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Kurzbeschreibung:

Eigentlich glaubt Elisabeth, dass sie ein beständiges Leben führt. Umso überraschter ist sie, als Paul ihr nach über zehnjähriger Ehe die Scheidungspapiere vorlegt. Frustriert flüchtet sie sich in die Welt der schillernden Sissi Filme. Bis sie die Geschichte über die Kaiserin von Österreich auf eine einschlagende Idee bringt: Ein Café im Wiener Stil auf Korfu. Zusammen mit ihrer Schwester Bina und Mops-Rüde Barnabas wagt sie den Neuanfang auf der grünen Insel. Doch von den Korfioten werden die beiden Frauen mit ihrer ungewöhnlichen Geschäftsidee nur belächelt. Die Inselbewohner scheinen keinen Geschmack an Apfelstrudel und heißer Schokolade zu finden. Und dann mischt sich auch noch Ilias, vom Restaurant nebenan, ein und der bringt nicht nur den Laden durcheinander, sondern auch Elisabeth, die den Männern doch für immer abgeschworen hatte.


Claudia Romes

Liebe lieber Griechisch



Roman


Edel Elements

Für meine Mutter und all die starken Frauen da draußen.
Es ist nie zu spät für einen Neuanfang.

Kapitel drei

Erst als Barnabas’ schlabbrige, feuchte Zunge über mein Gesicht fuhr, kam ich wieder zu mir. Nur langsam realisierte ich, was geschehen war. Ich war verraten worden. Meine eigene Freundin hatte mich mit meinem Mann hintergangen und ich hatte es nicht einmal geahnt. Wie bescheuert konnte man sein? Heulend hastete ich in die Küche und durchsuchte sie nach zuckerhaltigen Lebensmitteln. Verzweifelt durchforstete ich die Schränke, ohne auf etwas zu stoßen, das meinen Kummer auch nur annähernd mildern konnte. Seit Pauls Cholesterinwerte grenzwertig waren, hatte ich meine Einkaufsangewohnheiten komplett umgekrempelt. Jetzt bereute ich das! Meine Seele verlangte nach Hochkalorischem, nach Ungesundem und die Tatsache, dass nichts griffbereit war, trieb mir nur noch mehr Tränen in die Augen. »Dem Himmel sei Dank!«, rief ich aus, nachdem ich mich kopfüber in die Kühltruhe gestürzt und dort tatsächlich etwas entdeckt hatte. Die Familienpackung Karamell-Vanilleeiscreme hatte ich wohl beim Ausmisten übersehen. Mindestens haltbar bis Dezember 2016 – seit einem Jahr und drei Monaten abgelaufen – egal. Ich riss den Deckel herunter und schaufelte die sahnige Masse in mich hinein, ohne Rücksicht auf etwaig folgende Magenschmerzen oder Speckrollen. Wen kümmerte das jetzt noch?

In den darauffolgenden Tagen tat ich nichts weiter, als vor dem Fernseher zu sitzen und ungesundes Zeug in mich hineinzufressen, das ich im Eilverfahren im Supermarkt besorgt hatte. Vermutlich wäre das ewig so weitergegangen, wäre meine Schwester nicht eines Tages aufgetaucht.

Es klingelte schon zum dritten Mal an der Tür, als ich mich endlich aufraffte.

»Elisabeth! Mach auf. Sonst trete ich die Tür ein«, hörte ich Bina vor der Tür, in ihrer gewohnt feinfühligen Art.

»Wenn du nicht öffnest, muss ich die Polizei rufen. Bist du tot? Wegen dir ruft mich Brigitte die ganze Zeit an. Sie kann dich nicht erreichen. Du weißt, wie ich es hasse, wenn sie mich nervt. Es wäre also besser für dich, wenn du schon tot wärst, sonst müsste ich dich jetzt dafür umbringen.«

Ich öffnete.

»Du bist also nicht tot!«

»Schockiert dich das?«

Sie schob sich hinein und schloss die Tür hinter sich, anschließend besah sie mich kritisch von Kopf bis Fuß.

»Na ja, du siehst aber auch nicht gerade aus wie das blühende Leben. Ist alles in Ordnung?«

Diese Frage konnte ich gerade gar nicht vertragen. Ich watschelte zurück ins Wohnzimmer. Und wieder brach in mir der Tränendamm. »Gar nichts ist in Ordnung. Paul hat mich verlassen.«

»Oh.« Bina hob die Augenbrauen, während der Rest von ihr völlig ungerührt blieb. Ich sank zurück in die Sofakuhle, die ich in den vergangenen Tagen sorgfältig angelegt hatte.

»Wann hat er dich denn verlassen?«

»Es war ein Sonntag«, antwortete ich mit bibbernder Unterlippe. Blind griff ich nach der Taschentuchpackung, zog eines heraus und schnäuzte mich.

»Na so was.« Bina schob Barnabas unsanft beiseite, ließ sich neben mich in den Sitz fallen und strich sich das kinnlange, grellrote Haar zurück. »Das hätte ich jetzt nicht gedacht.«

»Ja, dabei war der Sonntag doch immer unser spezieller Tag«, heulte ich.

Sie stöhnte genervt. »Das hab ich nicht gemeint. Ich hätte meinen Arsch darauf verwettet, dass du ihn irgendwann in den Wind schießt. Diesen langweiligen Kotzbrocken.«

Ich starrte sie schockiert von der Seite an. »Aber ich habe Paul geliebt.«

Wieder stöhnte sie auf. »Na, das versteh mal einer!«

»Was willst du überhaupt hier?«, hakte ich mit immer noch zittriger Stimme nach.

»Glaub mir, ich könnte mir auch Schöneres vorstellen, als hier zu sitzen und dir dabei zuzusehen, wie du wegen diesem Mistkerl die Flutschen hängen lässt, aber deine Mutter macht sich Sorgen.«

Ich zog die Nase hoch. Genau genommen war es auch Binas Mutter, aber Bina hatte überhaupt keinen Draht zu ihr, weshalb sie sie schlicht bei ihrem Vornamen nannte: Brigitte.

»Sie macht sich Sorgen?« Das überraschte mich. Für gewöhnlich kümmerte sich unsere Mutter um niemand sonst, als um sich selbst.

Bina zuckte die Schultern. »Wahrscheinlich ist sie wieder nur sensationslustig. Sie schien irgendetwas zu ahnen. Kannst du dir vorstellen, warum?«

Ich seufzte leidig. »Kann ich.«

Bina nickte.

Eine Weile saßen wir einfach nur da. Mein Blick glitt erneut ins Leere und der Schmerz überkam mich ein weiteres Mal. Tränen liefen meine Wangen hinab, ohne dass ich etwas dagegen unternehmen konnte.

Ich spürte Binas Blick auf mir. Sie hatte Paul noch nie ausstehen können und ich war sicher, sie war heilfroh, dass er endlich weg war.

»Ist es wirklich aus? Ich meine, endgültig?« Sie sah mich mitleidig an.

Ich schluckte erschwert, dann nickte ich. »Er hat jetzt jemand Neues.«

»Hm. Die Arme.«

Ich schenkte ihr einen missbilligenden Blick.

»Ich meine ja nur. Sie wird vor Langeweile eingehen wie eine Trockenpflaume im Ofen.«

Ich nahm einen tiefen Atemzug. »Anja«, hauchte ich, ohne dabei aufzuschauen.

»Was ist mit ihr?«

»Sie ist die Neue.«

Bina schoss ruckartig hoch. »Was? Anja?«

Ich nickte mit zusammengekniffenem Mund.

»Ich glaub’s ja nicht! Und ich dachte, ihr wärt so dicke.«

»Das dachte ich auch«, winselte ich. Ich hatte an einem Tag nicht nur meinen Mann, sondern auch den Menschen verloren, dem ich über Jahre hinweg alles anvertraut hatte. Anja kannte sämtliche Details aus meiner Ehe, Streitpunkte, die es zwischen mir und Paul gegeben hatte. Ich wusste nicht, was schlimmer war: die Tatsache, dass der Mann, den ich liebte, die Scheidung wollte, oder, dass mich meine beste Freundin die ganze Zeit über belogen hatte.

»Was hast du denn jetzt vor?« Bina stupste mich mit dem Ellenbogen in die Seite.

»Na was schon.« Ich starrte vor mich auf den Couchtisch. Leere Weinflaschen lagen umgekippt, inmitten von Popcorn, Chips und zerknüllten Schokoladenpackungen.

»Wann hast du das letzte Mal geduscht?« Bina schob sich vor mein Sichtfeld und rümpfte die Nase.

Ich sah an meinem Jogginganzug hinunter und zuckte die Achsel. »Weiß nicht. Hab jegliches Zeitgefühl verloren.«

»Kein Wunder!« Bina linste auf den Stapel mit den Sissi DVDs vor dem Fernseher. »Hast du dir die etwa reingezogen?«

Ich hob eine Schulter an.

»Echt krasses Zeug. Die sind doch schon hundert Jahre alt! Elisabeth, ich bin deine kleine Schwester, deshalb darf ich das sagen: Du musst echt aufhören, dir diese alten Streifen anzuschauen. Ich meine, davon muss man ja total abdrehen.«

Ich schnaufte protestierend. »Also ich bin sicher nicht die Einzige, für die Kaiserin Sissi ein Vorbild ist.«

»Hatte die nicht auch leichte Stimmungsschwankungen?«

»Vielleicht«, gab ich widerwillig zu. »Aber das ist nicht wirklich belegt.«

»Also mir reicht es jetzt. Wann hast du dich eigentlich das letzte Mal im Spiegel angeschaut? Du siehst aus wie aus The Walking Dead.«

Beschämt schaute ich an mir hinunter.

»Das kann ja nicht ewig so weitergehen.«

»Es ist gerade mal zwei Wochen oder so her«, verteidigte ich mich.

Bina kräuselte die Lippen und nickte. »Ja, so riecht es hier auch.« Sie warf einen Blick in die offene Küche, wo sich das schmutzige Geschirr stapelte.

»Die ersten Ratten haben wahrscheinlich schon ihre Nester gebaut.«

Ich starrte verstohlen zur Decke. Jetzt nur nicht wieder anfangen zu heulen, ermahnte ich mich. »Was soll ich deiner Meinung nach machen, hm? Soll ich etwa so tun als wäre ich nicht gerade sitzengelassen worden von meinem Mann, mit dem ich über zehn Jahre meines Lebens verbracht habe? Paul war alles für mich.«

»Ach ja? Jetzt verrate ich dir mal was, Paul ist und war schon immer ein riesengroßes Arschloch. Ein Egozentriker, der sich auf Kosten anderer ein angenehmes Leben gemacht hat. Du kannst froh sein, dass du ihn los bist. Du bist besser dran ohne ihn.«

Versehentlich kam ich an die Fernbedienung. Der Fernseher schaltete sich ein. Ich seufzte laut. »Aber ich weiß gar nicht, wer ich ohne ihn bin.«

»Nicht dein Ernst!« Bina fasste sich an die Stirn. »Du magst es vielleicht vergessen haben, aber du hattest ein Leben vor Paul. Jetzt komm mal aus den Kuschen.«

Ich sah zu ihr auf, dann wanderte mein Blick unwillkürlich Richtung Bildschirm.

»Denk doch nur mal daran, was für Möglichkeiten du jetzt wieder hast. Du könntest komplett neu anfangen, dir einen Wunsch erfüllen, irgendetwas, das du wegen Paul längst abgehakt hattest.«

Als hätte jemand vorgespult, war Sissi gerade auf Madeira angekommen, um sich dort wegen ihrer Lungenerkrankung zu kurieren.

»Du hattest Träume, Elisabeth«, fuhr Bina fort. »Versuch dich daran zu erinnern, wie es vor Paul war. Wie du vor Paul warst.« In ihrer Stimme schwang Bedauern mit und ich wusste sofort, worauf sie anspielte. Es stimmte, ich hatte mich für Paul verändert und aufgehört die zu sein, die Bina gekannt hatte. Ihr Besuch hatte mich deswegen so überrascht, weil sie schon seit Jahren nicht mehr einfach so bei mir aufgetaucht war. Paul hatte Bina immer kritisiert. Ihren Lebensstil, ihre Einstellungen, selbst ihre Frisur. Für ihn war Bina eine Versagerin, das schwarze Schaf der Familie, das man lieber vor den Augen aller versteckt hielt. Und ich hatte mich nie für sie eingesetzt. Urplötzlich überkam mich das schlechte Gewissen wie ein Fieberschub, denn jetzt war sie diejenige, die für mich da war. Nicht Anja, nicht meine Mutter, sondern meine Schwester Bina, für die ich nie die Stimme erhoben hatte. Gedankenverloren starrte ich auf den Fernseher. Sissi hatte gerade beschlossen einen Tempel errichten zu lassen und setzte nun ihre Reise nach Korfu fort. Korfu, tönte es in meinem Innern. Und plötzlich durchschoss mich die Idee wie ein Stromschlag. Ich sprang so hastig vom Sofa auf, dass selbst Barnabas aus dem Tiefschlaf erwachte.

»Was ist?« Bina sah mich besorgt an.

Ich ließ den Blick schweifen, während die Idee sich in mir festigte.

»Hast du jetzt einen Nervenzusammenbruch?«, erkundigte Bina sich vorsichtig.

Ich konnte nichts sagen. Mein Gehirn arbeitete auf Hochtouren. Ich spielte die Idee durch, wägte Möglichkeiten ab, stellte mir ein Leben am Meer vor. Idylle pur. Freundliche Menschen, Unabhängigkeit. Ein Leben fernab aller Probleme.

Bina stellte sich vor mich und sah mir ängstlich ins Gesicht. »Elisabeth?«

»Das ist es!«, wisperte ich und stierte neben sie auf den zugemüllten Couchtisch.

Bina folgte meinem Blick. »Was denn?«

»Mein Traum. Das ist es, was ich machen will!«

»Ähm, du willst also Kartoffelchips machen?«

»Aber nein!« Ich schob Bina näher zum Fernseher, wo Sissi und ihre Hofdamen griechische Altertümer besichtigten.

Die Szene hatte ich schon hundertmal gesehen, doch jetzt rief sie in mir eine verstaubte Sehnsucht wach.

»Okay«, raunte Bina. »Aber du weißt schon, dass deine Chancen Kaiserin von Österreich zu werden, gegen Null gehen?«

Ich schüttelte den Kopf. »Das meine ich doch gar nicht! Ich rede von dem anderen Traum. Dem realistischen.«

»Ah, du meinst dein kleines Café?«

Ich war überrascht, dass sie es noch wusste. Bevor ich Paul kennenlernte, hatte ich von nichts anderem gesprochen. Nach dem Schulabschluss war ich fest entschlossen gewesen, ein eigenes Café zu eröffnen. Mit der Heirat hatte ich mein Vorhaben zunächst aufgeschoben, dann vernachlässigt und schließlich, in den letzten Jahren, endgültig begraben – das dachte ich zumindest. »Warum nicht? Ich werde aus Köln weggehen.« Auf einmal hatte ich alles glasklar vor Augen.

»Du willst deiner geliebten Stadt den Rücken kehren?« Bina runzelte die Stirn. »Bist du sicher, dass ich keinen Krankenwagen rufen soll?«

»Es ist mir ernst, Bina! Was hält mich denn schon hier? Ich dachte, ich wäre glücklich. Ich dachte, dass es immer so weitergehen würde. Paul und ich, zusammen bis ans Ende unserer Tage.«

Bina ließ ein angewidertes Grunzen hören.

»Aber ich habe mir etwas vorgemacht. Es ist mein Leben. Warum nicht mal etwas riskieren?«

Sie betrachtete mich mit verblüffter Miene. »Und wohin willst du gehen?«

Ich nahm die Fernbedienung und drückte die Stopptaste. »Dorthin!« Ich schaute zum Standbild, das die korfiotische Küste eingefangen hatte. Beim Anblick des paradiesischen Strandes empfand ich ein Fernweh, das sämtliche Gedanken um Paul und Anja verdrängte.

»Du willst in Griechenland ein Café eröffnen?«

Ich nickte entschlossen. »Genau!«

»Mit Kaffee und Kuchen und allem Drum und Dran?«

»Ja!«

»Und warmem Apfelstrudel mit Sahne?«

»Ja.« Ich lächelte schwelgend, als hätte ich den Verstand verloren.

»Das klingt total verrückt und könnte vermutlich unpassender nicht sein, wenn man an das dortige Klima und die Finanzkrise denkt.«

Ich zuckte die Schultern, immer noch lächelnd.

Bina lachte auf. »Klingt als wäre es genau das Richtige für mich!«

Ich fuhr herum und sah meine Schwester abwartend an.

»Nun ja, zufällig warte ich schon länger auf eine gehobene Anstellung, also, wenn du mich gebrauchen kannst, bin ich dabei.«

Augenblicklich fiel ich ihr um den Hals. »Natürlich kann ich dich brauchen! Ich würde mich unglaublich freuen, wenn du mitkommst!«

»Dann ist es beschlossen!«

Es tat gut, meine kleine Schwester mit im Boot zu wissen. Ich wusste, ich konnte mich auf sie verlassen. Gemeinsam würden wir das Abenteuer Neuanfang wagen.

Kapitel zwei

Als das Telefon klingelte, dämmerte es bereits. Es unterbrach meinen Putzmarathon, den ich seit dem Morgen lethargisch ausführte. Hastig schaute ich in das faltige Hundegesicht vor mir. »Das ist bestimmt das Herrchen!«, raunte ich, legte den Schwamm beiseite und streifte ungeduldig die Gummihandschuhe ab. »Sicher will er sich entschuldigen. Wirst schon sehen.«

»Hallo?«, meldete ich mich wie berauscht.

»Warum dauert das so lange, bis du abnimmst?«

Meine Euphorie verpuffte, denn es war nicht Paul.

»Hallo Mutter. Was gibt’s?«, fragte ich wenig interessiert.

»Ich wollte dir nur sagen, wie herrlich es auf Gran Canaria ist.«

»Schön.«

»Und mit Juan ist alles so umwerfend.«

»Mmh.«

»Ich weiß gar nicht, wann ich das letzte Mal so viel Spaß hatte. Weißt du, neulich Nacht, da hat er mich einfach so …«

»Tut mir leid, aber ich habe jetzt überhaupt keine Zeit zum Telefonieren!«

»Was kann wichtiger sein als deine Mutter?«

Nun, so ziemlich alles, dachte ich. »Ich warte auf einen Anruf von Paul.«

»Paul? Aber es ist doch Sonntagabend. Ist er etwa schon wieder auf Geschäftsreise?«

»So was Ähnliches.«

Sie sog lautstark Luft ein. »Ihr habt euch doch nicht etwa gestritten?«

»Aber nein«, log ich.

»Er hat bestimmt eine andere.«

»Unsinn.« Ich schluckte. »Ich leg jetzt auf.«

»Aber Elisabeth …«

Ich drückte auf den roten Hörer und stellte das Telefon zurück in die Ladestation. Unwillentlich dachte ich über die Wahrscheinlichkeit nach, dass meine Mutter ausnahmsweise mal recht haben könnte. Ich verschränkte die Arme vor der Brust und stellte mir die Frage aller Fragen: War es möglich, dass Paul eine Affäre hatte?

»Nein!« Ich schüttelte entschieden den Kopf.

»Nein«, sagte ich nun mit einem leicht zweifelnden Unterton. »Aber es schadet ja nicht, mich zu versichern«, murmelte ich schulterzuckend. Barnabas folgte mir in den Keller, wo die Waschmaschine stand. Vor dem Korb mit der Schmutzwäsche ging ich in die Knie. Eigentlich wären die Sachen längst gewaschen und gebügelt in Pauls Schrank, hätte mich der Streit mit ihm heute Morgen nicht völlig aus dem Konzept gebracht. Durcheinander wie ich war, hatte ich gegen meine Gewohnheit zuerst mit den Putzarbeiten begonnen, die noch dazu eigentlich erst für Montag vorgesehen waren. Ich stand neben mir, das war eindeutig.

»Na dann.« Akribisch wühlte ich in dem kleinen Berg Unterwäsche, streng riechender Socken und Barnabas Hundedecke, die eine Reinigung bitter nötig hatte.

»Bingo!«, sagte ich, als ich Pauls Lieblingshemd hervorkramte, das er während seiner Überstunden am Freitag getragen hatte. Rasch breitete ich es auf dem Boden aus und besah es gründlich. Nichts! Ich sank erleichternd seufzend auf die Fersen. Keine auffälligen Flecken. Mir fiel ein Stein vom Herzen. Blöd von mir, ausgerechnet auf meine Mutter zu hören. Ich schnappte mir das Hemd, stemmte mich auf die Beine und füllte die Waschmaschine. Als ich das Hemd gerade zu den anderen Sachen stecken wollte, kräuselte ich die Nase. Da war ein ekelhaft süßlicher Geruch. Zaghaft schnupperte ich am Kragen und zuckte gleich darauf zusammen. Es war unumstößlich – der Duft eines billigen Parfums ging von diesem Hemd aus. »Das kann nicht sein«, wisperte ich schockiert und mein angeschwellter Herzschlag drohte, mich umzuwerfen. Ich lief nach oben und aus der Tür und schmiss das Hemd in die Tonne vor dem Haus, als wäre es radioaktiv verseucht. Eine Weile starrte ich auf die Mülltonne, wartend auf eine Erleuchtung. »Das beweist gar nichts«, beruhigte ich mich und ging wieder hinein. Barnabas saß auf dem Treppenabsatz und beäugte mich neugierig. Leise schloss ich die Tür und tätschelte seinen Kopf im Vorbeigehen. »Wir stehen das durch«, sagte ich entschlossen. »Wir haben schon einiges zusammen erlebt. Das wirft er nicht einfach weg. Du wirst sehen, Herrchen wird schon bald wieder zu Hause sein.«

Ich war sicher, dass Paul von sich hören lassen würde, also verbrachte ich die Nacht auf der Couch. Mein schnarchender Mops leistete mir Gesellschaft. Gesüßtes Mikrowellenpopcorn und die ungeschnittene Version von Sissi – Mädchenjahre einer Kaiserin, sorgten dabei für die notwendige Normalität. In regelmäßigen Abständen schaute ich auf die Uhr und zwang mich standhaft zu bleiben. Ich würde ihm auf keinen Fall hinterhertelefonieren. Er war schließlich einfach so auf und davon, also war es jetzt an ihm, sich bei mir zu entschuldigen. Um zweiundzwanzig Uhr war ich noch fest überzeugt, dass Paul jeden Augenblick die Tür aufschließen würde, um mich reuig um Vergebung zu bitten. Wir würden tabulosen Versöhnungssex haben und aneinandergeschmiegt einschlafen, so wie es früher war, wenn wir uns gestritten hatten. Ich erlaubte mir also, vorsorglich die Flasche Dom Pérignon zu öffnen, die er für besondere Anlässe aufgespart hatte, kramte die Duftkerzen aus dem Schrank und stellte zwei Sektgläser bereit. Die Uhr tickte gnadenlos vor sich hin. Mittlerweile hatte Franzl Nene abserviert und sich, gegen den Willen seiner Mutter, zu seiner Liebe zu Sissi bekannt. Was für ein Mann! Ich füllte mein Glas und trank den Champagner in einem Zug aus. Barnabas lag auf dem Rücken, die Zunge hing zur Seite aus seinem Mundwinkel und er sabberte auf eins der grünen Satinkissen, die wir von Pauls Mutter zu Weihnachten bekommen hatten. Paul würde durchdrehen, wäre er jetzt hier. War er aber nicht und ich würde den Teufel tun und mein Möpschen in seinem friedlichen Schlaf stören. Mittlerweile war ich so in Rage, dass ich das Kissen nur noch weiter unter sein Maul schob. Ja, tränk es nur ordentlich voll, dachte ich und schüttete ein weiteres Glas hinunter. Und dann kam der Moment: Ich konnte dem Drang nicht länger widerstehen, schnappte mir mein Handy und wählte Pauls Nummer. Doch es meldete sich nur seine Mailbox. Schnaubend sank ich in die Lehnen. Die Flasche leerte sich unterdessen wie von selbst und ich spürte eine unerwartete Leichtigkeit, während ich Barnabas den Rücken kraulte und die Dialoge der Filmreihe mitsprach. Gegen Mitternacht betrat Sissi im Hochzeitskleid die Wiener Augustinerkirche. Der Champagner war ausgetrunken und ich verfolgte mit müden Augen den Abspann des Films. Noch immer kein Lebenszeichen von Paul. Womöglich war ihm etwas zugestoßen! Nein, allmählich begann ich der Tatsache ins Auge zu sehen, dass er bei jemand anderem war. Schniefend zog ich mir die Decke über die Schultern und kuschelte mich neben Barnabas.

Als ich am nächsten Morgen die Augen aufschlug, flimmerte der Fernsehbildschirm noch. Es schellte an der Tür und ich erhob mich, so schnell es nach einer einsam durchzechten, sorgenvollen Nacht ging, vom Sofa. Die Flasche Dom Pérignon rollte über den Fußboden, nachdem ich fast über sie gefallen wäre.

»Ich komme!«, rief ich auf meinem beschwerlichen Weg über den Flur. Es klingelte erneut. Ich riss die Haustür auf.

»Guten Morgen!«, säuselte eine vertraute Stimme.

Ich blinzelte ins Licht der aufgehenden Sonne, die Anja von hinten anstrahlte, als wäre sie ein Engel.

»Morgen Anja. Komm rein.« Ich rieb mir die Augen.

Sie sah mich mit hochgezogenen Brauen an, bevor sie den Flur betrat. Ich gab der Tür hinter ihr einen Schubs und kratzte mich am Hinterkopf.

»Du siehst ja furchtbar aus!«, bemerkte sie mit erschrockener Miene.

»Na ja, ich hab eine ziemlich schlimme Nacht hinter mir.« Ich warf einen Blick in den Spiegel, der neben der Garderobe hing, und zuckte kurz zusammen. Das lange blonde Haar stand mir zu allen Seiten, ich hatte tiefe Ränder unter den Augen und mein normalerweise lupenreiner weißer Hausanzug war fleckig von Schaumweinspritzern und verlaufener Mascara. Anja betrachtete mich immer noch leicht verschreckt.

»Das ist nur Pauls Pérignon und Wimperntusche«, stellte ich klar und deutete auf die Flecken im Stoff. Ich schlurfte ins Wohnzimmer. »Ich hoffe nur, dass ich die Flecken wieder rauskriege.«

»Ähm, ja.« Anja folgte mir. »Ist Paul denn schon da?«

»Nein«, antwortete ich leidig und setzte mich im Schneidersitz aufs Sofa. Barnabas lag immer noch wie komatös da. Man hätte meinen können, er habe sich in der vergangenen Nacht mit mir betrunken.

»Ah.« Anja räusperte sich verschlagen.

»Setz dich doch«, sagte ich. »Was ist denn los? Du wirkst ja total angespannt.«

»Tja, ich …« Sie nahm mir gegenüber auf dem Sessel Platz, wobei ihr Oberkörper jedoch starr wie ein Brett blieb.

Gedanklich versuchte ich den gestrigen Tag zu rekonstruieren und stieß dabei auf ein heikles Detail. »Hab ich dir eigentlich gesagt, dass Paul nicht nach Hause gekommen ist?«

Anja nahm einen tiefen Atemzug, dabei wich sie meinem Blick gezielt aus.

»Wir hatten einen kleinen Streit«, erklärte ich, denn ich wusste nicht mehr, ob ich ihr noch geschrieben hatte. Irgendwie waren meine Erinnerungen ab Sissis Ischl-Aufenthalt etwas lückenhaft.

»Dann hat er es dir also noch nicht gesagt?« Anja sah mich mit scheuem Blick an.

Rasch überlegte ich und stellte fest, dass ich keine Ahnung hatte, was sie meinte.

Plötzlich ging die Tür auf und ich sprang vom Sofa. Erleichtert über Pauls Rückkehr, sprintete ich ihm auf dem Flur entgegen. »Paul! Du bist wieder da!«

»Ja«, befand er trocken und schaute einfach an mir vorbei. »Ich bin nur hier, um meine Sachen zu holen.«

»Deine Sachen?«

»Ja, meine Sachen. Elisabeth, das, was ich gestern gesagt habe, war mein Ernst. Ich will die Scheidung.«

Meine Wiedersehensfreude war zerschlagen. Ich stand stocksteif da und versuchte meine Bestürzung krampfhaft hinunterzuschlucken. Paul ging an mir vorbei, die Treppe hinauf und ins Schlafzimmer. Fassungslos starrte ich ihm nach. Anja kam aus dem Wohnzimmer zu mir. Sie legte den Arm um mich und drückte mich leicht an sich.

»Das kann er doch nicht machen«, jammerte ich. »Was habe ich denn falsch gemacht?«

»Gar nichts!«, sagte sie tröstend. »Manchmal ist es aber besser so – für beide.«

»Hast du meine rote Satinkrawatte gesehen?«, rief Paul aus dem Schlafzimmer.

»Sie ist in der Schublade.« Ich schluchzte. »Unten rechts«, fügte ich mit bibbernder Stimme hinzu.

»Ah ja.«

Ich hörte das Klicken seines Kofferschlosses, kurz darauf trabte Paul die Treppe wieder hinunter, in der Hand seinen krokodilfarbenen Trolley. Auf halber Strecke schaute er auf und hielt inne. »Oh, Anja.«

»Paul!«

Er nahm die letzten Stufen und parkte den Trolley vor uns.

»Dann habt ihr über alles geredet«, stellte er fest. »Das ist gut.« Er legte mir mitleidig eine Hand auf die Schulter. »Lies dir die Papiere in Ruhe durch. Ich bin sicher, wir werden uns einig.« Er sprach mit mir, als wäre ich eine seiner Klientinnen. Als würde es hier nicht um unsere zehnjährige Ehe gehen, sondern um unbezahlte Strafzettel.

»Ich glaube, ich lasse euch jetzt besser allein.« Anja löste sich von mir. Ich schenkte ihr ein dankbares Lächeln – ach, wie unersetzbar waren doch beste Freundinnen in Situationen wie dieser. Anja ging zur Tür hinaus und Paul und ich standen einander gegenüber. Er wich meinem Blick aus, nahm seine Jacketts vom Haken und legte sie feinsäuberlich über seinen Koffer.

»Wie kannst du zehn Jahre einfach so wegschmeißen?«, brach es aus mir heraus. Ich wollte ihm keine Szene machen, aber die Worte hatten sich von ganz allein aus mir herausbewegt.

»Das tue ich nicht«, sagte er matt. »Wir hatten auch schöne Zeiten.«

Ich verstand ihn nicht. Es war, als würden wir plötzlich verschiedene Sprachen sprechen.

»Elisabeth, es ist einfach wichtig für mich, dass ich mich verändere. Ich brauche das jetzt.«

»Du brauchst das jetzt? Hast du dich jemals gefragt, was ich brauche?«

Er schnalzte mit der Zunge und neigte den Kopf. »Ich wünsche dir alles Gute!« Mit diesen Worten nahm er seinen Trolley und ging.

»Aber, wo wirst du denn jetzt wohnen?«, rief ich ihm nach.

Er hatte die Tür bereits geöffnet, als er sich halb zu mir umdrehte. »Na, wo wohl?«

Ich zuckte die Achseln.

»Bei Anja natürlich.«

Mir blieb das Herz stehen. Mein Mund öffnete sich selbstbeständig und blieb so, als wäre ich ein um Luft ringender Karpfen.

»Mach’s gut!« Er zog die Tür hinter sich zu. Durch das kleine Fenster darin sah ich, wie Anja ihn auf dem Bürgersteig vor unserem Haus in die Arme schloss. Meine Freundin Anja und mein Paul. Das konnte nicht sein. Mir war schwummrig zumute. Ich verlor das Gleichgewicht und sank in mich zusammen.

Kapitel vier

In den darauffolgenden Wochen war ich so mit Korfu beschäftigt, dass ich fast gar nicht mehr an Paul dachte. Ich wälzte Internetseiten über Auswanderung, Immobilienangebote und bereitete alles für unsere Abreise vor. Einen Plan für die Zukunft zu haben, war genau das, was ich gebraucht hatte. Ich konnte es kaum erwarten, Deutschland endlich den Rücken zu kehren und hatte den Eindruck, dass es Bina genauso ging. Zum ersten Mal, seit besagtem Sonntag, nahm ich die Dokumente wieder in die Hand, die Paul für unsere Scheidung vorbereitet hatte. Zusammen mit Bina ging ich sie durch.

»Hier steht’s schwarz auf weiß. Das Haus gehört dir!« Bina tippte mit dem Zeigefinger auf die Durchschrift, in der Paul unsere Besitztümer aufgeteilt hatte. »Ist der doof!«