Vorwort

Inhaltsverzeichnis

Es ist vielleicht nicht uninteressant zu bemerken, daß die in diesem kleinen Buch entwickelten Gedanken eine organische Fortsetzung meines Buches „Über das Geistige in der Kunst“ sind. Ich muß mich in der einmal eingeschlagenen Richtung fortbewegen.

Am Anfang des Weltkrieges verbrachte ich drei Monate in Goldach am Bodensee und habe diese Zeit fast ausschließlich zur Systematisierung meiner theoretischen, oft noch unpräzisen Gedanken und der praktischen Erfahrungen verwendet. So entstand ein ziemlich großes theoretisches Material.

Dieses Material blieb fast zehn Jahre unberührt, und erst vor kurzem bekam ich die Möglichkeit, mich weiter damit zu beschäftigen, wovon dieses Buch eine Probe ist.

Die mit Absicht engst gestellten Fragen der beginnenden Kunstwissenschaft überschreiten in konsequenter Entwicklung die Grenzen der Malerei und schließlich der Kunst im allgemeinen. Hier versuche ich nur einige Wegweiser aufzustellen — analytische Methode mit Berücksichtigung der synthetischen Werte.

Kandinsky

Weimar 1923

Dessau 1926

Vorwort Zur 2. Auflage

Inhaltsverzeichnis

Das Tempo der Zeit seit 1914 scheint sich immer weiter zu vergrößern. Die inneren Spannungen beschleunigen dieses Tempo auf allen uns bekannten Gebieten. Ein Jahr entspricht vielleicht mindestens zehn Jahren einer „ruhigen“, „normalen“ Periode.

So könnte auch dieses eine Jahr, das seit der Erscheinung der ersten Auflage dieses Buches vergangen ist, für zehn Jahre gerechnet werden. Die weiteren Fortschritte in der analytischen und in der mit ihr verbundenen synthetischen Einstellung in der Theorie und in der Praxis nicht nur in der Malerei allein, sondern auch in anderen Künsten und gleichzeitig in den „positiven“ und „geistigen“ Wissenschaften bestätigen die Richtigkeit des Prinzips, das in diesem Buche als Hauptbasis verwendet wurde.

Der weitere Ausbau dieses Buches könnte vorläufig nur durch eine Vermehrung von einzelnen Sonderfällen oder Beispielen geschehen, was zu einer quantitativen Vergrößerung führen würde und worauf hier aus praktischen Gründen verzichtet werden muß.

So entschloß ich mich, die zweite Auflage unverändert zu lassen.

Kandinsky

Dessau

Januar 1928

EINLEITUNG

Inhaltsverzeichnis

Äußeres — Inneres

Jede Erscheinung kann auf zwei Arten erlebt werden. Diese zwei Arten sind nicht willkürlich, sondern mit den Erscheinungen verbunden — sie werden aus der Natur der Erscheinungen herausgeleitet, aus zwei Eigenschaften derselben:

Äußeres — Inneres.

Die Straße kann durch die Fensterscheibe beobachtet werden, wobei ihre Laute vermindert, ihre Bewegungen phantomartig sind und sie selbst durch die durchsichtige, aber feste und harte Scheibe als ein abgetrenntes, im „Jenseits“ pulsierendes Wesen erscheint.

Oder es wird die Tür geöffnet: man tritt aus der Abgeschlossenheit heraus, vertieft sich in dieses Wesen, wird darin aktiv und erlebt die Pulsierung mit allen seinen Sinnen. Die sich fortwährend wechselnden Tongrade und Tempi der Laute wickeln sich um den Menschen, steigen wirbelartig und fallen plötzlich erlahmt. Die Bewegungen wickeln sich ebenso um den Menschen herum — ein Spiel von horizontalen, vertikalen Strichen und Linien, die sich durch die Bewegung nach verschiedenen Richtungen neigen, von sich aufhäufenden und sich zerstreuenden Farbenflecken, die bald hoch, bald tief klingen.

Das Kunstwerk spiegelt sich auf der Oberfläche des Bewußtseins. Es liegt jenseits und verschwindet nach beendetem Reiz spurlos von der Oberfläche. Auch hier ist ein gewisses durchsichtiges, aber festes und hartes Glas, das die direkte innere Beziehung unmöglich macht. Auch hier ist die Möglichkeit vorhanden, in das Werk zu treten, in ihm aktiv zu werden und seine Pulsierung mit allen Sinnen zu erleben.

Analyse

Abgesehen von ihrem wissenschaftlichen Wert, der von einer genauen Prüfung der einzelnen Kunstelemente abhängt, ist die Analyse der Kunstelemente eine Brücke zum inneren Pulsieren des Werkes.

Die bis heute herrschende Behauptung, es wäre verhängnisvoll, die Kunst zu „zerlegen“, da dieses Zerlegen unvermeidlich zum Tod der Kunst führen müßte, stammt aus der unwissenden Unterschätzung der bloßgelegten Elemente und ihrer primären Kräfte.

Malerei und andere Künste

In bezug auf analytische Untersuchungen nimmt die Malerei unter anderen Künsten merkwürdigerweise eine Sonderstellung ein. Die Architektur zum Beispiel, die naturgemäß mit praktischen Zwecken verbunden ist, mußte von vornherein gewisse wissenschaftliche Kenntnisse haben. Die Musik, die keine praktischen Zwecke hat (abgesehen von Marsch und Tanz) und die bis heute allein für abstrakte Werke geeignet war, hat längst ihre Theorie, eine bis jetzt vielleicht etwas einseitige Wissenschaft, die sich aber in ständiger Entwicklung befindet. So haben die beiden zueinander antipodisch liegenden Künste eine wissenschaftliche Basis, und es wird kein Anstoß daran genommen.

Wenn die anderen Künste in dieser Beziehung mehr oder weniger zurückgeblieben sind, so ist der Grad dieser Unterschiede auf den Grad der Entwicklung jeder dieser Künste zurückzuführen.

Theorie

Speziell die Malerei, die im Laufe der letzten Jahrzehnte einen tatsächlich märchenhaft gewaltigen Sprung geleistet hat, die aber von ihrem „praktischen“ Sinn und von manchen ihrer früheren Anwendungsfähigkeiten erst kürzlich befreit wurde, ist zu einer Stufe emporgestiegen, die nach einer genauen, rein wissenschaftlichen Prüfung ihrer malerischen Mittel zu ihrem malerischen Zweck unumgänglich verlangt. In dieser Richtung sind ohne diese Prüfung die weiteren Stufen nicht zu erreichen — weder für den Künstler, noch für das „Publikum“.

Zu früheren Zeiten

Es kann mit voller Sicherheit angenommen werden, daß die Malerei in dieser Beziehung nicht immer so hilflos war wie heute, daß gewisse theoretische Kenntnisse nicht bloß in bezug auf rein technische Fragen existierten, daß eine gewisse Kompositionslehre dem Anfänger beigebracht werden konnte und wurde und daß speziell einige Kenntnisse über die Elemente, ihr Wesen und ihre Anwendung für den Künstler eine allgemein bekannte Sache waren1.

Mit Ausnahme der rein technischen Rezepte (Grund, Bindemittel usw.), die auch erst vor kaum zwanzig Jahren in größerer Fülle gefunden wurden2 und speziell in Deutschland eine gewisse Rolle in der Farbenentwicklung gespielt haben, ist von den früheren Kenntnissen — vielleicht von einer hochentwickelten Kunstwissenschaft — fast nichts in unsere Zeit hinübergebracht worden. Es ist eine sonderbare Tatsache, daß die Impressionisten in ihrem Kampf gegen das „Akademische“ die letzten Reste der Maltheorie vernichtet haben, daß sie aber trotz ihrer Behauptung — die Natur wäre die einzige Theorie für die Kunst — sofort selbst, wenn auch unbewußt, den ersten Grundstein zur neuen Kunstwissenschaft legten3.

Kunstgeschichte

Eine der wichtigsten Aufgaben der jetzt beginnenden Kunstwissenschaft wäre eine eingehende Analyse der ganzen Kunstgeschichte in bezug auf die Elemente, auf Konstruktion und Komposition zu verschiedenen Zeiten, bei verschiedenen Völkern einerseits und andererseits die Feststellung des Wachstums im Bereich dieser drei Fragen — der Weg, das Tempo, die Notwendigkeit der Bereicherung und der wahrscheinlich sprungartigen Entwicklung, die in der Kunstgeschichte vielleicht in einer bestimmten Entwicklungslinie — möglicherweise einer Wellenlinie — verläuft. Der erste Teil dieser Aufgabe — die Analyse — grenzt an die Aufgaben der „positiven“ Wissenschaften. Der zweite Teil — Art der Entwicklung — grenzt an die Aufgaben der Philosophie. Hier bildet sich der Knotenpunkt der Gesetzmäßigkeit in der menschlichen Entwicklung im allgemeinen.

„Zerlegung“

Es soll im Vorbeigehen bemerkt werden, daß die Bloßlegung dieser vergessenen Kenntnisse der früheren Kunstepochen nur durch eine große Anstrengung zu erreichen ist, was also die Furcht vor der „Zerlegung“ der Kunst restlos beseitigen sollte. Denn wenn die „toten“ Lehren in den lebenden Werken so tief liegen, daß sie nur mit großer Mühe an das Licht gezogen werden können, so sind ihre „schädlichen“ Wirkungen nichts anderes als Angst des Nichtwissens.

Zwei Ziele

Die Forschungen, die zum Grundstein der neuen Wissenschaft — Kunstwissenschaft — gemacht werden müssen, haben zwei Ziele und entstehen aus zwei Notwendigkeiten:

  1. der Notwendigkeit der Wissenschaft im allgemeinen, die aus einem un- oder außerzweckmäßigen Drang zu wissen frei herauswächst: die „reine“ Wissenschaft, und
  2. der Notwendigkeit des Gleichgewichtes in den schöpferischen Kräften, die in zwei schematische Teile unterzubringen sind — Intuition und Berechnung: die „praktische“ Wissenschaft.

Diese Forschungen müssen, weil wir heute bei ihrem ersten Anfang stehen, weil sie uns heute als ein nach allen Seiten gehendes und in weiten Nebeln verschwindendes Labyrinth vorkommen, und weil wir ihre weitere Entwicklung zu übersehen absolut nicht imstande sind, sehr systematisch gemacht werden, wozu ein klares Schema notwendig ist.

Elemente

Die erste unumgängliche Frage ist naturgemäß die Frage der Kunstelemente, die das Baumaterial für die Werke sind und die also in jeder Kunst anders sein müssen.

Hier sind in der ersten Linie Grundelemente von anderen Elementen zu unterscheiden, d. h. Elemente, ohne die ein Werk in einer speziellen Kunst überhaupt nicht zustande kommen kann.

Jene anderen Elemente müssen als Nebenelemente bezeichnet werden.

In beiden Fällen ist die Durchführung einer organischen Abstufung notwendig.

In dieser Schrift werden zwei Grundelemente behandelt, die zum allerersten Anfang jedes Werkes in der Malerei dienen, ohne die dieser Anfang nicht möglich ist und die gleichzeitig ein erschöpfendes Material für eine selbständige Art der Malerei darstellen — Graphik.

Also muß hier mit dem Urelement der Malerei angefangen werden — mit dem Punkt.

Weg der Forschung

Das Ideal jeder Forschung ist

  1. pedantische Untersuchung jeder einzelnen Erscheinung — isoliert,
  2. gegenseitige Wirkung der Erscheinungen aufeinander — Zusammenstellungen,
  3. allgemeine Schlüsse, die aus den beiden vorhergegangenen Teilen zu ziehen sind.

Mein Ziel in dieser Schrift erstreckt sich nur auf die beiden ersten Teile. Für den dritten reicht das Material dieser Schrift nicht aus, und er darf auch keinesfalls übereilt werden.

Die Untersuchung sollte peinlich genau, pedantisch exakt vor sich gehen. Schritt für Schritt sollte dieser „langweilige“ Weg gegangen werden — keine kleinste Veränderung im Wesen, in den Eigenschaften, in den Wirkungen der einzelnen Elemente dürfte dem aufmerksamen Auge entgehen. Nur auf diesem Wege einer mikroskopischen Analyse wird die Kunstwissenschaft zur umfassenden Synthese führen, die sich schließlich weit über die Grenzen der Kunst hinaus in das Gebiet der „Einheit“ des „Menschlichen“ und des „Göttlichen“ erstrecken wird.

Dies ist schließlich das absehbare Ziel, das aber noch weit entfernt von „heute“ liegt.

Aufgabe dieser Schrift

Was speziell meine Aufgabe hier anlangt, so mangelt es nicht nur an meinen Kräften, um wenigstens die anfängliche Exaktheit genügend durchzuführen, sondern auch am Platz — das Ziel dieses kleinen Buches ist bloß die Absicht, nur im allgemeinen und rein prinzipiell auf „graphische“ Grundelemente zu weisen, und zwar

  1. „abstrakt“, d. h. isoliert von der realen Umgebung der materiellen Form der materiellen Fläche, und
  2. auf der materiellen Fläche — die Auswirkung der Grundeigenschaften dieser Fläche.

Aber auch dieses kann hier nur im Rahmen einer ziemlich flüchtigen Untersuchung geschehen — als Versuch, eine normale Methode in den kunstwissenschaftlichen Forschungen zu finden und sie in der Anwendung zu prüfen.

1 Z. B. die kompositioneile Anwendung der drei primären Flächen, als Grundlage der Konstruktion im Bild. Die Reste dieser Grundlage wurden in Kunstakademien noch vor kurzem verwendet, vielleicht auch noch heute.

2 S. z. B. das wertvolle Werk von Ernst Berger — Beiträge zur Entwicklungsgeschichte der Maltechnik, 5 Folgen, Georg D. W. Callwey Verlag, München. Seitdem ist eine zahlreiche Literatur in diesen Fragen entstanden. Neuerdings erschien das große Werk von Prof. Dr. Alexander Eibner — Entwicklung und Werkstoffe der Wandmalerei vom Altertum bis zur Neuzeit, Verlag B. Heller, München.

3 Wonach Schlag auf Schlag das Buch von P. Signac erschien: „De Delacroix au Neo-Impressionisme" (deutsch — im Verlag Axel Juncker, Charlottenburg, 1910).

PUNKT

Inhaltsverzeichnis

Geome trischer Punkt

Der geometrische Punkt ist ein unsichtbares Wesen. Er muß also als ein unmaterielles Wesen definiert werden. Materiell gedacht gleicht der Punkt einer Null.

In dieser Null sind aber verschiedene Eigenschaften verborgen, die „menschlich“ sind. In unserer Vorstellung ist diese Null — der geometrische Punkt — mit der höchsten Knappheit verbunden, d. h. mit der größten Zurückhaltung, die aber spricht.

So ist der geometrische Punkt in unserer Vorstellung die höchste und höchst einzelne Verbindung von Schweigen und Sprechen.

Deshalb hat der geometrische Punkt seine materielle Form in erster Linie in der Schrift gefunden — er gehört zur Sprache und bedeutet Schweigen.

Schrift

In der fließenden Rede ist der Punkt das Symbol der Unterbrechung, des Nichtseins (negatives Element), und zur selben Zeit ist er eine Brücke von einem Sein zum anderen (positives Element). Das ist in der Schrift seine innere Bedeutung.

Äußerlich ist er hier bloß ein Zeichen in einer zweckmäßigen Verwendung, die das Element des „Praktisch-Zweckmäßigen“ in sich trägt, das wir schon als Kinder kennenlernen. Das äußere Zeichen wird zur Gewohnheit und verschleiert den inneren Klang des Symbols.

Das Innere wird durch das Äußere zugemauert.

Der Punkt gehört zum engeren Kreis der Gewohnheitserscheinungen mit ihrem traditionellen Klang, der stumm ist.

Schwelgen

Der Klang des mit dem Punkt gewohnheitsmäßig verbundenen Schweigens ist so laut, daß er die anderen Eigenschaften vollkommen übertönt.

Alle traditionell gewohnten Erscheinungen werden durch ihre einseitige Sprache stumm. Wir hören nicht mehr ihre Stimme und sind vom Schweigen umgeben. Dem „Praktisch-Zweckmäßigen“ unterliegen wir tödlich.

Stoß

Manchmal ist eine außergewöhnliche Erschütterung imstande, uns aus dem toten Zustand zu einem lebendigen Empfinden herauszureißen. Nicht selten vermag aber auch das kräftigste Rütteln nicht, den toten Zustand in einen lebendigen zu verwandeln. Die von außen kommenden Erschütterungen (Krankheit, Unglück, Kummer, Krieg, Revolution) reißen mit Gewalt für kürzere oder längere Zeit aus dem Kreise der traditionellen Gewohnheiten heraus, werden aber in der Regel bloß als ein mehr oder weniger gewaltiges „Unrecht“ empfunden. Dabei überwiegt alle anderen Gefühle der Wunsch, so bald wie möglich zu dem verlassenen Zustand der traditionellen Gewohnheit zurückzukehren.

Von innen

Die von innen kommenden Erschütterungen sind anderer Art — sie werden vom Menschen selbst verursacht und haben also in ihm selbst einen geeigneten Boden. Dieser Boden ist nicht die Fähigkeit, die „Straße“ bloß durch die „Glasscheibe“ zu beobachten, die hart, fest, aber leicht zerbrechlich ist, sondern die Fähigkeit des Sichindiestraßebegebens. Das offene Auge und das offene Ohr führen die geringsten Erschütterungen zu großen Erlebnissen. Von allen Seiten strömen Stimmen zu, und die Welt klingt.

Wie ein Forscher, der sich in neue, unbekannte Länder vertieft, macht man Entdeckungen im „Alltäglichen“, und die sonst stumme Umgebung fängt an, eine immer deutlichere Sprache zu sprechen. So werden die toten Zeichen zu lebenden Symbolen, und so wird das Tote lebendig.

Natürlich kann auch die neue Kunstwissenschaft nur dann entstehen, wenn die Zeichen zu Symbolen werden und das offene Auge und das offene Ohr den Weg vom Schweigen zum Sprechen ermöglichen. Wer dies nicht kann, der lasse lieber die „theoretische“ und die „praktische“ Kunst in Frieden — seine Bemühungen um die Kunst werden nie zu einer Brücke führen, sondern sie werden die heutige Spalte zwischen Mensch und Kunst nur immer mehr erweitern. Gerade solche Menschen sind heute bemüht, hinter das Wort Kunst einen Abschlußpunkt zu stellen.

Herausreißen

Durch das allmähliche Herausreißen des Punktes aus dem engen Kreis seines gewohnten Wirkens bekommen seine bis jetzt schweigenden inneren Eigenschaften einen immer mehr wachsenden Klang.

Diese Eigenschaften — innere Spannungen — kommen eine nach der anderen aus der Tiefe seines Wesens heraus und strahlen ihre Kräfte aus. Und ihre Wirkungen und Einflüsse auf den Menschen überwinden immer leichter die Hemmungen. Kurz — der tote Punkt wird zum lebenden Wesen.

Unter vielen Möglichkeiten sollen zwei typische Fälle erwähnt werden:

Erster Fall

1. Der Punkt wird aus dem praktisch zweckmäßigen Zustand in einen unzweckmäßigen, also in einen alogischen versetzt.

Heute gehe ich ins Kino.

Heute gehe ich. Ins Kino

Heute gehe. Ich ins Kino

Es ist klar, daß es im zweiten Satz noch möglich ist, die Versetzung des Punktes als eine zweckmäßige aufzufassen — Unterstreichen des Ziels, Nachdruck der Absicht, Posaunenklang.

Im dritten Satz ist die reine Gestalt des Alogischen in Tätigkeit, was aber als Druckfehler erklärt werden kann — der innere Wert des Punktes blitzt einen Augenblick heraus und wird sofort gelöscht.

Zweiter Fall

2. Der Punkt wird dadurch aus seinem praktisch zweckmäßigen Zustand versetzt, so daß er außerhalb der Reihenkette des laufenden Satzes zu stehen kommt.

Heute gehe ich ins Kino

In diesem Falle muß der Punkt eine größere freie Umgebung um sich herum haben, damit sein Klang eine Resonanz erhält. Trotzdem bleibt aber dieser Klang zart, bescheiden und wird von der ihn umgebenden Schrift übertönt.

Weitere Befreiung

Bei Vergrößerung der freien Umgebung und der Größe des Punktes selbst vermindert sich der Klang der Schrift und der Klang des Punktes gewinnt an Deutlichkeit und Kraft (Fig. 1).


Fig. 1

So entsteht ein Zweiklang — Schrift-Punkt — außer dem praktisch- zweckmäßigen Zusammenhang. Es ist ein Balancieren von zwei Welten, das nie zum Ausgleich kommen kann. Dies ist ein zweckloser revolutionärer Zustand — die Schrift wird durch einen Fremdkörper erschüttert, der in keinen Zusammenhang mit ihr gebracht werden kann.

Selbständiges Wesen