...


 

Deutsche Erstausgabe (ePub) Mai 2018

 

Für die Originalausgabe:

© 2013 by Alex Kidwell

Titel der amerikanischen Originalausgabe:

»After the End«

 

Originalverlag:

Published by Arrangement with Dreamspinner Press LLC, 5032 Capital Circle SW, Ste 2, PMB# 279, Tallahassee, FL 32305-7886 USA

 

Für die deutschsprachige Ausgabe:

© 2018 by Cursed Verlag

Inh. Julia Schwenk

Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das der Übersetzung,

des öffentlichen Vortrags, sowie der Übertragung

durch Rundfunk und Fernsehen, auch einzelner Teile,

Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit

Genehmigung des Verlages.

 

 

Bildrechte Umschlagillustration

vermittelt durch Shutterstock LLC; iStock

Satz & Layout: Cursed Verlag

Covergestaltung: Hannelore Nistor

 

ISBN-13: 978-3-95823-690-5

 

Besuchen Sie uns im Internet:

www.cursed-verlag.de


 

...

 

Aus dem Englischen von Anne Sommerfeld


 

Liebe Leserin, lieber Leser,

 

vielen Dank, dass Sie dieses eBook gekauft haben! Damit unterstützen Sie vor allem die Autorin des Buches und zeigen Ihre Wertschätzung gegenüber ihrer Arbeit. Außerdem schaffen Sie dadurch die Grundlage für viele weitere Romane der Autorin und aus unserem Verlag, mit denen wir Sie auch in Zukunft erfreuen möchten.

 

Vielen Dank!

Ihr Cursed-Team

 

 

 

 

Klappentext:

 

Als Quinn O’Malley seinen Lebensgefährten Aaron an den Krebs verliert, zieht er sich vollkommen von der Welt zurück. Das Schicksal raubt ihm nicht nur seine große Liebe, sondern auch jede Inspiration für seinen Job als Comiczeichner. Unfähig, Aaron gehen zu lassen, vergräbt Quinn sich in seiner Trauer, bis ein Blind Date mit dem lebenslustigen Eventmanager Brady ihn unvermutet wieder in die Realität holt – eine Realität ohne Aaron, aber mit starken Gefühlen, die er für Brady entwickelt. Doch kann Quinn akzeptieren, dass das Schicksal ihm nicht nur alles entreißen, sondern auch eine neue Zukunft schenken kann?


 

 

 

 

Für meine über alles geliebte Robin.

Woraus auch immer unsere Seelen gemacht sind,

ich weiß ganz sicher, dass unsere gleich sind.

 

 


 

 

Kapitel 1

 

 

Es war nicht so, dass ich nicht hier sein wollte. Die Bar gehörte nicht zu der grauenvollen Sorte, der Sorte mit dem dröhnenden Bass und den Kellnerinnen in ihren zu knappen Outfits, die Brüste und Ärsche vor der verzweifelten Single-Schar zur Schau stellten, nachdem diese durch die unglaublich schicken Buntglastüren gekommen waren. Nein, das hier glich eher einer ruhigen Art zu sterben. Die kunstvoll schmucklose Ausstattung, die abstrakten Gemälde, die überhaupt nichts darstellten, das gedämpfte Licht, das polierte Holz der Bar; es passte alles irgendwie zusammen, obwohl es das nicht tat. Als hätte jemand irgendwann einmal ein Bild davon gesehen, wie er es unbedingt haben wollte, in einem Traum, während er zugedröhnt war, und dann versucht, alles, als er wieder nüchtern war, genau so nachzubilden.

Letztendlich war es jedoch nicht die schlimmste Art, seinen Abend zu verbringen. Tracy würde mir auch niemals vergeben, wenn ich die Sache nicht durchziehen würde. Offensichtlich war ich dabei Einsamkeit auszustrahlen, was auch immer das bedeuten sollte. Deshalb hatte es sich meine glückliche, frisch verheiratete beste Freundin zur Aufgabe gemacht, einen Mann für mich zu finden. Was hatte es nur mit dem Sesshaft werden auf sich, dass sich alle in aufdringliche Kuppler verwandelten? Ich fühlte mich ein wenig wie ein Komparse bei Anatevka.

Du wirst ihn lieben, Quinn, das verspreche ich dir. Er ist genau das, was du brauchst.

Und was ist das?

Du weißt schon, atmen. Laufen. Sprechen. Komm schon, vertrau mir. Das wird lustig.

Ich wette, dass General Custer seinen Männern genau das gleiche versprochen hat. Kommt schon, Männer, nur noch ein Gefecht. Das wird lustig.

Aber trotzdem war ich hier, geduscht, angezogen und rasiert, genau wie versprochen. Ich saß an der Bar und starrte auf das grell-pinke Gebräu, das mir der Barkeeper unter die Nase geschoben hatte. Für die Nerven, hatte er mit einem süßen, flirtenden Augenzwinkern gesagt, von dem ich wusste, dass es mit Sicherheit so einige ungeheuerliche Trinkgelder aus Männern und Frauen gleichermaßen gezaubert hatte. Es hatte jedenfalls bei mir funktioniert.

»Das sieht absolut grässlich aus.« Die amüsierten Worte kamen von hinter mir und ich drehte mich mit hochgezogenen Brauen um. »Bitte sag mir nicht, dass das dein übliches Getränk ist. Selbst ich bin der Meinung, dass das vielleicht ein bisschen zu flammend für ein tägliches Getränk ist.«

Der Mann war größer als ich, seine Haare ein gewolltes Durcheinander aus blonden Locken und Gel, seine braunen Augen funkelten, als er seine perfekten Lippen zu einem sogar noch perfekteren Lächeln verzog. Er hatte dieses elegante, wissende Zwinkern bei allem, was er tat, an sich: wie er sich bewegte, wie er mir die Hand entgegenstreckte.

»Quinn O'Malley, nehme ich an?«, fragte er erneut grinsend.

Ich nickte und schüttelte ihm die Hand, wobei ich von der Kraft und Entschlossenheit überrascht war. »Dann musst du Brady Banner sein.«

Brady rümpfte die Nase und ließ sich geschmeidig auf den Barhocker neben mir fallen. »Mach keine Witze über den Namen«, seufzte er und hob einen seiner langen Finger, um in einer spielerischen Warnung vor meinem Gesicht herumzuwedeln. »Meine Mutter hat es gern, wenn die Dinge zusammenpassen. Ich habe drei Schwestern: Brittany, Belinda und Beatrice.«

Das klang eher nach Namen, die man auf einen falschen Ausweis packte… oder als Künstlername für einen Stripper benutzte. Ich lächelte jedoch höflich, zuckte mit den Schultern und fragte: »Darf ich dir einen Drink ausgeben?«

»Nicht, wenn du mir einen davon bestellst«, sagte er mit einem vorgetäuschten Schaudern, als er den Plastikspieß mit der in Rum getränkten Frucht anstieß, der stolz aus dem Glas aufragte. »Darf ich fragen, was in dich gefahren ist, ein Glücksbärchi im Glas zu bestellen?«

Ich fühlte mich unbehaglich und ein wenig defensiv, also zuckte ich mit den Schultern. »Der Barkeeper hat ihn empfohlen. Ich, ähm, ich gehe nicht oft aus. Normalerweise trinke ich nur zu Hause ein Bier, wenn ich überhaupt etwas trinke.«

»Das hört sich doch hervorragend an.« Er lächelte mich an und winkte nach dem Barkeeper. Mit zwei Flaschen Bier in der Hand, den pinken Drink hatten wir zurückgelassen, führte Brady mich an unseren Tisch. Es war eine kleine, ruhige Sitzecke im hinteren Teil der Bar – zurückgezogen und weniger öffentlich. Kerzen flackerten auf jedem Tisch in dem gedämpften Licht und plötzlich wurde mir klar, dass das hier ein Date war. Nicht, dass ich das nicht vorher gewusst hätte. Natürlich hatte ich das; ich war immerhin derjenige, der das Date hatte. Es war einfach nur viel realer mit dem sanften Schein, den gemütlichen Sitzen und Brady.

Ich musste ihm jedoch zu Gute halten, dass er mein Unbehagen zu spüren schien. Ohne lange zu zögern, beugte er sich über den Tisch und blies unsere Kerze aus. Nachdem er mir mein Bier gereicht hatte, lehnte er sich zurück und lächelte, bevor er mir die Karte zuschob. »Also, wie lange kennst du Tracy schon?«

Ich machte es mir bequem und versuchte, nicht so dumm auszusehen, wie ich mich fühlte. Natürlich war ich auf einem Date. Alle waren der Meinung, dass es höchste Zeit wurde, genau das wieder zu tun. Immerhin hatte ich zugestimmt. Ziemlich albern, mir darüber Gedanken zu machen, dass eine Kerze auf dem Tisch stand. Aber ich wusste es dennoch zu schätzen, dass Brady sie ausgeblasen hatte.

»Wir sind zusammen aufgewachsen. Tracy war irgendwie meine große Schwester. Sie sagt, dass ich hoffnungslos verloren ohne jemanden war, der auf mich aufpasst.« Ich lächelte leicht und zuckte mit den Schultern. Über eine gemeinsame Freundin zu reden entspannte mich ein wenig und ich stellte fest, dass das wahrscheinlich auch Bradys Ziel gewesen war. »Natürlich hatte sie damit recht.«

»Tracy hat immer recht«, sagte Brady düster mit einem Funkeln in den Augen. »Das ist die Regel, die man im Umgang mit ihr kennen muss. Sie hat immer recht und sie weist mit Freude darauf hin, sobald man es vergisst.«

Unwillkürlich musste ich lachen und war von dem plötzlichen Geräusch überrascht. Es war schon eine Weile her, seit mich jemand zum Lachen gebracht hatte. »Also, woher kennst du sie?«, fragte ich neugierig. Ich hatte mir nie die Mühe gemacht, es herauszufinden. »Tracy erzählt schon seit ein paar Wochen von dir, aber ich kann nicht behaupten, dass ich sie gefragt habe, woher ihr euch kennt.«

»Nur ein paar Wochen?« Brady lächelte und legte sich in gespieltem Schmerz eine Hand über die Brust. »Ich bin am Boden zerstört. Sie erzählt mir nämlich seit Monaten von dir. Offenbar bist du der letzte gute Mann im ganzen Land und ich werde traurig und allein sterben, wenn ich nicht zustimme, zumindest mit dir Essen zu gehen. Was, wie du sehen kannst« – er deutete auf die Speisekarten – »etwas ist, das ich nur zu gern mache.«

Angesichts meiner weit aufgerissenen Augen hielt er inne, legte sich einen Finger an die Lippen und zuckte zusammen. »Und du hattest keine Ahnung, dass sie dich anpreist, richtig? Oh Gott, das tut mir so leid. Wirklich, sie ist einfach nur süß und weiß, dass es mir vor der Club-Szene graut. Ich verspreche, das ist kein Fleischmarkt, oder sowas.«

»Ich werde sie wahrscheinlich töten«, sagte ich im Plauderton, während ich mir wünschte, der Boden würde sich auftun und mich verschlingen. »Wirklich. Ich hab sie gebeten, nicht…« Seufzend rieb ich mir mit einer Hand übers Gesicht. »Tut mir leid. Ich verspreche dir, dass die Hälfte dessen, was sie dir über mich erzählt hat, pure Übertreibung ist und die andere Hälfte sind wahrscheinlich Dinge, die ich nie hatte öffentlich machen wollen.«

»Sie hat mir nur erzählt, dass es sich lohnt, dich kennenzulernen.« Ich spürte das Gewicht seiner Hand auf meiner eigenen und hob den Blick, um direkt in seine braunen Augen zu sehen – warm und süß blickten sie mir entgegen. Brady lächelte nun weicher und ließ damit das Aufblitzen seiner Zähne, die Heiterkeit und den Charme von vorhin vermissen. Es war einfach ein Lächeln, eines, das die kleinen Fältchen um seine Augen hervorhob und das Gefühl in mir abschwächte, mich vor einen Bus werfen zu wollen.

»Na ja, das stimmt.« Es gelang mir, so etwas wie ein Grinsen auf mein Gesicht zu zaubern, und ich wurde mit Bradys Lachen belohnt, das eine Gänsehaut über meinen Körper jagte.

»Und ich kenne Tracy durch die Arbeit.« Brady fummelte an der Speisekarte herum und blätterte darin. Es war das erste Anzeichen von Nervosität, das ich an diesem Abend an ihm bemerkte und das allein weckte mein Interesse.

»Du bist Anwalt?«

Brady lachte erneut, doch dieses Mal war es nicht ganz so warm, obwohl es auch nicht bitter klang. Einfach nur ehrliche Belustigung. »Tracy hat dir wirklich nicht viel erzählt, oder?«, fragte er grinsend.

»Nur, dass ich allein sterben und von meiner Katze gefressen werde, wenn ich nicht die Chance ergreife, dich zu treffen.« Dieses Mal war ich es, der ihm ein Lächeln schenkte, weniger zögernd und schüchtern als zuvor.

»Und, bereust du diesen verwegenen Vertrauensvorschuss?« Bradys Hand lag noch immer auf meiner, wie ich plötzlich bemerkte. Mir schlug das Herz bis zum Hals, als ich meine Handfläche nach oben drehte und seine kühlen Finger zwischen meine gleiten ließ.

»Bis jetzt nicht«, gestand ich und er lachte, laut und ansteckend.

»Na, das nenn ich eine mitreißende Bestätigung«, neckte er mich. Wir richteten unsere Aufmerksamkeit wieder auf die Speisekarten, obwohl es mir schwerfiel, mich auf etwas anderes zu konzentrieren, als das Gefühl seiner Finger zwischen meinen. Es war lange her, seit ich das getan hatte. Ich fühlte mich deshalb beinahe schuldig, bis ich an das leere Bett und den einsamen Stuhl am Küchentisch daheim dachte. Das hier sollte ich tun. Es gab überhaupt keinen Grund, sich schuldig zu fühlen.

Als die Kellnerin eintraf, öffnete Brady den Mund, um zu bestellen, zögerte jedoch kurz und wandte sich an mich. »Bitte sag mir, dass du nicht der Typ Mann bist, der mich dafür verurteilt, dass ich beim ersten Date Mozzarella Sticks bestelle.«

»Nur wenn du dich weigerst, zu teilen«, erwiderte ich und zog die Mundwinkel nach oben.

Brady strahlte mich an und drückte meine Hand, sodass kleine Wärmewellen durch meine Brust schossen. Er bestellte sich den gebackenen Käse und einen Salat. Ein seltsamer Gegensatz, der mich abwechselnd amüsierte und faszinierte. Nachdem ich ein Schinkensandwich bestellt und wir unsere Speisekarten der Kellnerin übergeben hatten, zuckte er mit den Schultern. »Im Leben geht es um die Balance«, setzte er mich mit einem Zwinkern in Kenntnis. »Genuss macht erst richtig Spaß, wenn er durch Zurückhaltung gemäßigt wird.«

»Wie fortschrittlich von dir«, erwiderte ich trocken. Er lachte und unsere Finger verschränkten sich ineinander; es war alles so normal. So ganz anders als das, womit ich zu leben gelernt hatte.

Als das Essen kam, zog Brady seine Hand zurück. Ich versuchte, sie nicht zu vermissen. Er sagte nichts, als ich vorsichtig die Tomate aus meinem Sandwich zog, doch ich konnte seinen Blick auf mir spüren, als ich Schinken und Salat akribisch wieder auf dem Brot anordnete, nachdem ich die mittlere Schicht des Sandwichs entfernt hatte.

»Ich will denen in der Küche keine Umstände machen«, erklärte ich mit einem kurzen Schulterzucken, da ich mich wieder defensiv und fehl am Platz fühlte. Das war der Teil, den ich vergessen hatte, der Teil, der immer am schwierigsten war: einen unbekannten Menschen einschätzen lernen, seine kleinen Macken und Kuriositäten, herauszufinden, ob man dazu passte.

»Das ist… irgendwie großartig«, sagte Brady leise und ich hob den Blick. Ich war verwirrt, als mir erneut mit seinem sanften Lächeln entgegenstrahlte. »Ich meine, die meisten Leute würden nicht so darüber denken.«

Seine Akzeptanz sorgte dafür, dass ich mich noch seltsamer fühlte, aber die Anspannung in mir löste sich langsam, als ich vorsichtig ein Stück von meinem Sandwich abschnitt. »Sie haben genug zu tun, da müssen sie nicht noch einen Wirbel um meine Tomaten machen«, sagte ich und nahm einen Bissen. Er grinste mich wieder an und sah auf das Besteck in meinen Händen, sagte jedoch nichts. Er träufelte einfach behutsam Dressing auf sein Gemüse und aß ebenfalls einen Happen.

Wir teilten uns die Mozzarella Sticks und unsere Hände stießen aneinander, als wir gleichzeitig danach griffen. Es passierte mehr als einmal und ich vermutete, dass Brady es absichtlich tat. Eine Theorie, die von dem breiten Grinsen unterstützt wurde, das ich auf seinem Gesicht sah, als unsere Hände das fünfte Mal aneinanderstießen. Dieses Mal ließ er sie jedoch nicht los. Er zog mich einfach ein Stück näher und beugte sich über den Tisch, um mich zu küssen. Leicht. Sanft. Es war kaum mehr als das Übereinanderstreichen unserer Lippen, eine vage Begrüßung. Meine Wangen brannten und ich starrte ihn benommen an, während ich mit den Fingerspitzen meine Lippen berührte.

Hitze breitete sich in meinem Bauch aus und der Ruck, der durch mich fuhr, fühlte sich an, als wäre ich über den Rand einer Klippe getreten.

»Wollen wir von hier verschwinden?«, fragte Brady und ich konnte nur dümmlich nicken, weil ich noch immer überwältigt war. Er bezahlte die Rechnung und ignorierte es, als ich nach meiner Brieftasche griff. Normalerweise hätte ich darauf bestanden, aber es gelang mir kaum, ein einziges Wort zu formulieren, geschweige denn zusammenhängende Sätze.

Meistens war ich zu Fuß unterwegs. Auto fahren machte mich nervös und die öffentlichen Verkehrsmittel waren für kurze Wege zu überfüllt. Wir verließen die Bar und mein Gehirn nahm endlich wieder seine Arbeit auf, nur um herauszufinden, dass es in Strömen regnete. Und ich musste sechs Blocks bis zu meiner Wohnung laufen.

Fantastisch.

»Es tut mir leid«, sagte ich und es gelang mir, mein Handy aus der Hosentasche zu ziehen, ohne mich oder andere dabei zu verletzen. »Ich hab nicht gemerkt, dass es schon so spät ist. Ich sollte nach Hause.«

Es war eine Ausrede und eine schlechte noch dazu, aber Brady nahm sie mit Anstand an. »Lass mich dich wenigstens noch zu deinem Auto bringen«, bat er und legte seine Hand auf meinen unteren Rücken. Ich konnte sie mit jeder Faser meines Körpers spüren, diese sanfte, zaghaft beschützende Berührung seiner Finger. Seltsam, wie eine so kleine Sache so überwältigend werden konnte.

»Ich hab kein Auto«, erklärte ich und hielt das Handy hoch. »Ich wollte mir den Busfahrplan ansehen. Ich glaube, es gibt um die Ecke eine Haltestelle.«

Er sah ohne jeden Zweifel aufgebracht aus. »Alles klar, während du das machst, fahre ich vor. Und dann wirst du einsteigen und dich von mir nach Hause fahren lassen.«

Stotternd brachte ich meine Einwände zum Ausdruck, doch er hob nur eine Hand und zog eine Augenbraue nach oben. »Du bist viel zu süß, um an einer Lungenentzündung zu sterben«, stellte Brady klar und grinste angesichts der Röte, die mir augenblicklich in die Wangen schoss. »Und ich bin weder ein Axtmörder, noch ein Stalker. Lass mich dich nach Hause fahren.«

Ich warf einen Blick auf den Regen, der wie ein Vorhang vom Himmel fiel, seufzte und gab nach. »Na schön. Aber ich…«

»Nichts wird passieren«, versicherte Brady mir. Er drückte sanft meine Schulter, ehe seine Finger nach oben wanderten und zart über meine Wange strichen. Mein Adamsapfel hüpfte unter dieser liebevollen Geste, aber Brady zog sich nicht zurück. »Du willst es langsam angehen. Ich verstehe das. Lauf nicht weg, nur weil ich es versaut habe.«

»Du hast nicht…«, fing ich an, doch er schnitt mir das Wort ab.

»Süßer, du bist eine Sekunde, nachdem ich dich geküsst habe, in Richtung Tür gestürzt«, sagte er mit einem leicht reumütigen Lächeln. »Ich habe dich missverstanden und das tut mir leid. Aber ich mag dich wirklich, Quinn. Du bist traurig, aber auch süß und ich glaube, dass du jemanden wie mich brauchst. Also werde ich dich nach Hause fahren.«

Mit diesen Worten verschwand er und rannte durch den Regen zu seinem Auto. Ein paar Augenblicke später fuhr er wie versprochen vor die Bar und öffnete von innen die Beifahrertür, damit ich reinspringen und mit klatschnassen Klamotten und tropfenden Haaren auf dem Sitz zusammenbrechen konnte.

»Du bist sogar süß, wenn du patschnass bist«, neckte Brady mich, als er den Motor startete und den Wagen auf die Straße lenkte. Die Heizung im Auto drehte er voll auf. »Ich schwöre, niemand sollte solche Augen wie du haben. Das ist unfair uns Sterblichen gegenüber.«

Mit besagten Augen blinzelte ich ihn verwirrt an. »Ich…« Traurigerweise war ich in dieser Angelegenheit noch nie gut gewesen.

»Sie sind einfach so blau«, erklärte Brady grinsend. »Zusammen mit deinen braunen Haaren und deiner kleinen Stupsnase bist du einfach lecker, Süßer.«

Mit einem leichten Stirnrunzeln rutschte ich auf dem Sitz herum, strich mir mit der Hand durch die Haare und verzog angesichts der wirren Knoten das Gesicht. »Sagst du solche Dinge wirklich einfach zu den Leuten?«, fragte ich ein wenig verwirrt. »Ich meine, ist das deine Art? Du sagst Sachen, die keiner sonst ausspricht?«

»Ist es dir unangenehm, Komplimente zu bekommen?«, erwiderte Brady, während er meiner Wegbeschreibung folgte und an der Ampel abbog. »Du bist wirklich hinreißend. Das ist eine Tatsache.«

Mit einem Schulterzucken deutete ich auf die Straße vor uns. »Du kannst da parken. Hier wohne ich.«

Es schien Brady nicht zu stören, dass ich nicht antwortete. Er hüpfte aus dem Auto, als würde ihm der Regen nichts ausmachen, und öffnete meine Tür, bevor ich überhaupt herausgefunden hatte, wo der Griff war. Anschließend musste ich mich der peinlichen Situation stellen, ihn neben mir zu haben, als ich nach drinnen ging. Ich konnte ihn schlecht im Regen stehenlassen und er war viel zu durchnässt, um ihn so nach Hause zu schicken. Seufzend deutete ich mit dem Kopf auf die Tür, die ich gerade aufschloss. »Komm schon rein. Ich mach dir einen Kaffee und du kannst dich abtrocknen, bevor du gehst.«

Eines musste ich Brady lassen, er versuchte wirklich, ganz unschuldig auszusehen, als wäre das nicht von Anfang an sein Plan gewesen. Fröhlich tropfte er auf meinen Teppich, während ich durch die Gegend eilte, um uns Handtücher zu besorgten. Mit einem schmatzenden Geräusch schälte er sich aus seinem Pullover, um ihn über der Spüle auszuwringen. Dann trug er nur noch seine Jeans, die so tief und nass auf seinen Hüften hing, dass sie nur wenig der Fantasie überließ und ein weißes T-Shirt, das sich an seinen schlanken Körper schmiegte und mir einen guten Ausblick auf das gab, was darunter lag.

Mit flammend roten Wangen drehte ich mich um und kämpfte mit meiner eigenen Kleidung. Das Hemd war zerknittert und klatschnass. Plötzlich waren Bradys Hände da und halfen, die blöden Knöpfe zu öffnen und das Hemd über meine Schultern zu streifen. Ich hob den Blick mit großen Augen, als er mich anlächelte und wir uns weiter aufeinander zu bewegten. Er berührte mich nicht; wir standen einfach da, zitternd, unsere Körper bereit zu fallen. Er teilte seine Hitze mit mir, machte sie zu meiner eigenen und unser Atem vermischte sich in immer heftigerem Keuchen. Er sagte nichts, neckte mich nicht angesichts meiner Röte oder des unsicheren Gestammels, das ich von mir gab. Wir sahen einander einfach nur an, während der Regen einen schweren Rhythmus schlug, der beinahe dem Klopfen meines Herzens entsprach.

Als er sich zurückzog und die Verbindung trennte, stieß ich langsam und zitternd die Luft aus. Brady ließ sich elegant auf meine Couch fallen und sah mit seinen nackten Füßen und Armen irgendwie so aus, als wäre er hier zu Hause. Er lachte, als ich ihn noch einmal aufscheuchte, um ein Handtuch unter ihn zu legen, aber er ertrug meinen Wirbel gutmütig und half mir sogar, ein zweites Handtuch auszubreiten, damit ich mich auch setzen konnte.

»Mir gefällt deine Wohnung«, bemerkte er und nahm einen blauen Porzellanwal in die Hand, den ich während eines sonnendurchfluteten Urlaubs auf den Florida Keys gekauft hatte. »Es ist so… du.«

Ich hob eine Braue. »Und was soll das bedeuten?«

Lachend zuckte Brady mit den Schultern und wirkte immer noch entspannt und gefasst, obwohl er nur halb bekleidet und triefend nass war. »Es ist überraschend. Du hast eine in Leder gebundene Ausgabe von Die Abenteuer des Sherlock Holmes neben einem kitschigen Souvenir-Wal liegen.«

Ich runzelte leicht die Stirn, rutschte auf der Couch herum und sah mich mit einem leicht verratenen Blick in meinem Wohnzimmer um. »Und wieso ist das wie ich?«

Er beugte sich hinüber, legte seine raue Hand an meine Wange und ließ sie schließlich nach hinten gleiten, um eine Haarsträhne hinter mein Ohr zu streichen. »Weil du, Quinn O'Malley, überraschend bist. Unerwartet. Ein seltsamer Kontrast von Dingen, die ich nur zu gern verstehen möchte.«

»Ich bin kein Kontrast«, widersprach ich und fühlte die Hitze in meinen Wangen, während er meine Haut berührte.

»Du hast mir diesen Küss-mich-jetzt-Blick zugeworfen, seit ich dich im Restaurant zum Lachen gebracht habe«, murmelte er und rutschte näher an mich heran. Plötzlich hatte ich keine Lust mehr, dagegen zu protestieren, dass er nun meine Couch volltropfte. »Aber du wirst rot, wenn ich dich berühre und je näher ich komme, desto nervöser wirst du.« Er hielt inne und sah mich mit großen Augen an. »Du bist keine Jungfrau, oder?« Er schien mein verblüfftes Schweigen als Ja zu interpretieren und fügte hastig hinzu: »Es ist in Ordnung, wenn du es bist! Ich… ich habe nur einfach nicht erwartet…«

»Scheiße, nein«, unterbrach ich ihn und musste über die Absurdität dieser Frage lachen. »Nein, definitiv nicht.«

Ein Grinsen schlich sich auf sein Gesicht. »Gut. Denn ich war nicht mehr mit einer Jungfrau zusammen, seit ich eine gewesen bin und ich wäre mir nicht sicher gewesen, wie ich diesen nächsten Teil hätte angehen sollen.«

»Welchen nächsten Teil?«

Ich hätte wirklich nicht fragen sollen. Ich hatte es schon kommen sehen, als er mir dabei geholfen hatte, mein Shirt auszuziehen. Brady beugte sich vor, schnappte nach meinen Lippen und neckte sie mit seinen. Ich seufzte in den Kuss, ein Ausatmen, das durch meinen gesamten Körper strömte. Ich hob die Hände und krallte meine Finger in den nassen Stoff seines Shirts. Er interpretierte dies als das Ja, das es definitiv war und zog mich näher an sich. Seine feuchte Zunge an meinen Lippen ließ mich erschaudern.

»Warte«, flüsterte ich und ich war dankbar, dass er sofort aufhörte. Er lehnte seine Stirn an meine, strich beruhigend über meinen Rücken und mit einem Daumen über meine Wange.

»Ja?«, fragte er und grinste vorsichtig, während er unsere Nasen aneinanderrieb. »Hey.«

»Hey«, murmelte ich mit wild schlagendem Herzen zurück und das Lächeln drohte, auch auf mich überzugehen. »Es ist nur… Es tut mir leid, es ist eine Weile her.«

»Ist in Ordnung.« Brady drückte einen letzten Kuss auf meinen Nasenrücken, ehe er sich zurücklehnte. Dabei strichen seine Hände immer noch über meinen Rücken. »Das war schon ziemlich unglaublich, einfach so.«

Das war es. Es zuzugeben sorgte dafür, dass ich mich gleichzeitig beschwingt und schuldig fühlte. Aber die Schuld – ich wusste es, ich dachte es, ich sagte es mir selbst immer wieder – war albern, also versuchte ich, mich stattdessen auf das schwindelerregende Hochgefühl zu konzentrieren. »Das war es«, stimmte ich leise zu, und als sich unsere Hände wieder fanden, als sich unsere Finger so leicht ineinander verschränkten, versank ich in dem Gefühl. Ein paar Minuten blieben wir so sitzen, Bradys Arm um mich geschlungen, unsere Hände fest verschränkt, dem Regen lauschend.

Ein neugieriges Poltern, ein zwitscherndes Hallo mischte sich unter die Stille, ehe zehn Kilo Flausch und verstimmte Frechheit ins Zimmer stolzierten. Winston, meine verrückte, alte Katze mit dem Knautschgesicht, hatte entschieden, mal nachzusehen, was mich davon abhielt, mich in seinen Bettwärmer zu verwandeln.

Bevor ich die Chance hatte, Brady zu warnen, stürzte sich Winston schnurstracks auf seine Füße und drückte sein Gesicht glücklich dazwischen, ehe er sich um Bradys Beine wickelte. Dann brach Winston mit einem letzten glücklichen Ausatmen zusammen und bildete einen gigantisch großen Berg aus zufriedener Katze.

»Er mag Füße«, erklärte ich schwach. Brady lachte zu herzhaft, um sich davon gestört zu fühlen und beugte sich vor, um Winston zu streicheln. Er sprach mit ihm wie mit einem Baby, während sich Winston auf den Rücken rollte und seinen Bauch für weitere Streicheleinheiten zur Verfügung stellte. Der Junge hatte kein Schamgefühl.

»Wer ist ein riesiger, flauschiger Kloß?«, summte Brady, während Winstons kurze, dicke Beine selig in die Luft traten. Sein eingedrücktes Gesicht erweckte den Eindruck, als würde ihn die Welt um ihn herum ständig verärgern, aber es gab nichts, was diese Katze mehr liebte, als Aufmerksamkeit. Das, oder Thunfisch.

»Das ist Winston Churchill«, erklärte ich. Angesichts Bradys belustigter Miene zuckte ich mit den Schultern und beugte mich ebenfalls vor, um Winston hinter den Ohren zu kraulen. »Mein Partner – mein Ex-Partner –, also, er war Professor für Politikgeschichte. Er hat Winston gefunden, weil ihn jemand zusammen mit dem Rest des Wurfs hinter der Universität abgelegt hatte. Winston hat als einziger überlebt, also hat Aaron, ähm, er hat gesagt, dass die Katze einen kämpferischen Namen verdient.«

Brady nahm die Informationen auf, während er das dichte Fell an Winstons Seite streichelte. Ich sollte diese arme Katze wirklich wieder zur Fellpflege bringen. Es war nur etwas, was Aaron und ich immer gemeinsam getan hatten. Das letzte Mal war ich tränenüberströmt auf dem Parkplatz zusammengebrochen. Ich musste mich wirklich nicht noch einmal so in Verlegenheit bringen.

»Also, Politikgeschichte, ja?« Brady schenkte mir ein kurzes Lächeln. »Du hast eine Schwäche für schlaue Jungs?«

Ich lachte schnaubend und zuckte mit den Schultern. »Aaron war… ja, Aaron war irgendwie unbeschreiblich. Aber klar, ich mag schlaue Jungs. Wieso, bist du nicht klug?« Ich versuchte, ihn zu necken und den schrecklichen Schmerz in meiner Kehle zu ignorieren, der durch die Unterhaltung über Aaron entstanden war.

»Na ja, ich bin kein Professor«, erwiderte Brady und beobachtete meine Reaktion aufmerksam. »Ich bin Eventplaner. So hab ich Tracy kennengelernt. Ich habe eine Wohltätigkeitsveranstaltung für ihre Firma ausgerichtet.«

»Oh.« Ich glaubte, meinen Gesichtsausdruck einigermaßen neutral gehalten zu haben, aber Brady grinste mich an und stieß mit dem Ellbogen gegen mein Bein.

»Du hast mich sowas von abgeschrieben!«, sagte er lachend und wirkte dabei nicht gerade beleidigt, sondern eher belustigt. »Mein Gott, sobald du das Wort Eventplaner gehört hast, hast du mich sowas von abgeschrieben.«

»Nein, hab ich nicht«, widersprach ich, doch Brady grinste nur schelmisch und wischte meine Bemerkung weg.

»Doch, hast du. Du denkst, dass ich nur durch die Gegend schwebe und Partys für die Überreichen plane.«

Nach einem kurzen Moment des Zögerns traute ich mich zu fragen: »Ist das nicht, was du tust?«

Brady grinste. »Ich würde es eher als tänzeln und nicht als schweben bezeichnen.«

Er neckte mich. Das verstand ich einen Augenblick später und seufzte, ehe ich unter seinem Lachen die Augen verdrehte. Ich wandte mich ihm allerdings wieder zu, als seine Hand nach meiner griff.

»Du wirst deine Vorstellung von Eventplanern neu definieren müssen«, sagte er selbstbewusst und irgendwie erstaunlich sexy, während er meinen Blick gefangenhielt. »Denn du, Quinn O'Malley, bist hin und weg.«

»Wie bitte?«, fragte ich stammelnd, doch Brady lachte nur und beugte sich vor, um meine Widersprüche wegzuküssen.

»Du bist hin und weg von mir«, erwiderte er mit einem Grinsen. »Morgen wirst du nicht aufhören können, an mich zu denken. Und du wirst noch einmal über diese Eventplaner sind unter meiner Würde-Sache nachdenken. Immerhin ist der Professor aus einem bestimmten Grund dein Ex.«

Ich hielt inne. Ich hielt zu lange inne; die Pause verwandelte das Necken in entsetzliche Stille. Die Luft brannte förmlich unter meinem Schweigen, unter diesem grauenvollen Nichts. Das Lächeln verschwand aus Bradys Gesicht, als meine Hände zitternd aus seinem Griff rutschten. »Quinn?«, fragte er, doch ich schüttelte nur den Kopf und schluckte schwer.

Lächeln. Ich musste lächeln, wenn ich es sagte. Ich musste dafür sorgen, dass es leicht klang. Ungezwungen. Niemand wollte etwas davon hören: Es war so unangenehm, zu schrecklich, zu real. Tracy hatte mir gesagt, dass ich nicht jede Unterhaltung damit dominieren sollte, dass ich lernen musste, loszulassen. Aaron hätte gewollt, dass ich loslasse.

»Er ist gestorben«, erklärte ich mit diesem schrecklichen Lächeln auf meinem Gesicht. Meine Stimme brach, während ich mich um Leichtigkeit bemühte. »Also, ja, deshalb… ist er ein Ex.«

Brady wurde kreidebleich; sein Mund stand offen. »Scheiße. Scheiße, Quinn. Es tut mir so leid. Ich hatte keine Ahnung. Tracy… Scheiße, Tracy hat mir nur gesagt, dass du über jemanden hinwegkommen willst.«

Ich schüttelte den Kopf und zog mich zurück. Ich hatte das Gefühl, als würde sich der Raum drehen. Als wäre da ein weißer, rasender Lärm in meinen Ohren, durch den ich nichts anderes hören konnte. »Es ist in Ordnung«, sagte ich noch immer lächelnd, noch immer verzweifelt lächelnd. »Ich hab ihr vor einer Weile gesagt, dass sie es niemandem erzählen soll. Ich hatte es satt, wie die Leute mich ansahen, wenn sie es wussten.«

Seine Hände lagen wieder auf mir, zogen mich an ihn und es dauerte einen Augenblick, bis mir klar wurde, dass er mich umarmte. Er hielt mich fest und nach einem Moment, in dem ich nicht wusste, wie ich reagieren sollte, ließ ich mich gegen ihn sinken. Ich legte meinen Kopf an seine Schulter und schloss die Augen, während ich mir wünschte, dass ich mich nicht jedes Mal so fühlen würde, wenn ich seinen Namen nannte.

Auf diesen Gedanken folgte unwillkürlich die Schuld, eine überwältigende Welle. Warum sollte ich nicht so empfinden? Er war weg. Wenn ich diese Trauer losließ, wenn es einen Moment gab, in dem ich ihn nicht vermisste, wie könnte ich dann behaupten, ihn jemals geliebt zu haben?

»Wie ist es passiert?«, fragte Brady wie aus weiter Ferne und es dauerte eine Weile, bis ich mich zu einer Antwort durchringen konnte.

»Krebs.« So ein dummes, kleines Wort. Es war bei weitem zu klein, zu einfach, um zu erklären, was passiert war. Um das Grauen zu beschreiben, dabei zusehen zu müssen, wie sich dieser große, strahlende Mann mit dem wilden, roten Haar und einem Grinsen, das den Himmel erleuchten konnte, in ein Skelett verwandelte. Dass die Person, die während einer Vorlesung ein Breitschwert halten konnte und es mit einem manischen Grinsen geschwungen hatte, während er seinen Studenten von den Rosenkriegen erzählt hatte, der über Wanderwege marschiert war, als wäre zwischen ihm und seinen Wikingervorfahren keine Zeit vergangen, oder der dieses winzige, maunzende, halb verhungerte Kätzchen so sanft in den Händen gehalten hatte, langsam, Stück für Stück getötet wurde. Dass er in Etappen gestorben war, durch Hunger und Geschwüre und Krankheit. Dass der Mann gestohlen worden war, der mich so leidenschaftlich geküsst hatte, der mich berührt und zum Leben erweckt hatte, der mich mit einem Blick hatte anmachen können, der Mann, mit dem ich hatte alt werden sollen.

Krebs war ein hässliches Wort. Aber ein Wort würde niemals das Grauen umfassen können, das die Seele vergiftete, wenn man es durchstehen musste. Und ich würde es alles noch einmal durchstehen, jeden herzzerreißenden Moment, denn es würde zumindest für eine kurze Weile bedeuteten, Aaron zurückzuhaben. Meine Seele würde wieder vollständig sein.

»Es tut mir so leid.« Die nutzloseste Phrase der ganzen Welt. Brady tätschelte meinen Rücken und versuchte etwas zu sagen, das eine Bedeutung hatte. Aber es gab nichts. Ich wusste es. Er versuchte es und das war der Punkt. »Wann hast du ihn verloren?«

»Vor fast zwei Jahren«, sagte ich leise und kämpfte gegen die Tränen. Ich kannte diesen Mann definitiv nicht gut genug, um in seinen Armen um meinen toten Partner zu weinen.

Brady zog sich zurück und musterte mein Gesicht. »Es tut mir wirklich sehr leid«, flüsterte er. Ich hatte diese Worte immer und immer wieder gehört, so oft, dass sie schon ineinander verschwammen. Aber ich wusste, dass er es ehrlich meinte, also schenkte ich ihm ein schwaches Lächeln und zuckte mit den Schultern, ehe ich den Blick abwandte.

»Es ist in Ordnung«, sagte ich mit beinahe fester Stimme. Langsam einatmend versuchte ich mich schließlich an ein wenig Unbeschwertheit. »Mann, das muss das schlimmste erste Date aller Zeiten sein.«

Brady schnaubte wenig elegant und musterte mich kurz, ehe er sich ein Lächeln erlaubte. »Oh, Süßer, du warst offensichtlich noch nicht auf vielen schlechten Dates. Vertrau mir, das ist nicht mal annähernd das Schlimmste. Um ehrlich zu sein…« Er strich mit den Fingerspitzen sanft über meinen Handrücken. »… ich glaube irgendwie, dass es ziemlich toll war.«

Er stand auf, legte das Handtuch zusammen, schob den mürrischen Kater mit einem letzten Streicheln von sich und sammelte seine Schuhe und seinen Pullover ein. Ich begleitete ihn zur Haustür und fühlte mich ausgewrungen und unsicher. Brady lächelte mich an und beugte sich vor, um mir einen Kuss auf die Wange zu hauchen. »Ich glaube wirklich, dass du hin und weg bist«, sagte er und ich musste unwillkürlich, wenn auch kaum sichtbar, sein Lächeln erwidern.

Dann war er weg und meine Wohnung war wieder leer. Nur ich und eine fette, mittlerweile schnarchende Katze und die Geister der Vergangenheit.