Verdammt magisch

1. Norman

2. Gunnar Krafft

3. Erweckungen

4. Enttäuschend

5. Zwei Abweichungen

6. Abendessen

7. Fühlen

8. Ein neuer Weg

9. Nächtliche Unterhaltung

10. Magie!

11. Andere Sichtweisen

12. Fruchtlose Zusammenarbeit

13. Gemeinsam versagen

14. Schlechte Verbindung

15. Ein Geständnis

16. Nah, sehr nah

17. Noch näher

18. Mütter und Monster

19. Kürbisfest

20. Schauspiel und Chaos

21. Trinkgefährten

22. Gefahr

23. Über den Dächern von Løbago

24. Ein neuer Tag

25. Nächster Versuch

26. Wochenende

27. Sauber und glücklich

28. Motivation

29. Und jetzt?

30. An die Front

31. Die Stadtmauer

32. Nacht

33. Im Ernstfall

34. Opfer

35. Eine Mission?

36. Geständnisse und Schüsse

37. Das Ende

38. Der Epilog

Impressum

 

Verdammt magisch

Text Copyright © 2017 Regina Mars

Alle Rechte am Werk liegen beim Autor.

Regina Mars

c/o

Papyrus Autoren-Club,

R.O.M. Logicware GmbH

Pettenkoferstr. 16-18

10247 Berlin

regina@reginamars.de

www.reginamars.de

 

Alle Rechte vorbehalten

 

Umschlagbild und Umschlaggestaltung: Regina Haselhorst

Illustration Copyright © Regina Haselhorst

www.reginahaselhorst.com

 

Die Handlung und alle handelnden Personen sind frei erfunden. Jegliche Ähnlichkeit mit lebenden oder realen Personen wäre rein zufällig.

Reale Personen wären auch vernünftig genug, Safer Sex zu praktizieren, im Gegensatz zu den Fantasiegestalten in diesem Roman. Die müssen sich darum keine Sorgen machen, da es sie nicht gibt.

Aufgrund vereinzelter homoerotischer Szenen ist dieses Buch nur für Personen über 18 Jahren geeignet. Ja, es enthält schwulen Sex. Gern geschehen.

Leis, Kindlein, leis

Dort draußen schleicht das Eis.

Die Zähne spitz, die Krallen rot

Hört es dich, dann bist du tot

Leis Kindlein, leis

 

(Trad. Kinderlied aus dem Nördlichen Flussland)

1. Norman

 

Norman hatte sein Leben lang auf diesen Tag gewartet. Zumindest, solange er denken konnte. Oder wenigstens, seit er erfahren hatte, was Magie war. Was ein Motor war.

Motoren waren die fabelhaftesten Drecksäue auf der ganzen Welt. Und er würde ihr König werden, wenn nicht sogar ihr, Dings … Kaiser. Genau. Norman Skødling der Erste, Kaiser der Magie. Das klang doch gut. Verdammt gut.

Endlich war es soweit.

Norman marschierte über die Straße, vorbei an einem Einspänner mit Messingbeschlägen und einer verstaubten Bierkutsche. Gerade war ein Automobil vorbeigerast. Die Luft stank noch nach Benzin und die Pferde tänzelten. Selbst die Brauereigäule wirkten nervös, trotz ihrer Scheuklappen. Na, die würden sich daran gewöhnen müssen. Die Blechbüchsen wurden jetzt massenproduziert. Bald würden die Straßen voll damit sein.

Ich kauf mir auch eine, sobald ich Kaiser der Magie bin, dachte Norman. Die schnellste, die ich finden kann.

Er holte noch einmal tief Luft, bevor er den Gunnar-Krafft-Platz betrat. Wie bei jeder Erweckungszeremonie war es rappelvoll. Schaulustige überall. Vom Greis bis zum Kind schauten alle würstchenmampfend auf die Tribüne. Noch war sie leer.

Norman musste die Ellenbogen einsetzen, um voranzukommen. Gut, dass er so kräftig war. Schon als Säugling hatten alle seinen riesigen Schädel bewundert. Nun, mit 18, hatte er Schultern wie ein Ochse, Arme wie ein Preisboxer und ein Gesicht wie eine rohe Frikadelle.

Der Geruch von Schweiß und gebratenem Fett kitzelte seine Nasenlöcher, während er sich durch die Menge kämpfte. Über tausend Leute passten auf diesen Platz und Norman war sicher, dass es heute doppelt so viele waren. Er quetschte sich zwischen zwei Fressbuden durch und sah auf.

Goldgelber und lilafarbener Stoff wehte im Wind. Von den Fähnchenketten bis zu dem gigantischen Banner, das die Vorderfront des Arkanen Instituts halb verdeckte, wurde alles von diesen beiden Farben dominiert. Das verdammte Banner war zwanzig Stockwerke hoch. Norman konnte nicht anders, als es anzuglotzen. Seit er zum ersten Mal die Zeremonie besucht hatte, faszinierte ihn das Ding.

Mit der Kohle, die das gekostet hat, hätte man alle armen Kinder von Løbago ein Jahr lang füttern können, hatte damals jemand gesagt.

Aber alle armen Kinder von Løbago waren Norman egal gewesen. Und das, obwohl er selbst eins von ihnen gewesen war. Er hatte nur auf das leuchtende Goldgelb gestarrt und ein sehnsüchtiges Ziehen in der Brust gespürt.

Bitte, hatte er gedacht. Bitte, lass mich einer von ihnen sein. Ein Magier.

Obwohl seine Mutter ihm erklärt hatte, dass Wünschen einen im Leben nicht weiterbrachte (und Norman ihr zustimmte), hatte er heimlich weitergewünscht und gewünscht, bis sein Traum wahr geworden war.

Mit zwölf hatten sie magisches Potenzial bei ihm festgestellt. Mit sechzehn hatte er angefangen, in die Vorbereitungskurse zu gehen. Und ab heute war er ein verdammter Magieschüler! Alles, von dem er je geträumt …

»Entschuldigung«, sagte eine verschüchterte Stimme hinter ihm. Eine Hand legte sich auf seinen Arm.

Norman wirbelte herum, bereit zum Zuschlagen. Wässrig blaue Augen starrten ihn an. Sie steckten in einem bleichen Gesicht, das zu einem bubiblonden Kopf gehörte, der wiederum auf einem schmächtigen Körper saß. Der Junge, der bestimmt in Normans Alter war, reichte ihm kaum bis zum Kinn.

Was ist das denn für ein Hänfling?, dachte Norman. Erbärmlich.

»Entschuldigung«, flüsterte der Lauch so leise, dass Norman ihn im lauten Gebrabbel der Menge kaum verstand.

»Lass mich los!«, raunzte er.

Der Hänfling wich zurück. Seine Fingerchen lösten sich von Normans Ärmel und die Augen hinter den runden Brillengläsern wurden noch größer.

»Entschuldigung, ich wollte nicht … Verzeihung.« Er biss sich auf die Lippen. »Ich habe nur gesehen, dass du auch die Anwärteruniform trägst und … Weißt du, wie ich zur Tribüne komme?«

»Da lang.« Norman deutete in die ungefähre Richtung des Riesenbanners. »Ist doch klar. Wie blöd bist du?«

Die hellen Augen wurden nass. Ein hartes Schlucken brachte den Kehlkopf des Kleinen zum Zittern.

»Ich wusste nicht … Ich habe noch nie so ein Gedränge erlebt. Ich habe meinen Diener irgendwo verloren und er meinte, ich sollte zur Tribüne gehen, falls wir getrennt werden … Müssen wir da hinauf? Vor all diesen Leuten?« Panisch schaute er Norman an.

»Natürlich müssen wir da rauf! Das ist doch das Beste daran!« Norman sah den Kleinen ungläubig an. »Dass uns bei der Erweckung alle anschauen.«

»A-alle?«

»Absolut alle.« Norman grinste stolz. »Zweitausend Leute.«

»Zwei...« Die Wangenfarbe des Blonden wechselte von blass zu grün. Norman schüttelte den Kopf.

»Mann, was bist du denn für ein Lauch? Hast du Angst vor ein paar Leutchen? Das ist eine Ehre. Wir stehen da oben, weil wir die Größten sind. Na ja, ich bin der Größte. Du wohl nicht. Aber ich! Ich werde der größte Motor aller Zeiten!«

Der Hänfling glupschte ihn an, als wäre er verrückt geworden. Aber was wusste der schon?

»Junge, drei Jahre Institut, und ich beschwöre mit einer Hand Feuerstürme und mit der anderen Eisregen. Du wirst schon sehen. Glaubst du mir etwa nicht?«

Hastig schüttelte der Kleine den Kopf. Das war wohl ein Fehler gewesen: Seine Wangen wurden noch grüner. Bevor Norman zurückweichen konnte, hatte er sich schon gekrümmt und ihm vor die Füße gekotzt. Ein paar Spritzer landeten auf Normans uralten, aber blankpolierten Schuhen.

»Was soll das denn?« Er versetzte dem Schwächling einen Stoß mit der flachen Hand, der ihn zum Wanken brachte.

Wehren konnte der sich nicht. Nicht, weil er ein Spargel war. Sondern, weil er vollauf mit Würgen und Spucken beschäftigt war. Eine Pfütze in sehr merkwürdigen Farben breitete sich vor ihm auf dem Pflaster aus.

»Was hast du denn gegessen?«, fragte Norman fasziniert. »Rote Beete und Blätter?«

»Wachtelgelee auf Sauerampfer an Himbeerpüree«, keuchte der Kleine. Ein langer Spuckefaden hing von seiner Unterlippe und Tränen liefen über seine Wangen.

»Wachtel... Bist du reich, oder was?«

Der Kleine schaute erschrocken. Dachte er jetzt etwa, dass Norman ihn ausrauben wollte? Das hatte er doch gar nicht nötig. Nicht mehr.

Hm, aber der Schwächling war eindeutig wohlhabend. Oh. Erst jetzt fiel Norman der dünne Zopf auf, zu dem er seine Haare zusammengebunden hatte. Vorne hatten sie so komische Locken. Und dann hatte er von einem Diener geredet.

»Ach du Scheiße.« Norman verzog das Gesicht. »Bist du etwa adlig? Es gibt doch fast keine Adligen mit Dings, magischer Potenz.«

»Magischem Potenzial«, murmelte der Blonde. Er wich zurück, als Norman ihn böse ansah. »Das liegt daran, dass auf einen Adligen über hundert Gemeine kommen. Bei den Magiern ist die Verteilung ähnlich. Auf einen adligen Magier kommen hundert Gemeine, also gibt es, statistisch gesehen, gleich viele …«

»Was laberst du? Außerdem stimmt das nicht. Es liegt daran, dass wir stärker sind als ihr. Hier drin.« Norman deutete auf seine Brust. »Und in den Armen auch. Das braucht man für Magie. Dein blaues Blut wird dir einen Scheiß bringen, du Waschlappen.«

»Heimfried«, sagte der Schwächling. Mit zitternden Fingern fummelte er ein übertrieben verziertes Tuch aus seiner Brusttasche. Sah aus wie eine plattgewalzte Hochzeitstorte. Er wischte sich damit über den Mund.

»Hä?«

»Heimfried von Mømpelgard.« Ein schwaches Lächeln. »Angenehm.«

Norman ignorierte die ausgestreckte Hand.

»Mir scheißegal, wer von was du bist. Hier sind alle gleich. Ich nenn dich Lauchi.«

»Oh.« Der Kleine schaute geknickt.

Nein, das machte keinen Spaß. Das war ja, wie einbeinige Welpen zu treten. Norman beschloss, ihm etwas Gutes zu tun und ihm den besten Rat zu geben, den er selbst je bekommen hatte.

»Hör auf zu heulen und kneif die Arschbacken zusammen!«, fuhr er Lauchi an. »Und jetzt auf zur Tribüne, zack, zack! Gleich geht’s los!«

Er jagte Heimfried durch die Menge. Er wollte ihn nicht jagen, aber der Kleine rannte stolpernd vor ihm her, bis sie die immer dichteren Menschenmassen überstanden hatten. Die Soldaten, die vor der Absperrung Wache hielten, überprüften ihre Einladungen und ließen sie durch. Acht Sitzreihen waren auf dem dunklen Kopfsteinpflaster aufgereiht. Hinten Holzbänke, vorne Polstersessel. Haarschöpfe von Schwarz über Blond bis Grau lugten über die Rückenlehnen. Alle blickten auf die leere, geräumige Tribüne. Norman spürte ein glückliches Flattern in der Magengrube, als er sie betrachtete. Gleich. Endlich.

Tore und Brenna winkten ihm. Die beiden waren mit ihm in die Vorbereitungskurse gegangen, als Einzige aus ihrem Viertel. Das machte Norman und sie fast zu Geschwistern. Alle drei waren sie breit, kräftig und gnadenlos und konnten es kaum erwarten, zu Motoren zu werden. Als er sich zu ihnen durchquetschte, merkte er, dass Heimfried ihm folgte.

»Was soll das?«, fragte Norman. »Du kannst nicht bei mir sitzen, das ist doch klar.«

»Oh.« Wieder stiegen Tränen in Lauchis Augen. Die Brillengläser beschlugen. »W-warum nicht?«

»Na, weil du adlig bist. Deine Leute sitzen da.« Norman deutete auf eine der Polsterreihen. Da hockten noch drei andere Lockenschwanzköpfe. Ein Junge und zwei Mädchen. Alle mit hoch erhobenen Nasen.

»Oh. Ent-entschuldigung«, flüsterte der Schwächling. »Danke für deine Hilfe.«

Norman grunzte verächtlich und schob sich weiter. Tore und Brenna hatten ihm einen Platz freigehalten.

»Na, ihr Pisser?« Er lachte. »Bereit oder nicht?«

»Bereit!«, grölten sie und reckten die Fäuste in die Luft. Tores roter Lockenschopf und Brennas dunkelbrauner Zopf glänzten in der Herbstsonne.

»Und du?« Brenna grinste breit. Er sah zwei fehlende Backenzähne.

»Scheißbereit. So verdammt bereit, das glaubst du nicht.« Norman warf sich auf den Sitz neben ihr. »Haben sie schon angefangen?«

»Ne, die trödeln rum«, motzte Tore. Er formte die Hände zu Trichtern und rief: »Geht’s bald los?« in Richtung der Tribüne. Sie ernteten böse Blicke von den Umsitzenden. Norman schaute herausfordernd. Die Feiglinge zuckten zusammen und drehten sich wieder um.

»Die haben echt Schiss vor dir.« Brenna knuffte ihn in die Seite. »Du hast einfach diese Rausschmeißerfresse. Wie ein Dings, ein Doberhund.«

»Danke.« Norman lehnte sich zurück und verschränkte die Hände hinter dem Kopf.

»Er war doch auch Rausschmeißer«, sagte Tore. »Bei seiner Mutter, früher. He, wenn wir ein Team sind, sollen wir dann so heißen? Der Rausschmeißer, die Dampframme und der Flammende?«

»Die Dampframme bin ich, ja?« Brenna wiegte den Kopf hin und her. »Ich weiß nicht. Der Flammende passt nicht zu dir. Wie wär’s mit Major Rotkohl?«

»Wie wär’s mit Zopfziege?«, brummte Tore. Er faltete die baumstammdicken Arme. »Und Norman ist Frikadellenfresse.«

»Klappe, Rotkohl. Ich bin der Wolf von Wørringen«, sagte Norman. Wørringen war ihr altes Viertel. Das gefährlichste von ganz Løbago. »Und alle zusammen sind wir die Dreckigen Drei.«

»Ne, die Magischen Mistkerle.« Brenna rülpste.

»Die Motoren der Macht«, verkündete Tore.

»Nicht übel.« Norman nickte. Sie sprachen seit zwei Jahren darüber, später ein Team zu bilden. Eine magische Kampfeinheit. Nur über den Namen wurden sie sich nicht einig. Norman wollte gerade »die Hammerharten Helden« vorschlagen, als jemand die Bühne betrat.

»Na endli...«, begann er, dann erkannte er ihn. Oh. Oh! Normans Mund war mit einem Mal staubtrocken und sein Herz wummerte, als hätte er einen Sprint durch die halbe Stadt hingelegt.

Es war Gunnar Krafft.

2. Gunnar Krafft

 

Gunnar Krafft. Der Magier der tausend Klingen. Die Legende, nach der dieser Platz benannt worden war. Ihr Lebensretter, der Held von Wørringen. Normans Held.

Brenna und Tore hielten ebenfalls die Luft an, als er auf abgewetzten Stiefeln die Bühne betrat. Ein Raunen ging durch die Menge, dann war es plötzlich totenstill. Ein leiser Windstoß ließ Gunnar Kraffts goldgelben Umhang flattern. Trotz des edlen Stoffs, der nagelneuen Uniform und der blitzenden Orden wirkte er, als käme er gerade vom Schlachtfeld. Sein Dreitagebart war total männlich, unter den Klamotten spannten sich bemerkenswerte Muskeln und die Augenklappe, die sein rechtes Auge bedeckte, ließ ihn verwegen und mutig aussehen. Als er lächelte, funkelten die weißen Zähne im wettergegerbten Gesicht. Norman hörte ein paar Damen seufzen. Ein paar hundert. Er biss sich auf die Lippen, um nicht mitzumachen.

Gunnar Krafft breitete die Arme aus.

»Willkommen!« Seine Stimme dröhnte über den Platz, als wäre sie durch ein Mikrofon verstärkt. War sie aber nicht. Das hatte der Magier der tausend Klingen nicht nötig. »Schön, dass ihr da seid. Willkommen beim hundertelften Erweckungsfest des Arkanen Instituts!«

Zwei Männer und zwei Frauen rannten auf die Tribüne. Auf ihren Uniformen prangten lila Bänder und ein gesticktes »K«. K für Katalysator.

»Es geht los!«, flüsterte Norman. Er konnte den Blick nicht von Gunnar Krafft lassen. Dessen dunkle Haare wehten im Wind, als er entspannt stehenblieb, während die Katalysatoren sich links und rechts von ihm aufstellten, je ein paar Fußlängen voneinander entfernt. Sie hoben die Hände in die Luft. Lilafarbene Magie flackerte auf und umgab ihre Körper wie ein grobmaschiges Flechtwerk.

Eine Trompete erklang. Dann noch eine. Links und rechts von der Tribüne marschierte das Orchester hinauf. Ein blondes Mädchen begann zu singen, hell und dramatisch. Die Streicher setzten ein, dann die Flöten, dann der Chor, immer lauter schwoll die Musik an und dann … schritt Gunnar Krafft vorwärts.

Beiläufig berührte er die hochgestreckte Hand des ersten Katalysators. Gelbes Licht blitzte. Wie eine Feuerschlange wirbelte goldene Energie um Gunnars Körper, bis sie ihn bedeckte wie ein Netz. Ein sich stetig bewegendes, windendes Netz. Gunnars Augen strahlten. Feuer glänzte darin und tauchte sein Gesicht in einen warmen Schein.

Er stieß mit dem Zeigefinger in die Luft, als wollte er auf den Himmel zeigen. Licht schoss aus seiner Fingerspitze. Die Menge schrie auf. Ein einziger Schrei aus zweitausend Kehlen. Selbst Norman riss es aus dem Sitz.

Das Licht wurde zu einem Feuerdämon, der sich räkelte. Einem gigantischen Dämon. Ein Flammenwesen mit fünf Hörnern, einem runzlig-fiesen Fuchsgesicht und acht hageren Armen, die in abartig langen Messerklauen endeten. So hoch wie das Arkane Institut schwebte er in der Luft, brüllend und sich streckend, als wäre er aus dem Schlaf gerissen worden. Seine Wärme strich über Normans Nasenspitze. Er roch Schwefel und spürte, wie ihm der Schweiß ausbrach. Eine Hand packte seinen Arm. Tore oder Brenna. Keine Ahnung. Er konnte die Augen nicht von der Tribüne lassen.

Der Dämon riss sein Maul auf, holte tief Luft und spuckte Feuer über ihre Köpfe hinweg. Ein Flammenteppich bedeckte den Himmel. Einen Moment lang. Dann verpuffte er zu nichts. Der Dämon war verschwunden.

Gunnar Krafft grinste sie von der Tribüne aus an, als wüsste er genau, dass er sie vom Hocker gehauen hatte. Das goldene Netz um seinen Körper war erloschen.

Applaus brandete auf.

»Gunnar!!!«, brüllten alle zweitausend Versammelten. »Gunnar!!!«

Der Lärm war trommelfellzerfetzend. Norman johlte mit allem, was seine Lungen hergaben.

Gunnar Krafft klatschte die Hand des zweiten Katalysators ab. Licht prickelte zwischen ihnen und dann war sein Körper wieder von einem goldgelben Magienetz umhüllt.

»So schnell«, krakeelte Tore durch den allgemeinen Jubel. »So schnell nimmt keiner Magie auf …«

Ein Windhauch strich über sie. Eiskalt kitzelte er Normans Kopfhaut. Es war Gunnar. Er hatte nur eine sanfte Streichbewegung mit den Armen gemacht und die Luft bewegte sich bis nach ganz hinten.

»Wollt ihr mehr?«, rief er.

Die Menge brüllte zustimmend.

»Jaaa!«, schrie Norman und sprang auf. »Jaaaa!!!«

Ein Windstoß schleuderte ihn rückwärts. Fast wäre die Bank gekippt, als er darauf zurückfiel. Aber nur fast. Gunnar konnte seine Kraft genau einschätzen, weil er der verdammt Größte war!

»Wollt ihr mehr?«, fragte Gunnar erneut und sein Lächeln war so strahlend, dass es wehtat.

»Jaaaaa!!!«

Gunnar zuckte mit den Achseln. »Na gut. Ihr habt es so gewollt.«

Er drehte sich elegant um sich selbst und hob ab. Inmitten eines Wirbelsturms, der seine Haare und den Umhang wild flattern ließ, schwebte er empor. Zehn Meter hoch. Hinter ihm hob sich das gigantische Banner, langsam wie ein greiser Bulle. Es flog in seinem Rücken, als wäre es ein Teil seines Umhangs.

Seufzer aus der Menge. Gunnar sah so heldenhaft aus. Genau so wollte Norman auch sein, genau so.

»Irgendwann bin ich wie er«, flüsterte er.

»Vergiss es«, sagte Brenna. »Der ist voll der Hübsche und du siehst aus wie Mettwurst.«

Er gab ihr einen Knuff in die Rippen.

»Weiß ich doch. Aber ich werde trotzdem wie er. So mächtig.«

Gunnar senkte sich wieder auf die Erde herab, umgeben vom Geschrei seiner Anhänger. Das Netz aus Magie verblasste langsam. Das Banner schmiegte sich an die Gebäudefront, als wäre nichts gewesen.

Gunnar legte den Kopf schief und sah die Menge herausfordernd an. Einen Moment lang glaubte Norman, dass er nur ihn anblickte.

»Und jetzt?«, fragte er, als ob er wirklich nicht wüsste, was sie alle von ihm sehen wollten.

»Tausend Klingen!«, brüllten Norman und all die anderen. »Tausend Klingen!«

Ein Lächeln breitete sich auf Gunnars Lippen aus. Ein wunderschönes Lächeln. Normans Herz setzte einen Schlag aus. Und dann hob Gunnar die Hände, alle beide, und berührte die Finger der letzten beiden Katalysatoren gleichzeitig. Er reckte sie hoch über seinen Kopf.

Norman hielt die Luft an.

Gunnars Hände sausten herunter. Pfeilschnell. Aus seinen gestreckten Fingern schossen Eiskristalle. Unendlich viele, lang und spitz wie Dolche. Sie glitzerten im Sonnenlicht, als sie wie ein silbriger Fischschwarm über ihre Scheitel hinwegsausten. So schnell, dass man sie mit einem Blinzeln verpasst hätte.

Norman drehte sich zu langsam um, aber er hörte die Einschläge. Tausend Eisklingen bohrten sich in die hohe Holzwand am Ende des Platzes.

»Scheiße«, flüsterte er. »War die die ganze Zeit schon da?«

»Ja klar«, sagte Brenna. »Hast du die nicht gesehen, oder was?«

Norman schüttelte fassungslos den Kopf. Die Holzwand ging bis zum dritten Stock des Gebäudes dahinter. Jemand hatte drei Lavamonster darauf gemalt. Ihre gigantischen Krallen schienen auf das Publikum zu zeigen. Tausend Eissplitter steckten in ihren sich windenden Leibern.

»Hammer«, flüsterte Norman.

Um ihn herum brandete der Jubel auf, aber er schaffte es nicht, mitzumachen. Sein ganzer Körper war mit Gänsehaut bedeckt. Er konnte die Augen nicht von den verdampfenden Eisklingen lassen. Ein paar ragten aus den Augen der Monster, und als sie sich auflösten, sah es aus, als würden die Viecher weinen.

Das würde er sein. Das würde er bald können. Er spürte es in den kribbelnden Fingerspitzen. Wie es sich wohl anfühlte, wenn die Magie herausschoss? Wie fühlte man sich, wenn man knochenschmelzende Feuerstürme erschaffen konnte? Messerscharfe Eissäbel und tödliche Orkane? Er seufzte leise. Gut, vermutlich. Verdammt gut.

»Kommt noch was mit Erde?«, hörte er jemanden hinter sich flüstern. So ein Anfänger. Der war bestimmt noch nie bei einer Erweckungszeremonie gewesen. Dabei wusste doch jeder, dass Erdmagie innerhalb der Stadtmauern verboten war. Zu gefährlich. Feuer war aus Brandschutzgründen eigentlich auch untersagt. Wenn man nicht Gunnar Krafft hieß.

Mit weichen Knien sank Norman auf die Holzbank. Zufällig traf sein Blick den von Lauchi. Der war wohl auch aufgesprungen bei der Show. Seine Augen wirkten hinter den Brillengläsern gigantisch. Ohne es zu wollen, lächelte Norman ihm zu. Er war einfach zu verdammt glücklich.

Zögernd lächelte dieser adlige Hänfling zurück. Dann drehte er sich hastig um und plumpste in den Polstersessel. So tief, dass Norman ihn kaum noch sah. Die anderen Adligen quatschten untereinander und es wirkte fast, als würden sie Lauchi ignorieren. Armer Kerl, dachte Norman, bevor ihm einfiel, dass der Schwächling selbst daran schuld war, dass er ein Schwächling war. Er hätte ja auch stark sein können, so wie Norman.

»Ich wette drei Schilling, dass die Pfeife da hinten ein Katalysator ist«, flüsterte er Brenna zu und zeigte auf Lauchi. Die schüttelte den Kopf.

»Das ist doch klar. Ne, ne, wenn du willst, dass ich wette, mach’s schwerer.«

»Hm, okay.« Norman sah sich um. »Der da ist auch ein Katalysator.« Er deutete auf einen dunkelhaarigen, braungebrannten Kerl, der gebannt auf die Tribüne stierte.

Ups, es ging los.

3. Erweckungen

 

Ein Mann und eine Frau erschienen neben Gunnar Krafft und die Stimmung änderte sich. Wer jetzt noch stand, setzte sich. Der langweilige Teil würde hoffentlich schnell vorbei sein. Norman wollte endlich da rauf und seine Portion Magie bekommen!

»Danke, Gunnar«, sagte die Frau feierlich. Sie nickte Gunnar freundlich zu. Er verbeugte sich und präsentierte die beiden dann mit einer ausladenden Handbewegung. Er wirkte wie ein Marktschreier, der seine beste Ware anpreist.

»Darf ich um einen Applaus für Mary und Dante Johansson bitten? Die Direktorin und der Direktor des Arkanen Instituts.«

Sie bekamen ihren Applaus. Die Leute klatschten laut, aber nicht so frenetisch wie bei Gunnars Feuer-, Wind- und Eis-Show. Beide Direktoren waren grauhaarig und hatten ernste, würdevolle Gesichter. Kein Wunder, dass die sich so ähnlich sahen. Sie waren Geschwister. Das wusste Norman von seinen Sammelkarten-Lithographien.

»Guten Tag«, sagte Mary Johansson und lächelte ein kaum wahrnehmbares Lächeln. »Ich darf Sie alle recht herzlich bei der hundertelften Erweckungszeremonie unseres Instituts begrüßen. Wie die meisten von Ihnen wissen, beginnen einmal im Jahr all die Magieanwärter, die das 18. Lebensjahr vollendet haben, ihr Studium am Arkanen Institut. Es ist eine Zeit voll neuer Erfahrungen …«

Ja, das versprach, langweilig zu werden. Norman lehnte sich zurück. Den ganzen Schmu hatte er schon mindestens zehnmal gehört. Irgendwas mit Verantwortung, Keuschheit und neuer Abschnitt im Erwachsenenleben und dann erklärten sie noch, was Motoren und was Katalysatoren waren, als wüsste nicht absolut jeder darüber Bescheid.

»Motoren sind die Größten und Katalysatoren ihre Gehilfen«, murmelte er nach einer Viertelstunde Gelaber. »Als ob wir keine Ahnung davon hätten.«

»Dein Kumpel schaut, als wäre das alles neu für ihn.« Tore deutete auf Lauchi, der sich so weit im Sitz vorbeugte, dass er mit der Nase fast den Rücken seines Vordermannes berührte. Seiner Vorderfrau. Oh, das war Lina Oligthal, eine von Gunnars Katalysatoren. Auch von ihr hatte Norman eine Lithografie-Sammelkarte.

»Vielleicht ist er nicht von hier«, sagte Norman. »Also, wie sieht’s aus? Drei Schilling für jeden, den ich richtig rate. Und drei für euch, wenn ich falsch liege.«

»In Ordnung.« Tore nickte.

»Schillinge heißen jetzt Spechte«, sagte Brenna, die alte Klugscheißerin. »Wir hatten ’ne Währungsreform, schon vergessen?«

»Ist doch alles gleich geblieben«, murrte Tore. »Nur die Münzen sehen anders aus.«

»Ich mag die Vögelchen«, sagte Norman. »Vor allem, wenn ich sie gewinne. Gut, sagt mir einen.«

»Was ist mit der da?«, fragte Brenna und deutete auf eine stupsnasige Blondine.

»Hm«, sagte Norman. »Sieht harmlos aus, aber … schaut mal auf ihre Oberarme. Die sind stark und außerdem hält sie das Kinn richtig hoch. Motor.«

»Was? Niemals.« Tore lachte laut. Wieder drehten sich Leute um, um sie böse anzustarren. Wieder starrte Norman zurück, bis alle so taten, als wäre nichts.

»Motor. Hundertprozentig.« Norman verschränkte die Arme. Bei diesen Wetten irrte er sich nie. Er war so gut im Raten, dass er die Erweckungszeremonien stets mit prall gefüllten Hosentaschen verließ.

Sie rieten weiter, bis der langweilige Teil endlich vorbei war. Der Direktor faltete die Hände vor der Brust und hob seine Stimme.

»Nun erwecken wir die Anwärter und sehen, in welche Richtung ihr magisches Talent geht«, sagte er. »Einige sind Motoren, andere Katalysatoren. Aber sie alle sind wichtig für unsere Stadt. Sie alle verteidigen in jedem Sommer und jedem Winter unser Recht, hier zu leben.«

Applaus. Grimmiger Applaus, falls so etwas möglich war. Jeder hier hatte das Elend kennengelernt, gehungert und Liebste verloren. Alles wegen der Biester aus Nord und Süd, die jedes Jahr an den Stadtmauern kratzten. Norman würde die Viecher vernichten! So gründlich, dass sie sich nie wieder nach Løbago trauen würden. Er ballte die Fäuste so fest, dass seine Knöchel knackten.

»Genug der langen Worte!«, verkündete der Kerl, eine halbe Stunde zu spät. »Lassen wir die Zeremonie beginnen!«

Es wurde totenstill. Die vordere Reihe in den Polstersesseln erhob sich. Zwei Dutzend ältere Katalysatoren, gekleidet in die ledernen Winteruniformen mit den geschnürten Armschienen, marschierten auf die Bühne. Obwohl sie nur Katalysatoren waren, sahen sie beeindruckend aus. Ernst, gleichförmig und ganz in schwarz, bis auf die lila Bänder. Lila war ihre Farbe, so wie goldgelb die Farbe der Motoren war.

Sie reihten sich hinter den Direktoren auf wie eine schwarze Wand.

»Endlich!«, quietschte Brenna. »Es geht los!«

Norman schluckte. Auf einmal war er ein ganz klein wenig nervös. Nur minimal. Vielleicht hätte er nochmal aufs Klo gehen sollen.

Eine Bedienstete brachte den Direktoren ein unscheinbares Blatt Papier. Sie entfalteten es und sahen darauf und … irgendwo in der Liste stand Normans Name!

»Gudrun Lovell!«, rief Dante Johansson. Zwei Reihen vor Norman, Brenna und Tore sprang ein Mädel auf. Sie hastete durch die Bänke und stolperte fast auf dem Weg zur Tribüne. Nun war Norman gleich doppelt gespannt. Er hatte drei Spechte darauf gewettet, dass sie ein Katalysator war.

Gudrun Lovell stellte sich vor die Direktoren und verbeugte sich hastig. Die beiden nickten ihr knapp zu. Dann erklang ein Trommelwirbel. Ein dicklicher Kerl hämmerte sich die Seele aus dem Leib. Der Geiger neben ihm legte auch los.

Der Erste in der Reihe der Katalysatoren hob die Hände in die Luft. Sie konnten es alle nicht sehen, aber er zapfte Magie aus der Atmosphäre. Norman fragte sich, wie Magie im puren Zustand aussah. Waberte die durch die Gegend wie ein sichtbar gewordener Furz? Oder war sie netzförmig, so wie die Linien an Gunnar Kraffts mächtigem Körper?

Es hieß jedenfalls, dass sie überall war. Genau wie Luft. Unsichtbar, aber … da halt. Und nur die Katalysatoren konnten sie sehen und in sich aufnehmen. Doch die wahre Magie geschah halt erst, wenn sie sie an die Motoren weitergaben. Die konnten wirklich etwas damit anfangen! Verdammte Eisklingen werfen konnten sie und …

Norman zuckte zusammen. Nicht träumen! Der Katalysator trat vor und streckte beide Hände aus, die Handflächen gen Himmel gerichtet. Gudrun zögerte sichtlich, dann legte sie ihre Fingerchen in die Hände des älteren Mannes.

Einen Moment lang passierte nichts. Dann schrie sie auf. Ein heller Ton, der über den ganzen Platz fegte. Licht flackerte auf, umhüllte ihren Körper wie ein lilafarbenes Leuchtfeuernetz und … verschwand.

»Katalysator!«, verkündete der Direktor und Norman war um drei Spechte reicher. Gudrun ging, sichtbar wackelig, zu der selig lächelnden Katalysatorin am linken Rand der Tribüne. Die war letztes Jahr schon da gewesen. Eine seltsame Alte, gehüllt in eine Unmenge hauchzarten lila Stoffs. Sie umarmte Gudrun und flüsterte ihr irgendetwas ins Ohr.

Norman nahm drei Kupfermünzen entgegen und grinste. Ein paar Erweckungen später grinste er noch breiter. Ja, seine Taschen wurden schwerer. Die Nervosität war fast weg und er musste auch nicht mehr pissen.

»Tore Grün!«, rief die Direktorin und Tore fuhr zusammen.

»Scheiße!«, murmelte der Rotschopf, als er sich aufrappelte.

»Viel Glück«, flüsterte Norman. »Du packst das. Wir sind die Motoren der Macht, vergiss das nicht.«

Tore schenkte ihm ein dankbares Lächeln, dann eilte er nach vorne und auf die Tribüne.

»Ooh …« Brennas Hand lag plötzlich in Normans. Sie zerquetschte seine Finger fast. »Er wird es schaffen, oder? Du hast doch gesehen, was er wird, nicht wahr?«

»Jupp.«

Norman lehnte sich zurück und sah zu, wie Tore die Hände in die einer winzigen Katalysatorin legte. Goldenes Licht flammte auf und schlängelte um Tores Körper. Der Schein strahlte bis in ihre Gesichter.

»Motor!«, verkündete Dante Johansson. Norman und Brenna sprangen auf und grölten.

»Motoren der Macht! Motoren der Macht!«, brüllten sie, so laut, dass selbst die Direktoren vorwurfsvoll schauten. Und wie! Deren Blicke waren so gewaltig, dass Norman und Brenna hüstelten und zurück in ihre Sitze sanken.

Tore reckte die Arme in die Luft. Er schien um einen halben Meter gewachsen zu sein, als er auf die rechte Seite der Tribüne stolzierte. Da, wo schon zwei andere Motoren warteten und ihn abklatschten.

Brenna war die Nächste.

»Motor!«

Sie schrie nicht, als das goldene Licht sie erfasste. Klar, sie war ja auch hart im Nehmen. Ob es wehtat? Diesmal beschränkte Norman sich auf ein durchdringendes Jubeln.

»Norman Skødling!«, rief die Direktorin und Normans Herzschlag sprengte fast seine Brust.

»Na endlich«, seufzte er, so leise, dass niemand es hören konnte. Zwei Jahre Vorbereitung, zwei Jahre hartes körperliches Training und Enthaltsamkeit. Alles für diesen Moment.

Er erhob sich gelassen und marschierte aufrecht durch die Reihen. Er wollte es genießen, zum Hades! Mit beiden Nasenlöchern sog er den Geruch dieses Tages ein. Würstchen, Fett und Schweiß, immer noch. Egal. Er hörte das Murmeln des Publikums hinter sich und seine Nackenhärchen stellten sich auf. Es war so weit.

Die Holzstufen knarrten unter seinen alten Stiefeln. Die Tribüne wackelte ein wenig, als er auf die Direktoren zuging. Von Nahem waren sie beeindruckender als von Weitem. Streng und großgewachsen. So dicht bei ihnen sah er, dass ein feines Faltennetz beider Gesichter überzog und er roch, dass der Direktor Fischbrot mit Mayonnaise gefrühstückt hatte.

Norman verbeugte sich knapp. Nun, da er hier oben war, kapierte er erst, dass alle ihn ansahen. Zweitausend Leute starrten ihm auf den Hintern, als er das Haupt neigte. Seltsames Gefühl. Seine Handflächen waren mit einem Mal schwitzig-klamm.

Die Direktorin deutete auf einen bleichen Katalysator, der vortrat. Seine Lederuniform knarzte mit jedem Schritt leise und Norman musste sich davon abhalten, nervös zu kichern. Sie standen nun seitlich zum Publikum und er zwang sich, nicht hineinzuschauen. Zu sehen, ob seine Mutter vielleicht gekommen war.

Der Katalysator nickte ihm zu.

»Keine Angst«, flüsterte der Kerl, fast ohne die Lippen zu bewegen. »Es fühlt sich seltsam an, aber es tut nicht weh.«

»Ich hab keine Angst«, sagte Norman.

Natürlich nicht. Ein leiser Windhauch streifte seinen feuchten Nacken. Er holte tief Luft. Der Katalysator streckte die Hände aus und drehte die Handflächen nach oben. Norman sah Hornhaut, blaue Adern und ein paar Sommersprossen. Diese beiden Hände füllten sein ganzes Blickfeld aus. Sie waren sein Schicksal. Langsam ließ er die Luft über die Lippen fließen und legte die eigenen Finger auf sie.

Erst spürte er nur die angenehme Wärme, die von der fremden Haut ausging. Dann ein leichtes Prickeln. Es war wie das Gefühl, wenn man gähnte und sich reckte und … dann erwischte es ihn mit voller Wucht.

Etwas Kaltes schoss in seinen Körper und füllte ihn bis zum Platzen. Die Augen quollen hervor, er fühlte, wie alle Organe zur Seite gedrängt wurden, um der Kälte Platz zu machen und dann … Dann drang es durch seine Poren heraus und prickelte über die Haut.

Er keuchte leise. Am Hals war es besonders unangenehm. Verzweifelt fixierte er die blassgrünen Augen des Katalysators, um nicht zu schreien. Er biss die Lippen aufeinander. Nicht schreien. Auch, wenn etwas durch seinen Körper raste wie ein eisiger Termitenschwarm. Auch, wenn ihm der Schweiß ausbrach und er sich fühlte, als würde er bersten.

Norman glotzte in das bleiche Gesicht, bis er sicher war, dass er nicht kreischen würde. Dass er dieses Gefühl irgendwie aushalten konnte. Erst dann senkte er den Blick und sah an sich herab.

Ein grobmaschiges Magienetz umgab seinen Körper. Es wand sich in feinen Leuchtlinien um Brust und Arme und …

Die Linien waren lila. Nicht golden. So verdammt lila wie ein verdammtes Veilchen …

Nein, dachte Norman. Nein!

4. Enttäuschend

 

»Katalysator!«, rief der Direktor und Norman fühlte sich, als wäre er tausend Meter tief ins Eismeer gestürzt.

»Nein!«, rief er und entriss dem bleichen Katalysator seine Hände. Der schaute verblüfft, aber Norman hatte keine Zeit für seinen Scheiß. »Ich bin ein Motor!«, brüllte er den Direktor an. »Ein Motor, kapiert?!«

Dante Johansson riss die Augen auf und wich einen Schritt zurück. Doch Norman wirbelte schon zu dem verdammten Katalysator herum, der alles verbockt hatte.

»Was hast du gemacht?« Seine Stimme hallte über den ganzen Platz. »Du hässliches Arschloch, was hast du gemacht? Ich bin ein Motor!«

»Ich …« Hilfesuchend sah der Kerl sich um. Er war noch bleicher geworden. »Ich habe nicht …«

»Junge.« Die Direktorin schritt auf ihn zu. »Pascal hat nichts damit zu tun, ob du ein Motor oder Katalysator bist. Das ist vorherbestimmt.«

»Einen Scheiß ist es!« Norman ballte die Fäuste. Er hörte ein leises Lachen und fuhr herum.

Ausgerechnet Gunnar Krafft saß da unten auf einem der Polstersessel und grinste amüsiert. Die wunderbar weißen Zähne blitzten.

»Mach sofort einen Motor aus mir!«, brüllte Norman den Blässling an.

Etwas erwischte ihn und holte ihn von den Beinen. Ein Windstoß. Eine gezielte Böe folgte. Er rollte über die Bretter und stieß sich beide Schultern am Holz. Heller Schmerz fuhr durch seinen Hinterkopf. Durch die Funken, die vor seinen Augen tanzten, sah er den Direktor, der die Hände erhoben hatte.

Oh nein. Dante Johansson machte eine scharfe Geste nach links und Norman wurde hochgerissen und zu Boden geschleudert. Es tat weh. Scheißweh. Einen Augenblick lang glaubte er, seinen Rücken brechen zu hören. Aber das war nur das Knacken der Bretter unter ihm.

»Hör auf, dich lächerlich zu machen und geh in deine Ecke!«, zischte jemand in sein Ohr. Die Direktorin. Norman stieß sich vom Boden ab und funkelte sie wütend an. Die Alte würde er …

Gelächter erklang. Dröhnendes Gelächter. Die Bretter unter seinen Füßen bebten, so laut donnerte es heran. Jetzt war es nicht nur Gunnar (Gunnar!), der wieherte. Norman drehte sich um und sah in zweitausend hämische Gesichter. Alle schauten ihn an. Finger zeigten auf ihn, den Trottel, der geglaubt hatte, ein Motor zu werden.

Norman schwankte. Die Realität brach über ihm zusammen wie tausend Tonnen Ziegel.

Katalysator.

Ein Wimmern drängte seine Kehle hoch und er musste sich auf die Unterlippe beißen, um es unten zu halten. Fast hätte er geschluchzt. Er! Einmal hatten drei Kerle ihn hinter Briggis Bar zusammengetreten und er hatte keinen Ton von sich gegeben.

Alle starrten ihn an. Der ganze Platz. Viertausend glotzende Augen. Das Lachen wurde immer lauter, eigentlich wieherten alle, bis auf die Direktoren, die wütend schauten, na, reserviert-wütend und Lauchi, der ihn stumm ansah und Brenna und Tore, in deren Gesichtern er dasselbe Entsetzen las, das er fühlte. Das blöde lila Leuchten um ihn war verblasst, aber er spürte es noch. Ekelhaft und unwirklich.

Katalysator.

Scheiße. Er würde echt heulen, wenn er nicht aufpasste.

»In deine Ecke«, sagte die Direktorin, äußerst gefasst. Ihr faltiges Gesicht ragte über ihm auf. Wind zerrte an ihrem langen, grauen Haar. »Sofort.«

Norman machte einen Schritt vorwärts und stolperte. Er konnte sich gerade noch fangen. Wie ein geprügelter Hund humpelte er zu der Versagertruppe der Katalysatoren am falschen Ende der Tribüne. Drei Luschen und die komische Alte warteten auf ihn. Die Alte versuchte, ihn zu umarmen, als er bei ihr ankam. Er knurrte sie an, als wäre er ein Wolf.

»Lassen Sie mich in Ruhe«, zischte er.

Sie lächelte selig. Fältchen erschienen um ihre Augen. Die war wirklich uralt. Bestimmt Mitte dreißig und rosig-rund wie ein Pfirsich.

»Was gibt’s da zu grinsen?«, fragte er. Mit halbem Ohr hörte er, dass das Gelächter verklang. Dass die Zeremonie weiterging. Irgendjemand anders wurde aufgerufen. Die Alte griente, als wäre sie sturzbetrunken.

»Es ist immer einer dabei, der sich gegen die Bestimmung wehrt«, flötete sie. »Ein bockiges Schäfchen. Hab keine Angst, Schäfchen. Ich bin eine gute Hirtin und ich werde dir den Weg weisen.«

Norman sah sie ungläubig an.

»Sind Sie besoffen?«, fragte er. Die Alte lachte glockenhell.

»Nur glückstrunken bin ich. Es ist stets ein besonderer Tag, wenn die Herde sich vergrößert.«

»Ich bin kein Schaf«, murrte er. »Ich bin ein Wolf. Der Wolf von Wørringen.«

Aber er kriegte es nicht hin, sich ernsthaft zu streiten. Alles war hin. Alles. Die Träume von den Motoren der Macht. Der Plan, irgendwann Seite an Seite mit Gunnar Krafft zu kämpfen.

Gunnar hatte ihn ausgelacht. Der … Arsch. Nein, nicht einmal jetzt schaffte Norman es, ihm böse zu sein.

Die Demütigung lag in seinem Magen wie ein Haufen Wackersteine. Mit hängenden Schultern stellte er sich zu den Katalysatoren. Er musste wie eine breite Eiche zwischen jungen Birken aussehen. Er passte nicht hierher. Natürlich nicht. Er hätte da drüben stehen müssen, auf der anderen Seite, mit Tore und Brenna. Hä? Wichen die seinem Blick aus? Norman versuchte, Brennas Aufmerksamkeit zu erhaschen, aber die sah starr zu Boden. Was? Aber …

»Heimfried von Mømpelgard!«, rief die Direktorin und Lauchi wurde blass. Er saß da unten, stockstarr im Polstersessel, und krallte sich mit den Fingern in der Lehne fest. Ups. Sah aus, als würde er gleich nochmal spucken.

Stille. Leises Flüstern aus dem Publikum.

»Heimfried von Mømpelgard!«, wiederholte die Direktorin, lauter.

Eine steile Falte erschien zwischen ihren Augenbrauen. Lauchi rührte sich nicht. Wieder erklang verhaltenes Gelächter aus der Menge. Als Norman sah, wie der blonde Hänfling versuchte, im Polster des Sessels zu verschwinden, fühlte er etwas, das er lange nicht gefühlt hatte: Mitleid. Ausgelacht zu werden war gar kein schönes Gefühl. Er schluckte.

»Heimfried von Mømpelgard!« Nun war die Direktorin gereizt. Eindeutig. »Sind Sie anwesend? Dann begeben Sie sich bitte auf die Tribüne!«

»M-muss ich?«, ertönte Lauchis zartes Stimmchen.

Wildes Gelächter brach los. Alter, was war los mit dem Kerl? Der war achtzehn und benahm sich wie ein Vierjähriger!

Die eigene Erbärmlichkeit schien selbst Lauchi zu peinlich zu sein, denn er erhob sich, zitternd wie ein Halm im Sturm. Unendlich langsam stakste er die Treppenstufen hinauf und wurde mit jedem Schritt blasser. Als er vor dem Direktorenpaar stand, war er kalkweiß.

Norman wurde klar, dass sie zusammen in einer Klasse sein würden. Der … Katalysatorenklasse. Er war nichts Besseres als dieser bebende Hänfling, der aussah, als würde er sich in Kürze einnässen. Nein, sie waren sogar genau gleich. Katalysatoren. Norman konnte ihn nur anstarren. Das konnte nicht wahr sein.

Lauchi legte die Hände in die einer alten Katalysatorin und Norman war sicher, dass nur das ihn davon abhielt, umzukippen. Gleich würde der Magieschub kommen und wie sollte ein Schwächling wie Lauchi sowas aushalten?

Norman schloss die Augen. Er konnte nicht anders. Er wusste, dass Mitleid niemandem etwas nutzte, am wenigsten dem Bemitleideten selbst. Aber das konnte er einfach nicht mit ansehen.

Kleine Fünkchen erschienen, so fest kniff er die Lider zusammen.

Er hörte ein Raunen. Erstauntes Flüstern in der Menge. Bestimmt hatte Lauchi sich eingepisst. Der Arme … Nein, kein Mitleid!

»Motor!«, rief die Direktorin und Norman riss die Augen auf. Gerade rechtzeitig, um Heimfried zu Boden sinken zu sehen. Ohnmächtig. Umgeben von einem feinen, goldgelben Netz, das langsam verblasste.

5. Zwei Abweichungen

 

Lauchi war ein Motor. Und Norman nicht. Wie konnte das sein? Fassungslos starrte Norman auf den Schwächling. Das Netz verschwand und der Kleine stöhnte. Die Katalysatorin half ihm auf die Beine und geleitete ihn zu den anderen Motoren, die ihn anglotzten, als hätte sich ein Stück Weichkäse in ihre Reihen verirrt. Ungefähr so nützlich wie Käse würde Lauchi auch in einer Kampfsituation sein. Was zum Hades?

Oft erkannte man schon vor der Erweckung, wer Motor und wer Katalysator sein würde. Gebaut wie ein Ochse und mutig wie ein Held? Motor. Gebaut wie ein Rehkitz und vorsichtig wie ein Mäuschen? Katalysator. Das war die natürliche Ordnung der Dinge.

Klar gab es Leute, bei denen man nicht genau sagen konnte, wo sie landen würden. Leute, die irgendwo dazwischen waren. Dünn, aber stark. Breit, aber sanft. Oder klein, aber angriffsbereit wie ein tollwütiges Wiesel. Norman hatte eine ungewöhnliche Begabung, trotzdem zu erkennen, wo sie hingehörten. Das bewies der Münzenberg in seiner Hosentasche.

Nur …

Nur hätte er das Haus seiner Mutter darauf verwettet, dass Lauchi ein Katalysator war. Das Haus seiner Mutter und all ihre Mädchen und den geheimen Weinvorrat im Keller dazu. Er konnte gar nichts anderes sein. Schmächtig, ängstlich und schwach. Selbst für einen Katalysator wäre Lauchi ein erbärmliches Exemplar gewesen.

Warum war der ein Motor? Und Norman nicht?

Ein Kloß steckte in seiner Kehle fest und er wusste nicht, ob er kotzen oder heulen wollte vor Wut. Das war nicht fair! Das war nicht … nicht richtig. Er hatte sein Leben lang davon geträumt und nun bekam Lauchi das, was ihm zustand? Und schaute noch, als würde er gleich losflennen, obwohl ihm das Beste passiert war, was einem überhaupt passieren konnte?

Norman nahm den Rest der Zeremonie wahr, als würde er sie von weit, weit weg beobachten. Die langweilige Abschlussrede. Die Abschlussshow mit zehn Motoren und zehn Katalysatoren, koordiniert wie ein Ballett und doch nichts gegen die Show von Gunnar.

Gunnar. Er traute sich kaum, ihn anzusehen. Irgendwann riskierte er einen Blick, ganz schnell, aus dem Augenwinkel. Der Magier der tausend Klingen lungerte in einem Polstersessel herum und betrachtete das Spektakel. Immerhin lachte er nicht mehr über Norman.

Als Norman an Gunnars Gelächter dachte, stürzte sein Magen wieder ab. Mist. Er würde … Er würde nie neben Gunnar auf der Stadtmauer stehen und Løbago vor Eismonstern retten. Stattdessen würde er irgendwo in der hinteren Reihe rumhängen und Magie aus der Luft abzapfen. Er würde ein Kata... Nein, der Gedanke war so furchtbar, dass er ihn nicht zu Ende denken konnte.

Irgendwann durften sie endlich die Bühne verlassen und Norman war von den amüsierten Blicken aus dem Publikum erlöst. Die hatten an ihm geklebt wie Hundescheiße an einer Schuhsohle. Warum auch immer. Vermutlich hatten sie darauf gewartet, dass er noch eine Szene machte und noch einmal mit Windböen vermöppt wurde.

Er und die anderen Frischlinge betraten die gewölbte Eingangshalle des Arkanen Instituts. Über ihren Köpfen vereinigten sich Goldstreben zu einer riesigen Kuppel, durch die das warme Licht der Nachmittagssonne drang. Da oben waren die größten magischen Kämpfe des letzten Jahrhunderts in buntem Glas dargestellt. Norman sah farbige Lichtflecken auf dem Marmorboden. Er wollte nicht hochschauen. Er würde nie da oben hängen, also was sollte es bringen?

Nach der edlen Halle ging es in einen breiten Flur. Dann eine mit flauschigem Teppich ausgelegte Treppe hinauf. Sie watschelten der komischen Alten weiter hinterher, als wäre sie ihre Entenmutter. Die Flure wurden enger, die Decken niedriger und die Treppen knarrender. Als sie schließlich bei den Schlafsälen unter dem Dach ankamen, war der Flur so schäbig wie der in Normans altem Haus in Wørringen. Super. Blätternde, blassgrüne Tapeten, splittrige Bodendielen und dazwischen Luft, die nach Moder und süßlich-faulem Holz roch.

Die Alte teilte sie auf die Zimmer auf, scheinbar nach Gefühl. Sie hatte keinen Zimmerplan oder so in den Händen. Als ihr Blick auf Norman fiel, ging ein fröhliches Lächeln über ihr rundes Gesicht.

»Mein bockiges Schäfchen!«, rief sie und Norman hörte Kichern hinter sich. »Du bekommst ein ganz besonderes Zimmer. Hinten rechts, die Nummer 926. Da wirst du dich richtig wohlfühlen.«

Norman nickte matt und schlurfte vorwärts. Jemand machte »Määäh« und er hörte mehr Kichern. Klang, als wäre Brenna dabei.

Zimmer Nummer 926 war ein winziger Verschlag mit einem Mini-Fenster, einem schrägen Dach und zwei klapprigen Betten, die den Raum beinahe ausfüllten. Zwischen ihnen war gerade so viel Platz, dass er sich umdrehen konnte. Er schloss die Tür und sein eigenes Gesicht gaffte ihm entgegen. Oh. Toll. Ein Spiegel.

Norman betrachtete sich lange. Runde Schultern, kräftige Arme und ein Gesicht, das fast so breit wie hoch war. Niemand hätte es hübsch genannt, nicht einmal seine Mutter. Doch es war eindeutig ein Motorengesicht. Was an ihm sagte »Katalysator«? Nichts, absolut nichts …

Er wurde aus seinen Gedanken gerissen, als die Tür aufging. Seine traurige Visage wurde durch eine noch elendere ersetzt. Lauchi blinzelte erstaunt, als er Norman erblickte.

»Oh, hallo«, murmelte er. Offenbar versuchte der Schwächling, zu lächeln, war aber selbst dafür zu schwach. Norman hätte ihm eine reinhauen können.

»Was willst du?«, murrte er.

»Wir wohnen zusammen«, sagte Lauchi und blieb unschlüssig stehen. »Darf ich hereinkommen?«

»Nein.«

»Oh.« Lauchi schluckte. Und Norman seufzte.

»Mann, natürlich darfst du reinkommen«, knurrte er. »Du wohnst hier, oder nicht?«

»Ja … ja schon.«

»Dann komm rein. Und mach die Tür zu.«

Norman warf sich auf sein Bett. Er vergrub das Gesicht im Kissen und versuchte, alles zu vergessen. Klappte nicht. Also brüllte er in das Kissen. Der Laut, der herauskam, war lächerlich dumpf. Trotzdem hörte er Lauchi quieken.

»G-geht es dir gut?«, fragte der Schwächling.

»Seh ich so aus?« Norman stierte ihn wütend an. Lauchi schreckte zurück und plumpste auf die schmale Matratze. »Ich bin ein Scheiß-Katalysator und alle haben mich ausgelacht. Warum soll’s mir gutgehen?«

»Ich weiß nicht. Nein, das klingt nicht schön.« Lauchi sah zu Boden. Tränen glitzerten in seinen Augen. »Mich haben sie auch ausgelacht.«

»Ich hab’s gehört«, sagte Norman. Er ballte die Fäuste. Sein Kiefer schmerzte, so fest biss er die Zahnreihen aufeinander. »Wie hast du es geschafft? Hast du irgendwen bestochen?«

»Bestochen?«, murmelte Lauchi. »Ich? Ich weiß gar nicht, wie das geht.«

»Ist nicht weiter schwer«, zischte Norman. »Also wie zum Henker bist du ein verfickter Motor geworden?«

Lauchi keuchte schockiert. Seine weichen Locken wippten und die Augen wurden rund vor Schreck.

»Ich … ich weiß auch nicht«, jammerte er. »Ich verstehe das nicht. Echt. Ich bin auf die Tribüne gegangen und dann habe ich … Ich weiß nicht. Plötzlich war da dieses Netz und … ich weiß nicht«, schloss er kläglich.

»Du wirst ein grottiger Motor«, sagte Norman und verschränkte die Arme. Er starrte an die Wand. »Der Schlechteste.«

»Ja«, murmelte Lauchi. Er schniefte leise. Norman wandte sich um und sah, wie eine Träne an der schmalen Nase entlanglief.

»Alter, reiß dich zusammen«, sagte Norman. »Wie alt bist du?«

»Achtzehn«, wimmerte Lauchi.

»Dann benimm dich auch so«, sagte Norman.

Lauchi biss die Lippen aufeinander, bis sie weiß waren. Seine dichten Wimpern glitzerten nass.