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Roswitha Gobbo

Körper
Teile

Kurzgeschichten und Minificciones

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Impressum

1. Auflage 2017
Alle Rechte vorbehalten
© boox-verlag, Urnäsch

Covergestaltung: Roswitha Gobbo

ISBN
978-3-906037-36-3 (Taschenbuch)
978-3-906037-37-0 (ebook)

www.boox-verlag.ch

Autorin

Roswitha Gobbo, ist Autorin und Künstlerin. Sie hat schon früh angefangen sich Geschichten auszudenken, die sie seit ihrem dreizehnten Lebensjahr auf Papier gebracht hat. Seither schrieb sie längere Geschichten. Nachdem sie die Gattungen der Kurzgeschichten und der Minificciones für sich entdeckt hatte, wurden ihre Geschichten bedeutend kürzer.

Körper Teile ist ihre erste Sammlung an Kurzgeschichten und Minificciones. Ihre Geschichten sind geprägt durch ihre grosse Vorstellungskraft, ihr breitgefächertes Interesse, ihren neugierigen Entdeckergeist, ihre Experimentierfreude sowie durch Zitate aus der Popkultur. Oder wie Julio Cortázar einst schrieb: Citar es citarse (Zitieren ist sich treffen, aus «La vuelta al día en ochenta mundos», Julio Cortázar, Siglo XXI, México, 1967, S.9.).

Roswitha Gobbo lebt und arbeitet an verschiedenen Orten auf dem Planet Erde und wurde im letzten Jahrtausend geboren.

für J. L. Borges, H. Murakami, M. C. Escher,
D. Cronenberg, T. Burton und S. Freud

Körper Teile

Der Arztbesuch

Der Plattenladen

Dachboden

Trostlos

Der Zauberstab

Grund

Melancholie

Die verflossene Zeit

Die Wäscheklammer

Die Socke

Die Freundin meiner selbst

Die Tätigkeit

Vom grossen weissen Bären und der Schneekönigin

Das Ende

Die Schlange

Holunderblütentee

Die Schabe

Die Löwin

Der Arztbesuch

Neulich musste ich zum Physiotherapeuten. Ich betrat die Praxis und man wies mich an, im Wartezimmer zu warten, bis ich an die Reihe kam. Nichts ahnend öffnete ich die Tür, die mit einem transparenten Schild beschriftet war. Anstelle eines sterilen Raumes mit nichtsnutziger Lektüre und unbequemen Stühlen, befand sich eine Treppe hinter der Türe. Vergeblich versuchte ich zu erfassen wo sie endete. Sie schien sich in einer endlos eckigen Spirale in die Höhe zu schlingen. Nach ein paar Schritten erweckten die stabilen Steinstufen mein Vertrauen. So ging ich ein ganzes Stück, bis ich auf einem Absatz stehen blieb und nach unten spähte. Ich war noch nicht sonderlich weit gekommen, doch von nun an folgte eine Holztreppe. Nach ein paar Gehversuchen, merkte ich, dass sie sehr stabil war, obwohl einige der Stufen unter meinem Körpergewicht knarrten. Langsam machte mir das Treppensteigen zu schaffen und mein Atem wurde schwerer. Erneut machte ich eine Pause und blickte ängstlich nach unten. Es war mir, als würde ich von einem Kirchturm hinunterblicken. Die Tür zum Wartezimmer sah sehr klein aus, ich konnte sie aber trotzdem deutlich erkennen. Wenn ich nach oben schaute, konnte ich immer noch kein Ende ausmachen. Nach einiger Zeit begann ich die Stufen zu zählen. Das erschien mir zwar ziemlich sinnlos, doch es hielt mich bei der Sache und ich vergass den erschöpften Zustand, in dem ich mich bereits befand. Als ich die Stufen so ansah, wurde mir langsam bewusst, wie schön jede einzelne von ihnen war. Jede war anders. Mal gab es welche aus dunklerem, mal aus hellerem Holz, dann wieder gab es solche mit klarer Maserung und solche die ganz glatt zu sein schienen. Wiederum andere hatten Kerben oder Astlöcher, trugen Spuren von Insekten oder Flugtieren. Einige waren sehr morsch und nicht vertrauenswürdig, oder aus kleinen Brettern zusammengenagelt. Ebenso einzigartig wie ihre Beschaffenheit, war auch ihre Höhe. Einige hoben sich kaum von den anderen ab, andere hatten sich im Verlaufe der Jahre bereits sehr abgenutzt oder krümmten sich, wieder andere reichten so hoch, dass ich mich hochstemmen musste. Längst hatte ich vergessen, warum ich mich eigentlich hier befand und dass es je einen Anfang gegeben hatte. Die Verschiedenartigkeit der Stufen faszinierte mich so sehr, dass ich selbst das Zählen vergessen hatte. Und wie ich so vertieft war in das Studium der Stufen, erreichte ich plötzlich die letzte. Vor mir stand ein gross gebauter Mann. Er erinnerte mich an einen Zimmermann. Na, kommst du endlich! Ich erkannte, was er mit mir vorhatte, denn ich hatte ja all die schönen Stufen vor mir studiert. Und ich war die nächste …

Der Plattenladen

Auf der Suche nach einem Plattenladen in der Stadt, in die ich kürzlich gezogen war, stiess ich auf eine Anzeige die an einer Strassenlaterne klebte: Wir suchen junge kräftige Leute. Ein Zettel mit Telefonnummern zum abreissen. Ich steckte mir einen ein und betrat das Geschäft nebenan. Ein Comicladen. Hier werden sie wohl wissen, wo der nächste Plattenladen ist. Beim Betreten wurde ich von einem schlaksigen, jungen Brillenträger begrüsst. Ich grüsste zurück und schaute mich erst einmal um. Regale, die bis zur Decke reichten. Über und über gefüllt mit dünnen Heften jeder Grösse und Farbe. Die Decke war bestimmt fünf Meter hoch. Oder war es noch mehr? So muss sich ein Comic-Fan den Himmel vorstellen. Denn obwohl das Geschäft von aussen sehr klein schien, erstreckte es sich in seiner Länge beinahe ins Unermessliche. Kleine Lampen mit Glasschirmen hingen in regelmässigen Abständen von der Decke und gaben nur sehr spärlich Licht an ihre Umgebung ab. Das lag unter anderem daran, dass die Luft sehr staubig war. Ich wandte mich dem Angestellten an der Kasse zu und fragte nach dem nächstgelegenen Plattenladen. Er öffnete seinen Mund und seine schräge Zahnstellung kam zum Vorschein. Platten haben wir auch. Im Untergeschoss. Gleich am Ende des Ganges, links, die Treppe runter. Etwas verunsichert durch die schaurige Stimmung bedankte ich mich und begab mich dann auf den Weg. Gestell reihte sich an Gestell, nur ab und zu war eine schmale Lücke übrig, wo man in eine der zwei parallel verlaufenden Gänge wechseln konnte. Manchmal sah ich da dunkle Gestalten verschwinden. Manche schienen in grauen Mänteln, mit Hut und Zigarette unterwegs zu sein, wieder andere waren klein wie Kinder und verkrochen sich, sobald ich länger hinschaute. Beschäftigt mit rätseln, was das für Figuren sein könnten, bemerkte ich gar nicht, dass ich das Ende des Flurs erreicht hatte. Vor mir stand ein kleines Mädchen, das mich mit überdimensional grossen Augen ängstlich anschaute. Als ich Luft holte, um etwas zu sagen, rannte es an mir vorbei. Mich drehend, konnte ich sie gerade noch kichernd um die Ecke rennen sehen. Links von mir gab es drei Treppen. Eine führte nach oben, die anderen beiden nach unten. Und welche war nun die richtige? Ich blickte zurück und bemerkte, dass ich den Eingang von hier aus gar nicht mehr sehen konnte. Möglicherweise war die letzte Lampe, die ich sah, keine Lampe, sondern das Fenster.