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Nr. 2987

 

Schlacht ums Gondunat

 

Thoogondu bekämpfen einander – es geht um die Herrschaft im Goldenen Reich

 

Michael Marcus Thurner

 

 

 

Pabel-Moewig Verlag KG, Rastatt

 

Cover

Vorspann

Die Hauptpersonen des Romans

1. Aufeinandertreffen

2. Verhandlungen

3. Nach der Katastrophe

4. Auf dem Weg durchs Wrack

5. Die Kunst des Überlebens und der Suche

6. Vorwärts, immer vorwärts!

7. Zu Boden gedrückt

8. Zusammentreffen

9. Weiter, durchs Schiff!

10. Vorentscheidung

11. Erinnerungen an früher

12. Der rettende Engel

13. Am Ziel

Leserkontaktseite

Glossar

Risszeichnung Doppelrumpf-Space-Jet des ZSI – PIONIER-Klasse

Impressum

PERRY RHODAN – die Serie

 

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Gut dreitausend Jahre in der Zukunft: Perry Rhodan hat nach wie vor die Vision, die Milchstraße in eine Sterneninsel ohne Kriege zu verwandeln. Der Mann von der Erde, der einst die Menschen zu den Sternen führte, möchte endlich Frieden in der Galaxis haben.

Davon ist er in diesen Tagen des Jahres 1552 Neuer Galaktischer Zeitrechnung allerdings weit entfernt: In der von der Superintelligenz ES verlassenen Milchstraße machen sich Boten anderer Superintelligenzen breit, ebenso alte Feinde von ES und neue Machtgruppen.

Eine dieser Machtgruppen sind die Thoogondu, einst ein von ES unterstütztes Volk, das von der Superintelligenz allerdings verbannt wurde und seit Jahrtausenden in der fernen Galaxis Sevcooris darauf wartet, in die Milchstraße zurückzukehren. Der Gondu, so der Titel ihres amtierenden Herrschers, befand sich auf einem Kurs der Koexistenz, wurde allerdings von seinem Sohn Puoshoor ermordet, der unter Kontrolle einer Geheimorganisation steht, die eine Politik der brutalen Eroberung fördert.

Puoshoor lässt sich zum neuen Gondu ausrufen, ungeachtet der Tatsache, dass sein Vater Puorengir, die Zwillingsschwester Puoshoors, zur neuen Gonda des Reiches erklärte. Verblendet versucht er, seine Schwester zu töten, die vor ihm in die Milchstraße flieht.

Über der Hundertsonnenwelt treffen die Geschwister nun wieder aufeinander – und nur ein echter Dialog verhindert die SCHLACHT UMS GONDUNAT ...

Die Hauptpersonen des Romans

 

 

Perry Rhodan – Der Unsterbliche folgt der Spur des Lordadmirals.

Monkey – Der Oxtorner folgt der Spur eines Mörders.

Samstag – Der Posbi folgt seinem Gewissen.

Puoshoor und Puorengir – Die Geschwister folgen ihrem eigenen Weg.

1.

Aufeinandertreffen

4. Juli 1552 NGZ

 

Sie wirkten so klein und unbedeutend in der Darstellung, diese beiden Perlenschiffe der Thoogondu. Weiß glänzend standen sie über der Hundertsonnenwelt der Posbis. Pentasphärenraumer, so genannt, weil sie aus jeweils fünf aneinander gekoppelten und unterschiedlich großen Kugelelementen bestanden.

Der Eindruck täuschte, wie die eingeblendeten Daten verrieten: Die Schiffe maßen jeweils 7430 Meter. Fast siebeneinhalb Kilometer. Ihr Schlagschatten würde ganze Städte abdunkeln.

Gesetzt den Fall, einer der Riesen würde auf der Erde aufsetzen: Selbst Spitzenläufer benötigten dann mehr als eine Stunde, um ihn zu umrunden. Bei normalem Gehtempo wäre es ein Marsch von vier Stunden. Hier aber, in der Einsamkeit des Leerraums, wirkt selbst ein derart großer Raumer wie ein fingerkuppengroßer Klecks vor dem Schwarz des Leerraums mit der strahlenden Ellipse der Milchstraße im Hintergrund.

Die Positronik der GALBRAITH DEIGHTON VII zoomte näher an die beiden Pentasphären heran. Details in der Verarbeitung der Schiffshüllen wurden sichtbar. Sie zeigten so etwas wie goldene Einlegearbeiten, typisch für gondische Pedgondit-Raumer.

»Es wird Zeit, Puorengir«, sagte Rhodan in sein Funkfeld. »Bist du bereit?«

Das holografische Bild der Thoogondu tauchte unmittelbar vor ihm auf. Puorengir war zierlich, selbst für eine Frau ihres Volkes. Die Blauäderung intensiv, das Dunkel der Augen unheimlich. Ab und zu flackerten graue Einsprengsel darin. Puorengirs Kopf wiegte unruhig hin und her, als wäre da eine Melodie, die nur sie zu hören vermochte. Hinter ihr schwebte eine Annamthar, ein fast meterlanges Musikinstrument, das mithilfe eines Stimmgeber genannten Streichbogens zum Klingen gebracht wurde.

»Ja, das bin ich«, sagte sie und zupfte mit beiden Daumen ihrer Rechten über die Annamthar. »Ich warte seit Tagen auf den Augenblick, da ich meinem Bruder gegenüberstehe. Ich möchte hören, was er sagt – und wie er es sagt. Welche Lügen er mir auftischen möchte und ob er irgendein Zeichen von Reue erkennen lässt.«

»Das wird er nicht. Das weißt du, Gonda. Er wird hart mit dir verhandeln. Vermutlich wird er lügen und betrügen und dich mit allen Mitteln desavouieren wollen.«

»Mag sein. Aber er ist immer noch mein Bruder. Ich bin die, die ihm am nächsten steht und ihn am besten kennt.«

»Er hat dich und deinen Vater überrascht. Er wollte das Reich der Thoogondu an sich reißen und hat jahrelang darauf hingearbeitet.«

»Er war und ist beeinflusst, Perry. Man hat ihn zeitlebens manipuliert.«

Rhodan nickte. Puorengir und er hatten sich ausführlich über dieses Thema unterhalten. Mitglieder der Neuen Gilde lenkten die Thoogondu aus dem Hintergrund. Eine Thoogondu namens Zeshira hatte einst Puoshoor zu einer Versammlung der Gilde mitgenommen, sein Gehirn gewaschen, auf die Ziele der Geheimgesellschaft eingeschworen, seine Erinnerungen verändert.

Längst war nicht alles über die Umtriebe der Neuen Gilde bekannt. Fest stand, dass sie seit Jahrhunderten im Dunklen wirkte und die Geschehnisse im Goldenen Reich prägte.

»Mag sein, dass Puoshoor manipuliert wurde. Das ändert nichts an den Tatsachen. Sei dir dessen bewusst, dass du es mit einem meisterhaften Lügner zu tun hast.«

Puorengir nickte. Dies war eine körpersprachliche Äußerung, die sie sich von den Terranern abgeschaut hatte. Kurz und prägnant. »Ich habe mich mit meinen Psychologen und Strategen unterhalten. Ich denke, wir wissen, worauf wir uns einlassen.«

»Puoshoor wird vor keinem Mittel zurückschrecken, Gonda. Deine Leute werden dir gewiss gesagt haben, dass er manische Züge aufweist. Es ist ihm zuzutrauen, dass er etwas völlig Verrücktes tut.«

»Ja. Aber, wie gesagt: Ich bin bestmöglich vorbereitet.«

»Dann viel Glück, Puorengir.«

Die Verbindung brach ab. Rhodan starrte weiterhin auf das Holo, das die beiden Pentasphären nunmehr aus mehreren verschiedenen Blickwinkeln zeigte.

Die Hundertsonnenwelt kam prominent ins Bild. Sie war eine beeindruckende Staffage für dieses entscheidende Treffen zwischen Bruder und Schwester, zwischen zwei großen Persönlichkeiten, die um die Herrschaft über das Reich der Thoogondu stritten.

Fünf der insgesamt zweihundert Kunstsonnen des Heimatplaneten der Posbis waren von Puoshoors Leuten zerstört worden, der Rest bildete dennoch eine unvergleichliche Kulisse.

»Du wirkst nervös, Perry«, sagte Spartakus Galouye. Der Epsaler war in den letzten Tagen kaum von seiner Seite gewichen war. Ein kampferprobter Veteran der Tiuphorenwacht, dem Rhodan bedenkenlos sein Leben anvertraute.

»Ich traue der Sache nicht. Die Gonda unterschätzt ihren Bruder.«

»Sie ist nicht allein, das weißt du. Ihre Begleiter werden sie unter allen Umständen beschützen.«

Galouye hatte recht. Beide Seiten hatten Hunderte Sicherheitsvorkehrungen getroffen und tagelang verhandelt, um dieses Treffen zwischen den Geschwistern unter optimalen Voraussetzungen zu gestalten.

»Es geht los«, sagte ein blassgesichtiger Ortungsoffizier namens Karingel Ott. »Die Pentasphären bewegen sich aufeinander zu.«

»Alle verfügbaren Bilder und Daten auf den Schirm!«, befahl Rhodan. »Ich will über alle Abweichungen vom beschlossenen Prozedere informiert werden. Ab jetzt ist höchste Aufmerksamkeit geboten.«

»Natürlich.«

Ott gehorchte. Dutzende, ja, Hunderte unterschiedlich große Bilder leuchteten auf dem Zentraleholo auf. Die Annäherungsmanöver der DAAIDEM und der TAYLITTIR wurden in winzige Schritte zerlegt und analysiert. Bei den Diskussionen über die Konferenz zwischen Puorengir und Puoshoor war ein Fahrtenbuch erstellt worden, in dem der Energieverbrauch bis aufs Kilojoule genau festgelegt worden war. Datenpräzision war das beste Mittel, um Überraschungen zu vermeiden.

»Entfernung zwischen den Schiffen: achtundvierzig Kilometer«, sagte Ott. »Die DAAIDEM hält sich an die vorgegebene Kriechgeschwindigkeit.«

»Irgendwelche Auffälligkeiten?«

»Negativ.«

Mehr als zwanzig Energietechniker, Ortungs- und Positronikspezialisten achteten in diesen Minuten auf die Auswertungsprotokolle. Jede Abweichung wurde an die Kommandanten der beiden Pentasphären weitergegeben. Ein Schiff jener Thoogondu, die auf Puoshoors Seite standen, überprüfte die Vorgehensweisen ebenfalls und erfüllten damit dieselbe Rolle wie die GALBRAITH DEIGHTON VII als Schiedsrichter.

»Es scheint, als würde der falsche Gondu die Vorgaben einhalten«, sagte Galouye.

»Ja. Scheint so.«

Die TAYLITTIR mit Puorengir an Bord stand tiefer im Orbit. Korrekturschübe der mächtigen Aggregate wurden ordnungsgemäß gemeldet und kontrolliert. Nach wie vor verlief alles reibungslos.

Die Hülle von Puorengirs Schiff wies geringe Beschädigungen auf. Sie waren bei der Flucht vor ihrem Bruder entstanden.

»Schiff X bezieht Position«, sagte Ott. »Im Leerraum zwischen den Pentasphären. In exakt derselben Entfernung zu beiden.«

Schiff X. Die Kodebezeichnung eines Leichten Kreuzers der MERKUR-Klasse mit einem Durchmesser von hundert Metern. Von der GALBRAITH DEIGHTON ausgeschleust und unter den Argusaugen von Thoogondu beider Konfliktparteien für das Treffen zwischen Puorengir und Puoshoor vorbereitet, entkernt und aller systemrelevanten Aggregate beraubt. An Bord von Schiff X gab es kein Schräubchen zu viel. Nur die Steueraggregate und jene, die zur Aufrechterhaltung akzeptabler Umweltbedingungen dienten.

Dorthin würden die Geschwister mit jeweils zwei Begleitern überwechseln und ihre Gespräche führen.

Und zwar in zwei Minuten. Der Countdown lief beständig, die Sekunden vergingen.

»Die DAAIDEM hat gestoppt«, meldete Ott. »Wie vereinbart. Fünfundvierzig Kilometer oberhalb der TAYLITTIR.«

»Wie sieht es mit den Schutzschirmen aus?«

»Werden im Moment desaktiviert. Zeitgleich.«

Rhodan atmete tief durch. Eine weitere Etappe in dieser schwierigen Annäherung zwischen zwei verfeindeten Parteien war erreicht. Das brüchige Vertrauensverhältnis hielt.

»Ich habe da eine Anomalie«, meldete sich eine der Energiewissenschaftlerinnen zu Wort.

Rhodan ließ sich ihren Namen in ein Holo einblenden. Arla Kontington. Hochbegabt, aber manchmal Stimmungsschwankungen unterworfen.

»Raus damit, Arla!«, forderte er sie auf.

»Eine winzige Ungereimtheit, fast nicht zu bemerken, aber ...«

»Was willst du mir sagen? Los, rasch!«

»Ich sehe den Hauch einer energetischen Widerspiegelung. Eine Spur, die nicht da sein dürfte.« Arla Kontington hieb mit irrwitzigem Tempo auf die Flüssigkristalltastatur vor sich ein, schob Datenbilder hin und her, zog neue heran, legte sie übereinander – und brach ab.

»Scheiße«, sagte sie mit vor Entsetzen weit aufgerissenen Augen. »Puorengir muss weg von dort, sofort! Die Energiebilder, die wir zu sehen bekommen, sind manipuliert. So raffiniert, dass die Spuren kaum zu erkennen sind ...«

»Das ist ein Irrtum«, beschwichtigte Ott. »Lass diese unsinnigen Behauptungen, Arla. Du gefährdest das Unternehmen!«

Wenn in diesem Moment jemand die Nerven verlor, würde jede nachfolgende Handlung unwiderruflich in einer Katastrophe münden. Wer war diese Arla Kontington? War sie ausreichend kompetent, um als Einzige eine energetische Überblendung zu erkennen, die die Wahrheit übertünchte? Oder kapitulierten soeben ihre Nerven?

Rhodan konnte nicht warten. Er musste Entscheidungen treffen, sofort.

Die DAAIDEM machte einen Satz. Sie raste auf die TAYLITTIR zu und nutzte dabei Höchstbeschleunigungswerte. Dreihundert Sekundenkilometer.

Alles geschah so rasch, dass das menschliche Auge die Vorgänge nicht verarbeiten, nicht zuordnen konnte. Eben noch hatte die DAAIDEM auf dem ihr zugewiesenen Platz verharrt. Bruchteile einer Sekunde später hatte sie Schiff X gerammt, um gleich darauf mit der Bugkugel voran in die zentrale Kugel der TAYLITTIR zu rasen.

Puorengirs Schiffs-Neurotronik hatte reagiert. Der Schutzschirm war hochgefahren, ein Ausweichmanöver begonnen worden. Doch zu spät. Die energetischen Schutzwälle verkeilten sich ineinander und neutralisierten sich teilweise.

Rings um die beiden Schiffe entstanden risikoenergetische Gebilde. Risse klafften dort auf, Risse im vierdimensionalen Raum. Das Dahinter war für ein menschliches Bewusstsein kaum zu erfassen, war nicht greifbar – und schloss sich zu Rhodans Erleichterung rasch wieder.

Zurück blieben zwei Schiffe, die ineinander gekracht waren. Weitere Explosionen. Trümmer lösten sich, schossen davon, trudelten umher, fielen auf die Hundertsonnenwelt hinab oder trieben in den Raum hinaus.

Wie viel Zeit war vergangen, seit ihn Arla Kontington auf eine mögliche Falle aufmerksam gemacht hatte? Drei Sekunden? Vier? Trug Rhodan Mitschuld an der Katastrophe? Hätte er rascher reagieren und das Annäherungsmanöver abbrechen lassen sollen?

Darüber konnte er später nachdenken. Nun galt es zu handeln.

»Wir gehen runter, so nahe wie möglich an die beiden Schiffe heran. Schutzschirme hochfahren, Feuerbereitschaft herstellen!«

Anna Patoman gab weitere Befehle. Die eigentliche Kommandantin der DEIGHTON erledigte Feinarbeit stoisch und ruhig. Sie hatte Rhodan das Kommando über ihr Schiff überlassen und tat das, was notwendig war.

Die Positronik und die Besatzung gehorchten. Alles geschah reibungslos, ohne Zeitverlust. »Wir müssen unter allen Umständen verhindern, dass die Kämpfe neuerlich ausbrechen. Versucht, eine Funkverbindung mit der Gonda und ihren Begleitern herzustellen. Wir brauchen Informationen von Bord der TAYLITTIR. Vom Backup-Bereich brauche ich einen Statusbericht und eine Analyse der Geschehnisse. Los, los, macht schon!«

»Die Thoogondu Puoshoors gehen ebenfalls tiefer«, meldete Karingel Ott unaufgeregt. »Es sieht so aus, als wollten sie den Raum rings um die DAAIDEM sichern. Als wären sie auf das Manöver ihres Gondus vorbereitet gewesen.«

»Zweifellos waren sie das. – Analysiert den Funkverkehr auf allen Seiten und liefert mir Ergebnisse! Die Posbis sollen sich bereithalten. Mag sein, dass es zum schlimmsten aller Ereignisse kommt und die Thoogondu Puoshoors die Hundertsonnenwelt wieder angreifen.«

»Das trauen sie sich niemals«, behauptete Galouye. »Nicht jetzt. Sie würden ihren eigenen Gondu in Gefahr bringen.«

»Mag sein. Aber was, wenn sich der falsche Gondu bereits mithilfe eines Transmitters abgesetzt hat? Wissen wir, ob Puoshoor noch zurechnungsfähig ist? Nach dem, was er gerade eben angestellt hat? Ist dies das Vorgehen eines geistig gesunden Wesens?«

Rhodan starrte auf die beiden Pentasphären. So, wie sie in einem rechten Winkel einander steckten, formten sie ein »T«. Ein T, in dem nach wie vor Explosionen geschahen und das auf seinem Torkelkurs tiefer in die Atmosphäre der Hundertsonnenwelt absank. Derzeit noch mit geringer, aber auch mit wachsender Geschwindigkeit.

Hektische Betriebsamkeit brach aus, während Rhodan sich zur Ruhe zwang. Er musste einen klaren Kopf behalten und die ganz große Katastrophe verhindern.

Verdammt. Wie hatte es bloß dazu kommen können?

2.

Verhandlungen

2. Juli 1552 NGZ

 

Ich liebe meine biologische Komponente. Ich bin dem Zentralplasma unendlich dankbar dafür, dass es mir einen Teil von sich selbst zur Verfügung gestellt und mich damit zu einem vollkommenen Geschöpf gemacht hat.

Das Wort vollkommen ist selbstverständlich ein Euphemismus, der dem Überschwang meiner Gefühlskomponenten zu verdanken ist. Denn es ist noch ein weiter Weg zur Selbstvervollkommnung. Mir werden nach wie vor einige Schwächen nachgesagt.

Viele von ihnen habe ich bereits überwunden. Vor allem die Frühzeit meiner Existenz ist ein dunkles Kapitel, über das ich nicht allzu viel nachdenken möchte.

Aber lassen wir das! Ich habe andere Schwächen, mit denen ich einfach nicht zurechtkomme. Eine davon prägt mich seit jeher – und hat mir einen ungewöhnlichen Namen eingebracht

Man nennt mich Samstag. Ich bin ein Posbi. Ein positronisch-biologischer Roboter von der Hundertsonnenwelt, dem eine prokrastinative Seelenstörung nachgesagt wird.

Mein erster Matten-Willy meinte, dass ich bereits zu meiner ... Geburt Anzeichen dieser Störung gezeigt hätte. Justinian, so war sein Name, behauptete, dass ich selbst in diesen ersten zehn Sekunden meiner Existenz viel zu langsam reagiert hätte und nicht erwachsen werden wollte.

Weil ich in den ersten Lebenstagen sehr roh und barbarisch reagiert hätte, wollte er mir den Namen Freitag geben und mich damit nach einer literarischen Figur aus dem altterranischen Sagenschatz benennen. Weil ich aber zu den Arbeitstreffen mit ihm mehrmals zu spät gekommen wäre, hätte er mich stattdessen Samstag genannt.

Mir gefällt dieser Name, muss ich zugeben. Er charakterisiert mich ein wenig und gibt mir das Gefühl, ein Individuum zu sein. Ein ... ein Selbst zu sein.

Neben dieser wundersamen Schwäche habe ich aber auch Begabungen. Ich ließ mir vor etwa zweitausendfünfhundert Jahren eine Prägung als Funker und Orter geben – und machte eine intensive Schulung als Interpreto durch. Mithilfe meiner positronischen Logikeinheit und eines besonderen Verständnisses für die Bedürfnisse rein organischer Lebewesen arbeite ich seitdem daran, Konflikte zwischen den Vertretern mehrerer Völker zu entschärfen.

Ich verstehe sie. Ich erstelle ihnen Zeit-Weg-Verständnis-Diagramme, die zu bestmöglichen Lösungen führen.

Der Pfad zu nachhaltig wirkenden Verhandlungsergebnissen ist steinig. Dies habe ich immer wieder feststellen müssen. Es trifft mich schwer, wenn all meine Bemühungen nicht zum Ziel führen. Doch ich habe mich längst damit abgefunden, dass Kompetenz allein nicht reicht. Es ist einzig der Wille, der zählt, wenn es um die friedliche Lösung eines Konflikts geht.

 

*

 

»Sieh mal einer an!«, sagt ein kleines und breit gewachsenes Geschöpf, sobald ich die Zentrale der GALBRAITH DEIGHTON VII betrete. »Was bist denn du für einer?«

»Ich bin Samstag«, antworte ich. »Der legitimierte Vertreter des Zentralplasmas bei den bevorstehenden Verhandlungen.«

»Du siehst wie ein wandelnder Schrotthaufen aus.«

»Du willst mich provozieren, nicht wahr? Das wird dir nicht gelingen. Ich habe seit 361 Jahren nicht mehr die Beherrschung verloren.«

»Und was geschah damals?«

»Darüber möchte ich nicht reden.« Meine Sensorien sagen mir, dass ich es mit Spartakus Galouye zu tun habe. Mit einem Epsaler, dem es wie so vielen seines Volkes an guten Manieren mangelt, der aber wegen seiner unverbrüchlichen Treue und seiner Kampfkraft geschätzt wird.

»Du kommst zu spät«, sagt ein anderer Mann, den ich als Monkey identifiziere. »Das Zentralplasma hatte dich bereits vor zwölf Minuten avisiert.«

»Verzeihung.« Ich verbeuge mich vor dem Oxtorner. Ich weiß, dass er auf Höflichkeit viel Wert legt.

»Ich danke dem Zentralplasma, dass es uns unterstützt«, meint ein Dritter. »Wir können Hilfe dringend gebrauchen.«

Perry Rhodan. Eine Legende biologischer Herkunft, die nur unbedeutend jünger ist als ich.

Ich verehre diesen Terraner und habe viele seiner diplomatischen Auftritte studiert. Er versteht es immer wieder, mithilfe seiner Intuition, Raffinesse und einer raschen Auffassungsgabe Konflikte zu entschärfen. Auf eine Art und Weise, die mir selbst nicht ganz klar ist. Trotz aller Analysen, die ich angestellt habe.

»Ich danke dir,« sage ich und verbeuge mich ein weiteres Mal. Mein Tonnenkörper knickt in der Mitte ab, ein leichtes Quietschen ist zu hören.

Wie peinlich! Ich habe die wöchentliche Ölung vergessen.

»Damit haben wir die Höflichkeiten hinter uns gebracht.« Monkey tritt beiseite und winkt mir, ihm und den anderen in einen kleinen Konferenzraum zu folgen.

Der unhöfliche Spartakus Galouye bleibt zu meiner Erleichterung zurück. Dafür wartet eine weitere Person auf uns: eine Frau, eine Thoogondu. Ich wünsche ihr einen Guten Morgen, sie erwidert meinen Gruß formvollendet. Ihr ist die gute Erziehung anzumerken.

Ich stehe Puorengir gegenüber, der legitimierten Gonda, der wir zu ihren Rechten verhelfen und die wir auf die Verhandlungen mit ihrem Bruder vorbereiten sollen.

Monkey lässt sich unmittelbar neben ihr auf einem Spezialstuhl nieder.

»Was immer wir beschließen, Puorengir: Ich bestehe darauf, dass du mich zu den Verhandlungen mitnimmst. Ich werde dich bei den Gesprächen mit deinem Bruder unterstützen.«

Die Thoogondu macht ihren Rücken rund, eine Eigenheit dieser Geschöpfe, wenn sie sich unwohl fühlen. Ich mache mir eine gedankliche Notiz. Ich werde sie später darauf hinweisen, dass sie ihre körperlichen Reaktionen längst nicht im Griff hat und damit leicht zu durchschauen ist.