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Kurzbeschreibung: 

Rebecca Trevelyan ist die jüngste von drei Schwestern und träumt von der großen Liebe. Aber den Mann ihrer Träume wird sie ganz bestimmt nicht über Mutters private Partnervermittlung für Töchter aus adligem Hause finden. 

Begleitet von ihrer partyfreudigen Cousine Mia reist Rebecca nach Pisa, um dort Kunst zu studieren. Sie lernt Antonio kennen, einen heißblütigen Barista, der sie mit seinem Gehabe fürchterlich auf die Palme bringt – aber auch ihr Herz höher schlagen lässt. Als Rebecca sich schließlich doch auf ihn einlässt, der Schock: Antonio spielt ein falsches Spiel! Und auch Mia hat etwas zu verbergen ...

Helene Henke

Die Trevelyan Schwestern - Café der Liebe


Roman




Edel Elements

1. KAPITEL

Lelant, Grafschaft Cornwall

„Das kann unmöglich dein Ernst sein, Mom!“ Rebecca Trevelyan warf ihre Serviette auf den Tisch und starrte ihre Mutter über die mit Konfekt gefüllte Etagere hinweg an. Schon beim Anblick der süßen Lemon-Curd-Pralinen taten ihr die Zähne weh. „Du möchtest mich schon wieder verkuppeln? In welchem Jahrhundert leben wir noch gleich?“

Countess Trevelyan blickte behäbig von ihrem Laptop über den Rand ihrer Lesebrille auf. „Es besteht nicht der geringste Anlass, schnippisch zu werden, Lady Trevelyan. Ich unterbreite lediglich Vorschläge und weise auf Gelegenheiten hin, die manch einem ohne meine Hilfe entgangen wären. Das dürftest du sicher schon bemerkt haben.“

„Als ob das nicht dasselbe wäre.“ Rebecca verdrehte die Augen und griff nach ihrer Tasse, um mit einem Schluck Tee ihre trockene Kehle zu befeuchten.

Dieses Thema löste in ihr regelmäßig Beklemmungen aus. Wie üblich nannte Mutter sie bei ihrem Titel, wenn sie einen strengen Tonfall anschlug. Auch ihr Vater wurde, bis auf die wenigen traditionellen Anlässe, nur von seiner verstimmten Gattin mit Earl Trevelyan angeredet.

„Ich verfüge über eine herausragende Menschenkenntnis. In einem anderen Leben wäre ich sicher eine professionelle Pokerspielerin geworden“, bemerkte die Countess, schob eine grau melierte Haarsträhne hinter ihr Ohr zurück und widmete sich wieder dem Bildschirm.

Der Laptop wirkte seltsam fehl am Platz auf dem zierlichen, antiken Sekretär, dessen ursprüngliche Aufgabe allenfalls darin bestanden hatte, einige Pergamente und ein Tintenfass der Hausherrin zu verstauen. Mit ihrer Tasse in der Hand lehnte sich Rebecca auf der Chaiselongue zurück und betrachtete das Gemälde einer Jagdgesellschaft, das die gesamte Breite des Kamins einnahm. Es fehlte nicht viel und Mutter hätte ein Feuer darin entfachen lassen. Durch die hohen Fenster fiel kaum Licht herein an diesem trüben Tag mitten im Juni. Rebecca fragte sich, ob es einen Ort auf der Welt gab, an dem das Wetter noch wechselhafter war als in Cornwall. Dabei erfreuten sie sich hier ansonsten eines, für britische Verhältnisse, äußerst milden Klimas. Der warme Golfstrom aus der Karibik machte es möglich, dass auf der geschützten Südseite des Herrenhauses im Garten Farngewächse und Palmen ein subtropisches Bild in die britische Flora zauberten. Trotzdem hätte Rebecca gerne die Fenster geöffnet und sich von der würzigen Seeluft den aufkeimenden Erinnerungsschmerz aus dem Herzen pusten lassen. Sie liebte ihren Heimatort Lelant, das düstere Herrenhaus, den lichten Garten und die weite See. Wenn es nach ihr ginge, würde sie Cornwall nie verlassen. Hier hatte sie alles, was sie zum Leben brauchte … fast alles. Doch die Vernunft riet ihr, die Geborgenheit für eine Weile hinter sich zu lassen, sich auf den Weg in die Welt zu begeben, um die Schatten der Vergangenheit abzustreifen. Rebecca seufzte wie immer bei dem Gedanken an ihre Reise. Fernweh war ihr fremd. Bislang ließ sich ihr Wunsch nach Abwechslung mit einer Zugfahrt durch die reizvolle Landschaft oder einem Tag an der Carbis Bay befriedigen. Sie stellte die filigrane Tasse aus chinesischem Porzellan zurück auf den Tisch.

Mutters Teekränzchen waren legendär und erfreuten sich, zu Rebeccas Erstaunen, großer Beliebtheit unter den ledigen Damen der feinen Gesellschaft. In einen beschaulichen Rahmen zu zweit lud die Countess allerdings nur Rebecca zum Tee, weil sie es nicht mit ansehen konnte, wenn ihre Tochter sich in Gesellschaft verschloss. Tatsächlich waren schon zahlreiche Verbindungen in diesem Salon zustande gekommen. Wie Trophäen hingen die Fotos von lächelnden Brautpaaren in der Ecke des Raumes. Die Scheidungsquote war so gering, dass die Countess diese als Berufsrisiko abwinkte, wobei sie diese Bezeichnung nur lapidar anzuwenden pflegte. Denn auf Rebeccas ironisch gemeinten Vorschlag, eine offizielle Partnervermittlung für höhere Töchter zu eröffnen, hatte ihre Mutter bereits vor Jahren mit einer Woche eisigen Schweigens reagiert. Deshalb sparte sie sich weitere Kommentare und beschloss im Stillen, sich um keinen Preis der Welt in Mutters Erfolgsgalerie einreihen zu lassen.

„Du kennst meine Pläne, Mom. Ich werde mich in Italien auf mein Kunststudium vorbereiten, das ich vorhabe, mit Bravour abzuschließen“, verkündete Rebecca zum wiederholten Mal.

Ihre Mutter zog, wie üblich, eine missbilligende Miene und schüttelte den Kopf. „Was, glaubst du, erwartet dich in Italien, außer schnatternde Menschen und lähmende Hitze? Kilometerlange weiße Strände haben wir hier auch, ganz zu schweigen von der Künstlerkolonie mit zahlreichen Galerien in St. Ives. Ich verstehe nicht, wozu du in ein anderes Land reisen musst.“

Rebecca unterdrückte ein Schmunzeln über die erneuten Versuche ihrer Mutter, sie von ihrem Vorhaben abzubringen. „Weil ich etwas von der Welt sehen möchte – und dazu brauche ich nun mal keinen Mann an meiner Seite.“

Noch während Rebecca redete, klopfte es an der Tür und ihre Cousine Mia betrat den Raum. „Du möchtest nach Italien? Das klingt wunderbar.“

Die Countess schüttelte den Kopf und murmelte: „Da kommt ja mein zweiter Härtefall. Die eine will zu wenig, die andere zu viel. Wen wundert es, dass sich da nichts zustande bringen lässt.“

„Ich freue mich auch, dich zu sehen, Tantchen“, erwiderte Mia fröhlich und nickte Rebecca zu. „Aber ohne einen Mann ist das Leben doch nur halb so schön.“

Rebecca zuckte mit den Achseln. Es war schon müßig genug, gegen ihre Mutter anzureden, da brauchte sie nicht auch noch ihrer Cousine zu erklären, dass sie sich natürlich auch nach einem Mann in ihrem Leben sehnte, sich diesen aber von niemandem aussuchen lassen wollte. Mit Mutters verstaubter Meinung über Liebe, die angeblich erst im Laufe einer Beziehung erwacht, konnte Rebecca nichts anfangen. Bei ihren Eltern mochte das funktioniert haben, doch für sich selbst erschien ihr das Risiko zu hoch, dass eine Vernunftehe letztendlich auch eine solche blieb. Wenn sie eines Tages heiraten sollte, dann würde die Liebe schon vorher da sein.

Ein Seufzen entfuhr ihr, das sie schnell mit einem Hüsteln überspielte. Besonders erfahren war sie nicht in Liebesdingen. Ihre letzte und einzige Beziehung lag nun schon Jahre zurück. Darüber hinwegzukommen hatte noch einmal eine gefühlte Ewigkeit gedauert. Vielleicht war es tatsächlich nur eine Teenagerschwärmerei gewesen und vielleicht wäre alles nur halb so schlimm gewesen, wenn Brian sie wegen einer anderen verlassen hätte. Doch Brian war tot! Verunglückt mit dem Sportwagen seines Vaters. Er war ein Rebell gewesen, wild und unbändig. Von Gleichaltrigen bewundert, von Erwachsenen mit Unverständnis bedacht. Sein Handeln richtete sich stets gegen jegliche Erwartungen. Regeln waren dazu da, gebrochen zu werden, und einen Führerschein brauchte er nicht zum Autofahren. Das war ihm letztlich zum Verhängnis geworden. Doch unter all den Mädchen im Internat hatte er sie erwählt. Rebeccas Herzschlag beschleunigte sich. Mit den Gedanken an Brian kroch auch die Erinnerung an den Schmerz aus ihrem Innern hervor. Einen solchen Verlust wollte sie nie wieder erleben. Da blieb sie lieber allein.

Rebecca fuhr leicht zusammen, als die Stimme ihrer Mutter sie in die Gegenwart zurückholte. „Du könntest wenigstens ein Blick auf das Foto werfen, das gebietet der Anstand.“

Ein kurzer Blick auf den Monitor genügte Rebecca. „Diesen pickeligen Jüngling hast du mir vergangene Woche schon präsentiert. Da scheint sich jemand nicht besonders viel Mühe zu geben, was seine Internetpräsenz angeht. Oder er hat etwas zu verbergen.“

„Kindchen, das Firmenprofil wird sicher nicht vom Grafen persönlich gepflegt, dafür hat man Personal“, erklärte die Countess, um Rebeccas Interesse zu wecken.

Stattdessen hob Mia den Kopf und ließ das Zitronentörtchen wieder auf die Etagere sinken.

„Wenn Rebecca nicht möchte, kann ich ihn mir ja mal anschauen“, meldete sie sich zu Wort. Sie stand auf, klopfte ein paar Kuchenkrümel von ihrem üppigen Dekolleté und lief um den Tisch herum, um sich den Kandidaten auf dem Bildschirm anzusehen. Ihre Miene hellte sich auf, woraufhin die Countess sich beeilte, auf eine andere Seite zu klicken. „So einfach ist das nicht, Kindchen. Für dich müssen wir ein anderes Mal nachschauen.“

„Soll das heißen, ich sei schwer vermittelbar?“, Mia zog scherzhaft einen Schmollmund.

„Sagen wir mal, es scheint für dich noch nicht an der Zeit, sich festzulegen“, antwortete die Countess und klappte ihren Laptop zu.

Rebecca schmunzelte. Schwer vermittelbar war ihre zwei Jahre ältere Cousine sicher nicht, sondern eher etwas unstet. Sie zog es vor, sich von einem Abenteuer ins nächste zu stürzen, ohne einen Blick auf die zahlreichen Scherbenhaufen hinter sich zu werfen. Ihre Selbsteinschätzung war noch nicht ausgereift, pflegte Mutter zu sagen.

Mia lehnte sich schwungvoll in ihrem Stuhl zurück, wobei der ausgestellte Rocksaum ihres sonst eng anliegenden Sommerkleids keck hinterherwippte. „Was soll’s? Dann begleite ich eben Rebecca nach Italien.“ Mit diesen Worten biss sie genüsslich in ein Zitronentörtchen.

Ausnahmsweise einmal einig, hoben Rebecca und ihre Mutter gleichzeitig die Augenbrauen. Die Frage, nach welchem Studium es Mia sann, stand ihnen beiden auf der Stirn geschrieben, ebenso wie die Antwort darauf: ganz sicher kein Kunststudium.

Mia, sich im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit wissend, plapperte munter weiter: „Und natürlich beginnen wir unsere Reise in Pisa!“

„Ich dachte eigentlich eher an Rom oder Neapel“, erwiderte Rebecca.

„Ach komm, Pisa bietet sich doch an, schließlich steht dort dieser schiefe Turm. Was sollte sich besser eignen für deine Kunstsachen?“

„Na ja, da wären außer dem Campanile in Pisa noch die Galleria dell’Accademia in Florenz mit der originalen David-Statue. Der Dogenpalast in Venedig oder das Vatikanmuseum“, erwiderte Rebecca, immer noch irritiert über Mias Interesse an einer Italienreise.

„Wie auch immer, da kannst du später auch noch hin. Aber Pisa würde ich selbst gerne mal besichtigen. Tust du mir den Gefallen? Bitte, bitte …“

Pisa, Italien

Mit ihrem Skizzenblock auf dem Schoß saß Rebecca auf der weitläufigen Wiesenfläche der Piazza del Duomo. Von hier aus genoss sie seit Stunden den Blick auf die drei wundervollen Gebäude aus Carrara-Marmor. Der Campanile lugte in interessanter Schieflage seitlich am Dom vorbei, als fordere er seinen Anteil am Vordergrund. Unweit davon stand das Baptisterium, die größte Taufkirche der Welt. Obwohl sie auf der Wiese von Menschen umgeben war, herrschte eine eigenartige Ruhe auf dem Platz der Wunder, wie er im Volksmund hieß. Trotz der Wärme zog Rebecca die dünne Baumwolljacke über ihre prickelnden Schultern und bedauerte, nicht wie die meisten der Studenten auf dem Platz ihre Haut stundenlang der Sonne aussetzen zu können. Auf die Arme gestützt, lehnte sie sich zurück und entspannte noch eine Weile in der spätmorgendlichen Atmosphäre. Rebecca war froh, sich auf Mias Vorschlag eingelassen zu haben. Diese Stadt war einfach zauberhaft mit ihren verwinkelten Gassen und bunt angestrichenen Häusern. Unweit von der Piazza hatten zahlreiche Souvenirhändler ihre Stände aufgebaut. Manche liefen mit Bauchläden umher, um ihre Ware an Touristen zu verkaufen. In der ersten Woche war Rebecca mehrfach angesprochen worden, doch mittlerweile hatten die Händler offenbar erkannt, dass sie keine Urlauberin war, und ließen sie in Ruhe. Rebecca blickte zur Seite und sah Mia aus der Via Roma, der kleinen Gasse, in der auch ihre Pension lag, auf sie zukommen. Das halbe Gesicht von einer Sonnenbrille verdeckt, stakste ihre Cousine etwas unsicher mit ihren Stilettos über den Rasen.

„Deine Beine sind schon ganz rot“, bemerkte Mia und schaffte es, in ihrem Sommerkleid eine elegante Sitzposition neben Rebecca einzunehmen.

„Ich weiß, ich wollte sowieso gleich gehen. Wie kommt es, dass du um diese Uhrzeit auf bist? Immerhin ist es erst Mittag“, entgegnete Rebecca und spitzte die Lippen.

Seit ihrer Ankunft vor zwei Wochen hatte sie von Mia nur wenig mitbekommen. Gemeinsam waren sie am ersten Tag auf den Turm geklettert, um sich von dem Blick inspirieren lassen. Jede auf ihre Weise, denn während Rebeccas Augenmerk auf die imposanten Gebäude gerichtet war, hatte sich Mia entschieden, fortan das Nachtleben zu erkunden. Dabei war sie dann auch geblieben. Meist kam sie erst in den frühen Morgenstunden zurück ins Pensionszimmer. Wenn Rebecca kurz darauf aufstand, war ihre Cousine eingeschlafen.

„Besser kann man sich ein Zimmer nicht teilen. So gibt es nie Streit um die Dusche.“ Mia zog ihre Sonnenbrille ab und setzte sie nach einem kurzen Schmerzenslaut sofort wieder auf. „Meine Güte, ist das hell hier.“

„Was führt dich her?“, fragte Rebecca.

„Vielleicht wollte ich dir ein wenig Gesellschaft leisten“, antwortete Mia und zog eine Schnute.

Rebecca stieß ein ungläubiges Schnaufen aus und stupste ihrer Cousine in die Seite. Ein Souvenirverkäufer näherte sich, wurde von Mia weggewinkt, woraufhin sich gleich der nächste auf den Weg zu ihnen machte. Rebecca runzelte die Stirn. „Was ist denn hier auf einmal los? Für gewöhnlich versuchen sie es schon gar nicht mehr bei mir.“

„Liegt vermutlich an mir“, erwiderte Mia und fuhr mit einer Hand durch ihre dunklen Locken. „Ich ziehe die Kerle an wie ein Licht die Mücken. Du hingegen hast dich so gut integriert, dass sie dich für eine Studentin halten.“

„Na hör mal, ich bin eine Studentin“, erwiderte Rebecca lachend. „Aber du hast recht, ich finde es herrlich hier und bin froh, deinen Vorschlag angenommen zu haben.“

Mia räusperte sich. „Ehrlich gesagt, langweile ich mich. Wer hätte denn damit gerechnet, dass die Hälfte der Bevölkerung aus Studenten besteht, die den ganzen Tag dasitzen und alte Mauern anstarren?“

„Es gibt in Pisa zwei Hochschulen und eine Universität, die von Studenten aus aller Welt besucht werden. Die Piazza dei Miracoli bildet sozusagen das kulturelle Zentrum.“

„Platz der Wunder“, erwiderte Mia mit einem verächtlichen Unterton. „Soso. Ich schätze, an meinen Wundern muss ich erst ein wenig arbeiten. Aber schön, dass du dich hier wohlfühlst.“

„Alles okay mit dir?“, fragte Rebecca, als sie den harten Zug in Mias Mundwinkeln bemerkte.

Mia vollzog eine wegwischende Handbewegung. „Klar, mir geht es gut. Es ist nur so, die Arrangements deiner Mutter gingen nie wirklich auf. Letzten Endes ließen mich die Herren immer spüren, dass ich keine echte Trevelyan bin, sondern nur das angeheiratete Mündel einer Bürgerlichen.“ Mia atmete tief durch und streckte ihr Kreuz durch. „Aber was soll’s? Ich bin daran gewöhnt, meine Angelegenheiten selbst in die Hand zu nehmen, und bin quasi auf der Suche.“ Sie zwinkerte verschmitzt. „Aber fürs Erste habe ich ja jemanden kennengelernt. Er hat mich für zwei Tage auf seine Jacht eingeladen.“

„Tatsächlich?“ Rebecca blickte ihre Cousine besorgt an.

„Jetzt mach nicht so ein Gesicht. Mir passiert nichts. Es ist nicht das erste Mal, dass ich mich mit einem Mann treffe, den ich gerade erst kennengelernt habe. Wenn es dieses Mal nicht klappt, suche ich mir einen heißblütigen Italiener … natürlich einen vermögenden. Dann schlage ich zwei Fliegen mit einer Klappe.“ Mias Lachen klang ein wenig freudlos. Sie machte Anstalten aufzustehen, sodass Rebecca anfing, ihre Skizzen in die Tasche zu stecken.

Sie kannte Mia gut genug, um zu wissen, dass sie sich niemals ein Vorhaben ausreden ließ. Ebenso nahm sie es ihr nicht übel, wenn sie sich für ein paar Tage absetzte. Sie respektierten gegenseitig ihre unterschiedlichen Interessen und wenn es darauf ankam, waren sie füreinander da. So hielten sie es seit Jahren und waren zu besten Freundinnen geworden. Bevor sie sich auf den Weg machten, drehte sich Rebecca zu Mia und nahm sie in den Arm. „Tröste dich, ich bin eine echte Trevelyan und dennoch allein. Irgendwann wird sich für uns beide jemand finden und bis dahin sind wir füreinander da.“

Vor dem Hotel verabschiedete sich Rebecca von Mia und machte sich auf den Weg zur nahe gelegenen Barings-Café-Bar. Es war ihr eine lieb gewonnene Angewohnheit geworden, dort mindestens einmal am Tag einen Kaffee zu trinken. Der Duft nach gerösteten Kaffeebohnen begrüßte sie schon vor dem Eintreten. Sie tauchte ein in die inzwischen schon vertraute Atmosphäre des Lokals und setzte sich auf einen der Barhocker vor dem Tresen. Noch ehe sie ihre Bestellung aufgeben konnte, schob sich wie durch Zauberhand eine Tasse vor sie.

„Fettfreier Latte macchiato mit extra Milchschaum, Signora“, verkündete Antonio, der Barkeeper, mit einem strahlenden Lächeln.

Verblüfft lächelte Rebecca ihm zu. „Das ist sehr aufmerksam. Danke.“

Seit zwei Wochen kam sie täglich hierher und kannte den Namen des gut aussehenden Barkeepers von dem kleinen Schildchen, das jeder Mitarbeiter an der Einheitskleidung trug. Nun ruhte seine Hand einen Augenblick länger als sonst neben ihrer Tasse, sodass Rebecca die langen Finger und gepflegten Nägel bemerkte. Ein silberner Ring hob sich glänzend von seiner gebräunten Haut ab. Sie erblickte die kunstvolle Rosette auf ihrem Milchschaum, eine deutlich aufwendigere Latte-Art-Kreation als sonst.

„Das sieht aber heute besonders hübsch aus. Man könnte fast annehmen, Sie wussten, dass ich komme“, sagte Rebecca leichthin.

Natürlich war ihr aufgefallen, dass jeder ihrer Kaffees ein anderes Muster zeigte. Mal Blumenranken, Rosetten, Wellenmuster oder sogar Tiergesichter zauberte Antonio in den Kaffeeschaum. Vermutlich war das eine Verkaufsstrategie der Café-Bar, die den Gast dazu verleiten sollte wiederzukommen. Rebecca kam wieder, weil sie die Atmosphäre in dem Lokal mochte. Die kleinen Bistrotische waren beinahe immer besetzt von Touristen und Einheimischen. Die dezente Hintergrundmusik spielte italienische Klassiker, das Licht war leicht gedämpft und verlieh der Café-Bar den Hauch eines gehobenen Restaurants. Die Mitarbeiter waren ausnahmslos höflich. Das bekam Rebecca zumindest am Rande mit, denn ihren Kaffee servierte ihr ausschließlich Antonio. Vermutlich erwischte sie zufällig immer seine Schicht.

„So hübsch wie Sie“, erwiderte Antonio und sah sie direkt an. „Und natürlich wusste ich, dass Sie kommen.“

Bernsteinfarbene Augen, die Rebecca wahrscheinlich sehr gefallen hätten, wenn Antonios Blick nicht von ihrem Gesicht weg zu ihrem Dekolleté gewandert wäre.

Unweigerlich spürte Rebecca Empörung in sich aufsteigen, ertappte sich aber gleichzeitig dabei, sein markantes, glatt rasiertes Kinn zu betrachten.

„Ach ja? Das nennt man wohl vorausschauenden Kundenservice.“ Rebecca hoffte, ihn mit ihrer schnippischen Bemerkung in seine Schranken zu verweisen. Anscheinend hatte er vergessen, dass sie ein Gast des Hauses war und er seine Arbeit erledigen sollte, anstatt Gäste zu kompromittieren.

Antonio hob langsam eine seiner tiefschwarzen Augenbrauen zu einem perfekten Bogen an. Sein spöttisches Lächeln zeigte, dass Rebeccas Bemerkung angekommen war. „Ist es nicht eine britische Gewohnheit, innezuhalten und einen Tee oder wahlweise Kaffee zu genießen?“

„Was macht Sie so sicher, dass ich Engländerin bin?“

Er deutete auf ihr Dekolleté. „Die Sonne hat eine leichte Rötung auf ihrer Haut hinterlassen.“

„Und es gibt natürlich nirgendwo anders auf der Welt hellhäutige Menschen“, erwiderte Rebecca gereizt.

Sie hasste es, auf ihre vornehme Blässe, wie es ihre Mutter auszudrücken pflegte, angesprochen zu werden, und fand die Bemerkung von jemandem, der ihr einen Kaffee verkaufen sollte, völlig unangebracht. Sie reckte das Kinn, um darüber hinwegzutäuschen, dass ihre Wangen sich heiß anfühlten.

Eine Bestellung wurde Antonio zugerufen, woraufhin er sich abwandte, um die Röstmaschine einzuschalten. Rebecca nutzte die Gelegenheit, um den Ausschnitt ihres Shirts ein wenig höher zu ziehen. Nachdem das Mahlgeräusch aufgehört hatte, kehrte Antonio umgehend zu ihr zurück. „Doch, die gibt es, aber keine mit Haaren wie rotes Gold!“

Rebecca schnappte nach Luft. Versuchte dieser Mann sie etwa mit seinem italienischen Charme anzumachen?

„Anscheinend halten Sie sich für die tageslichttaugliche Version eines Barkeepers oder wie das sonst heißt, was Sie da tun.“ Rebecca deutete mit einer herablassenden Handbewegung auf seinen Arbeitsbereich. „Dabei haben Sie allerdings übersehen, dass Ihre Gäste nicht betrunken genug sind, um sich von Ihnen analysieren zu lassen.“

Nun hob er beide Brauen, begleitet von einem Funkeln in den Augen.

„Barista!“

„Wie bitte?“

„Das, was ich hier tue“, er deutete mit einem weitschweifenden Blick über den Tresen. „Man nennt diesen Beruf Barista.“

„Sag ich doch. Barista ist das italienische Wort für Barkeeper“, konterte Rebecca.

Noch bevor sie ihre Genugtuung auskosten konnte, lächelte Antonio entwaffnend, was sie nur noch wütender werden ließ. Aber warum regte sie sich überhaupt so auf? Weil er arrogant war, beantwortete sie sich selbst ihre Frage. Erst war er unverschämt und dann belehrte er sie auch noch. Und als ob das alles noch nicht genügen würde, musste sie die ganze Zeit daran denken, wie attraktiv dieser Mann war. Das brachte sie völlig aus dem Konzept.

Nachdem er dem Gast am nächsten Tisch einen Cappuccino serviert hatte, postierte er sich wieder vor Rebecca und verschränkte die Arme vor die Brust.

Wie groß mochte er sein? Eins neunzig?

„Wäre ich keine tageslichttaugliche Ausgabe eines Barkeepers, würden Sie dann mit mir ausgehen?“

Jetzt hieß es Nerven bewahren, sonst würde die Entrüstung ihr noch wie Dampf aus den Ohren schießen. „Sie unterstellen mir, dass ich Menschen ihres Standes wegen aburteile?“ Rebecca bemühte sich, seinem Blick standzuhalten, auch wenn ihr dabei die Kniekehlen vor Aufregung kribbelten.

Ausgerechnet ihr zuzutrauen, dass sie sich für etwas Besseres hielt, verschlug ihr beinahe den Atem. Sie konnte förmlich spüren, wie ihre Wangen vor Empörung glühten. Und dann war da auch noch dieses leichte Zucken seiner Achseln.

„Wie kommen Sie bloß auf so etwas? Sie kennen mich doch überhaupt nicht.“

„Ihr Ring“, antwortete er prompt. „Damit könnten die meisten Ihrer Kommilitoninnen vermutlich ihre Studiengebühren bezahlen.“

Irritiert fiel Rebeccas Blick auf den dezenten Diamanten, den sie am Ringfinger trug. Brian hatte ihn ihr damals geschenkt. Es war nie offiziell gewesen, doch es war ein Versprechen, das sie sich gegeben hatten. Der Verlobungsring eines Toten, an den sie sich einfach nur gewöhnt hatte. Etwas regte sich schmerzhaft in Rebeccas Brust. Sie wollte nichts anderes sein als eine Studentin. Ohne auf ihren gesellschaftlichen Stand reduziert zu werden. Nie wäre es ihr in den Sinn gekommen, ihre Gesellschaft nach Berufen oder gar Vermögen auszuwählen – auch nicht, wenn ein Mann sie interessierte. Das war Mias Art und Mutters Ambition, über die sie mit ihr endlose Diskussionen führte. Plötzlich fühlte sie sich von diesem selbstgefälligen Barkeeper bloßgestellt. Aber sie hatte nicht vor, sich anmerken zu lassen, dass er ihr unrecht tat.

„Wenn Sie es genau wissen wollen, ich würde nicht mal mit Ihnen ausgehen, wenn Sie der Pächter dieses Ladens wären.“

Während er mit leicht geneigtem Kopf nickte, konnte sie seiner Miene deutlich entnehmen, dass er genau diese Antwort von ihr erwartet hatte. Für ihn war sie ein verwöhntes Mädchen aus reichem Hause, das für eine Weile Studentin spielte. Mit den Ellenbogen auf der Thekenplatte beugte er sich provozierend nah zu ihr vor. Sehnige Muskeln zeichneten sich an seinen Armen unter bronzefarbener Haut ab.

„Scusi, Signora, noch Kaffee?“, fragte er betont kühl, ohne sich zu rühren.

Rebecca fühlte sich wie vor den Kopf gestoßen. Sein arrogantes Verhalten ließ Wut in ihr aufwallen. Was maßte er sich an? Ihre Abfuhr schien ihn nicht im Geringsten zu treffen. Wahrscheinlich versuchte er es mit dieser Masche bei jeder zweiten Frau, die die Café-Bar betrat. Für ihn war das ein Spiel, aus dem er vermutlich nicht selten als Sieger hervorging.

Ohne den Blick von ihm abzuwenden, steckte sie ihren Zeigefinger langsam in den Kaffee, bis sie den Boden der Tasse berührte. Die Milchschaumrosette war längst an der Oberfläche angetrocknet und fiel in sich zusammen. In Antonios Augen blitzte es auf. Schön, er war also überrascht.

„Ich prüfe die Temperatur“, beantwortete sie die unausgesprochene Frage.

Dann wischte sie ihren Finger an der Serviette ab, erhob sich vom Barhocker und griff nach ihrer Kaffeetasse, um den Inhalt genüsslich langsam über Antonios Kopf zu entleeren. Dabei beugte sie sich ebenfalls zu ihm vor. Ihr Gesicht war dem seinen so nahe, dass sie einzelne Kaffeetröpfchen an seinen Wimpern wahrnehmen konnte.

„Wir wollen doch ernsthafte Verletzungen vermeiden, nicht wahr?“, fügte sie zuckersüß hinzu.