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Inhaltsverzeichnis

Titel

Informationen zum Buch

Impressum

Widmung

Landkarte

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Avathandal

Epilog

Glossar

Dank

 

Carolin Emrich

 

 

Elfenwächter

Band 3: Weg der Magie

 

 

Fantasy

 

Elfenwächter Band 3: Weg der Magie

Nach dem plötzlichen Tod seines Vaters muss Avathandal seinen Platz im alten Rat der Elfenhauptstadt Havaris einnehmen. Eine Aufgabe, die er verabscheut, zumal die anderen Ratsmitglieder ihn nicht respektieren und nur bedingt seine Bemühungen unterstützen, die Magie des Elfenwaldes und damit seinen Clan zu retten. Auch Tris, die ihn begleitet, stößt an ihre Grenzen. Denn als Mensch kann sie sich in der Hauptstadt kaum frei bewegen und muss machtlos zusehen, wie Avathandal unter seiner Bürde zu zerbrechen droht und sich immer mehr von ihr entfernt.

Wird es ihnen unter diesen Umständen gelingen, beides zu retten? Die Magie des Waldes und ihre Liebe?

 

 

 

Die Autorin

Carolin Emrich wurde 1992 in Kassel geboren. Schon als kleines Mädchen bat sie ihre Mutter, ihr nicht nur vorzulesen, sondern ihr auch das Lesen beizubringen. Sobald sie dieses beherrschte, gab es kein Halten mehr. Stapelweise wurden die Bücher verschlungen und bald schon begann sie, eigene kleine Geschichten zu Papier zu bringen. Im Alter von 15 Jahren verschlug es sie auf eine Fanfiction-Plattform, wo sie auch heute noch ihr Unwesen treibt. Im Herbst 2015 reifte dann die Idee heran, ein Buch zu schreiben. Aber vorher stellte sich die Frage: Kann ich das überhaupt? Um dieser auf den Grund zu gehen, begann sie zu plotten, und schrieb daraufhin ihr Fantasy-Debüt »Elfenwächter«.

Weitere Jugendbücher sind derzeit dabei, Gestalt anzunehmen. Beruflich schloss Carolin Emrich im Juli 2015 ihre Ausbildung zur Industriemechanikerin erfolgreich ab. Sie ist verheiratet und lebt mit ihrem Mann und zwei Hunden in Hessen.

www.sternensand-verlag.ch

info@sternensand-verlag.ch

 

1. Auflage, August 2018

© Sternensand Verlag GmbH, Zürich 2018

Umschlaggestaltung: Juliane Schneeweiss | julianeschneeweiss.de

Lektorat: Martina König | Sternensand Verlag GmbH

Korrektorat: Jennifer Papendick | Sternensand Verlag GmbH

Landkarte: Corinne Spörri | Sternensand Verlag GmbH

Illustrationen: Fotolia.de

Satz: Sternensand Verlag GmbH

 

 

ISBN (Taschenbuch): 978-3-03896-000-3

ISBN (epub): 978-3-03896-001-0

 

Alle Rechte, einschließlich dem des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.

Dies ist eine fiktive Geschichte. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

 

 

 

 

Für meine Familie.

Für jeden Einzelnen von euch.

 

Kapitel 1

 

Und so geleite dich der Weiser an die Seite der Mutter Eelea, auf dass du an ihrer Seite sitzt und über deine Lieben wachst.«

Die Priesterin hob die rechte Hand und legte sie auf ihre Brust. Die goldbestickte rote Robe rutschte dabei ihren Arm hinauf und entblößte seine knochigen Konturen.

Dass die Kirche viel zu wenig Aufmerksamkeit, wie auch Lohn und Nahrungsmittel, zugeteilt bekommen hatte, war mittlerweile bekannt. Mit jedem Detail, das Maximilian Perr zutage förderte, wurde uns bewusster, dass das Kastenwesen der Vergangenheit angehören musste. Zum Glück war der neue Herrscher derselben Auffassung.

Das Land stand noch immer unter Schock und es würde lange dauern, bis wieder ein normales Leben möglich war. Bis die Barrieren zwischen den Kasten auch in den Köpfen aufgehoben waren und die Leute wieder aufeinander zugingen.

Aber erst mal war der Krieg gewonnen und Maximilian Perr als König angenommen. Vor allem nach der Bekanntmachung, dass er die Heldin der Schlacht – meine Freundin Lilly – zu seiner Frau nehmen würde.

»Sprecht nun mit mir die heiligen Worte der Mutter«, forderte die Priesterin uns auf und während wir mit ihr gemeinsam das Glaubensbekenntnis sprachen und erneut dafür beteten, dass Troys Seele gut bei der Mutter ankam, schwieg Lanaya. Jeder wusste, wie die dunkelhaarige Elfin für Troy empfunden hatte, und selbst ihr Bruder Avathandal hatte sie nicht zu trösten vermocht.

Nur ihr leises Schluchzen durchbrach die ruhigen Worte und die gedrückte Stimmung auf dem kleinen Abteil des Friedhofes, welcher speziell für Mitglieder der Königsfamilie oder besonders herausragende Persönlichkeiten reserviert war.

Maximilian Perr hatte darauf bestanden, dass unser Freund und mein ehemaliger Lehrmeister bei den Wächtern Troy ebenfalls hier bestattet werden sollte, auch wenn sie nur sein Schwert symbolisch beisetzten.

Sie hatten zwar versucht, Troys Leiche zu finden, aber in der Masse an Toten war das schlicht nicht möglich gewesen. Einigen Körpern war der Kopf vom Rumpf abgetrennt worden, viele waren unter Pferdeleibern zerquetscht worden, und Verbrannte gab es auch zur Genüge.

Alles in allem sollte es eine unglaublich widerwärtige Arbeit gewesen sein, die sie schnell den Totengräbern überlassen hatten, nachdem klar geworden war, dass Troy nicht aufzufinden war.

Nach der Zeremonie verließen wir gemeinsam den Friedhof. Lanaya lief einige Schritte vor uns, den Kopf gesenkt und die Haare in einen Knoten gebunden, der, wie ich von Avathandal erfahren hatte, üblich war, wenn eine Frau ihren Partner verloren hatte. Auch wenn er es mit einem gewissen Unterton gesagt hatte, wäre er der Letzte, der seiner Schwester die Trauer absprechen würde.

Er sah ihr besorgt hinterher, als sie im Palast direkt in ihrem Zimmer verschwand. Sie aß zu wenig, doch wer konnte es ihr verdenken?

Natürlich traf es uns, aber irgendwie hatten gerade Avathandal und ich eine gewisse Distanz zu Troy gehalten.

Würden wir die Beisetzung nach menschlichem Brauch feiern, gäbe es nun einen Leichenschmaus. Ein Festessen für die Angehörigen. Aber das taten wir nicht. Die Beisetzung auf dem Friedhof war nach menschlichen Standards gestaltet gewesen, der Rest hingegen wurde elfisch gefeiert. Das hieß, dass wir uns bei Mitternacht draußen treffen und des Toten gedenken würden.

»Wie lange hast du vor, noch hierzubleiben?«, wollte ich von Avathandal wissen, nachdem wir uns auf unser Zimmer zurückgezogen hatten.

Es war noch nicht so richtig klar, wie wir die nächste Zeit verbringen würden. Natürlich war es unsere Pflicht, alsbald nach Havaris zu reisen, um einer weiteren Beerdigung beizuwohnen, aber das ganze Drumherum war noch nicht besprochen.

Noch hatte Avathandal kein Wort darüber verloren, was mit mir sein würde, jetzt, wo er den Platz seines Vaters im alten Rat von Havaris einnehmen musste. Ich wusste, dass er selbst noch über der besten Lösung grübelte, da es ihm zufolge noch nie vorgekommen war, dass sich das höchste Ratsmitglied jemand anderen zur Frau genommen hatte als ein hoch angesehenes Fräulein. Eine Tochter eines anderen Ratsmitgliedes beispielsweise.

Es wäre schon nicht gern gesehen, wenn ich mich dauerhaft in der Stadt aufhalten würde, und dann auch noch offiziell an Avathandals Seite … Ganz gleich, wie wir es betrachteten, es würde ein Problem werden. Ich würde ein Problem werden.

»Am besten wäre es, wenn wir uns direkt morgen auf den Weg machen würden.« Avathandal hatte sich an das einzige Fenster gestellt, welches sich im Raum befand. Es war ein großes mit ausladenden Flügeln. »Wir sind so oder so lange genug unterwegs und werden den offiziellen Teil der Beerdigungszeremonie nicht mehr mitbekommen.«

»Können wir morgen schon los?« Ich stellte mich neben ihn und ließ meinen Blick über den Hofvorplatz wandern, auf dem das geschäftige Treiben des Tages keine Pause machte, um Tote zu betrauern.

Die Sonne stand noch hoch am Himmel und es würde dauern, bis wir uns heute Abend am Tor eintrafen, um die Beerdigung fortzusetzen.

»Wir sollten ganz dringend schon morgen aufbrechen«, wiederholte Avathandal, ohne mich anzusehen. »Ich weiß nur noch nicht, ob Lanaya und Tian uns direkt begleiten werden. Sie müssen lediglich zu ihrem Clan zurück.«

»Meinst du, Lanaya wird lange hierbleiben wollen?« Ich wandte mich wieder Avathandal zu, der noch immer nach draußen sah. Seine Stirn war in Falten gelegt und seine Lippen zu einem schmalen Strich gepresst.

»Ich weiß es nicht. Sie redet doch kaum mit mir.« Seine Mundwinkel wanderten ganz kurz nach oben, aber es war kein amüsiertes Grinsen. Eher eines der bitteren Sorte.

»Kannst du es ihr verübeln?«, wollte ich wissen, was Avathandal dazu verleitete, sich ruckartig zu mir zu drehen.

»Ja, verdammt! Ich habe mittlerweile das Gefühl, ein Fremder für sie zu sein.«

Wir sahen uns einen Moment schweigend an, ehe er seufzte und sich erneut zum Fenster wandte.

»Ich frage sie später, ob sie uns begleiten wird.«

Es machte den Eindruck, dass das Gespräch hiermit beendet war. Ich wartete trotzdem noch einen Augenblick, aber mein Gefühl täuschte mich nicht. Avathandal sagte nichts mehr dazu.

Wieder hatte ich nicht erfahren, wie er sich die Situation in Havaris vorstellte. Glaubte er ernsthaft, dass wir dort einfach auftauchen konnten und mich auch nur irgendjemand akzeptierte? Ich sollte ihn direkt fragen, das wusste ich, aber ich hatte auch Angst vor der Antwort. Dass sie nicht so ausfiel, wie ich es mir erhoffte. Ich wollte nicht hören, dass ich nicht erwünscht war und wir uns etwas überlegen mussten oder sich unsere Wege gar trennen würden.

Nachdem wir eine Weile nebeneinander am Fenster gestanden hatten, hielt ich es nicht mehr aus und verließ unser Zimmer. Ich brachte es nicht über mich, ihn zu fragen, und das machte unser Schweigen nur drückender.

Die Gänge der oberen Stockwerke, in denen sich die Unterkünfte befanden, sahen für mich noch alle gleich aus und ich musste mir die Anzahl der Türen und Treppen merken, damit ich mich nicht verlief. Das Gelände um den Palast herum war da schon wesentlich übersichtlicher, was vor allem daran lag, dass er sich im Herzen von Dreikronen befand. Seine Größe war überschaubar. Zumindest war mir das gesagt worden. Ich würde mich dennoch verlaufen können.

Ich lehnte mich an das Geländer, welches die große steinerne Treppe zur Haupthalle säumte, und blickte über den Vorhof. Es war soweit ruhig. Nur das Herumrennen der Angestellten und Dienstboten störte ein wenig, aber im Gegensatz zu den vergangenen Tagen kam es mir trotzdem sehr entspannt vor. Ich konnte mich zumindest hier frei bewegen, auch wenn bekannt war, dass ich magische Fähigkeiten besaß.

Auch Avathandal und Lanaya wurden zwar im Auge behalten, aber bis jetzt traute sich niemand, sie öffentlich anzufeinden. Hinter vorgehaltener Hand wurde es sicher getan, dafür waren sowohl Magier als auch Elfen in diesem Land zu lange geächtet gewesen.

Vorsicht war dennoch geboten und wir sollten nicht allein das Anwesen verlassen. Wer wusste schon, ob sich nicht eine Bewegung formatiert hatte, um gegen uns und den neuen Herrscher vorzugehen.

Ich wusste aber auch aus erster Hand, dass es nicht unmöglich war, sich in diese Mauern zu schleichen. Wenn es also jemand wirklich auf uns abgesehen hatte, würde er sicher einen Weg finden, um sein Vorhaben in die Tat umzusetzen.

Mit dem Gedanken an mein mögliches Ableben wollte ich mir allerdings nicht noch mehr den Tag verderben. Heute gab es noch eine Trauerfeier zu überstehen.

Da ich mich nicht traute, ganz allein durch den weitläufigen Garten zu spazieren, blieb ich an der Treppe stehen. Ich war mir nicht sicher, wie weit ich mich auf dem Gelände bewegen konnte, denn es war teilweise doch sehr verwinkelt und abgeschieden. Einige Wachen standen zwar herum, aber ich wusste nicht genau, wo und welches Gebiet sie einsehen konnten.

Ich verzichtete also auf einen Gang an der frischen Luft, der mir vielleicht bei meiner Entscheidung geholfen hätte, welche Geschichte ich heute Abend erzählen sollte. Es war Brauch, über den Verstorbenen zu reden und seine Erlebnisse noch einmal Revue passieren zu lassen. Ich tat mir recht schwer damit, eine geeignete Erzählung zu finden, und war sicher, dass es Avathandal ebenso ging. Wir hatten Troy nicht lange in unserer Runde gehabt und nicht viel Positives über ihn zu berichten. Schon gar keine großen gemeinsamen Erlebnisse. Aber sich zurückzuhalten und nichts zu sagen, galt als äußerst unhöflich und respektlos dem Toten gegenüber. Das wollte ich selbstverständlich nicht riskieren.

Zu meiner Linken befand sich der vergleichsweise kleine Stall. Ich fand den Trakt sehr groß, denn es hatten viel mehr Tiere darin Platz, als bei den Wächtern im Lager gelebt hatten. Maximilian, den ich nun mit einer tiefen Verbeugung zu begrüßen hatte und mit ›Eure Hoheit‹ ansprach, hatte bei einem Rundgang nur gelacht und erklärt, dass der Stall hier lediglich für die Pferde der Gäste und solche sei, die er zu privaten Zwecken hielt.

Am Stadtrand gab es ein richtiges Gestüt, viel größer als dieser Stall hier, in dem sogar verschiedene Rassen gezüchtet wurden. Einige eigneten sich nicht für den Krieg oder das Tragen schwer bewaffneter Männer, sondern es wurden Rennen mit ihnen ausgetragen und auf die Pferde und Reiter gewettet. Wäre Alpe noch bei mir, würde sie auch hier untergebracht sein. Aber sie war mir bei unserer Festnahme durch die Wachen des alten Königs abgenommen worden und nun wer weiß wo. Vielleicht lebte sie auch gar nicht mehr.

Hinter mir knarrte das Tor und die zwei Wachen, die hier standen, versteiften sich sogleich.

»Trisajia?«

Es war Lilly. Auch sie musste ich förmlich grüßen. Die Verbeugung hatte eigentlich nichts mit denen im Clan gemeinsam und doch verschränkte ich aus der Gewohnheit die Arme vor der Brust.

»Nicht so förmlich.« Sie grinste und strich sich dabei die Haare über die Schulter auf den Rücken. Sie waren geflochten worden. Wie viel Zeit das wohl beansprucht hatte? »Gehen wir ein Stück?«, wollte sie wissen und deutete mit dem Arm ausladend über den Platz.

Ich nickte lediglich, während gefühlt jede Wache in der Umgebung mitbekommen hatte, dass es nun Arbeit gab. Hatten sie vorher gelangweilt dem Treiben auf dem Hof zugesehen, waren sie nun wachsamer und ließen uns nicht mehr aus den Augen. Zwei von ihnen folgten uns sogar in einigem Abstand.

»Wie geht es dir?«, eröffnete Lilly das Gespräch.

Ich schielte nach hinten. Hörten sie uns? »Ich hatte mich gerade wieder daran gewöhnt, dass sich Troy bei uns aufhält und einer von uns ist. Weißt du, ich fing gerade an, ihm irgendwie ansatzweise wieder zu vertrauen, und dann soll er einfach gestorben sein? Das ist nicht gerecht.«

»Ein Krieg ist das wohl nie.« Lilly zuckte mit den Schultern. »Darf ich mit dir vorab über diese Geschichten reden, die wir heute Abend erzählen sollen?«

Avathandal hatte mir zwar keine Anweisungen dazu gegeben, aber da er mit mir nicht darüber gesprochen hatte, zog auch ich es vor, zu schweigen.

»Ich glaube nicht, dass wir das sollten. Ich bin mir nicht sicher, aber es wäre unklug, die Götter zu verärgern, wenn es anders wäre.«

Meine Freundin nickte verständnisvoll. Gerade in ihrer Position war ihr die Gunst der Götter sicher besonders wichtig.

Auch wenn Troy im Tempel bei Fallshafen recht gehabt hatte, dass die Kirche längst nicht mehr den Einfluss besaß, den sie einst innegehabt hatte, war sie doch gerade für Menschen ein Leitsymbol. Im Kloster hatten wir über die Götter und ihre Funktion gelernt, aber den Glauben nie richtig ausgelebt.

Ich kam mir dabei falsch vor. Wie konnte ich jemandem mein Leben in die Hände legen, wenn ich eine Ausgestoßene war? Die Götter hatten diese Spaltung doch auch zugelassen. Lilly allerdings hatte keine andere Wahl, als die Weihen mitzumachen und zumindest zu versuchen, deren Ansichten zu vertreten.

»Sehen wir uns in Zukunft noch?« Lilly war stehen geblieben und als ich mich in ihre Richtung drehte, sah sie mich besorgt an.

»Ich weiß es nicht«, sagte ich vorsichtig, weil ich mir nicht sicher war, wie wir das anstellen sollten.

Wir würden bald an den anderen Enden des Landes und wortwörtlich in verschiedenen Welten leben. Wie sollten wir uns besuchen kommen, wenn die Planung allein schon mehr als aufwendig war?

»Aber dann schreibst du mir wenigstens. Wenn du es nicht wieder vergisst.« Lilly verzog den Mund gespielt tadelnd.

Ich setzte ein entschuldigendes Lächeln auf. Im Wächterlager hätte ich ihr wirklich schreiben können, aber immer war etwas anderes in meinen Fokus gerückt.

»Versteht ihr euch denn?«, wechselte ich das Thema, während wir nun doch an der Küche vorbei in einen Teil des Gartens traten, die beiden Wachen noch immer in einiger Entfernung hinter uns.

»Meinst du Maximilian und mich?« Lilly verschränkte die Arme hinter dem Rücken und erwiderte mit einem Nicken das Grüßen eines Mannes in offizieller Kleidung, der uns passierte.

Mich beschlich das Gefühl, dass sie sich wider mein Erwarten doch recht wohl in ihrer Rolle fühlte.

»Ja. Ich frage mich, wie ihr miteinander auskommt.«

Die Vorstellung jemanden an meiner Seite zu haben, den ich nicht leiden konnte, behagte mir nicht.

»Wir sehen uns kaum. Wir haben beide viel zu lernen, zu regeln und zu organisieren. An manchen Tagen sehen wir uns gar nicht.« Sie lächelte mich kurz an und ließ ihren Blick durch den Garten schweifen. »Schön hier, oder?«

Ich nickte, auch wenn sie mich dabei gar nicht ansah. »Also ist das für dich in Ordnung?«

»Ja, sicher.« Ihre Schritte verkürzten sich, ehe sie neben einem notdürftig gestutzten Busch stehen blieb. Er trug noch Blüten. Sanfte rote, die an einigen Stellen rosa wirkten. »Keine Sorge, Trisajia. Ich komme hier wirklich zurecht. Es ist nach einiger Überlegung eine gute Sache, dass ich bleibe und einen der wichtigsten Posten des Landes übernehme.« Sie grinste schelmisch und erinnerte mich damit schmerzlich an unsere doch recht unbeschwerte Kindheit im Kloster. Bevor wir erfahren hatten, welches Unrecht uns eigentlich zuteilwurde. »Was du kannst, kann ich schon lange.«

Erst wollte ich lachen, aber dann fiel mir wieder ein, dass noch gar nicht wirklich klar war, ob ich mit nach Havaris gehen konnte. Also beließ ich es bei einem Lächeln.

»Was ist los?« Sie setzte sich wieder in Bewegung, ließ ihren Blick dabei aber auf mir.

»Was soll sein?«

»Ich habe deinen Stimmungsumschwung sehr deutlich bemerkt. Ich kenne dich. Auch wenn wir bald nicht mehr sehr viel gemeinsam haben werden, kenne ich dich.«

Nach einem Seufzen, um ein bisschen Zeit zu schinden, beschloss ich, dass ich ihr gegenüber immer ehrlich sein konnte und es wohl auch in Zukunft noch können würde. Ganz gleich, wer sie offiziell war, hier bekleidete sie nur ein Amt: das meiner besten Freundin.

»Es ist albern«, sagte ich und im selben Moment fiel mir auf, dass das nicht nur eine Ausrede war. Mein Verhalten war ganz genau das. Je eher ich das Gespräch mit Avathandal suchte, desto mehr Zeit hatten wir, uns Gedanken zu machen.

»Erzählst du es mir?« Sie hatte neugierig die Augenbrauen gehoben.

»Ich … Nein … ähm …« Stammelnd verbeugte ich mich. »Es war schön, allerdings habe ich etwas zu erledigen.«

Lilly sah mich an, als befürchtete sie, dass mit mir etwas nicht stimmte. »In Ordnung«, sagte sie schließlich und ehe sie genauer nachfragen konnte, machte ich auf dem Absatz kehrt, lief fast in unsere Begleiter, bevor ich den Weg zu dem Zimmer einschlug, das ich mir mit Avathandal teilte.

Sieben, acht … Ich hatte immer ein wenig Angst, den falschen Raum zu erwischen. Natürlich klopfte ich und wartete, bis sich jemand zu Wort meldete. Auch Avathandal würde ich nicht einfach so überraschen, aber es war doch unangenehm, sich erklären zu müssen. Immerhin waren schon einige Tage vergangen, seit ich wieder auf den Beinen war, und da ging man davon aus, dass ich mich hier auskannte.

»Herein«, hörte ich Avathandals Stimme gedämpft durch das dicke Holz, nachdem ich schon befürchtet hatte, dass er es nicht gehört hatte oder nicht mehr da war.

»Ich bin es«, kündigte ich mich an, als ich eintrat.

Es war ungewohnt, Avathandal ständig so ernst und in sich gekehrt zu sehen. Er bedachte mich nur mit einem kurzen Blick, ehe er sich wieder dem Fenster zuwandte.

Hatte er etwa die ganze Zeit hier gestanden, während ich weg gewesen war?

»Hör mal, Avathandal«, begann ich, damit er wieder mir seine Aufmerksamkeit schenkte. »Ich müsste da ganz dringend etwas mit dir besprechen.«

Bevor ich es mir anders überlegen konnte, hatte er sich von der Fensterbank abgestoßen und den Raum in meine Richtung durchquert. Es reichten ein paar Schritte, bis er vor mir stand. Schatten lagen unter seinen sonst so strahlend grünen Augen. Die blonden Haare fielen wirr über seinen Kopf auf die Schultern.

Hatte er zuvor auch so geschafft und müde ausgesehen?

»Was bedrückt dich?«, wollte er wissen, noch bevor ich ansetzen konnte, irgendetwas zu erklären.

Merkte man mir wirklich so sehr an, dass es etwas gab, das mir auf der Seele brannte?

Ich atmete tief durch, dann stellte ich die Frage, die mich die ganze Zeit schon beschäftigte: »Nimmst du mich überhaupt mit nach Havaris?«

An seinem Gesichtsausdruck bemerkte ich deutlich, dass er den Hintergrund meiner Frage nicht verstand und ich anders hätte ansetzen müssen.

»Bitte was?«, fragte er auch direkt nach.

Seufzend ließ ich mich mit einem dumpfen Geräusch auf das Bett fallen. Ich wartete, bis sich Avathandal neben mich gesetzt hatte, ehe ich versuchte, meine Gedanken zu erklären. »Ich frage mich einfach nur, ob du mich überhaupt auf Dauer mit in die Stadt nehmen kannst, wenn ich dort doch eindeutig nicht willkommen bin. Ich könnte mich ja nicht einmal allein auf die Straße trauen.«

»Darüber habe ich noch gar nicht nachgedacht«, gestand er schließlich, nachdem er mich gemustert hatte.

Ich wollte etwas sagen, ließ dann aber doch Avathandal die Möglichkeit, jetzt darüber nachzudenken. So wie er die Stirn krauszog, tat er auch genau das.

»Es gab Wichtigeres.« Seine Schultern zuckten.

»Wichtigeres?«

»Ja, tatsächlich.« Er stand auf, war schon wieder am Fenster, bevor ich genauer nachfragen konnte. Was hatte er nur mit diesem blöden Fenster? »Es dreht sich nicht immer alles um dich.«

»Das habe ich auch nicht behauptet.« Es ging mir doch nur darum, zu wissen, ob wir überhaupt noch beisammen sein würden.

Hatte ich das so falsch rübergebracht? Oder hatte er es so falsch verstanden?

Avathandal warf mir lediglich einen kurzen Blick zu. Und auch das tat er nur, weil es sich nicht gehörte, wegzusehen, wenn ein Gespräch geführt wurde. »Der Tonfall, in dem du Wichtigeres gesagt hast, klang, als hätte ich dich persönlich beleidigt. Also ja, ich gehe gerade davon aus, dass es dir nur um dich geht.«

Sein Tonfall, in dem er das gerade gesagt hatte, passte mir überhaupt nicht. Mir lag schon eine Antwort auf der Zunge, dass es ja wohl nicht falsch sein konnte, wenn ich von ihm wissen wollte, wie er sich unsere Zukunft vorstellte, aber ich schluckte sie runter. Es war sicher nicht hilfreich, wenn wir uns nun deswegen stritten.

»Erzähl es mir. Was ist wichtiger?«, versuchte ich es versöhnlicher.

Avathandal schwieg einen Moment und seufzte dann.

Wollte er überhaupt mit mir darüber reden? War ich tatsächlich der falsche Ansprechpartner?

»Das ist nicht ganz so einfach.«

»Setzt du dich wieder?«, wollte ich wissen und klopfte auf den Platz neben mir, den er eben noch belegt hatte.

»Tris.«

Es klang gequält. So sehr, dass es einen Moment dauerte, bis mir auffiel, dass er mich bei meinem alten Spitznamen angesprochen hatte. Er hatte mich damals, als es um meinen richtigen Namen gegangen war, sehr unverständlich angesehen und mir erklärt, dass Namen nicht abgekürzt wurden, da sonst ihre Bedeutung verloren ging.

Beschäftigte ihn so viel, dass er sich nicht einmal korrigierte?

»Ich wollte dieses Amt nie«, gestand er, als er wieder neben mir saß. Seine Füße rieben über den Boden, während er sich in eine bequeme Position brachte. »Mir gefällt die Politik in Havaris grundlegend nicht. Wie soll ich das Oberhaupt eines Landes sein und eine Stadt verwalten, die mich anwidert?«

Mir war klar, dass er darauf nicht wirklich eine Antwort haben wollte. Ich hätte ihm auch gar keine geben können. Was verstand ich schon davon?

»Hattest du nicht mit meinem Bruder Tian besprochen, dass ihr irgendwie … etwas ändern wollt?«, versuchte ich es trotzdem. So ganz war mir nicht im Gedächtnis geblieben, worüber genau sie gesprochen hatten.

»Das war eine Gedankenspielerei. Ich bin gar nicht bereit dazu und außerdem besteht der alte Rat aus dreizehn Personen. Ja, ich bin der Erste, aber das nützt mir in dem Fall nicht viel.«

»Warum?«

»Weil ich nicht allein die Entscheidungen treffe. Wir treffen sie gemeinsam. Aber ich werde wohl immer gegen alle anreden. Das kann nicht funktionieren.« Er stützte die Ellenbogen auf seine Knie und legte das Kinn in die Handflächen.

»Aber du willst es versuchen?«

»Ich muss es ja so oder so. Ich kann nicht einfach ablehnen. So gern ich es würde.« Sein Blick, den er mir von der Seite zuwarf, wirkte gequält.

»Das ist eine verzwickte Situation.«

Sein plötzliches Auflachen klang ungewohnt und er schien wirklich erheitert zu sein. Nichts war mehr von dem verkniffenen Gesichtsausdruck übrig.

»Was?«, wollte ich wissen, nachdem er mich einfach grinsend ansah.

»Verzwickt? Du darfst ruhig sagen, dass das echt beschissen ist. Denn genau das ist es.«

Ich wollte nicht lächeln, aber er war ansteckend. Es schien, als wären mit einem Mal aller Ernst und die Spannung verraucht.

»Du kommst selbstverständlich mit nach Havaris, Trisajia. Wir finden eine Möglichkeit, wie wir das hinbekommen. Gemeinsam.«

 

Der Sternenhimmel war klar und wunderschön. Das Auge Eeleas und der Wagen von Temaron leuchteten mir entgegen. Sofort fiel mir meine erste Nachtwache mit Troy wieder ein. Wie er mich gerügt hatte, weil ich die Regeln für die Zeitberechnung bei Nacht einfach auswendig gelernt hatte, ohne sie regelmäßig zu überprüfen. Auch als wir unterwegs gewesen waren, hatte ich mich immer mehr an die anderen gehalten.

War es die Hinterachse gewesen, die man sieben Mal verlängern musste? Das Auge der Eelea fand ich auch so, aber wie war das mit den Sternen, die ihre Runde darum zogen?

Ich seufzte lautlos. Ich hatte die Regel dazu vergessen, weil ich sie nie angewendet hatte, und nun konnte Troy es mir nicht erneut erklären. Es war ungewohnt, solche Dinge zu vermissen, waren sie doch zuvor selbstverständlich gewesen. Mir war diese Information nicht wichtig gewesen, doch nun wollte ich es wissen.

Mein Blick glitt wieder in den Himmel. Es waren so unzählig viele Sterne und ich konnte mir gut vorstellen, dass man sie von einem der Türme im Palast noch viel besser sehen konnte.

Ich sah mich um und suchte Lilly in der kleinen Gruppe. Sie saß auf einem Stuhl, hatte die Augen geschlossen und die Arme vor der Brust verschränkt. Sie schien Lanaya zu lauschen, die gerade leise, aber mit fester Stimme erzählte.

Zu meiner Überraschung war es Maximilian, der ihr eine Hand auf den Arm legte, sich zu ihr beugte und etwas sagte, was ich hier drüben nicht verstand. Lilly schüttelte lediglich leicht den Kopf, was Maximilian dazu brachte, sich wieder aufrecht auf seinen Platz zu setzen. Es schien ihn nicht zu stören, dass sie, was auch immer es war, abgelehnt hatte.

Mein Gefühl hatte sich ihm gegenüber gebessert. Er schien ein guter Herrscher zu sein, auch wenn er zuvor immer unsicher gewirkt hatte. Es tat nicht mehr ganz so weh, Lilly hier mit ihm zurückzulassen.

Als ich an der Reihe war, erzählte ich von der Nachtwache und wie Troy mir aufgetragen hatte, auf die Zeit zu achten. Lanaya beobachtete mich und ich wünschte mir so sehr für sie, dass es nur ein böser Traum war, doch dieser Wunsch würde sich nicht erfüllen.

»Soll ich es dir noch mal erklären?«, fragte Avathandal, als ich wieder auf meinem Platz saß.

Als ich nickte, streckte er den Arm aus und deutete auf das Sternbild des Wagens von Temaron. Ich lehnte mich zu ihm und legte meinen Kopf auf seine Schulter, während ich lauschte.

Kapitel 2

 

Müssen wir die Nacht wirklich durchreiten?«, wollte ich wissen, während die Bäume immer schemenhafter zu sehen waren.

»Es wäre unklug, hier eine Pause einzulegen.«

Das sagte Avathandal jedes Mal.

Wir hatten wegen des unbeständigen Wetters auf die befestigten Wege ausweichen müssen. An der letzten Siedlung waren wir heute Morgen vorbeigeritten und Avathandal wollte nicht eher rasten, bis wir erneut in Sichtweite eines Dorfes waren. Am liebsten wäre es ihm sicher, wenn wir direkt bis zum deth ará durchreiten würden.

»Wir sind bis jetzt keiner Menschenseele begegnet. Können wir nicht wenigstens eine kleine Pause machen?«

Er seufzte, zügelte aber schließlich sein Pferd. »Ich werde aufpassen, während ihr euch ausruht. Nicht zu lange.«

Lanaya stieg kommentarlos ab, band ihr Pferd fest und ließ sich mit dem Rücken an einem Baum nieder.

Ich beobachtete sie dabei, wie sie sich eine bequemere Sitzposition suchte und dann die Hände im Schoß verschränkte. So weit reichte das Licht gerade noch. Ich sollte mich beeilen, vom Pferd zu kommen, sonst würde ich bald nicht mehr die Hand vor Augen sehen. Es hatte eindeutig Nachteile, ein Mensch inmitten vieler Elfen zu sein. Meine elfische Magie bescherte mir auch keine bessere Sehkraft.

Ich tat es Lanaya gleich und gönnte mir einen Moment, um die Augen zu schließen, mich nur auf das leise Rascheln um uns herum zu konzentrieren und meine wilden Gedanken an eine ungewisse Zukunft erst mal abzustellen. Immerhin war ich jetzt mit ihnen auf dem Weg nach Havaris.

 

»Trisajia!« Eine Hand rüttelte mich an der Schulter. »Steh auf!«

Er flüsterte, doch ich erkannte die Dringlichkeit in seiner Aufforderung. Er weckte mich nicht einfach nur so, weil wir weiterreiten mussten.

Lanaya stand bereits bei ihrem Pferd. Ihre Magie lag so allgegenwärtig in der Luft, dass ich einen Moment brauchte, bis ich die fremde Note darunter spürte. Und dann hörte ich Äste knacken und Stimmen, die auf uns zukamen. Auch wenn wir uns ein Stück in den Wald zurückgezogen hatten, schien es nicht ausgereicht zu haben. Da sie Magier waren, erst recht nicht.

Ich sprang so schnell auf die Beine, wie ich konnte, und zog gemeinsam mit Avathandal einen Schutzschild um uns drei auf.

»Ich hätte mir einen Bogen zulegen sollen. Der Vorteil wäre auf meiner Seite gewesen«, murmelte Lanaya und ich stimmte ihr zu.

»Warum sollten sie uns angreifen? Es sind Magier, oder nicht?« Ich schüttelte nervös meine Hände aus. Das gefiel mir nicht. Ich hatte doch nur einen Moment ausruhen wollen.

»Sie beraten sich, wie viele wir sind und wie sie uns am besten überrumpeln können«, teilte Avathandal mir mit.

Er und Lanaya konnten vor mir sehen und hören, wo sich die Fremden einen Weg durchs Unterholz kämpften, sodass die beiden die Auseinandersetzung einläuteten. Lanaya warf ihren Dolch, der sein Ziel nicht verfehlte. Das sagten mir der abgehackte Schmerzlaut und das Poltern, als jemand zu Boden ging. Ich hatte nicht gewusst, dass sie darin so geübt war.

Damit brach der Tumult erst richtig los. Magische Geschosse flogen uns um die Ohren und ich spürte jemanden an meiner Magie zerren und reißen. Es hörte erst auf, als Lanaya erneut einen Dolch warf. Sie hatte sich nie auf ihre Gabe verlassen wollen, außerdem war ihre Ausbildung als Jägerin nicht so magielastig wie Avathandals.

Es war schwer, zwischen den Laibern den richtigen zu erwischen. Ich wollte nicht aus Versehen Avathandal oder Lanaya verletzen, weil ich nicht sah, was ich tat, aber eine große Wahl hatte ich nicht. Also versuchte ich, meine Eiszauber klein und fokussiert zu halten, damit sie wirklich nur das richtige Ziel trafen. Damit waren sie natürlich weniger effektiv, aber es sollte reichen, um eine Hand für den Moment an einer Rüstung festzuhalten.

Lanaya neben mir entfuhr ein erschrockenes Aufkeuchen und ich spürte direkt, dass einer der Magier bei ihr war und sie wahrscheinlich festhielt. Im Licht eines Feuerzaubers erkannte ich, wie sie ihrem Angreifer in die Hand biss und das Bein hochzog. Aufgrund der folgenden Geräusche vermutete ich, dass er sie losgelassen hatte.

Ich schickte einen Eiszauber in ihre Richtung und erwischte tatsächlich den Angreifer.

»Dolch!«, befahl Lanaya mir und ich reichte ihr meinen, solange der Eiszauber wirkte. Er löste sich leider schneller wieder auf, als das Eis schmolz, denn meine Magie hatte schon damit zu tun, den Schutzschild nach wie vor aufrechtzuerhalten.

Avathandal war an meiner Seite, als sich seine Schwester mit meinem Dolch auf den letzten verbliebenen Angreifer stürzte. Die Stille, die sich daraufhin über uns senkte, sorgte leider nicht dafür, dass ich die Geräusche verdrängte, die sterbende Menschen von sich gaben. Ich hatte es mittlerweile zuhauf gehört und doch war es jedes Mal schrecklich.

»Bist du unverletzt?«, fragte Avathandal mich und ich nickte, schob dann aber ein »Ja« hinterher, da ich nicht wusste, ob er es gesehen hatte. »Lanaya?« Er ging an mir vorbei.

»Lass mich in Ruhe!«, fauchte sie.

»Ich will dir doch nur helfen.«

»Ich komme allein zurecht!«

Für einen Moment war es völlig still.

»Ich komme ganz allein zurecht.«

Sie schluchzte und Avathandal verzichtete darauf, sie noch einmal anzusprechen.

 

Bis wir die ersten Bäume des deth ará in der Ferne ausmachen konnten, waren wir noch eine ganze Weile unterwegs. Das Wetter war umgeschlagen und es regnete den vierten Tag in Folge.

Wir drei waren bis auf die Knochen durchnässt. Auch unsere Pferde waren klatschnass und wir würden noch den ganzen Tag brauchen, bis wir endlich im deth ará ankamen, da die schlammigen Wege nur Schritttempo zuließen.

Die verschneiten Berge der Steilklippen ragten zu unserer Linken auf und ich wünschte mir, dass es hier auch schon schneien würde. Schnee war so viel schöner als Regen.

»Wir sollten uns einen Unterschlupf suchen!«, rief Avathandal gegen das laute Prasseln an.

Lanaya und ich warfen uns einen fröstelnden Blick zu, ehe wir beide zustimmten. Uns war verdammt kalt.

Zu dritt entzündeten wir ein kleines Feuer unter einer Baumgruppe. Es dauerte ewig, bis der Boden und das Geäst trocken waren und sich entzünden ließen. Als es endlich brannte, scharten wir uns eng darum.

»Schreckliches Wetter«, murrte ich, während ich die Schultern höher zog.

»Ich mag es. Es passt zu meiner Stimmung«, antwortete Lanaya leise und bescherte mir damit sofort ein schlechtes Gewissen.

Ich nörgelte über das Wetter, während sie einen viel größeren Verlust zu verkraften hatte. Beschämt schwieg ich den Rest des Abends über das Thema.

 

Zuhause, war das erste Wort, das mir in den Sinn kam, als wir am Folgemorgen in den deth ará eintauchten. In der nächsten Sekunde hätten mich die aufflammenden Kopfschmerzen beinahe vom Pferd geholt.

Keuchend griff ich mir an die Schläfe. »Was ist das?«, fragte ich durch aufeinandergepresste Zähne.

»Der Zauber. Er wird Zeit brauchen, bis er sich wieder erholt hat. Die Clans werden weiter ins Landesinnere gezogen sein, um dem aus dem Weg zu gehen.« Avathandal klang, als würde er den Schmerz nicht einmal spüren.

»Wie lange«, ich schluckte die Übelkeit angestrengt herunter, »wird der Wald brauchen, bis er nicht mehr solche Schmerzen verbreitet?«

Avathandal zuckte etwas ratlos mit den Schultern. »Fünf Jahre, zwanzig, zweihundert. Ich weiß es nicht. So lange ich lebe, ist der Wald nie auf diese Weise angegriffen worden. Alles, was ich dir sagen kann, ist, und das weißt du bereits selbst, dass das bedrückende Gefühl und die Kopfschmerzen abnehmen, je weiter wir uns vom Ort der Schlacht entfernen. Wir sind nicht weit vom Wächterlager entfernt und damit viel zu nah dran.«

Erst jetzt drehte er sich zu mir um und schien das erste Mal zu sehen, dass ich die Schmerzen nicht so einfach verdrängen konnte wie er oder Lanaya.

»Das spüre ich!«, maulte ich ihn an.

Jeder Schritt meines Pferdes dröhnte mir bis an den Haaransatz und es würde nicht mehr lange dauern, bis ich mich vor Schmerzen übergeben musste. Ich hatte auf Kopfschmerzen schon immer mit Übelkeit und Erbrechen reagiert.

Gleichmäßig und ruhig atmend, versuchte ich, die Erschütterungen auszugleichen, doch der Druck in meinem Bauch verstärkte sich stetig, während ich hektisch immer wieder Speichel schluckte, dessen Produktion angeregt wurde.

»Können wir …«, brachte ich noch heraus, bevor ich aus dem Sattel rutschte und lediglich zwei Schritte schaffte, bevor mein Magen mich im Stich ließ.

Würgend, hustend und zitternd hielt ich mich an einem Baum fest. Noch während ich wartete, dass der erneute Würgereiz abebbte, spürte ich eine Hand auf meinem Rücken und eine Wasserflasche erschien in meinem Blickfeld.

»Besser?«, fragte Avathandal sanft, während ich einige Schlucke trank.

Natürlich hatte es nicht gegen die Kopfschmerzen geholfen, wie es das sonst tat, denn es hatte ja diesmal nichts miteinander zu tun.

»Nein«, sagte ich ehrlich.

Avathandal musterte mich besorgt. »Dann sollten wir hier schnell weg. Es wird bald besser«, versprach er mir und geleitete mich wieder zu meinem Pferd.

Ich zitterte noch, als wir unseren Weg fortsetzten, aber Avathandal sollte recht behalten. Je weiter wir uns entfernten, desto erträglicher wurde der Schmerz.

»Wie haltet ihr das aus?«, fragte ich, als es nur noch ein Ziehen zwischen den Schläfen war.

»Ich weiß nicht, woran es liegt, aber du scheinst da etwas empfindlicher zu sein als wir. Ich habe es auch gespürt, aber es war erträglich.«

»Das geht schlimmer?«

»Es geht immer schlimmer«, antwortete er mir und ich musste an den Manaentzug denken und daran, dass Avathandal gelernt hatte, dem standzuhalten.

Lanaya hatte seit gestern Abend kein Wort mehr mit mir gewechselt und so langsam suchte mich das Bedürfnis heim, mich bei ihr zu entschuldigen, auch wenn ich wusste, dass es nicht an mir lag und mich keine Schuld traf.

 

Der Regen ließ den Mittag über endlich nach und wir begannen das erste Mal seit Tagen, wieder zu trocknen. Die Bäume wurden dichter und dichter. In diesem Teil des deth ará war ich zuvor noch nicht gewesen. Es war, als läge eine gewisse Dunkelheit über dem Ort, was ich aber bei dem beinahe geschlossenen Blätterdach für nicht unnormal erachtete.

»Es sollte nicht mehr lange dauern, bis wir auf einen Clan stoßen. Gleich, wessen Clan es ist, wir legen eine Pause ein«, informierte Avathandal uns.

Eine Pause klang wunderbar. Die Kopfschmerzen waren zwar noch vorhanden, aber zu einem erträglichen Pochen abgeklungen, das sich eine Weile aushalten ließ.

Der Clan, auf den wir trafen, war klein und mir völlig unbekannt, aber Avathandal kannte die meisten Mitglieder. Ich bewunderte seine Fähigkeit, sich Namen und Gesichter einzuprägen, denn ich war schon froh, wenn ich noch wusste, wer alles zu unserem Clan gehörte, wenn wir auf ihn stießen.

Wir blieben lange auf und genossen es, wieder inmitten von Elfen zu sein, deren Leben auch mir so vertraut war. Erst jetzt, als wir um das Feuer saßen, Lieder sangen und einige Paare um uns herum tanzten, merkte ich, wie sehr es mir gefehlt hatte. Ich sog die ausgelassene Stimmung in mich auf, damit ich in Havaris davon zehren konnte. Dort würde es sicher nicht so lustig zugehen.

Es war die erste Nacht, die ich wieder durchschlief, seit wir im deth ará unterwegs waren. Ich fühlte mich am nächsten Morgen wie neu geboren und stand auf, bevor Avathandal wach war. Er war normalerweise immer einer der Ersten auf den Beinen.

Die Sonne kämpfte sich ihren Weg durch die Baumstämme. Die Strahlen warfen ein schönes Licht über den Lagerplatz und die Holzwagen, die den herumziehenden Elfen als Behausung dienten.

Langsam schlenderte ich zwischen den Bäumen umher. Es war schön, wieder im Wald zu sein, und ich wollte es so lange wie möglich genießen. Wer wusste schon, ob ich jemals wieder aus Havaris herauskommen würde, wenn man mich einmal hineingelassen hatte.

 

Wir setzten Lanaya lediglich bei unserem Clan ab. Avathandal meinte, dass wir durch die verregneten Tage schon viel zu viel Zeit verloren hatten und er dringend seine Position im alten Rat einnehmen müsse. Wir bekamen etwas vom Abendessen ab und durften unsere Pferde aus dem königlichen Stall in Dreikronen gegen die großen schwarzen Pferde von Giia tauschen. Der Clan würde sie bei nächster Gelegenheit verkaufen und das Einkommen für sich nutzen. Ich hatte einmal Alpe mit nach Havaris genommen und wusste noch, welche Probleme es gegeben hatte, da ich natürlich genau dieses Pferd wieder hatte mitnehmen wollen. Elfen banden sich nicht so an ihre Tiere. Sie hatten eine Bindung zu ihnen, aber nicht zu einem bestimmten. Es gab keine eigenen Tiere. Sie waren für alle im Clan da.