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Seine ganze Jugend über waren sie Bryan Austers Helden: die großen Privatermittler von Chandler oder Hammett, die einsamen Wölfe mit Zigarette, Hut und Trenchcoat. Einige Wochen Krankheitsvertretung in der Detektei seines Vaters reichen aus, um ihren Mythos zu zerlegen. Trister Alltag, klägliche Routinen, weit entfernt von düsterem Glamour oder irgendeiner Relevanz. Doch dann wird Bryan Zeuge eines echten Verbrechens. Und findet Geschmack am Ermitteln – mit fatalen Folgen. Nur wenige Straßen weiter ist Kommissarin Colleen McCollum unterwegs. Sie hasst ihren Joballtag, ihre unfähigen Kollegen, die Erbärmlichkeit der Verbrecher. Und wird mit einer bizarren Mordserie konfrontiert, die sie zwingt, noch einmal ganz neu über ihr Leben und ihre Profession nachzudenken.

›Helden der Nacht‹ lässt die Schicksale des Träumers und der Zynikerin aufeinanderprallen, dass es knallt. Karl Wolfgang Flender ist ein fein konstruierter, hochspannender Roman gelungen über den Kampf um wahren Heldenmut in einer entzauberten Welt: temporeich, klug und irre komisch.

 
autor

© Birte Filmer

Karl Wolfgang Flender, geboren 1986 in Bielefeld. 2015 erschien sein Debütroman ›Greenwash, Inc.‹ bei DuMont. Zurzeit promoviert er in Literaturwissenschaft an der FU Berlin.

KARL WOLFGANG FLENDER

HELDEN DER NACHT

Roman

 

 

 

 

Und so fest setzte es sich ihm in den Kopf, jener Wust hirnverrückter Erdichtungen, die er las, sei volle Wahrheit, dass es für ihn keine zweifellosere Geschichte auf Erden gab.

Miguel de Cervantes

 

 

Sie spielten vier Mann gegen einen, in einer dunklen Gasse abseits des Broadways. Ich kam gerade von einer 14-Stunden-Schicht als Tellerwäscher im Macy’s und wollte bloß zu meiner Frau unter die Bettdecke kriechen, aber vier gegen einen, das war gegen jede Form menschlichen Anstands, und einer ordentlichen Rauferei war ich noch nie aus dem Weg gegangen. Ich hatte es auch diesmal nicht vor, obwohl meine Hände vom Spülwasser aufgeweicht waren wie feuchter Zwieback. Außerdem hatte ich im Büro gerade außer lästiger Ehebruchgeschichten wenig zu tun und war heiß auf ein bisschen Action.

Ich ging also zu ihnen hin. Sie kapierten sofort, was los war, ließen ab von dem Typen und kamen auf mich zu. Ohne groß rumzureden zur Sache kommen, die Jungs waren nach meinem Geschmack. Der Erste fing sich gleich meinen rechten Haken und taumelte zurück wie ein Besoffener, den Nächsten erwischte ich mit dem Knie ordentlich zwischen den Beinen. Er ging jaulend zu Boden, obwohl da nicht viel Substanz gewesen war. Mein Knie hatte da große Erfahrung.

Ab da ging es abwärts mit meinem Feierabend. Die übrigen Typen packten mich und donnerten meinen Schädel gegen eine Mülltonne. Dann spannten sie meinen Oberkörper in eine herabhängende Feuerleiter ein, wo sie abwechselnd ihre Vaterkomplexe an mir ausließen. Gott sei Dank war ich schon bald halb ohnmächtig und sah die Sterne des Broadways über mir kreisen, also merkte ich nicht sonderlich viel davon, wie mir die Backenzähne samt Kronen, für die ich Doc Sportello ein Vermögen hingeblättert hatte, aus dem Mund flogen.

Gerade als ich dachte, ich hätte ihre Spezialbehandlung hinter mir und sie würden sich endlich wieder dem eigentlichen Opfer widmen, das heimlich, still und leise begonnen hatte, sich aus dem Staub zu machen, zog der Typ mit den Rühreiern ein ellenlanges Messer aus seinem Mantel, und es sah aus, als würde diese Nacht verdammt haarig für mich enden …

1

NÄCHTLICHE OBSERVATION

Bryan schreckte auf. Der Lichtkegel einer Taschenlampe tastete das Innere des Wagens ab. Glitt über Kamera, Fernglas, Nachtsichtgerät. War er entdeckt worden? Fünf Nächte mit einem klapprigen Clio in einem Benz-Kiez, kein Wunder, wenn sie ihn jetzt schnappten. Die zugefrorenen Scheiben verschafften ihm vielleicht noch ein paar Sekunden. Bryan griff unter den Sitz, erwischte aber nichts als Staubflusen.

Schritte knirschten um den Wagen. Der Schatten eines Mannes zeichnete sich im Schein der Straßenlaterne ab, breite Schultern, eine Hand in der Manteltasche. Ein Hund schlug an. Klang nach zwanzig Kilo Menschenfresser. So ein Mist. Die Fahrertür war seit Ewigkeiten kaputt und ließ sich von innen nicht verriegeln. Wegfahren konnte er auch vergessen, der Motor brauchte mindestens drei Anläufe bei dieser Scheißkälte.

Es klopfte an die Scheibe, erst leise, dann bestimmter. Deine Tarnung ist dein Kapital, dachte Bryan und ließ sich tief in den Sitz sinken, Kopf zur Seite geknickt, den Mund weit geöffnet, er war nur ein Penner auf der Durchreise, ein Besoffener, der es nicht mehr nach Hause geschafft hatte. Keine Gefahr für niemand.

Es rüttelte an der Tür. Bitte, sei zugefroren, dachte Bryan, nur noch ein paar Eiskristalle zwischen ihm und dem Schatten, er betete, dass sie hielten. Im nächsten Moment wehte ein kalter Windzug herein. Er presste die Augen zusammen, sah den Mann sich schon über ihn beugen, spürte das kalte Metall des Schalldämpfers an seiner Schläfe, hörte das Klicken beim Entsichern.

»He Sie!« Ein Schütteln an der Schulter. »Sie erfrieren hier noch!«

Schlaftrunken öffnete Bryan die Augen. Ein Rentner mit Hut lehnte sich zu ihm in den Wagen und blendete ihn mit der Taschenlampe. In der anderen Hand hielt er ein Pfefferspray, den Finger am Abzug.

»Nur ein Nickerchen«, murmelte Bryan und gähnte. »Bin schon weg.« Er drehte den Zündschlüssel, und beim dritten Versuch startete der Clio tatsächlich mit einem Stottern.

»Na dann«, nickte der Alte, offensichtlich von der Harmlosigkeit des jungen Mannes überzeugt, der da in mehrere Schichten Hawaiihemden und einen Columbo-Mantel gewickelt in einem klapprigen Renault kauerte. »Gute Heimfahrt.« Er klopfte zweimal aufs Dach und pfiff nach seinem Köter, der gerade das Bein im nächstbesten Blumenbeet hob. Dann wurde die Tür zugeworfen und die Schritte entfernten sich. Was für eine Scheiße, dachte Bryan, fast hätte ich mir in die Hose gepisst. Er löste die Handbremse, fuhr drei Meter und stellte den Motor wieder ab. Deine Tarnung ist dein Kapital. Für denArsch. Konzentration jetzt.

Das Haus der Zielperson lag noch immer im Dunkel. Bloß der Lichtkegel einer Laterne flackerte auf den überfrorenen Asphalt, ein Kiefernast gab unter dem Gewicht des Schnees nach. Auf der Straße war niemand mehr zu sehen. Nur ein glatzköpfiger Politiker starrte aus finsteren Augenhöhlen von einem Wahlplakat auf ihn herab: Ihr Ja zur deutschen Kernfamilie.

Bryan ließ seinen Kopf gegen die Lehne sinken. Wäre das hier New York und nicht Berlin, er hätte jetzt Schwermetall in der Birne. Die Utensilien auf dem Beifahrersitz kamen ihm plötzlich vor wie aus einem Yps-Heft: das Fernglas, der halb ausgefüllte Protokollbogen, seine Kamera mit Teleskopobjektiv, lächerlich. »Nachbar lässt Hund in Garten pissen« – mehr hatte er nach fünf Nächten nicht zu berichten. Und wenn er nicht zeitnah gerichtsfähige Beweise lieferte, dass die NochEhefrau ihres Klienten von einem mysteriösen Liebhaber flachgelegt wurde, war wohl bald Schicht im Schacht. Frustriert schlug Bryan gegen das vergilbte Duftkleeblatt, das sein Vater vor fünfzehn Jahren an einer französischen Tankstelle gekauft hatte. Bonne chance. Witzig. Er fühlte sich furchtbar matt.

Die Straßenlaternen erhellten den Wageninnenraum nur schemenhaft. Der Zeiger des bei 60 km/h festklemmenden Tachos und die Uhr am Armaturenbrett glommen schwach. Es war noch nicht mal halb vier. Immer wieder kippte sein Kopf unmerklich nach vorn, fast bis runter auf die Brust. Jedes Mal riss er im letzten Moment die Augen wieder auf und klopfte sich mit der flachen Hand auf die Wangen. Warum musste es auch so scheiß dunkel sein beim Observieren? Wegen der Spannung, klar. Aber das hier war öder als ein Tatort aus Hannover. Vorn auf der Hauptstraße glitt alle halbe Stunde der Lichtkegel eines Autos vorbei, irgendwann käme das Räumfahrzeug und streute Salz auf den Asphalt, gegen fünf Uhr morgens die Zeitungsjungen …

Er nahm den Energy-Drink aus dem Getränkehalter und würgte den letzten Schluck herunter. Schon die fünfte Dose heute Nacht. Um wach zu bleiben, hatte er von Schicht zu Schicht die Dosis steigern müssen; jetzt drückte seine Blase wie nach einem Maxibecher Cola bei einem Film mit Überlänge. Bisher hatte er immer in einen Gully gepinkelt, der dann dampfte, wie es sich für einen Detektiveinsatz in Downtown Manhattan gehörte. Aber solange der Typ von der Bürgerwehr hier rumschlich, konnte er das nicht riskieren. Und so abgebrüht wie die Fahrer der Mafia, die für solche Fälle leere Flaschen unterm Sitz liegen hatten, war er noch nicht. Er zerdrückte die Dose und warf sie in den Fußraum, wo sie gegen die anderen Blechklumpen klonkte.

Er schob seine Hände unter den Hintern, um sie zu wärmen. Die Heizung war leider keine Option. Seit irgendwann eine Packung Vanillemilch aus dem Getränkehalter direkt in die Lüftung gekippt war, strömte ein Verwesungsgeruch aus den Schlitzen, als wäre ein Iltis unter der Motorhaube verreckt.

Sein Handy fiepste. Neue Nachricht von Kenny, der allein auf diese Start-up-Party gegangen war: Valhalla Capital rockt. Das reinste MILF-Paradies hier. Klar, dachte Bryan, Kenny stand wieder in der Sekretärinnenecke, weil er panische Angst vor Mädels in seinem Alter hatte. Dass der sich überhaupt mal unter Menschen traute, grenzte schon an ein Wunder. Hoffentlich verschonte er die Damen wenigstens mit seinem Roboter-Tanz – der Anblick dieses Informatiker-Gezappels war eindeutig gesundheitsgefährdend.

Sein Handy fiepste noch mal. Laura ist auch hier. Sie hat nach dir gefragt. Bryan stutzte. Arbeitete die jetzt für Valhalla Capital? Er hatte sich schon gewundert, wie die Detektei zu der Ehre kam, als die verfluchte Einladung im Briefkasten steckte. Geheimtinte, er hätte es wissen müssen. Und er saß sich hier Hämorrhoiden! Bryan griff zum Zündschlüssel, ließ die Hand aber sofort wieder sinken. Woher der plötzliche Sinneswandel? Sie hatte schließlich seit einem halben Jahr nicht mehr mit ihm gesprochen, genau genommen seit seiner Blamage im Eiscafé. Außerdem konnte er seinen Vater jetzt unmöglich hängenlassen, denn dem war dieser Mist hier heilig.

Das Handy regelte seine Display-Beleuchtung eine Stufe herab. Akku schon wieder fast leer. Zu Anfang der Schicht hatte er sich wenigstens die »Top 10 Verfolgungsjagden des Film noir« bei YouTube reinziehen können, das hatte die Observation halbwegs erträglich gemacht, und er konnte es sogar als Recherche für seine stagnierende Masterarbeit zu den »Figurationen des Mysteriösen im Detektivfilm der 1960er-Jahre« verbuchen. Aber er hatte mal wieder verpeilt, das Drecksding tagsüber zu laden. Das Radio konnte er auch vergessen, die Antenne war schon seit Ewigkeiten abgebrochen. Der Legende nach hatte irgendeine Zielperson seinen Vater entdeckt und das Auto demoliert. Aber nach den Erfahrungen der letzten Nächte war es vermutlich eher die Waschanlage gewesen.

Bryan ließ das Handschuhfach aufschnappen, und ein Haufen alter Kassetten klapperte in den Fußraum. In den Tiefen des Fachs fand er zwischen einem Shell Atlas von 1991 und einer Sonnenbrille mit zerbrochenen Gläsern eine Metallbox mit Hustenbonbons. Er wickelte eins aus dem Wachspapier und steckte es in den Mund. Bah. Er spuckte es zu den Essensresten in die fettdurchtränkte Tüte von Fast-Food-Freddy. Gepresster Staub schmeckte besser.

Er nahm die erstbeste Kassette, drehte das Tonband wieder rein und steckte sie in die Anlage. Play. Aus den Lautsprechern tönte blechernes Französisch. Eine Frauenstimme fragte ihn: »Est-ce que tu aimes le cinéma?« Dann wechselte sie in eine tiefere Stimmlage und wiederholte: »Magst du das Kino?« – »Moi? Oui, j’y vais tout le temps.« – »Ich? Ja, ich gehe dort dauernd hin.«

Bryan drückte die Kassette wieder aus dem Gerät. Französisch-Kurs IV stand auf dem gelben Plastik. Auch alle anderen Kassetten waren Sprachkurse: Französisch für Anfänger I-V, Französisch für Fortgeschrittene I-IV, Französisch für das DELF I-VI. Bryan stopfte die Kassetten zurück in die Klappe und zündete einen vorgebauten Joint an. Er zog ein paarmal daran und stieß den Rauch durch die Nasenlöcher wieder aus. Was für eine miese Nummer. Während er mit pochendem Herzen nächtelang in seinem Kinderbett gelegen hatte, weil sein Vater Gangster jagte, hatte der in aller Ruhe Französisch gelernt. Bryan wischte etwas Kondenswasser von der Frontscheibe und rieb es sich auf die Wangen. Dann kramte er den Atlas hervor und suchte das kleine Dorf an der Côte d’Azur, in dem sein Vater angeblich Hercule Poirot kennengelernt hatte, aber das war nicht mehr zu finden. Er matschte den Atlas wieder ins Handschuhfach. Scheiß drauf, ob die Kassetten dran glauben mussten.

Er schob den Sitz nach hinten und brachte die Lehne so weit wie möglich in Liegeposition, auch wenn jeder zusätzliche Grad die Gefahr einzuschlafen exponentiell erhöhte. Garantiert war er in den letzten Nächten auch schon mal weggenickt. So zwischen vier und fünf vielleicht, wenn die Nacht am dunkelsten war und die Liebhaber aus ihren Löchern krochen. Die Metallfedern drückten sich durch das Sitzpolster in seine Schulterblätter. Kein Wunder, dass Rückenschmerzen seinen Vater fertigmachten. So konnte doch kein Mensch schlafen. Es sei denn, er rauchte sich noch ein bisschen müde. Bryan kramte nach dem Feuerzeug. Hier kam ja nicht mal der Räumdienst. Geschweige denn ein Ehebrecher …

Im Erdgeschoss brannte plötzlich Licht. Flur vermutlich. Dann ging noch eins an, Bad. Bryan wischte ein Guckloch in die beschlagene Autoscheibe. Eine dunkle Gestalt tauchte am Fenster auf. Und noch eine, zierlicher. Das war sie. Er war sich hundertprozentig sicher, auch wenn es nur ein Schatten war. Sie kniete sich hin. Machte sich an der Hose der anderen Gestalt zu schaffen. Zielpersonen in flagranti erwischt. Bingo.

Er griff nach der Kamera mit dem Riesenobjektiv, die seit Tagen unbenutzt auf dem Beifahrersitz gammelte. Seine Finger waren steif vor Kälte, und er drückte ungeschickt auf den winzigen Knöpfen herum. Die andere Hand tastete nach der Fensterkurbel. Aber die bewegte sich keinen Zentimeter. Egal wie heftig er dran rüttelte. Festgefroren vielleicht, oder verrostet. Warum hatte er das nicht vorher mal getestet? Er war so ein lausiger Amateur.

Bryan stieß die Autotür auf und warf seine Beine aus dem Wagen, scheiß jetzt auf die Tarnung, er sah sich dem Klienten schon das Beweisfoto vorlegen und die Gage einstreichen, aber dann, bämm, wurde sein Oberkörper plötzlich zurückgeworfen, ein schneidender Schmerz am Hals. Glückwunsch, du Profi, dachte er und löste fluchend den Anschnallgurt. Dann stand er endlich auf der Straße, breitbeinig wie ein amerikanischer Cop, seine Finger fanden den richtigen Knopf, das Display leuchtete auf, und er hob die Kamera vors Gesicht.

Mit zitternden Fingern drehte er am Teleskopobjektiv, erst in die falsche, dann in die richtige Richtung, fokussierte das hell erleuchtete Fenster, sah in der Millisekunde, die sein Gehirn zu langsam war, um aus Selbstschutz die Augen zu schließen, gerade, als er endlich das Bild scharf gestellt hatte, und noch bevor er die Kamera erschrocken wieder sinken lassen konnte, gestochen scharf und in Farbe, wie die vermeintliche Ehebrecherin den vergilbten Schlafrock einer alten Frau zurückzog, altersbefleckte Beine zum Vorschein kamen, und dann, wie die Frau sich mit Hilfe ihrer fürsorglichen Tochter auf die Keramik sinken ließ und seufzend die Augen schloss – nicht ahnend, dass draußen auf der Straße Bryan Auster, Nachwuchsdetektiv in Krankheitsvertretung, sie gerade durch ein Teleobjektiv beobachtete und reflexhaft, fasziniert und angeekelt zugleich, auf den Auslöser seiner Kamera drückte.

2

DEATH BY FINGER-AB

Verdammte Anfänger von der Polizeischule. Colleen McCollum duckt sich unter dem Absperrband hindurch, das den Bürgersteig wie ein Filmset abriegelt und damit Gaffer eher anzieht statt abhält, die jetzt mit einem Coffee to go in der Hand stehen bleiben und auf die verwaschene Fassade eines Wohnhauses starren, um herauszufinden, auf welcher Etage und hinter welchem Fenster es heute Nacht wohl wieder Bumm gemacht hat.

Aus dem Krankenwagen am Straßenrand dringt gedämpftes Heulen, doch für hysterische Angehörige ist Colleen zu dieser nachtschlafenden Zeit absolut taub. Sie drückt die Haustür auf, trottet versunken in Selbstmordgedanken ein paar blutbefleckte Treppenabsätze hinauf, bis sie zufällig die Wohnung findet, in der es schon von Beamten in weißen Schutzanzügen wimmelt, die überall kleine Aufsteller mit Zahlen drauf verteilen. Sie holt tief Luft, bekreuzigt sich und tritt ein.

Auf dem Parkettimitat liegt eine junge Frau in cremefarbenem Bademantel, der sich mit Blut vollgesogen hat. Ihre Augen sind weit aufgerissen, dicke Bahnen Mascara laufen ihre Wangen hinunter, die braunen Haare haben sich mit dem verklumpten Blut wie ein Kranz um den Kopf gelegt. Durch den metallischen Gestank des Bluts dringt der Duft billigen Parfüms.

Dass der Toten der Ringfinger abgesägt wurde, haben die Beamten noch gar nicht bemerkt. Ganz nach Vorschrift haben sie sich erst mal auf die primäre Todesursache kapriziert: Kopfschuss, mittig zwischen die Augenbrauen, klassisches Kaliber, wahrscheinlich 9 Millimeter, hinten wieder aus dem Schädel raus (das Furnier der Einbauküche sieht auf Kopfhöhe aus, als hätte es Masern), das Projektil steckt irgendwo zwischen Untertassen und Kaffeekännchen in der Rückwand des Schranks – aber das wird erst der angeforderte Ballistiker mit seiner Spezialpinzette später aus dem Holz pulen, blubbert es aus dem Beamten heraus, der sich sofort an Colleens Fersen geheftet hat und ab jetzt anscheinend jeden ihrer Sinneseindrücke kommentieren will.

Auch die riesige Blutlache, in der die verstümmelte Hand herumschwimmt, ist den Beamten nicht aufgefallen. Das heißt, aufgefallen ist sie ihnen schon irgendwie, aber erstens ist es nichts Ungewöhnliches, dass bei einem Mord alles voller Blut ist, also achtet man zunächst vielleicht nicht so richtig darauf, wohin jetzt wie viel aus welcher unnatürlichen Körperöffnung geflossen ist, und zweitens sind die Beamten darauf konditioniert, sich von den notorisch verspäteten Kommissaren, also ihr, Colleen McCollum, elftes Dezernat, Mordkommission, anschnauzen zu lassen, weil sie etwas Essenzielles übersehen haben, das den höher Besoldeten beim sachkundigen Überfliegen des Tatorts natürlich sofort ins Auge springt. Wahrscheinlich haben die Kollegen den Finger und die Blutlache sogar in einer Art vorauseilendem Gehorsam nicht beachtet, sie sind die Männer fürs Grobe, den Headshot, die Kommissare dagegen sind zuständig für die Details, die den Fall später ganz überraschend lösen werden (der fehlende Ringfinger?). Vielleicht haben die Beamten den abgesägten Finger also durchaus auf irgendeiner Ebene ihres Wahrnehmungsapparats registriert, wie ein verschwommenes Bild hinter Milchglas, wie die diffuse Ahnung, »dass irgendwas mit dieser Sache nicht stimmt«, aber die Weiterleitung ans Großhirn ist offenbar unterdrückt worden: Sie haben den Finger absichtlich übrig gelassen, damit der Kommissar, nein, Colleen korrigiert ihren eigenen Gedanken, damit die KommissarIN sie ein bisschen anschreien kann und dadurch bessere Laune bekommt – es arbeitet sich einfach angenehmer mit Chef*innen, wenn die ihre charaktertragenden Zipperlein (Übermüdung, Koffeinmangel, nervige Exfrau, bei Autounfall verstorbener Sohn, zu wenig oder zu viel Alkohol) einmal herauscholerikt haben. Das alles geschieht natürlich völlig unbewusst, die Beamten haben nicht die leiseste Ahnung von den psychologischen Mustern, denen sie instinktiv gehorchen – vielleicht sind sie tatsächlich auch bloß die einfachen Trottel, nach denen sie in ihren Schutzanzügen aussehen, denkt Colleen, als sie sich neben die Leiche kniet und die verstümmelte Hand unter die Lupe nimmt.

Der Fingerknochen schaut noch ein Stück aus dem blutigen Stumpf heraus, wie das Würstchen bei einem französischen Hotdog – mit viel, viel Ketchup. Erstaunlicherweise ist der Knochen aber gar nicht so richtig weiß, wie sich das Colleen vorgestellt hat, abgesehen von dem getrockneten Blut ist seine Farbe eher gelblich. Bis auf eine winzige Abbruchkante wirkt er sauber abgesägt – Colleen geht noch näher ran und streicht dabei ihre gelockten Haare hinter die Ohren, weil die sonst in die Blutlache tunken –, eine Abbruchkante wie beim Sägen einer Holzlatte und kurz bevor man ganz durch ist, bricht das Holz plötzlich ab und das letzte Stück steht in der Luft und man muss noch mal mit der Feile ran, damit es glatt wird.

»Die ist seit mindestens sechs Stunden erledigt«, sagt der Beamte von oben herab und drückt mit seinem Schuh in weißem Schutzüberzug gegen den starr gewordenen Arm der Toten (wieder ohne den abpen Finger zu bemerken). Dabei glotzt er so unverhohlen in Colleens Ausschnitt, dass sie gleich an Dienstaufsichtsbeschwerde, Disziplinarverfahren, Dekapitation denkt, aber das kann sie bis aufs augenblickliche Köpfen gleich vergessen, denn wenn die Beamten in diesen Schutzanzügen herumlaufen, welche nur das Gesicht frei lassen und damit alle Zusatzinfos wie Haarfarbe, Kleidung oder Schmuck verdecken, wird sie sich weder deren Namen noch Gesichter merken. Gesichtsblindheit, Prosopagnosie, ist Colleens Entschuldigung dafür, auf die sie nach endloser Internetrecherche gestoßen ist. Leitsymptom: Unfähigkeit, die Identität anderer Personen anhand ihres Gesichtes zu erkennen. Im Präsidium darf davon natürlich keiner etwas erfahren, aber insgeheim hat Colleen sich auch schon eingestanden, dass der Grund vielleicht auch nur ihre Ignoranz ist – je nach Stand des Selbsthass-Barometers schwankt sie da in der Selbstdiagnose.

Obwohl sie dann schlechter Luft bekommt, knöpft Colleen den obersten Knopf ihrer Bluse zu, und gleichzeitig steigt eine unbändige Wut über den notgeilen Blick des Kollegen in ihr auf, Tittengucken geht wohl immer, egal wie schlimm die Umstände sind. Colleen ballt ihre Fäuste, Schweißtropfen rinnen ihre Achseln hinab. Sie zittert. Ruhig Blut, Colleen, du hast doch schon viele Leichen gesehen: vergiftet, zerstückelt, stranguliert. Sonst macht ihr das ja auch nichts aus, abgesehen von ein paar nachtfüllenden Albträumen vielleicht, aber irgendwas an dieser Sache kitzelt ihre Adrenalin-Synapsen, fight-or-flight, Kampf oder Flucht, als habe das hier etwas mit ihr persönlich zu tun, als müsse sie möglichst schnell das Weite suchen, um nicht selbst bald … Aber das ist sicher nur die Hitze, die seit heute Morgen auf die Stadt drückt, oder der Feinstaub, der ihr zu Kopf gestiegen ist. Durchatmen, bis zehn zählen, die Distanz wiederherstellen, Zen.

Sie konzentriert sich wieder auf das Opfer. Die rotgeschminkten Lippen der Toten sind leicht geöffnet, als hätte sie noch was sagen wollen, ein »Bitte nicht« oder eine derbe Beschimpfung vielleicht, dabei ist es doch völlig egal, welche letzten Worte man stammelt, wenn weit und breit keine TV-Zuschauer zu sehen sind, denen man sich mit einem starken Abgang ins Gedächtnis brennen könnte.

Der Bademantel ist dem Logo nach aus einem Hotel an der Ostsee geklaut worden. Colleen kramt einen Einweghandschuh aus ihrer Tasche und schiebt den Stoff etwas beiseite. Schwarze, durchsichtige Dessous kommen darunter zum Vorschein, extravagant und kompliziert zu schnüren, Colleen wüsste gar nicht, wo anfangen damit, obwohl sie selbst durchaus nicht nur ins Regal mit den Billigteilen greift. Colleen schließt den Bademantel schnell wieder, damit der Beamte nicht auch noch auf das Opfer geifert und seine DNA dort hinterlässt. Obwohl, verdient hätte er es.

»Schon klar, wer sie ist?«, fragt Colleen.

Der Beamte schüttelt den Kopf.

»Kein Ausweis zu finden. Dafür ein Haufen ungeöffneter Post, adressiert an eine Elisabeth Jones. Aber die Tote ist auf keinem der Fotos hier zu sehen.« Er deutet auf eine Reihe gerahmter Bilder in einem Regal. Colleen zuckt die Schultern. Heißt doch gar nichts. Sie duckt sich schließlich auch immer in die letzte Reihe oder schneidet Grimassen, was Martin jedes Mal in den Wahnsinn treibt, wenn er zu Weihnachten einen Fotokalender für seine Eltern basteln will.

Von der Leiche führt Colleen die Blutspur über die Küchenfliesen, das Parkettimitat im Wohnzimmer (ein paar kleine Spritzer auch auf dem Schafsfell vor dem Fernseher), bis ins Schlafzimmer, wo das frisch bezogene Bett von unten bis oben vollgesudelt ist, und über dem mit Schnitzereien verzierten Kopfende – genau da, wo früher bei Colleens Großmutter das Kruzifix hing – prangt der Finger an der Raufasertapete, ein Nagel sauber durch das Mittelglied geschlagen.

»Urgh.« Colleen rümpft die Nase, obwohl es eigentlich überhaupt nichts zu riechen gibt. Außer dem eigentümlichen Geruch vielleicht, der jede Wohnung wie ein Fingerabdruck auszeichnet, hier eine Mischung aus Rosenduftspender und verstaubter Heizung, schätzt sie. Das Naserümpfen ist bloß so eine neue Angewohnheit, denn seit ihr Partner in Elternzeit ist, wird sie eigentlich nur noch zu Pseudofällen gerufen, bei denen die Leichen schon seit Wochen im Bett verwesen, bis die Nachbarn endlich Geruch und Briefkastenfüllstand zusammenzählen und die Polizei alarmieren. Jedenfalls stinkt es meist gewaltig, da kann sich so ein vorsorgliches Naserümpfen schnell mal einschleifen.

»Sie musste den Finger wahrscheinlich selbst an die Wand nageln.« Einer der Weißgekleideten deutet auf einen am Boden liegenden Hammer, blutige Fingerabdrücke am Stiel. Colleen rümpft wieder die Nase, diesmal vielleicht sogar zu Recht, und fragt sich für einen Moment, was wohl schmerzhafter für das Opfer gewesen ist, das Absägen oder das Durchschlagen des eigenen, leblosen Fingers an der Wand, so eine Art Phantomschmerz vielleicht – aber dann entscheidet sie sich, den Gedanken lieber nicht weiterzuverfolgen und macht mit ihrem Handy ein Foto. Sie schickt es an ihren Partner, der bestimmt gerade seinen Sohn stillt oder Strampler einweicht, und schreibt darunter: »Da siehst du, was du gerade verpasst!«

Auf dem Küchentisch steht ein aufgeklappter Werkzeugkasten, daneben eine elektrische Stichsäge, noch eingestöpselt, doch bevor Colleen sich die genauer anschauen kann, Zipp, ist die Säge in einen Plastikbeutel verpackt und etikettiert, und ein Beamter grinst sie blöde an und legt den Beutel in eine Plastikwanne. Das törnt die SpuSis an: Beweise aufsammeln und eintüten. Vorher schön die Luft aus dem Beutel rausdrücken, dann den Zippverschluss schließen, mit Edding beschriften und einsortieren. Für einen Augenblick wünscht sich Colleen, ihr Job bestünde auch nur aus dem Eintüten von Leichenteilen, den Leichenteilen dieses Kollegen am besten, und beneidet plötzlich die Leute, deren Job aus dem Einpacken von Sachen besteht: die Genugtuung des Dönermanns beim Einschlagen eines Döners in Alufolie (das Knistern beim Abreißen von der Rolle, das gleichseitige Dreieck des Fladenbrots im anschmiegsamen Metall), die exakten Handgriffe einer Buchhändlerin mit Geschenkpapier (die Befriedigung, die passende Menge abzurollen, das optimale Verhältnis von ästhetischem Anspruch und Papierverbrauch).

Aber dann steht plötzlich der Ehemann der Toten in der Wohnung – er hat seine Frau nach der Nachtschicht entdeckt und ist bisher in die obligatorische Decke eingehüllt von einem Sanitäter psychologisch betreut worden – und kreischt, was das Zeug hält. Für einen Moment überlegt Colleen, ob sie auch so kreischen würde, wenn Martin hier auf dem Boden läge – doch dann wird der Mann von den Beamten aus der Wohnung gedrückt, und mit dem Klicken der Tür erstickt nicht nur sein Kreischen, sondern auch Colleens Gedanke, und außerdem stellt sich heraus, dass das gar nicht der Ehemann war, sondern bloß der Zeitungsbote, der die Leiche heute früh entdeckt hat und kein Blut sehen kann.

»Eifersuchtsmord?«, fragt sie den Beamten, der zufällig neben ihr steht, unsicher, ob es der Gaffer von eben ist. Der will ja gar nicht von ihrer Seite weichen. Ihr kommt ein furchtbarer Gedanke: Könnte das etwa ihr neuer Assistent sein?

»Ziemlich sauberer Kopfschuss dafür«, sagt er, »finden Sie nicht?«

Mafia. Hoffentlich die Mafia. Vielleicht kann sie die Sache schnell in die organisierte Kriminalität abschieben, das sieht nämlich nach einem scheiß großen Haufen Arbeit aus, und der abgesägte Finger an der Schlafzimmerwand verheißt auch nichts Gutes. Aber wo sie gerade hier ist, muss sie wohl oder übel die Nachbarn befragen, und wenn der sich beruhigt hat, vielleicht auch den Zeitungsboten. Immer noch besser als im Revier morgendliche Lagebesprechung bei Mettbrötchen und Filterkaffee zu machen.

Im Arbeitszimmer des Opfers sucht Colleen nach Notizblock und Stift, findet beides in einer vollgeramschten Schreibtischschublade und steckt sie ein. In der Eile heute Morgen hat sie tatsächlich ihre ganze Ausrüstung zu Hause vergessen. Nein, hat sie nicht, korrigiert Colleen ihren eigenen Gedanken. Sie kommt immer so unvorbereitet an den Tatort wie jetzt. Hat ja keinen Sinn, sich selbst zu belügen.

3

AUSTER, PRIVATDETEKTIVE

Nicht schon wieder! Sein linkes Bein war eingeschlafen. Ein Kribbeln, als würde sich ein Volk glühender Ameisen durch seine Arterien zwängen. Mitte zwanzig sollte ein bisschen früh sein für Arterienverkalkung, aber wer nie zum Spielen rausgeht, kriegt irgendwann die Quittung. Bryan hievte seine Füße von der Tischplatte, fegte dabei einen Stapel Observationsprotokolle auf den Boden. Fuck. Immerhin strömte das Blut wieder in den Unterschenkel. Kurz steigerte sich das Kribbeln ins Unermessliche, dann atmete er erleichtert auf.

Er nahm noch einen letzten, viel zu heißen Zug vom Joint und drückte ihn im Aschenbecher aus. Darauf stand in angegilbter Schrift: »Jeder hat seine Geheimnisse – Wir verraten Ihnen, welche. Auster, Privatdetektive«. Bryan warf das Teil in den überquellenden Mülleimer. Irgendwann im letzten Jahrtausend hatte sein Vater Hunderte davon als Werbegeschenk anfertigen lassen, jetzt stapelten sie sich in der angrenzenden Wohnung unter der Spüle. Weil die zugezogenen Kiezbewohner aber sowieso nur E-Zigaretten mit Erdbeergeschmack benutzten, konnte Bryan für jeden Joint ruhigen Gewissens einen neuen nehmen.

Um die Ameisen in seinem Oberschenkel endgültig loszuwerden, humpelte er im Laden herum. Sein Körper spiegelte sich in der Fensterscheibe und, Scheiße, er bewegte sich schon genau so wie sein Vater. Als würde mit dem Job auch die miese Körperhaltung in ihn einsickern. Um sich schnell seine Beweglichkeit zu beweisen, beugte er sich nach unten, sammelte die Kopien vom Linoleum und warf sie zurück auf den Schreibtisch. Dann trat er ans Fenster.

Die Scheiben der Detektei waren beschlagen, Tropfen rannen von innen das Glas hinab, gaben dünne Sichttrassen nach draußen frei. Es regnete in Strömen, Wind fegte Plastiktüten über die Gehsteige, auf den gegenüberliegenden Gebäuden zeichneten sich lange, verzerrte Schatten ab, Blaulicht huschte über die Fassaden. Waren das Schüsse in der Ferne? Jeden Moment konnte eine Gestalt die Stufen zu ihrem Subparterre-Laden hinunterspringen, konnte das Glöckchen über der Tür läuten und eine verzweifelte Klientin hereinstürzen, die dringend Hilfe in einem Mordfall benötigte … Schwachsinniges Kopfkino. Draußen stürmte es nicht, der Schnee war zu akkuraten Haufen am Gehwegrand aufgetürmt, LED-Straßenlaternen leuchteten die Altbaufassaden des aufgewerteten Stadtteils aus. Vor dem Roxy hatten ein paar Kinder einen Schneemann gebaut, jetzt ließen sie Knallteufel auf dem Boden zerplatzen. Die Detektei Auster war der allerletzte Fremdkörper zwischen Latte-Macchiato- und Craft-Beer-Läden, Co-working Spaces und Start-up-Büros, deren Insassen die Vision anpeitschte, mit halbgaren Geschäftsideen schnellstmöglich ein oder zwei Millionen von Google abzusahnen. Die neue Klientel des Kiezes würdigte die Detektei jedenfalls keines Blickes; auch wenn ab und zu ihre im Hausflur abgestellten Kinderwagen brannten. Wegen ein paar zündelnder Autonomer einen Detektiv zu engagieren kam keinem in den Sinn – so was gehörte zum Leben im Szenekiez dazu wie Einkaufen im Türkenmarkt, Vollbärte und Staffelmiete.

Ende in Sicht. In der Schreibtischschublade hatte Bryan einen Stapel ungeöffneter Briefe von der Hausverwaltung entdeckt, deren Inhalt nur eine Mieterhöhung, Luxussanierung oder die Anmeldung von Eigenbedarf sein konnte. Um den Laden an sich wäre es nicht schade gewesen, der ähnelte sowieso mehr dem Büro eines Steuerberaters als einer ordentlichen Detektivkaschemme. Warum war ihm als Kind nie aufgefallen, wie übel es hier aussah? Musste man sich sein Büro – die Visitenkarte jedes ordentlichen Schnüfflers – mit Regalen voller Leitz Ordner, verstaubten Neonröhren und Linoleumböden zuknallen? Das war doch fahrlässig, kein Wunder also, dass absolute Auftragsflaute herrschte. Aber trotzdem: Das hier war das Lebenswerk seines Vaters.

Auf Bryans Laptop lief lautlos die dritte Staffel von True Detective, gleichzeitig war im Browser die neue Detektei-Website geöffnet, die er mit einem kostenlosen Baukastensystem zusammengefrickelt hatte. Auf irgendeinem Design-Blog hatte er gelesen, dass die vertrauenerweckendste Farbkombination Grün-Grau-Orange war, was unglaublich beschissen aussah, aber wenn es wirkte … Immerhin hatte er das Logo der Agentur ins 21. Jahrhundert katapultiert, indem er die Comic-Lupe, die jahrzehntelang ihr Markenzeichen war und deren kreisrunde Fassung gleichzeitig als »O« für den Vornamen seines Vaters stand, durch ein GPS-Fadenkreuz ersetzt hatte.

Trotzdem würde Auster, Privatdetektive im Internet keine Chance gegen die großen Detekteien haben, die mit landesweiten Dependancen warben, hochmoderne Überwachungstechnik versprachen und damit nicht nur dem Logo nach im neuen Millennium angekommen waren. Jahrzehntelang hatte es ausgereicht, dass der Name ihres Büros in den Gelben Seiten als Allererstes auftauchte, A wie Auster – allein aus diesem Kalkül hätte sein Vater doch ihren Nachnamen angenommen, hatte Bryans Mutter immer behauptet –, jetzt aber warb die Konkurrenz in den Suchergebnissen von Google, präsentierte die Stimmen Hunderter zufriedener Klienten auf unabhängigen Bewertungsportalen und bot kostenlose 0800er-Beratungshotlines und Live-Chats an. Bryan hatte es mit Müh und Not gerade einmal geschafft, ein E-Mail-Kontaktformular einzubinden. Und er hatte ein selbsterfundenes, goldenes Prüfsiegel mitten auf der Seite platziert.

Nur beim Auftragsportfolio hakte es gerade. Woher sollte er auch wissen, was sein Vater tagein, tagaus so ermittelte. Verschwiegenheit ist das größte Kapital eines Detektivs – Oliver Auster. Mangels Infos hatte Bryan also einfach die Fallberichte von den Websites der Konkurrenz umgeschrieben, Namen geändert, Quellen verschleiert – wenigstens das hatte er im Studium gelernt. Ihr Büro bot die volle Palette: von Identitätsüberprüfung und Vermisstensachen über Prostitution in Mietwohnungen und Untreue bis zur kleinkarierten Wirtschaftskriminalität. Aber irgendetwas fehlte noch. Die persönliche Note. Wofür stand die Detektei Auster?

Bryan ging zum Regal und ließ seinen Finger über die Jahreszahlen auf den verstaubten Ordnern gleiten. 2008. Da war doch irgendwas. Genau. Die Drogenbande aus Ex-Jugoslawien, die sein Vater hochgenommen hatte, nachdem ein paar Junkies vom Todes-Hasch die Arme abgefallen waren.

Er blätterte den Ordner erst langsam, dann immer schneller durch: Ehemann mit Doppelleben, Erbschaft aus Nigeria, Heiratsschwindler aus dem Internet, Putzkolonne zweigt Reinigungsmittel ab. Wo waren die verfickten Drogen? Nichts zu finden. Kein einziges Wort. Aber was für ein Zufall, dass sein Vater damals in einem Drogenfall ermittelt hatte, als er Bryan das erste Mal beim Kiffen auf dem Klo erwischte und ihn vorm »Abrutschen« warnte.

Bryan warf den Ordner auf den Schreibtisch und zog den nächsten aus dem Regal.

2009:Sektenzugehörigkeit eines Angestellten, Mietnomaden, keine Unterhaltszahlungen wegen Spielsucht.

2010:Stalking durch die Ex, gefälschte Krankschreibungen, vorgetäuschter Eigenbedarf.

2011:Müllverklappung in Naturschutzgebiet, Ehemann zur Mittagspause im Bordell erwischt, Graffitis am Wohnhaus.

2012:Erpressung durch Ex-Affäre, Partylärm des Nachbarn, Sekretärin kopiert Arsch auf Multifunktionsgerät, das dabei kaputt geht.

2013:Boring, boring, boring. Ab auf den Boden damit.

Gedämpft erklang die Titelmelodie von Magnum. Bryan kramte das schnurlose Telefon zwischen den Akten hervor. Ein paar Sekunden starrte er die fremde Rufnummer auf dem Display an. Sein Daumen schwebte unentschieden über dem grünen Annehmen-Button. Als die Melodie einmal durchgelaufen war und wieder von vorn begann, drückte Bryan den roten Knopf, und der Anruf wurde an den Anrufbeantworter weitergeleitet. Der Lautsprecher an der Ladestation schaltete sich ein:

»Hallo? Bin ich da beim Detektivbüro Auster? Ich weiß gar nicht, wie ich es sagen soll, aber ich habe einen schrecklichen Verdacht. Ich habe auf dem Computer meines Mannes gesehen, dass er eine Dating-Website besucht. Jetzt brauche ich Gewissheit. Können Sie mich bitte zurückrufen? Die Zeit drängt.«

Klang irgendwie kompliziert. Bryan wippte im Stuhl vor und zurück, um besser nachdenken zu können. Er versuchte noch einmal, den Jointstummel anzuzünden, aber da war wirklich nichts mehr dran, und das frisierte Feuerzeug sengte ein paar winzige Härchen von seiner Nasenspitze.

Die Sache würde Observation erfordern, tagelanges Herumsitzen im Auto, um die sinnlosen After-Work-Aktivitäten eines Mannes in der Midlife-Crisis zu protokollieren. Und das würde natürlich wieder er übernehmen müssen, sein Vater konnte ja mit seinem Rücken kaum ein Abendessen lang am Tisch sitzen. Wieder würde er eine Uniwoche verpassen, was er sich eigentlich nullkommanull leisten konnte, oder zumindest würde er die Chance verpassen, überhaupt mal wieder hinzugehen. Denn wenn er ehrlich war, war er seit Semesterbeginn nicht mehr da gewesen. Nur ab und zu in der Mensa, um ein bisschen Gras bei Kenny zu holen.

Bryan spielte die Nachricht noch einmal ab, doch das machte sie auch nicht besser. Nach dem Fiasko der letzten Nacht hielt er es lieber wie Marlowe und Sportello: bloß keine Ehesachen, das führte nur zu Komplikationen. Er drückte zweimal hintereinander den roten Knopf und würgte die Roboterstimme, die sichergehen wollte, ob er die Nachricht denn auch wirklich löschen wollte – ja, wollte er – mit der OK-Taste ab.

»Die Nachricht wurde gelöscht«, sagte der AB, da flackerten plötzlich die Neonröhren an der Decke auf.

»Kein Wunder, dass keine Aufträge reinkommen.«

Bryan wirbelte herum. Sein Vater stand in der Durchgangstür zur Wohnung. Den Rücken gekrümmt wie ein alter Mann, drückten ihn die Schmerzen immer weiter zusammen. Er war auch ziemlich dünn geworden, aber das konnte ebenso am gleißenden Neonlicht liegen, das Bryans verquollene und ans Zwielicht gewöhnte Augen übel folterte. Er schirmte sie mit der Hand ab. Den Ausdruck in den Augen seines Vaters konnte er trotzdem erkennen: You had one job. Nicht mal als Telefonist war er zu gebrauchen.

Oliver Auster ließ sich vorsichtig auf den Stuhl sinken, auf dem sonst die Klienten Platz nahmen. Die Furche zwischen seinen Augenbrauen, die vielleicht vom angestrengten Starren durchs Fernglas herrührte, vielleicht aber auch vom Lesen eines Französisch-Vokabelhefts bei schlechtem Licht, grub sich noch tiefer als sonst in seine Haut. Er zeigte deutliche Abnutzungserscheinungen, seit Bryans Mutter von einem Tag auf den andern verschwunden war und jetzt mit einem frühpensionierten Lehrer namens Roland Prez in einem Wohnmobil quer durch die Staaten fuhr. Zu Bryans Geburtstag im Frühling wollte sie in Los Angeles sein und hatte ihn eingeladen, sie zu besuchen, aber er war sich nicht sicher, ob er seinen Vater hier gerade im Stich lassen konnte. Die Einladung hatte er ihm vorerst verschwiegen.

»Könntest du die wieder aufheben?« Sein Vater deutete auf die am Boden verstreuten Dokumente und Leitz Ordner. Missmutig suchte Bryan den Kram zusammen und warf ihn auf den Tisch. Oliver Auster zog das Protokoll der vorletzten Nacht unter dem Stapel hervor.

»04:30 Schneeräumwagen fährt vorbei. Räumt aber nicht, sondern streut nur«, las er laut vor. »05:30: Spaziergänger lässt Hund in Vorgarten der Zielperson scheißen«?

Bryan zuckte mit den Schultern.

»Fünf Nächte – und das ist alles, was passiert ist?«

»Immerhin hab ich ein bisschen Französisch gelernt«, antwortete Bryan mit tonloser Stimme, doch sein Vater schien den Vorwurf nicht zu bemerken. Er zog die Blättchen heraus und streute seine Spezialmischung hinein, die den ganzen Raum mit ihrem süßlichen Geruch erfüllte. »Est-ce que tu aimes le cinéma?«, äffte er dabei die Kassette nach.

Während er das Papier mit seinen Lippen befeuchtete, inside-out drehte, und das überstehende Papier abfackelte, holte Oliver Auster die Kamera unter dem Zettelchaos hervor und klickte sich durch die Aufnahmen.

»Ist das dein Ernst?« Er hielt Bryan das Display der Kamera hin, auf dem in Großaufnahme das angespannte Gesicht der alten Frau zu sehen war – mit diesem ganz speziellen Gesichtsausdruck, den Menschen nur auf der Toilette machen und den nur selten jemand anders zu sehen bekommt.

»Ein Versehen«, sagte Bryan emotionslos und zündete den Joint an. Sein Vater drückte sich wie in Zeitlupe aus dem Stuhl hoch, ging wortlos an ihm vorbei und öffnete die Ladentür, durch die ein eisiger Windzug hereinwehte und eine neue Ladung Kopien vom Tisch fegte. Theatralisch wedelte er die Haschdüfte aus dem Raum.

»Was hast du? Das hilft bei chronischen Schmerzen.« Bryan hielt ihm den Joint hin. Sein Vater winkte ab und lehnte sich mit dem Rücken an die Scheibe.

»Ich komme darauf zurück, wenn Ungarn nichts bringt.«

Bryan nahm noch einen Zug und fixierte seinen Vater durch den sich verziehenden Rauch.

»Ungarn?«

Sein Vater zog eine Info-Broschüre aus der Hosentasche und warf sie auf den Tisch. In der Kopfzeile prangte das Logo der Krankenkasse, darunter wurde vollmundig eine Kurklinik am Balaton beworben.

Bryan blätterte die Broschüre durch. Auf den Bildern war ein Betonmoloch zu sehen, der an ein Stasi-Gefängnis erinnerte, Sonnenverbrannte lagen an einem schäbigen Pool, am Buffet türmten sich Fleischberge. Im Sommer: Touri-Falle, im Winter: Kurklinik. Geniales Geschäftsmodell, das musste er zugeben.

Sein Vater zuckte mit den Schultern. »Ist für die Kasse wohl billiger als Deutschland.«

Während Bryan versuchte, aus den angebotenen Leistungen schlau zu werden, kam es ihm vor, als blickte sein Vater demonstrativ in der Detektei umher, als wanderte sein Blick über Aktenordner, gerahmte Zertifikate, Ferngläser und Kameras, bis er schließlich wieder auf Bryan ruhte. Verdächtig lange auf ihm ruhte.

»Ich muss studieren«, wehrte Bryan ab. »Ich habe Klausuren!«

»Verstehe.« Sein Vater steckte die Broschüre wieder ein. Er drückte sich von der Scheibe ab und schlich nach hinten, ohne ihn noch einmal anzusehen.

»Warte. Ich will dir was zeigen«, rief Bryan ihm hinterher, als er hörte, wie die Tür zur Wohnung geöffnet wurde. Einen Moment war es still, dann fiel die Tür wieder ins Schloss und sein Vater stützte sich neben ihm auf den Schreibtisch. Bryan drehte den Laptop, sodass beide auf den Bildschirm sehen konnten, und klickte sich durch die neue Website.

Noch bevor er überhaupt irgendwas zu Benutzerführung, Sitemap oder Farbkonzept sagen konnte, tippte sein Vater schon so heftig mit dem Finger gegen den Bildschirm, dass eine dunkle Druckstelle zurückblieb.

»Was soll das denn sein?« Der Fleck befand sich genau auf dem neuen Logo.

»Ein GPS-Fadenkreuz. Als Symbol für moderne Technologie, Tracking, Überwachung.«

»Verstehe ich nicht. Wo ist die Lupe?«

»Welcher Detektiv benutzt denn heute noch eine Lupe?«

Oliver Auster schüttelte den Kopf. »Das verstehen unsere Klienten nicht.«

»Welche Klienten denn?« Bryan knallte den Laptop so aggressiv zu, dass er selbst erschrak.

»Die hier zum Beispiel.«

Sein Vater warf einen Notizblock auf den Tisch. Darauf stand die Telefonnummer, die er von der Mailboxansage mitgeschrieben haben musste. Ertappt. Mal wieder. Sein ganzes Leben ging das schon so. Oliver Auster war wohl doch kein so übler Detektiv.

Weil Bryan nicht reagierte, tippte sein Vater die Nummer selbst ein, drückte den Anruf-Button und hielt Bryan mit forderndem Blick das Telefon hin, aus dessen Lautsprecher dreimal das Freizeichen drang und sich dann eine heisere Frauenstimme meldete: »Miller, hallo?«

4

DER NACHBAR

Colleen klingelt und hält ihren Führerschein vor den Spion. Die Tür öffnet sich einen Spalt breit, und ein rotgesichtiger Mann schaut über die eingehängte Türkette zu ihr hinaus. Er trägt ein mittelpreisiges Jackett, Typ Versicherungsmakler, einen Hagelsturm von Schuppen über beiden Schulterpolstern. Nach dem üblichen Geplänkel von wegen Ihre-Nachbarin-wurde-heute-Nacht-ermordet-haben-Sie-etwas-Ungewöhnliches-bemerkt und Ich-ich-war-die-ganze-Nacht-zu-Hause-aber-halt-mal-Kommen-die-von-der-Kripo-nicht-immer-zu-zweit-könnte-ich-noch-mal-Ihren-Ausweis-sehen-bitte und Äh-Mein-Partner-ist-tot-er-wurde-erschossen-und-ich-hätte-ihm-Deckung-geben-sollen-Schluchz lässt er Colleen endlich herein, und sie setzt sich auf den einzigen Stuhl an seinem Küchentisch. Aus dem Radio plärrt die Werbung vor den Neun-Uhr-Nachrichten, gesungene Jingles von lokalen Möbelhäusern, Autohändlern, Baumärkten: »Hier darf man noch Mann sein!«

Der Mann, Montag, Rolf Montag, wie er sich nun vorstellt und dabei einen adäquat geschockten Gesichtsausdruck zur Schau trägt, schließlich wurde in unmittelbarer Nachbarschaft ein Leben ausgeblasen, holt einen Klappstuhl aus der Ecke und setzt sich ebenfalls, springt dann aber sofort wieder nervös auf, um etwas zu trinken anzubieten – »Wasser, Kaffee, Orangensaft, Tee grün oder schwarz, Kakao – habe ich schon Kaffee gesagt?« (sehr verdächtige Doppelung) –, und obwohl Colleen der Blick auf die verkalkte Maschine jetzt schon Bauchkrämpfe verpasst, sagt sie, Ja, ein Kaffee wäre nett, weil Zeugen schneller die Verhörsituation vergessen und hemmungslos drauflosplappern, wenn sie dabei etwas Alltägliches zu tun haben. Die natürliche, eingeübte Aktivität der Hände triggert wohl irgendwie die Aktivität des Sprachzentrums, das hat Colleen in siebeneinhalb Jahren Polizeidienst empirisch festgestellt, da muss irgendein neuronaler Zusammenhang bestehen, vielleicht sollte sie das mal den Polizeipsychologen fragen, denkt sie jetzt, vielleicht ein gemeinsames Forschungsprojekt vorschlagen, durch das sie beim Dienststellenleiter ein paar Stunden weniger an der Front herausschlagen kann – aber dann fällt Colleen ein, dass sie gerade nicht mit dem Psychologen redet, wegen der ungünstig verlaufenen Sache auf der letzten Betriebsfeier.

»Um welche Nachbarin geht es überhaupt?« Montag fischt den klammen Filter mit einem Kaffeeklumpen aus der Maschine.

Colleen versucht fieberhaft, sich ans Klingelschild zu erinnern. Meyer, Müller, Schmidt, irgend so was. »Frau Jones?«

Montag kratzt sich am Kopf. »Die alte Jones wurde schon vor ein paar Monaten im Sarg hier durch’s Treppenhaus getragen. Herzinfarkt und Ende Gelände.«

»Haben Sie eine Ahnung, wer jetzt dort wohnt?«

»Ab und zu sehe ich mal ein Pärchen im Treppenhaus. Dachte, das sind vielleicht die Nachmieter.«

Colleen wiederholt ihre Eingangsfrage, ob er in der letzten Nacht etwas Ungewöhnliches bemerkt habe.

»Man hat es klopfen gehört«, sagt Montag nach einer kurzen Pause und löffelt Kaffee in einen neuen Filter, ein leichter Tremor in seiner Hand, das Pulver rieselt auf die Fliesen.

»Ein Klopfen? Wie hat sich das angehört?«

»Ich hab mir nicht groß was dabei gedacht. Das passiert immer mal wieder, wenn die da sind. Dass da irgendwas gegen die Wand hämmert …«, sagt der Typ, und Colleen sieht seinen zuckenden Mundwinkeln an, dass er es zumindest für eine teilweise gerechte Strafe hält, dass kurz nach dem Klopfen ein bisschen Hirn in der Küche verspritzt wurde. Der Kaffee beginnt, in groben Tropfen in die verkalkte Kanne zu strullen. Montag zögert. »Wenn Sie mich fragen, war das eine Domina. Dauernd gab es ein riesiges Geschrei.«

Könnte auch eine normale Ehe gewesen sein.

»Nie neugierig gewesen, wer da hämmert? Nie durch den Spion ins Treppenhaus gelinst?«

Montag senkt die Augen, kehrt das verstreute Kaffeepulver mit dem Fuß zusammen.

»Glauben Sie, der Zuhälter hat sie erschossen?«, fragt er schließlich.

Colleen horcht auf. »Sie haben also einen Schuss gehört?«

Montag schüttelt den Kopf. »Nein, nein, aber …«

Schalldämpfer, notiert Colleen und sieht Montag durchdringend an. »Wie kommen Sie dann auf eine Schusswaffe? Davon habe ich gar nichts gesagt. Aber interessant, dass Sie das erwähnen.«

»Na ja, wie bringt man schon jemanden um die Ecke, also ich würde …«