Cover

Kurzbeschreibung:

Kaum gelingt es Alex ihre Beziehung zu Marcos wieder einigermaßen zu kitten, holt ihre Vergangenheit sie ein. Ihr Noch-Ehemann Holger hat die Scheidung eingereicht und Alex weiß wie ernst er seine Drohung meint. Die Hoffnung auf eine glückliche Zukunft schwindet. Alex muss wohl oder übel zurück nach Deutschland und sich Holger stellen auch wenn sie sich davor fürchtet. Aber sie ist nicht alleine, Marcos weicht nicht von ihrer Seite. Es stellt sich heraus, dass hinter dem verschwiegenem Canario viel mehr steckt, als sie jemals ahnen konnte. Alex schöpft endlich wieder Hoffnung und nimmt ihr Vorhaben mit neuem Mut in Angriff. Sie kann nicht ahnen, dass das Schicksal - wie so oft -seine eigenen Pläne verfolgt.

Gabriele Ketterl

Puerto de Mogán

Paradies im zweiten Anlauf



Ein Gran-Canaria-Roman

Edel Elements

13. Was lange währt …

„Das ist es! Ich wusste, wir schaffen es.“ Viel fehlte nicht, und Alex hätte Martín umarmt. „Ich dachte immer, die Kabelkanäle für die diversen Stromkabel und Co. seien viel zu unflexibel und starr.“

„Ja, Alexandra, das, was Sie sich in der Wohnung hinter irgendwelchen Leisten verlegen lassen, das ist starr. Aber es gibt ja schließlich auch Ecken oder Nischen, in denen Biegsamkeit gefragt ist. Alles entwickelt sich weiter.“ Stolz musterte Martín das gemeinsame Werk dieses Nachmittages.

Das alte Bewässerungssystem für die Terrassen war marode und nicht mehr zu gebrauchen gewesen. Einzig die Wasserleitung im Garten tat noch ihren Dienst. Eigentlich war Alex davon ausgegangen, zukünftig mit der Gießkanne herumlaufen und von Hand wässern zu müssen. Nun hatten sie an einem einzigen Tag neue, widerstandsfähige Leitungen verlegt und sie funktionierten einwandfrei.

„Soll ich ehrlich sein? Nie und nimmer hätte ich geglaubt, dass wir alles so schnell in den Griff bekommen. Martín, ich habe Ihnen und Ihren Männern so viel zu verdanken. Wie kann ich das denn jemals wiedergutmachen?“

Martín kratzte sich lachend an seinem Stoppelkinn. „Abwarten, Alexandra, Sie haben ja meine Rechnung noch nicht gesehen.“

„Die kann nicht so schlimm sein. Ich kenne Ihre Abschlagszahlungen.“

Der sichtlich zufriedene Handwerker klopfte ihr aufmunternd auf den Rücken. „Laden Sie mich einfach zur Eröffnung Ihrer Finca ein. Und denken Sie auch daran, die Hotelleute, Agenturen, Entscheider der Reiseunternehmen und so weiter einzuladen. Das ist wichtig. So schön, wie es hier wird und jetzt schon ist, macht das gewiss einen sehr guten Eindruck.“ Martín ließ seinen Blick über das Anwesen schweifen. „Mit all den regionalen Pflanzen, den vielen alten Sorten, die so prächtig gedeihen, und den Verkostungen können Sie wirklich Furore machen, das wissen Sie, oder?“

Alexandra nickte euphorisch. „Ja, langsam glaube ich das auch. Sobald die Mangos reif sind – hier muss ich eben zukaufen –, möchte ich auch zusätzlich Kurse für ausgefallene Gerichte anbieten und zeigen, was man daraus alles zaubern kann. Das kann ich mit vielen anderen Produkten ebenfalls tun. Im Gewächshaus werde ich Regale aufstellen, in denen ich selbst gemachte Produkte anbiete. Das können auch andere Dinge von Leuten aus dem Ort sein. Mojos beispielsweise. Diese leckeren Soßen gibt es bei uns in Deutschland nie in der hiesigen Qualität. Oder Palmhonig, Honigrum und so vieles mehr. Ich kann es kaum mehr erwarten, richtig loszulegen.“

„So gefallen Sie mir! Und noch etwas möchte ich Ihnen nicht verschweigen. Die Menschen hier in Mogán mögen Sie. Das ist wichtig. Man schätzt Ihren Einsatz dafür, das Althergebrachte zu erhalten.“ Er grinste sie schelmisch an. „Ein paar Damen sind Ihnen noch etwas gram, da Sie ihnen Marcos weggeschnappt haben, aber das legt sich auch bald.“

„Marcos!“ Alex schlug sich mit der flachen Hand gegen die Stirn. „Himmel, den hätte ich jetzt beinahe vergessen. Und das ausgerechnet wegen Kabelkanälen. Erzählen Sie ihm das bloß nie.“

„Ich schweige wie ein Grab.“

Sie verabschiedete sich herzlich von Martín, wusste sie doch, was sie dem erfahrenen Mann alles zu verdanken hatte, und lief im Laufschritt in Richtung Café. Heute war endlich der große Tag. Nachdem Ramona Marcos fast eine Woche vertröstet hatte, war sie heute bereit, sich mit ihm zu treffen.

Als sie vollkommen atemlos in das Café stürzte, stand Marcos schon abfahrbereit am Tresen. „Hey, langsam, amor, keine Panik. Wir kommen schon noch rechtzeitig. Wo hast du denn gesteckt?“

„Wasserleitungen.“

„Ähm, wie bitte?“

Sie atmete ein paar Mal tief durch, und als ihr Puls wieder annähernd auf Normallevel war, schaffte sie es, verständlich zu antworten. „Wir haben das Bewässerungssystem erneuert und waren sehr erfolgreich. Ich bin richtig zufrieden, die Finca ist ein Traum geworden.“

Marcos umrundete den Tresen, umschlang ihre Schulter und küsste sie. „Das hast du dir verdient, du hast hart dafür gearbeitet.“ Er griff nach seinem Autoschlüssel, verabschiedete sich von der Angestellten und zog Alex mit sich. „Dann wollen wir einmal.“

Im Auto war er verdächtig schweigsam.

„Was ist denn los? Worüber grübelst du so angestrengt nach?“ Sie legte ihm beruhigend eine Hand auf den Oberschenkel. „Glaubst du, sie wird überzogene Bedingungen stellen?“

„Nein.“ Marcos schüttelte den Kopf. „Das ist es nicht. Sie weiß von Christo, dass ich Anwalt bin und sie – was ich nicht vorhabe – in Grund und Boden klagen könnte. Ich verstehe nur ihre Taktik nicht. Was verspricht sie sich davon, mich eine Woche hinzuhalten? Denkt sie wirklich, dass sie mich damit für sich gewinnen könnte?“

„Sekunde. Ist es das, was du denkst? Du glaubst, sie hofft darauf, dass du dich doch für sie und das Kind entschieden hast, und will dich nun mit der Hinhaltetaktik einfach nur ärgern?“ Natürlich, dass sie darauf nicht selbst gekommen war.

„Naiv genug wäre sie allemal. Das Kind ist ein mächtiges Druckmittel, das weiß sie. Obwohl ich ihr unmissverständlich versucht habe klarzumachen, dass ich mich für dich entschieden habe.“

Alex lehnte sich in ihrem Sitz zurück und blickte grübelnd auf die vorüberziehende Landschaft. Es hatte in der vergangenen Nacht kurz geregnet. Eine Seltenheit hier in Mogán und im Barranco. Der Regenschauer hatte ausgereicht, um die Büsche und Sträucher an den Hängen erblühen zu lassen. Wie schnell das jedes Mal ging, grenzte wirklich an ein Wunder. Nach der nächsten Kurve lag in der Ferne der Atlantik vor ihnen, dunkelblau und in der Sonne glitzernd, mit silbernen Schlieren, wo die starken Strömungen verliefen. Alex konnte es nicht in Worte fassen, wie sehr sie ihre neue Heimat liebte. Wenn nun noch das Gespräch gut verlief und Ramona es nicht darauf anlegte, Marcos das Leben schwer zu machen, dann war tatsächlich alles in bester Ordnung.

„Weiß sie, dass ich mitkomme?“

„Nein. Wie du vorgeschlagen hast, habe ich ihr dieses maßgebliche Detail verschwiegen.“

„Gut, wir können an ihrer Reaktion dann wahrscheinlich schnell sehen, was in ihr vorgeht. Ich bin wirklich neugierig.“

Marcos hatte mit Ramona vereinbart, sich an der Churreria zu treffen, einem Bistro am Ende der langen Promenade, die von den großen Hotels zum Strand führte. Am Nachmittag war es hier ruhig und man konnte sich gut unterhalten.

Alex sah Ramona schon von Weitem. Die junge Frau trug ein tief ausgeschnittenes, ausgesprochen reizend anzusehendes Blümchenkleid, das ihre makellose Figur bestens zur Geltung brachte. Alex verspürte einen leichten Stich. Noch einmal so jung sein, noch einmal ganz von vorne beginnen zu können … eine schöne Vorstellung. Schnell schüttelte sie diese unsinnigen Gedanken ab. Schließlich war es genau das, was sie gerade tat: neu anzufangen, und das mit einem wunderbaren Mann an ihrer Seite.

Nun hatte offenbar auch Ramona sie entdeckt, denn obwohl sie bei Marcos’ Anblick zunächst freudig strahlte, verschwand das erwartungsvolle Lächeln sofort, als sie Alex entdeckte.

Sie schlängelten sich durch die Tischreihen und erreichten die eindeutig enttäuschte junge Frau. Es fiel Alex schwer, nicht zu lachen. Es fehlte wirklich nur noch, dass Ramona ihre volle Unterlippe schmollend vorgeschoben hätte.

„Ich wusste nicht, dass sie mitkommt.“

Eine nicht wirklich freundliche Begrüßung. Aber Alex hatte auch nichts anderes erwartet. Mit Aktionen, die andere unter Druck setzen sollten, war sie durchaus vertraut.

Marcos ging erst gar nicht auf die Spitze ihrer Bemerkung ein. „Ramona, ich habe Alexandra mitgebracht, da ich mit ihr über alles gesprochen habe.“

„Ach, und darf ich fragen, wie deine Entscheidung ausgefallen ist? Stehst du nun zu deinem Kind?“

Da war sich wohl jemand seiner Sache sehr sicher. Alex war froh, dass Marcos sich auch jetzt nicht provozieren ließ, sondern sehr ruhig antwortete: „Ich habe von Anfang an gesagt, dass ich zu dem Kind stehe. Nur wird das alles nichts an unserer Beziehung ändern. Ich sage es gerne noch einmal, dass ich Alexandra liebe und sie nicht wegen dieser Schwangerschaft verlassen werde.“

Ramona setzte sich aufrecht und strich ihr Kleid glatt. „Das bedeutet also für mich, dass dir unsere Beziehung vollkommen unwichtig ist und du dich lediglich finanziell aus der Affäre zu ziehen gedenkst?“

Marcos zog einen der Stühle zurück, wartete, bis Alex sich gesetzt hatte, und ließ sich dann leise stöhnend in einen anderen Stuhl sinken. „Ramona, begreifst du es denn nicht? Es gab nie eine Beziehung. Es war eine einzige Nacht und ich habe schon diverse Male beteuert, dass es mir leidtut.“

Ein freudloses Lächeln kräuselte Ramonas Lippen. „Danke, das hört jede Frau gerne, dass es dem Mann leidtut. Sehr charmant, wirklich. Du verführst mich und dann wirfst du mich weg wie einen benutzten Lappen?“

So sehr es Alex drängte, etwas zu erwidern, hier musste sie den Mund halten. Das war Marcos’ Sache, da musste er alleine durch. Zumindest im Augenblick.

„Einen Augenblick, meine Liebe, das mit dem Verführen möchte ich nun doch anzweifeln. Ramona, du wusstest sehr genau, was du getan hast, dessen bin ich mir inzwischen absolut sicher. Bitte lass uns realistisch bleiben, dazu gehören immer noch zwei. Und wer hat mich denn regelrecht zum Boot gezogen? Das warst immer noch du. Ich werde mich nicht noch einmal bei dir entschuldigen für etwas, das zu einem großen Teil von dir ausging. Vor allem wusstest du, dass ich in einer festen Beziehung war.“

„Was in jener Nacht wohl kein Hinderungsgrund gewesen ist. Aber um dieses Gespräch abzukürzen: Du hast dich gegen mich entschieden? Deine Entscheidung steht fest? Warum sollte ich dann bitte schön hierherkommen? Warum machst du mir wieder Hoffnungen? Es muss dir doch klar gewesen sein, was ich mir erhofft habe.“

Marcos griff nach Alex’ Hand und holte tief Luft. „Ich habe dich um dieses Treffen gebeten, da ich“, er warf Alex einen liebevollen Blick zu, „nein, da wir uns viele Gedanken zu diesem Kind gemacht haben. Ich möchte, dass es ihm an nichts fehlt, und ich möchte, dass es Eltern hat, die für es sorgen und ihm eine sichere Zukunft bieten können. Was ich garantieren kann, ist, dass es eine liebevolle Familie haben wird. Du hast mir so oft erzählt, wie deine Pläne aussehen. Reisen, andere Länder erkunden, Karriere in der Reisebranche … Egal wie wir es drehen und wenden, da passt nirgends ein Kind hinein. Kurz, Alexandra und ich möchten dir anbieten, dass wir für das Kind sorgen. Selbstverständlich bist du seine Mutter und ich werde alles daransetzen, dass du eine Beziehung zu deinem Kind aufbauen kannst. “

Es war an ihrem Mienenspiel abzulesen, dass ihr der Vorschlag nicht gefiel. Marcos aber sprach unbeirrt weiter. „Es ist nur ein Vorschlag, der dir helfen kann, dein Leben nach deinen Wünschen zu gestalten. Wenn du das nicht möchtest, werde ich natürlich dafür sorgen, dass es dem Kind an nichts fehlt. Wir werden das alles über meine Kanzlei regeln. Du wirst abgesichert sein, egal wie deine Entscheidung ausfällt.“

Alex beobachtete, wie sich die Gesichtszüge der Frau zunehmend verhärteten. Sollte sie wirklich recht behalten? Alex machte sich ihre eigenen Gedanken, seit Marcos ihr von Ramonas Schwangerschaft erzählt hatte. Ramona wollte Marcos, koste es, was es wolle. War sie tatsächlich so weit gegangen? Hatte sie wirklich gleich in mehreren Dingen gelogen?

Gespannt musterte sie Ramona.

„Das habt ihr euch ja fein ausgedacht. Ihr spielt kleine Familie und ich lande im Abseits? Ihr beide habt euch verdient, ihr seid das Allerletzte. Aber aus dem Familientraum wird leider nichts, ich muss euch enttäuschen.“ Ramona warf wütend den Kopf in den Nacken.

Marcos hob ratlos die Hände. „Das heißt also, du willst mein Kind alleine großziehen?“

„Dein Kind? Du glaubst, ich würde dein Kind großziehen? Damit ich noch einen Macho auf diese Welt loslasse? Nein, das denke ich eher nicht.“

Alex sah, dass Marcos blass wurde. Seine Finger krampften sich so fest um ihre, dass es zu knacken begann und Alex sorgenvoll auf ihre Linke blickte.

„Ramona, sagst du etwa gerade, dass du das Kind nicht willst? Du willst es abtreiben lassen?“

Die junge Frau griff nach ihrer Handtasche, die über der Rückenlehne baumelte. „Das würde ich, wenn es ein Kind gäbe. Ich habe heute meine Tage bekommen. Ich bin nicht schwanger, du bist aus dem Schneider.“ Sie stand auf und warf ihre Tasche in einer zornigen Geste über ihre Schulter. „Und damit ich euren Anblick nicht länger ertragen muss, werde ich um meine Versetzung nach Lanzarote bitten. Tut mir wirklich leid, eure Träume platzen zu lassen.“

Ohne auf Marcos’ Antwort zu warten, rauschte sie hoch erhobenen Hauptes davon.

Alex ließ sich tiefer in ihren Sessel sinken. „Ich hab’s geahnt. Es passte einfach zu ihr. Das kleine Biest hat tatsächlich alles nur erlogen.“

Marcos verstand offenbar noch nichts. „Verzeih mir, aber muss ich das kapieren?“

Sie zuckte die Achseln und schenkte ihm ein aufmunterndes Lächeln. „Sie hat nie wirklich geglaubt, schwanger zu sein. Sie hat auf deine Gutmütigkeit oder auf deinen männlichen Stolz gebaut. Ein Kind mit einer hübschen jungen Frau, ganz ehrlich, mancher Mann hätte sich anders entschieden als du. Sie konnte allerdings nicht mit deinem Charakter und deiner Loyalität mir gegenüber rechnen.“

„Glaubst du wirklich?“ Noch war er nicht überzeugt.

„Vertrau mir, mit Psychospielchen habe ich viele Jahre Erfahrung, leider.“

Marcos vergrub sein Gesicht in seinen Händen. „Oh Mann, ich schwöre dir, so etwas passiert mir nie wieder.“

Wortlos beugte sich Alex zu ihm und nahm ihn in die Arme.

Der Hochsommer auf Gran Canaria glänzte mit stahlblauem Himmel und Temperaturen um die achtunddreißig Grad. Alex genoss es. Die Finca war fertig, der Garten ein Blütenmeer, die Gemüsepflanzen trugen erste Früchte, die Beerensträucher waren gut verwurzelt und würden demnächst reiche Ernte einbringen. Das Haus entsprach genau ihren Vorstellungen und dank Martín waren sie mit allem rechtzeitig fertig geworden. Die Veranda erstrahlte in neuem Glanz und ihr Glücksbusch blühte, dass es eine Wonne war. Im Gewächshaus gediehen Zuchtpflanzen und die Holzregale waren mit lokalen Spezialitäten und zahlreichen Gläsern ihrer Mangomarmelade bestückt. Voller Stolz betrachtete sie zum wohl hundertsten Mal die schön gestalteten Flyer und Visitenkarten, für die Sebastian und Marcos sich kreativ eingebracht hatten. Aus Puerto de Mogán hatte Lisa, die Besitzerin des Cafés, duftende Kekse mitgebracht, die ebenfalls für den Verkauf gedacht waren. Zudem hatten sie und ihr Mann heute das Catering übernommen.

„Unglaublich. Es ist wirklich begeisternd, was du aus dem alten Gemäuer gezaubert hast.“ Lisa betrachtete den Garten und die Finca eingehend. „Wunderschön, ein Traum, wirklich.“

Ja, ihr Traum war Wirklichkeit geworden. Vor ihr breitete sich der Garten aus, der Blick in den Barranco wurde von der strahlenden Sonne vergoldet und rund um sie herum flanierten grob einhundert Menschen. Endlich war es so weit, der Tag der Eröffnung. Noch immer konnte Alex es kaum fassen.

„Herzelein, habt ihr irgendwo noch mehr Gläser versteckt?“ Leonie wirbelte aus der Küche herbei, wo sie Sebastian dabei unterstützte, Cocktails zu zaubern.

„Ja, natürlich. Gleich im großen Regal neben dem Küchentresen. Du solltest doch eigentlich den Tag mit mir gemeinsam genießen und nicht arbeiten.“

Leonie fiel ihr kurzerhand um den Hals. „Schätzchen, als Arbeit würde ich das nicht gerade bezeichnen. Mit einem dermaßen hübschen Kerl flirten zu dürfen und gleichzeitig deine unglaublich schöne Küche genießen zu können … Och, ich find das alles recht paradiesisch.“ Leonie trat einen Schritt zurück und musterte Alex kritisch. „Du siehst müde aus. Verdammt glücklich, aber müde.“

„Ja, es war anstrengend und teilweise hart. Ich möchte trotzdem keinen einzigen Tag davon missen, verstehst du das?“

Leonie hob mit vielsagendem Lächeln die rechte Augenbraue. „Und wie ich das verstehe. Es ist einfach himmlisch hier. Später gönnen wir uns in aller Ruhe eine Lumumba und stoßen auf deine Zukunft an. Ich verschwinde wieder in die Küche, so hübsche Männer lässt man nicht warten.“ Weg war sie.

Alex sah ihr kopfschüttelnd nach. Ihre Freundin hatte ihr gefehlt. Dass sie gekommen war, bedeutete ihr viel.

Langes Nachdenken war ihr nicht vergönnt, da der Bürgermeister sie sofort mit Beschlag belegte und ihr zahlreiche Gäste persönlich vorstellte. Aus zwei Gesprächen resultierten feste Aufträge, was Alex sehr beruhigte. Ihre Idee kam gut an. Zwei Reiseveranstalter hatten spontan für ein Jahr Besuche auf ihrer Finca gebucht, eine Hotelkette ebenso, und das gleich in Verbindung mit einem jeweils zweistündigen Kochkurs. Das Grand Hotel hatte sie für die Blumendeko bei Veranstaltungen fest eingeplant und ein kleiner örtlicher Veranstalter nahm sie als Punkt für sein exklusives Damenprogramm bei Firmenevents auf. Einige Gäste kauften eifrig ein und egal, wohin sie auch blickte: überall nur fröhliche Gesichter und sichtlich zufriedene Menschen.

Als Don Gerardo sie kurz aus seinen Fängen ließ, sah Alex sich um. Wo steckte eigentlich Marcos?

Die Frage erübrigte sich an der Veranda vor ihrem Wohnzimmer: Sie fühlte, wie jemand nach ihrer Hand griff und sie mit sich zog.

„Marcos, ich kann doch nicht …“

Sein Lachen klang herausfordernd. „Du bist hier die Chefin, du kannst alles.“

„Schon, aber die Gäste …“

„Kommen auch kurz alleine zurecht. Lisa, Leonie, Juan und Sebastian haben das prima im Griff.“

Ohne auf ihre – zugegeben schwache – Gegenwehr zu achten, zog er sie ins Schlafzimmer. Es war traumhaft schön geworden. Pastellfarbene Wände und weißes Holz. Marcos und Sebastian hatten tatsächlich ein Himmelbett mit apricotfarbenen Vorhängen gebaut und es ihr vergangene Woche geschenkt.

Marcos schloss die Tür hinter sich und deutete auf den schönen alten Sekretär, den sie selbst abgeschliffen und in Mittelmeerblau lasiert hatte.

„Schau doch mal, was heute in der Kanzlei angekommen ist. Mein Kollege war so lieb, es extra vorbeizubringen.“

Ihr Blick fiel auf ein bedrohlich aussehendes graues DIN-A4-Kuvert. „Sollte ich wissen, was das ist?“

Sein Lächeln wurde noch breiter. „Dazu musst du es schon aufmachen und lesen.“

„Und es ist nichts, das mir diesen herrlichen Tag verdirbt?“

„Als ob ich dir so etwas heute zumuten würde. Also wirklich. Nun mach schon auf.“

Noch immer unsicher griff Alex nach dem Kuvert und öffnete es umständlich. Ein ganzer Papierstapel kam ihr entgegen.

„Das Wichtigste ist das Anschreiben ganz oben, na komm, lies es.“

Zuerst begriff sie es nicht, dann aber dämmerte es ihr. „Die Scheidungspapiere? Es ist tatsächlich so weit? Muss ich die nicht in Deutschland unterschreiben?“ Marcos nickte. „Ja, dazu musst du tatsächlich noch einmal zurück. Aber es ist bereits in trockenen Tüchern. Holger hat alles unterzeichnet. Darf ich dich ganz besonders hierauf aufmerksam machen?“ Er reichte ihr ein Formular, aus dem sie zuerst nicht schlau wurde, dann aber sprang ihr eine Zahl ins Auge. Sie kniff sicherheitshalber die Augen noch einmal zu und öffnete sie vorsichtig erneut. „Dreihunderttausend Euro! Ist das wahr? Ist das wirklich wahr? Er hat tatsächlich Wort gehalten?“

Marcos nahm ihr das Dokument behutsam aus den zitternden Händen. „Ja, es ist wahr. Holger hat bereits überwiesen. Das Geld war heute schon auf dem Kanzleikonto. Wir haben auch eine Nachricht von ihm erhalten. Er wünscht dir für die Zukunft Glück. Ich glaube, da hat jemand rasch erkannt, dass die Lücke, die du hinterlassen hast, nicht so einfach zu füllen ist.“

„Marcos, weißt du, was das bedeutet? Das heißt, dass ich schuldenfrei in mein neues Leben starten kann.“ Freudestrahlend fiel sie ihm um den Hals.

„Genau das. Und abgesehen davon bleibt dir ein Rosenkrieg erspart, den Holger ja zwischenzeitlich durchaus angestrebt hat.“

Alex hob ihren Kopf und sah zu ihm auf. Seine dunklen Augen blitzten unternehmungslustig. Sie spürte, wie seine Hände sich in den Bund ihrer weißen Leinenhose schoben.

„Marcos, wenn jemand kommt …“

„Kannst du mir sagen, wer etwas in deinem oder vielmehr unserem Schlafzimmer verloren haben könnte?“

„Ja schon, aber …“

„Nichts aber. Wenn ich dich schon ein paar Minuten für mich alleine habe, werde ich das schamlos ausnutzen.“

Er hob seine Hände und umfasste ihren Hinterkopf. Ganz langsam näherten sich seine Lippen den ihren. Alex legte ihre Arme fester um seinen Hals und schmiegte sich an ihn.

„Marcos, ich bin so unendlich glücklich. Noch vor einem Jahr lag mein Leben in Trümmern und nun könnte ich die ganze Welt umarmen.“

Er war nun ganz nah, so nah, dass sie seinen Atem spüren konnte. Er roch nach einer Mischung aus Pfefferminz und Vanille, einer Mixtur, der sie nicht widerstehen konnte. Sein Kuss raubte ihr kurzzeitig den Atem und verwandelte ihre Knie in Gummi. Ohne seine Lippen von den ihren zu lösen, hob er sie hoch, trug sie zu ihrem Bett und legte sie behutsam darauf ab. Seine Finger glitten liebkosend von ihrer Schläfe über ihre Wange und ihren Hals zu ihren Brüsten.

„Ich liebe dich, Alexandra, und nichts und niemand wird das mehr ändern.“

„Nichts anderes wollte ich hören.“ Sie umschlang ihn, so fest sie konnte, und würde ihn so schnell auch nicht mehr loslassen. Mit beiden Händen griff sie in seine dichten Haare.