Prolog: Der tote Gott. Die Rede des tollen Menschen

Tomáš Halík

Der tolle Mensch. – Habt ihr nicht von jenem tollen Menschen gehört, der am hellen Vormittage eine Laterne anzündete, auf den Markt lief und unaufhörlich schrie: »Ich suche Gott! Ich suche Gott!« – Da dort gerade viele von denen zusammenstanden, welche nicht an Gott glaubten, so erregte er ein großes Gelächter. Ist er denn verlorengegangen?, sagte der eine. Hat er sich verlaufen wie ein Kind?, sagte der andere. Oder hält er sich versteckt? Fürchtet er sich vor uns? Ist er zu Schiff gegangen? ausgewandert? – so schrien und lachten sie durcheinander. Der tolle Mensch sprang mitten unter sie und durchbohrte sie mit seinen Blicken. »Wohin ist Gott?«, rief er, »ich will es euch sagen! Wir haben ihn getötet – ihr und ich! Wir alle sind seine Mörder! Aber wie haben wir dies gemacht? Wie vermochten wir das Meer auszutrinken? Wer gab uns den Schwamm, um den ganzen Horizont wegzuwischen? Was taten wir, als wir diese Erde von ihrer Sonne losketteten? Wohin bewegt sie sich nun? Wohin bewegen wir uns? Fort von allen Sonnen? Stürzen wir nicht fortwährend? Und rückwärts, seitwärts, vorwärts, nach allen Seiten? Gibt es noch ein Oben und ein Unten? Irren wir nicht wie durch ein unendliches Nichts? Haucht uns nicht der leere Raum an? Ist es nicht kälter geworden? Kommt nicht immerfort die Nacht und mehr Nacht? Müssen nicht Laternen am Vormittag angezündet werden? Hören wir noch nichts von dem Lärm der Totengräber, welche Gott begraben? Riechen wir noch nichts von der göttlichen Verwesung? – auch Götter verwesen! Gott ist tot! Gott bleibt tot! Und wir haben ihn getötet! Wie trösten wir uns, die Mörder aller Mörder? Das Heiligste und Mächtigste, was die Welt bisher besaß, es ist unter unsern Messern verblutet – wer wischt dies Blut von uns ab? Mit welchem Wasser könnten wir uns reinigen? Welche Sühnefeiern, welche heiligen Spiele werden wir erfinden müssen? Ist nicht die Größe dieser Tat zu groß für uns? Müssen wir nicht selber zu Göttern werden, um nur ihrer würdig zu erscheinen? Es gab nie eine größere Tat – und wer nur immer nach uns geboren wird, gehört um dieser Tat willen in eine höhere Geschichte, als alle Geschichte bisher war!« – Hier schwieg der tolle Mensch und sah wieder seine Zuhörer an: Auch sie schwiegen und blickten befremdet auf ihn. Endlich warf er seine Laterne auf den Boden, dass sie in Stücke sprang und erlosch. »Ich komme zu früh«, sagte er dann, »ich bin noch nicht an der Zeit. Dies ungeheure Ereignis ist noch unterwegs und wandert – es ist noch nicht bis zu den Ohren der Menschen gedrungen. Blitz und Donner brauchen Zeit, das Licht der Gestirne braucht Zeit, Taten brauchen Zeit, auch nachdem sie getan sind, um gesehen und gehört zu werden. Diese Tat ist ihnen immer noch ferner als die fernsten Gestirne – und doch haben sie dieselbe getan!« – Man erzählt noch, dass der tolle Mensch desselbigen Tages in verschiedene Kirchen eingedrungen sei und darin sein Requiem aeternam deo angestimmt habe. Hinausgeführt und zur Rede gesetzt, habe er immer nur dies entgegnet: »Was sind denn diese Kirchen noch, wenn sie nicht die Grüfte und Grabmäler Gottes sind?«

Friedrich Nietzsche

Wohin ist Gott?

Wenn man nach Leitsätzen sucht, die das 20. Jahrhundert stark beeinflusst haben, so würde man sicher auf den Satz »Gott ist tot!« stoßen. Ausgesprochen hat diesen Satz Friedrich Nietzsche, der an der Schwelle zum 20. Jahrhundert starb und der sich für einen der »Erstlinge und Frühgeburten des kommenden Jahrhunderts« hielt, »denen eigentlich die Schatten, welche Europa alsbald einwickeln müssen, jetzt schon zu Gesicht gekommen sein sollten.«1

Nietzsche war nicht der erste und auch nicht der einzige Autor, der die Aussage vom Tod Gottes tätigte; er ist jedoch sicher der bekannteste. Die Erzählung vom tollen Menschen in seinem Buch Die fröhliche Wissenschaft2 ist nicht die einzige Version dieses Gedankens im Werk Nietzsches, sie ist jedoch die bekannteste und wirkungsvollste.

Die Szene auf dem Markt, auf welchen der Eigenbrötler kommt, der mit einer Laterne am hellen Tag den abwesenden Gott sucht, wirkte auf mich immer wie die Aufzeichnung eines Traums. Es gibt Träume, die aus den Tiefen des Unterbewusstseins etwas emportragen, was unsere Vernunft bisher nicht in der Lage war zu erblicken und zu begreifen, eine Botschaft, für die – mit den Worten Nietzsches gesprochen – »noch keine Ohren gewachsen sind«. Die Eingeborenen primitiver Stämme, behauptet C. G. Jung, unterscheiden zwischen »kleinen Träumen«, die nur eine private Bedeutung für Einzelne haben, und »großen Träumen«, die für die Zukunft des ganzen Stammes wichtig sind. Ich denke, dass die Szene, die von Nietzsche beschrieben wurde, in der Tat ein großer Traum ist, der von Bedeutung für das Schicksal unseres ganzen »Stammes« ist. »Wohin ist Gott?« – das ist eine Frage, die zu stellen immer wieder Sinn macht.

Warum ist im Gleichnis Nietzsches der Gottsucher ein Verrückter, ein toller Mensch? Warum wird sowohl diese Frage als auch die Antwort, das Diktum vom Tod Gottes, gerade in den Mund eines Verrückten gelegt? Ist dieser vielleicht jener törichte Mensch aus dem Psalm, in dem zu lesen ist: »Die Toren sagen in ihrem Herzen: Es gibt keinen Gott« (Ps 14,1; Ps 53,2)? Oder ist eher ein Narr, ein Hofnarr, der Einzige, dem es erlaubt ist, verbotene Wahrheiten auszusprechen? Ähnelt er in seiner Torheit einem Kind, das ausspricht, was jeder sehen kann, aber was alle zu sehen und zu benennen fürchten, nämlich dass der Kaiser nackt ist? Oder ist der tolle Mensch nur aus der Perspektive der Menschen auf dem Markt ein Verrückter, der in Wirklichkeit ihre eigene Torheit enthüllt? Ähnelt er mit seiner Laterne am hellen Tag dem Kyniker Diogenes, der den Menschen zeigte, dass ihr Licht in Wirklichkeit die Dunkelheit der Unwissenheit ist? Ist er nicht ein Jurodivyj, einer jener heiligen Narren, von denen die Legenden des christlichen Ostens erzählen? Oder sagte Nietzsche vielleicht sein eigenes Schicksal voraus, das Schicksal eines abgelehnten Propheten, der im Wahnsinn endet?

Die Diagnose des Atheismus und ihre Folgen

Der Schlüsselsatz, der beim Lesen dieses Textes immer wieder übersehen wird, lautet, dass die Adressaten dieser Botschaft Menschen waren, welche nicht an Gott glaubten. Gerade deshalb lachen sie den Menschen aus, der Gott sucht. Sie dagegen suchen ihn nicht mehr, kümmern sich nicht um ihn, fragen nicht nach ihm; Gott hat für sie keine Bedeutung. Ja, der tolle Mensch Nietzsches ist primär gekommen, um die Atheisten zu provozieren, um aus ihrem unproblematischen und unproblematisierten Massenatheismus ein Problem zu machen.

Erst am Ende der Erzählung provoziert der tolle Mensch nach den konventionellen Atheisten auch konventionelle Gläubige, die nicht wissen, dass ihre Kirchen nur Grüfte und Grabmäler eines toten Gottes sind. Vielleicht ähneln sich diese beiden Gruppen von selbstsicheren Menschen – denn die selbstsicheren Ungläubigen, aber auch die selbstsicheren Gläubigen suchen Gott nicht.

Nietzsche wählte stets einen dritten Weg zwischen den Einseitigkeiten, er suchte ein unerforschtes Gebiet »jenseits, hinter« – jenseits des Guten und Bösen, jenseits der Religion und des Atheismus in ihrer traditionellen Gestalt. Seine Rhetorik ist immer dann extrem, wenn er die drohende, nicht durchschaute Einseitigkeit und scheinbare Selbstverständlichkeit eines der beiden Extreme ausgleichen will. In der Zeit der »Wahrheit des Tages«, die vom Licht der Vernunft beleuchtet wird, betonte er die »Wahrheit der Nacht«, die Zeit, in der die Welt tief ist, tiefer, als es am Tag zu sein schien: »Nicht alles darf vor dem Tage Worte haben.«3

Der tolle Mensch Nietzsches ist nicht gekommen, damit er den Glauben an Gott widerlegt und den Atheismus verkündet, sondern er bringt eher eine Diagnose des Atheismus mit. Er zeigt seine tragische Seite und seine tragischen Folgen. Hinter dem Geheimnis des Verschwindens Gottes, den niemand mehr sucht, steht ein Verbrechen, größer als alle Verbrechen: der Mord an Gott. Es ist ein Verbrechen mit tragischen Folgen für den ganzen Kosmos: Die Sonne der Sicherheiten ist erloschen, wir haben die Orientierung verloren, wir fallen in den leeren Raum. Wir stürzen uns in die dunklen Weiten, weg von der Sonne, in die Kühle des Nichts, fort von allen Sonnen.4

Die Frage nach Gott ist deshalb erloschen, weil die Antwort ein verheimlichtes, vergessenes, ins Unterbewusstsein verdrängtes Verbrechen an die Oberfläche bringen würde. Es war ein kollektives Verbrechen, dessen Täter und Mitschuldige der Tor und seine Zuhörer sind. Es ist ein Verbrechen, für das die Täter die Verantwortung übernehmen müssen. »Ist nicht die Größe dieser Tat zu groß für uns? Müssen wir nicht selber zu Göttern werden, um nur ihrer würdig zu erscheinen?«

Erst in den nächsten Kapiteln desselben Buches deutet Nietzsche dieses Verbrechen, dessen Größe seinen Tätern nicht gerecht wird und dessen Folgen sie noch nicht zu spüren bekommen und begriffen haben, als felix culpa, als eine glückliche Schuld: Sie eröffnete ihnen neue Horizonte, sie ermöglichte es ihnen, auf das weite Meer hinauszufahren.5 Der leere Raum infolge des getöteten Gottes ruft nach Mut und nach schöpferischer Kraft, denn dieser Raum kann nicht leer bleiben. Mit dem alten Gott stirbt auch das bisherige Menschsein; Nietzsche ist übrigens überzeugt, dass »der Mensch etwas ist, was überwunden werden soll«6.

In einem anderen Kapitel der Fröhlichen Wissenschaft sagt Nietzsche, warum dieses Verbrechen nicht nur unerkannt blieb, sondern nicht vollendet wurde, warum man Gott nicht so einfach loswerden kann.7 Wie sich noch lange nach Buddhas Tod in einer Grotte sein überdauernder Schatten zeigte, so fällt auf unsere ganze Zivilisation bis heute »der Schatten des toten Gottes«: Unsere Rationalität, Wissenschaft, unsere Ideale des Fortschritts und der Demokratie, der Glaube an die Vernunft, an Wissenschaft und Moral, ja selbst die Grammatik unserer Sprache sind Schatten, Überbleibsel Gottes – unsere Werte und Ideale stehen auf dem Boden jener festen Grundwahrheiten, deren Garant der metaphysische Gott war. Aber diese Sicherheiten, diese feste Ordnung der Wahrheit und des Guten, die Sicherheit darüber, was gut und was böse, was Wahrheit und was Illusion ist, Irrtum oder Lüge, das alles wurde mit dem Tod Gottes erschüttert. All dies beruhte auf der Voraussetzung, die nicht mehr gilt, all dies verlor mit dem Tod Gottes den Boden unter den Füßen. Daher ist es notwendig, das ins Reich der Vergangenheit zu schicken und neue Werte und neue Götter zu schaffen.

Polemik einer verletzten Seele

Gehörte Nietzsche wirklich zu jenen Menschen, wie wir sie schon in der Bibel finden, die mit Gott kämpften, oder kämpfte er eher mit etwas in sich selbst? In seiner Schrift Also sprach Zarathustra stellt Nietzsche noch eine weitere Diagnose des Todes Gottes: Gott starb an seinem Mitleid mit den Menschen.8 Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass in dieser Erzählung Nietzsche vor allem von sich berichtet: von seiner Angst vor seinem eigenen tiefen Mitleid mit den Menschen, das er mit einer zynischen und hochtrabenden Rhetorik tarnte, ganz ähnlich wie der schüchterne und scheue Kierkegaard sich in der Rolle eines Frauenverführers stilisierte. Wenn der durchdringende Psychologe Nietzsche seinen Lesern erklärt, die verborgensten Winkel des menschlichen Charakters zu kennen, sollte es nicht verwundern, dass wir dann über seine eigenen verborgenen und versteckten Beweggründe nachdenken: Der obsessive Charakter der ständigen Ausfälle Nietzsches gegen das Mitleid ist in der Tat auffallend und weckt Verdächtigungen. Wenn man sich aufmerksam das Porträt Nietzsches anschaut, lässt der Gegensatz zwischen dem mächtigen, kämpferisch buschigen Oberlippenbart und den feinen, vornehmen, von Schmerz gekennzeichneten Wangen dahinter stutzig werden. Der Schnauzbart, das ist jene widerborstige und provozierende Rhetorik Nietzsches, sagte mir einmal einer meiner Freunde, ein italienischer Theologe; er ist ein Schutzschild, der eine verletzliche und verletzte Seele verdeckt.

In seinem Buch Antichrist, wahrscheinlich eines der aggressivsten antichristlichen Pamphlete, das je geschrieben wurde, ertönt auf einmal inmitten des Fortissimos eines Trommelwirbels aus Flüchen, Beleidigungen und Lästerungen ein lyrisches Lied der Liebe zu Jesus von Nazaret, »dem einzigen Christen, der je gelebt hat«. Das Christentum Jesu – das einzige Christentum, das Nietzsche anerkennt – ist nicht ein neuer Glaube, eine neue Überzeugung, sondern ein neues Leben, eine Praxis, ja, die Praxis einer grenzenlosen Liebe, die darin besteht, was Jesus tut, und noch mehr darin, was er nicht tut: »Er bittet, leidet, liebt mit denen, in denen, die ihm Böses tun ... Nicht sich wehren, nicht zürnen, nicht verantwortlich machen ... Sondern auch nicht dem Bösen widerstehen, – ihn lieben ...« 9Hier lesen wir dann auch: »Das echte, das ursprüngliche Christentum wird zu allen Zeiten möglich sein ...«10

Die Tatsache, dass das Werk Nietzsches voll von Gegensätzen ist, ist meiner Ansicht nach eher seine Stärke. Nietzsche wusste, dass jeder einzelne unserer Blicke schon eine Interpretation ist, die von einer einmaligen, aber auch notwendig eingeschränkten Perspektive beeinflusst ist, von der aus wir auf die Welt und die Geschehnisse schauen. »Ich habe über alles zwei Meinungen«, pflegte Nietzsche zu sagen.

Bezieht Nietzsche nicht das, was der »letzte Papst« seinem Zarathustra sagt, auch auf sich: »Oh Zarathustra, du bist frömmer als du glaubst, mit einem solchen Unglauben! Irgendein Gott in dir bekehrte dich zu deiner Gottlosigkeit. Ist es nicht deine Frömmigkeit selber, die dich nicht mehr an einen Gott glauben lässt?«11

Welcher Gott ist tot?

Wenn ich einem Menschen begegne, der behauptet, dass er nicht an Gott glaubt, stelle ich ihm immer die Frage: Was für ein Gott ist das, an den du nicht glaubst? Was führt dich dazu, dass du nicht an ihn glaubst? Und kannst du dir unter dem Begriff »Gott« noch etwas anderes vorstellen, als das, was du leugnest?

»Gott ist tot! Gott bleibt tot«, behauptet der tolle Mensch in der Fröhlichen Wissenschaft. An einer Stelle jedoch deutet Nietzsche an, dass der Tod Gottes eventuell nicht definitiv ist: Vielleicht werden wir ihn wiedersehen, vielleicht hat »er nur seine moralische Haut ausgezogen«. Vielleicht kommt ein Gott wieder, an den der tolle Mensch aus der Fröhlichen Wissenschaft, der so weise Zarathustra und auch Nietzsche selbst (ist dies nicht ein Wesen in drei Personen?) zu glauben beginnen könnten: Ein Gott, der zu tanzen verstünde12; ein Gott, der einen Gegensatz bildete zum »Geist der Schwerkraft«, zum »Geist der Rache«. Sucht vielleicht Nietzsche, dieser weise Verrückte und törichte Weise, »der Frommste unter den Gottlosen«, nach dem Tod des alten Gottes einen solchen Gott, der nicht verbindet, sondern löst, der den Menschen zu Mut, zu schöpferischer Kraft und Verantwortung befreit?

Am Ende eines meiner Bücher tauchte in meinen Gedanken in einer Meditation über die Erzählung Nietzsches von dem törichten Gottsucher – diese Erzählung, die mich schon seit einigen Jahrzehnten beschäftigt – eine Erinnerung an eine Ikone auf, auf welcher die göttliche Dreifaltigkeit tanzend dargestellt ist. Mir kam der Gedanke, ob diese Vision Gottes der Sehnsucht »des Frommsten unter den Gottlosen« letztlich viel näher kommt als der betrunkene Dionysos, der sich mit seinen Bacchantinnen vergnügt.13

Nietzsche lehnte jenen gutmütigen Greis, den »Gotte bloß des Guten«14 ab, er sehnte sich nach einem Gott, der der Ganzheit der Wirklichkeit gerecht würde, den Paradoxien des Lebens, nicht nur der begreiflichen Welt des Tages, sondern auch ihrer dunklen und tragischen Seite.

Hätte er denn nicht genau so eine Vorstellung von Gott in der Bibel finden können, insbesondere im Buch Hiob? Ist dem Pastorensohn Nietzsche das Christentum wirklich in einer so abschreckenden Gestalt jener »Naumburger Tugenden« begegnet, dass er die Antworten auf seine Leidenschaft nach einem anderen Gott, »nach einem Gott, an den er hätte glauben können«, nicht mehr suchen wollte, weder in der Bibel noch in der christlichen Tradition?

Vor vielen Jahren haben wir mit einer Gruppe von Freunden sieben Jahre lang jeden Freitagabend immer wieder Nietzsches Also sprach Zarathustra gelesen. Wir haben uns bemüht, seine Kritik am Christentum zu verstehen, jenes Christentums, das er vor Augen hatte – und dies half uns, eine andere Gestalt des Christentums zu finden. Wenn Nietzsche ein Kritiker des Christentums ist, dann kann eine solche Kritik für Christen sehr nützlich sein; wenn Nietzsche ein Feind des Christentums ist, dann können die Christen für einen solchen Feind dankbar sein, der zur Unruhe und zum Denken provoziert.

Wir haben den »Atheisten« Nietzsche in einem Land gelesen, in dem jahrzehntelang ein atheistisches Regime herrschte und die atheistische Ideologie ein wesentlicher Bestandteil des offiziellen Bildungssystems und des vom Staat organisierten und kontrollierten Kulturlebens war. Es war für uns jedoch klar, dass zwischen Nietzsche und der marxistisch-leninistischen Ideologie des kommunistischen Staates ein riesiger Abgrund klaffte, ein viel größerer als zwischen Nietzsche und unserer geistigen Suche und einem heranreifenden Glauben. Religion ist nicht gleich Religion und Atheismus ist nicht gleich Atheismus.

Kritischer Atheismus hilft

Atheismus bedeutet nicht eine »Gottlosigkeit« im Sinn einer Ablehnung Gottes, sondern die Ablehnung einer bestimmten Art des Theismus, einer bestimmten Vorstellung von Gott. Jeder Atheismus bezieht sich auf einen bestimmten Typ des Theismus. Je mehr wir damals im Kreis unserer Freunde die christliche Theologie kennenlernten und studierten, desto deutlicher wurde für uns, dass es viele Arten des Theismus gibt, die den Menschen auf dem Weg zu jenem Geheimnis, das wir Gott nennen, eher im Weg stehen als helfen. Ein bestimmter kritischer Atheismus hilft paradoxerweise, diese Hindernisse auf dem Glaubensweg zu überwinden.

Eine wesentliche Entdeckung bestand für uns in der Erkenntnis, dass der Glaube keine Ideologie ist, sondern ein Weg, und zwar ein nicht endender. Zu glauben beginnen bedeutet nicht, sich auf Pfeiler von Sicherheiten stützen zu können, sondern in die Wolke des Geheimnisses einzutreten und die Herausforderung anzunehmen: Tauche tief ein! Manche von uns sind aus der Welt des Unglaubens gekommen, praktisch unberührt von traditionellen Formen des Christentums, und waren dabei, den Glauben zum ersten Mal zu entdecken, andere wiederum waren dem Glauben ihrer Kindheit entwachsen und entdeckten ihn jetzt Stück für Stück neu in einer anderen, erwachseneren Gestalt, wieder andere haben in ihrem Leben oder in ihrer nächsten Umgebung schwere Prüfungen und Krisen durchstehen müssen, die sie dazu geführt hatten, dass sie um ihren Glauben immer wieder kämpfen mussten. Wir lernten zu verstehen, dass es auf dem Weg eines lebendigen Glaubens »dunkle Nächte« gibt – und dass es auch geschichtlich gesehen Augenblicke gibt, in denen Menschen »kollektive dunkle Nächte der Seele« durchleben, Augenblicke, in denen die Frage »Wohin ist Gott?« bei Weitem nicht töricht ist.

Wir stellten fest, dass die Welt des Glaubens als auch des Unglaubens bunt ist, dass es unter den »Ungläubigen« sowohl selbstsichere Propagandisten einer Ideologie des dogmatischen Atheismus gibt als auch Menschen, die schmerzhaft eine »dunkle Nacht« der Verborgenheit Gottes durchleben. Diese erleben dann das, was auch viele Gläubige kennen, nur interpretieren sie jene Erfahrung der Abwesenheit Gottes anders. Uns wurde klar, dass der Streit zwischen Glauben und Unglauben kein Kampf zweier klar getrennter Mannschaften in verschiedenfarbigen Trikots ist, sondern häufig ein Dialog oder ein Konflikt innerhalb eines menschlichen Herzens oder Geistes.

Der Streit des Glaubens mit dem Unglauben

Als mein Glaube – der Glaube eines frisch Konvertierten – seine »Pubertät« durchlebte, nahm ich Gespräche mit Ungläubigen als ein Duell wahr, geführt mit den Argumenten aus den Lehrbüchern der Apologetik; heute schäme ich mich für meine damals errungenen rhetorischen Siege. Später begann ich, in solchen Gesprächen das zu suchen, was wir gemeinsam haben, und in dem, was uns trennt, wieder etwas, das ich vielleicht als einen bereichernden Blick aus einer anderen Perspektive annehmen könnte; ich habe mich bemüht, das zu finden, was einem nichtreligiösen Menschen heilig ist, und zu begreifen, warum es für ihn einen solchen Stellenwert hat. Ich habe begriffen, dass der Gegensatz von Glauben nicht notwendig der Atheismus ist, sondern die Idolatrie, der Götzendienst, das Absolutsetzen von relativen Werten. Wenn der »Atheismus« die Kritik des Theismus ist, also einer bestimmten Auffassung Gottes, dann kann er einem Gläubigen nützlich sein, indem er ihn daran erinnert, dass jeder menschliche Begriff in Beziehung auf Gott nur wie ein Finger ist, der auf den Mond zeigt und nicht der Mond selbst. Si comprehendis, non est Deus – Wenn du etwas begreifst, dann wisse, dass es nicht Gott ist, lehrte der heilige Augustinus. Nur dann, wenn der Atheismus aufhört, kritisch und selbstkritisch zu sein und zu einer »Konkurrenzreligion« wird, muss der christliche Glaube mit ihm einen geistigen Kampf führen, weil zu seinem Dienst an Gott und den Menschen die Pflicht gehört, die Freiheit eines Menschen gegen die Unterdrückung durch Götzen zu verteidigen. Es gehört zu seiner Aufgabe, die absolut gesetzten relativen Werte zu relativieren, die Heiligenscheine von den Köpfen herunterzunehmen, die sie sich zu Unrecht angeeignet haben.

Den Streit des Glaubens mit dem Unglauben hielt Goethe für das Wesen der gesamten Geschichte. Fügen wir wieder hinzu, dass sich dieser Streit oft im Inneren eines Menschen abspielt. In unserer Zeit nimmt die Anzahl derjenigen zu, die wir simul fidelis et infidelis nennen könnten, jene Menschen, in denen Augenblicke des Vertrauens und Augenblicke der Skepsis abwechseln. Die Welt und das Leben sind ambivalent und vieldeutig. »Es gibt genug Licht für die, die sehen wollen, und genug Finsternis für die, die gegensätzlich veranlagt sind«, schrieb Pascal.15 Die Vielfalt und Pluralität unserer Welt, unserer Zeit, bringt uns zur Notwendigkeit einer freien Wahl zurück. Der Fundamentalismus jeglicher Art, ein unerschütterlicher Glaube und auch ein dogmatischer Atheismus stellen große Versuchungen dar, aus der Welt der schnellen Veränderungen und der Erschütterungen vieler Sicherheiten zu fliehen. Jedoch kann man vor diesen Erschütterungen offensichtlich nicht dauerhaft fliehen; militante Gläubige genauso wie militante Atheisten überschreien häufig nur ihre eigenen nicht eingestandenen und nicht bearbeiteten Zweifel. Aber es bietet sich noch eine andere, heute besonders beliebte Gestalt der Flucht vor dem Risiko der Wahl zwischen dem Glauben und dem Atheismus: der Apatheismus, die Gleichgültigkeit dem Glauben gegenüber und den Fragen und auch Antworten, die er mit sich bringt.

Ein ehrliches Gespräch des Glaubens und des Unglaubens, des Vertrauens und des Zweifels, der Hoffnung und der Skepsis ist jedoch derart interessant und wichtig, dass wir ihm dieses Buch widmen.

Die Seele kennt den Atheismus

Anselm Grün

Fragen lernen

Ich bin in einer religiösen Familie aufgewachsen. Der Bruder meines Vaters war Benediktiner und seine beiden Schwestern Benediktinerinnen. Mein Vater war der Einzige in der Familie, der geheiratet hat. Er ging täglich zur Eucharistiefeier. Die Kirche lag neben unserem Grundstück. Auch meine Mutter ist in einer katholischen Familie aufgewachsen. Einer ihrer Brüder war Steyler Pater und eine ihrer Schwestern Steyler Missionsschwester. Der Glaube war die Atmosphäre, die mich umgeben hat. Dass es Atheisten gab, bekam ich zwar mit, aber das waren entweder »die bösen« oder »die ignoranten« Menschen. Ein vernünftiger Mensch, so dachte ich, kann nur glauben. Die Welt des Glaubens hat mir gutgetan. Die Erstkommunion habe ich als Kind sehr ernst genommen und dabei eine tiefe Erfahrung gemacht. Sie hat mich dazu gebracht, schon mit zehn Jahren meinem Vater gegenüber den Wunsch zu äußern, selbst Priester zu werden.

Dann kam ich ins Internat und ins Gymnasium, zuerst nach Münsterschwarzach und dann die letzten vier Jahre nach Würzburg. Doch in dieser Zeit vor dem Abitur wohnte ich weiter im Internat der Benediktiner. Während der Gymnasialzeit haben wir uns im Religionsunterricht mit der atheistischen Philosophie von Ludwig Feuerbach auseinandergesetzt. Aber es war uns Schülern klar, dass wir als katholische Christen all die atheistischen Argumente glaubhaft widerlegen konnten. Ich bin dem Atheismus nur aus der apologetischen Haltung heraus begegnet, eine Versuchung war der Atheismus für uns nicht. Dazu war uns der Glaube zu selbstverständlich.

Ich habe 1964 Abitur gemacht. Die letzten beiden Jahre am Gymnasium waren geprägt vom Zweiten Vatikanischen Konzil. Das war ein Neuaufbruch in der Kirche, der uns junge Menschen fasziniert hat. Wir dachten also nicht daran, wie wir auf den Atheismus reagieren, sondern wie wir eine religiöse Sprache finden könnten, die die Menschen berührt, die sie für den Glauben begeistert. Erst im Kloster, als ich alles auf die Karte Gottes gesetzt hatte, wurde die Frage des Atheismus für mich zu einer persönliche Frage: Warum glaube ich? Und wie würde es mir gehen, wenn die Hypothese des Atheismus stimmt?

Erst im Kloster wurde mir das Argument von Ludwig Feuerbach, dass die Menschen ihre Sehnsüchte auf Gott projizieren, zu einer persönlichen Frage. Und vor allem die Beschäftigung mit der Psychologie zwang mich, mich ehrlich zu fragen: Ist Gott für mich nichts anderes als eine menschliche Projektion? Das war für mich vor allem beim Gebet eine Überlegung. Hier tauchte manchmal die Frage auf: Ist das alles Einbildung? Denkst du dir das aus mit Gott, damit es dir besser geht, damit du in Frieden leben kannst und mit deinen Problemen zurechtkommst?

Doch wenn ich diese Fragen zu Ende denke, dann erscheint mir, dass alles absurd wäre. Der Mensch könnte dann gar nichts erkennen. Auch der Atheismus wäre eine Projektion. Der Mensch denkt sich aus, dass es keinen Gott gibt, damit er freier leben kann und sich um nichts kümmern muss, was ihn von außen herausfordert. Beide Alternativen sind dann Projektionen. Die Lösung wäre, dass ich alles menschliche Erkennen relativiere: Wir tappen letztlich im Dunkeln. Oder ich entscheide mich für eine Alternative. Und da ist es für mich klar, dass ich mich für den Glauben entscheide. Ich setze alles auf die Karte des Glaubens. Natürlich könnte man sagen: Ich entscheide mich für den Glauben, weil der mir seit Kindheit an vertraut ist. Das spielt sicher eine Rolle. Aber es ist auch mein inneres Gefühl, dass die Alternative des Glaubens menschlicher ist als die des Atheismus. Die Entscheidung für den Glauben richtet sich für mich nicht gegen meine Vernunft. Ich strenge meine Vernunft an. Aber ich komme damit an eine Grenze. Und der Sprung über die Grenze geht entweder in den Glauben oder in den Unglauben. Dazwischen gibt es nichts.

Eine weitere Alternative wäre, meinen Verstand überhaupt nicht anzustrengen. Das wäre für mich fauler Agnostizismus: Ich kümmere mich einfach nicht um die Frage nach Gott. Dafür ist mir aber die Frage nach Gott viel zu existenziell, als dass ich sie einfach leugnen oder überspringen könnte.

Die Wette Pascals

Meine Entscheidung »Ich setze auf die Karte des Glaubens« kam aus mir selbst, als ich die Zweifel über Gottes Existenz zu Ende dachte. Erst später stieß ich bei meinen Studien auf die berühmte Wette, von der Pascal in seinen Pensées schreibt. In ihr fand ich eine Bestärkung meiner eigenen Erfahrung: Pascal unterhält sich mit einem Skeptiker und Agnostiker. Er ist sich mit ihm darüber einig, dass man mit der Vernunft den Glauben an Gott und auch Gott nicht beweisen kann. Von den traditionellen Gottesbeweisen hält Pascal nichts. Aber in einer Zeit, in der Glücksspiele und Wetten weit verbreitet waren, spricht er bei der Frage nach Gott von einer Wette. Diese zwingt uns dazu, uns zu entscheiden. Wir können uns also nicht mit der Haltung des Agnostikers begnügen, nicht zu wissen, ob Gott existiert oder nicht. Das Argument der Wette fasst Walter Dirks so zusammen: »Du weißt nicht, ob Gott existiert. Du hast die Wahl zwischen zwei Annahmen, zwischen der, Gott existiere, und der, er existiere nicht. Du kannst dich nicht drücken, du musst auf eine dieser Möglichkeiten setzen. Irgendwann, etwa auch in der Erfahrung deines Todes, wird sich herausstellen, ob du richtig oder falsch gesetzt haben wirst. Hast du gegen die Existenz Gottes gewettet, so hast du, falls er nicht existiert, nichts verloren und nichts gewonnen – du wirst nicht einmal das Bewusstsein haben, recht behalten zu haben; falls Gott aber existiert, hast du in diesem Falle alles verspielt. Hast du dagegen auf Gottes Existenz gesetzt und er existiert nicht, hast du nichts verloren; existiert er aber, so hast du alles gewonnen: die ewige Seligkeit. Unter diesen Umständen ist es vernünftig, auf Gottes Existenz zu setzen.«16 Natürlich ist auch das kein Beweis für Gott. Jeder von uns findet sich sowohl im Zweifler als auch im Gläubigen wieder. Die Wette Pascals aber stärkt zumindest die Position des Gläubigen in uns. Sie gibt uns Mut, uns für Gott zu entscheiden.

Welcher Atheismus begegnet mir?

In der Begleitung von Menschen begegne ich immer wieder dem Zweifel an Gott. Da ist der Pastoralreferent, der Theologie studiert hat und in der Kirche Gott verkündet. Aber er sagt von sich, dass er nicht mehr glauben könne. Er ist von Zweifeln geplagt, ob alles Einbildung sei. Früher sei er überzeugt gewesen von dem, was er sagte. Heute kann er es nicht mehr mit vollem Herzen unterschreiben, was er im Auftrag der Kirche verkündet. Er spürt nicht das, wovon er spricht. Sein Reden hat sich verselbstständigt, ist ohne Beziehung zu seiner konkreten Erfahrung. Diese Art von Gottlosigkeit hat natürlich auch in seinen Erfahrungen mit Pfarrern und anderen Seelsorgern und Seelsorgerinnen ihren Grund. Da hat er die Enttäuschung erlebt, dass die Worte nicht mit dem Leben übereinstimmten. Und irgendwann hat sich der Zweifel so tief in seine Seele hineingegraben, dass er selbst nicht mehr an das glaubt, was er sagt. Er ist seiner eigenen Gottlosigkeit begegnet, seinem eigenen Unglauben. Und der hat seinen Glauben verunsichert.

Im Gespräch über diese Art von Zweifel geht es mir darum aufzuzeigen, dass wir Gott nicht besitzen können. Wir sind gerade als Menschen, die von Gott sprechen, immer herausgefordert zu fragen: Wer ist dieser Gott wirklich? Was heißt es, dass Gott in Jesus Christus Mensch geworden ist? Was heißt Auferstehung? Was bedeutet Erlösung? Auch ein Theologiestudium hilft da nicht weiter. Ich muss mir immer wieder neu vor meinem eigenen Verstand klar machen, was ich glaube und warum ich das so glauben kann. Gott ist und bleibt ein unbegreifliches Geheimnis. Alle Aussagen des Glaubens führen immer wieder in dieses Geheimnis, das wir erahnen, aber letztlich nie ganz begreifen. Diese Art von Zweifeln will meinen Glauben reinigen und ihn von allen allzu menschlichen Projektionen befreien. Ich muss mir bewusst machen, dass ich in meinem Herzen immer beide Pole habe: Glauben und Unglauben. Wenn ich meinen Unglauben umarme, dann verliert er seine Schärfe. Dann wird er zum Stachel, meinen Glauben immer neu zu hinterfragen und zu vertiefen. Wenn ich aber meinen Unglauben in mir nicht zulasse, dann muss ich ihn nach außen projizieren. Dann muss ich alle, die anders glauben oder nicht glauben, bekämpfen. Denn der Unglaube der anderen verunsichert mich und so muss ich die Ungläubigen verdammen oder gar vernichten. Doch das wird den tief in mir sitzenden Zweifel nicht überwinden. Ich werde in meiner Härte innerlich erstarren. Wenn ich dagegen meinen Glauben und Unglauben umarme, dann kann ich mich ohne Angst mit Gläubigen und Ungläubigen unterhalten und in beiden einen Spiegel für meine eigenen Gedanken erkennen.

Einer anderen Art von Atheismus begegne ich in Leiderfahrungen. Eine Frau, die ich in ihren Exerzitien begleitete, spürte in diesen Tagen Gottes Nähe. Und als am Abend ein Regenbogen erschien, fühlte sie, dass sie von Gottes Liebe umgeben ist. Kurz darauf ist ihr Mann tödlich verunglückt. Plötzlich sah sie sich von Gott verlassen. Sie kann und will nicht mehr an Gott glauben. Sie ist voller Aggressionen auf Gott, dem sie sich zuerst in den Exerzitien ganz nah fühlte und geöffnet, und der ihr dann dieses Leid zugefügt hat. Im Gespräch mit ihr wird klar, an welchen Gott sie nicht glauben will. Sie kann nicht mehr an den Gott glauben, der für alles zuständig ist, auch für das Leben und Sterben der Menschen, auch für die Verhinderung von Unfällen. Das Bild eines Gottes, den wir darum bitten, dass er uns immer beschützt, hat durch den plötzlichen Tod ihres Mannes einen Riss bekommen. Das Leid, eine Krankheit, der Verlust eines lieben Menschen sind für viele Menschen ein Argument gegen Gott. Schon der Dichter Georg Büchner meinte, das Leid sei der größte Beweis gegen die Existenz Gottes. Allerdings wollte Büchner Gott nicht leugnen, sondern zu einer Transformation des Gottesbildes beitragen. Das Leid verwandelt unser Gottesbild. Das Bild des allmächtigen und gütigen Gottes, der alles für uns zum Besten lenkt, zerbricht angesichts des Leids. Die Frage ist, zu welchem Gottesbild uns das Leid führen möchte.

Wieder eine andere Form von Atheismus begegnet mir in Gesprächen mit Eltern. Sie sind oft ohnmächtig gegenüber den Argumenten ihrer pubertierenden Kinder, die ihren Eltern klar sagen, dass es Gott nicht gibt. Gott sei nur eine Projektion des Menschen, behaupten sie. Sie übernehmen die Position von Ludwig Feuerbach oder auch die von Sigmund Freud, der Gott nicht als Projektion, sondern als Illusion bezeichnet. Gott sei eine Illusion, in die die Menschen gerne flüchten, damit sie sich in dieser harten Welt etwas heimischer fühlten. Sie argumentieren mit Sigmund Freud, die Religion sei infantil, es ginge darum, erwachsen zu werden und die Realität anzunehmen und zu bewältigen, wie sie ist. Oft steckt hinter dem Protest der pubertierenden Kinder gegen Gott auch der Versuch, sich von der Geborgenheit bei den Eltern und ihrer religiösen Grundüberzeugung zu lösen. Sie merken gar nicht, dass sie sich mit dieser Religionskritik übernehmen. Die Position von Sigmund Freud steckt voller Pessimismus. Glück ist bei Freud für den Menschen nicht vorgesehen. Er muss sich einfach zufriedengeben mit dem Leben, so, wie es ist. Doch das ist für Jugendliche letztlich keine Perspektive, die sie leben lässt. Diese Sichtweise führt eher zur Resignation, zum Zynismus und zum Verschließen gegenüber allem, was größer sein könnte als wir selbst, was unser enges Selbstbild verunsichern könnte. Die Eltern, die den Argumenten ihrer Kinder gegenüber oft hilflos sind, fragen mich, wie sie auf die Einwände antworten sollen.

Für mich gibt es zwei Antworten. Die eine ist ein persönliches Zeugnis davon, was mir Gott bedeutet. Bei allen Zweifeln fühle ich mich getragen von Gott. Und das gibt mir Halt. Ich kenne all die Argumente von Projektion und Illusion. Aber trotzdem halte ich an Gott fest. Ich habe erfahren, dass das keine Illusion ist. Meine Erfahrung sagt mir, dass Gott der Grund ist, auf dem ich fest stehen kann. Und die andere Antwort wäre mehr eine Frage an die Kinder: Was hörst du, wenn du einer Musik lauschst? Ist das nur Nervenberuhigung? Was siehst du, wenn du die Schönheit einer Blume anschaust, wenn du ein schönes Bild betrachtest? Für mich ist die Schönheit eine Spur Gottes. Und das gibt meinem Leben Farbe, Buntheit, Lebendigkeit, Tiefe. Was spürst du, wenn du Liebe in dir fühlst? Ist das nur ein vorübergehendes Gefühl oder berührst du da nicht das Geheimnis allen Seins, den Grund aller Wirklichkeit, der Liebe ist? Das gottlose Argument mancher Jugendlichen führt, meinem Gefühl nach, in die Banalität. Und ich wehre mich, nur banal zu leben. Ich möchte die Fülle leben. Meine Aufgabe wäre dann, den Jugendlichen so von der Fülle zu erzählen, dass sie sie auch spüren können. Rein intellektuelle Argumente helfen nicht weiter. Es geht um die Frage, was wirkliches Leben ist und wo und wie es zu finden ist.

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