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Nr. 2978

 

Der Spiegelteleporter

 

Er ist kein Held – und doch zur rechten Zeit am rechten Ort

 

Michelle Stern

 

 

 

Pabel-Moewig Verlag KG, Rastatt

 

Cover

Vorspann

Die Hauptpersonen des Romans

Prolog: Sterne

1. Phänomene

2. Hyperimpuls

3. Sonnenzapfer

4. Experimente

5. Logo-Oase

6. Überraschung

7. Roboter

8. Entscheidungen

Epilog: TERRANOVA-Schirm

Journal

Leserkontaktseite

Glossar

Impressum

PERRY RHODAN – die Serie

 

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Gut dreitausend Jahre in der Zukunft: Perry Rhodan hat nach wie vor die Vision, die Milchstraße in eine Sterneninsel ohne Kriege zu verwandeln. Der Mann von der Erde, der einst die Menschen zu den Sternen führte, möchte endlich Frieden in der Galaxis haben.

Davon ist er in diesen Tagen des Jahres 1552 Neuer Galaktischer Zeitrechnung allerdings weit entfernt: In der von der Superintelligenz ES verlassenen Milchstraße machen sich Boten anderer Superintelligenzen breit, ebenso alte Feinde von ES und neue Machtgruppen.

Eine dieser Machtgruppen ist der sogenannte Techno-Mahdi, der das Solsystem unter seine Kontrolle gebracht hat. Sein wichtigster Repräsentant nennt sich Adam von Aures, er scheint nach der völligen Unabhängigkeit von allen Hohen Mächten zu streben. Bei seinen Bemühungen hat er aber etwas ausgelöst, das den Untergang der Milchstraße nach sich ziehen kann: den Weltenbrand.

Im Solsystem kämpft Reginald Bull für die Freiheit und gegen den Techno-Mahdi. Dazu bedient er sich eines besonderen Verbündeten: Es ist Kaleb Barasi, DER SPIEGELTELEPORTER ...

Die Hauptpersonen des Romans

 

 

Gucky – Der Mausbiber begleitet nicht nur den Spiegelteleporter.

Reginald Bull – Der Aktivatorträger geht in den Einsatz.

Kaleb Barasi – Der Spiegelteleporter überwindet sich selbst.

Lephart Yutong – Der Hyperphysiker entwickelt sich zur Gefahr für alle.

Lima Portomessa – Die Techno-Mahdistin weigert sich, die Seiten zu wechseln.

Niemand weiß, wie es ist, ein anderer zu sein. Es sei denn, sein Wissen ändert ihn.

Losung des Techno-Mahdi

 

 

Prolog

Sterne

 

Shinae zog die Beine an, kam in die Hocke und stand langsam auf der Schulter Icho Tolots auf. Oben angekommen streckte sie die Arme von sich, hob das Kinn und stellte sich vor, das Holzhaus samt dem Seeufer dahinter zu umarmen.

Sie mochte diese Turnübungen.

Manchmal träumte sie davon, wie es wäre, wenn der riesige, schwarzhäutige Haluter und sie zusammen in einer Show aufträten. In Shinaes Phantasie waren sie eine Attraktion, von der Menge bewundert, von den Terranern geliebt. Arkoniden, Unither, Blues und viele andere würden von ihren Heimatwelten anreisen, um sie zu sehen.

»Icho und Leuchtstern« – das war der Name, den Shinae ihrem Traum gegeben hatte. So würde die Show heißen, die das Trivid im Sturm eroberte. Ihre Eltern nannten Shinae manchmal Leuchtstern, und es klang besser als »Icho und sein Kleines.«

Icho sagte oft: »Mein Kleines«.

Normalerweise mochte Shinae es nicht, wenn das jemand tat, aber bei dem dreieinhalb Meter großen, vierarmigen Riesen war es in Ordnung. Für Icho Tolot war selbst ihr Vater ein »Kleines«, und der war keine acht, sondern ein winziges bisschen älter. Genau genommen unglaublich viel älter. Zu genau wollte Shinae darüber gar nicht nachdenken.

Papa.

Wie es ihm wohl ging? Der Gedanke an ihn schmerzte ein wenig, nicht doll, eher wie das unangenehme Kribbeln, das Shinae spürte, wenn sie am frühen Morgen hinaus in die Sonne ging. Was machte Papa in diesem Moment da draußen bei Sol, hinter dem Planeten?

Shinae legte den Kopf in den Nacken, blickte auf die Innenseite des undurchsichtigen Schutzschirms, auf die Aufnahmen eines abendlichen Himmels projiziert wurden. Sol war bereits untergegangen, was ein wenig Linderung brachte, deshalb spielte Shinae am liebsten abends mit Icho. Auch wenn es unter dem Schirm nicht wehtat – da war immer ein unangenehmes Gefühl, das sie an den Weltenbrand erinnerte, beständig wie der eigene Herzschlag. Es war wie eine Mahnung, die über ihr schwebte, sie darauf hinwies, dass ihr altes Leben vorüber war und das neue keine Gnade kannte.

Sie kniff die Augen zusammen. Sterne waren nicht zu sehen. Nicht deshalb, weil sie noch nicht aufgegangen wären. Es lag am TERRANOVA-Schirm, dieser gigantischen Hülle, die das Solsystem umschloss. Sie fraß alle Sterne, verschluckte sie mit einem unersättlichen, blauweißen Licht, durch das es nie richtig dunkel wurde.

Shinae schloss die Augen, lauschte. Sie hörte das Lied der Sterne nicht mehr. Früher hatte sie dieses Lied geliebt. Die Sterne sangen es den Fröschen vor, den Rosen, dem Haus und dem See. Sie sangen es auch für Shinae, wenn sie unruhig war und schlecht einschlafen konnte. Nun sangen die Sterne nicht mehr, und selbst der Mond ging unter in dem Flimmern und Leuchten hinter ihm, war kaum mehr auszumachen.

Dabei hätte Shinae das Lied der Sterne gut gebrauchen können, denn Papa war irgendwo dort draußen, in der Nähe der Sonne, und sie schlief schlecht ein, egal wie viele Geschichten Mama ihr über tapfere Tefroder und heldenhafte Terraner erzählte. Sie war »Leuchtstern« – für wen sonst sollten die unzähligen Sonnen da oben ihre Lieder zum Besten geben?

Shinae stand reglos, lauschte auf das Schweigen.

Icho fuhr eines seiner drei Augen aus und drehte es auf dem biegsamen Stiel – das konnte er, und darauf war Shinae manchmal sehr eifersüchtig! –, sodass es sie direkt anblickte. »Was hast du, mein Kleines?« Seine Stimme war gedämpft. Spräche er sie in voller Lautstärke an, würde es Shinae von seiner Schulter wehen.

»Ich lausche auf die Stille. Die Sterne da draußen – sie singen nicht mehr. Glaubst du, der TERRANOVA-Schirm spuckt sie wieder aus? Und wenn er es tut – werden sie dann wieder singen? Oder hat der Weltenbrand sie stumm gemacht?«

Icho lachte manchmal, wenn sie solche Sachen sagte, doch dieses Mal lachte er nicht.

»Sie werden wieder singen, mein Kleines. Ich bin sicher, der TERRANOVA-Schirm spuckt sie wieder aus. Dein Vater ist unterwegs, dir die Sterne zurückzuholen.«

1.

Phänomene

 

Das Entsetzen hing wie ein übler Geruch in der Zentrale. Niemand sprach in diesen ersten Minuten nach der Explosion des von uns beschossenen Tenders. Aber so gelähmt, wie wir uns innerlich fühlten, so hektisch war die Betriebsamkeit. Wir wollten wissen, was geschehen war, wollten unsere Gewissen reinwaschen vom letzten Fleck des Zweifels, was zum Tod von mehr als tausend Menschen geführt hatte.

Die Luft flirrte von rasch wechselnden Holos, die allzu hastigen Schritte der Besatzung klackten auf dem blaumetallischen Boden. Dann, allmählich, kam ein leises Summen dazu von Gesprächen, Analysen, Meinungen.

Die Stimmung erinnerte mich an die nach einer Schlacht mit hohen Verlusten. Köpfe und Schultern waren gesenkt, Blicke gebrochen, niemand redete laut, als hätten wir Schwerverletzte unter uns, die geschont werden mussten.

Wir untersuchten mit der GOUBAR NANDESE das energetische Chaos, das die Explosion von Tender 97 zurückgelassen hatte. Auch die Verbandsboote taten, was sie konnten, wobei besonders unser Begleitschiff hervorstach, die ROBERT WATSON-WATT, die auf Ortung spezialisiert war. Seit mehreren Stunden kam niemand zur Ruhe. Obwohl es unmöglich schien, im hyperenergetischen Flitter und den zahlreichen höherdimensionalen Phänomenen auch nur ein Bruchstück des zerstörten Tenders aufzuspüren, gaben wir die Hoffnung nicht auf, sehnten uns vergeblich nach einem Wunder. Theoretisch war es möglich, dass der angeflanschte ENTDECKER die Katastrophe überlebt hatte. Der Kugelraumer ließ sich leicht vom scheibenförmigen Rumpf des Projektorschiffs abkoppeln. Doch alles war viel zu schnell gegangen, als dass dies eine realistische Option gewesen wäre.

Ich starrte auf meinen Daumennagel, wartete auf die Ergebnisse der laufenden Tastungen. Der Schock saß mir in den Knochen. Es war ein widerwärtiges Gefühl, das durch meinen Körper kroch, sich dabei zuzog wie die Schlinge an einem Galgen, und jede noch so kleine Zelle einzeln erwürgte.

Kommandantin Cavillaca schwenkte den Sessel in meine Richtung. Ihr Dauerlächeln war verschwunden. Von der sonst stets freundlichen, mütterlichen Art war nichts mehr zu spüren. Ihr Gesicht wirkte so streng wie der zurückgebundene Zopf auf ihrem Hinterkopf, die weißen Haare ebenso nüchtern wie die dunkelblauen, nahezu violetten Augen. »Ein Anruf für Liga-Kommissar Reginald Bull. Hekéner Sharoun ist dran.«

Ich straffte mich. »Aktivier das Holo!«

Vor uns erschien der Oberkörper des Residenten der Liga Freier Galaktiker. Cai Cheung, die Solare Premier, hatte in dieser Angelegenheit alle Befugnisse an ihn abgetreten, da es darum ging, den Kontakt mit dem Rest der Liga wiederherzustellen.

Sharoun sah verkniffen aus, die blaue Haut war eine Spur heller als sonst. Für einen Ferronen war er mit einem Meter siebzig ungewöhnlich groß. Seine Körperhaltung kam mir angespannt vor, wie die eines Menschen, der sich zurückhielt, etwas zu tun. Vielleicht striche er sich am liebsten durch das struppige, kupferfarbene Haar, unterdrückte die Geste jedoch. »Wie ist die Lage?«

»Kein Zeichen von Überlebenden bis jetzt. Es herrscht nach wie vor energetisches Chaos in dem Bereich, in dem Tender 97 explodiert ist. Die Ortung ist stark erschwert, gebietsweise unmöglich. Offenbar wurde die gesamte gespeicherte Menge an Hyperenergie des Tenders schlagartig freigesetzt. Durch diese unkontrollierten Energien haben sich Hyperfelder und Miniatur-Hyperriffs gebildet, die Materie in die Pararealität ableiten. Sie sind zum Glück instabil, räumlich begrenzt und bauen sich rasch ab, aber im Moment kommen wir kaum näher ran.«

»Ich habe den Abschnitt weitläufig zum Sperrgebiet erklären lassen, was euch auch die Reporter eine Weile vom Hals hält. Ist inzwischen klar, wie genau es zur Explosion kam?«

Ich spürte heiße Wut in meinem Bauch. »Klar ist, dass es nicht das genau bemessene Angriffsfeuer meines Einsatzteams war! Der Schirm ist gezielt desaktiviert worden.«

Sharouns Lippen drohten zu verschwinden wie Licht in einem Schwarzen Loch, so fest drückte er sie aufeinander. »Was willst du damit sagen?«

»Du weißt genau, was ich damit sagen will, verflucht! Erspar mir den politischen Zirkus und lass uns Klartext reden: Der Tender wurde gezielt geopfert!«

»Von wem? Und warum?«

»Du stellst Fragen, auf die du die Antworten kennst. Vom Techno-Mahdi natürlich! Und warum? Damit wir die Tender nicht mehr angreifen und vielleicht auch, um die Besatzer vor Ort einzuschüchtern, damit sie nicht auf den dummen Gedanken kommen, zu uns überzulaufen.«

»Einzuschüchtern?«, hakte Sharoun nach. »Dann denkst du, der Mahdi macht seine eignen Leute gewissermaßen ebenfalls zu Geiseln?«

»Ganz bestimmt! Wer will schon aufgeben, wenn sein Leben davon abhängt, und er jederzeit in die Luft gesprengt werden kann? Adam von Aures oder ein anderer aus der obersten Riege der Techno-Mahdisten scheint die Tender für unverzichtbar zu halten – oder besser den TERRANOVA-Schirm. Vielleicht geht es ihnen schlicht um die Macht, die damit verbunden ist. Um ein Zeichen gegen die Liga zu setzen, für die Logokratie.«

Sharoun legte den Kopf schief, berührte mit dem Zeigefinger sein Kinn. Er sah aus, als würde er Garrabo spielen und bereitete gerade einen entscheidenden Zug vor. »Das ist eine Hypothese, Bull. Es ist ebenso gut möglich, dass ein einzelner Techno-Mahdist vor Ort allein entschieden hat, den Tender zu sprengen. Ein Hardliner. Vielleicht auch eine kleinere Fraktion aus Fanatikern in Form einer Splittergruppe. Und genau das würde ich gern herausfinden.«

»Da wir bisher nicht mal materielle Trümmer gefunden haben, werden wir das wohl kaum erfahren.«

Eine Weile schwiegen wir. Ich wusste, dass ich nicht nur meinem Instinkt folgen durfte. Vielleicht steckte etwas anderes hinter der Explosion. Sharouns Einwürfe waren berechtigt.

Nach einigen Sekunden brach ich das Schweigen. »Weitere Angriffe auf die Tender verbieten sich. Wie weit ist das Projekt Paratron-Interruptor?«

»Wir sind in die entscheidende Phase getreten. Das erste Schiff sollte in wenigen Stunden einsatzbereit sein.«

»Gut.«

Cavillaca sprang aus dem Sessel. Sie packte meinen Arm. »Bully! Wir haben sie! Wir haben den ENTDECKER!«

Die Stimmung kippte schlagartig. Köpfe fuhren hoch, Rücken wurden gerade, das leise Flüstern schwoll zu aufgeregtem Gemurmel an. Crewmitglieder standen auf und starrten auf das Hauptholo. Darauf war ein stark ramponierter Kugelraumer der ENTDECKER-Klasse zu sehen, der durch das All trudelte, weit vom Zentrum der Explosion entfernt in den Ausläufern eines Flitterfelds. Im Rumpf gähnten mehrere Löcher. Ein Stück am Pol fehlte. Der Ringwulst hatte sich teilweise gelöst, war weggerissen oder in die Pararealität abgeleitet worden.

Ich erhob mich ebenfalls, weit ruhiger, als ich mich fühlte. »Haben wir Funkkontakt?«

»Positiv!«, meldete Serten Hochstein, der Kommunikationsoffizier. »Kontakt steht! Leider ohne Bild.«

Die Stimme eines Mannes erklang. »Hier spricht Valerion Orill, Kommandant von LORETTA-Tender 97. Dies ist ein Notruf! Ist da jemand?«

»Hier Reginald Bull von der GOUBAR NANDESE. Es tut verdammt gut, eine Stimme aus diesem Chaos zu hören, Val.«

»Die NANDESE ... ich hatte es gehofft. Leider ist unser Schiffsbetrieb stark eingeschränkt, wir haben keine Ortung, die meisten Systeme sind ausgefallen, auch der Transmitter. Die Jets gibt es nicht mehr; die Hangars sind größtenteils weggerissen. Wir haben massive Beschädigungen an Bord. Zum Glück hat die Positronik sämtliche Verriegelungen aufgehoben. Wir können uns wieder frei auf dem Schiff bewegen und haben die Leiche eines Techno-Mahdisten gefunden, der auf unserem Tender verantwortlich war.«

»Wie viele Überlebende?«

»Wir sind an die 500 in der Zentralekugel, die meisten unverletzt. Zur Sicherheit haben wir einen Schutzschirm um den Nukleus gelegt, weil es fluktuierende Hyperriffs an Bord gibt. Wie genau es draußen aussieht, weiß ich nicht, aber die Zentrale zu verlassen, ist tödlich. Sie ist der einzige halbwegs sichere Ort an Bord.«

»Lebenserhaltung?«

»Steht. Aber ich weiß nicht, wann uns die Reaktoren um die Ohren fliegen. Die Belastung hält der Schirm nicht aus. Er ist durch Kollisionen mit Hyperfeldern geschwächt. Die Wechselwirkungen sind grenzwertig. Könnt ihr uns hier rausholen?«

»Ja! Haltet durch! Wir schicken Hilfe!«

»Schön zu hören. Wir warten auf euch. Weglaufen können wir jedenfalls nicht. Orill, Ende!«

Die Stimme brach abrupt ab. Ich betete, dass uns genug Zeit für eine Rettungsaktion blieb.

»Wir brauchen einen transportablen Transmitter da drüben! Und Hypertransbojen, um eine engmaschige Kette durch das Chaos zu garantieren! Holt mir Gucky! Und Barasi gleich mit!«

Statt zu bestätigen, kümmerte sich Cavillaca direkt darum.

Ich spürte das Zittern in meiner Brust. Fünfhundert Überlebende! Das war beinahe die Hälfte und weit mehr, als ich erwartet hatte. Wir mussten diese Terraner retten.

 

*

 

Die Geräusche der Stiefelabsätze auf dem Metallplastboden kamen Gucky ungewöhnlich laut vor. Selbst er litt unter der Nähe zur Sonne, obwohl er ein Aktivatorträger war. Er meinte, jede einzelne Strukturlücke zu fühlen, die um die GOUBAR NANDESE geschaltet war. Am liebsten hätte er den Schutzschirm des SERUNS aktiviert.

»Willst du wirklich mitkommen?« Gucky fuhr sich mit der Hand über die langen Haare neben der Nase. Wusste Barasi, was er da tat?

»Liga-Kommissar Bull hat mich angefordert.«

»Davon rede ich nicht! Die Hyperphänomene an Bord könnten Auswirkungen auf deinen Spiegelpartner haben. Wir wissen nicht, wie er darauf reagiert. Der Einsatz ist riskant.«

Barasi machte eine wegwerfende Handbewegung. »Wir sind Universenretter, oder?«

»Ja. Und du warst vor Kurzem fast tot. Das hätte unser Universenretter-Team um fünfzig Prozent reduziert. Die Tender sind auch nach diesem Einsatz noch besetzt. Meinst du, ich will alles allein machen?«

Der Spiegelteleporter rang sich ein Lächeln ab. Er sah blass um die Nase aus. Der kastenförmige Brustkorb des Halb-Epsalers wirkte im SERUN noch sperriger, als wollte der Raumanzug den beinahe so breiten wie hohen Mann erdrücken. »Ich bin kein Held, falls du das meinst. Ich habe Angst. Aber du hast mir gezeigt, wie wertvoll meine Gabe sein kann. Ich will helfen.«

»Halt dich an das, was ich dir da draußen sage, ja?«

»Sicher, mein Kapitän.«

»Andere mit erfundenen Rängen oder Titeln anzureden ist mein Ding. Denk dir was Eigenes aus.«

»Eher nicht, Eure Großohrigkeit.«

»Es heißt Liga-Kommissar für naseweise Spiegelteleporter und Parafrischlinge.«

Sie erreichten die Space-Jet. Vor ihnen öffnete sich der Hangar wie ein gähnender Abgrund. Dunkelheit drückte gegen den Schutzschirm, drängte Gucky entgegen. In der Ferne zuckten blauweiße Blitze, die an Wetterleuchten erinnerten. Hyperphänomene breiteten sich rund um die Explosionsstelle aus. Einige bildeten winzige Bruchstücke des TERRANOVA-Schirms nach, die Splitterwolken gleich durch die Schwärze trieben. Vor der Kulisse der pulsierenden, sich ballenden Wolkenfelder sah die diskusförmige Jet klein und zerbrechlich aus, wie etwas, das nicht in die Welt da draußen gehörte.

Harper wartete bereits auf sie. Die Pilotin war startbereit. Gucky setzte sich schweigend in seinen Sessel, lehnte sich zurück und schloss für einen Moment die Augen. Trotz des Geplänkels mit Barasi fühlte er sich angespannt wie lange nicht mehr. Er hatte Barasi überredet, in diesen Einsatz zu gehen, und nun brachte er ihn zum zweiten Mal innerhalb kürzester Zeit in Lebensgefahr.

»Hey«, sagte Barasi und grinste ihn an. »Ich weiß, was du denkst, Liga-Kommissar, aber ich hab mir das hier selbst ausgesucht. Du hast mir die Tür bloß gezeigt.«

Sie starteten, schossen dem Chaos entgegen. Harper brachte sie so nahe wie möglich heran, in einen stabilen Korridor in Richtung des ENTDECKERS. Im Holo blitzten und tanzten Leuchterscheinungen. Manchmal tauchten riesige Trümmerstücke auf, doch sie waren nicht materiell. Wie Echos der Zerstörung drehten sich die Hyperphantome um sich selbst, blauweiße, gespenstische Schemen, die an den Enden verwehten. Dieses Material war längst in eine Pararealität oder ein anderes Universum abgestrahlt worden. Die genaue Diagnose und Benennung überließ Gucky gerne den Wissenschaftlern, im Moment kümmerte ihn nur ein einziges Universum: dieses.

Rasch näherte sich die Jet dem dahintrudelnden Schiff. Obwohl Gucky sonst keine Mühe hatte, auf ein bewegtes Ziel zu springen, fragte er sich, ob es dieses Mal genauso einfach werden würde. Die Hyperphänomene an Bord des ENTDECKERS konnten ihn ablenken. Wenn das der Fall war, musste er sich auf seinen SERUN und seine Erfahrung verlassen. Der Schutzanzug und die vielen Jahrhunderte waren Guckys größer Schatz.

»Ihr könnt«, sagte Harper. »Beeilt euch! Ich will die Strukturlücke nicht länger als nötig offen halten.«

Gucky legte seine Hand auf Barasis, zog sie jedoch sofort wieder weg. Dieses Mal wollte er nicht den Teleporter, sondern dessen Spiegelpartner mitnehmen. Die kurze Berührung reichte aus, um einen Block zu bilden. Barasi war sofort mental bei ihm. Selten hatte Gucky so viel geistige Klarheit erlebt. Der Spiegelteleporter zog seine Spielkarte hervor und starrte sie an.

Gucky stand auf, ging zum transportablen Transmitter und konzentrierte sich auf eines der drei Bauteile. Seine Finger streiften das unscheinbar aussehende Gerätestück, in dem so viel Technik verbaut war. »Positronik, Funkkontakt zu Orill herstellen!«

»Die Verbindung ist beeinträchtigt, aber sie steht«, meldete die Positronik. »Sprungkorridor ist stabil.«

»Wir kommen, Orill«, sagte Gucky. »Kannst du mir eine Strukturlücke für die Zentrale schalten?«

»Geht klar!« Kommandant Orill klang erleichtert. »Strukturlücke steht!«

Gucky schloss die Augen, konzentrierte sich auf sein Ziel. Der Sprung ging ihm durch und durch. Unsichtbare Kräfte zerrten an ihm, versuchten, seinen Geist abzulenken. Einen Augenblick meinte er, inmitten eines blauen Flimmerns zu schweben, das sein Gehirn in Einzelteile zerfetzte, dann war Gucky durch.

Rufe und Stimmengewirr wurden laut. Mehrere Menschen jubelten.

Gucky nahm sich nicht die Zeit, irgendwen zu begrüßen oder darauf zu reagieren, ließ den Transmitterblock stehen und teleportierte zurück. Auch um Barasi kümmerte Gucky sich nicht weiter, der sich in der Zentrale von ihm trennte.

Erst als alle Transmitterteile im Raum standen und einige Ingenieure bereits dabei waren, sie auseinanderzufalten, zusammenzusetzen und die Anschlüsse zu verbinden, ging Gucky auf Kommandant Valerion Orill zu. Dabei ignorierte er die hämmernden Kopfschmerzen, die von der Stirn in seinen Hinterkopf schossen und auf die SERUN-Injektion nicht ansprachen.

Orill war ein kleiner, untersetzter Mann mit intensiv blauen Augen, ein wenig wie die Shinaes. Er hatte eine frische, hässlich gezackte Wunde quer über der Stirn, die deutlicher als alles andere zeigte, welchen Gefahren und Strapazen er in der letzten Stunde ausgesetzt gewesen war.

»Danke!«, sagte Orill. »Ich kümmere mich hier um alles! Ist dieser Spiegelteleporter auch schon da?«

»Ja. Er sucht außerhalb der Zentrale nach Verletzten.« Gucky konnte Barasi durch den mentalen Block spüren. Dieses Mal waren sie nicht zusammen gesprungen, sondern jeder einzeln. Barasis zweidimensionale Folie war da draußen unterwegs, eingehüllt in ein Stück Schutzschirm der Zentrale. Würde dieses Stück ihn beschützen können?

Orill lächelte. »Du willst ihm helfen gehen, oder?«

»Wenn ihr mich hier nicht braucht.«

»Tun wir nicht. Verschwinde! Vielleicht lebt da draußen noch jemand, den du retten kannst.«

Sie nickten einander zu.

»Essex!«, rief Orill quer durch den Raum. »Schalte für Gucky an einer sicheren Stelle eine Strukturlücke! Und behalt den Eingang weiter im Auge, falls er einen Verletzten bringt!«

Gucky tastete mit seiner Gabe nach außen, spürte das Loch im Schutzschirm, der rund um die Zentralekugel wie ein Ball in einem hauchfeinen Zwischenraum lag. Ohne länger darüber nachzudenken, sprang er in Richtung Barasi.

 

*

 

Weißblaue Strudel hüllten Gucky ein, verwirrten ihn, nahmen ihm die Sicht. Wo war er? Noch mitten im Sprung? Unmöglich. Aber angekommen schien er auch nicht zu sein. Er kam sich vor wie bei einer Schmerzensteleportation, doch statt auf einer kargen, öden Ebene befand er sich inmitten eines Wirbels, der um ihn rotierte.

Nein. Er tastete mit den Händen um sich. Da war etwas Hartes unter ihm. Er lag mit dem Rücken auf dem Boden, der SERUN hatte automatisch den Schutzschirm eingeschaltet und umhüllte ihn. Von außerhalb drang ihm Knistern an die Ohren, doch es gab nichts zu sehen.

Gucky erkannte, dass er die Augen geschlossen hielt. Die weißblauen Wirbel tanzten nicht außerhalb, sondern in seinem Kopf. Es waren Bilder der Hyperphänomene, die er fürchtete. Hatten sie seinen Sprung abgelenkt? Ihn an der falschen Stelle herauskommen lassen?

»Barasi!«, rief er und blinzelte. Endlich sah er, wo er gelandet war: mitten in einer Art Cafeteria. Sie war verwüstet, überall lagen Tische und Stühle umher. Ein halber Servoroboter stand im Raum. Das Kopfsegment, ein Teil des Rumpfs und ein Arm waren verschwunden, hatten sich in Nichts aufgelöst, vermutlich durch ein Hyperphänomen. Der Torso wirkte angefressen.

Es roch nach verbranntem Essen. Die Aufbereitungsmaschinen mussten durch eine Fehlfunktion auf Hochtouren gelaufen sein. Immerhin gab es Atmosphäre mit Schwerkraft. Lediglich das Hauptlicht war ausgefallen. An seiner Stelle glomm eine orangefarbene Notbeleuchtung.

»Barasi?«

»Ich bin hier«, wisperte eine Stimme direkt an seinem Ohr.

Gucky zuckte zusammen. Er drehte sich schwerfällig um. Wäre er einen Marathon gelaufen, er wäre kaum weniger erschöpft gewesen.

»Bist du in Ordnung?«, fragte das zweidimensionale Gespenst. Es beugte sich zu ihm vor, als wollte es ihn anfassen.

»Sicher.« Gucky stand auf. »Etwas hat meinen Sprung erschwert.«

»Es gibt eine ganze Reihe Hyperstrudel in der Nähe. Ich hatte das Vergnügen, beinahe in einen zu geraten, aber dazu später mehr! Bisher habe ich fünf Überlebende gefunden. Kannst du sie bergen?«

»Klar.« Gucky fühlte in sich. Da war Kraft, trotz der bohrenden Schmerzen in seinem Schädel. Es ging um Leben und Tod. So leicht würde er nicht aufgeben.

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Illustration: Dirk Schulz

»Dann komm!«

Barasi ging voran. Er lief, anstatt zu schweben, wie man es von der schemenhaften Gestalt eigentlich erwartet hätte.