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Jens Soentgen

Ökologie der Angst

Fröhliche Wissenschaft 117

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Für Anna

Inhalt

Eine Ökologie der Subjekte

Die Angst als Innenseite des Anthropozäns

Tiere empfinden

Tiere verstehen

Phänomenologie der Angst

Ökologie der Angst

Die Angst der Tiere vor den Menschen

Die Unerschrockenen

Die Angst der Menschen vor den Tieren

Versöhnung

Dank

Anmerkungen

Literatur

»Sollte man es überhaupt für möglich halten, daß der große Leviathan an drei solch dünnen Fäden hing, aufgehängt wie das schwere Gewicht einer alten Standuhr? Aufgehängt – und woran? An drei Nußschalen, an ein paar gebrechlichen Planken! […] In den schrägen Strahlen der Nachmittagssonne wuchsen die Schatten der drei Boote ins Ungemessene: sie müssen unter Wasser eine Fläche verdunkelt haben, groß genug, daß Xerxes’ halbes Heer darin Schutz gefunden hätte.

Wer weiß, welches Entsetzen dem verwundeten Wal diese riesenhaften Schemen einflößen mochten, die über ihm durch die Flut geisterten!« (Melville, Moby Dick)

Eine Ökologie der Subjekte

Im Geflecht der biologischen Wissenschaften nimmt die Ökologie neben der Evolutionstheorie eine zentrale Stellung ein, weil sie zum einen eine Gesamtsicht ermöglicht, zum anderen diejenige Theorie ist, die unmittelbar mit Fragen der Naturpolitik verbunden ist. Nicht umsonst gibt es eine politische Ökologie, eine sozial-ökologische Forschung, die cultural ecology und die Humanökologie.

Die Ökologie ist eine Beziehungswissenschaft, heute wie vor über einhundertfünfzig Jahren, als Ernst Haeckel den Begriff in seinem Werk Generelle Morphologie der Organismen prägte: »Unter Oecologie verstehen wir die gesammte Wissenschaft von den Beziehungen des Organismus zur umgebenden Aussenwelt, wohin wir im weiteren Sinne alle ›Existenz-Bedingungen‹ rechnen können.«1

Der Sache nach gab es natürlich auch vor diesen Zeilen schon ökologische Forschung, und doch ist das von Haeckel erstmals geprägte Wort und das intellektuelle Projekt, das er auf zwei, drei Seiten in bewundernswerter Hellsichtigkeit entwirft und von vornherein mit der darwinistischen Evolutionstheorie zusammendenkt, ein Meilenstein der biologischen Forschung. Als Künstler, Biologe und Polemiker hat Ernst Haeckel in seinem langen Forscherleben auch sonst Großes geleistet, doch was die langfristige Wirkung angeht, kann sich keiner seiner Beiträge mit diesem Entwurf einer neuen Wissenschaft namens Oecologie messen.

Der ökologische Naturbegriff, der die Natur als Biosphäre auffasst, also als Geflecht aller Ökosysteme und der in ihnen eingebundenen Medien, ist der wichtigste Naturbegriff der Gegenwart. Diese Natur ist gesetzmäßig strukturiert und doch ein singuläres Phänomen im Kosmos. Es gibt zwar ungezählt viele Planeten im Universum, die Sonnen umkreisen, doch nie fand man bislang Anzeichen, dass einer dieser Planeten eine Biosphäre trägt. Diese Einsicht trug das späte 20. Jahrhundert zum modernen Naturbegriff hinzu; sie ist wesentlich, weil sie die Einzigartigkeit, die Unwiederbringlichkeit der Natur, unserer Natur, verdeutlicht. Bis Mitte der 1950er Jahre waren viele Naturwissenschaftler zuversichtlich, dass es irgendwo, in nicht allzu weiter Ferne auf anderen Planeten andere Biosphären geben könnte, und sie sprachen damit eine Überzeugung aus, die bereits in der Antike verbreitet war.2 Selbst Immanuel Kant beteiligte sich in seiner Allgemeinen Naturgeschichte und Theorie des Himmels an den Spekulationen über das außerirdische Leben. Heute hat sich längst Ernüchterung unter den Forschern breitgemacht. Komplexes Leben, eine komplex organisierte Biosphäre hat sich, nach allem, was wir wissen, nur auf der Erde entwickelt – und diese Einsicht macht die voranschreitende Naturzerstörung noch quälender.

Zu unterscheiden ist der ökologische Naturbegriff von jenem der Physik, der sich etwa im sogenannten Standardmodell der Elementarteilchenphysik ausspricht. Dieser ist nur ein allgemeiner Rahmen von Gesetzen, die auf der Erde ebenso gelten wie in der Andromeda-Galaxie. Wenn in Kultur oder Politik von Natur gesprochen wird, dann ist die ökologische Natur, also die Biosphäre gemeint, denn sie ist es, die heute bedroht ist, nicht die Natur der Physiker, die sich in mathematischen Gesetzen darstellt, welche weder geschützt werden können noch des Schutzes bedürfen. Zu unterscheiden ist der ökologische Naturbegriff nicht nur vom physikalischen, sondern auch vom aristotelischen. Nach dem aristotelischen Naturbegriff ist Natur das, was von Menschen nicht hergestellt wurde und was das Prinzip seines Soseins und seiner Bewegung in sich hat, im Gegensatz zur Technik, die sich menschlichem Denken und menschlicher Geschicklichkeit verdankt. Dieser Naturbegriff trifft zwar einen wichtigen Punkt, er ist aber viel zu weit, zudem ist er atomistisch gedacht, er denkt die Natur als Ansammlung einzelner, voneinander unabhängiger Dinge. Ökologisches Denken hingegen zeigt die Natur als ein Geflecht von Beziehungen, das sich nur in Gedanken aufgliedern lässt, aber nicht real aufgetrennt werden kann. Die einzelnen Glieder hängen nämlich trotz ihrer vermeintlichen Isolation im Raum über unzählige sichtbare und unsichtbare Beziehungen so innig voneinander ab, dass sie ohne einander nicht bestehen können. Sie sind so sehr aufeinander abgestimmt, dass sie nicht nur Elemente sind, die für sich existieren können, sondern Momente, die durch ihre Beziehungen zu den anderen Lebewesen überhaupt erst geschaffen werden. Sie haben ihr Sein im andern.3 Leben ist Mitleben, Lebewesen leben vom ersten Augenblick ihrer Existenz an mit, in, von und durch andere Lebewesen. Weil ein Ökosystem nicht aus autonomen Elementen besteht, sondern ein Netzwerk ist, in dem die Beziehungen die einzelnen Organismen geradezu formen und erhalten, kann die Entnahme eines funktionalen Teils unabsehbare Folgen für das Ganze haben. Ein Ökosystem baut sich nicht stückweise aus seinen Teilen auf, sondern entsteht als Ganzes – und vergeht als Ganzes.

Auf der Ebene der Metaphysik gab es ein ökologisches Denken schon in der stoischen Naturphilosophie, denn diese sah den ganzen Kosmos als Lebewesen, dessen Organe die einzelnen Planeten sind. Nach der Lehre der Stoa ist alles miteinander verbunden und erhält einander; die Sonne etwa wird von den Dünsten der Erde ernährt. Spezielle Sympathien binden die Dinge aneinander, so etwa den Mond an das Meer. Diese kosmische Ökologie, die alles einbezieht, zählt zu den wichtigsten Vorläufern modernen ökologischen Denkens.

Als konkretes empirisches Forschungsprogramm startete das ökologische Denken, nach zögerlichen Anfängen Ende des 18. Jahrhunderts, erst ab der Mitte des 19. Jahrhunderts. Die Vorstellung von der Natur als sublunares Reich, das wiederum in ein Pflanzenreich, ein Tierreich und ein Reich der Mineralien gegliedert war, die ihrerseits mehr oder weniger isoliert voneinander gedacht waren, wurde aufgebrochen. Nun erkannte man, dass diese drei Reiche durch Kreisläufe miteinander verbunden sind: Die von den Pflanzen mit Sauerstoff angereicherte Luft wird von den Tieren gebraucht, umgekehrt versorgen diese die Pflanzen mit Kohlendioxid, das jene für ihre Fotosynthese benötigen. Die Chemiker Dumas und Boussingault sprachen vom Tierreich als »Verbrennungsapparat« und vom Pflanzenreich als »Reduktionsapparat«.4 Mit diesen Begriffen unterstrichen sie, dass das Pflanzenreich und das Tierreich über die Atmosphäre miteinander verbunden sind, ja, dass Pflanzen und Tiere eigentlich aus der Atmosphäre kommen und dorthin auch wieder zurückkehren.5

In seiner berühmten Agrikulturchemie definierte Justus von Liebig mit großer Klarheit diesen modernen ökologischen Standpunkt, indem er schreibt: »Unsere heutige Naturforschung beruht auf der gewonnenen Ueberzeugung, dass nicht allein zwischen zwei oder drei, sondern zwischen allen Erscheinungen in dem Mineral-, Pflanzen-, und Thierreich, welche z. B. das Leben an der Oberfläche der Erde bedingen, ein gesetzlicher Zusammenhang bestehe, so dass keine für sich allein sei, sondern immer verkettet mit einer oder mehreren anderen, und so fort alle miteinander verbunden, ohne Anfang und Ende, und dass die Aufeinanderfolge der Erscheinungen, ihr Entstehen und Vergehen, wie eine Wellenbewegung in einem Kreislaufe sei. Wir betrachten die Natur als ein Ganzes, und alle Erscheinungen zusammenhängend wie die Knoten in einem Netze.«6 Die Metapher vom Knoten und vom Netz zeigt, welche Bedeutung das Beziehungsdenken bereits in diesem frühen Stadium des ökologischen Denkens gewonnen hatte. Denn ein Knoten ist keine Substanz, sondern eine Verbindung von Bändern, und das Netz, von dem Liebig hier spricht, ist in chemischer Perspektive aus Metamorphosen von Stoffen und Energie gewebt. Die Reiche der Pflanzen, der Tiere und der Mineralien gibt es zwar auch in heutiger Sicht noch, aber nur mehr als Momente in einem übergreifenden dynamischen System. Dieses System bezeichnen wir heute als Biosphäre.7

Für das Selbstverständnis des Menschen hatte die Entdeckung des ökologischen Systems der Natur eine beträchtliche Bedeutung. Der Mensch, und zwar ganz besonders der westliche Mensch, sieht sich gern als ein Gegenüber der Natur und versucht, sich den ökologischen Kreisläufen zu entziehen. Seine Toten beerdigt er in Särgen und beschwert die Gräber mit Steinen8, um zu verhindern, dass die Leichname von wilden Tieren verzehrt und damit Teil des allgemeinen Kreislaufes werden. Die Ökologie zeigt, wie sinnlos dies ist; denn der Mensch ist schon durch Atmung, Verzehr und Ausscheidung in übergreifende ökologische Systeme eingebunden. Entfernt er sich, etwa als Raumfahrer, aus der Biosphäre, kann er nur mit höchstem technischen Aufwand und selbst dann nur für kurze Zeit überleben.

Es scheint nur konsequent, dass Wissenschaftler, die das ökologische Naturbild ernst nahmen, auch persönliche Konsequenzen daraus zogen, die bisweilen auf den ersten Blick skurril wirken. Der Chemiker Alfred Nobel etwa wollte, dass sein Leichnam in konzentrierter Schwefelsäure aufgelöst würde, die dann mit Kalk vollständig zu neutralisieren sei. Das Reaktionsprodukt sollte als Dünger auf Äcker ausgebracht werden – wo es weiterhin dem Leben diente.9 Mit dieser Idee wollte er offenbar der naturwissenschaftlichen Überzeugung, dass der Mensch restlos in die Kreisläufe des Werdens und Vergehens eingebunden ist, Ausdruck verleihen – gegen die christliche Lehre, wonach der menschliche Leichnam diesem Kreislauf entzogen ist und am Tag des Jüngsten Gerichts auferweckt wird.

Die Kategorie der Beziehung ist für die Ökologie so wesentlich, dass sie diese nicht als etwas den Lebewesen Äußerliches betrachtet, vielmehr greifen die Beziehungen ins Innerste der Lebewesen ein und gestalten sie mit – nicht nur ihr Verhaltensprogramm, ihre Software, wenn man so will, sondern auch ihre Hardware, die Anatomie. Bestäubende, nektarsammelnde Insekten und Blütenpflanzen etwa unterliegen einer Koevolution, sie gestalten einander, sind Pole, die ohne einander nicht sein können. Die Blütenökologie versteht die Blüte – ihre Farbe, ihre Form, ihre Mechanik – aus der Beziehung zum bestäubenden Insekt heraus (bzw. zum bestäubenden Vogel oder zur Fledermaus). Die Biene ist aus Sicht der Ökologie blumenhaft, weil sie ihre Organe auf die Blume eingestellt hat.10 Und umgekehrt ist die Blüte bienenhaft, insofern alle ihre Organe auf ganz bestimmte Insekten abgestimmt sind, die sie bestäuben sollen. So kann die Biene als fliegende Verlängerung der Blüte betrachtet werden wie umgekehrt die Blüte als festsitzender, externer Teil des Bienenstocks. Das ist nicht das Resultat gelegentlicher Koexistenz, sondern einer Jahrmillionen währenden Koevolution, die dazu führte, dass das eine Wesen sein Sein im anderen hat, auch wenn es dem Anschein nach autark ist. Daraus ergibt sich unmittelbar, dass Änderungen, die man in diesem eng verflochtenen System vornimmt, Auswirkungen an ganz unerwarteten Stellen haben können. Das Ausrotten einer Art etwa betrifft möglicherweise eine recht große Anzahl weiterer Arten.

Ökologisches Denken ist aufklärendes Denken, weil die Ökologie tradierte Vorurteile revidiert, etwa jenes, das davon ausgeht, dass die gesamte Schöpfung dem Menschen zugeordnet ist, dem sie dienen soll, wie es die theologische Dogmatik der monotheistischen Religionen lehrt. Vielmehr versucht ökologisches Denken, die Standpunkte der einzelnen Organismen einzunehmen und ihr Dasein und ihr Sosein von dorther zu verstehen. Blumen etwa blühen nicht, um den Menschen zu erfreuen, und auch nicht, wie etwa Paracelsus glaubte, um durch die Form ihrer Blüte, ihrer Blätter oder Wurzeln anzuzeigen, welche Heilwirkung Gott ihnen für den Menschen zugedacht habe. Die Formen und Farben ihrer Blüten richten sich – wie Christian Sprengel, der Begründer der Blütenökologie Ende des 18. Jahrhunderts erstmals zeigte – an ihre Bestäuber, an Fledermäuse, Vögel und, in erster Linie, an Insekten. Die Ökologie denkt polyzentrisch, indem sie die Natur nicht von Gott her bzw. vom Menschen und seinen Wünschen und Bedürfnissen her interpretiert, sondern von den nichtmenschlichen Organismen ausgeht und ihr Miteinander untersucht. Ihre Einsichten gewinnt sie in der produktiven Abkehr vom Anthropozentrismus.

Die Beziehungen, die im Bild der Ökologie die einzelnen Lebewesen miteinander und mit dem Wasser, den Gestirnen, mit der Luft und dem Boden verbinden, sind den Lebewesen teilweise bewusst: so wissen Beutetiere, von welchen Jägern ihnen Gefahr droht. Viele Beziehungen aber liegen nicht auf der Hand, sie werden erst durch die Forschung aufgedeckt. Die Entdeckung der Fotosynthese ist hierfür das wichtigste Beispiel: bei dieser nehmen die Pflanzen das unter anderem von den Tieren ausgeatmete Kohlendioxid auf und wandeln dieses mithilfe des Sonnenlichtes und des Wassers in Sauerstoff und Kohlenhydrate (Zucker) um. Damit schaffen sie die Grundlage sowohl für die Ernährung wie auch für die Atmung der Tiere.

So verdienstvoll die ökologische Perspektive und ihre Forschung ist, lohnt es dennoch, auf eine gewisse Vereinseitigung der modernen Forschung hinzuweisen. Denn im Laufe der Entwicklung der Ökologie, verstärkt in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, wurden die Relationen zwischen den Lebewesen mehr und mehr äußerlich definiert. Man erforscht die quantitativen Beziehungen zwischen Jäger- und Beutepopulationen, betrachtet den Austausch von Stoffen und Energie, geht auf die Korrelation zwischen geografischen, geologischen und klimatischen Standortfaktoren und Pflanzen- bzw. Tiergesellschaften ein. Das alles ist wichtig und belehrt uns über Ausmaß und Charakter der epochalen globalen und lokalen Naturtransformation, die wir verursachen. Klarer und praxisrelevanter als alle anderen naturwissenschaftlichen Disziplinen sagt uns die Ökologie, wo wir stehen. Ökologische Forschungen dieser Art sind unerlässlich, um Strategien gegen die Naturzerstörung zu entwickeln und deren Wirksamkeit zu überprüfen.

Problematisch ist aber, dass hier die Natur als eine Sphäre bloßer Dinge betrachtet wird, die lediglich durch äußere Relationen verbunden sind, insbesondere durch Stoff- und Energieströme.11 Entsprechend wird Naturpolitik vor allem ökonomistisch, als Management wie in einem Unternehmen, aufgefasst. Gut ist dieses Management, wenn es ein Gleichgewicht herstellt – was auch immer damit gemeint sein soll12 – oder wenn Stoffkreisläufe geschlossen werden. Doch die Natur ist mehr als die Summe aller Stoffkreisläufe, es geht um mehr als das Management von Ressourcen einerseits und von Abfalldeponien, sogenannten Senken, andererseits.

Ökologisches Denken muss immer auch die subjektive, man könnte auch sagen, die innere Seite der Beziehungen, die es erforscht, in den Blick nehmen. Nur dann schöpft es die wissenschaftlichen und praxisbezogenen Potenziale, die es besitzt, vollständig aus. Es gibt eine Innenseite der Prozesse in der Natur, genauso wie es eine Innenseite der Prozesse in der menschlichen Gesellschaft gibt. Somit gibt es in der Natur auch Bewusstsein und damit Empfindungen wie Schmerz, Freude oder Angst, und das alles nicht nur in dem Moment, da ein menschlicher Spaziergänger den Wald betritt. Die Relationen, etwa zwischen Jäger und Beute, haben auch ein subjektives, emotionales und kognitives Moment, das allerdings methodisch anspruchsvoll, nämlich in einer Kombination von naturwissenschaftlicher und geisteswissenschaftlicher Methodik, von Experiment und Hermeneutik erschlossen werden muss. Einige Ideen hierfür formuliert dieser Essay. Die Angst der Tiere vor den Menschen steht dabei im Mittelpunkt. Sie ist die Innenseite des Anthropozäns.

Für eine Untersuchung dieser Angst scheint es mir produktiv, etablierte Diskursgrenzen zu überschreiten. Es lohnt, die Erkenntnisse des Philosophen Heidegger in Verbindung zu bringen mit den Erkenntnissen des Zoologen Hediger; die Fragen der modernen Philosophie mit den Ergebnissen moderner biologischer und insbesondere ökologischer Forschung zusammenzuführen.

Keineswegs will ich behaupten, dass die Ökologie das subjektive Moment in den Relationen der Lebewesen völlig vergessen hätte. Dieses ist so fundamental, dass es schlichtweg nicht ignoriert werden kann. Über mehrere Jahrhunderte gab es einen Teilbereich der Biologie, der sich Tierpsychologie oder Tiersoziologie nannte, und zudem kennt man eine noch wesentlich ältere, schon in der Antike geführte Diskussion über die Tierseele (und, weniger entwickelt, über die Pflanzenseele). Doch es lässt sich feststellen, dass das subjektive Moment in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts einen deutlichen Geltungsschwund hinnehmen musste, wie der folgende Lexikoneintrag aus den 1970er Jahren gut belegt: »Bis vor einigen Jahren rechnete man die Ethologie meist zur Ökologie. Inzwischen hat sich die Ethologie zu einer eigenen Wissenschaft entwickelt und die Bindung an die Ökologie mehr und mehr aufgegeben.«13