagillustration

vermittelt durch Shutterstock LLC; iStock

Satz & Layout: Cursed Verlag

Covergestaltung: Hannelore Nistor

 

ISBN-13: 978-3-95823-702-5

 

Besuchen Sie uns im Internet:

www.cursed-verlag.de


 

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Aus dem Englischen von Anne Sommerfeld

 


 

Liebe Leserin, lieber Leser,

 

vielen Dank, dass Sie dieses eBook gekauft haben! Damit unterstützen Sie vor allem die Autorin des Buches und zeigen Ihre Wertschätzung gegenüber ihrer Arbeit. Außerdem schaffen Sie dadurch die Grundlage für viele weitere Romane der Autorin und aus unserem Verlag, mit denen wir Sie auch in Zukunft erfreuen möchten.

 

Vielen Dank!

Ihr Cursed-Team

 

 

 

 

Klappentext:

 

Als Dr. Daniel Ugarte an seinem neuen Arbeitsplatz, einem Apachen-Reservat, eintrifft, rechnet er mit allem, aber nicht mit dem Interesse, dass der indianisch-stämmige Sozialarbeiter Jeff Redbear und der örtliche Sheriff Sean McCallum in ihm wecken. Seine Gefühle bleiben nicht unbeantwortet, doch alle drei Männer haben ihr Päckchen zu tragen. Sean kämpft mit der Last der Verantwortung für die Sicherheit der Gemeinde und der Männer, die er liebt. Jeffs Stolz und Zukunftsangst stehen ihm zu oft im Weg. Und Daniel wird mehr und mehr von seiner Vergangenheit eingeholt, die ihre aufkeimende Beziehung zusätzlich belastet. Doch das Band, das das Schicksal zwischen den so ungleichen Männern geschmiedet hat, wird stärker und lässt sie nicht mehr los – denn die Alternative wäre ein einsames, unerfülltes Leben.


 

 

 

 

Für meinen Vater,

der nie aufgehört hat, mich zu fragen:

»Wann wirst du einen Roman schreiben?«

 

Für meine Mutter, die so wundervolle

Briefe geschrieben hat.

 

Und für Marta, die es immer wusste.

 


 

Kapitel 1

 

 

Jeff hob noch einmal den Kopf, um die Ankunftszeiten auf der Anzeigetafel vor sich zu überprüfen. Das Flugzeug sollte in wenigen Minuten landen, genau der richtige Zeitpunkt, um das Schild loszuwerden, auf dem der Name des neuen Arztes in großen, schwarzen Blockbuchstaben stand. Ugarte, stand darauf geschrieben und er hatte sich gefragt, wie man den Namen wohl richtig aussprach. Immerhin lautete der Vorname des Doktors Daniel, sodass er einen würdevollen Ausweg hatte, auch wenn man im Spanischen die Silben ganz anders betonte. Er hoffte, dass man es ihm leicht verzeihen konnte, vor allem wenn der Doktor ein typischer Freiwilliger der NGO war – Bart, Sandalen, mit einer entspannten, unbekümmerten Einstellung.

Mit seinem Anruf hatte Jeff seine letzte Karte ausgespielt und konnte noch immer nicht glauben, dass die berühmte NGO seinen Hilferuf gehört und den Doktor sofort auf den Weg geschickt hatte. Nicht, dass die medizinische Lage seines Volkes nicht schon beschämend und desaströs genug war, aber Jeffs Berichte waren von einer Behörde zur nächsten gereicht und höflich abgelehnt worden.

Deshalb war der Anruf eine Überraschung gewesen, die ihnen Geld, Vorräte und, was noch wichtiger war, einen ausgebildeten Arzt gebracht hatte, auch wenn er nur für ein paar Monate bleiben würde. Es war ein Anfang und die Aufmerksamkeit, die er bekommen würde, weil die NGO ihre Situation als kritisch einstufte, würde vielleicht ausreichen, um die ansässigen Behörden beschämt handeln zu lassen, damit sie ihr Gesicht wahren konnten.

Er hoffte nur, dass der Mann in dieser kurzen Zeit das Vertrauen seiner Leute gewinnen konnte. Jeff wusste, wie sie dachten, und hatte ziemliche Angst, dass sie ihn ausschließen würden, egal wie sehr sie einen Arzt brauchten.

Vielleicht würde die Tatsache helfen, dass er Ausländer, ja sogar Europäer war, vor allem, wenn ein Spanier dem braun gebrannten, dunkelhaarigen Bild entsprach, das die Nachbarn von ihnen hatten.

Der Lautsprecher kündigte den Landeanflug an. Jeff hatte getan, was er konnte und es würde nicht helfen, wenn er sich weiter Sorgen machte. Mit seinem grimmigen, entschlossenen Blick, der ihm den Respekt seiner Leute eingebracht hatte und normalerweise an überfüllten Orten sehr nützlich war, weil die Vorbeigehenden sofort den Weg frei machten, als wäre er eine Naturgewalt, die plötzlich auf dem kleinen Flughafen wütete, schritt er durch das Gate.

 

Daniel schnappte sich seinen Koffer und machte sich auf den Weg, allerdings langsamer, als er vorgehabt hatte, weil sein Körper nach einem zwölfstündigen Flug und dreimaligem Umsteigen einfach nicht mitmachen wollte. Die Überstunden der letzten Tage halfen auch nicht, seine Situation zu verbessern – wie Raúl festgestellt hatte –, aber er arbeitete schließlich nicht in einem Büro; er konnte nicht einfach aufstehen und gehen und einen Papierstapel auf seinem Schreibtisch zurücklassen. Du musst dich nicht umbringen, um andere Menschen gesund zu machen, hatte ihm sein bester Freund mit wütender Stimme gesagt, aber Daniel wusste, dass er nicht schlafen konnte, wenn er nicht alles gab, was er hatte. Obwohl er es in letzter Zeit vielleicht übertrieben hatte.

Nachdem Estela gegangen war, hatte er zusätzliche Schichten übernommen, um seinen Kopf zu beschäftigen und ihrem Bild von ihm gerecht zu werden: dass er ein Arzt war, der rund um die Uhr Hausbesuche machte und keine Zeit für berufliches Weiterkommen oder medizinische Forschung hatte. Medizinische Forschung?, hatte Raúl geschnaubt. Ich wette, dass sie behauptet, das mit diesem plastischen Chirurgen zu tun. Daniel hatte versucht, ihn streng anzusehen, aber die Art und Weise, wie sein Freund auf Estela schimpfte, half ihm, egal wie falsch es war. Es half, dass er sich weniger schuldig und verletzt fühlte.

Er schob die Laptoptasche auf die andere Schulter. Verdammt, er war so müde. Immerhin hatte er Raúls Rat – oder eher seine Anweisung – befolgt, als er ihn mit diesem Ich-weiß-es-besser-großer-Bruder-Blick angesehen und gesagt hatte: Kein Krieg, keine Katastrophe in diesem Jahr. Er glaubte nicht, dass er dieses Mal ein Feldlager würde aushalten können, so wie er sich vorwärtsschob, als wäre er ein zu schwerer Aktenkoffer.

Lustigerweise hatten sie genau den passenden Job, um Raúl das zu beweisen, und das am unerwartetsten aller möglichen Orte. Es würde seltsam werden, sehr seltsam. Allein der Gedanke an den Namen des Sozialarbeiters, den er hatte kontaktieren müssen, ließ Daniel den Kopf schütteln. Himmel. Wie sollte er jemanden Redbear nennen, ohne das Gefühl zu haben, den Mann zu beleidigen? Es war nicht einfach nur die Tatsache, dass er sich mit einer Kultur auseinandersetzen musste, die ihm fremd war; das hatte er schon früher getan. Das Problem war, dass er dieses Mal dumme Klischees im Gepäck hatte, was das Leben in einem Indianerreservat betraf. Er seufzte. Sie würden Geduld mit ihm haben müssen, aber andererseits standen sie auf derselben Seite, sodass schon alles glatt laufen würde. Im Moment konnte er nur darauf hoffen, dass jemand hinter dem Gate auf ihn wartete, selbst wenn er vorgeben musste, keinen Schlag ins Gesicht zu erwarten, wenn er dem Mann einen Tiernamen gab.

 

Passagiere strömten aus den geöffneten Schiebetüren. Jeff musterte die müden, erwartungsvollen Gesichter, während er das Pappschild vorsichtig von sich weg hielt. Er fühlte sich wie ein Gruppenleiter, der auf seine Horde Touristen wartete. Nicht, dass auch nur irgendjemand so weit reisen würde, um ein Reservat zu besuchen, das noch nicht einmal ein Casino hatte. Aber das beschämende Gefühl war trotzdem da. Er hoffte einfach, dass niemand wusste, dass er heute geschäftlich am Flughafen war.

Menschen mit Koffern liefen an ihm vorbei, aber bis jetzt war noch niemand dabei, der seiner Vorstellung des ausländischen Doktors entsprach. Vielleicht klammerte er sich zu sehr an Stereotype, aber vermutlich berechtigte ihn sein eigenes Aussehen dazu. Er konnte nicht verstecken, was er war, und hatte es auch nie versucht. Wenn er ehrlich war, achtete er immer darauf, dass er ein, zwei typische Klischees erfüllte, wenn er das Haus verließ.

Heute sah er besonders repräsentativ aus: seine langen, schwarzen Haare fielen ihm ungebändigt über die Schultern, das Flanellhemd stand offen, sodass der Medizinbeutel seines Großvaters sichtbar war, die ausgewaschene Jeans hing locker auf seinen Hüften und er trug staubige Cowboystiefel an den Füßen. Mit Sicherheit würde der Doktor keine Probleme haben, ihn in der Menge auszumachen, wenn er es denn irgendwann durchs Gate schaffte. Scheiße. Was dauerte denn da so lang?

Jeff ließ seinen Blick über die Passagiere schweifen und hätte beinahe laut gekeucht. Es war sehr lange her, dass er jemanden gesehen hatte, männlich oder weiblich, der so überwältigend attraktiv war. Der Kerl stach auf jeden Fall heraus. Er war nicht unbedingt groß, aber die Art, wie er sich bewegte, wie seine Kleidung seinen schlanken Körper betonte, wie alles, das er trug – Koffer und Tasche inklusive – sorgfältig ausgewählt war, um sowohl lässig als auch elegant zu wirken, zeugte von einem Hintergrund, der seinem gottverlassenen Fleck dieses Landes vollkommen fremd war. Ganz zu schweigen von der Wirkung, die er auf Jeff hatte. Ein sofortiges Verlangen, das sein Gehirn schmelzen ließ wie eine Explosion, eine Supernova.

Heiliger Herr im Himmel. Der Mann hatte eines der schönsten Gesichter, das er je gesehen hatte: auserlesene Züge und ein hübscher, makelloser Teint, sinnliche Lippen, große, grüne Augen, die ihn mit einer Intensität ansahen, die Jeffs Kehle trocken werden ließ, als sich ihre Blicke begegneten.

Einen Augenblick lang standen sie sich in einem Blickduell gegenüber, das der Fremde zu verlieren schien, als sich sein Blick auf das Pappschild in Jeffs Händen richtete. Jeff vergaß, dass er sich beschämt fühlte; er war zu sehr beschäftigt zu verhindern, dass seine Knie nicht unter ihm nachgaben.

Der Fremde hob erneut den Blick und Jeff musste ein paar Mal blinzeln, um sicherzugehen, dass er richtig sah. Auf dem Gesicht des Mannes lag ein Lächeln, daran gab es keinen Zweifel. Und es war nicht einmal nur ein Grinsen. Es war ein volles, entwaffnendes, sexy Lächeln, die Art, bei der man sich kurz umsehen wollte, ob man auch tatsächlich der Empfänger dieses Wunders war. Jeff drehte sich allerdings nicht um, weil der Fremde auf ihn zukam und er wie erstarrt auf der Stelle stand, mit der Pappe wie einen Schutzschild in der Hand.

»Hi, ich bin Daniel Ugarte.«

Es dauerte einen Moment, bis Jeff den einzelnen Satz verarbeitet hatte; so lang, dass der Mann auf das Schild mit dem großen Namen darauf deutete.

»Das bin ich«, sagte er und klang dieses Mal ein wenig unsicher.

Jeff riss sich aus seiner Trance und reichte dem Mann die Hand.

»Jeff Redbear. Willkommen in den Staaten.«

Er hätte sich selbst ohrfeigen können. Was für eine originelle Vorstellung. Den Mann schien es allerdings nicht zu stören. Er schien aufrichtig froh, ihn kennenzulernen oder hier zu sein oder was auch immer der Grund für sein breites Lächeln war. Vielleicht war diese Eigenschaft die einzige, die seinen Erwartungen entsprach. Er schien auf eine schnulzig-missionarische Art und Weise nett zu sein. Oder es lag eher an Jeffs wachsender Zurückhaltung, die ihn das glauben machen wollte.

Das passierte jedes Mal, wenn er interessante weiße Menschen kennenlernte, was ohnehin nicht oft geschah. Er fühlte sich bedroht. Natürlich wusste er, dass es absurd war, aber er konnte nichts dagegen tun. Er hatte den Mut aufgebaut, sich durch eine weiße Welt mit der Vorstellung zu bewegen, dass seine Kultur der dominanten in vielerlei Hinsicht unterlegen war.

Er war ehrlich stolz auf das, was er war, und dankbar, weil er viel zu oft gesehen hatte, was passierte, wenn man seine eigenen Wurzeln verachtete, um einen schlecht durchdachten Anpassungsversuch zu unternehmen. Seine Identität war gefestigt und er war zufrieden damit. Wenn allerdings etwas aus der anderen Welt seine Aufmerksamkeit auf sich zog, hatte er das Gefühl, sein Volk zu betrügen und seine Verteidigungsmechanismen gingen in Alarmbereitschaft.

»Ich weiß es wirklich zu schätzen, dass Sie hergekommen sind, um mich abzuholen. Ich fühle mich wie ein Musterbeispiel für den Jetlag.«

Da. Das war es. Natürlich war der Mann froh, dass jemand auf ihn wartete, nachdem er vielleicht zehn oder elf Stunden in einer wackelnden Metallbüchse verbracht hatte. Und dann war da Jeff, der sich wie ein totales Arschloch benahm. Verzweifelt suchte er nach Worten.

»Hatten Sie einen guten Flug?«

Super, Jeff. Wie lahm war das denn?

»Ja, er war sehr ruhig. Allerdings hab ich beim vierten Film mit Bruce Willis ernsthaft darüber nachgedacht, es mal mit Fallschirmspringen zu versuchen.«

Unwillkürlich musste Jeff lachen. »Hätte schlimmer kommen können. Als ich das letzte Mal mit dem Bus gefahren bin, musste ich die erste Hälfte von Der mit dem Wolf tanzt sehen. Zweimal.«

Der Doktor lachte. Von Nahem waren seine Augen atemberaubend. Er hätte nie gedacht, dass grüne Augen so dunkel sein konnten. Himmel. Er brachte sich besser wieder unter Kontrolle, denn er würde einige Monate mit diesem Mann verbringen. Ihn die ganze Zeit anzusabbern, konnte er sich nicht leisten.

Er beugte sich hinunter, um Daniel den Koffer abzunehmen und damit seine Verlegenheit zu kaschieren, aber der Mann ließ es nicht zu. Letztendlich trug er etwas, das sich wie ein Laptop anfühlte. Natürlich. Man hatte Jeff informiert, dass der Kerl ein hohes Tier in einem berühmten Krankenhaus war, der Leiter der Kindernotaufnahme oder so etwas in der Art. Sicher erwartete er, dass das Reservat WLAN hatte, oder zumindest einen ADSL-Anschluss. Tja, er musste sich auf eine Überraschung gefasst machen. Der nette Doktor würde wahrscheinlich in Ohnmacht fallen, wenn er das Haus sah, das Jeff für ihn aufgemöbelt hatte, damit er darin wohnen und arbeiten konnte.

Während sie in Richtung Ausgang liefen, bemerkte Jeff, dass er noch immer die Pappe trug und schmiss sie kurzerhand in den nächsten Abfalleimer.

Mach dich auf was gefasst, Großstadtjunge, dachte er, als sie über den Parkplatz gingen und schnaubte bei dem Gedanken an das Aussehen seines Pick-ups nach dem gestrigen Sturm. Er konnte es nicht erwarten, den Ausdruck auf dem Gesicht des Doktors zu sehen, wenn er erkannte, dass seine schicken Klamotten diesen matschigen, rollenden Haufen Müll berühren mussten.

 


 

 

Kapitel 2

 

 

Daniel sah aus dem Fenster des Pick-ups. Die Landschaft war eine dürre Abfolge von kleinen, nackten Hügeln, deren Konturen in der Hitze des frühen Nachmittags verschwammen. Es war auf eine trostlose Art wunderschön und ließ ihn sich klein fühlen – oder hätte es, wenn der Besitzer des Pick-ups ihm nicht schon so entschlossen gezeigt hätte, wie unbedeutend er war. Er fragte sich, was er getan hatte, um ihn zu verärgern.

Vom ersten Moment an hatten ihn Redbears Augen über seinen hohen Wangenknochen zum Wegsehen gezwungen. Und wie er das Pappschild mit seinem Namen darauf weggeschmissen hatte? Himmel. Er hätte genauso gut drauftreten können. Daniel hätte sich dadurch nicht schlechter gefühlt. Readbear, dass er nicht lachte; Redcoyote wäre ein passenderer Name gewesen.

Er wandte den Kopf und sah Jeff an. Der Sozialarbeiter hatte ein umwerfendes Profil. Tiefe, ausgeprägte Züge, stechende Augen, dickes, schwarzes Haar und glatte Haut. Er war schlank und groß und alles an ihm strahlte eine angespannte Konzentration aus, die ihn gefährlich wirken ließ.

Daniel lächelte. Er konnte sich vorstellen, wie seine schwulen Freunde überrascht die Brauen hochzogen. Tja, wie er es ihnen schon immer gesagt hatte, er war vielleicht hetero, aber nicht blind. Und dann würde Miguel Ángel ihm wie immer auf die Schulter klopfen und antworten: »Ja, ja, warte du nur ab und sieh, was passiert, wenn dir der richtige Adonis über den Weg läuft. Dir wird Hören und Sehen vergehen.«

Soweit Daniel sich auskannte, konnte er seinem Freund zustimmen. Er hatte immer geglaubt, dass Freuds Theorie von der angeborenen Bisexualität zutraf, aber seine sexuelle Orientierung war von seiner eigenen Erziehung sehr effektiv festgelegt worden. Wenn Estela ihn auch verlassen hatte, hatte es nichts mit ihrem Sexleben zu tun gehabt. Das war von Anfang an ziemlich befriedigend gewesen. Nein, es liegt einfach daran, dass sie dich nie geliebt hat, würde Raúl mit dem aufgebrachten Blick sagen, den er immer dann zeigte, wenn er sie erwähnte.

Ach, verdammt. Daniel hatte sich geschworen, nicht an Estela zu denken, bis der Schmerz verschwand, und trotzdem tat er es. Er war ein hoffnungsloser Fall.

»Ihr Englisch ist ziemlich gut. Wo haben Sie es gelernt?«

Jeffs Stimme erschreckte ihn. Was jetzt? Versuchte er etwa, nett zu sein? Es machte Daniel verrückt, wie er von vollkommener Verachtung zu Höflichkeit wechselte.

»Ich bin in England aufs College gegangen.«

Und bei diesen Worten konnte er förmlich hören, wie Jeffs Hirn zurückschreckte. Hervorragend. Er wusste nicht, was er sagen sollte, das sein eigenes Grab nicht noch tiefer grub.

»Keine Sorge. Bald werde ich Präpositionen verwechseln und französische Wörter einfließen lassen…«

Scheiße, scheiße, scheiße. Er hätte genauso gut sagen können, dass er Japanisch lesen konnte, Kanji und alles, was dazugehörte; das würde mit Sicherheit helfen.

»Hat Ihre Familie dort gelebt?«

Verdutzt sah Daniel ihn an.

»In England, als Sie dort studiert haben?«

»Oh, nein, nur ich.«

»Internat?«

»Ja, das komplette britische Klischee, von Uniformen bis Cricket.«

»Klingt lustig.«

Klar. Das Paradies auf Erden: allein in einem fremden Land, mit Unterricht in einer fremden Sprache und einem Haufen verwöhnter Kinder, die nie zugelassen hatten, dass er vergaß, dass er nicht aus England stammte. Was Daniel trotz seiner hellen Hautfarbe genauso zum Außenseiter gemacht hatte wie die indischen, arabischen und japanischen Kinder, die dort studiert, oder eher, sich versteckt hatten.

Aber selbst diese Kinder waren in den Ferien nach Hause gefahren. Er hatte dieses Glück nicht gehabt. Wenn Raúls Eltern nicht gewesen wären, hätte er sogar Weihnachten in den leeren gotischen Unterkünften verbracht.

War es nur Einbildung oder sah Jeff ihn seltsam an?

»Ich scheine allerdings eine seltsame Fish-and-Chips-Allergie entwickelt zu haben.«

So etwas wie ein Lächeln zeigte sich auf Redbears Gesicht.

»Ich bin allergisch gegen Zitronenwackelpudding aus der Cafeteria am College.«

»Das Zeug, das nach Pinienlufterfrischer schmeckt?«

»Jepp, genau das.«

Dann lächelte er. Was für ein Anblick, wie sich seine Mundwinkel hoben und seinem Gesicht die raubtierhafte Stille nahmen, die seinen Blick hatte angsteinflößend wirken lassen.

Die Straße wurde schmaler und der Pick-up rumpelte über die rissige Oberfläche. Schon seit einiger Zeit war ihnen kein anderes Fahrzeug entgegenkommen und Daniel fragte sich, ob sie eine alternative Route über eine weniger befahrene Straße nutzten.

»Ist das die Hauptstraße ins Reservat?«

Jeff schnaubte. »Schätze, das könnte man so sagen, wenn das Reservat irgendwas hätte, das man Haupt nennen kann.«

Angesichts des herablassenden Tonfalls wollte Daniel die Augen verdrehen, aber er verstand, wie Jeff sich fühlte. Menschen, die jeden Tag in Notstandsgebieten arbeiteten, mussten sich mit einem höheren Maß an Frustration herumschlagen und schlugen beim kleinsten Druck um sich. Es war nicht Daniels Schuld, aber er konnte es nachvollziehen.

Er konnte sich vorstellen, dass die Situation, die ihn hierher gebracht hatte, der Grund für Jeffs ablehnendes Verhalten war. An seiner Stelle wäre Daniel wütend gewesen; das war er immer, wenn er sich zu Hause mit der Bürokratie herumschlagen musste. Trotzdem hatte er eine Ahnung, dass Jeffs regelrechte Feindseligkeit eine persönlichere Ursache hatte, und das war etwas, das er nicht gut vertrug. Es war nicht seine Schuld, wenn das Leben scheiße war.

»Gefällt Ihnen die Landschaft?«

Er sah Jeff an und suchte nach einem Anzeichen von Spott. Sein Gesicht verriet keine Emotionen, also glaubte Daniel, dass er wieder zu seiner höflichen Seite gewechselt hatte.

»Ja, sie erinnert mich an ein Gebiet zu Hause, wo die Steine auch diese zermarterten Formen haben. Man kann unzählige Kilometer durch ausgedörrtes Land fahren, ohne einer einzigen Menschenseele zu begegnen und trotzdem spüren, dass der Ort voller Leben ist. Er hat seine eigene Schönheit, so wie ein kahler Zen-Garten.«

Erneut sah Jeff ihn seltsam an. Vielleicht lag es an der Art, wie Daniel sprach, wie er mit den Händen nach vorn deutete, um das Gesagte zu unterstreichen, oder es lag an seiner Wortwahl. Er konnte Jeffs Gesichtsausdruck nicht richtig deuten und das irritierte ihn. Er fühlte sich wie ein hirnloser Papagei.

»Um ehrlich zu sein weiß ich nur sehr wenig über Ihr Land. Wie ist es dort?«, fragte Redbear.

Daniel atmete schnaubend aus und entlockte Jeff damit ein Lächeln.

»Schwere Frage, hm?«

Daniel erwiderte das Lächeln. »Na ja, Spanien sieht sehr unterschiedlich aus, kommt darauf an, wo man ist. Ähnlich wie hier. Es gibt alle Farben vom Küstenblau bis zum Waldgrün, Schneeweiß bis Wüstenbraun und dementsprechend ändern sich die Menschen, sowohl was den Charakter angeht, als auch ihr Aussehen. Deswegen kann man nie wirklich sagen, wie Spanien oder die Spanier aussehen.« Daniel runzelte die Stirn. »Das hört sich an wie in einer Broschüre von der Touristeninformation.«

Jeffs Lachen war eine nette Überraschung, vor allem, da er jedes Mal dichtzumachen schien, wenn die Gefahr bestand, dass ein Gefühl seine stoische Miene veränderte. »Also, welche Art von Spanier sind Sie? Sie wirken nicht gerade wie der wüstenbraune Typ.«

Nun war es an Daniel zu lachen. »Das stimmt. In letzter Zeit habe ich so viele Nachtschichten übernommen, dass ich eher zur Fraktion Schneeweiß gehöre. Meine Familie kommt sowieso aus dem Norden, deshalb tendieren wir zu hellen Augen und heller Haut, aber ich werde sehr schnell braun. Wenn der Sommer kommt, sehe ich aus wie eine schwarze Katze.«

Unvermittelt schloss er den Mund. Nach seiner Erfahrung waren Amerikaner sehr empfindlich, was Hautfarben anging, und er vermutete, dass es nicht unbedingt klug war, neben einem Jicarilla-Apachen über seinen Teint zu plappern. Zerknirscht sah er zu Jeff, der ihn mit einer ehrlichen Neugier musterte.

»Dann sind Sie nicht aus Madrid?«

»Nein, ich lebe und arbeite seit einigen Jahren dort, aber ich wurde im Norden, in Navarra, geboren.«

»Haben Sie vor, irgendwann dorthin zurückzukehren?«

»Nein.«

Jeff schien darauf zu warten, dass er das genauer erklärte. Als sich stattdessen Stille ausbreitete, fühlte sich Daniel unwohl. Er hasste es, dieses Thema vor Fremden breitzutreten, allerdings wollte er auch nicht unhöflich erscheinen. Er rang sich gerade dazu durch, noch etwas hinzuzufügen, als Jeff das Wort ergriff.

»Ich glaube nicht, dass ich das könnte. Ich hab mich immer fehl am Platz gefühlt, wenn ich von hier wegmusste.«

»Was ist mit der Universität?«

»Na ja, es war auf eine Art sicher interessant, aber es hat nicht ausgereicht, um mich zu halten. Wenn überhaupt, hat es mich nur in meinem Glauben bestätigt, dass ich genau hierher gehöre.«

Daniel sah den Sozialarbeiter an, als würde er ihn zum ersten Mal sehen. Durch seine Arbeit als Freiwilliger hatte er häufig Menschen wie Jeff kennengelernt, Menschen, die die Möglichkeit hatten, verarmte Gegenden zu verlassen, es aber ablehnten, weil sie sich als Teil der Gemeinschaft sahen und genau wussten, wo und von wem sie am meisten gebraucht wurden. Das erfüllte ihn jedes Mal mit Demut und viel zu häufig mit Neid. Er hatte sich nie verbunden, angeschlossen oder eingebunden gefühlt.

Bevor seine Familie ihn völlig erdrücken konnte, hatte er die Verbindungen zu ihr getrennt und in einer Stadt gelebt, in der alle Menschen Fremde waren, in einem Krankenhaus gearbeitet, in dem die Patienten keine Namen, sondern Symptome hatten. Er verbrachte die ungeraden Monate mit Menschen auf der ganzen Welt, die er nie wiedersehen würde. Er wünschte sich, zu wissen, wo er hingehörte.

»Die Wahrheit ist, dass man diesen Ort nicht wirklich verlassen muss, um seinen Horizont zu erweitern.«

Daniel legte den Kopf schräg und musterte Jeffs Ausdruck, als dieser die Hand hob und auf die öde Landschaft deutete, die sich kilometerweit vor ihnen erstreckte.

»Wie Sie sehen können.«

Jeff sagte es so ernst, dass Daniel unwillkürlich lachen musste. Er war erleichtert, dass auch Jeffs Mundwinkel leicht zuckten. Vielleicht würde es doch nicht so schwer werden; vielleicht würden sie gut miteinander auskommen.

 


 

Kapitel 3

 

 

Sean McCallum sah durch sein Bürofenster auf den leeren Platz. Es war ihm ein absolutes Rätsel, warum sich vor dem Hauptquartier des Sheriffs eine Bank und ein Brunnen befanden. Aber beides war da und lockte ihn, hinauszugehen und die frühe Morgensonne zu genießen.

Seit dem ersten Tag wurde sein Blick von der Bank angezogen und selbst nach einem Monat konnte er sich nicht davon abhalten, aus dem Fenster zu sehen und das leere Stück aus Metall und Holz zu betrachten. Irgendwie passte es zu seiner derzeitigen Verfassung: ein einsames Ding, vollkommen fehl am Platz, das einfach nur dastand und darauf wartete, genutzt zu werden.

Als er den früheren Sheriff kennengelernt hatte, hatte er verstanden, warum die Dienststelle für indianische Angelegenheiten so versessen darauf gewesen war, jemanden einzustellen, der mit ethnischen Angelegenheiten umgehen konnte.

Der Mann war die perfekte Karikatur eines fetten, gemeinen, alten Cops, der seinen Mund voll hatte mit Tabak und hässlichen Worten. Einer, der sein gesamtes Leben an einem Ort verbracht hatte, an dem er von Reservaten der Apachen, Hopi, Navajo, Ute und Tohono O'odham umgeben war und einen Wortschatz hatte, der gerade einmal von farbig bis Rothaut reichte.

Sean hatte geglaubt, dass er die dringend notwendige Veränderung anstoßen könnte, wenn er den Kerl einfach entließ, aber er war einfach nur unglaublich naiv gewesen. Er hatte angenommen, dass die Menschen den Unterschied direkt bemerken und zu ihm kommen würden, wenn sie Hilfe brauchten. Vielleicht wären die Dinge für ihn besser gestanden, wenn Sheriffs gewählt anstatt einfach eingesetzt würden, da die Menschen so mehr Zeit hätten, um ihn kennenzulernen. Vielleicht auch nicht. Wahrscheinlich hätten sie lieber den gemeinen, alten Bastard behalten, den sie kannten, anstatt einen vollkommen Fremden zu wählen.

Da Sean noch nie in einem so winzigen Ort gelebt hatte, war er es nicht gewohnt, sich jeden Tag aufs Neue durch das Misstrauen zu kämpfen. Er hatte immer gewusst, dass einige Menschen Polizisten einfach nicht mochten – abgesehen von denen, die ein großes Interesse daran hatten, sie zu meiden – und natürlich hatte er sich gegenüber eine gewisse Zurückhaltung erwartet, weil er ein weißer Ire in einer multiethnischen Gemeinschaft war. Aber er hätte nie damit gerechnet, sofort als Fremder abgestempelt zu werden. Trotz allem, was er bereits Gutes getan hatte, hätte er genauso gut aus dem All kommen können.

Bis jetzt war die Bank vor seinem Büro also die perfekte Metapher für seine eigene Situation. Aber seit Kurzem gab es einen weiteren Grund für ihn, seinen Arbeitstag damit zu verbringen, die Bank zu betrachten: Sie war nicht mehr leer.

Vor einigen Tagen war er erschrocken, als er bemerkt hatte, dass zu dieser frühen Stunde tatsächlich jemand auf der Bank saß und er hatte kurz überlegt, ob der Mann vielleicht die Nacht dort verbracht hatte. Aber er war erneut überrascht worden, als der Kerl plötzlich aufgesprungen und über den Platz gerannt war, als wäre der Teufel persönlich hinter ihm her.

Am nächsten Tag hielt Sean an seinem Fenster Wache und wartete darauf, ob der Mann erneut auftauchen würde. Während er hinter dem Glas wartete und seinen Kaffee trank, ging er gedanklich die Bilder der Menschen durch, die er bisher getroffen hatte, und da die Stadt so klein war, war er sich sicher, mittlerweile alle Anwohner mindestens einmal gesehen zu haben. Dennoch konnte er sich niemanden unter ihnen vorstellen, der ein solches Interesse an Bewegung hatte, dass er jeden Tag am frühen Morgen aus der Stadt hinaus und wieder hinein lief.

Endlich ein echter Fall, mit dem er sich befassen konnte, dachte er amüsiert. Und genau in dem Moment sah er den einsamen Mann mit schnellen Schritten die Straße hinunterkommen. Sean musterte seine Haltung und den Takt seiner langen Schritte und war sich sicher, dass der Mann nicht zu den üblichen Wochenendjoggern zählte, die auf den Gehwegen der Großstädte unterwegs waren. Er rannte wie jemand, der jahrelange Übung hatte und diesen Job vielleicht sogar professionell betrieb.

Sean war fasziniert. Gerüchte über einen professionellen Läufer, der in der Gegend lebte, hätten sogar ihn erreicht. Wahrscheinlich handelte es sich nicht um einen Sportler, sondern um jemanden, der für seinen Beruf in guter körperlicher Verfassung sein musste. Vielleicht ein Feuerwehrmann? Nein, die Stadt hatte nur eine freiwillige Feuerwehr und die nächste anständige Wache war fast einhundert Kilometer entfernt. Zu weit weg, um von dort hierher zu laufen. Ein Polizist? Das musste es sein. Wegen der unzähligen Zuständigkeitsbereiche, die sich über das Land verteilten, gab es auch viele Beamte, von der Zollstreife bis hin zu jeder nur erdenklichen Stammespolizei.

Aber als der Mann dem Fenster näher kam, konnte Sean keine typisch ethnischen Züge erkennen – abgesehen von der deutlich sichtbaren kaukasischen Abstammung. Vielleicht vom FBI? Die Jungs kamen ziemlich häufig hier runter, da es viele Grenzen und Behörden für dies und das gab, aber irgendwie bezweifelte er das. Sean stand halb versteckt in seinem dunklen Büro, doch ein Polizist hätte seine Silhouette erkennen können und nach oben gesehen, um die Bedrohung einzuschätzen.

Der Läufer schien seine Umgebung kaum zu beachten. Er hielt an, um gierig aus dem kleinen Brunnen neben der Bank zu trinken. Dann richtete er sich auf und streckte seine Glieder in einer vollkommen unbefangenen, katzengleichen Art, die Sean ein Lächeln entlockte. Schließlich setzte er sich genüsslich auf die Bank, als wäre das harte Holz mit Kissen bedeckt.

Heute sah er erschöpft aus. Vielleicht war er schneller und länger gerannt als gestern oder er war müde von der Arbeit. Trotzdem hatte er etwas Einnehmendes an sich. Die Unbekümmertheit seines Auftretens fügte dem Gesamteindruck, den Sean auf ein einziges Wort zu begrenzen versuchte, nur eine schwache Note hinzu.

Der Mann war definitiv attraktiv: hübsches Gesicht, netter Körper. Aber da war etwas Allumfassenderes, eine natürliche, fast schon animalische Eleganz, die nur wenig mit seiner Kleidung zu tun hatte.

Da er aus einer Familie kräftiger Iren abstammte und selbst fast einen Meter neunzig groß war, hatte er die lässige Haltung von Menschen, die weniger kräftig gebaut waren, immer beneidet. Sein eigener Körper war eine Präsenz, die nur schwer zu ignorieren war. Er hatte sein Bestes gegeben, die plumpe Masse in ein feingeschliffenes Werkzeug zu verwandeln, konnte aber nicht verhindern, dass er kleinere, geschmeidige Männer noch immer bewunderte – wie den Kerl auf der Bank vor sich.

Der Läufer hatte sich schon seit einer Weile nicht bewegt. Ein Spatz hielt ihn wohl für einen weiteren Grenzstein und hüpfte furchtlos auf seinen Schuhen auf und ab. Als der Mann leicht den Kopf neigte, um den Spatz zu beobachten, konnte Sean einen guten Blick auf sein Profil werfen und erkannte ein Lächeln angesichts des Vormarschs des Vogels. Der neue Sheriff ertappte sich dabei, wie er lachte.

Er mochte den Kerl bereits, obwohl er keinen vernünftigen Grund für das Warum liefern konnte. Und er wusste nicht einmal, wer der Fremde überhaupt war. Dem teuren Trainingsanzug nach zu urteilen, musste er von außerhalb kommen. Vielleicht war das der Kernpunkt: Er sehnte sich nach einem anderen Fremden, mit dem er seine Einsamkeit teilen konnte. Oder vielleicht steckte noch viel mehr dahinter.

Als der Spatz davonflog und der Läufer den Kopf hob, um ihm hinterherzusehen, dachte Sean, dass der Mann etwas Verführerisches an sich hatte. Er war schön auf eine Weise, dass sogar seine Mutter zustimmen würde. Obwohl er durchaus vertrauenswürdig wirkte, haftete seinen Augen ein Hauch von Schalk an, der von einem humorvollen, unvorhersehbaren Charakter zeugte. Er wollte mehr über diesen Mann erfahren und wäre am liebsten nach unten gegangen, um mit ihm zu sprechen, wenn er nicht gerade in diesem Moment aufgestanden und so schnell verschwunden wäre wie der Spatz vor ihm.

Sean schwor sich, dass er den Läufer ansprechen würde, wenn er das nächste Mal in die Stadt kam und sich auf die Bank setzte, die Sean als seine eigene betrachtete.