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Erich Schützendorf, Dipl.-Pädagoge, war VHS-Direktor und Fachbereichsleiter für Fragen des Älterwerdens an der VHS des Kreises Viersen, Lehrbeauftragter für Soziale Gerontologie an der Hochschule Niederrhein und Dozent an Fachseminaren für Altenpflege.

Vom Autor außerdem im Ernst Reinhardt Verlag lieferbar: „Das Recht der Alten auf Eigensinn“ (5. Aufl. 2015; ISBN 978-3-497-02570-1) und „Vergesslich, störrisch, undankbar? Demente Angehörige liebevoll pflegen“ (mit Wolfgang Dannecker, 2008, ISBN 978-3-497-02030-0).

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http://dnb.d-nb.de> abrufbar.

ISBN 978-3-497-02711-8 (Print)

ISBN 978-3-497-60420-3 (PDF)

ISBN 978-3-497-60971-0 (EPUB)

© 2017 by Ernst Reinhardt, GmbH & Co KG, Verlag, München

Dieses Werk, einschließlich aller seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne schriftliche Zustimmung der Ernst Reinhardt GmbH & Co KG, München, unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen in andere Sprachen, Mikroverfilmungen und für die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Printed in EU

Covermotiv: © iStock.com / ivanastar

Satz: JÖRG KALIES – Satz, Layout, Grafik & Druck, Unterumbach

Ernst Reinhardt Verlag, Kemnatenstr. 46, D-80639 München

Net: www.reinhardt-verlag.de E-Mail: info@reinhardt-verlag.de

Inhalt

Meine Pflege will ich nicht nur anderen überlassen

Meine persönliche Lebensverfügung

Wünsche aufspüren – Anregungen für Ihre Lebensverfügung

Was ist, wenn sich meine Wünsche ändern?

Wird man mir meine Wünsche erfüllen?

Eine Lebensverfügung unterstützt engagierte Pflegerinnen und Pfleger

Die beste Pflege ist die, die ich mir wünsche

Abbau bedeutet nicht nur Verlust

Musterformular für Ihre Lebensverfügung

Das Ende nicht vergessen

Meine Pflege will ich nicht nur anderen überlassen

Selbstbestimmung ist das gute Recht eines jeden Menschen. Dieses Recht gilt auch, wenn wir gebrechlich und pflegebedürftig werden und auf andere Menschen angewiesen sind.

Weil wir aber dann ohne fremde Hilfe nicht mehr zurecht kommen, nehmen sich diejenigen, die bereit sind, uns zu unterstützen, das Recht mitzuentscheiden, was für uns gut und richtig ist. Das führt dann schon mal zu Auseinandersetzungen. Aber gut, damit kann und muss man leben, denn die Zeit der Selbständigkeit und damit die der uneingeschränkten Selbstbestimmung ist vorbei. Verbundenheit ist jetzt wichtiger als Autonomie. Man kann sich nicht immer durchsetzen, man wird als gebrechlicher Mensch auch zurückstecken müssen.

Was aber passiert, wenn wir nicht mehr in der Lage sind, unseren Willen verständlich zu äußern, unsere Wünsche und Vorlieben mitzuteilen oder sie durchzusetzen? Sei es, weil wir nicht mehr sprechen können, weil der Verstand nicht mehr mitspielt oder weil wir keine Kraft mehr haben.

Dann entscheiden andere für und über uns.

Damit wir nicht ganz dem Willen anderer Menschen ausgeliefert sind, können wir rechtzeitig in einer Patientenverfügung festlegen, wie wir medizinisch behandelt werden möchten, welche Grenzen wir setzen und ob unter bestimmten Voraussetzungen lebensverlängernde Maßnahmen unterlassen werden sollen und man uns sterben lässt.

Viele nutzen diese Möglichkeit, weil sie sich die Zeit des Siechtums nicht zumuten wollen. Sie wollen nicht mit Schmerzen oder ohne Bewusstsein dahinvegetieren, oder sie möchten nicht durch eine Magensonde künstlich ernährt werden. Das kann ich nachvollziehen.

Seltsamerweise nutzt aber so gut wie keiner sein Recht auf Selbstbestimmung für sein Wohlbefinden und die Lebensqualität bei Gebrechlichkeit und Pflegebedürftigkeit. Dabei kommt doch gerade in dieser Zeit der Abhängigkeit dem Wohlbefinden eine besondere Bedeutung zu.

Ich für meinen Teil will die Entscheidungen über mein Wohl und Wehe dann, wenn ich mich in andere Hände begeben habe, nicht ausschließlich den anderen überlassen. Zwar bin ich sicher, dass die meisten, die mich betreuen und pflegen, in guter Absicht handeln, jedenfalls nicht gedankenoder gar gewissenlos. Aber aufgrund meiner über 40-jährigen Erfahrung mit der Pflege in Familien und Pflegeeinrichtungen wage ich zu bezweifeln, ob alle Entscheidungen, die zu meinem Wohle getroffen werden, in meinem Sinne sein werden.

Nehmen wir an, eine Betreuerin fragt mich, womit sie mir eine Freude bereiten kann, weil ich freud- und anteilslos in meinem Sessel sitze. Ich würde ihr gerne sagen, die größte Freude bestünde für mich darin, dass sie mich ungestört dösen lässt und mich mit ihrer Frage erst gar nicht behelligen soll. Das kann ich ihr aber nicht mehr mitteilen, weil ich die passenden Worte nicht finde oder weil sich ein Nebel um meine Gedanken gelegt hat. Die junge Frau will das Beste, ist aber auf Vermutungen angewiesen, weil sie nirgendwo nachlesen kann, wie mein Lebensentwurf für die letzte Phase meines Daseins aussieht.

Woher soll sie wissen, dass ich Ruhe, Stille und Nichtstun der aktiven Teilnahme vorziehe, wenn ich diesen Wunsch nicht aufgeschrieben habe, als ich noch dazu in der Lage war.

Woher soll sie wissen, welche Schokoladensorte ich favorisiere, wenn sie es nicht nachlesen kann.

Also habe ich angefangen, meine Einstellungen sowie meine Vorlieben und Wünsche in einer Lebensverfügung niederzuschreiben. Eine Lebensverfügung ist – davon bin ich überzeugt – neben einer Vorsorgevollmacht und Patientenverfügung eine sinnvolle Vorsorgemaßnahme.

Wie hilfreich eine Lebensverfügung sein kann, wurde mir während eines Aufnahmegespräches in einer Pflegeeinrichtung klar. Die Pflegedienstleiterin, die sich bei der Tochter nach dem Leben und den Gewohnheiten der dementen Mutter erkundigte, fragte nach dem Lieblingsgetränk der zukünftigen Bewohnerin.

„Kaffee“, gab die Tochter zur Antwort.

„Eine besondere Sorte?“ hakte die Pflegedienstleiterin nach, weil sie aus Erfahrung weiß, dass alte Menschen, die ihr anvertraut sind, je nach Stimmung mal lieber diese, mal jene Sorte Kaffee bevorzugen.

Darauf konnte die Tochter keine Antwort geben.

Sie wusste es nicht, und die Mutter hatte es nie für nötig befunden, ihre speziellen Vorlieben mitzuteilen.

Jetzt war es zu spät.

Es sind eher die kleinen Dinge, die eine besondere Bedeutung erhalten, wenn die Lebenskreise im Alter enger werden. Und die Bedeutung, die diese Kleinigkeiten haben, kann keiner – in diesem Falle nicht einmal die Tochter – wissen, wenn man sie nicht aufgeschrieben hat. Nach diesem Erlebnis habe ich mich gefragt:

  Was ist mir wichtig?

  Worauf kann ich schlecht verzichten?

  Was bereitet mir Lust, Freude?

  Was löst bei mir angenehme Schwingungen aus?

  Was bleibt von mir, wenn der Verstand nicht mehr im Vordergrund steht?

Das Ergebnis meiner Überlegungen kann nun jeder, in dessen Hände ich mich begebe und der mir ab und an eine Freude bereiten will, in meiner Lebensverfügung nachlesen.

Meine persönliche Lebensverfügung

Ich möchte im Sommerregen nach draußen gefahren werden, um den Regen zu spüren, die warmen Tropfen, die auf meinen Körper klatschen. Sollte sich danach herausstellen, dass ich eine Lungenentzündung bekomme, so ist das nicht schlimm, auch nicht, wenn deren Verlauf tödlich ist. Ich übernehme die Verantwortung.

Auf jeden Fall will ich einmal am Tag mit Süßigkeiten versorgt werden. Die von mir bevorzugten Schokoladensorten sind „Nuss-Nougat“, wenn es mir gut geht, und „Zartbitter“, wenn es mir nicht so gut geht. Ich halte den Wunsch an dieser Stelle schriftlich fest, damit keiner auf die Idee kommt, mir meine tägliche Dosis Schokolade mit dem Hinweis auf meinen erhöhten, ja lebensbedrohlichen Blutzuckerwert zu verweigern.

Ich möchte, dass man mich zu meinen Lieblingsorten bringt und mich dort verweilen lässt. Meine Lieblingsorte, an denen ich ruhend und staunend verweilen möchte, sind:

  Große Baustellen

  Wochenmärkte

  Seeufer

Ich will zu den Heimspielen von Borussia Mönchengladbach gegen den 1.FC Köln gefahren werden, auch dann, wenn ich nichts mehr sehe und kaum noch etwas höre.

Ich lasse mich gerne verwöhnen. Manchmal ist mir alles zu mühselig, dann will ich noch nicht mal meinen Arm heben, um zu essen. Ich werde es genießen, wenn man mich an solchen Tagen liebevoll füttern wird.

Ich liebe zauberhafte und poetische Momente, und ich liebe erotische Augenblicke. Man darf mich ungefragt berühren, drücken, mit mir schmusen, kuscheln und zärtlich sein. Ich werde das auf keinen Fall als übergriffiges Verhalten deuten.

Ich will, dass die Steine, die ich auf meinen Urlaubsreisen gesammelt habe, einen Ehrenplatz erhalten, damit ich sie immer sehen und betasten kann, wenn mir danach ist.

Sollte ich nach einem Schlaganfall meine Arme und Hände nicht mehr bewegen können, will ich, dass man mir abends eine Zigarre zum Mund führt und mir die Gelegenheit verschafft, ein paar Züge zu machen.

Ich bestehe auf einem kleinen Glas Wein zum Mittagessen, auch für den Fall, dass meine Leberwerte keinen weiteren Tropfen Alkohol zulassen wollen.

Es muss allerdings Weißwein sein, weil ich in letzter Zeit merke, dass mich Rotwein zu sehr besoffen macht.

Ich habe ein paar Angewohnheiten, auf deren Einhaltung ich nicht verzichten will. So will ich, dass man mir morgens, wenn man mich aus dem Bett geholt und auf den Nachtstuhl gesetzt hat, die Tageszeitung reicht. Ich möchte, dass man mir die Zeitung auch dann reicht, wenn ich sie nicht mehr lesen kann.

Ich neige zu Tagträumereien. Wenn ich mit offenen Augen durch meine Umgebung hindurchsehe, soll man mich in Ruhe lassen. Niemand soll auf die Idee kommen, mich in die Wirklichkeit zu holen, mich abzulenken oder mir einen Rat zu geben, was mir besser täte, als vor mich hin zu starren.

Sollte ich mein Zimmer nicht mehr finden, wünsche ich kein Bild eines Lieblingstieres an meiner Tür, sondern ein frisch gezapftes Glas Kölsch in meinem Zimmer. Dann werde ich mein Zimmer auf jeden Fall finden.

Ich wünsche mir, sanft und sinnlich gewaschen zu werden und danach mit meinem Lieblingsparfüm eingesprüht zu werden.

Sollte ich eine Vorliebe für meinen Kot entwickeln, soll man mich bewundern, wenn ich damit spiele. Allerdings sollte man mit dessen Entfernung nicht allzu lange warten.

Erich Schützendorf

Meine Wünsche klingen für den ein oder anderen ein wenig speziell. Aber so sind sie nun mal.

Man wird sie noch mit ein paar Formalien ergänzen müssen, damit sie vor den Augen der Betreuenden und Pflegenden Bestand haben. Ein Muster, das diese Formalien enthält, finden Sie am Ende dieses Büchleins.

Zunächst hoffe ich, dass Sie, liebe Leserin, lieber Leser, durch meine Erläuterungen angeregt werden, über Ihre eigenen sehr persönlichen Empfindsamkeiten, Befindlichkeiten und Sehnsüchte nachzudenken und sie anschließend zu Papier bringen.

Eine Vielzahl von unterschiedlichen Lebensverfügungen würde – das ist meine weitere Hoffnung – die professionalisierte Altenpflege, die sich immer weiter von den Menschen entfernt, um die sie sich kümmert, zum Nachdenken bringen.

Ich halte es für sehr wahrscheinlich, dass einige der hochqualifizierten Pflegeexperten und Pflegeexpertinnen beim Lesen meiner Wünsche irritiert, amüsiert oder gar erschrocken sein werden. Ganz nett, werden sie denken, aber nicht ernst zu nehmen. Dann werden sie sich unter Bezug auf die offiziellen Pflegeinstanzen Argumente zurechtzulegen, damit aus fachlicher Sicht meine Wünsche nicht erfüllt werden dürfen.