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Über dieses Buch:

Der verführerischen Astrophysikerin Sarah Kavish konnte bisher niemand widerstehen. Doch plötzlich stößt sie durch Zufall auf eine tief verwurzelte Verschwörung der Regierung und eine Mauer des Schweigens. Von der Lösung des Rätsels besessen sucht sie mit vollem Körpereinsatz nach Hinweisen – und wird in erotische Abenteuer verwickelt, von denen sie nie zu träumen gewagt hätte. Immer wieder begegnet ihr dabei ein mysteriöser Mann, der ihr nicht mehr aus dem Kopf geht – und der irgendwie in die Verschwörung involviert zu sein scheint …

Über die Autorin:

Tobsha Learner wurde in England geboren. Heute pendelt sie zwischen Großbritannien, Australien und den USA. Sie ist als Bühnenschriftstellerin und Autorin zahlreicher Romane international erfolgreich. Ihre Bandbreite reicht von Erotischen Romanen über Historische Romane bis hin zu Thrillern.

Von Tobsha Learner erscheinen bei dotbooks außerdem:

Quiver. Erotische Begegnungen

Die Hexe von Köln. Historischer Roman

Weitere Titel sind in Vorbereitung.

Die Website der Autorin: www.tobsha.com

Die Autorin im Internet: www.facebook.com/Tobsha-Learner

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eBook-Neuausgabe Juni 2018

Copyright © der englischen Originalausgabe 1998 Tobsha Learner

Die englische Originalausgabe erschien 1998 unter dem Titel Madonna Mars – An Erotic Thriller bei Penguin Books Australia Ltd.

Copyright © der deutschen Ausgabe 1999 vgs verlagsgesellschaft, Köln

Copyright © der Neuausgabe 2018 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung von shutterstock/Mayer George

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (aks)

ISBN 978-3-96148-467-6

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Tobsha Learner

Climax. Gefährlicher Höhepunkt

Ein erotischer Thriller

Aus dem Englischen von Frauke Meier

dotbooks.

PROLOG

Der rote Himmelskörper beschrieb unberührt, beinahe jungfräulich seine Bahn; in unschuldigem Schlummer rotierte der Mars in seinem Orbit. Doch eine Sekunde später zeigte sich ein Objekt auf dem Monitor, das sich durch die wehrlosen Schichten der Atmosphäre bohrte. Mit einer Geschwindigkeit von zehn Meilen pro Sekunde – zusätzlich beschleunigt durch die Gravitationskräfte des Planeten – schoß es an der weißen Polkappe vorüber, bevor es für einen Augenblick zu verharren schien, um gleich darauf in die gleichgültige und doch so verletzliche Oberfläche einzuschlagen. Vier Sekunden später löste der Nuklearsprengkörper, ein schweres Zehn-Tonnen-Geschoß, eine Explosion aus, die um das Hundertfache stärker war als die der Hiroshima-Bombe. Weitere drei Sekunden vergingen, bevor eine träge Flutwelle aus geborstenem Eis und nebelhaftem Dunst sich majestätisch über den Planeten verbreitete. Leise lächelnd lehnte sich Sarah auf ihrem Stuhl zurück. Sie liebte es, Gott zu spielen.

Sarah Kavish arbeitete als Wissenschaftlerin für ein Terraformingprojekt, das der NASA unterstellt war. Terraforming war – wie sie immer und immer wieder erklären mußte – die Kunst, eine lebensspendende Atmosphäre auf einem fremden Planeten zu schaffen.

Der Mars war zweifellos der vielversprechendste Kandidat, verfügte er doch über gewaltige Wassermassen und Kohlendioxid, das in festem Aggregatzustand tiefgefroren unter den Polkappen gefangen war. Das erste Ziel der Terraformer war es, den Südpol des roten Planeten so weit zu erwärmen, daß das eingeschlossene CO2 freigesetzt wurde und in die Atmosphäre eintrat. Diese Initialzündung würde einen Treibhauseffekt verursachen, der die dichte Gasschicht erwärmen und die Polkappe noch weiter schmelzen sollte – bis schließlich der Keim gelegt wäre, aus dem eine Atmosphäre entstehen konnte, in der Leben möglich war. Über die beste Methode, den ersten Schritt zu tun und das Eis des Südpols zu schmelzen, kursierten zahllose Theorien.

Als Nuklearphysikerin war Sarah davon überzeugt, daß sich der Prozeß beschleunigen ließ, wenn die verborgenen Nitratfelder mit Wasserstoffbomben bombardiert würden. Der Permafrost des Planeten würde schmelzen und den eingeschlossenen Sauerstoff freisetzen.

Sarah verfolgte, wie sich das Blau langsam über das gefrorene Ödland ausbreitete. Dies war der hundertste Bombenabwurf auf den Planeten, den sie in der letzten halben Stunde simuliert hatte. Inzwischen sollte der Dauerfrostboden schmelzen. Eine Flutwelle freigesetzten Wassers würde sich über die zerklüftete Oberfläche ergießen, die tiefen Schluchten füllen und die Hänge hochaufragender Vulkane umspülen.

Sarah erhob sich, um sich einen extrastarken Espresso zuzubereiten. Es war bereits sieben Uhr, und sie hatte noch eine lange Nacht vor sich. Das Labor, in dem sie arbeitete, befand sich ein Stückchen außerhalb von Highland in einem ehemaligen Pornokino, das an einem trostlosen Abschnitt des Hollywood Boulevard lag. Mit finanzieller Unterstützung von Boering Co. und Lockheed Martin Corp. hatte Robert Lowman, der Leiter des Projekts, den Zuschauerraum in ein Labor umgebaut. Sarah liebte die verruchte Atmosphäre, die selbst jetzt, nach zehn Jahren, noch in den Winkeln der kleinen Büroräume lauerte, die sich um die große Freifläche gruppierten, auf der Robert arbeitete.

In ihren Augen war es eine Ironie des Schicksals, daß gerade hier, umgeben von herumlungernden Freiern, Heimatlosen und verirrten Touristen, hinter geschwärzten Fenstern und einer verfallenen Fassade, die aus wohlerwogenen Gründen nicht restauriert worden war, die Brutstätte für die gewaltigste Herausforderung des 21. Jahrhunderts lag: Hier nahm der Traum, eines Tages das Weltall zu bevölkern, Gestalt an, wurde zu einer realistischen Möglichkeit.

Plötzlich schlug ihr Computer Alarm. Sie wandte sich wieder dem Bildschirm zu: Irgend etwas war schiefgelaufen. Das Wasser war, statt weiter den Planeten zu fluten, plötzlich wieder zu einer riesigen Gletscherfläche gefroren – die Ausläufer der Flutwelle waren japanischen Eisskulpturen gleich mitten in der Bewegung erstarrt. Nie zuvor war etwas Ähnliches passiert. Rasch prüfte sie die durchlaufenden Diagramme am unteren Bildschirmrand, doch sie konnte in den Berechnungen nichts Außergewöhnliches entdecken. Dennoch: Ihr Versuch hatte nicht funktioniert, und der abrupte Temperatursturz zurück unter die Nullgradgrenze würde sich katastrophal auf ihre Arbeit auswirken. Sarah fluchte leise vor sich hin. Irgendwo im Programm mußte ein Fehler stecken! Aber wo ...? In diesem Augenblick wurde sie durch laute Stimmen aus dem Nebenzimmer gestört.

Die Geräusche kamen aus Jamies Büro. Jamie, mit seinen nicht einmal zwanzig Jahren das Küken der Truppe, arbeitete ebenfalls lieber spät am Tag. Robert hatte den Autodidakten bei einem wissenschaftlichen Seminar entdeckt, das er einmal im Jahr in den Schulen im östlichen L. A. veranstaltete. Jamie war damals ein hochbegabter schwarzer Schüler von gerade einmal vierzehn Jahren, der sich mit seiner drogenabhängigen, knapp dreißigjährigen Mutter eine Wohnung in einem der heruntergekommenen Apartmentblocks in Watts teilte. Im Grunde lebte der Junge nur für die Stunden, in denen er den einzigen Computer an seiner Schule benutzen durfte. Robert rettete ihn aus dieser Situation und setzte ihn für sein ehrgeiziges Projekt ein. Nun entwickelte Jamie Computerprogramme, die Szenarien für die atmosphärische Entwicklung des Mars nach einem Terraforming simulieren konnten. Trotz Roberts verschrobener Unterrichtsmethoden war Jamie bisher nicht ein einziger Fehler unterlaufen. Zumindest bis heute nicht.

Die Stimmen wurden lauter. Sarah erkannte den sanften Tenor ihres jungen Kollegen, doch die andere Stimme, tief und aggressiv, war ihr unbekannt. Der Mann brüllte fast, und der drohende Unterton latenter Gewaltbereitschaft begleitete seine gedämpft herüberklingende Tirade. Zwar konnte sie in ihrem Büro, dem ehemaligen Vorführraum, der besonders gut isoliert war, nicht jedes einzelne Wort verstehen, doch der bösartige Klang der Auseinandersetzung war nicht zu überhören. Sarah öffnete ihre Schreibtischschublade und holte einen alten Hammer hervor. Dann trat sie hinaus in den engen Korridor – und plötzlich waren die Stimmen deutlich zu verstehen.

»Wir haben dir eine Chance gegeben, und das ist der einzige Ausweg!« Donnernd krachte Jamies Körper gegen die dünne Trennwand auf der Rückseite des Raums. Sofort schlugen Sarahs Nerven Alarm: Sie waren allein im Gebäude, und das Sicherheitssystem bestand lediglich aus einer funktionsuntüchtigen Alarmanlage, die zu reparieren sich bisher nicht gelohnt hatte. Instinktiv zog sie die Schultern hoch; für einen Augenblick ruhte ihre Hand auf ihrer Leibesmitte. Dann hob sie den Hammer, und als sie ihn mit festem Griff umklammerte, fühlte sie sich schon etwas besser.

Vorsichtig schob sie sich an die Tür heran, die einen Spalt breit offenstand. Jamie kauerte mit blutender Nase vor der gegenüberliegenden Wand. Der Fremde hatte ihr den Rücken zugewandt. Er war groß, und seine breiten Schultern zeichneten sich deutlich unter der schweren Bomberlederjacke ab. Seine Bewegungen waren fließend und frei von jeglicher Eile – allem Anschein nach war er darin geübt, Menschen einzuschüchtern. Er griff nach Jamies Mülleimer und warf ihn nach dem in sich zusammengesunkenen Jungen, der erschreckt zur Seite zuckte und dem Aufprall nur um wenige Zentimeter entging.

»Du hast noch zwei Wochen!« Mit diesen Worten wandte sich der Mann ab und verließ raschen Schritts das Büro, wobei er Sarah beinah die Tür vor den Kopf geschlagen hätte. Nur kurz erhaschte sie einen Blick auf sein rotwangiges Gesicht, die hellblauen, eiskalten Augen und eine Narbe, die sich seitlich über seine Stirn zog. Dann war er fort, und sie eilte Jamie zu Hilfe.

»Bist du in Ordnung?«

Er schob sie weg und hielt sich einen Ärmel vor das Gesicht, um das Blut, das nach wie vor aus seiner Nase sickerte, zu stillen. »Ja, ich werd's überleben.«

»Was war denn los?« fragte Sarah aufgebracht.

Er stand auf und kehrte ihr den Rücken zu. Seine schlanken Finger strichen über den Schreibtisch, während er sich davon überzeugte, daß sein kostbarer Computer unversehrt geblieben war. »Nichts, womit ich nicht fertig würde.«

»Jamie, er hätte dich beinahe umgebracht!«

»Blödsinn! Außerdem hat das nichts mit dem Projekt zu tun, okay?«

Sarah empfand tiefes Mitleid mit ihm. Jamie stand stets für seine Mutter ein, die sich durch ihre Drogensucht von einer finanziellen Misere in die nächste manövrierte. Wieder und wieder hatte er ihr aus der Klemme geholfen – mit einer Loyalität, die geradezu an Fanatismus grenzte.

»Falls du Geld brauchst ...«

Er wirbelte herum, und Sarah wußte sofort, daß sie einen Fehler begangen hatte. Jamie haßte es, irgend jemanden um irgend etwas zu bitten.

»Wenn ich Geld brauchen würde, dann würde ich darum bitten, oder etwa nicht? Hör mal, es tut mir leid, wenn ich dir einen Schreck eingejagt habe, aber das ist wirklich keine große Sache. Ich krieg' das schon wieder hin.«

»Sicher?«

Er nickte mit abgewandtem Blick. Er verabscheute Lügen, doch jetzt war es wichtiger, Sarah zu schützen. Es war schon schlimm genug, daß sie gesehen worden war.

»Hand aufs Herz.« Jamie bedachte sie mit einem schwachen Lächeln, und wenn Sarah ihm auch nicht glaubte, so wollte sie doch seine Privatsphäre respektieren.

Leise, viel zu leise für das menschliche Ohr, empfing ihr Computer einen Impuls. Im All, auf dem roten Planeten, breitete sich das Eis langsam bis über den Äquator hinaus aus. Gewaltige Gletscher überzogen nun auch den Horizont mit Dauerfrost und hüllten die Oberfläche in totes, grelles Weiß. Chaos beherrschte den Mars.

EINS
RELATIVITÄT

Jeremy strich sich mit einer unbewußten Geste über den Kopf; ein typisches Streßsignal und für Sarah üblicherweise Anlaß, ihn in die Arme zu schließen. In dieser Nacht jedoch schien diese Geste seine unharmonischen Bewegungen und seinen lausigen Rhythmus nur noch zusätzlich zu betonen. Gleich würde er unwiderruflich aus dem Takt kommen, aus ihr hinausgleiten, während sie das Kissen umklammerte und die Stelle, an der sie ihn gerade noch gespürt hatte, mit vergeblichen Kontraktionen umspannte.

»Was soll das heißen, du bist schwanger?«

»Zehn Wochen und drei Tage. Ich hätte es dir früher erzählen sollen, aber ich fand es nicht so wichtig.«

»Nicht wichtig? Das ist unser Kind!«

Sarah nippte an ihrem Scotch und sah zu, wie Jeremy nackt im Zimmer auf und ab ging. Er war vierunddreißig Jahre alt und sah gut aus mit seinem dichten, welligen braunen Haar, der kräftigen, klassischen Nase, den vollen Lippen und den grünen, leicht vorgewölbten Augen. Sein einziger Makel war das auffallend fliehende Kinn. Jeremy, groß und breitschultrig, was er oft durch eine schlechte Haltung zu kaschieren suchte, hatte seine ganz eigenen Reize. Er liebte sie, betete sie an und war auf eine drollige Art altmodisch treu, eine Eigenschaft, die in Los Angeles, einer Stadt voller Verlockungen, keineswegs alltäglich war ...

Sarah hatte nicht vorgehabt, sich in einen Kollegen zu verlieben; das war in ihren Augen ausgesprochen unprofessionell. Als sie einander kennenlernten, hatte zwischen ihnen die Art von unterschwelliger Aggression geherrscht, die Sarah als sexuell reizvoll empfand; Erfolgstypen, die einander fortwährend belauerten. Jeremys anfänglich frostige Haltung hatte Sarahs Interesse nur noch gesteigert – sie war es gewohnt, bei Männern einen bleibenden Eindruck zu hinterlassen und entsprechend hofiert zu werden.

Auch Jeremy war an dem Terraformingprojekt beteiligt, allerdings als Biologe, und im Gegensatz zu ihr wollte er den Mars mit sanfteren Methoden zum Leben erwecken. Sein Plan sah vor, den Pol durch die Zuführung von Sonnenlicht – er dachte in etwa an die Energiemenge, die die Menschheit derzeit auf Erden produzierte – zu erwärmen. Zu diesem Vorhaben waren die NASA-Wissenschaftler Dr. McKay und Dr. Zubrin gehört worden, die vorgeschlagen hatten, die vorhandene Energie durch einen Spiegel mit einem Radius von siebenundachtzig Meilen zu erhöhen, der 134.000 Meilen hinter dem Mars installiert werden sollte. Dazu müßte eine gewaltige Aluminiumplatte in eine feste Umlaufbahn gebracht werden, wo sie durch die Gravitation von Mars und Sonne fixiert würde; alsdann könnte das reflektierte Sonnenlicht auf die gefrorene Oberfläche des Mars gelenkt werden und so sein ewiges Eis schmelzen und die erstarrten Flüsse zum Fließen bringen.

An diesem Punkt wurden Jeremys ganz spezielle Fachkenntnisse benötigt. Er arbeitete an einem Plan, den Planeten mit genveränderten Pflanzen zu besiedeln, die dafür sorgen sollten, daß gewaltige Mengen Sauerstoff zurück in die Atmosphäre gelangen würden – sobald genug von diesem Gas freigesetzt war, damit die Pflanzen ihrerseits überleben konnten. Jeremy war davon überzeugt, daß es der Forschung in der Zukunft gelingen würde, Organismen hervorzubringen, die beinah ganz ohne Sauerstoff auskommen konnten.

In diesem Projekt fanden ihre unterschiedlichen Ausbildungen, Lebensläufe und Weltanschauungen ihren konzentrierten Niederschlag. Jeremy war ein hoffnungsloser Romantiker, wohingegen Sarah stolz auf ihr praktisches, eher sachliches Wesen war.

»Hey, das ist doch großartig! Das ist die Gelegenheit, unsere Beziehung zu festigen.« Jeremy nahm Sarah den Scotch ab, in Gedanken war er längst bei ihrem Baby. Er war furchtbar leicht zu durchschauen.

»Das klingt so bedrohlich.« Trotz aller Mühe gelang es ihr nicht, die Unsicherheit aus ihrer Stimme zu verbannen. Schon seit mehreren Wochen hatte sie genau diesen Augenblick gefürchtet.

»Wir werden heiraten und eine mexikanische Kinderfrau anheuern ... Wir schaffen das schon. Außerdem kannst du jederzeit irgendwo als Beraterin tätig werden, wenn wir Geld brauchen sollten.« Er ergriff ihre Hand und streichelte ihre langen, geschmeidigen Finger. Ein gemeinsames Kind ... er konnte es kaum glauben.

Brüsk entzog ihm Sarah ihre Hand. »Jeremy, ich werde es abtreiben lassen.«

»Nein!«

»Es ist schon alles vorbereitet.«

Sie stritten die ganze Nacht. Sarah schreckte vor dem Gedanken zurück, ein Kind zu bekommen, ohne sich ihrer Gefühle ganz sicher zu sein. Dennoch fiel es ihr mit ihren zweiunddreißig Jahren und angesichts der Tatsache, daß sie ihr Leben komfortabel eingerichtet und abgesichert hatte, äußerst schwer, einen plausiblen Grund zu nennen, warum sie das Kind nicht haben wollte. Ihre Gedanken wanderten zu der Zeit zurück, als sie und Jeremy das erste Mal zueinander gefunden hatten: Alles war so unspektakulär vonstatten gegangen, daß es ihr kaum möglich war, ein genaues Datum zu bestimmen. Ihre Erinnerung teilte sich ganz einfach in eine Zeit vor und eine Zeit mit Jeremy, doch die Monate des Kennenlernens und Sich-Annäherns waren in undurchdringlichen Nebel gehüllt. Das alles lag schon eine Weile zurück, und lediglich ihr damaliges Alter – sie war Mitte Zwanzig gewesen – stand ihr noch klar vor Augen. Tatsächlich waren die beiden Wissenschaftler nun schon seit sieben Jahren ein Paar – eine magische Zahl –, vier Jahre der Illusionen, zwei Jahre Realität und ein Jahr voller Bemühungen, die verlorenen Illusionen wieder zurückzuholen.

Während der Zeit, in der sie einander umworben hatten, hatte Sarah eines Tages die Geduld verloren. Jeremys zögerliche Zurückhaltung war ihr zunehmend auf die Nerven gegangen. Nach einem scheuen Gutenachtkuß an der Tür hatte sie frustriert wachgelegen, bis sie sich schließlich gegen drei Uhr morgens gereizt auf den Weg zu seiner Wohnung machte. Später, als sie gerade durch ein offenes Fenster einsteigen wollte, kam ihr plötzlich der Gedanke, er könne sie für einen Einbrecher halten und an Ort und Stelle erschießen – also krabbelte sie wieder zurück und hing eine Zeitlang halb im Haus, halb draußen, eine einzige kuriose Metapher ihrer eigenen zwiespältigen Gefühle. Schließlich war Jeremy im Pyjama aufgetaucht, und während er sie kurze Zeit später voller Hingabe verführte, fragte er sie, warum sie ihm so lange die kalte Schulter gezeigt habe.

In dieser Nacht, nachdem sie sich so leidenschaftlich geliebt hatten, daß beide über die Intensität ihrer Gefühle überrascht waren, hatte er ihr gestanden, daß er sich durch sie eingeschüchtert gefühlt hatte. Dies war wohl der Fluch, der auf ihr lastete, weil sie einen so berühmten Vater hatte. Nur ausgesprochen selten wagte es ein Mann, ihr nicht nur sehnsüchtige Blicke hinterherzuwerfen, sondern ihr auch tatsächlich den Hof zu machen; so war es stets an ihr gewesen, auf die Jagd zu gehen. Allerdings war ihr nicht bewußt, daß auch die Kombination von Schönheit und Intellekt, die sie in geradezu vollendeter Form verkörperte, auf Männer abschreckend wirken konnte – noch dazu bei einer Frau, die annähernd einen Meter achtzig groß war und aussah, als wäre sie soeben dem Kamasutra entsprungen. Ihre Mutter, Caitlin, war eine zierliche, blauäugige, rothaarige irische Katholikin gewesen; doch ihr Vater, Ram, dessen Familie aus dem Norden Indiens stammte, war einen Meter achtundachtzig groß und stolz auf seine hinduistische Herkunft. Beider Gene hatten sich in der Tochter zu überwältigender Perfektion vereint: Sarahs verblüffend blaue Augen und ihre zartbraune Haut verliehen dem kontrollierten Intellekt, der ihre Schönheit in eine andere Dimension hob, etwas geradezu Ätherisches. Fast schien es, als wäre sie nicht auf normalem Wege gezeugt worden, selbst auf den unbefangenen Betrachter wirkte sie wie ein Werk der Götter.

Hin und wieder allerdings stieß diese beeindruckende Aura andere Menschen vor den Kopf: Sarah war des Plauderns völlig unfähig. Diese Disziplin gemeinschaftlichen Miteinanders hatte sie niemals erlernt, mehr noch, sie weigerte sich sogar, irgendwelche Dummköpfe in ihrer Nähe ertragen zu müssen. Allerdings basierte diese Ablehnung nicht selten auf ihrer intoleranten Haltung gegenüber jeder Form von Gelehrtheit, die von dem schmalen Pfad ihres eigenen Fachgebiets abwich.

Ihr ganzes Leben lang hatte sie einen Kampf gegen ihre eigene Schönheit geführt, war sie verzweifelt darum bemüht gewesen, ernst genommen zu werden – nicht als eine von der Natur reich beschenkte Frau, sondern als Expertin auf ihrem Gebiet, ungeachtet ihres berühmten Vaters samt seinem Nobelpreis. Doch diese Bemühungen waren meist vergebens geblieben: Die Mehrzahl der Männer gerieten angesichts dieser außergewöhnlichen Verbindung von Schönheit und Intelligenz schlicht aus der Fassung.

Sarah lehnte es ab, ihre Gefühle auf dieses winzige Wesen in ihrem Inneren zu konzentrieren; also hatte sie sich ganz ihrer Arbeit hingegeben und sich dadurch von jeglicher Grübelei abgelenkt. Nun aber konnte sie an nichts anderes mehr denken, als an die Zeitspanne, die sie bis zum Abtreibungstermin noch überstehen mußte. Es hatte sie große Mühe gekostet, sich aus der eisernen Umklammerung ihrer Hormone zu befreien, die aus jeder noch so winzigen Mücke einen Elefanten machen wollten. Die erste dumpfe Ahnung von ihrem Zustand hatte sie bekommen, als sie auf einen rührseligen Fernsehwerbespot für Lebensversicherungen prompt mit einer Tränenflut reagierte. Trotz aller Mühe hatten sogar einige ihrer Kollegen Sarahs ungewöhnlich hysterischen Tonfall bemerkt, als sie die Gefahr erörterten, durch die Nuklearexplosion möglicherweise noch vorhandene Mikroorganismen zu vernichten, die wie winzige Fötusse tief unter der abweisenden Oberfläche des ewigen Eises gefangen sein mochten.

Jede Kleinigkeit löste eine neue Woge von Sentimentalität aus und drohte, all ihre Logik – und dies war doch die Grundlage ihres Wesens – in tränenreiche Gefühlsduselei aufzulösen. Doch sie war nicht bereit, sich ihrer biologischen Bestimmung zu ergeben – jede Nacht stritt sie ausgiebig und unerbittlich mit sich selbst und mit den Zellen, die sich in ihrem Leib teilten und ungerührt vor sich hinwuchsen.

Endlich hörten sie auf zu reden. Draußen zog die Dämmerung herauf – bald würde strahlendes Sonnenlicht wie an jedem Morgen gnadenlos auf die Stadt niederbrennen. Sarah warf Jeremy einen Seitenblick zu. Völlig regungslos lag er da, zusammengerollt wie ein kleiner Hund, und wandte ihr den Rücken zu. Sie fürchtete, er könne weinen.

»Nimm mich in die Arme«, flüsterte sie, doch er rührte sich nicht. Gefangen in Zorn und Enttäuschung schien er eine Million Lichtjahre von ihr entfernt zu sein. In diesem Augenblick lag ihr auf der Zunge: ›Es ist in Ordnung, wir bekommen das Kind, ich liebe dich, und ich ergebe mich, ich ergebe mich, ich ergebe mich ...‹ zu sagen – wenn, ja, wenn er sie doch nur in seine Arme schließen und an seiner Brust bergen würde. Sein kräftiges braunes Brusthaar würde sie an der Nase kitzeln, und der milde, vertraute Geruch seines Körpers würde ihr ein Gefühl der Sicherheit verleihen, das es ihr erlaubte, endlich einzuschlafen.

Doch er tat nichts dergleichen, und sie drehte ihm ebenfalls die Kehrseite zu, ausgebrannt und erschöpft, bettete ihren Bauch in die Hände und versuchte, sich mit dem Gedanken an das Mariner Valley, eine gewaltige, 120 Meilen breite Schlucht, die die Marsoberfläche wie eine tiefe Messerwunde zerschnitt, zu trösten. Der rote Planet, ihr Planet, mit seinen dreißig Milliarden Tonnen Wasser und den gigantischen Kohlendioxidvorkommmen am Grund eines gefrorenen Meeres. Noch war alles reine Projektion, doch sie basierte auf realistischen Grundlagen. Es war möglich, den Mars in den lebendigen Planeten zurückzuverwandeln, der er einst gewesen sein mußte, es mußte möglich sein, ihn irgendwann zu kolonialisieren. All das war lediglich eine Frage der Zeit, der Visionen und einer gigantischen finanziellen Anstrengung.

***

Jenseits der östlichen Vororte von Los Angeles, die sich in nervtötender Eintönigkeit über endlose Meilen hinweg erstrecken, waren die Bergketten deutlich zu sehen. Eine steife Brise hatte den Smog am frühen Morgen auf das Meer hinausgetrieben und die natürliche Schönheit der Metropole für einige kostbare Stunden dem Nebel entrissen.

Schweigend fuhren sie durch die Stadt. Sarah starrte zum Fenster hinaus. Als sie den Termin verabredet hatte, war ihr die Ironie, die mit diesem Datum verbunden war, gar nicht bewußt gewesen. Heute war ihr Geburtstag, sie wurde dreiunddreißig. Jesus war mit dreiunddreißig gekreuzigt worden – und ihre Mutter war in diesem Alter gestorben. Angestrengt bemühte sie sich, die Wogen des Selbstmitleids zurückzudrängen, die aus ihrem Bauch hinauf zu ihrem verspannten Brustkorb drängten und ihr in die Kehle stiegen. Sie konzentrierte sich auf die Stunden nach der Abtreibung; sie würde den Rest des Tages im Bett verbringen und Betty-Davis-Filme ansehen.

»Du kannst deine Meinung immer noch ändern«, murmelte Jeremy hinter dem Steuer, ohne sie auch nur für einen Moment anzuschauen.

Die Klinik lag am Santa Monica Boulevard im obersten Stockwerk eines häßlichen, anonymen Gebäudekomplexes aus den Sechzigern. Trotz dieser sorgfältigen Tarnung hatten sich vor den Türen demonstrierende Abtreibungs-Gegner eingefunden.

Jeremy lenkte den Wagen um die Ecke. Er hatte darauf bestanden, sie zu begleiten, fest entschlossen, die ganze Tortur mit ihr gemeinsam durchzustehen. Wenigstens in diesem Punkt, so sagte er, war es ihm erlaubt, selbst zu entscheiden.

Langsam fuhren sie an den Menschen mit ihren Transparenten vorbei. Eine große schwarze Mittvierzigerin deutete mit einem Banner auf den Wagen und rief: »Abtreibung ist Mord! Gebt dem Leben eine Chance!« Nicht weit von ihr schwenkte ein finster dreinblickendes weißes Mädchen ein Glas mit einer klaren Flüssigkeit durch die Luft, in der das Kunststoffmodell eines menschlichen Fötus dümpelte. Sarah fühlte sich hundeelend.

»Fahr langsam.«

»Ich fahre nur zwanzig Meilen.« Verärgert riß Jeremy das Steuer herum und lenkte den Wagen auf einen Parkplatz hinter dem Gebäude.

»Es muß noch einen Nebeneingang geben. Ich werde jedenfalls nicht an diesen Verrückten vorbeigehen«, erklärte Sarah, wobei ihr schmerzlich bewußt war, wie gepreßt ihre Stimme klingen mußte.

Gemeinsam liefen sie an dem Gebäude entlang, über den windgepeitschten Parkplatz, eine öde Betonlandschaft, die von absterbenden Sträuchern umzäunt war. Eine Obdachlose schlief zusammengerollt neben einem Einkaufswagen, in dem ihre gesamte Habe Platz gefunden hatte. Neben ihr, mit einer Schnur an den Karren gebunden, lag eine magere schwarze Katze, die aggressiv aufblickte. Vor den beiden stand ein Pappschild mit der Aufschrift: »HIV-positiv. Bitte helfen Sie.«

Es gab keinen Hintereingang, aus Sicherheitsgründen, wie Sarah vermutete. Für das, was sie nun tun wollte, waren schon Menschen ermordet worden. Jeremy ergriff ihre Hand, und zum ersten Mal an diesem Morgen war sie dankbar für seine Anwesenheit. Sie umrundeten die Hausecke.

»Kehren Sie um! Tun Sie das nicht! Sind Sie sich der Konsequenzen Ihrer Tat bewußt? Sie werden in der Hölle landen und von den Seelen Ihrer ungeborenen Kinder gemartert werden. Niemals werden Sie Frieden finden, denn unser Herr, Jesus Christus, hat gesagt, ein ungeborenes Kind zu töten ist Mord. Sie sind eine Mörderin. Aber jetzt ist der Zeitpunkt der Reue gekommen, der Zeitpunkt, umzukehren und Ihre Seele zu retten.«

Handschriftliche Slogans wirbelten um sie herum wie windgepeitschtes Laub; die scheußlich rosafarbene Stirn des künstlichen Fötus' schien sich in Falten zu legen, und für einen winzigen, furchtbaren Augenblick dachte Sarah, sie sähe ihn blinzeln. Jeremy zog sie mit sich und schob sie durch die schwere Glastür.

An der rückwärtigen Wand lungerte eine farbige Angestellte des Sicherheitsdienstes herum und blätterte gelangweilt in einer Ausgabe von Variety. Ihr sorgsam geflochtenes Haar und der tiefrote Lippenstift bildeten einen dramatischen Kontrast zu dem virilen Schnitt ihrer blauen Uniform.

»Lassen Sie sich von denen nicht einschüchtern«, sagte sie mit kehliger Stimme und ohne aufzublicken. »Die haben einfach nichts Besseres zu tun. Dieser Feldzug ist das einzige, was ihrem Leben einen Sinn gibt, eine Mission, die sie erfüllen wollen, obwohl ich nicht glaube, daß das noch irgendwas mit christlichem Denken zu tun hat.«

Gleich einer letzten Bastion der Sicherheit hockte sie auf ihrem Stuhl, die Hosenbeine in die schwarzen Reitstiefel gestopft und die Waffe griffbereit in einem Holster über ihrer Hüfte. Während Sarah die Frau betrachtete, fühlte sie Zorn in sich aufsteigen, Zorn über diesen ungebetenen Eingriff in ihre Privatsphäre, über die Dreistigkeit dieser völlig fremden Menschen, die in ihrem Rücken sich die Nasen an der Scheibe plattdrückten, und über die Arroganz, mit der sie ihre Moralvorstellung als die einzig richtige propagierten.

Das Empfangszimmer war voll. Frauen jeglicher Herkunft warteten hier gemeinsam mit ihren Partnern. Latinos, Afroamerikaner, Arbeiter und ein Paar wie sie, gut gekleidet, die Frau Mitte Dreißig. Sie drückten sich in eine Ecke und nahmen Platz, ohne ihre Hände voneinander zu lösen. Alle Wartenden machten einen angespannten Eindruck. In einer anderen Ecke legte eine ältere Dame den Arm um ihre Tochter, während das junge Mädchen, das nicht älter als fünfzehn zu sein schien, leise vor sich hin schluchzte.

Sarah hatte sich für diese Klinik entschieden, da sie in dem Ruf stand, ihre Patienten umfassend zu informieren, und darüber hinaus über eine eigene Beratungsstelle verfügte. Sarah haßte es, nicht zu wissen, was mit ihr vorging, und als Wissenschaftlerin wußte sie nur allzu gut, daß viele Mediziner dazu neigten, die Gynäkologie grundlos zu mystifizieren.

Sie meldete sich am Empfangstresen an und zog eine Nummer. Gemeinsam mit Jeremy verfolgte sie, wie die Frauen nach und nach aufgerufen wurden und zusammen mit ihren Partnern über eine alte hölzerne Treppe verschwanden; wohin und wozu, wußte Sarah nicht – dies war ihre erste Abtreibung. Sie hatte die Empfängnisverhütung nie auf die leichte Schulter genommen, doch vor kurzer Zeit hatte sie die Pille abgesetzt. Ihr nächstes Zusammensein mit Jeremy hatte an jenem Tag stattgefunden, an dem ihre Periode fällig gewesen wäre. Vollkommen sicher, daß sie zu diesem Zeitpunkt nicht schwanger werden konnte, hatte sie darauf verzichtet, Jeremy zu bitten, ein Kondom zu benutzen. Sie hatte sich geirrt.

»Cooper.« Das junge Mädchen erhob sich zitternd, und ihre Mutter umfaßte ihre Hand mit festem Griff, bevor die beiden die Treppe hinaufstiegen.

»Wir könnten heimfahren. Wir müssen nicht dort hinaufgehen ...« Jeremy bedachte Sarah mit einem hoffnungsvollen Blick.

Darum bemüht, nicht schon wieder ärgerlich zu reagieren, konzentrierte sich Sarah auf das Gefühl der Erleichterung, das sie in weniger als einer Stunde verspüren würde ... Diese Phantasie war ihre Zuflucht, das einzige Mittel, ihr Herz davon abzuhalten, voller Panik gegen ihre Brust zu hämmern. Sarah hatte Angst.

»Die Entscheidung ist gefallen, und ich weigere mich, hier noch einmal darüber zu diskutieren«, sagte sie leise. Manchmal fühlte sie sich wie eine Engländerin, da sie es vermied, in der Öffentlichkeit Gefühle zu zeigen, und Jeremys ungehemmte Emotionalität belastete sie selbst dann, wenn sie bester Laune war.

Er griff nach einer Ausgabe des Esquire und gab vor zu lesen, doch Sarah entging nicht, daß das Papier in seinen Händen bebte. Im fluoreszierenden Licht des Wartezimmers erschien sein Gesicht sehr bleich und mit seinem zurückweichenden Kinn geradezu teigig.

»Kavish ... Sarah.« Kaum war sie auf den Beinen, schaltete ihr Hirn auf Autopilot. Jeremy nahm ihre Hand. Er war entschlossen, sie während des Eingriffs nicht allein zu lassen, und plötzlich fühlte sie sich zu schwach und zu nervös, um mit ihm zu streiten.

Oben wurde sie in eine kleine, kahle Kammer geführt und aufgefordert, sich auszuziehen und einen Kittel, Schuhe und eine Kappe aus Papier anzulegen, bis sie sich schließlich wie eine Comicfigur vorkam, ein Clown zum Ausschneiden, ein Kinderspielzeug, irgendwie albern, verletzbar und nackt unterhalb des Hemdchens, das am Rücken auseinanderklaffte. Während sie sorgfältig ihre Kleider zusammenlegte, hörte sie das Rascheln aus den Nachbarkabinen, in denen andere Frauen gerade exakt das gleiche taten wie sie.

Eine mütterlich wirkende Mittvierzigerin kam, um sie zu holen. Ihr bedächtiger Frohsinn wirkte auf Sarah wie ein Rettungsanker, und sie ließ sich über den Korridor führen, während sie sich dem gekünstelten Entzücken der Schwester hingab, die Sarahs englischen Akzent zum Thema eines längeren Dialogs machte. Natürlich wußte Sarah, daß dies nur ein routiniertes Ablenkungsmanöver war, ein Trick, der sie beruhigen sollte. Dennoch war sie dankbar für diese kleine Plauderei, und zu ihrer eigenen Überraschung hörte sie sich plötzlich erzählen, daß heute ihr Geburtstag sei.

Ihre Nervosität flammte kurz auf, als die Schwester im Schritt verharrte. »Nicht gerade die beste Art, ihn zu beginnen, aber ich bin sicher, Sie werden danach noch einen wundervollen Tag haben.« Sie bedachte Sarah, die sich wie ein kompletter Idiot vorkam, mit einem nun nicht mehr ganz so zuversichtlichen Lächeln.

Gemeinsam betraten sie den Operationssaal. Auf der anderen Seite des OP-Tisches wartete Jeremy, ebenfalls in einen Kittel gehüllt und mit einem ausgesprochen angespannten Gesichtsausdruck.

Sarah hatte sich ausbedungen, daß die Abtreibung unter Lokalanästhesie erfolgen sollte, und man hatte ihr versichert, daß sie kaum etwas spüren würde. Nun aber, umgeben von all dem medizinischen Gerät und den Absaugvorrichtungen, die gleich zusammengekauerten Robotern am Ende des Tisches lauerten, bereute sie ihre Entscheidung bereits – noch bevor ihr die Ärztin, eine Frau in mittleren Jahren, die eine Art bizarre Loyalität ausstrahlte, vorgestellt wurde.

Die Ärztin saß neben dem Absauggerät, während die Schwester Sarah in das Bügelgestell half. Als sie auf dem Rücken lag und die leuchtend bunten Werbefotografien für Urlaubsreisen in die Karibik betrachtete, fühlte sie sich unendlich kraftlos und ausgeliefert. Die Schwester, die neben ihrem Kopf Platz genommen hatte, fuhr fort, sie mit Fragen nach ihrem Job, ihrer Familie und der Zeit, die sie nun schon in Amerika verbracht hatte, abzulenken, während die Ärztin vorsichtig eine eingefettete Zange einführte, um ihre Vagina zu erweitern.

»Ich werde Ihnen jetzt Adrenalin injizieren, um das Gewebe dehnbar zu machen. Das kann im ersten Augenblick etwas unangenehm sein.« Sarah fühlte, wie sich etwas durch ihre erweiterte Vagina hinauftastete, und eine sonderbare, kreatürliche Furcht erfaßte ihren Leib. Das Adrenalin strömte durch ihren Körper und beschleunigte ihren Herzschlag. Jeremy ergriff ihre Hand. Er sah auf ihr Gesicht herab, ängstlich darum bemüht, seinen Blick auf sie und nicht auf die Handlungen der Ärztin zu fixieren. Als Sarah bemerkte, daß er den Tränen nahe war, schloß sie die Augen. In diesem Augenblick konnte sie nicht auch noch seinen Schmerz ertragen.

»Das sieht sehr gut aus. Ich werde jetzt den Absauger einschalten, und dann können wir anfangen ... Sie werden einen starken, durchdringenden Schmerz fühlen, aber er wird nicht schlimmer sein als ganz normale Periodenkrämpfe.« Klar und belehrend drang die Stimme der Ärztin an ihr Ohr.

Sarah war nun so benebelt, daß sie das Saugröhrchen, das in ihre Gebärmutter eindrang, kaum spürte. Das Gerät begann zu arbeiten, und ein schreckliches mahlendes Geräusch erfüllte den Operationssaal. Jeremys Griff um ihre Hand verstärkte sich, als sie mit den Zähnen knirschte. In ihrem Unterleib fühlte sie dumpf ein Tasten, dann ein Ziehen, als die Maschine die Schleimhäute in ihrem Uterus ansaugte. Heftige Kontraktionen ließen grelle Lichtblitze auf ihrer Netzhaut aufflackern.

»Aaah!« keuchte sie.

»Ganz ruhig, atmen Sie den Schmerz einfach weg, Liebes, in einer Minute haben Sie es überstanden.« Die Stimme der Schwester war wie ein Leuchtfeuer in finsterer Nacht, und Sarah bemühte sich, ihren Geist mit schönen Bildern abzulenken. Mars, im Jahr 5000: Der Sauerstoffgehalt ist niedrig, reicht aber, um Leben zu ermöglichen. Ein fahlrosa Himmel, ein Flußbett, bewachsen mit purpurfarbenem Binsenkraut, das zehn Meter in den Himmel ragt. Eine stille Landschaft in sattem Grün, vollständig künstlich angelegt, noch ohne irdische Geräusche, Vogelgesänge, das Summen der Insekten ... Vielleicht würde es eines Tages einen solchen Ort geben, benannt nach ihr: Kavish Valley .. .

»Aaahhh!« schrie sie, nicht länger fähig, den ursprünglichsten aller Laute zu unterdrücken.

»Nur noch ein paar Sekunden ...« Immer noch klang die Stimme der Ärztin ruhig und sachlich.

In diesem Augenblick sprang Jeremy auf und wankte aus dem Operationssaal. Erneut schloß sie die Augen. Jeremys Flucht war trotz aller Pein zu ihrem Bewußtsein durchgedrungen, doch sie wollte sich nicht schuldig fühlen. Diese Sache ging allein sie etwas an, sie und Gott, vorausgesetzt es gab so etwas wie einen Gott.

Dann raste eine letzte schmerzhafte Konvulsion über ihre Bauchdecke.

Farbige Wogen pulsierten über ihre Netzhaut: Rot, Karmesinrot, tiefes Blau. Sarah öffnete die Augen und fand sich in einem unbekannten Raum wieder. Kopfschüttelnd versuchte sie, wieder zu Sinnen zu kommen, als sie erkannte, daß ihr das Gewicht auf ihrer Kehle völlig fremd war. Panik ergriff jeden Muskel ihres Körpers, während sie mit der sonderbaren Last kämpfte. Ihr ganzer Leib fühlte sich anders an. Ihre Hände schienen zu lang und zu schwer zu sein. Mühsam hob sie die Arme und starrte auf das, was dort vor ihr schwebte: Das waren nicht ihre Hände, diese Hände waren kräftig, breit, mit langen behaarten Fingern. Die Hände eines Mannes. Voller Entsetzen begann sie, ihren Zeigefinger anzuspannen, und, ja, er bewegte sich schwach in der kalten Luft. Kalte Luft? In ihrem Grauen klammerte sie sich an die Vernunft und schloß, daß sie durch die Nachwirkung der Betäubung halluzinieren mußte. Dennoch konnte sie das Pochen ihres Herzens spüren ... als sich ein fremdes Bewußtsein in den Frontallappen ihres Gehirns drängte. Nun war sie nur noch ein Beobachter, ein lautloser, gefangener Voyeur, der durch die Augen eines anderen starrte. Sie war der Gnade einer fremden Psyche ausgeliefert.

Unglaublich, daß ich den Ausweis gebraucht habe, um an der Wache vorbeizukommen.

Was für ein Glück, daß er nicht in der Abteilung zurückgefragt hat. Soviel Aufwand für ein Archiv. Aber was habe ich auch anderes erwartet, immerhin ist es streng geheim. Verdammt! Jetzt hätte ich beinahe den Schlüssel fallenlassen. Ich wünschte, meine Hände würden aufhören zu zittern. Nun komm schon, ganz ruhig, denk an irgendwas Gewöhnliches ... Draußen scheint wie jeden Tag die Sonne auf die stinkenden Autos. Wen will ich hier verarschen? Wenn sie mich erwischen, werden sie mich umbringen, wer auch immer sie sein mögen. Ich frage mich, ob das FBI etwas damit zu tun hat. Randolph ist ein paranoider Bastard, aber doch nicht so paranoid. Ob sie von unserer Korrespondenz wissen? Dabei waren wir doch so vorsichtig.

Okay, jetzt das Messer unter das Schloß. Langsam, ganz vorsichtig. Komm schon ... komm schon, geh auf, Baby. Verdammt! Das Klicken war laut. Zu laut. Wo ist der Wachmann? Ruhig bleiben, ganz ruhig. Mir läuft was übers Gesicht. Schweiß. Nicht bewegen. Er kommt nicht. Das kann er nicht gehört haben. Gott sei Dank. Gut, jetzt die Schreibtischschublade aufziehen ... bekomm endlich diese Hände unter Kontrolle. Wow, manche dieser Dokumente gehen zurück bis zum Kalten Krieg. Einige sind sogar handgeschrieben. Wo ist »1975«? Das war das Jahr, in dem Randolph seine These zum ersten Mal publiziert hat. Und das letzte Jahr, in dem er noch so etwas wie berufliches Ansehen genossen hat, der arme Kerl. Seither ist er ständig beobachtet worden, während er darauf wartete, daß die Welt ihn endlich ernst nimmt. Hätte nie gedacht, daß es gerade diese Jungs wären. R. E. N. C., erinnerst du dich? Das ist es, was du hier suchen mußt ...

Wilhelm Reich, Jean Seberg, Robert Oppenheimer ... die Toten, die Verfolgten, die Spinner. Hier ist es, endlich, »1975 – Hiestler«. Ein ganz gewöhnlicher brauner Hefter. Phantastisch, da ist die These, die er veröffentlicht hat, und sogar noch ein Foto aus seinen Studientagen. Was hat er da auf dem Rücken? »Wien '52«. Er sieht so jung und enthusiastisch aus. Seine Naivität tut geradezu weh. Die Courage eines Märtyrers, vielleicht war er aber auch nur dumm. Dem Staub nach zu urteilen, ist dieser Ordner schon seit Jahren nicht mehr angerührt worden. Sie können's also nicht gewesen sein. Aber wer war es dann? Was soll's, ich werde die Fotos so oder so machen. Besser, ich beeile mich.

Mag sein, daß ich kein Spion bin, aber ich fühle mich wie einer. Der Treueschwur, erinnerst du dich? Ich habe geschworen, die Vereinigten Staaten von ... oh Gott, jetzt passiert das schon wieder. Nein! Nicht jetzt! Ich darf jetzt nicht schlappmachen. Rot brennt durch, brennt und brennt auf der Rückseite meiner Netzhaut. Komm schon, konzentrier dich auf die Realität. Sieh dir den Aktenschrank an, die scharfen Kanten. Es funktioniert nicht ... ich falle ... falle ... Sieh dir das Licht an. Es fluoresziert. Blinkt mich an und raubt mir die Sicht. Die Kamera ist zu schwer. Ich breche zusammen. Gott! Warum ist es nur plötzlich so kalt? Ich friere ...

Eine Landschaft, verbrannt, als wäre ein gewaltiger Feuersturm über sie hinweggezogen. Was ist das, Rauch? Nein, Nebel. Der Boden ist hart und glänzend. Und unter dem Eis? Asche? Es ist so kalt ... Vielleicht werde ich hier sterben, erfrieren, eingeschlossen wie ein mumifiziertes Mammut. Ich rieche Rauch.

Wo? Dort drüben, er weht von dem kleinen Aschehaufen herüber. Das ist besser, dort wird es wärmer sein. Muß irgendwann einmal ein Baum gewesen sein, ein großer Baum. Was stinkt hier so? Riecht wie verbranntes Fleisch, vermischt mit ... uuh ... etwas noch Schlimmerem. Ich werde mich übergeben müssen. Hoch mit dir, nur nicht auf die Knie fallen. Schwach, du bist so schwach! Die Asche ist weich, fast wie grauer Schnee. Fließend, bedeckt alles ... Mein Knie tut weh, hab' es mir verbrannt, als ich mich hingehockt habe. Da glitzert was, da unter den rauchenden Kohlen. Heb es auf! Ein glänzendes Emblem, sieht aus wie ein Stern. Ein Stern auf einer verdrehten Stahlstange, aus einem Gartenzaun vielleicht. Das muß eine Stadt gewesen sein. Ich stehe auf den Überresten einer Stadt.

»Jetzt ist alles vorbei. Sie haben's geschafft.« Das schreckliche mahlende Geräusch verstummte und verließ den Raum so schnell, wie es gekommen war.

Blinzelnd blickte Sarah in das harte, grelle Licht. War sie ohnmächtig gewesen? Die Schwester war damit beschäftigt, die Saugpumpe zur Tür hinauszuschieben, während die Ärztin ihren Puls prüfte. »Scheint alles normal zu sein«, versicherte sie ihr.

Niemand schien etwas von Sarahs geistiger Abwesenheit bemerkt zu haben. Entsetzt starrte sie zur Decke: Jemand oder etwas hatte sie für einen Augenblick entführt, hinaus aus ihrem Dasein und hinein in eine andere Existenz. Und dieses Gefühl war nicht minder intensiv gewesen als die Krämpfe in ihrem Leib.

Sarah hockte im Warteraum der klinischen Nachsorge. Man hatte ihr einen Stuhl hingeschoben und sie in einen schlichten Morgenmantel gewickelt. Außer ihr saßen noch drei andere Frauen in dem Raum. Zwei von ihnen starrten mit blassen Gesichtern stur geradeaus, ganz zurückgezogen in die geheimsten Winkel ihres Wesens. Neben der dritten, einer älteren Frau, saß ein Mann und hielt ihre Hand, die er so sanft und vorsichtig streichelte, als wüßte er nicht, wie er mit dieser fremdartigen Trauer umgehen sollte. Eine junge Krankenschwester, deren rötliches, vor Gesundheit strotzendes Gesicht in krassem Kontrast zu den mitgenommenen Patientinnen stand, reichte Sarah eine Tasse starken Tee mit viel Zucker.

»Der Fötus war mißgebildet, spastisch. Das passiert vielen älteren Paaren«, erklärte sie Sarah, so leise sie nur konnte und mit einem Nicken in Richtung der versunken Trauernden. Dann entschwand sie in einer Wolke aus billigem Parfüm, vermengt mit einem Hauch von Desinfektionsmittel.

Sarah nippte an ihrem Tee. Seine Süße erinnerte sie an ihre Kindheit und ihre Mutter, an Caitlins zartes, hellhäutiges Gesicht, wie sie mit einem Fleck Ölfarbe auf der Wange zu Boden sah.

»Das Leben ist ein ewiger Kompromiß, Sarah, und darum mußt du um jedes bißchen Macht kämpfen, das du kriegen kannst ... Die anderen werden dich zu demontieren versuchen, wo sie nur können.«

Während ihr vor lauter Eifer eine rote Locke in die Stirn fiel, bürstete sie das lange dunkle Haar ihrer kleinen Tochter wieder und wieder, wobei sie nicht umhinkam, die Schönheit dieses so ernsthaften Kindes zu bewundern. Ihre Mutter ... Sarah konnte sich nur bruchstückhaft an sie erinnern: lange, fließende Kleider; schwere indianische Silberringe, die an ihren Fingern blitzten, wenn sie nach einer Zigarette griff; das Gefühl, das ihr Haar hinterließ, wenn es abends, beim Gutenachtkuß, über Sarahs Gesicht strich. Der für die siebziger Jahre typisch blasse Lippenstift, die schweren, tiefschwarzen Lidstriche, mit denen sie sich für eine Party zurechtmachte, auf die Sarah sie nicht begleiten durfte ... Und dann das Gesicht ihrer Mutter inmitten des Getümmels anderer Eltern, als sie mit sieben Jahren ihren ersten Preis errungen hatte; die gedämpfte Geräuschkulisse, wenn ihr Vater hinter geschlossenen Türen losbrüllte, gefolgt von dem leisen beschwichtigenden Murmeln ihrer Mutter; die Angst, die ihr aus den fleischlosen Gesichtern auf Caitlins Gemälden entgegenstarrte; ihre zarten Hände, die den Pinsel umklammerten, der große, verletzende und zugleich verletzlich wirkende purpurfarbene Flecken auf der Leinwand hinterlassen hatte.

Sarah sah auf ihre Hände. Manchmal konnte sie den genetischen Schatten jener langen Finger in den ihren wiedererkennen. Sie erkannte in ihrem Gesicht die blauen Augen ihrer Mutter und deren spitze Ohrläppchen. Alles, was ihre Mutter ausgemacht hatte, war noch immer da, war gefangen in ihrer, Sarahs DNS, und sie fragte sich, ob sich bei dem Kind in ihrem Leib eine Spur der Elfenbeinschönheit ihrer Mutter wiedergefunden hätte, ein fernes Echo jener bösen Ahnungen, die Caitlins Träume verwüstet hatten ... oder ihrer alles umfassenden Traurigkeit. Der Schmerz über den Verlust der Mutter hatte niemals nachgelassen – er war lediglich so vertraut geworden, daß Sarah sich gar nicht mehr vorstellen konnte, ohne ihn zu leben.

Als Sarah acht Jahre alt war, hatte sich ihre Mutter das Leben genommen. Ihr Vater hatte sie gefunden, wie sie tot und viel schwerer als sonst von der Decke ihres Studios herabbaumelte. Frauen erhängen sich nicht – wie viele Menschen hatten ihr das seitdem erzählt? Frauen benutzen Gift oder Schlaftabletten. Nicht so ihre Mutter; Caitlin hatte stets einen Sinn für dramatische Auftritte besessen.

Sarah erinnerte sich an die sonderbare Stille, in der sich der Schmerz ihres Vaters kristallisierte, an die Polizistin, die mit ihr in einer ruhigen Ecke saß und ihr erklärte, warum plötzlich so viele Fremde im Haus waren. An Caitlins eigenwillige Katze, die am Morgen ihres Todes davongelaufen war und nie wieder gesehen wurde. Dann die Ankunft von Sarahs irischer Großmutter, deren Gesicht vom langen Tränenfluß auf ihrer Reise von Dublin nach London geschwollen und gerötet war – und daran, wie sie ihren Vater in ihrem breiten Dialekt verfluchte und Sarah an ihren weichen, wogenden Busen drückte ... Mein Kind, mein armes Kind.

Sarahs Körper kehrte allmählich ins Leben zurück; ein dumpfer, pochender Schmerz machte sich in ihrem Unterleib breit, und sie fühlte ein scharfes Stechen in ihrem rechten Bein. Sie sah hinunter und erkannte, daß auf ihrem rechten Knie ein blutiger Kratzer prangte, der ein wenig geschwärzt war. Sie betrachtete ihn genauer: Kleine Ascheflöckchen hatten sich in der feuchten, leicht klebrigen Wunde verfangen. Nur für den Bruchteil einer Sekunde fragte sie sich, woher diese Verletzung stammen konnte – dann erinnerte sie sich an die Halluzination.

Während das Radio sie mit einer Orchesterfassung von You are the sunshine of my life in die Wirklichkeit zurückholte, bemerkte sie, daß Jeremy neben ihr saß.

»Es tut mir leid, ich hätte bleiben sollen, bis sie fertig waren.«

»Was ist passiert?«

»Ich hab's vermasselt.«

Sie ergriff seine Hand und schüttelte sanft den Kopf. Es gab nichts mehr zu sagen. Es war vorbei. Und endlich empfand Sarah dieses wundervolle Gefühl grenzenloser Erleichterung.

ZWEI
SYNCHRONIZITÄT