Cover

Table of Contents

Titel

Impressum

KAPITEL 1

KAPITEL 2

KAPITEL 3

KAPITEL 4

KAPITEL 5

KAPITEL 6

KAPITEL 7

KAPITEL 8

 

 

 

 

MJ Crown

 

 

 

 

Tabulos

-

Gefangene der Lust

Erotischer Roman

 

 

 

 

 

 

 

DeBehr


 

Copyright: ©MJ Crown
Herausgeber: Verlag DeBehr, Radeberg

ISBN: 9783957534941

Auflage: 2018

Umschlaggrafik: Copyright by Fotolia ©sakkmesterke

 

KAPITEL 1

 

Hektisch und arbeitsreich begann der Tag im Büro. Haufenweise Akten stapelten sich auf dem Schreibtisch. Ständig klingelte das Telefon. Im Viertelstundentakt klopfte es an der Tür. Selbst der Kaffeebecher stand ungeleert auf dem Tisch, sein Inhalt war längst kalt. Jess hatte für all die Belange anderer keine Zeit. Dringend musste sie einen Vertrag zum Abschluss bringen. Komplex war die Gestaltung. Rechtliche Hintergründe, Reduzierung und Ausschluss von Vertragsstrafen, sofern man Bauabschnitte nicht termingerecht einhalten konnte. Alles musste genau sein. Sie wusste, ihr Kunde würde für den bevorstehenden Auftrag kein Pardon durchgehen lassen.

Wieder klingelte das Telefon. Die im Display eingeblendete Nummer kannte sie. Ihre beste Freundin. Ganz und gar nicht passte es ihr gerade. Bis drei Uhr nachmittags musste der Vertag noch ein zweites Mal durch die Rechtsabteilung und an ihren Auftraggeber gefaxt sein. Sollte sie den Zeitplan nicht einhalten können, entging ihr ein großes Geschäft.

Um ihre Freundin auf später zu vertrösten, nahm sie dann doch den Hörer ab.

„Na Anja“, begrüßte Jess sie freundlich und war bereits gespannt, mit welch wichtigem Anliegen sie um diese Uhrzeit kam. Meist rief sie nur auf der Arbeit an, wenn sie Hilfe brauchte oder in irgendeinem Desaster steckte.

Also fragte sie, um schnell auf den Punkt zu kommen: „Na wie geht’s dir? Ist irgendetwas passiert?“

Aufgeregt kam die Antwort, die allerdings unerwartet und überhaupt nicht mit einem Problem behaftet war.

„Ich hab da eine Internetseite gefunden. Mann, die musst du dir unbedingt mal ansehen.“ Total aufgeregt und völlig aus dem Häuschen war sie, als hätte man ihr gerade ein Auto geschenkt oder sie hätte sechs Richtige im Lotto.

„Ich hab mich dort angemeldet. Mann, oh Mann. Du, Jess, das ist der absolute Wahnsinn. Da kannst du Typen über Typen treffen. Hatte gestern ein Date. Das war echt der Hammer.“

Da sie ihr gedanklich gar nicht so schnell folgen konnte, unterbrach Jess sie abrupt und fragte sie haarklein aus.

Jetzt war es klar. Anja hatte sich in einem Internetforum angemeldet, bei dem man unverbindlich und mit eindeutiger Absicht Männer treffen konnte. Den Angemeldeten ging es um das Erlebnis einmaliger Abenteuer oder gleich um eine Affäre mit bleibender Beziehung. Alles, was das Herz begehrt. Jeder hatte dort die Möglichkeit, nach seinen Vorlieben zu suchen, ob Aussehen oder sexuelle Neigungen. Und damit meinte sie wirklich die ganze Palette.

„Hör mal, das ist ganz einfach. Du meldest dich mit deiner E-Mail-Addy an und erfindest ein Pseudonym. Damit wirst du auftreten und kannst alle deine Wünsche detailliert darstellen. Wenn du einen Mann suchst, suchst du ihn und wirst ihn garantiert auch finden. Eine Frau oder ein Paar kannst du auch haben oder sie finden dich. Und alles geht. Vordergründig Sex, alles ist erlaubt. One-Night-Stands, Gruppensex, Partnertausch, Affäre oder eine Beziehung in der Beziehung. Männlein, Weiblein, Paare, was du willst. Und das geht soooo unkompliziert.“

Aufgeregt überschlug sie sich fast bei ihrer Aufzählung. Bis ins kleinste Details berichtete sie, wie sie mit dem Kerl, so nannte sie ihn, im Internet gechattet hatte. Wusste noch nicht mal, wie er hieß.

Spontan trafen sie sich gestern Abend noch bei ihr zu Hause. Wie stürmisch sie an der Haustüre übereinander hergefallen waren, sich die Klamotten vom Leib gerissen hatten, wie er sie oral verwöhnte und nicht zu guter Letzt befriedigte.

„Als ich fertig war, hab ich ihn einfach rausgeschmissen. Ich habe noch ausgiebig geduscht mit meinen schönen Erinnerungen und mich dann schlafen gelegt.“

Tausend Dinge gingen Jess durch den Kopf.

Spannend, aufregend, ja sogar erregend fand sie die Erzählung ihrer Freundin. Röte stieg ihr ins Gesicht …

Gedanken schweiften zu ihrem Mann Chris und ihrem kleinen liebreizenden Sohn Michael, der gerade drei Jahre alt geworden war. Obwohl sie sich glücklich und ausgeglichen fühlte, dachte sie mit Wehmut an die Idee, ein ebenso wildes Leben zu führen wie ihre Freundin.

Zwischen beiden gab es Unterschiede. Obwohl sie sich über ihre Kinder kennengelernt hatten, waren sie dennoch in zwei völlig verschiedenen Welten zu Hause.

Anja war Single und führte im Moment ein Dasein als Mutter und lebte in einfachen und bescheidenen Verhältnissen. Aufgrund ihrer Schwangerschaft hatte sie das Medizinstudium abgebrochen. Entschied sich für ihr Kind.

Auch sonst gab es nichts, was sie äußerlich ähneln ließ. Anja war eher der kleine, runde Hausfrauentyp.

Der gemeinsame Nenner waren die Kinder und die daraus entstandene innige und enge Freundschaft.

Jess hingegen lag die Welt zu Füssen. Sie führte ein unbeschwertes Leben mit allen Annehmlichkeiten, die man sich vorstellen konnte. Als erfolgreichste Unternehmerin des Jahres ausgezeichnet, hatte sie sich mit Geschick und Können finanziell gut gestellt. Sie kannte keine Nöte und konnte sich eine Villa am Stadtrand leisten. Die Unannehmlichkeiten des Tages erledigten zwei Angestellte für sie, die sie ohne Probleme finanzieren konnte. Sie leistete sich eine Nanny, die jederzeit da war, um sich um das Wohlergehen ihres Sohnes zu sorgen.

Nur zu genau wusste sie, dass sie kein wildes Leben geführt hatte. Es gab einige kurze Beziehungen und wenige Gelegenheiten, die sie nutzte, um auf ihre Kosten zu kommen. Aber alles sehr normal. Doch das gehörte der Vergangenheit an.

Es war nun fast zehn Jahre her, als sie Chris kennengelernt hatte. Ihr Studium in Konstruktionstechnik mit Diplomabschluss hatte sie vorzeitig erfolgreich beendet. Frisch von der Uni bat ihr Vater ihr einen Job als Junior-Geschäftsführerin an. Sie nahm das Angebot an und wurde von ihm sehr schnell in alle Geschäftsfelder und in den Kundenkreis der Firma eingeführt. Bereits nach ihrem Abitur und angefangenem Studium war der berufliche Weg mit ihr besprochen. Sich sicher fühlend auf diesem Gebiet, ging sie in ihrer Tätigkeit auf. Als ihr Vater in den wohlverdienten Ruhestand ging, übernahm sie die alleinige Leitung des Unternehmens.

Bei einer der ersten Baustellenbegehungen überprüfte sie mit ihrem Vater den Baufortschritt einer Stahlkonstruktion für eine Glaskuppel, die auf das Dach des Gebäudes aufgesetzt werden sollte. Da stand er. Chris. Erhaben gab er seinen Mitarbeitern Anweisungen, wohin das Material gebracht werden sollte. Mit der einen Hand gestikulierte er und deutete auf die am Boden liegenden Stahlstreben und in der anderen Hand hielt er eine Bauzeichnung. Herausragend aus der Gruppe, sah er in seinem weißen Overall und dem blauen Schutzhelm sehr heroisch aus. Um ihn herum standen noch andere Männer in gleicher Kleidung, doch keiner hatte ein so strahlendes und einnehmendes Wesen wie er.

Nach einem längeren Gespräch zwischen ihr und ihrem Vater gingen sie zu der vierköpfigen Gruppe und er stellte sie kurzerhand vor.

Chris war schlank und groß, einen guten Kopf größer als sie. Mit glänzend weißen Zähnen lächelte er sie an. Seine stahlblauen Augen funkelten und strahlten. Er gab ihr das Gefühl, in seine Seele blicken zu können. Unter seinem Helm fielen leicht gelockte, kurze blonde Haare.

Mindestens 15 Jahre älter als sich selbst schätzte sie ihn. Der goldene Ehering an seinem Finger blieb ihr nicht verborgen.

 

Entscheidend trugen ihre Selbstsicherheit und ihr offenes und freundliches Wesen zu ihrem ersten romantischen Date bei. Daraus entwickelte sich eine Affäre mit Folgen.

Schwer verliebt, angelte sie sich ihn. Eine Hochzeit war nur noch die logische Konsequenz ihrer tief empfundenen Liebe. Von ganzem Herzen wünschte sie sich mit ihm ein Kind. Das bekam sie auch.

Schwelgend dachte sie an den letzten gemeinsamen Urlaub. Von Wärme gefüllt, wurden ihre Augen glasig.

Unbeschwert war der Urlaub. Angereichert mit innigen Momenten der Liebe. Sie hatten geflirtet und die Ruhe vom Alltag gefunden. Endgültig wieder Zeit für sich. Ohne Fremdbestimmung. Glückliche Momente mit ihrem Sohn. Sie genossen ausgelassene Tage am Strand und romantische Stunden zu zweit.

Schwelgend hatte sie das Bild vor Augen, wie sie zu Hause angekommen waren. Sie hatte völlig belanglos den Schlüssel umgedreht, und Chris trug die Koffer die Stufen hoch. Michael rannte ins Haus, zog wilde Bahnen und machte mit seinem Raumschiff kreisende Bewegungen in der Luft. Er spielte Astronaut.

Sie erinnerte sich an das Gefühl, der zärtlichen Umarmung ihres Mannes. Weich aneinander schmiegend, standen sie da. Sich innig ansehend und tief verliebt turtelten sie.

Jess stellte sich die Frage, ob sie für ein bisschen Spaß ihrer Neugierde nachgehen sollte. Alles Ersehnte hatte sie bekommen. Sollte sie ein nicht kalkulierbares Risiko eingehen und ihr Glück dadurch zerstören? Bei diesen Gedanken sog sie tief die letzten Momente des Urlaubsgefühls in sich auf.

In Gedanken an Anja und an die berichteten Erlebnisse des gestrigen Abends versuchte sie sich wieder an ihre Arbeit zu machen. Wilde Gedanken wurden durch ihre Freundin bei ihr geweckt, die sie versuchte zu verscheuchen.

Am Anfang gelang es ihr nur mühselig. Bis zum Mittag wurde sie unbeschwert und konnte ihren komplexen Überlegungen weiter nacheilen. Am Ende ihres anstrengenden Arbeitstages setzte sie sich in ihr 3er BMW Cabrio und fuhr aus der Garage in Richtung Autobahn nach Hause. Endlich. Ein wirklich langer Tag.

Auf einem riesigen Plakat, bei einem Drive-In-Restaurant schaute sie ein leicht bekleidetes, gut aussehendes Paar an. Jung und sexy. Wir können jede, jeden, alles und auch gleich die ganze Welt haben, versprachen die Blicke der beiden. So sah also die Unterwäschewerbung von heute aus.

Und prompt kamen ihr die vielen heißen Worte ihrer Freundin in den Kopf. Wie war das noch mal? Unkomplizierter Sex mit einem Unbekannten. Jess war total angetörnt, erwischte sich bei dem Gedanken mit einem Fremden eine Affäre zu beginnen. Auf der Stelle verpasste sie die grüne Ampel und wurde von dem gestressten Fahrer hinter ihr mehrfach angehupt.

Genervt fuhr sie nach Hause und wollte das Gespräch und die daraus gewachsenen Ideen nur noch vergessen. An diesem Abend verbrachte sie besonders viel Zeit mit ihrem Sohn und mit Chris.

Als ihr Sohn schlief, gab sie den üblich gewöhnlichen Annäherungen ihres geliebten Mann nach und stellte zum ersten Mal bewusst fest, es fehlte etwas Entscheidendes. Das Kribbeln im Bauch war weg und richtigen Spaß hatte sie auch nicht. Zum ersten Mal analysierte sie ihn und ihre Gefühle. Es war schleichend und stellte sich seit Längerem ein. Die Anfangszeit der Leidenschaft war in Gewohnheit übergegangen und ihr fehlte zunehmend das Begehren.

Unbefriedigt nahm sie sich ein Glas Rotwein und rauchte auf der Terrasse eine Zigarette. So saß sie noch einige Stunden nackt, nur in eine dünne Decke eingehüllt. In die Sterne sehend, kreisten ihre Gedanken um ihre Freundin und ihr „kleines“ Abenteuer.

Zum ersten Mal empfand sie Sehnsucht, die Fäden aus der Hand zu geben und sich einfach fallen zu lassen. Keinerlei Kontrolle und keine trüben Gedanken über mögliche Folgen. Jeden Tag sagte sie aufs Neue, wer was zu erledigen hatte, was sie wollte und was nicht. Eindeutig, sie war sehr dominant, zielstrebig und extrem ehrgeizig. Jeder in ihrem Umfeld erwartete dies in ihrer beruflichen und auch gesellschaftlichen Position. Selbst in ihren privaten Lebensbereichen spiegelten sich ihre stark ausgeprägten Eigenschaften wieder. Der Wunsch, davon loszulassen, wuchs in ihr. Sie wollte nur einmal Frau sein, nicht mehr und nicht weniger. Es sollte jemanden geben, der ihr Entscheidungen einfach abnahm, wenn auch nur zeitweise.

So verging eine Woche. Jeden Tag fuhr Jess zur Arbeit und ging ihren Geschäften nach. Selbstsicher und zielorientiert führte sie Meetings, besuchte Kunden und deren Mitarbeiter. Wichtiges wurde beim Lunch besprochen.

Nie stand das Telefon still. Es gab immer Angelegenheiten, die zu regeln waren.

In einer ruhigen Minute begutachtete sie sich im Spiegel der Garderobe. Jeden Abend ging sie ins Sportstudio und trainierte ein bis zwei Stunden hart, um ihren Körper zu formen. Sie fand sich mit ihrer Größe ganz passabel. Seitlich, dem Spiegel zugewandt, strich sie sich über ihre schlanke sportliche Figur. Ihr langes, blondes und glattes Haar, das ihr über die Schulter reichte, fiel leicht ins Gesicht. Aus dem Spiegel funkelten ihr tiefgrüne Augen entgegen. Sinnliche und vollkommen geformte Lippen. Sie war mit sich zufrieden. Sehr zufrieden.

Tagsüber betonte sie ihre aparten Proportionen mit klassisch eleganter und enganliegender Kleidung. Beim Sport trug sie ebenfalls körperbetonte Kleidung, die viel aber nicht zu viel verraten ließ.

Es war ihr nicht entgangen, mit welchen Blicken verschiedene Männer sie ansahen. Offen musterten sie ihr Äußeres und der eine oder andere Mann versuchte durch ein unverfängliches ‚Hallo‘ Kontakt zu ihr aufzunehmen. Das ignorierte sie bewusst. Jeden Einzelnen ließ sie abblitzen. Den Zustand, begehrt zu sein und die Macht zu haben, die Geschicke von Menschen zu lenken, genoss sie jedes Mal erneut.

An einem Freitagabend ging sie nach dem Training zu ihrem Auto. Dort fand sie einen kleinen Zettel mit einer Telefonnummer an die Windschutzscheibe geheftet. Neugierig nahm sie ihn, faltete ihn langsam auseinander. Um sich zu vergewissern, dass sie allein war, wanderte ihr Blick über den Parkplatz bis zum Eingang des Fitness Studios. Niemand. Trotzdem fühlte sie sich beobachtet. Erstaunt sah sie eine Handynummer mit den Worten, die sie ganz langsam lautlos las. „Ruf mich an, Angelo.“

Angelo? Angelo? … liest sich gut, schoss es ihr durch den Kopf. Unglaublich gut. Ruf mich an. Wer könnte das gewesen sein? Wer heißt Angelo? Italiener? Verrückt …, dachte sie sich. Schnell faltete sie den Zettel zusammen, drückte fahrig die Fernbedienung zum Öffnen des Wagens. Tür auf und rein. Irgendwie war ihr unwohl und sie warf den Zettel achtlos in das Seitenfach der Tür.

Sicher ist sicher. Anja anrufen. Das tat sie auch. „Hey, du. Ich bin´s, Jess. Bist du zu Hause und hast du Zeit. Würde gern mal rumkommen.“

„Klar! Komm vorbei. Bist du noch beim Training oder schon fertig?“

„Fertig, bleib dran. Ja? Mir hat gerade jemand seine Nummer ans Auto gesteckt. Fühl‘ mich beobachtet.“ Eilig startete sie, fuhr zügig vom Parkplatz hinunter auf die Schnellstraße und fühlte sich besser, je weiter sie sich entfernte.

Als sie bei ihrer wirklich besten Freundin ankam, ging auch schon die Haustür auf. Erfreut über den unerwarteten Besuch stand Anja bereits da, um sie in die Arme zu nehmen und in die Wohnung zu bitten.

Gemütlich tranken sie Kaffee und schwatzten angeregt den ganzen Abend über Anjas erstes Treffen. Das Blinde-Date mit einem Mann, der für sie keinen Namen hatte. Unwissend, sie hatte ihn nicht einmal danach gefragt. Jess war bereits auf alle Einzelheiten gespannt und fragte dort weiter, wo sie zuletzt aufgehört hatte.

Bedenken über das sorglose Vorgehen der Freundin kam in ihr auf, zumal sie ja auch einen kleinen Sohn hatte. Sie wollte eine Verbündete für sie sein und ihre sichere Anlaufstelle für alle Eventualitäten im Falle eines Falles sein.

„Hör mir zu“, sagte Jess umsichtig. „Ich kann dich verstehen, wenn du diesen Weg gehst und so dein Liebesleben aufpolieren willst. Aber mach keinen Misst. Ich möchte dich nicht in irgendeiner Situation finden, die dir schaden könnte. Versprich es mir. Bitte.“

Nach langem Hin und Her versprach Anja letztendlich, sie in ihre Aktivitäten einzubeziehen. Und das war gut so. Dieses Versprechen öffnete wieder eine weitere Tür des Vertrauens und stärkte ihre Freundschaft. Sie vereinbarten, wenn sie sich mit jemand trifft, immer vorher anzurufen und sie einzuweihen. Jess ihrerseits schwor, sie würde das Gleiche tun, wenn sie in so einer Situation wäre, obwohl dieses Szenario nicht zur Debatte stand.

Sie hatten bereits drei Tassen Kaffee getrunken. Nun wurde der erste Prosecco geköpft. Beschwingt goss Anja zwei große Sektflöten ein. Glücklich stießen sie auf ihre Freundschaft an und lachten ausgelassen wie zwei unreife Teenager.

Der Laptop stand offen auf dem Sideboard im Esszimmer. Von der Couch aus hatte man einen uneingeschränkten Blick darauf. Ahnend sah Jess auf dem Bildschirm eine lila Seite und ein permanentes Aufleuchten von kleinen Fenstern. Eins über dem anderen öffnete sich und blinkte, lila auf lila, schwarz umrahmt. Erwartungsvoll vermutete sie bereits die ominöse Lustseite zu erhaschen, die die Freundin bereits vor einiger Zeit ausfindig machte.

„Ist das die Seite, von der du gesprochen hast?“, fragte sie neugierig, aber recht zaghaft. „Lass doch mal schauen.“ Anja holte den Laptop und grinste dabei ziemlich anzüglich. Jess sah auf den ersten Blick unzählige Mails in dem Posteingangsfach. Gespannt lasen sie eine nach der anderen. Viele davon wanderten direkt in den Mülleimer. Entweder waren sie einfallslos oder die Schreiber kamen viel zu plump direkt zur Sache.

Mit zunehmenden Alkohol und dem sich daraus steigendem Mut, den Jess nicht hatte, öffneten sie eine Anfrage. Aus ihrer Sicht, ein durchgeknallter Mann, der behauptete Musiker zu sein. Neckisch ermutigte Anja ihn die Kamera anzuschalten. Erstaunt wurden Jess‘ Augen größer, als sich das Videofenster öffnete und sich ein gut aussehender Sixpack vor die Kamera schob. Beschwipst und mit ausgelassenem Gelächter hielten beide Freundinnen ihren bekleideten Po in die Kamera. Sie witzelten laut kichernd über den Typen. Kess fragten sie ihn, ob es noch mehr Gutes zu sehen gäbe. Allerdings, das gab es. Etwas wackelig aber sehr zielstrebig schwenkte das Objektiv in die tiefere Region. Jetzt wurde Jess nervös. Fahrig sah sie auf eine schwarze edle Boxershorts, unter der eine wirklich dicke Wölbung zu sehen war.

Genüsslich schob er seine Hand in die Hose und schon stand ihnen sein bestes Stück groß und mächtig entgegen. Das war der Moment, in dem Anja den Videochat etwas beschämt beendete. Direkt kam eine neue Mail von Mr. Sixpack. Völlig unverständlich fragte er, wieso denn die zwei Süßen nicht zuschauen wollten. Nur zu gern mochte er sich zeigen.

Tränenvergießend lachten sie sich nur noch schlapp und unterhielten sich den Rest des Abends nur noch über dieses wirklich beeindruckende Ereignis. Willkürlich betrachtet war diese Art für Jess viel zu einfach, jemanden für die schönste Sache der Welt zu gewinnen. Wenn auch unkompliziert und vor allem unverbindlich.

Endlos dauerte das Wochenende, dauerte viel zu lange. Ruhelos konnte sie es kaum erwarten, am Montag in die Firma zu fahren. Um sich abzulenken, verbrachte sie viel Zeit mit ihrer Familie, besuchte Freunde und hatte ein paar tolle Wochenenderlebnisse.

Endlich Montag. Jess ging zielstrebig in ihr Büro. Unruhig wartete sie bereits auf ihre Assistentin, die den Kaffee und die Morgenzeitung hereinbrachte.

Fiebrig startete sie den Rechner und verbrachte die erste Stunde des Tages mit dem Alltagsgeschäft. Geschafft, dachte sie. Internetbrowser auf. Seite gesucht. Seite gefunden. Nur mal schauen, redete sie sich ein. Ich mach ja nichts, beruhigte sie sich selbst. Die freizugänglichen Infos des Portals schaute sie sich an und folgte dem Hinweis „Anmeldung“. Bewegt drückte sie den Button. Ihre Neugierde hatten ihre Bedenken besiegt. Da stand sie bereits vor der nächste Hürde, ein Pseudonym und eine E-Mail-Adresse sollte sie angeben. Pause. Grübelnd saß sie da. Es fiel ihr nichts ein.

Unruhig nahm sie eine Zigarette, ließ sich noch einen großen Kaffee zur Beruhigung bringen und überlegte sich angestrengt einen Namen. Nichts fiel ihr ein. Eine neue E-Mail-Adresse hatte sie sich nun zwischenzeitlich eingerichtet. Schritt eins von zwei.

Sie aß ihre Brötchenhälften mit Waldbeerenmarmelade. Nun hatte sie die zündende Idee. Lady Marmelade. Süß und viel versprechend. Heiß und wollend.

Emsig klickte sie sich durch die Anmeldung und richtete ihr Profil ein. Aus den vielen Optionen, die es gab, klickte sie auf die zutreffenden Punkte:

Blond, grüne Augen, schlank, sportlich, sucht einen Mann, ein Paar. Kann ja nicht schaden, schmunzelte sie.

Fast alle zur Verfügung stehenden Sexpraktiken klickte sie ebenfalls an. Und die Liste war lang. Abkürzungen, die sie nicht kannte, recherchierte sie kurzerhand im Internet. Dabei fühlte sie sich richtig gut, fast schon beflügelt.

Während sie tagsüber ihrer Tätigkeit in der Firma nachging und Mails checkte, ihre Kontakte im Internet aufbaute und pflegte, besuchte sie regelmäßig abends das Sportstudio. Mehr als einmal konnte sie ihre Freundin dazu überreden, mit ihr zusammen zu trainieren. Dabei stellte sich heraus, Angelo war wirklich ein Italiener. Sie fand ihn mit seinen gegelten Haaren abstoßend. Wie sie meinte, musste er die Haare, selbst blond gesträhnt haben. Oft trainierte er allein. Trotzdem bemerkte sie seine Freundin, die zu gleichen Zeiten die Halle aufsuchte. Nicht verstehend, wieso so ein nettes Mädchen einen solchen Schmierlappen wie ihn an ihrer Seite hatte. Wirklich sehr süß wirkte das Gesicht seiner Freundin, super schlank und sportlich war die Figur.

Verachtend waren ihre Blicke für Angelo. Abgrundtief verurteilte sie sein Verhalten. Welcher Mensch ist so schamlos und ohne Gewissen und bandelt vor den Augen seiner Freundin mit einer anderen an? Wie unanständig.

Er konnte von Glück reden, so eine adrette Frau an seiner Seite zu haben. Vor allem jemanden, der seine schleimige Art akzeptierte.

Welche Achtung gegenüber Menschen hatte man ihm beigebracht? Welche Wertvorstellung hatte er an eine Beziehung? Sicherlich hatte sie ebenfalls ihre Träume und Sehnsüchte. Doch noch nie hatte sie ihrem Mann so etwas angetan. Das wäre ihr nicht einmal in den Sinn gekommen, einem geliebten Menschen so weh zu tun.

Jess war endgültig mit ihm fertig. Auch wenn sie hier und dort das eine oder andere Wort mit ihm wechselte, gab sie Angelo klar und deutlich zu verstehen, sie wollte nichts mit ihm zu tun haben. Sie war für ihn nicht zu haben.

Durchaus hatte sie registriert, dass Männer, auch jüngere, viel jünger als sie es war, sie attraktiv fanden. Zu ihren Gedanken kam die Gewissheit, sie hatte ihre Seite im Internet. Dort könnte sie alles haben, was sie wollte, sofern sie es zuließ.

Immer an den gleichen Tagen und auch zur selben Stunde wie sie trainierte, kam auch ein junger, gut aussehender Mann. Nach ihrem intensiven Training belegte er den Crosstrainer neben ihr. Die Gesprächsaufnahme gestalte sich seinerseits allerdings schwierig, da sie immer laut Musik über Kopfhörer hörte und ihm bis auf ein „Hi“ und einem kurzen Lächeln keine Möglichkeit dazu einräumte.

Irgendwann hatte sie ihr Smartphone im Auto vergessen und sie kamen ins Gespräch. Er war gerade einmal so alt wie sie, als sie ihr Studium beendete. Man sah Ali die arabische Abstammung an seinem Erscheinungsbild nicht an. Blonde Haare und sogar sehr schöne blaue Augen, fand sie. Alles sehr westeuropäisch.

Zwischen den nunmehr länger einlegten Pausen der Trainingseinheiten erfuhr sie einiges von ihm. Er hatte am MIT in Cambridge, Massachusetts seinen Master in Ingenieurwissenschaften abgelegt.

Sein Ziel war allerdings nicht, in dem studierten Bereich zu tätig zu werden und fand die Vorstellung, als Personal Trainer zu arbeiten, viel spannender und erfüllender. Es war eine Verschwendung von Studiengelder und Intelligenz, dachte sie bei sich. Nicht nur klug sondern auch charmant war er. Interessante Gespräche und Flirts führten zum Überreichen seiner Telefonnummer.

"Also wenn du mal Lust hast auszugehen, ruf mich doch an." Zärtlich drückte er ihr den Zettel in die Hand und hielt sie länger als notwendig fest. Keinen Zweifel ließ er daran, mehr Interesse an ihr zu haben, als nur mal mit ihr auszugehen.

Ali meldete sich an jedem ihrer Fernbleibtage, die durchaus wenige waren, per SMS. Er teilte das Feststellen mit und endete mit der Nachfrage auf den nächsten Tag.

Sie waren Freunde geworden und diskutierten oft über technische Themen. Ihr Interesse galt aber auch seiner Abstammung und seinem Leben.

Obwohl er mehr als ihre Freundschaft wünschte, respektierte und schätzte er sie sehr. Dass sie nie zusammen ausgehen würden oder sich mehr ergeben würde, akzeptierte er. Geistreich und überaus anregend fand sie den Austausch und er war ihr ein guter Pendant zu dem doch ganz anders gearteten Schriftwechsel im Internet, den sie langsam aber sicher für sich entdeckte.

Denn egal wie attraktiv sie jemand finden würde, sie wusste, es wäre in ihrem engeren Umfeld ein absolutes No-Go, in irgendeiner Form eine Affäre anzufangen.

Zumal wollte sie ganz und gar nicht erkannt werden. Niemand sollte aus ihrer Nähe ihre innersten Gelüste kennen. Erkennen, wer sie wirklich war. Die Vorstellung, entdeckt zu werden, in welcher Form auch immer, fand sie peinlich.

 

KAPITEL 2

 

Als Jess in den nachfolgenden Tagen der Anmeldung ihre neu gewonnene Seite aufschlug, sprangen ihr bereits unzählige Mails entgegen. Brechend voll war das Postfach. Lila, groß und sündig kündigten sich die verheißungsvollsten Namen wie „Bluenight“, „Darksunshine“ und „Morningstar“ an.

Eigentlich hatte sie nicht viel über sich verraten, aber anscheinend fanden es viele Nutzer interessant, was sie schrieb. Ihre Partnervorstellung war doch ganz simple. „Er sollte wissen, was er will.“ Sie ahnte schon, ohne eine der vielen Mails zu lesen, dass es viele Männer gab, die wissen, was sie wollten.

Ungeduldig zog sie den Cursor mit ihrer Maus über den Bildschirm und klickte die erste Mail an.

„Hey Lady Marmelade, ich möchte dich gern kennenlernen. Schreib zurück“. Völlig unspektakulär. Löschen.

Nächste Mail. Oh, wie sie sah, war diese lang, fast schon ein Roman. Wilder Hengst schrieb:

„Stell dir vor, ich verstecke mich unter deinem Schreibtisch, du setzt dich und spreizt deine Beine leicht. Du hast einen Rock an und trägst keinen Slip …“

Von sanft bis fordernd, beschrieb er, wie er sich zwischen ihren Beinen winden würde. Wiederkehrende Bewegungen im saftigen Nass. Beschrieb auf lustvolle und benennende Weise sein Handeln, wie er ihre Haut berühren würde. Wie er wollüstig und tief in ihrem Schoss versank. Steigerte sich mit der Gier seiner Zunge und genoss es. Wie er sie punktuell auseinanderzog, quetschte und presste. Sie verwöhnte.

„ … deine Hand gleitet sanft aber bestimmt unter deine Bluse und du spielst mit dir. Ab und zu schließt du schon deine Augen, aber immer umblickend und mit der Gewissheit nicht erwischt werden zu wollen … mmhh … lecker. Ich genieße jeden Tropfen.“

Er beschrieb alles noch viel ausführlicher, wie er sie mit seinem Daumen verwöhnen wollte und gleichzeitig mit seiner Zunge. Alles sehr reich angefüllt mit kleinsten Details.

„… ich kann deinen schweren Atem schon hören und du versuchst dabei nicht zu laut zu stöhnen. Wenn du mehr davon willst, schreib mir zurück.

Fühl dich geküsst, wo immer du willst,

dein wilder Hengst“

Aufgewühlt setzte sie sich bequem in ihren ledernen Bürosessel und las die Mail noch mal. Das haute sie vom Hocker. Sie fühlte sich von der Vorstellung angezogen. Wie viel Phantasie musste in einem Menschen stecken, der sie doch gar nicht kannte. Unverblümt musste sie sich die Erregung eingestehen. Dabei merkte sie, wie sich ihre Brüste durch die Bluse abzeichneten und sich genau diese Situation vor ihren Augen abspielte.

Wer steckte hinter dieser Mail? Kurzerhand klickte sie das Profil neugierig an. Entfernung 500 Kilometer. Ok, spielte ja auch keine Rolle. Schlimmer war die Tatsache, dass sich „Wilder Hengst“ als leicht mollig beschrieb und ein lüsterner alter Mann war, der nun ganz und gar nicht in ihr virtuelles Beuteschema fiel. Enttäuscht und ganz und gar nicht mehr hochgepuscht, war sie sich noch nicht mal mehr sicher, ob sie den Rest der vielen Anfragen lesen wollte.