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Titel

Fritjof Karnani

Takeover

Thriller

Impressum

Personen und Handlung sind frei erfunden.

Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen

sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

 

 

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© 2006 – Gmeiner-Verlag GmbH

Im Ehnried 5, 88605 Meßkirch

Telefon 07575/2095-0

info@gmeiner-verlag.de

Alle Rechte vorbehalten

1. Auflage 2006

 

Lektorat: Claudia Senghaas, Kirchardt

Umschlaggestaltung: U.O.R.G. Lutz Eberle, Stuttgart

unter Verwendung von Fotos von

pixelquelle.de und photocase.de

Gesetzt aus der 9,6/13 Punkt GV Garamond

ISBN 13: 978- 3-8392-3224-8

 

 

 

Bibliografische Information

der Deutschen Bibliothek

Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese

Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie;

detaillierte bibliografische Daten sind im Internet

über http://dnb.ddb.de abrufbar.

Widmung

 

 

Für Filomena

* 5. September 2005

 

 


Wichtige Personen

 

Bei GermanNet

Winfried Bohl Chef des Operation Center (OC)

Doris Jensen Mitarbeiterin Operation Center

Rolf Keller Chief Finance Officer (CFO)

Angela Müller Referentin für Öffentlichkeitsarbeit

Ferry Ranco Gründer und Chief Executive Officer (CEO) von GermanNet

 

Diana Chefcontrollerin und ehemalige »Miss

Schischkowski Berlin«

 

Bei X-Secure

Stefan Dürrer Geschäftsführer

Michael Kunze System-Administrator

 

In Cambridge

Leo Baldure Professor für Netzwerktechnik an der

Universität Cambridge

Marc Barrings Supermarktbesitzer

Isabel Hamel Freundin von Judith Knowles aus Studen-

tentagen

Judith Knowles Publizistin und Netzwerkingenieurin, Doktorandin an der Universität

Cambridge

 

In Berlin

Thomas Baumann Leiter des Wahlkampfbüros von

Karl Heise

Felix Bonhoff Kandidat für die Wahl zum Regierenden

Bürgermeister von Berlin

Karl Heise Kandidat für die Wahl zum Regierenden

Bürgermeister von Berlin

 

An anderen Schauplätzen

Maximilian arbeitet für das Syndikat

Michaela Enthüllungsjournalistin aus Vancouver

Frank Ossowski Programmierer bei Softgon Inc., Boston


1

In Berlin war der Wahlkampf zum Abgeordnetenhaus in der heißen Phase. Nur noch zehn Tage bis zur Entscheidung. Nach den letzten Umfrageergebnissen lagen die beiden großen Parteien fast gleich auf und die Spitzenkandidaten für das Amt des Regierenden Bürgermeisters lieferten sich ein Kopf-an-Kopf-Rennen. Der Wahlkampf war zu einer reinen Personenwahl geworden, Karl Heise gegen Felix Bonhoff.

 

Thomas Baumann, Leiter des Wahlkampfbüros von Karl Heise, hatte in den letzten Tagen krampfhaft versucht, eine neue Strategie zu entwickeln, die es Karl ermöglichen sollte, sich kurz vor der Wahl noch an die Spitze zu setzen. Aber auch ihm war nichts wirklich Überzeugendes mehr eingefallen. Doch dann war plötzlich ein Mann im Büro von Thomas Baumann aufgetaucht und hatte kompromittierende Details aus dem Privatleben von Felix Bonhoff angeboten. Der Fremde stellte sich schlicht als Maximilian vor.

 

»Wir können ihnen Informationen über Felix Bonhoff liefern«, sagte Maximilian.

»Was für Informationen?«, fragte Thomas gelangweilt und bereute schon, den Fremden überhaupt in sein Büro gebeten zu haben.

»Wir haben Beweise, dass Felix Bonhoff eine Geliebte hat.«

»Hören Sie zu, guter Mann, selbst wenn das wahr sein sollte, viel kann man daraus nicht machen. Vielleicht werden sich ein paar Konservative darüber aufregen, mehr aber auch nicht. Fast jeder hat heute ein Verhältnis. Es besteht sogar die Gefahr, dass das Ganze nach hinten losgeht und auf uns zurückfällt. Wenn Sie mich jetzt entschuldigen würden. Sie wissen, wir haben nur noch wenige Tage bis zur Wahl, ich bin daher etwas in Zeitnot«, behauptete Thomas in der Hoffnung, den Fremden gleich wieder los zu werden.

 

»Würde sich etwas an ihrer Einschätzung ändern, wenn Sie wüssten, dass seine Geliebte heute gerade einmal 18 Jahre alt ist? Als die Geschichte anfing, war sie sogar erst 16, also etwa so alt wie seine eigene Tochter. Ich glaube nicht, dass das der Regierende Bürgermeister ist, den sich die Berliner Bürger wünschen. Was meinen Sie?«

»Woher haben Sie diese Informationen und vor allem, können Sie diese Behauptungen auch beweisen?« Thomas bereute die Frage sofort wieder, würde sie doch dieses sinnlose Gespräch nur noch verlängern.

»Die beiden Turteltauben korrespondieren seit Anfang ihrer Liaison per E-Mail. Ich kann ihnen alle Mails der letzten zwei Jahre liefern. Die beiden haben sich außerdem ein paar Mal auf Mallorca getroffen. Wie Sie bestimmt wissen, hat Felix Bonhoff dort ein Wochenendhaus. Uns liegen Auszüge seiner Kreditkartenabrechnungen vor, aus denen man ersehen kann, dass er zweimal die Flugtickets der Kleinen nach Mallorca bezahlt hat. Anhand der Kreditkarten lässt sich sogar ersehen, was er für seine kleine Freundin so alles gekauft hat. Er hat ihr zum Beispiel Unterwäsche geschenkt, die Pille bezahlt und in einer Videothek auf Mallorca haben sich beide mit Sexfilmen eingedeckt.«

 

Thomas kam ins Zweifeln. Wenn diese Informationen tatsächlich stimmen sollten, dann hatten sie endlich etwas in der Hand, mit dem Felix Bonhoffs Glaubwürdigkeit und Integrität verletzt werden konnte. Diese Informationen zum jetzigen Zeitpunkt an die Öffentlichkeit zu bringen, könnte tatsächlich den Wahlausgang entscheiden. Aber Thomas war misstrauisch. Er wusste nicht, wer dieser Fremde war, und er wusste nicht, was er wollte.

»Warum kommen Sie damit zu mir?«, hinterfragte Thomas.

»Sagen wir, ich vertrete Leute, denen daran gelegen ist, dass Herr Heise das Rennen macht.«

»Warum gehen Sie dann mit ihren Informationen nicht einfach an die Presse?«

»Genau das werden wir heute tun. Sie können die Einzelheiten dann morgen in den Zeitungen nachlesen. Meine Auftraggeber möchten nur, dass Herr Heise weiß, dass er auf uns zählen kann, und wir möchten, dass Herr Heise weiß, wer seine Freunde sind.«

»Wir sind nicht käuflich. Bitte verlassen Sie sofort mein Büro«, Thomas und erhob sich. Dieses Gespräch musste sofort beendet werden.

»Erlauben Sie mir, ihnen einige Unterlagen da zu lassen, die wir heute an die Presse geben werden. Machen Sie sich selbst ein Bild von dem, was wir Ihnen anbieten.« Bevor Thomas protestieren konnte, legte der Unbekannte einen verschlossenen Umschlag auf den Schreibtisch und verließ das Büro.

 

Michael Kunze hatte bei X-SECURE die Aufgabe, die IT-Sicherheit des Computersystems zu garantieren. Seine wichtigste Aufgabe war es, zu verhindern, dass jemand in das System einbrechen und die streng geheimen Daten stehlen konnte. Aber genau das war eben geschehen, und würde ihn wahrscheinlich den Job kosten. Michael war speiübel, er überlegte kurz, ob er versuchen sollte, das Ganze einfach unter den Teppich zu kehren. Außer ihm hatte niemand etwas bemerkt, er könnte also versuchen, alle Spuren einfach zu beseitigen. Aber jemand hatte diese Daten gezielt gestohlen und dieser Jemand hatte etwas damit vor. Wenn bekannt wurde, dass hochsensible Daten gestohlen worden waren, war X-SECURE als Unternehmen am Ende.

 

Michael arbeitete seit fast fünf Jahren bei X-SECURE. Nach seinem Studium zum Physiklehrer war er drei Jahre arbeitslos gewesen. Eine Zeit, in der er beinahe verzweifelt wäre. Nach einer Umschulung zum Systemadministrator hatte er seine erste Anstellung bei X-SECURE gefunden. Michael hatte sich mit vollem Eifer in die Arbeit gestürzt, sich ständig weitergebildet und hochgearbeitet. In den letzten Jahren war er zu einem anerkannten Spezialisten für IT-Sicherheit geworden, dem man bei X-SECURE voll und ganz vertraute. Damit war es jetzt wohl vorbei – jemand hatte ihn ausgetrickst. Michael dachte an seine Familie und an seinen Job. Er entschied sich schließlich dafür, zu seiner Verantwortung der Firma gegenüber zu stehen, und rief seinen Chef an.

 

Die Firma X-SECURE stellte Verschlüsselungs- und Sicherungstechnik her. Das erfolgreichste Produkt waren biometrische Sensoren zur Handabtastung, mit denen Türen gesichert und kontrolliert werden: ›Zugang nur mit Ihrem Daumen‹. Die Fingerabdrücke des Menschen sind so unverwechselbar, dass keine zwei Menschen dieselben haben – als Türschloss also eine sichere Variante. X-SECURE hatte in einer Vielzahl von Unternehmen und Behörden seine Systeme installiert, besonders stolz war man darauf, das Bundeskanzleramt zum Kundenkreis zählen zu können. In der streng geheimen Datenbank von X-SECURE wurden Sicherheitskopien der Fingerabdrücke aller Berechtigten aufbewahrt. Hier fanden sich auch die Fingerabdrücke des Bundeskanzlers der Bundesrepublik Deutschland, schließlich musste auch er die Türen seines Büros öffnen. Und auf diese Datenbank hatte es eben den Angriff eines Computer-Hackers gegeben.

 

Michael Kunze war nur durch Zufall auf den Hacker aufmerksam geworden. Er wollte in der Nacht Wartungsarbeiten am Computersystem durchführen, als er einen Einwahlversuch von außen bemerkte. Neugierig, wer um zwei Uhr nachts auf das System zugreifen wollte, hatte er nachgesehen, wer der Nutzer war. Der Username und die Kennung waren ihm unbekannt, der Fremde hatte keine Rechte, auf das System zuzugreifen. Der Hacker versuchte Zugriff auf den Daten-Server zu erhalten, auf dem die Spezifikationen der Sensorsysteme lagen. Diese Daten waren streng geheim, denn mit ihnen war es möglich, die Sicherheitssysteme zu umgehen. Auf diesen Server hatten nur zwei Mitarbeiter Zugriff: er selbst und der Geschäftsführer. Jedenfalls nicht der Fremde, wer immer es war.

»Die Sicherheitssysteme müssten gleich den Zugriff verweigern und die Leitung unterbrechen«, dachte Michael und konnte zuerst nicht glauben, was er live miterlebte: Das System gewährte dem Fremden Zugriff auf das Allerheiligste von X-SECURE. Alle Sicherheitsmaßnahmen, die er installiert und die er bis eben für unüberwindlich gehalten hatte, versagten, und der Hacker begann, streng geheime Daten herunterzuladen.

»Wer ist das und was macht er da?«, fluchte Michael. Er wusste nicht, was er tun sollte, aber einfach dasitzen und zusehen konnte er auch nicht. Schließlich tat er das Einzige, was ihm übrig blieb, um den Eindringling aufzuhalten. Er zog den Stecker raus, unterbrach also die physikalische Verbindung zwischen dem internen Netzwerk und dem Internet. Damit war X-SECURE zwar erst mal sicher, aber gleichzeitig auch von der Welt getrennt. Die verschiedenen Fernwartungsprogramme würden ebenso wie Fehler- und Alarmmeldungen nicht mehr durchkommen, schlimm genug, aber in dieser Situation wohl das kleinere Übel.

»Das hier war kein primitiver Hackerangriff«, dachte Michael. Der Fremde hatte sich Zugang und Rechte verschafft, die eigentlich nur der Systemadministrator vergeben konnte. Es gab keine Zweifel, X-SECURE war Opfer eines höchst professionellen Hackerangriffes geworden. Der Angriff war durch die Umgehung aller Sicherheitsbarrieren so geschickt gewesen, dass es unheimlich war. Wer immer das war, er war gut – zu gut. Der Fremde hatte in der kurzen Zeit, die er in das Computersystem von X-SECURE eingedrungen war, strenggeheime Dateien herunterladen können. Er hatte die Codes für die Sicherheitssysteme des Bundeskanzleramtes gestohlen.

 

Stefan Dürrer, der Geschäftführer von X-SECURE, wurde durch den nächtlichen Anruf seines Systemadministrators aus dem Bett geholt.

»Habe ich dich richtig verstanden, Michael? Jemand ist in unser System eingedrungen, hat dort geheime Kundendaten heruntergeladen und du hast die ganze Zeit daneben gesessen?«, fragte er noch ziemlich verschlafen.

»Hör zu, Stefan, wir haben es hier mit verdammt guten Profis zu tun«, antwortete Michael nervös.

»Lassen wir das erst mal beiseite. Welche Daten genau haben sie wie gestohlen?«

»Die Umgehungscodes für das Sicherheitssystem des Kanzleramtes.«

»Sag das bitte noch einmal.«

»Da ich das Herunterladen bemerkt habe und der Hacker wahrscheinlich weiß, dass wir ihn erwischt haben, glaube ich nicht, dass es so schlimm ist«, Michael versuchte die Sache herunterzuspielen.

»Nicht so schlimm ist?«, schrie Stefan, der inzwischen hellwach war, ins Telefon, »wenn das, was eben passiert ist, bekannt wird, können wir einpacken. Unser Job ist es, Sicherheit zu verkaufen. Wenn unsere Kunden Zweifel an der Sicherheit unserer Systeme bekommen, werden wir künftig keine Kunden mehr haben.«

»Du brauchst mir keinen Vortrag darüber halten, ich bin genauso entsetzt wie du. Wir senden heute früh einen Techniker ins Kanzleramt und lassen die Umgehungscodes ändern, wir können das Ganze als normale Routine-Überprüfung darstellen.«

»Du holst mich nachts um zwei Uhr aus dem Bett, um mir zu sagen, dass wir durch deine Schuld gerade dabei sind, unser Unternehmen und die Arbeit der letzten Jahre aufs Spiel zu setzen, und willst nicht, dass man dir Vorwürfe macht? Hör zu, Michael, ich bin in einer halben Stunde im Büro, es wäre besser für uns und für dich, wenn du bis dahin ein paar Antworten hast.«

 

Stefan Dürrer traf nach 45 Minuten im Büro des Systemadministrators ein.

»Wie konnte das passieren? Um uns zu schützen, haben wir auf deinen Rat hin ein Sicherheitssystem gekauft, das ein Vermögen gekostet hat. Und heute Nacht geht da jemand einfach so durch?«

»Wir haben so ziemlich das beste Sicherheitssystem, das man im zivilen Bereich haben kann, aber alle Barrieren wurden von dem Eindringling überwunden. Frage mich nicht, wie er das gemacht hat. Ich habe online miterleben müssen, wie er einfach durch alles durchmarschiert ist. Der einzige Weg ihn aufzuhalten, war es, den Stecker rauszuziehen. Das, was ich hier heute gesehen habe, dürfte es eigentlich gar nicht geben«, versuchte Michael sich zu rechtfertigen.

»Ich brauche keine Ausflüchte. Dein Job ist es, solch eine Scheiße, wie sie eben passiert ist, zu verhindern. Verdammt noch mal, ich will wissen, wer uns hier verarscht!«

»Nun ja, ich habe seine IP-Nummer«, antwortete Stefan.

»Und, was bedeutet das?«

»Nun, er kam über das Internet und dort hinterlässt jeder Surfer seine Spuren. Jeder Nutzer des Internet erhält eine IP-Nummer, sozusagen seinen Namen und seine Adresse, mit der er sich weltweit im Internet ausweist. Jede IP-Nummer gibt es nur einmal und sie ist eindeutig einem Nutzer zugeordnet.«

»Schön, und wer ist nun der Kerl?«

»Ich konnte die IP zurückverfolgen, sie gehört zu GermanNet. Nur leider hilft uns das nicht weiter.«

»Kannst du deutlicher werden?«, Stefan wurde zunehmend ungeduldiger.

»Es ist die Nummer eines Netzbetreibers. Das Unternehmen hat ein paar hunderttausend IP-Adressen. Wenn sich ein Nutzer über das Telefon oder DSL bei GermanNet einwählt, wird ihm eine IP-Adresse zugewiesen, die aber nur für diese Sitzung gilt. Wenn er sich das nächste Mal einwählt, erhält er eine andere IP-Nummer, eben immer die IP-Nummer, die gerade frei ist. Und GermanNet ist der größte deutsche Netzbetreiber.«

»Können wir versuchen herauszubekommen, wer sich heute Nacht hinter dieser IP-Adresse versteckt hat?«

»Nur der Netzbetreiber, der die IP-Adressen vergibt, kann das herausbekommen. In unserem Fall also GermanNet, und nur die Staatsanwaltschaft kann die Herausgabe dieser Daten verlangen. Es handelt sich schließlich um personenbezogene Daten, die unter das Datenschutzgesetz fallen, und die darf man uns nicht einfach mitteilen.«

»Die Polizei sollten wir aus dem Spiel lassen. Wir sollten überhaupt alles unterlassen, was Aufsehen erregen könnte. Michael, ich will, dass du herausbekommst, was hier los ist. Wenn wir den Auftrag beim Bundeskanzleramt vermasseln, sind wir als Unternehmen für immer aus dem Geschäft. Ich will heute früh einen ausführlichen Bericht auf meinem Schreibtisch«, sagte Stefan beim Rausgehen.

 

Michael blieb allein und ratlos in seinem Büro zurück. Er hatte wenig Hoffung, dass es etwas bringen würde, aber da ihm nichts Besseres einfiel, sandte er eine Email an das Kontrollzentrum von GermanNet und bat um Hilfe.

 

Karl Heise war zehn Tage vor der Wahl verzweifelt. Dies war definitiv sein letzter Wahlkampf, er hatte vor zwei Jahren einen Herzinfarkt erlitten und würde seine politische Karriere bald an den Nagel hängen müssen. Diese Wahl war seine letzte Möglichkeit, Regierender Bürgermeister zu werden. Karl war seit über 30 Jahren in der Politik und er hatte es bisher nicht geschafft, auch nur einmal ein wirklich wichtiges Amt zu erlangen. Er wollte diese Wahl gewinnen. Um jeden Preis.

Thomas erzählte Karl von dem Gespräch mit Maximilian. »Ich weiß nichts über den Fremden, ich weiß nicht, woher er die Informationen hat und was er dafür haben will. Karl, ich denke, wir sollten vorsichtig sein und besser die Finger davon lassen.«

»Wir brauchen jede Hilfe, die wir bekommen können. Und ich habe hier auch keine moralischen Bedenken. Es ist ja nicht so, dass wir etwas über Felix erfinden. Was immer er versteckt, die Öffentlichkeit hat ein Recht darauf, es zu erfahren. Soll er doch dazu stehen, soll er vor die Kameras treten und verkünden, dass er seine Frau mit einem Mädchen betrügt, das so alt ist wie seine Tochter. Und dann sollen die Wähler entscheiden«, sagte Karl.

Er hatte sich die Unterlagen angesehen, es waren E-Mails mit wirklich kompromittierendem Inhalt. Aber was sagten E-Mails schon aus? So was ließ sich leicht fälschen. Die Kopien der Kreditkartenbelege waren da schon besser. Wie konnte man so blöd sein, die Flugtickets für die Geliebte mit der Kreditkarte zu bezahlen? Aber das Beste war das Foto, Felix mit der jungen Geliebten am Swimmingpool seiner Finca auf Mallorca. Beide waren nackt und die Gesichter waren hervorragend zu erkennen. Die Kleine war wirklich hübsch. Karl konnte Felix durchaus verstehen, aber Felix war selbst schuld, wenn er sich erwischen ließ.

»Ich will mich mit diesem Maximilian treffen«, entschied Karl.

»Aber auf wen lassen wir uns da ein, woher kommen diese Informationen und was ist, wenn es Fälschungen sind?«, fragte Frank.

»Wir bekommen nur Antworten auf die Fragen, wenn wir uns mit Maximilian treffen. Mach einen Termin mit ›Herrn Unbekannt‹. Wir haben nicht mehr viel Zeit.«

 

Die letzten Umfrageergebnisse zeigten, dass die Beliebtheit von Felix anstieg, während seine eigene sank. Das Wahlkampfteam von Felix hatte es geschafft, die gesundheitliche Angeschlagenheit von Karl zum Thema in den Medien zu machen. Vielleicht konnte er ihm das jetzt heimzahlen, doppelt und dreifach.

 

Karl und Thomas trafen sich am selben Abend mit Maximilian in einem Hotelzimmer.

»Wir sind uns nicht sicher, ob Ihre Unterlagen echt sind. Und selbst wenn, werden sie ausreichen, um die Öffentlichkeit zu überzeugen?«, begann Karl das Gespräch.

»Wir haben Ihnen bisher nur einen kleinen Auszug aus den Informationen gegeben, die wir besitzen. Ich habe Ihnen noch etwas mitgebracht, bitte sehen Sie sich auch diese Unterlagen an.« Maximilian legte einen Stapel mit Dokumenten auf den Tisch »Wie Sie sehen können, sind dies Auszüge aus den Unterlagen einer Krankenkasse. Die kleine Freundin von Herrn Bonhoff hatte vor sechs Monaten einen Schwangerschaftsabbruch. Und dies hier sind Ausdrucke der Krankenakte des Krankenhauses. Wie Sie sehen können, ist hier der Tag der Empfängnis berechnet worden. Der Termin fällt genau in die Woche, in der die beiden mit dem von Felix Bonhoff bezahlten Ticket auf Mallorca waren. Wir besitzen noch weitere Informationen.«

»Ich will gar nicht wissen, woher Sie diese Unterlagen haben. Aber sagen Sie mir, wer Sie sind und warum Sie damit zu mir gekommen sind.«

»Sie kommen immer gleich zum Kern der Sache, Herr Heise, das gefällt uns an Ihnen. Wie Sie wissen, will Berlin seine Wasserversorgung privatisieren. Dafür gibt es zurzeit noch zwei Anbieter, mit denen das Land Berlin Verhandlungen führt. Ich vertrete einen dieser beiden Anbieter: die PublicBestInvest, kurz PBI. Die Privatisierung wird eine komplexe Entscheidung werden, es geht hier um den Erhalt von Arbeitsplätzen und darum, welche Perspektiven ein Investor der Stadt bieten kann. Der Kaufpreis sollte nicht das einzige Kriterium sein. Die Privatisierungsentscheidung wird der Berliner Senat fällen, das heißt also, die stärkste Partei und der Regierende Bürgermeister. Das Konsortium, das ich vertrete, ist der Meinung, dass Sie und ihre Partei die Kompetenz besitzen, die Tragweite dieser Entscheidung zu beurteilen und daher auch in der Lage sein werden zu entscheiden, wer der richtige Partner für Berlin ist. Herrn Bonhoff und seiner Partei trauen wir solch eine Entscheidung nicht zu.«

»Und die beste Perspektive für Berlin bietet Ihrer Meinung nach natürlich PBI, auch wenn man weniger zahlen will als der Mitbewerber?«

»Genau so sehen wir das.«

»Ich bin nicht bestechlich, aber ich kann Ihnen versprechen, wenn ich Regierender Bürgermeister bin, wird der beste Partner für Berlin gefunden werden und dieser wird dann auch den Zuschlag erhalten.«

»Die Entscheidung, wer der Beste ist, wird sich dabei nicht nur auf den Kaufpreis reduzieren?«

»Nein, wie Sie schon selbst festgestellt haben, es ist eine äußerst komplexe Entscheidung mit vielen Facetten.«

»Herr Heise, die Berliner Bürger sollten wissen, wem Sie ihre Stimme geben. Die Informationen über Felix Bonhoff werden noch heute Abend verschiedenen Zeitungsredaktionen zugespielt. Man wird Sie weder mit uns noch mit diesen Informationen in Verbindung bringen können.«

Nach dieser Feststellung gab es nichts mehr zu besprechen. Maximilian verabschiedete sich und ging.

»Ich habe den Eindruck, dass wir gerade unsere Seelen an den Teufel verkauft haben«, sagte Thomas nachdenklich. »Und sie scheinen verdammt gute Verbindungen zu haben. Sie haben offensichtlich Zugriff auf E-Mails, Kreditkartenabrechnung und Krankenkassendaten, also auf vertrauliche Daten.«

»Mach es nicht so dramatisch, wir haben einen Verbündeten gefunden, das ist alles. Und ich habe das Gefühl, dass sich gerade entschieden hat, wer die Wahl gewinnen wird.«

 

Am nächsten Morgen erschienen die Zeitungen in Berlin mit der Meldung über das Verhältnis von Felix und seiner Lolita. Das Bild am Pool war auf den Titelseiten aller Boulevardzeitungen. Bis zum Mittag versuchte Felix noch zu leugnen, aber als immer mehr Einzelheiten an die Öffentlichkeit drangen, gab er es auf. Seine Pressesprecherin erklärte am Nachmittag, dass Frank Bonhoff wegen der Verleugnungskampagne, die gegen ihn veranstaltet würde, einen Nervenzusammenbruch erlitten habe und daher nicht länger kandidieren könne. In aller Eile wurde von seiner Partei ein neuer Kandidat aufgestellt, es waren nur noch neun Tage bis zur Wahl.

 

Die Wahl ging mit einem erdrutschartigen Sieg für Karl Heise aus. Dieser Sieg kam nicht überraschend, die Umfrageergebnisse hatten gezeigt, dass Karl Heise seit Beginn des Skandals um Felix Bonhoff und dessen überraschenden Rücktritt fast 20 % der Stimmen hinzugewonnen hatte, vor allem bei den Wählerinnen hatte er stark zugelegt.

 

Wie nach den letzten Wählerumfragen zu erwarten war, wurde Karl neuer Regierender Bürgermeister von Berlin und verfügte außerdem über eine solide Mehrheit im Abgeordnetenhaus. Eine seiner ersten Amtshandlungen war die Privatisierung der Berliner Wasserbetriebe. Den Zuschlag erhielt das Unternehmen PublicBestInvest. Der Kaufpreis, den das Land Berlin von PBI erhalten sollte, war zwar fast 20 Millionen Euro geringer, als das Kaufangebot des anderen Interessenten. Aber der Regierende Bürgermeister erklärte, dass bei Würdigung aller Faktoren, zu denen auch Arbeitsplatzgarantien und die Versorgungssicherheit der Bevölkerung gehörten, PBI der beste Partner für Berlin sei. Eine Entscheidung, die von der Opposition scharf kritisiert wurde. Allerdings hatte sie sich noch nicht von dem Skandal um Felix Bonhoff erholt, und ihre Kritik an der Privatisierung blieb weitgehend ungehört.

PublikBestInvest zahlte kurz darauf 10 Millionen Euro für Beratungsleistungen an eine Schweizer Briefkastenfirma.