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Nr. 2986

 

Sonnenmord

 

Offensive der Thoogondu – ihr Ziel ist die Hundertsonnenwelt

 

Leo Lukas

 

 

 

Pabel-Moewig Verlag KG, Rastatt

 

Cover

Vorspann

Die Hauptpersonen des Romans

Prolog: Der letzte Ausweg

1. Der Zwischenstopp

2. Der Anwärter

3. Eine rein zufällige Begegnung

4. Die Wahl

5. Die Mission

6. Drinnen und draußen

7. Ein feines Mahl

8. Zwielicht

9. Um die Ecke sehen

10. Die Mordvorbereitungen

11. Der erste Mord

12. Trügerische Sicherheit

13. Die wandernden Toten

14. Feuer frei!

15. Zwillinge

Epilog: Unverhoffte Hilfe

Journal

Leserkontaktseite

Glossar

Impressum

PERRY RHODAN – die Serie

 

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Gut dreitausend Jahre in der Zukunft: Perry Rhodan hat nach wie vor die Vision, die Milchstraße in eine Sterneninsel ohne Kriege zu verwandeln. Der Mann von der Erde, der einst die Menschen zu den Sternen führte, möchte endlich Frieden in der Galaxis haben.

Davon ist er in diesen Tagen des Jahres 1552 Neuer Galaktischer Zeitrechnung allerdings weit entfernt: In der von der Superintelligenz ES verlassenen Milchstraße machen sich Boten anderer Superintelligenzen breit, ebenso alte Feinde von ES und neue Machtgruppen.

Eine dieser Machtgruppen hat den »Weltenbrand« entfacht, der mittels der Sonnenstrahlung auf die Sinne aller intelligenten Lebewesen einwirkt: Licht wird zu grell, Wärme zu heiß, Kühle zu kalt, Geräusche zu laut. Nichts bietet echten Schutz dagegen, es gibt nirgendwo einen Ort, der sicher ist.

Davon unbeeindruckt bereiten die Thoogondu, einst das bevorzugte Volk von ES, aber seit Jahrtausenden vertrieben, ihre Rückkehr vor. Während sich die Thronerbin auf die Seite der Galaktiker stellt, treibt ihr Bruder, der Konkurrent um die Krone des Gondunats, die Invasionspläne voran. Zunächst verfällt er auf den SONNENMORD ...

Die Hauptpersonen des Romans

 

 

Perry Rhodan – Der Terraner kann nicht an mehreren Brennpunkten zugleich sein.

Orla Trant und Spartakus Galouye – Die Wissenschaftlerin und der Raumsoldat gehen in den Einsatz.

1- bis 39jung – Der Sprössling einer abgelegenen Kolonie gibt fernab der Heimat sein Bestes.

Anna Patoman – Die Admiralin übernimmt die Verteidigung gegen die Thoogondu.

Königssitz und Erasteban Krolok – Der Posbi und der Swoon spüren verborgenen Machenschaften nach.

»Immer, wenn du glaubst, es geht nicht mehr, kommt von anderswo ein neuer Tiefschlag her.«

Plophosisches Sprichwort

 

 

Prolog

Der letzte Ausweg

 

Jetzt hat es mich erwischt.

Ausgerechnet mich – der ich oft andere, die in diese missliche Lage geraten sind, verspottet habe. Mich, der ich mich stets über solche Schwächen erhaben gefühlt habe!

Aber es ist passiert. Was ich nie für möglich gehalten hätte, ist eingetreten: Ich weiß nicht mehr weiter.

Ich verharre, beziehungsweise drehe durch, rotiere buchstäblich auf der Stelle. So schnell, dass die Umgebung verschwimmt und nicht einmal meine hochauflösenden Optiken scharfe Konturen erfassen können.

Hilft mir das, mich zu fokussieren, wenigstens innerlich?

Nein. Reine Energieverschwendung.

Selbstverständlich kenne ich eine Reihe weiterer Tricks, um die geistige Lähmung zu überwinden. Theoretisch: aus den Schilderungen anderer, die vor mir in dieses entsetzliche, bodenlose, schwarze Loch gefallen sind.

Ein Kollege schwört darauf, sich meditativ in eine Art Fast-Koma zu versetzen. Alles abzuschalten, was nicht der unmittelbaren Lebenserhaltung dient, für einige Tage oder Wochen. Um danach einen Neustart vorzunehmen.

Ich habe das probiert. Nichts hat es gebracht! Außer, dass ich mich nach der Reaktivierung nur hilfloser und verzweifelter fühlte.

Reine Zeitverschwendung!

Während der Termin, den ich eingegangen bin, in fast schon unerfüllbare Nähe gerückt ist ...

Ein Konkurrent – über den ich mich lustig gemacht hatte, als er selbst bei einem Projekt feststeckte – riet mir, ganz ohne Schadenfreude, zu körperlicher Ertüchtigung. »Bis zur totalen Erschöpfung! Glaub mir, das klärt das Denkvermögen.«

Also habe ich große Anstrengungen unternommen, um meine physischen Komponenten auszureizen und dabei zu verbessern. Habe optimiert, erneuert, habe teilweise abgenutzt erscheinende Module sogar durch schwer erhältliche, experimentelle Prototypen ersetzt.

Reine Materialverschwendung.

Ebenso wie die dritte Pseudo-Therapie, die auf der geballten Zufuhr psychoaktiver Substanzen beruht. Das einzige Ergebnis war, dass mich die anschließende Reinigung meines Plasmaanteils zusätzliche wertvolle Arbeitstage kostete.

Letztlich musste ich mich mit einer Erkenntnis abfinden, die ich mir nie eingestehen wollte: Auch ich bin nicht gegen das Schlimmste gefeit, was einen Kreativen ereilen kann.

Schöpferblock.

 

*

 

Müßig zu erwähnen, dass wir Einrichtungen für Individuen haben, die darunter leiden. Es ist schließlich ein seit vielen Jahrhunderten bekanntes Phänomen.

Trotzdem nahm ich die Dienste der Cycollogischen Ambulanz erst in Anspruch, nachdem sich alle anderen Versuche als fruchtlos erwiesen hatten. Geknickt rollte ich, der oftmals Spott und Hohn über diese »Schraubenzurrer« ergossen hatte, zur nächstgelegenen derartigen Institution und meldete mich kleinlaut für eine Krisenintervention an.

Ich musste nicht lange warten, bis ich vorgelassen wurde.

»Wann hast du erste Anzeichen bemerkt?«, fragte mich der mir zugewiesene Plasmakommandant, ein ehemaliger, verdienstvoller Großer Reisender.

»Schon vor einigen Jahren«, erklärte ich und übermittelte gleichzeitig die exakten Daten via Symbolfunk. »Aber ich habe die Warnhinweise ignoriert. Ich dachte, das wären Begleiterscheinungen der allmählich einsetzenden Routine.«

»Es wird dich nicht trösten«, sagte der Cycolloge, »dass du damit keineswegs allein bist. Eine vermehrte Tendenz zur Prokrastination tritt häufig auf, sobald man sich seiner Kunstfertigkeit einigermaßen sicher ist.«

»Ich habe die Berichte gelesen«, versicherte ich. »Über Raumschiffskommandanten, die sich in der Betrachtung von Supernovae oder pittoresken Sternentstehungsgebieten verloren. Die ihre Pflichten vernachlässigten, um eine eigene Meta-Sprache zu entwickeln, mit der sich die jenseits aller sonstigen Wahrnehmungen gelegenen Emissionen beschreiben ließen ...«

»Wir reden hier«, unterbrach mich der Plasmatiker, wobei er scharf zurechtweisende Symbolketten mitschickte, »nicht von mir, sondern von dir. Details, bitte!«

Widerstrebend erzählte ich, wie ich mir im Laufe der Jahrzehnte immer mehr Subroutinen eingefangen hatte, die dazu geeignet waren, mich von meiner eigentlichen Berufung abzuhalten. Mathematische Spielereien, mal extrem ausgeklügelt, mal obszön primitiv.

»Aber jedenfalls auf perfide Weise süchtig machend – wegen des permanenten Reizes, sich darin mit anderen zu messen.«

»Und in den Ranglisten aufzusteigen, obwohl diesen keinerlei höhere Bedeutung zukommt. Das kenne ich gut.«

Schon klar. Sonst wäre er wohl nicht auf diese Position versetzt worden.

»Was noch? Cybersoziale Netze?«

»Im Übermaß. Manchmal verbringe ich mehr Lebenszeit darin als außerhalb.«

»Ich nehme an, es ist dir nicht gelungen, dies einzuschränken.«

»Obwohl ich unzählige Anläufe unternommen habe, ja. Keine Chance.«

Zeitweilig hatte ich mich freiwillig sperren lassen, gestand ich – und bald darauf die Barrieren wieder selbst unterlaufen.

»Was nicht schwer ist. Wir sind ein Kollektiv, das dennoch großen Wert auf die Freiheit des Individuums legt. Und viele von uns gieren nun mal nach regelmäßiger Bestätigung, auch wenn diese nur über ein simples, billiges Symbol erfolgt. – Eine Betreuung durch eigens dafür ausgebildete Matten-Willys ...?«

Ich winkte ab. »Erfolglos. Sie haben sich redlich bemüht. Jedoch gingen sie mir, unter uns gesagt, mehr auf die Nerven, als dass ich ihre Fürsorge hätte genießen können.«

Der Cycolloge übermittelte tröstliche Impulse. »Wie gesagt, du bist bei Weitem nicht der Einzige mit solchen Schwierigkeiten. Die Aktivierung unseres Chronofossils hatte nicht nur positive Folgewirkungen.«

»Erzähl mir etwas Neues!«

»Sondern der damit verbundene Evolutionssprung«, setzte mein Therapeut ungerührt fort, »unter anderem in Form der Aufwertung der hypertoyktischen Verzahnung zur bionischen Vernetzung, hat uns auch empfindlicher gemacht. Damit ging die Fähigkeit zum Empfinden echter Stimmungen und Gefühle einher ...«

»Das weiß ich alles! Aber wie komme ich aus diesem verderblichen Strudel, in dem ich gerade stecke, wieder heraus?«

 

*

 

»Nun«, antwortete der frühere Schiffsführer, dessen Plasmavolumen das meinige um mindestens einen Faktor hundert übertraf, »da gibt es verschiedene Optionen. Bist du sehr unglücklich?«

Ich lachte so schrill auf, dass meine kürzlich eingebauten, noch nicht völlig reibungsfrei implementierten Teile schepperten. »Wenn ich das wüsste! Ich meine, es geht mir nicht gut. Definitiv. Wohlfühlen ist anders. Ich leide ...«

»Ja, ja, wer nicht. – Eine vollkommene Löschung deiner Existenz und sinnvollere Weiterverwertung der Bestandteile steht dennoch nicht zur Debatte?«

»Nein!«

Kurz waren mir tatsächlich Begriffe wie Erlösung, Ruhe und Nirwana durch die biologischen und kybernetischen Ganglien gezuckt. Verlockend.

Aber nein, so weit war ich noch nicht. »Ich muss zuerst mein Lebenswerk vollenden.«

»Du beschäftigst dich hauptsächlich mit der Erschaffung sowohl virtueller als auch im Normalraum angesiedelter Abenteuerparks.«

Ich bejahte, ohne mich zu wundern, woher er das wusste. Auf unserer in sich verschränkten Welt bleibt gemeinhin nur weniges verborgen.

»Schon mal darüber nachgedacht, dass deine Arbeit nicht gar so wichtig sein könnte? Dass es vielleicht zielführender und für dich erfüllender wäre, du würdest dich einfach fröhlich dem Müßiggang hingeben, ganz ohne schlechtes Gewissen?«

Das klang schon wesentlich verführerischer. Ich horchte in mich hinein.

Sollte ich einfach Verabredungen negieren, die ich, vielleicht übermütig, eingegangen war? Wer wäre mir deswegen wirklich böse?

Wen kümmerte es überhaupt?

»Die Konsequenzen«, sagte ich, »fielen nicht arg ins Gewicht. Was ich mache, interessiert nur eine relativ kleine Gemeinde.«

»Na dann ...«

»Aber ich bin noch nicht fertig! Ich möchte meine Hinterlassenschaft, mein Testament, unbedingt vervollständigen.«

»Unbedingt.«

»Ja, unbedingt.«

Für eine Weile schwieg mein Gesprächspartner. Mit Sicherheit nicht, weil ich ihn in Verlegenheit gebracht hätte – seine Denkprozesse liefen ungleich schneller ab als meine. Offensichtlich wollte er mir Zeit geben, das bisher Besprochene zu reflektieren.

»Somit sind wir«, sagte ich nach mehreren, langen Millisekunden, »wieder bei der Anfangsfrage: Was hindert mich? Und vor allem, wodurch könnte ich diese grässliche Selbstblockade überwinden?«

»Dir steht der gesamte Katalog an für derartige Fälle erprobten Vorgehensweisen und Methoden zur Verfügung. Allerdings vermute ich, dass sich darin nichts für dich wesentlich Neues finden würde.«

»Schönen Dank.« Meine mitgesandten Symbolgruppen strotzten vor Sarkasmus.

Schon wollte ich mich, um nichts schlauer und hoffnungsvoller als zuvor, zurückziehen, da sagte der Plasmatiker: »Einen Tipp hätte ich allerdings.«

»Nämlich?«

»Das ist noch recht frisch. Etliche Leute, denen es ähnlich ergangen ist wie dir, haben sich in letzter Zeit in einer Region auf K-Süd angesiedelt. Den bislang nur spärlichen und daher mangelhaft überprüften Rückmeldungen zufolge fanden sie in der dortigen Gemeinschaft Hilfe. Und dadurch ›zurück in die Schienen‹. Vielleicht wäre das auch etwas für dich. Ich kann freilich keine Garantie übernehmen, dass ...«

»Wo genau liegt dieser Ort?«

Ohne weiteren Kommentar übermittelte er mir die Positionsdaten. Da sich mir keine vernünftige Alternative bot, machte ich mich gleich am nächsten Tag dorthin auf den Weg.

1.

Der Zwischenstopp

 

»Fernortung!«

Admiralin Anna Patoman, die entspannt vor sich hin gedöst und im Halbschlaf eine Liste der verschiedenen, an Bord verfügbaren Sorten von Pfefferminztee erstellt hatte, schreckte auf und war sofort wieder voll im Dienst. »Was, wo, wer?«

»Den Signaturen zufolge ein kleiner Pulk von nahe beieinander stehenden Raumschiffswracks«, meldete der Sprecher der Abteilung Funk und Ortung. »Eines davon könnte eine terranische Space-Jet sein. Von einem anderen, aus dieser Entfernung nicht identifizierbaren, mutmaßlich ebenso schwer beschädigten Raumer geht ein schwaches, in regelmäßigen Abständen wiederholtes Notsignal aus.«

Die Kommandantin der GALBRAITH DEIGHTON VII richtete sich auf und aktivierte die Massagefunktion ihres Kontursitzes. Sich dehnend und reckend, fragte sie: »Perry? Was tun wir?«

Rhodan stand am Pult des Expeditionsleiters, lässig-entspannt, und sortierte rasch, aber ohne Hektik, die speziell für ihn projizierten, holografischen Infofelder. »Zuerst einmal verschaffen wir uns ein aussagekräftigeres Bild. Dann entscheiden wir, ob wir länger als geplant verweilen. Einerseits haben wir keine Zeit zu vergeuden. Andererseits: Einem Notruf, möglicherweise in Verbindung mit einem terranischen Schiff, muss nachgegangen werden, schon gar hier draußen.«

Das war, fast wortwörtlich, die Antwort, die Anna Patoman erwartet hatte.

 

*

 

Die GALBRAITH DEIGHTON, das Flaggschiff der Liga-Flotte, befand sich im intergalaktischen Leerraum, weit über der Hauptebene der Milchstraße.

Vor knapp vier Wochen, am 29. Mai 1552 NGZ, waren das Schiff und seine Besatzung aufgebrochen, um die Distanz von rund 300.000 Lichtjahren bis zum Zentralplaneten der Posbis zu überwinden. Denn wie sie in Erfahrung gebracht hatten, bildete die Hundertsonnenwelt eines der primären Angriffsziele der HARUURID-Mission der gondischen Invasoren.

Das bedeutete, dass Eile geboten war.

Schließlich hatten die positronisch-biologischen Intelligenzwesen, die zu den treuesten Verbündeten der Terraner zählten, ihre Hauptwelt weitgehend von Fragmentraumern entblößt. Die Posbis hatten sie in den Einsatz geschickt, um mit deren Kapazitäten die Evakuierung der Milchstraße zu unterstützen, falls der Weltenbrand nicht rückgängig gemacht werden konnte.

Perry Rhodan hatte bereits vor dem Start dringliche Warnungen absetzen lassen. Ein Kurierschiff war zum relativ nahe gelegenen, in etwa anderthalb Flugtagen erreichbaren Kugelsternhaufen M 3 im Halo der Milchstraße geschickt worden, wo die nächsten Relaisstationen des galaktischen Hyperfunknetzes installiert waren.

Mittlerweile sollten das Galaktikum, die LFG, die USO und die UPZ, die Union positronisch-biologischer Zivilisationen, also das Staatengebilde der Posbis, die Botschaft erhalten haben. Alle verfügbaren Hilfstruppen sollten längst in Marsch gesetzt worden sein.

Am schnellsten hatten jedoch, aufgrund ihrer Ausgangsposition, die GALBRAITH DEIGHTON und der sie begleitende, onryonische Raumvater SOOZORD reagieren können.

Das dritte Schiff im Bunde, die BOX 11211, der annähernd würfelförmige Fragmentraumer, von dem einige Besatzungsmitglieder auf die DEIGHTON übergewechselt waren, hatte den Anschluss verloren. Damit war allerdings zu rechnen gewesen: Er verfügte über nicht ganz so leistungsfähige Überlicht-Triebwerke.

Davon abgesehen, war die weite Reise erfreulich ereignislos verlaufen.

Bis jetzt, dachte Anna Patoman.

 

*

 

Neue Ortungsergebnisse gingen ein.

»Das ist ein bisschen seltsam«, kommentierte Leutnant Ringon Tartaritov, der diensthabende Funk- und Ortungsoffizier. »Diese Wracks ... Sie erwecken, vereinfacht ausgedrückt, allesamt den Eindruck, als wären sie zwar da, aber ... noch nicht ganz.«

»Was soll das heißen?«, fragte Patoman.

»Nun, sie sind nachweislich materiell. Aber zugleich wieder nur ... fast.«

»Durchscheinend? Semi-manifestiert?«

»Nein. An ihrer physischen Präsenz gibt es nichts zu zweifeln. Die erscheint nicht nur normal, sie ist es. Sonst hätten wir den Pulk gar nicht so schnell bemerken können, über die große Entfernung, trotz der sonstigen Signalarmut ringsum.«

»Aber? Komm zum Punkt!«

»Ihnen hängt etwas an, wie eine hyperphysikalische Fahne oder eher die Abwesenheit davon.«

»Leutnant!«

Tartaritov seufzte. »Ich habe das ganze Datenkonvolut schon an die Wissenschaftssektion weitergeleitet. Aber die können auf die Schnelle damit auch nicht mehr anfangen als wir. – Moment, eben geht ein Anruf aus der SOOZORD ein.«

»Weiterleiten!«, riefen Anna Patoman und Perry Rhodan wie aus einem Mund.

 

*

 

Im Holokubus erschien der Kommandant des Raumvaters, Tropar Lendellec.

»Ich grüße euch«, sagte der Onryone. »Das hyperphysikalische Phänomen, das soeben wohl auch eure Ortungsabteilung verwirrt, ist in unseren Archiven dokumentiert. Wir hatten bisher damit noch nichts zu tun. Aber ich denke, wir können, dank der vorliegenden Berichte, damit zurechtkommen.«

Perry Rhodan räusperte sich. »Nähere Angaben darüber, worum es sich handelt ...?«

»Sende ich dir gerne. Jedoch wirst selbst du relativ viel Zeit aufwenden müssen, um gänzlich durchzublicken.«

»Kurzfassung für Laien?«

Der Humanoide mit der lackschwarz glänzenden Haut und den handgroßen, spitz aufgerichteten Ohren am Hinterkopf gab das onryonische Äquivalent eines trockenen Lachens von sich.

Sein Emot-Organ, das zwischen den beiden goldfarbenen Augen saß, verfärbte sich von Dunkelgrün zu Hellrosa. »Bei den Wracks handelt es sich übrigens um nur vier Schiffe, der Rest sind infolge von Explosionen abgesprengte Teile. Sie sind gemeinsam nach einer, vermutlich in höchster Not und daher ungezielt erfolgten Versetzung an diesem Ort materialisiert.«

»Von wo aus, bitte? Wir stehen im Nichts, rund dreihunderttausend Lichtjahre entfernt von den Ausläufern der Milchstraße! Nicht eines dieser Schiffe«, Rhodan blätterte in den unaufhörlich aktualisierten Holofenstern, »wäre annähernd imstande gewesen, eine solche Entfernung zu bewältigen.«

»Das ist richtig. Sie müssen sich daher bereits zuvor im Leerraum getroffen haben. Frag mich nicht, warum und wieso. Jedenfalls haben sie wenig später, gemeinsam, unter Aufbietung aller Restenergien, einen, äh, Slingshot-Effekt ausgelöst.«

»Der was bewirkt hat?«

»Sie kamen weit weg vom Ort ihrer Gefährdung.«

»Sie brachten sich in Sicherheit.«

»Ja. Wobei sie in Kauf nahmen, was letztlich eingetreten ist: Ein winziger Teil ihrer Existenz hängt nach wie vor im Linearraum fest.«

»Was? ÜBSEF-Konstanten?«

Diese Abkürzung stand für die Überlagernde Sextabezugs-Frequenz, die als Ankersitz des persönlichen Bewusstseins galt. Manche bezeichneten sie auch als Hypersexta-Modulparstrahlung und einfache Gemüter machten sogar Seele daraus, obwohl das wohl die am wenigsten korrekte Bezeichnung war.

»Nein«, sagte Lendellec. »Wer an Bord dieser Schiffe gestorben ist, bleibt tot, unwiederbringlich. Es handelt sich maximal um einen Nachhall, dargebracht gleichsam als Opfer an die Gezeitenkräfte des Halbraums..«

»Echos, aus denen wir noch Informationen gewinnen könnten?«

»Mag sein. Ich schlage daher vor, dass die SOOZORD den kleinen Schiffsfriedhof anfliegt, um Klarheit in die Sache zu bringen.«

Das ergab Sinn, fand Anna Patoman. Die Onryonen galten nicht zu Unrecht als Experten auf dem Gebiet des schmalen, energetisch neutralen Streifens zwischen der vierten und fünften Dimension, der auch als Librationszone oder, von ihnen selbst, On-Raum bezeichnet wurde.

»Ich komme mit«, sagte Perry Rhodan.

Tropar Lendellecs Emot verfärbte sich ins Rötliche. Aber er erhob keinen Einwand.

2.

Der Anwärter

 

Die Überreichung und Anpassung der Ersten Manschette war ein großes Ereignis; nicht nur für ihn, sondern für die gesamte Batazeé.

Allerhand rituelles Brimborium fand statt, bis man ihm endlich die Ersterweiterung überstülpte. Er hatte sich darauf gefreut, ja danach gefiebert, seit er die Fähigkeit zum selbstbezogenen Denken erlangt hatte.

Die Verschlüsse klickten. Seine Koloniegenossen erhöhten die Lautstärke und Dynamik ihres subsonisch vibrierenden Gesangs.

Er öffnete sich, zitternd vor gieriger Erwartung, für die neuen Eindrücke. Und ...

Fühlte nichts.

Nichts geschah. Zumindest nichts, was er bewusst wahrgenommen hätte.

Rings um ihn jubelte die Festgemeinschaft. Kaktusblüten flogen durch die Luft. Bunte Rankengirlanden schlangen sich, scheinbar telekinetisch gesteuert, um die Leiber der anwesenden Teilhabenden.

Knatternd und knallend erblühten am Nachthimmel Feuerwerke. Ihre Leuchtpunkte breiteten sich aus und vervielfältigten sich, wieder und wieder.

Im Zentrum all dieses Tumults lag der Gefeierte, schlapp, unfähig, sich zu rühren, und fühlte sich verraten.

Es war nicht das erste Mal.

 

*

 

Nach der Zeremonie, als sich die Koloniegenossen wieder ihren üblichen Tätigkeiten widmeten, sprach ihn 38alt an, einer seiner Aufzieher. »Du wirkst enttäuscht, 1jung aus Batazeé 42.«

Das war das erste Mal, dass er bei seinem neuen Rangnamen genannt wurde. Eigentlich ein besonderer Moment; jedoch vermochte er beim besten Willen nicht, ihn zu genießen.

Da er vor Scham schwieg, sagte 38alt: »Kann es sein, dass du keine unmittelbare Wirkung der Ersterweiterung verspürst?«

»Wie kommst du darauf?«, krächzte 1jung.

»In sehr seltenen Fällen setzt sie verzögert ein. Ich glaube, dass bei dir ein solcher Fall vorliegt. Oder irre ich mich?«

»Nein«, gestand er nun doch.

Er kroch mühsam näher zu 38alt hin, wobei ihn das Rohr mehr behinderte als unterstützte. Es blieb starr und zwickte, anstatt seine Bewegungen zu unterstützen.

»Aha. Die sensorische Verschmelzung hat noch nicht stattgefunden«, sagte 38alt.

»Warum?«, schluchzte 1jung auf. »Liegt es an mir? Bin ich schadhaft? Ungeeignet, den Langen Weg zu gehen?«

»Aber nein, wo denkst du hin? Nach allem, was ich gelernt habe, könnte es sich sogar um das Gegenteil handeln. Den Überlieferungen zufolge tritt eine derartige anfängliche Hemmung häufig gerade bei Hochbegabten auf.«

1jung glaubte ihm nicht. »Du willst mir bloß den Schmerz versüßen. Bei mir hat nie jemand höhere Talente festgestellt.«

Vielmehr war er immer als eher unterdurchschnittlich veranlagt eingestuft worden. Die Beurteilungen der Fadenmeister hatten, je nach Freundlichkeit, zwischen »möglicherweise Spätentwickler« und »rettungslos geistig zurückgeblieben« geschwankt.

»Vergiss, was früher war«, sagte 38alt. »Meiner Meinung nach sollten solche Aussagen vor der Ersterweiterung gar nicht getroffen werden. Seit Jahrzehnten fordere ich das von den Fadenmeistern unserer Batazeé. Aber du weißt ja, wie das ist: Je weniger einer zu sagen hat, desto lieber macht er sich wichtig.«

Diese Worte vernahm 1jung gerne, aber auch mit einem gewissen Vorbehalt.

38alt war nicht sonderlich hoch angesehen in der Kolonie, wiewohl nur 25alt und 11alt der Endverflüchtigung näherstanden. Während diese beiden als Weise verehrt wurden, obgleich sie kaum mehr Verständliches von sich gaben, galt er als halb seniler, halb immer noch pubertierender Wirrkopf.

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Illustration: Swen Papenbrock

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