Der junge Bauernsohn Viljami hat sich in Lempi, die Tochter des Ladenbesitzers aus der kleinen Stadt Rovaniemi, verliebt. Hals über Kopf heiraten sie, und Lempi, der das Landleben fremd ist, zieht zu Viljami auf den Hof. Um sie zu entlasten und über die Trennung von ihrer Zwillingsschwester hinwegzutrösten, stellt ihr Mann die Magd Elli ein, die insgeheim glühend eifersüchtig ist und selbst gern an seiner Seite wäre. Nach einem einzigen glücklichen Sommer wird Viljami zum Kriegsdienst eingezogen. Als er zurückkehrt, ist die Stadt zerstört und Lempi verschwunden. Dass sie wie ihre Schwester Sisko mit einem Wehrmachtsoffizier nach Deutschland gegangen sein soll, kann er sich nicht vorstellen. Viljami, die Magd Elli und Sisko erinnern sich an Lempi – aus ihrer jeweils eigenen, sehr individuellen Perspektive. Vielschichtig, emotional, eindrucksvoll: die Geschichte einer tragischen Liebe vor dem Hintergrund des Lapplandkrieges.
Hanser E-Book
Minna Rytisalo
LEMPI das heißt Liebe
Roman
Aus dem Finnischen und mit einem Nachwort von Elina Kritzokat
Carl Hanser Verlag
Für Iku und Otso, seseneija, immer.
Für Marjatta, der ich es versprochen habe.
Prolog
In der Wegbiegung sieht man sie schon gut, da kommt sie, näher, schärfer umrissen, noch näher, bis hierher, trägt einen großen Koffer, bleibt stehen und stellt ihn ab, schwer ist er nicht, man sieht es am Wackeln. Sie streift sich übers Ohr, verlagert das Gewicht. Ihre Hüfte rutscht zur Seite, unter der Kleidung zeichnet sich die Unterhose ab, ihr Pony ist zu hübschen Seitenwellen frisiert, und sie fragt, ob das hier Pursuoja sei. In ihrem Gesicht erkennt man Aarres Züge, und sie kommt her, weil sie anders nicht kann, das muss man wissen und verstehen. Sie trägt Puder, Lippenstift und Lederstiefel, dazu das süße Lächeln der Verwöhnten, und während man sie so beobachtet, plumpst prompt die Kanne auf den Boden, die Milch fließt in breiten Strömen zwischen die Steine, und kurz darauf ist es, als hätte es nie Milch gegeben.
In den Schritten, die jetzt zur Treppe hasten, steckt Hoffnung, und in den Augen ein Glühen, das die mit der Milchkanne nie hat wecken können.
Die Frau tut einen Schritt, streift einen Handschuh von der Hand, einer glatten mit langen Fingern und schönen Nägeln, streckt sie aus, schaut beide an, erst die Frau mit der Kanne, dann den Mann, in seinem Gesicht zeigt sich ein nie gesehener Ausdruck, hinterm Eis seiner Augen neues Licht, in seiner Mimik spielen lange vergessene Muskeln; er ist es, auf dem ihr Blick ruht, als sie nachfragt, bin ich hier richtig?, und sogar ihre Stimme klingt gleich.
Der Mann auf der Treppe ist wie erstarrt, die ganze Welt bleibt stehen, die Vögel schweigen, die Tanne in der Hofmitte horcht, nichts wächst, keine Welle schlägt ans Ufer in diesem Moment, da die Welt darauf wartet, in eine neue Position zu rücken, und dies ist das Ende aller Dinge, und es ist der Anfang aller Dinge.
Rovaniemi, 14. Sept. 1944
Lieber Viljami.
Ich schreibe Ihnen, damit Sie es nicht von anderen hören. Wir haben Befehl zu gehen, also gehen wir. Ihre Frau ist nicht dabei. (Wurde beim Einsteigen ins Auto eines Deutschen gesehen.) Glückwunsch zu Ihrem Sohn, es geht ihm gut. Er bekommt Milch. Auch Antero geht es gut. Die Kühe sind schon weg. Ich schreibe von unterwegs mehr.
Mit frdl. Gruß, Elli
Haaparanta, 30. Sept. 1944
Lieber Viljami.
Ich habe mich erkundigt. Niemand weiß etwas über Ihre Frau. Am besten ist es, sie zu vergessen. Versuchen Sie darüber hinwegzukommen. Den Jungen geht es gut. Den Kleinen nenne ich Aarre.
Mit frdl. Gruß, Elli
Auf schwedischer Seite, 15. Okt. 1944
Lieber Viljami.
Mein Beileid. Sie ist gestorben, sagen die Leute. Schlimm, dass es so ausgegangen ist. Den Jungen geht es gut. Ich sorge gut für sie.
Mit frdl. Gruß, Elli
VILJAMI