Vorwort

Macht ist aus Organisationen nicht wegzudenken. Jeder, der als Führungskraft, Mitarbeiter, interner oder externer Berater in Organisationen etwas bewegen möchte, kommt an Macht in ihren verschiedenen Formen nicht vorbei: „Zentrale Gegenstandsbereiche wie etwa Führung, die Durchsetzung von Zielvorstellungen oder der Erwerb und die Verteilung knapper Ressourcen beruhen notwendigerweise auf einer Theorie der Macht[2]” (Sandner 1992, S. 2). Eine Organisation, deren innere Verfasstheit nicht (auch) auf Macht gründen würde, ist – unabhängig von konkreten Organisations- und Gesellschaftsentwürfen – schlichtweg nicht vorstellbar: „Macht ist ein allgengegenwärtiges Phänomen und ein dennoch unterschätzter, stiller Lenker von Unternehmensprozessen” (Oltmanns 2012, S. 68). Darum ist es entscheidend, Machtstrukturen und -dynamiken zu verstehen, um gestalten zu können. „Few ideas are more basic to the study of organizations than power”, so Fairholm (2009, S. 34). Jeder, der in einer Organisation etwas bewegen möchte – egal auf welcher Hierarchieebene, egal ob als Interner oder als externer Berater – steht vor der Frage, ob und wie er die Machtausstattung seiner Rolle nutzt und wie er mit der Gegenmacht der anderen beteiligten Akteure umgeht.

Wer mit Führungskräften oder Beratern über Macht spricht, stößt entsprechend auf großes Interesse, das sich auch in der zunehmenden Zahl von Vorträgen und Kongressen zu diesem Thema widerspiegelt. Vielleicht liegt es daran, dass Macht für uns so alltäglich ist, dass jeder zu wissen glaubt, worum es sich handelt und wie man mit Machtfragen am besten umgeht. Möglicherweise spielt auch eine Rolle, dass das Sprechen über Macht vielfach als Tabu empfunden wird – Macht bildete lange Zeit „das letzte schmutzige Geheimnis der Organisation”, wie Warren Bennis (1974, S. 62) es einmal ausdrückte. In diesem Sinne schreibt auch Friedberg (1992, S. 40f.):[3]

„Will man Macht in Organisationen analysieren, so muss man zunächst einmal das Phänomen konkretisieren und enttabuisieren. […] Ganz im Gegensatz zur legitimen Autorität verknüpft sich mit Macht und Machtausübung immer ein Beigeschmack von Machtmißbrauch, Gewalt und anrüchiger Einflussnahme. Kurzum, Macht ist böse, und über sie zu sprechen, mutet fast obszön an.“

Doch natürlich ist Macht nicht böse – es kommt darauf an, wie und wozu sie eingesetzt wird. Auch Moses, Jesus, Buddha, Gandhi hatten Macht. Macht ist nicht immer gleichbedeutend mit Aggression, Schädigung oder Manipulation und produziert nicht immer Gewinner, Verlierer oder Opfer.

In den letzten Jahren haben sich die Vorstellungen über die Rolle von Macht in Organisationen dramatisch gewandelt. Während die aus der Feudalzeit stammende selbstverständliche Vorstellung eines hierarchischen und durch die Machtausstattung der Führungskräfte abgesicherten Apparats über den Taylorismus und den Typus der bürokratischen Organisation bis in viele neuzeitliche Organisationen hineinwirkt, werden die Grenzen und Nebenwirkungen dieses Modells in zunehmendem Maße deutlich. Interessanterweise meinen selbst die meisten Führungskräfte, dass sich das bisherige hierarchische und vor allem auf Macht begründete Führungsmodell überholt hat: Laut einer 2014 im Auftrag des Bundesarbeitsministeriums erstellten Studie sind 78 % der befragten Führungskräfte überzeugt, dass sich die Führungspraxis in Zukunft grundsätzlich wandeln muss1[4]. Immer mehr Unternehmen experimentieren mit neuen, hierarchieärmeren Organisationskonzepten, darunter nicht nur Google und Co., sondern auch Unternehmen aus traditionsreichen Branchen. Doch bedeutet ein Abbau hierarchischer Strukturen automatisch, dass Machtfragen in den betreffenden Organisationen eine geringere Rolle spielen würden? Oder manifestiert sich Macht hier lediglich in anderen Erscheinungsformen? Wie können Organisationen so gestaltet werden, dass sie in sich radikal wandelnden Umwelten adaptive Entscheidungen treffen können, ohne dabei von überkommenen Machtstrukturen behindert zu werden? Wie können klare Ausrichtung und partizipative Gestaltung in Veränderungsprozessen in Einklang gebracht werden? Wie kann man in Change-Prozessen einen konstruktiven Umgang mit mikropolitischen Auseinandersetzungen finden? Wie kann man als Berater oder Beraterin reagieren, wenn Machtdynamiken den Prozess negativ beeinflussen?

Angesichts der Komplexität des Themas können patentrezeptartige Antworten auf diese Fragen vielleicht Scheinsicherheiten, aber keine Lösungen bieten. Das vorliegende Buch will daher nicht in erster Linie ‚Tools ’, sondern Denkwerkzeuge für Führungskräfte, interne Change-Verantwortliche und Beratende anbieten. Es bewegt sich im Spannungsfeld zwischen vertiefter Reflexion, Einblicken in die Machtdynamiken von Organisationen2 und gezielten Hilfestellungen für die Praxis.

Eine Besonderheit dieses Buches sind die Gastbeiträge, die die Argumentationslinien der Hauptautoren ergänzen, kommentieren und Gegenpositionen aufmachen. 15 Expert/innen aus Management, Wissenschaft und Beratung weiten in ihren prägnanten und facettenreichen Stellungnahmen den Blick auf Macht in Organisationen und regen zum kritischen Weiterdenken an. Ihnen gilt unser besonderer Dank. Darüber hinaus möchten wir uns bei den vielen Gesprächspartner/innen in unseren Kundenorganisationen, bei Kolleginnen und Kollegen sowie Studierenden für die Diskussionen zum Thema Macht bedanken, die dieses Buch bereichert haben. Unser Dank geht auch an Herrn Martin Bergmann vom Schaeffer-Poeschel-Verlag für die Begleitung dieses Projekts sowie insbesondere an Frau Elke Schindler für ihr umsichtiges, gründliches und zuverlässiges Lektorat.[5]

Wir wünschen unseren Lesern und Leserinnen eine anregende, lustvolle und erkenntnisreiche Lektüre.

Falko von Ameln Peter Heintel

Norden Klagenfurt

1http://www.zeit.de/2014/41/manager-studie-hierarchie

2Alle Fallbeispiele wurden sinnerhaltend verändert, um die Anonymität der dargestellten Personen und Organisationen zu wahren.