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Nr. 2990

 

Die beiden Rhodans

 

Wenn der Weltenbrand tobt – der Terraner geht auf ein Himmelfahrtskommando

 

Susan Schwartz

 

 

 

Pabel-Moewig Verlag KG, Rastatt

 

Cover

Vorspann

Die Hauptpersonen des Romans

1. Terrania City

2. Hallo, Nachbar!

3. Austherapiert

4. Irgendwo im Nirgendwo

5. La Paz

6. Wichtige Nachrichten

7. Mannschaft und Schiff gesucht

8. Startvorbereitungen

9. Klopf, klopf!

10. Interplanetare Interferenzen

11. Begegnung

Stellaris 66

Vorwort

»Das Friedenslicht« von Roman Schleifer

Leserkontaktseite

Glossar

Impressum

PERRY RHODAN – die Serie

 

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Gut dreitausend Jahre in der Zukunft: Perry Rhodan hat nach wie vor die Vision, die Milchstraße in eine Sterneninsel ohne Kriege zu verwandeln. Der Mann von der Erde, der einst die Menschen zu den Sternen führte, möchte endlich Frieden in der Galaxis haben.

Davon ist er in diesen Tagen des Jahres 1552 Neuer Galaktischer Zeitrechnung allerdings weit entfernt: In der von der Superintelligenz ES verlassenen Milchstraße machen sich Boten anderer Superintelligenzen breit, ebenso alte Feinde von ES und neue Machtgruppen.

Eine dieser Machtgruppen waren die Thoogondu, einst ein von ES unterstütztes Volk, das von der Superintelligenz allerdings verbannt wurde und seit Jahrtausenden in der fernen Galaxis Sevcooris darauf wartet, in die Milchstraße zurückzukehren. Mit der neuen Herrscherin dieses Volkes bricht ein neues Zeitalter an. Friedliche Koexistenz und Partnerschaft rücken in greifbare Nähe.

Wie es hingegen mit den Gemeni ist, steht bislang nicht fest – einerseits agieren sie als Gegner, andererseits als Partner der Menschheit. Eine andere Frage ist derzeit viel drängender: Was ist gegen den Weltenbrand zu tun, der mutwillig durch eine unheilige Allianz aus Adam von Aures, Lotho Keraete und dem mittlerweile toten Gaumarol da Bostich hervorgerufen wurde? Und was soll aus jenem Mann werden, den die Verschwörer so brillant benutzt haben?

Die Frage nach der Zukunft stellt sich nun für DIE BEIDEN RHODANS ...

Die Hauptpersonen des Romans

 

 

Perry Rhodan – Der Unsterbliche sehnt sich nach seinem Zuhause.

Das Aggregat Cerotay – Ein Mitglied der schönen Familie tut Unschönes.

Alosha Putuvane – Ein hilfreicher »Nachbar« dressiert nicht nur Hunde.

1.

Terrania City

 

»Hiiiiiiiich!«

Da ist er wieder, jener Moment, der dich hochjagt, in Panik versetzt, nach Atem ringen lässt. Jener Moment, in dem du denkst, dass du gleich erstickst.

Obwohl das gar nicht möglich sein sollte. Du bist schließlich nicht wie die anderen.

Dennoch bist du nahe am Ersticken. Du greifst dir an den Hals, als ob das etwas nützen könnte. Es ist ein Reflex, eine instinktive Geste, um das zu packen, was dich im Würgegriff hat, und es wegzuschleudern.

Aber es ist ja in dir, diese Abschnürung geschieht in dir selbst, deine Luftröhre verengt sich und lässt nichts mehr durch, Suffocatio, da kann man nichts machen. Der Mediker hat Schlafapnoe vermutet, Atemstillstand.

Das wird es wohl sein. Aber es hat keine organische Ursache. Etwas stimmt mit dir nicht. Vielmehr: deiner Psyche.

Indizien? Ganz einfach. Manchmal glaubst du, dass etwas nicht stimmt. Ja, etwas. Nicht mit dir. Sondern etwas.

Letztlich bedeutet das jedoch in logischer Konsequenz, dass etwas mit dir nicht stimmt.

Vielleicht ist etwas in dir kaputtgegangen, während du im Koma gelegen hast.

Vielleicht ist es die Erinnerung, die jene Suffocatio, wie du deinen Zustand mittlerweile bezeichnest, hervorruft. Suffocatio hat ihren Namen verdient, so oft, wie sie vorbeischaut.

Vielleicht ist es ein Erinnerungsblitz, der dich in Panik geraten lässt. Dass es wieder geschehen ist. Dass du diesmal nicht mehr zurückfindest und für immer verloren gehst im Introversum. Ein weiterer Name von dir, den du deinem Koma gegeben hast. Denn du bist ja dann tief, ganz tief in dir, in anderen unendlichen Weiten.

Vielleicht ist etwas schiefgegangen nach deiner »Operation«, die dir einen Zellaktivator beschert hat.

Und der Galaxis den Weltenbrand.

Ganz sicher aber hast du ein Trauma von dem, was du ausgelöst hast. Den zuvor erwähnten Weltenbrand. Ja, andere mögen sagen »du hast es nicht gewusst« und »du wurdest benutzt« und »du wolltest es nicht«. All das stimmt. Das ändert aber nichts daran, dass du daran beteiligt warst. Ohne dich hätten sie ihn nicht auslösen können.

Du nimmst an, dass es nur eine einzige Heilungsmöglichkeit gibt: nach Hause zu gehen.

Nur ... Wie willst du das anstellen?

 

*

 

»Hhhchhh ...«

Perry Rhodan verharrte aufgerichtet im Bett. Sein gesamter Körper war schweißgebadet, sein Herz raste. Er spürte ein sanftes Pulsieren an der Schulter. Der Zellaktivator gab sein Bestes, wie jedes Mal, doch es dauerte.

Langsam, immer noch leicht zittrig, schwang er die Beine über den Bettrand und stand auf. Ging in den Hygieneraum, der alles an Annehmlichkeiten bot, was man sich nur wünschen konnte.

Rhodan bevorzugte Wasser für die Reinigung. Er starrte in den Spiegel, und ein müdes, graues Gesicht starrte zurück. Sein Verjüngungsprozess war angehalten; nun war er im besten Alter von Ende dreißig, Anfang vierzig. Das ein zweites Mal erleben zu dürfen, sollte ihn mit Dankbarkeit erfüllen.

Aber das tat es nicht. Er trug den Zellaktivator eines Toten, und das allein erzeugte in ihm ein Gefühl des Widerwillens und der Abwehr. Gewiss, dieser Tekener war nicht seinetwegen gestorben. Zu dem Zeitpunkt hatte Rhodan noch in seiner Enklave auf Wanderer gelebt, zusammen mit seiner Menschheit, in einem Paralleluniversum. Zu diesem Zeitpunkt hatte er nichts von dieser Zukunft, dieser Realität, geahnt. Dennoch erschien es ihm nicht richtig.

Er war nicht einmal gefragt worden. Man hatte ihm damit nichts »Gutes tun« wollen. Sondern ihn benutzen. Und nun ließ man ihn weiterhin nicht gehen. Lotho Keraete, der Metallmann und ehemalige Bote von ES, hatte ihm versprochen, einen Weg zu finden, ihn nach Hause zu bringen. Dafür müsse er sich nur ein wenig gedulden.

Aber wollte er das wirklich? Oder hatte Rhodan noch eine Aufgabe zu bewältigen? Er hatte darum gebeten, den Chip zu entfernen. Keraete hatte geglaubt, ihm drohen zu können. »Du wirst sterben«, hatte er gesagt und ihn mit der Erwähnung eines höchst unangenehmen Todes erschrecken wollen.

Was mochte denn unangenehm daran sein, mit exponentieller Geschwindigkeit zu verjüngen, weil die eigene Zellstruktur nicht mit der Schwingung des hiesigen Universums harmonierte? Das bekam er schließlich gar nicht mehr mit. Die Erinnerungen schwanden mit jedem Tag, den er rückwärts lebte. Dann Eizelle, Auflösung, fertig. Und ja, so wenig angenehm die Vorstellung der eigenen Auslöschung sein mochte – Rhodan hing wie jeder an seinem Leben –, wäre ihm dies lieber gewesen, als zusätzliche Schuld auf sich zu laden und sich weiter benutzen zu lassen.

Keraete hatte versprochen, ihn nach Hause zu bringen, aber Rhodan glaubte ihm nicht. Zuerst wollte der Ex-Bote, dass der »Beschenkte« zum Dank weiter nach seiner Pfeife tanzte, und auf einmal lenkte er ein, nur weil Rhodan »Nein« gesagt hatte?

Es war eine verfahrene Situation voller Albträume, die ihn fast jeden Morgen derart aufwachen ließen.

Was genau ihn so sehr quälte, konnte er nicht in Worte fassen. Es gab keine klaren Bilder, keine greifbaren Ängste. Es war einfach so. Plötzlich wachte er halb erstickt und in Panik auf. Meistens, so wie an diesem Tag, wusste er nicht einmal mehr, wann er zu Bett gegangen war.

Das wären die Auswirkungen des Weltenbrands, hatte der Therapeut ihm versichert. Er zeitige völlig verschiedene Auswirkungen und Stadien auf die Individuen. Glücklicherweise war Rhodan im Heilsbezirk untergebracht. Dem Techno-Mahdi war es gelungen, einen Schutz zu entwickeln, der den verheerenden Einfluss des Weltenbrands in diesem Stadtteil von Terrania milderte. Nicht gänzlich abschirmte, aber doch so verringerte, dass man tagsüber mit Sonnenbrille und geschlossener Kleidung auf die Straße gehen konnte.

Hatten Adam von Aures und Lotho Keraete das beabsichtigt? Das Inferno zu entfachen und dieses Chaos anzurichten? Milliarden und Abermilliarden solchen Schmerz zuzufügen, dass sie ihr Leben nicht mehr ertragen konnten?

Ach, spielt doch keine Rolle.

Sein Körper erholte sich zusehends dank des Zellaktivators, die dunklen Schatten unter den Augen schwanden, die Haut nahm eine gesunde Färbung an.

Doch sein Geist blieb müde. Gequält.

Rhodan II, dachte er und lächelte zynisch über sich selbst. Was machst du dir vor? Solange du in diesem Universum bleibst, bist du nur ein Fremdkörper. Du bist exakt wie das Original, deswegen lassen sie dich nicht gehen, und bist doch nicht derselbe, was ihnen auch nicht passt.

 

*

 

Mit einem Becher in der Hand, in dem tahunischer Kaffee dampfte, trat Rhodan auf die Terrasse. Anscheinend war es schon Sommer. Hatte er den irgendwie bisher verpasst? Vergessen? Wie lange lag der Ausbruch des Weltenbrands zurück? Einen Monat? Mehr? Vielleicht zwei Monate?

Der Kaffee schmeckte gut. Aber half er gegen das Durcheinander in seinem Verstand? Rhodan rieb sich die Stirn. Womöglich litt er unter Bewusstseinsstörungen.

Verdrängung, würde der Therapeut dazu sagen. Um dein Trauma zu verdrängen, versuchst du die Erinnerungen zu tilgen, doch dein Unterbewusstsein lässt sie nicht los.

Kopfschüttelnd kehrte Rhodan zurück ins Haus. Abrupt blieb er stehen, als er erkannte, dass er nicht mehr allein war. Eine unwirklich schöne Frau erwartete ihn mit einem strahlenden Lächeln. Sie war schneeweiß wie chinesisches Porzellan, hatte rosafarbene Lippen und kohlschwarze Augen.

»Cerotay ...«

»Aggregat Cerotay«, korrigierte sie ihn sanft, aber nachdrücklich.

Ach ja. Sie ermahnte ihn nicht zum ersten Mal, sich daran zu erinnern. Aber er vergaß es immer wieder. Für ihn war sie kein »es«, kein »Aggregat«, keine Verbindung und Zusammenfügung von technischen Elementen, wie es üblicherweise bei einem maschinellen Aggregat der Fall war, dazu sah sie viel zu sehr nach Frau aus.

Und sie verhielt sich auch so.

»Entschuldige, Aggregat Cerotay ... guten Morgen«, sagte er. »Ich habe ganz vergessen, was für ein Tag heute ist.«

»Und kann Perry sich jetzt daran erinnern?«

»Nein. Du musst mir aushelfen.«

»Das Aggregat Cerotay findet das nicht so wichtig. Es meint, dass es ein herrlicher Tag für einen Ausflug wäre. Beispielsweise für eine Bootsfahrt über den Goshun-See.«

Rhodan sah sich um. Der Bungalow war hell und offen, mit Fenstern statt Mauern zur Seeseite hin. Jeder Raum hatte Seeblick. Es gab inmitten des ausgedehnten Wohnzimmers, das zusammen mit dem Essbereich und der funktionalen Küche das gesamte Erdgeschoss einnahm, eine geschwungene, gewendelte Galerietreppe zu den Schlafräumen und der Hygieneabteilung oben. Die Einrichtung war geschmackvoll und gemütlich. Draußen lud eine Terrasse zum Sonnenbaden ein, und nicht weit entfernt glitzerte der See und lockte mit allen möglichen Wassersportarten.

Ein Ort zum Wohlfühlen, eine paradiesische Idylle.

Ich muss etwas tun. Aber was?

»Was beschäftigt Perry? Sag es dem Aggregat Cerotay. Es kann dir helfen. Das ist seine Aufgabe.«

»Für mich da zu sein ...«

Wenn er sich nur erinnern könnte, seit wann sie bei ihm war. Auf der FLORENCE LAMAR hatte er sie nicht gesehen.

Sein Zeitempfinden war extrem gestört, möglicherweise weil er ein Fremdkörper in diesem Universum war und sein Körper künstlich durch den Zellaktivator am »normalen« Leben gehalten wurde.

Zumindest schloss der Therapeut diese Möglichkeit nicht aus. Rhodan war in der Hinsicht erleichtert, nicht allein zu leben. Das Aggregat Cerotay erinnerte ihn an alle Termine und begleitete ihn auch manchmal, wenn er sich nicht zurechtfand. Ihm wurde ab und zu schwindlig, weil er das Gefühl hatte, irgendwie verschoben zu sein. Als wäre alles von ihm, Körper wie Geist, getrennt voneinander und nicht am selben Ort und in derselben Zeit.

Den letzten Gedanken verstand er nicht einmal selbst, das war zu chaotisch. Aber er konnte das Gefühl nicht anders ausdrücken – es schien eben alles verschoben. Manchmal stand er sprichwörtlich neben sich. Er hatte schon versucht, sich aus der anderen Perspektive zu berühren, doch seine Hand war dabei zerfasert.

»Zu viele Gedanken«, stellte das Aggregat mit sanfter Stimme fest. Es ... sie näherte sich ihm, legte die Arme um seinen Hals. »Es verwirrt nur.«

»Das ist wahr«, gab er zu. »Je mehr ich nachdenke, umso weniger begreife ich. Und umso mehr Fragen türmen sich auf. Hört das je auf?« Das fragte er nicht nur im Hinblick auf sein Leben in diesem Universum. Würde alles wieder gut, sobald er wieder in der Enklave war? Wie hatte sich das Leben dort inzwischen weiterentwickelt? Passte er denn noch dorthin?

Die vollen Lippen näherten sich seinem Mund. »Das Aggregat Cerotay kann dabei helfen, dass alles leichter wird ...«

Für einen Moment war er geneigt nachzugeben. Er hielt den Körper einer wunderschönen Frau im Arm, daran gab es keinen Zweifel. Sie verstand sich auf Verführung, denn sie erweckte Gefühle des Wohlbefindens in ihm. Vielleicht sollte er ...

Plötzlich schob er die Weißhaarige weg.

»Lass das!«, sagte er scharf. »Ich bin verheiratet! Meine Frau heißt Marina. Meine Tochter Susan lebt zusammen mit ihr in einem Vorort von New York. Sie ist erst 22 Jahre alt, und ich habe schon zu viel von ihrem Leben verpasst.«

»Du weißt, dass deine Erde nicht mehr existiert?«, fragte sie.

»Meine Erde ist eine gescheiterte Erde eines gescheiterten Universums. Die Superintelligenz ES hat einen Splitter bei sich bewahrt, in einer künstlichen Enklave. Beantwortet das deine Frage? Ja, ich weiß es!« Den letzten Satz schrie er fast. »Aber ich weigere mich zu akzeptieren, dass von ihnen nichts mehr existiert. Dass meine Familie ausgelöscht sein soll, als hätte es sie nie gegeben, und dass von meiner Menschheit aus dem Jahr 1991 meiner Zeitrechnung nicht mehr übrig sein soll als ein kümmerlicher Überrest unter der Schutzglocke von Wanderer!«

Brüsk wandte er sich ab. »Deine Betreuung umfasst nicht alles. Wenn dir das nicht passt, geh zurück zu deinem Auftraggeber.«

»Das Aggregat Cerotay möchte nur helfen«, erwiderte die Frau, die keine war, ungerührt. Egal, wie sehr er sie provozierte, sie wurde niemals zornig oder zeigte auch nur einen Ansatz von Ärger. »Es kann spüren, dass Perry Rhodan innerlich gequält und zerrissen ist und sich nach menschlicher Nähe sehnt.«

Rhodan fuhr herum. »Du bist kein Mensch!«, fuhr er sie an. »Ich weiß nicht einmal, ob du bluten kannst. Du bist nicht das, wonach ich mich sehne.« Er hob den Arm und zeigte nach draußen, Richtung Himmel. »Die Enklave ist es. Die Menschen dort sind wie ich.«

»Lotho Keraete hat versprochen, die Rückkehr zu ermöglichen.«

»Und gelogen. Wetten? Genauso wie Adam von Aures mich von Anfang an belogen und benutzt hat. Mich wundert, dass die beiden mich nicht längst umgebracht haben. Anscheinend gibt es da noch etwas, das ich für sie tun soll, wozu sie mich brauchen. Weil sie selbst nicht alles können, trotz all ihrer Macht.« Er zeigte drohend mit dem Finger auf die Frau. »Aber ich lasse mich nicht mehr benutzen. Verstanden?«

»Dann also keine Bootsfahrt?«, fragte das Aggregat ungerührt.

»Zum Teufel, nein!« Wütend verließ er das Haus.

 

*

 

»Hhhhcchhh ...«

Rhodan saß aufrecht im Bett und griff sich an den Hals. Schon wieder. Gab es keine einzige normale Nacht mehr? Erneut war er schweißüberströmt, sein Herz raste. Der Zellaktivator pochte und arbeitete daran, alles zu normalisieren.

Müde rieb er sich das Gesicht, fuhr sich durch die schweißnassen Haare. Der Schlaf bot keine Erholung mehr. Von Tag zu Tag fühlte er sich abgespannter und müder.

»Vielleicht Vitaminmangel«, hatte der Therapeut gesagt.

»Ich kann keinen Mangel erleiden«, hatte er erwidert.

»Der Zellaktivator kann nicht alles kompensieren. Du kannst länger ohne Schlaf auskommen als jeder andere, du kannst leichte Verletzungen wegstecken wie nichts. Dennoch benötigt sogar jemand wie du Ruhephasen und gesunde Ernährung, um Mangel vorzubeugen.«

»Die automatische Küche bereitet mir nur das Beste zu. Ich lebe in einer Luxusvilla und habe alles, was ich benötige. Das Aggregat Cerotay hat sich einmal im Kochen versucht, aber das ist etwas, das es nicht beherrscht. Eines der wenigen Male, dass ich wirklich herzhaft lachen musste.«

»Das Aggregat ... es wirkt wie eine Frau, nicht? Ist es für dich nicht seltsam, mit ihr gewissermaßen zusammenzuleben?«

Rhodan hatte bitter gelacht. »Für mich ist alles seltsam.«

»Vielleicht solltest du das Aggregat nächstes Mal mitbringen?«, schlug der Therapeut vor.

»Aber das habe ich doch schon – manchmal bin ich desorientiert, dann bringt sie mich her. Und holt mich ab.«

»Aber sie ... es kommt anscheinend nicht in die Behandlungsräume. Ich habe sie jedenfalls nie gesehen.«

»Man vergisst sie nicht, keine Frau sieht aus wie sie.« Seltsam war das schon, er hätte schwören können ... aber der Therapeut wusste das sicher besser als er. Rhodan war nun einmal öfter desorientiert. Weil er nicht in dieses Universum gehörte. Er hatte mehrmals versucht, das dem Therapeuten begreiflich zu machen, ohne nachhaltigen Erfolg. Irgendwie kam es ihm so vor, als begänne er jedes Mal von vorne ...

Wenn er es recht bedachte, wusste er nicht einmal, wie der Therapeut aussah. Vor seinem geistigen Auge ähnelte er einem Konglomerat aus verschiedenen männlichen Profilen, bei dem selbst die Haarfarben uneinheitlich waren.

Auch eine Folge seines »Unfalls«. Nach wie vor konnte er sich nicht daran erinnern, wie er das Öffnen der Büchse der Pandora ... pardon ... des Behälters der Biophore ... überlebt hatte. Er war übergangslos wieder zurück auf der FLORENCE LAMAR gewesen, und Lotho Keraete hatte davon gefaselt, wie gut alles geklappt habe.

Und dann war der Weltenbrand ausgebrochen. Durch seine Schuld.

Ja, er drehte sich im Kreis. Dennoch: Es änderte nichts.

Rhodan taumelte ins Bad, unter die gute, alte, vertraute Dusche, tippte auf »Wasser marsch!«, wie er es bezeichnete, und stellte sich mit geschlossenen Augen unter den dichten Regenfall.

Wie bin ich hierhergekommen?

Zusammen mit dem Therapeuten versuchte er, die Lücken in seinem Gedächtnis zu schließen und vor allem die nächtlichen Albträume abzustellen. Auch wenn Suffocatio inzwischen einen Namen besaß, weil sie stets wiederkehrte, er mochte sie nicht.

Und das Aggregat Cerotay mochte er ebenso wenig.

 

*

 

Der weißen Frau, wie er sie manchmal für sich bezeichnete, schien das gleichgültig zu sein. Sie erwartete ihn unermüdlich jeden Morgen, wie ein wiederkehrender Geist. Seit dem letzten Annäherungsversuch gab sie vorerst Ruhe, zumindest was »menschliche Nähe« betraf.

Das Wetter war schön, wie nicht anders zu erwarten. Nicht nur, dass diese Gegend von Natur aus äußerst regenarm war, bewirkte die Wetterkontrolle, dass es tunlichst nur dann regnete, wenn es die wenigsten störte.

»Was steht heute an?«, fragte Rhodan, während er sich Kaffee eingoss und ein Brötchen verzehrte. Er hatte kaum je Hunger, und sein Geschmackssinn war auch nicht der beste. Als würde sein Körper sich sogar dagegen wehren. Aber der Therapeut hatte gesagt, dass er essen müsse, also tat er es.

Gleichzeitig beobachtete er die neuesten Entwicklungen im Trivid. Ständig landeten Raumschiffe auf den rings um die Stadt liegenden Raumhäfen: auf dem riesigen Terrania Spaceport, der eigentlich der Flotte vorbehalten war, aber angesichts der Masse an ankommenden Schiffen einen Bereich zur Verfügung gestellt hatte; auf dem Aldebaran Spaceport und dem Goshun Spaceport, auf Point Surfat und Atlan Spaceport und weiteren kleineren, regionalen Raumhäfen. Tausende Schiffe pro Tag, Flüchtlinge aus der Milchstraße, die auf Terra auf ein Wunder hofften.

Bedingt durch das Wirken des Techno-Mahdi waren die Auswirkungen auf Terra gedämpfter, obwohl der Weltenbrand mit Sol entzündet worden war. Rhodan fragte sich, wohin das führen sollte, denn auf diese Weise konnten sie dem Weltenbrand nicht entkommen.

Er hatte sich stets nach den Sternen gesehnt und konnte diesen Anblick nun kaum fassen. So viele skurrile Schiffstypen. Die Kugelform war beherrschend, aber da gab es Walzen, Ringe, Trichter, Kegel, Seesterne. Manche ähnelten hässlichen Enten, andere schienen willkürlich aus Modulen zusammengesetzt, die man auf irgendwelchen Schiffsfriedhöfen gefunden hatte. Manche kannte er, wie die Cheborpaner, aber andere hießen Kigenii oder Uponya, zu denen auch die begleitende Moderation kaum etwas zu berichten wusste.

»Du hast einen Termin bei Burno Callashiud«, antwortete das Aggregat Cerotay auf seine Frage, die er längst wieder vergessen hatte. Anscheinend war es um die heutige Planung gegangen.

»Ja, wie üblich«, sagte er und schlürfte gedankenversunken den dampfenden tahunischen Kaffee.

Seit vier Wochen – oder waren es fünf? Sechs? – amtierte der von Hekéner Sharoun bestellte Stadtkommandant. Nach dessen Berufung hatte sich der Resident selbst zurückgezogen. Weil er die Auswirkungen des Weltenbrands besonders stark spürte, ließ der Ferrone sein Amt vorübergehend ruhen und hatte Burno Callashiud zum Vertreter ernannt.

Rhodan wunderte sich ein wenig über diese Vorgehensweise. Vor allem über den Titel »Stadtkommandant«. Er hatte keinen sehr tiefen Einblick in die LFG, aber er war sicher, dass er von diesem Titel nie zuvor gehört hatte. Vor allem »Kommandant« gefiel ihm nicht. Die LFG war eine funktionierende Demokratie, da passte der Begriff nicht zu ihrem obersten Vertreter.

Er nahm sich vor, bei nächster Gelegenheit mit dem Therapeuten darüber zu reden. Zu viele Fragen wollte er nicht an Callashiud stellen, sonst würde der ihn womöglich nicht mehr zu Rate ziehen. Und Rhodan brauchte unbedingt etwas zu tun. Es war ihm sehr wichtig, eine Aufgabe zu haben,

 

*

 

Callashiud empfing Rhodan wie immer in seinem Büro. Er war ein leicht übergewichtiger, ruhiger Mann, der väterlich wirkte – umso erfreulicher war es für Rhodan, um Rat gefragt zu werden.

Selbstverständlich hatte er deutlich gemacht, dass er nicht »der echte« Rhodan war. Also – im Prinzip schon, aber eben nicht aus diesem Universum. Das war dem Stadtkommandanten gleichgültig. Zunächst und vor allem war es Perry Rhodan – dass es mehrere gab, spielte für ihn dabei keine Rolle. Denn es beruhigte die Bewohner und Flüchtlinge von Terra, zu wissen, dass sie nicht allein gelassen wurden. Dass jemand da war, der immer einen Ausweg wusste, seit über dreitausend Jahren.

»Aber der bin ich nicht ...«

»Das wissen die aber nicht.«

Angesichts der Katastrophe spielte es keine Rolle. Es musste allen klar sein, dass ein Mensch allein nichts ausrichten konnte. Die Galaktiker erwarteten ein Wunder und klammerten sich an die Hoffnung.

Dem anderen Rhodan wird das nicht gefallen, wenn die Stimmung irgendwann umschlägt, weil ich nichts tun kann. Die Menschen werden mich zu hassen lernen.

Nun, ihm würde etwas einfallen müssen. »Ist der Techno-Mahdi heute dabei?« Schließlich war dem Dämpfungsschutz des Mahdi zu verdanken, dass das Leben auf Terra erträglich blieb. Es wäre angebracht, diese Besprechungen zu dritt zu führen.

»Er ließ sich entschuldigen, weil er ...«

»... zu viel Arbeit hat«, vollendete Rhodan. Wie jedes Mal. Er hätte ihn gerne einmal getroffen, doch bisher war es nicht dazu gekommen. Leider war auch Hekéner Sharoun nicht erreichbar.

Rhodan empfand Callashiud nicht als unsympathisch, aber nicht unbedingt als geeignet, die Dinge anstelle des Residenten zu regeln. Noch dazu, da auch die übrige Regierung nicht mehr abkömmlich war. Alles lastete auf Callashiuds Schultern und seinem selbst zusammengestellten Team. Kein Wunder, dass er sich an Rhodan wandte, der zwar nicht über die dreitausend Jahre Erfahrung wie »der andere« verfügte, aber sich vom Verstand und dem logischen, strategischen Denken her nicht unterschied.

Sie besprachen bei Tee und Gebäck die Verteilung der neu angekommenen Flüchtlinge. Es war absehbar, dass die Kapazitäten sich zusehends erschöpften. Die Wartezeiten, bis die Neuankömmlinge ihre Schiffe verlassen durften, um in Notunterkünften untergebracht zu werden, wurden immer länger. Es galt, vieles zu beachten, denn nicht alle waren in der Lage, gleichermaßen friedlich miteinander umzugehen. Erst recht nicht in dieser Stresssituation.

Rhodan hatte auch an diesem Tag wieder einige gute Ideen, und so trennten sich die Gesprächspartner in zuversichtlicher Stimmung.

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Illustration: Dirk Schulz

2.

Hallo, Nachbar!