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Ephraim Kishon

Drehn Sie sich um, Frau Lot!

Satiren

Aus dem Ungarischen von Friedrich Torberg

LangenMüller

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www.langen-mueller-verlag.de

© für das eBook: 2017 LangenMüller in der F.A. Herbig Verlagsbuchhandlung GmbH, München

© für die Originalausgabe: 1961 by LangenMüller in der F. A. Herbig Verlagsbuchhandlung GmbH, München

Übersetzung: Friedrich Torberg

Covergestaltung: Wolfgang Heinzel unter Verwendung einer Zeichnung von Rudolf Angerer

eBook-Produktion: F. A. Herbig Verlagsbuchhandlung GmbH, München

ISBN 978-3-7844-8325-2

»... LOTS WEIB ABER SAHE HINTER SICH UND WARD ZUR SALZSÄULE.«

(Genesis XIX, 26)

Heute könnte sich Frau Lot getrost umwenden. Wo einst die sündigen Städte Sodom und Gomorrha standen, würde sie die neuen israelischen Pottasche-Werke erblicken, deren einzige Sünde darin besteht, dass sie mit Verlust arbeiten ...

INHALT

Zur Einführung >

Der Unterschied >

Jüdisches Poker >

Unternehmen Babel >

Ein Oldtimer >

Brautkauf im Kibbuz >

Kettenreaktion >

Ein wundertätiger Arzt >

Nehmen Sie Platz >

Professor Honig macht Karriere >

Bitte recht freundlich >

Bon voyage >

Schaschlik, Sum-Sum, Wus-Wus >

Yigal und die Inquisition >

Achimaaz und die Schuhe >

Im Zeichen des Kreuzworträtsels >

Die Früchte des Misstrauens >

Latifa und die schwarze Magie >

Chamsin und Silberrausch >

Eiserner Vorrat >

Auf dem Supermarkt >

Der Schaukelhengst >

Aus absolut sicherer Quelle >

Verirrt in Jerusalem >

Der perfekte Mord(Israelische Version) >

Besuchszeiten: Montag und Donnerstag >

Ich bin Zeuge >

Mit Mazzes versehen >

Kleine Frühjahrs-Reinigung >

Ein anregender Feiertag >

Der Blaumilch-Kanal >

Ihre Zimmernummer, Sir >

Das Geheimnis der »Stimme Israels« >

Ohne Mundek geht’s nicht >

Sternenbanner mit zwei Sternen

Ein realpolitischer Vorschlag >

Gerechtigkeit für Dr. Partzuf

Drama im einem Akt >

Soziale Fürsorge >

ZUR EINFÜHRUNG

Dieses Buch ist ein kühnes und neuartiges Experiment: Es will ein Bild des Staates Israel zeichnen, ohne es mit Zionismus zu überladen. Natürlich birgt ein solches Experiment mannigfache Gefahren. Israel ohne Zionismus – das könnte sich als ebenso unhaltbar erweisen wie Amerika ohne Baseball. Wir möchten deshalb unsere Ankündigung eines nichtzionistischen Buches dahin modifizieren, dass dem Leser die üblichen Lobeshymnen über Israel ausnahmsweise erspart bleiben sollen und dass er stattdessen den Vorzug genießen wird, nur das Beste über Israel zu hören.

Nicht als ob der Staat Israel keine Fehler hätte. Aber wir lieben ihn mitsamt seinen Fehlern, so, wie die Kanadier Kanada lieben, die Portugiesen Portugal und die Engländer Frankreich. Der einzige Unterschied zwischen uns und den eben genannten Ländern besteht darin, dass wir auf der Landkarte bedeutend schwerer zu finden sind. Unser Land ist so winzig, daß die meisten Globen und Atlanten keinen Platz für seinen Namen erübrigen können. Gewöhnlich kennzeichnen sie es mit »Jerusalem«, als ob Israel die Hauptstadt von Jerusalem wäre, nicht umgekehrt.

Nun, über derlei Kleinigkeiten wundern wir uns nicht. Überhaupt wundern wir uns über sehr wenig. Schließlich ist ja ganz Israel das Ergebnis einer Reihe von Wundern.

Erinnern wir uns: Theodor Herzl, ein jüdischer Journalist aus Budapest, der kein Wort Hebräisch sprach, wurde durch den Dreyfus-Prozess zu dem Entschluss inspiriert, einen jüdischen Staat ins Leben zu rufen. Und siehe da: ein paar Jahrzehnte später gab es diesen jüdischen Staat tatsächlich. Bis heute weiß kein Mensch, am allerwenigsten die Engländer, wie das alles geschah.

Wunder haben also von Anfang an zum ständigen Inventar der israelischen Wirklichkeit gehört. Sie werden selbst in die kühlsten, nüchternsten Planungen einkalkuliert. Wenn der Finanzminister irgendeines anderen Landes in einer Kabinettsitzung verkündet: »Meine Herren, nur ein Wunder kann uns retten«, so bedeutet das, dass die betreffende Regierung, oder vielleicht das ganze Land, vor einer Katastrophe steht. In Israel bedeutet es nichts weiter, als dass das betreffende Wunder in den nächsten zwei, drei Tagen geschehen wird. Und das tut es auch. Kein Wunder, dass Israel ein Wunderland ist.

Gibt es, um noch ein Beispiel zu nennen, einen zweiten Staat, dessen Angehörige zum weitaus größeren Teil außerhalb der Staatsgrenzen leben? Eine paradoxe Situation, gewiss. Aber sie hat ihre Vorteile. Millionen von Steuerzahlern außerhalb der Staatsgrenzen sind der Wunschtraum aller Finanzminister.

Wir lieben unsere Brüder in der Diaspora. Und unsere Brüder in der Diaspora lieben uns noch viel mehr. Sie addieren zu ihrer Liebe die Gewissensbisse, von denen sie geplagt werden, weil sie in der Diaspora leben und nicht bei uns. Um die Wahrheit zu sagen: die meisten von ihnen verstehen gar nicht, warum sie diesen lächerlichen, kleinen Fleck auf der Landkarte so sehr lieben. Sie verstehen den Unterschied nicht, der zwischen diesem Staat und allen anderen Staaten des Globus besteht.

Und jetzt ist es an der Zeit, unsere Leser mit Harry bekannt zu machen. Denn auch Harry hat den Unterschied nicht verstanden. Aber er hat ihn verstehen gelernt.

DER UNTERSCHIED

Der erwähnte Harry ist ein entfernter Onkel von mir. Mit vollem Namen heißt er Harry Klein. Eines Tages – es ist noch nicht allzu lange her –, emigrierte er nach Amerika, um die gleiche Zeit, da ich nach Israel ging. Harry war das, was man einen »guten Juden« nennt, aber er war kein Zionist. Deshalb ging er ja auch nach New York.

Überdies war Harry ein sehr naiver Mensch. Er hielt sich für einen ausgezeichneten Geschäftsmann und glaubte fest daran, dass er nur in Amerika zu landen brauchte – und die Dollars würden in seine Taschen zu fließen beginnen. Kaum war er in Amerika gelandet, begannen die Dollars in seine Taschen zu fließen. Was sollte ich tun? Es blieb mir nichts anderes übrig, als ihm mit bescheidenem Stolz zu schreiben, dass ich in Israel zwar nicht auf Rosen gebettet wäre, aber keinerlei Mangel litte. Was sollte er tun? Es blieb ihm nichts anderes übrig, als mir keine Pakete mehr zu schicken.

Unsere Meinungsverschiedenheiten kamen zum offenen Ausbruch, als ich anlässlich eines Besuchs in New York für ein paar Tage bei meinem entfernten Onkel Harry abstieg. Die permanente Nahostkrise hing drohend über uns und Harry wich um kein Jota von seinem Standpunkt:

»Jedes Jahr bekommt ihr meine Spende. Regelmäßig. Aber ich will Mumpitz heißen, wenn ich eine Ahnung habe, wozu das gut sein soll. Was ist denn so großartig bei euch dort unten? Hast du dort irgendetwas, was ich hier in New York nicht habe?«

»Ich fühle mich dort unten sehr wohl«, stellte ich fest.

»Und ich fühle mich hier sehr wohl«, antwortete er. »Was ist der Unterschied?«

»Ich lebe unter zwei Millionen Juden.«

»Ich auch.«

»Unser Präsident ist Jude.«

»O. K. Sollte ich jemals den Ehrgeiz haben, Präsident zu werden, dann komme ich nach Israel.«

Wenn unser Gespräch so weit gediehen war, pflegten wir es abzubrechen.

Während meines Aufenthaltes bekam ich vom U.S. State Department die ehrenvolle Einladung, am 4. Juli – dem amerikanischen Nationalfeiertag – der Parade beizuwohnen. Ich rang mir die noble Geste ab, meinen entfernten Onkel Harry Klein mitzunehmen. Schon um ihm zu zeigen, welches Prestige ein israelischer Bürger in den Vereinigten Staaten von Amerika genösse.

Auf die Gefahr hin, dass man mich in Israel einer unpatriotischen Haltung zeihen wird, gebe ich zu, dass auch die Amerikaner eine gewisse Fähigkeit im Veranstalten von Paraden besitzen. Eine Zeit lang vergnügte ich mich damit, die im Zug mitmarschierenden Militärkapellen zu zählen. Bei 50 gab ich auf.

Harry befand sich in einem Taumel der Begeisterung und klatschte sich die Hände wund.

»Nun?«, fragte er. »Wie sind wir?«

»Nicht schlecht«, murmelte ich. »Gar nicht schlecht.«

Kaum sechs Stunden später näherte sich die Parade ihrem Abschluss. Etwa 400 Jetflieger der verschiedensten Typen donnerten über uns hinweg. Harry folgte ihnen verzückten Blicks.

»Siehst du«, sagte er, »wir sind die größte Macht der Welt.«

Ich wollte etwas besonders Gescheites und Witziges entgegnen, hatte aber das ungewöhnliche Pech, dass mir nichts einfiel.

Im folgenden Jahr, gerade als die Bäume zu blühen begannen, tauchte mein entfernter Onkel Harry Klein unvermutet bei uns in Israel auf. Aus keinem besonderen Anlass und aus keinem besonderen Interesse an Israel. Gott behüte. Er war nur gerade auf einer Vergnügungsreise in Europa gewesen und hatte plötzlich den Einfall gehabt, seine entfernten Verwandten in Israel zu besuchen. Warum auch nicht.

Diesmal war er der Tourist und wurde infolgedessen von der Regierung betreut. Auf diese Weise fand ich mich am Unabhängigkeitstag im Besitz einer Tribünenkarte und konnte endlich einmal der großen Parade beiwohnen.

Die Organisation klappte hervorragend. Kein Zuschauer musste mehr als 20 Meilen zu Fuß gehen, um seinen Platz zu erreichen. Die Plätze waren nicht sehr bequem, aber dafür blies ein erstklassiger Chamsin, unser beliebter, heimischer Wüstenwind.

Mein Onkel Harry Klein biss die Zähne zusammen und schwieg.

Ungefähr eine Stunde saßen wir in angespannter Erwartung. Dann marschierten die ersten Abteilungen vorüber, mit Fahnen und Standarten. Harry applaudierte.

Dann flogen acht Kampfflugzeuge vom Typ »Mystere« über unsere Köpfe. Harry sah ihnen nach. In seinen Augen glänzten Tränen.

Vier Helikopter folgten. Harry heulte wie ein kleines Kind.

Ich wandte mich zu ihm:

»Siehst du, Klein«, sagte ich. »Das ist der Unterschied.«

JÜDISCHES POKER

In der vorangegangenen Skizze habe ich dem Leser einen kleinen Geschmack der chauvinistischen Atmosphäre vermittelt, die in Israel herrscht und die nicht scharf genug verurteilt werden kann. Um ihn mit einem anderen Aspekt der jüdischen Mentalität vertraut zu machen, berichte ich nunmehr von einer Pokerpartie, die ich eines schläfrigen Nachmittags mit meinem Freund Jossele hatte.1 Sie wird dem Leser tiefere Kenntnisse über die jüdische Seele beibringen als sämtliche Nahostkommentare der National Broadcasting Company.

Wir waren schon eine ganze Weile lang am Tisch gesessen und hatten wortlos in unserem Kaffee gerührt. Jossele langweilte sich.

»Weißt du was?«, sagte er endlich. »Spielen wir Poker!«

»Nein«, sagte ich. »Ich hasse Karten. Ich verliere immer.«

»Wer spricht von Karten? Ich meine jüdisches Poker.«

Jossele erklärte mir kurz die Regeln. Jüdisches Poker wird ohne Karten gespielt, nur im Kopf, wie es sich für das Volk des Buches ziemt.

»Du denkst dir eine Ziffer, und ich denk mir eine Ziffer«, erklärte mir Jossele. »Wer sich die höhere Ziffer gedacht hat, gewinnt. Das klingt sehr leicht, aber es hat viele Fallen. Nu?«2

»Einverstanden«, sagte ich. »Spielen wir.«

Jeder von uns setzte fünf Piaster ein, dann lehnten wir uns zurück und begannen, uns Ziffern zu denken. Alsbald deutete mir Jossele durch eine Handbewegung an, dass er seine Ziffer gefunden hätte. Ich bestätigte, dass auch ich so weit sei.

»Gut«, sagte Jossele. »Lass deine Ziffer hören.«

»Elf«, sagte ich.

»Zwölf«, sagte Jossele und steckte das Geld ein. Ich hätte mich ohrfeigen können. Denn ich hatte zuerst 14 gedacht und war erst im letzten Augenblick auf elf heruntergegangen, ich weiß selbst nicht warum.

»Höre«, sagte ich zu Jossele. »Was wäre geschehen, wenn ich 14 gedacht hätte?«

»Dann hätte ich verloren. Das ist ja der Reiz des Pokerspiels, dass man nie wissen kann, wie es ausgeht. Aber wenn deine Nerven fürs Hasardieren zu schwach sind, dann sollten wir vielleicht aufhören.«

Ohne ihn einer Antwort zu würdigen, legte ich zehn Piaster auf den Tisch. Jossele tat desgleichen. Ich dachte sorgfältig über meine Ziffer nach und kam mit 18 heraus.

»Verdammt«, sagte Jossele. »Ich hab nur 17.«

Mit zufriedenem Lächeln strich ich das Geld ein. Jossele hatte sich wohl nicht träumen lassen, dass ich mir die Tricks des jüdischen Pokers so rasch aneignen würde. Er hatte mich wahrscheinlich auf 15 oder 16 geschätzt, aber bestimmt nicht auf 18. Jetzt, in seinem begreiflichen Ärger, schlug er eine Verdoppelung des Einsatzes vor.

»Wie du willst«, sagte ich und konnte einen kleinen Triumph in meiner Stimme nur mühsam unterdrücken, weil ich mittlerweile auf eine phantastische Ziffer gekommen war: 35!

»Komm heraus«, sagte Jossele.

»35!«

»43!«

Damit nahm er die 40 Piaster an sich. Ich fühlte, wie mir das Blut zu Kopf stieg. Meine Stimme bebte:

»Darf ich fragen, warum du vorhin nicht 43 gesagt hast?«

»Weil ich mir 17 gedacht hatte«, antwortete Jossele indigniert. »Das ist ja eben das Aufregende an diesem Spiel, dass man nie –«

»Ein Pfund«, unterbrach ich trocken und warf eine Banknote auf den Tisch. Jossele legte seine Pfundnote herausfordernd langsam daneben. Die Spannung wuchs ins Unerträgliche.

»54«, sagte ich mit gezwungener Gleichgültigkeit.

»Zu dumm!«, fauchte Jossele. »Auch ich hab mir 54 gedacht. Gleichstand. Wir müssen noch einmal spielen.«

In meinem Hirn arbeitete es blitzschnell. Du glaubst wahrscheinlich, dass ich wieder mit elf oder etwas Ähnlichem herauskommen werde, mein Junge!, dachte ich. Aber du wirst eine Überraschung erleben ... Ich wählte die unschlagbare Ziffer 69 und sagte, zu Jossele gewendet:

»Jetzt kommst einmal du als Erster heraus, Jossele.«

»Bitte sehr.« Mit verdächtiger Eile stimmte er zu. »Mir kann’s recht sein. 70!«

Ich musste die Augen schließen. Meine Pulse hämmerten, wie sie seit der Belagerung von Jerusalem nicht mehr gehämmert hatten.

»Nu?«, drängte Jossele. »Wo bleibt deine Ziffer?«

»Jossele«, flüsterte ich und senkte den Kopf. »Ob du’s glaubst oder nicht: Ich hab sie vergessen.«

»Lügner!«, fuhr Jossele auf. »Du hast sie nicht vergessen, ich weiß es. Du hast dir eine kleinere Ziffer gedacht und willst jetzt nicht damit herausrücken! Ein alter Trick! Schäm dich!«

Am liebsten hätte ich ihm die Faust in seine widerwärtige Fratze geschlagen. Aber ich beherrschte mich, erhöhte den Einsatz auf zwei Pfund und dachte im gleichen Augenblick 96 – eine wahrhaft mörderische Ziffer.

»Komm heraus, du Stinktier!«, zischte ich in Josseles Gesicht. Jossele beugte sich über den Tisch und zischte zurück:

»1683!«

Eine haltlose Schwäche durchzitterte mich.

»1800«, flüsterte ich kaum hörbar.

»Gedoppelt!«, rief Jossele und ließ die vier Pfund in seiner Tasche verschwinden.

»Wieso gedoppelt? Was soll das heißen?!«

»Nur ruhig. Wenn du beim Poker die Selbstbeherrschung verlierst, verlierst du Hemd und Hosen«, sagte Jossele lehrhaft. »Jedes Kind kann dir erklären, dass meine Ziffer als gedoppelte höher ist als deine. Und deshalb –«

»Genug!«, schnarrte ich und schleuderte eine Fünfpfundnote auf den Tisch. »2000!«

»2417!«

»Gedoppelt!« Mit höhnischem Grinsen griff ich nach dem Einsatz, aber Jossele fiel mir in den Arm.

»Redoubliert!«, sagte er mit unverschämtem Nachdruck, und die zehn Pfund gehörten ihm. Vor meinen Augen flatterten blutig rote Schleier.

»So einer bist du also«, brachte ich mühsam hervor. »Mit solchen Mitteln versuchst du mir beizukommen! Als hätte ich’s beim letzten Mal nicht ganz genauso machen können.«

»Natürlich hättest du’s ganz genauso machen können«, bestätigte mir Jossele. »Es hat mich sogar überrascht, dass du es nicht gemacht hast. Aber so geht’s im Poker, Jachabibi.3 Entweder kannst du es spielen, oder du kannst es nicht spielen. Und wenn du es nicht spielen kannst, dann lass die Finger davon.«

Der Einsatz betrug jetzt zehn Pfund.

»Deine Ansage, bitte!«, knirschte ich.

Jossele lehnte sich zurück und gab mit herausfordernder Ruhe seine Ziffer bekannt:

»Vier.«

»100 000!«, trompetete ich.

Ohne das geringste Zeichen von Erregung kam Josseles Stimme:

»Ultimo!« Und er nahm die zwanzig Pfund an sich.

Schluchzend brach ich zusammen. Jossele strich mir tröstend über den Scheitel und belehrte mich, dass nach dem sogenannten Hoyle‘schen Gesetz derjenige Spieler, der als Erster »Ultimo« ansagt, auf jeden Fall und ohne Rücksicht auf die Ziffer gewinnt. Das sei ja gerade der Spaß im Poker, dass man innerhalb weniger Sekunden –

»20 Pfund!« Aufwimmernd legte ich mein letztes Geld in die Hände des Schicksals.

Josseles 20 Pfund lagen daneben. Auf meiner Stirn standen kalte Schweißperlen. Ich fasste Jossele scharf ins Auge. Er gab sich den Anschein völliger Gelassenheit, aber seine Lippen zitterten ein wenig, als er fragte:

»Wer sagt an?«

»Du«, antwortete ich lauernd. Und er ging mir in die Falle wie ein Gimpel.

»Ultimo«, sagte er und streckte die Hand nach dem Goldschatz aus.

Jetzt war es an mir, seinen Griff aufzuhalten.

»Einen Augenblick«, sagte ich eisig. »Ben Gurion!«

Und schon hatte ich die 40 Pfund bei mir geborgen.

»Ben Gurion ist noch stärker als Ultimo«, erläuterte ich. »Aber es wird spät. Wir sollten Schluss machen, Jachabibi.«

Schweigend erhoben wir uns. Ehe wir gingen, unternahm Jossele einen kläglichen Versuch, sein Geld zurückzubekommen. Er behauptete, das mit Ben Gurion sei eine Erfindung von mir. Ich widersprach ihm nicht. Aber, so sagte ich, darin besteht ja gerade der Reiz des Pokerspiels, dass man gewonnenes Geld niemals zurückgibt.

1 Jossele ist kein direkt hebräischer Name, aber ich möchte keinem Unschuldigen die zungenbrecherische Korrektheit der hebräischen Nomenklatur aufbürden.

2 Die Interjektion »Nu«, die ungefähr dem englischen »well« entspricht, spielt im Hebräischen die Rolle des Jolly Joker. Einer oberflächlichen Statistik zufolge hat »Nu« 680 verschiedene Bedeutungen, je nach dem Stand des Gesprächs, dem Gesichtsausdruck des Sprechers und der Tageszeit. Hier folgen, wahllos herausgegriffen, einige dieser Bedeutungen:

»Komm schon!«

»Was ist los?«

»Lass mich in Ruhe.«

»Ich habe kein Wort verstanden. Was willst du eigentlich?«

»Schön. Nehmen wir an, es ist so, wie du sagst. Ich gebe das nicht vielleicht zu, ich sage nur: nehmen wir an. Aber deshalb brauchst du nicht gleich zu schreien, du Idiot.«

3 Jachabibi ist der arabische Ausdruck für »alter Junge« und wird als Anrede unter sehr vertrauten Freunden gebraucht, oder von völlig Fremden auf der Straße, oder von Schulkindern in der Schule, oder von Regierungsmitgliedern bei stürmischen Kabinettsitzungen.

UNTERNEHMEN BABEL

Neben dieser spezifisch jüdischen Mentalität besitzt Israel noch weitere Gemeinsamkeiten: das allumfassende Durcheinander seiner Umgangssprachen. Die Heimführung der Zerstreuten aus sämtlichen Winkeln der Welt mag eine noch so großartige, ja epochale Leistung darstellen – in sprachlicher Hinsicht hat sie ein Chaos erzeugt, gegen das sich der Turmbau von Babel wie die Konstruktion einer bescheidenen Lehmhütte ausnimmt. In Israel werden mehr Sprachen gesprochen, als der menschlichen Rasse bisher bekannt waren. Zwar kann sich auch ein Waliser mit einem Schotten und ein Schotte mit einem Texaner nur schwer verständigen. Aber es besteht zwischen ihnen immer noch eine ungleich größere linguistische Verwandtschaft als zwischen einem Juden aus Afghanistan und einem Juden aus Kroatien.

Die offizielle Sprache unseres Landes ist das Hebräische. Es ist auch die Muttersprache unserer Kinder – übrigens die einzige Muttersprache, welche die Mütter von ihren Kindern lernen. Amtliche Formulare müssen hebräisch ausgefüllt werden. Die meistgelesene Sprache ist englisch, die meistgesprochene jiddisch. Hebräisch lässt sich verhältnismäßig leicht erlernen, fast so leicht wie Chinesisch. Schon nach drei oder vier Jahren ist der Neueinwanderer in der Lage, einen Straßenpassanten in fließendem Hebräisch anzusprechen:

»Bitte sagen Sie mir, wie spät es ist, aber womöglich auf Englisch.«

Im Umgang mit den Behörden wird der Bürger gut daran tun, sich der offiziellen Landessprache zu bedienen, damit man ihn versteht. Noch besser ist es allerdings, sich der offiziellen Landessprache nicht zu bedienen und nicht verstanden zu werden.

Als Beweis für diese These diene das folgende Erlebnis.

Es begann damit, dass ich zwecks Einfuhr eines Röntgenapparates bestimmte Schritte unternehmen musste. Ich rief im Ministerium für Heilmittelinstrumente an und erkundigte mich, ob man für die Einfuhr eines Röntgenapparates eine Lizenz benötigte, auch wenn man den Apparat von Verwandten geschenkt bekommen hat und selbst kein Arzt ist, sondern nur an Bulbus duodenitis leidet und den Magen sooft wie möglich mit Röntgenstrahlen behandeln muss.1

Im Ministerium ging alles glatt. Am Informationsschalter saß ein junger Mann, der seinen Onkel vertrat. Der Onkel war gerade zur Militärübung für Reservisten abkommandiert, und der junge Mann schickte mich zum Zimmer 1203, von wo man mich auf Nr. 4 umleitete. Nachdem ich noch durch die Nummern 17, 3, 2004, 81 und 95 hindurchgegangen war, erreichte ich endlich Nr. 604, das Büro von Dr. Bar Cyanid, Konsulent ohne Portefeuille für Angelegenheiten der externen Röntgenbestrahlung.

Vor dem Zimmer Nr. 604 stand niemand. Trotzdem wurde ich belehrt, dass man das Amtszimmer nur mit einem nummerierten Passierschein betreten dürfe, der auf Nr. 18 erhältlich sei. Durch diese Passierscheine sollte die lästige Schlangenbildung hintangehalten werden.2

Vor dem Zimmer Nr. 18 stand eine entsetzlich lange Schlange. Ich begann blitzschnell zu rechnen: Selbst wenn keine der sich anstellenden Personen länger als 30 Sekunden in Anspruch nähme und jede fünfte Person durch plötzlichen Todesfall ausschiede, würde ich frühestens in fünf bis sechs Jahren drankommen. Das ist, angesichts der schwierigen wirtschaftlichen Verhältnisse, unter denen wir leben müssen, eine sehr lange Zeit.

Ein gewisser selbstsüchtiger Zug, der in meinem Wesen immer wieder durchbricht, verleitete mich, das angrenzende Zimmer Nr. 17 zu betreten und von dort ins Zimmer Nr. 18 einzudringen, wo man die zur Vermeidung von Schlangenbildungen eingeführten Nummernscheine bekam. Das Zimmer war leer. Nur hinter dem Schreibtisch saß ein vierschrötiger Beamter, der mich durchdringend ansah und – vielleicht aus Schreck über mein unvermutetes Auftauchen – die folgenden unhöflichen Worte von sich gab: »Eintritt durch den Nebenraum verboten. Wer durch die Seitentür kommt, wird nicht abgefertigt. Haben Sie draußen keine Schlange gesehen? Auch Sie müssen sich anstellen, genau wie jeder andere!«3

In solchen Situationen muss man sich etwas Ungewöhnliches einfallen lassen, sonst ist man verloren.

»Bulbus«, sagte ich mit Nachdruck. »Bulbus duodenitis.«

Der Beamte war offenkundig ein medizinischer Laie. Er glotzte mich verständnislos an. »Was?«, fragte er. »Wer? Wieso?«

Und in diesem Augenblick kam mir der erlösende Einfall, der sehr wohl zu einem epochalen Umschwung in der Geschichte des israelischen Schlangestehens führen könnte.

»Dvargitschoke plokay g’vivtschir?«, äußerte ich in fragendem Tonfall und mit freundlichem Lächeln. »Schmusek groggy. Latiten?«

Das blieb nicht ohne Wirkung.

»Redste jiddisch?«, fragte der Beamte. »Odder vielleicht du redst inglisch?«

»Dvargitschoke plokay.«

»Redste fransoa?«

»G’vivtschir u mugvivtschir ...«

Der Beamte erhob sich und rief seinen Kollegen aus dem Nebenzimmer herbei.

»Der arme Kerl spricht nur ungarisch«, informierte er ihn.

»Du stammst doch aus dieser Gegend. Vielleicht kommst du dahinter, was er will?«

»Chaweri«, sprach der andere mich an. »Te mit akarol mama?«

»Dvargitschoke plokay«, lautete meine prompte Antwort.

»Latiten?«

Der Transsylvanier versuchte es noch mit Rumänisch und einem karpatho-ruthenischen Dialekt, zuckte die Achseln und ging ab. Als Nächster kam ein hohlwangiger Kassier aus der Abteilung für Kalorienforschung und unterzog mich einer arabischen, einer türkischen und einer holländischen Fühlungnahme. Ich verharrte standhaft bei meinem Dvargitschok und hob bedauernd die Arme. Ein Ingenieur aus dem zweiten Stock ging mit mir fast alle slawischen Sprachen durch; das Ergebnis blieb negativ.

Sodann wurde ein Botenjunge aufgetrieben, der finnisch sprach. »Schmusek«, wiederholte ich verzweifelt. »Schmusek groggy.« Der Koordinator für die Fruchtbarmachung toter Sprachen wollte mich in eine lateinische Konversation verwickeln, der Generaldirektor des Amtes für Reiskornzählung in eine rätoromanische. »G’vivtschir« war alles, was sie aus mir herausbekamen. Eine unbekannte Dame erprobte an mir ihre italienischen, spanischen und japanischen Sprachkenntnisse, der Portier des Gebäudes, ein Immigrant aus Afghanistan, nahm mit Freuden die Gelegenheit wahr, einige Worte in seiner Muttersprache zu äußern, und gab freiwillig noch einige Brocken Amharisch drauf. Ein Buchhalter – Pygmäe und möglicherweise Kannibale – versuchte sein Glück mit dem Dialekt des Balu-Balu-Stammes. Um diese Zeit war bereits eine ansehnliche Menschenmenge um mich versammelt, und jeder entwickelte seine eigene Theorie, woher ich käme und was ich wollte. Die Mehrzahl der Kassiere neigte der Ansicht zu, dass ich ein Mischling einer Mestizenmutter mit einem weißen Indianervater sei, die Buchhalter hielten mich für einen Eskimo, was jedoch vom Leiter der Osteuropa-Abteilung, der selbst ein Eskimo war, entschieden bestritten wurde. Der Chefkontrolleur des Amtes für verschwindende Vorräte, telefonisch herbeigerufen, unternahm einen tapferen Klärungsversuch auf Siamesisch, scheiterte jedoch an meinem soliden Verteidigungswall von Dvargitschoks. Nicht besser erging es dem Verwalter der Öffentlichen Illusionen auf Aramäisch. »Plokay.« Wallonisch. Baskisch. »Mugvivtschir.« Norwegisch, Papuanisch, Griechisch, Portugiesisch, Tibetanisch, Ladinisch, Litauisch, Suaheli, Esperanto, Volapük ... nichts. Kein Wort.

Nach und nach brachen die mich Umringenden erschöpft zusammen. Da machte ich ein paar rasche Schritte zum Schreibtisch des Beamten und raffte – als hätte ich sie eben erst entdeckt – einen der dort liegenden Nummernscheine an mich. (Das war, man erinnert sich, der eigentliche Grund meines Hierseins.)

»Er will eine Nummer!« Die frohe Botschaft verbreitete sich wie ein Lauffeuer durch die Kanzleien und Korridore. »Eine Nummer will er haben! Endlich! Eine Nummer! Halleluja!«

Die Beamten nötigten mir zur Sicherheit einen zweiten Nummernzettel auf, klopften mir auf die Schultern, gratulierten mir, umarmten mich, und wenn ich nicht irre, küsste ein Kontrolleur sogar den Saum meines Gewandes. Tränen standen in aller Augen und der Jubel über die Heimführung der Zerstreuten war allgemein.

»Dvella«, murmelte ich und war selbst ein wenig bewegt. »Dvella ...«

Zu Hause fand ich in meinen Rocktaschen noch weitere zwanzig Nummernzettel.

1 Die britische Mandatsregierung hat uns sehr viel Gutes hinterlassen, darunter auch die Vorliebe für Lizenzerteilungen. Wer in Israel irgendetwas zu importieren oder zu exportieren wünscht – Automobile, Kühlschränke, Nahrungsmittel, Bücher, Blumen, Bürsten oder Nadeln – muss um eine Lizenz ansuchen, und bevor er sie bekommt, ist der Kühlschrank in der Sonne weggeschmolzen, die Nahrung verdorben, das Buch unlesbar geworden und die Nadel im Heu verloren gegangen. Deshalb empfiehlt es sich, den Beamten, der die Lizenz ausstellen soll, ein wenig anzutreiben.

2 In Israel gilt das Schlangestehen als notwendiges Übel, in England als Lebensform. Wir Israeli haben keinen größeren Ehrgeiz, als das Schlangestehen zu umgehen (auch unser Vorvater Jakob erhielt den väterlichen Segen außer der Reihe). Und wir bewundern die Engländer, die an den Autobus-Haltestellen ruhig, geduldig und gewissenhaft Schlange stehen und erst dann zu stoßen und zu drängen beginnen, wenn der Bus anhält.

3 Wir Israeli werden gelb vor Neid, wenn wir an die ausgesucht höflichen Umgangsformen denken, die in den Amtsstellen der westlichen Hemisphäre gang und gäbe sind. In Israel verläuft das typische Telefongespräch mit einer typischen Sekretärin in einer typischen Amtsstelle ungefähr folgendermaßen:

»Ist Herr X in seinem Büro?«

»Machen Sie sich nicht lächerlich.«

»Wann kommt er wieder?«

»Wie soll ich das wissen?«

»Würden Sie eine Nachricht für Herrn X übernehmen?«

»Lassen Sie die dummen Witze.« (Sie legt den Hörer ab, ohne auch nur eine einzige Silbe notiert zu haben.)

Im hochzivilisierten Westen hingegen, besonders in der angelsächsischen Welt:

»Ist Herr X in seinem Büro?«

»Ich fürchte, dass er im Augenblick nicht anwesend ist, mein Herr.«

»Wann kommt er wieder?«

»Es tut mir außerordentlich leid, mein Herr, aber darüber könnte ich Ihnen keine absolut zuverlässige Auskunft geben. Hübsches Wetter heute, mein Herr, nicht wahr?«

»Ja, ganz hübsch. Der Regen ist in den letzten Tagen entschieden wärmer geworden. Würden Sie eine Nachricht für Herrn X übernehmen?«

»Mit größtem Vergnügen, mein Herr.«

(Die Nachricht wird langsam diktiert, schwierigere Worte werden sorgfältig buchstabiert.)

»Danke sehr, mein Herr. Auf Wiederhören, mein Herr.« (Sie legt den Hörer ab, ohne auch nur eine einzige Silbe notiert zu haben).

EIN OLDTIMER

Der Ordnung halber sei vermerkt, dass ich den Röntgenapparat schließlich doch nicht bekommen habe, obwohl man mich ohne weiteres Schlangestehen in das Büro von Dr. Bar Cyanid geleitete. Allem Anschein nach werden Lizenzen für die Einfuhr von Röntgenapparaten nur an neu eingewanderte Ärzte vergeben.

Neueinwanderer können im Allgemeinen tun, was sie wollen. Im ersten Jahr ihrer Ansässigkeit brauchen sie nicht einmal Einkommensteuer zu zahlen. Manche unternehmungslustigen israelischen Bürger machen einen ganz anständigen Lebensunterhalt daraus, dass sie in bestimmten Zeitabständen das Land verlassen und als Neueinwanderer wiederkommen. Ungeachtet dieser Bevorzugung gilt ein Neueinwanderer, der sich über nichts beklagt, entweder als Idiot oder als Großkapitalist. (Das gesamte Großkapital ist hierzulande in jüdischen Händen zusammengezogen, ein Umstand, der allseits heftigen Unwillen erregt.)

Auch die Lage der mittellosen Neueinwanderer, die sich seltsamerweise in der Überzahl befinden, ist keineswegs hoffnungslos. Es gibt Leute, die vor zwanzig Jahren mit einem einzigen Koffer ins Land gekommen sind, und heute besitzen sie diesen Koffer noch immer. Sie sind die sogenannten »Oldtimer«, die um ihrer Ideale willen Unsägliches gelitten haben, als sie jung waren. Sie haben sich bis auf den heutigen Tag eine gesunde Feindseligkeit gegen alle jene bewahrt, die erst später gekommen sind und die – nach Meinung der Oldtimer – das reine Luxusleben führen.

Zorn und Abscheu spiegelten sich in den Gesichtszügen jenes älteren Herrn, der mich eines Tages vor dem Eingang zum Kino anhielt:

»Wohin so eilig, Jossele?«

Ich gestand ihm, dass ich mir eine Eintrittskarte ins Kino gekauft hätte.

»Eintrittskarte ins Kino?«, wiederholte er mit schneidender Verachtung. »In deinem Alter war ich froh, wenn ich mir eine Gurke zum Nachtmahl kaufen konnte. Aber Kinokarten? Vor 30 Jahren hat kein Mensch daran gedacht, ins Kino zu gehen. Damals sind hier noch die Tragkamele vorbeigezogen und von den Boulevards konnte man aufs offene Meer hinaussehen.«

»Interessant«, sagte ich. »Aber jetzt muss ich nach Hause.

»Nach Hause?« Er nickte bitter. »Wir hatten kein Zuhause. Wir pflegten ein paar Schachteln und Konservenbüchsen übereinanderzuschichten, verklebten das Ganze mit Packpapier – und das war unser Zuhause. Hast du Möbel?«

»Nicht der Rede wert.« Ich wurde vorsichtig. »Meistens sitzen wir auf Ziegelsteinen.«

»Ziegelsteine?! Von Ziegelsteinen wagten wir nicht einmal zu träumen! Wo hätten wir das Geld für Ziegelsteine hernehmen sollen?«

»Ich weiß nicht«, gestand ich kleinlaut. »Um die Wahrheit zu sagen: Ich habe die Ziegelsteine nicht gekauft, sondern von einem unbewachten Bauplatz gestohlen.«

»Gestohlen!« Die Stimme des alten Herrn bebte vor Zorn. »Ich habe 18 Jahre lang hier gelebt, ehe ich es wagte, meinen ersten Ziegelstein zu stehlen! Wir hatten damals nicht einmal Sand, um darauf zu liegen. – Trinkst du Wasser?«

»Sehr selten. Vielleicht einmal in der Woche.«

»Einmal in der Woche?« Er packte mich an den Schultern und schüttelte mich, als ob er mich mixen wollte. »Bist du dir klar darüber, Bürschchen, dass man seinerzeit in Jerusalem für Wasser bares Geld zahlen musste? Die Zunge klebte uns am Gaumen, aber wir konnten unseren Durst nicht löschen. Wir hatten nicht einmal den lumpigen Piaster, Jossele, um uns ein Glas Wasser zu kaufen!«

»Ich heiße nicht Jossele«, warf ich ein. »Und überhaupt, ich kenne Sie nicht, mein Herr.«

»Du kennst mich nicht?«, brüllte mein Gesprächspartner. »Wenn wir in deinem Alter die Frechheit gehabt hätten, jemanden nicht zu kennen, hätte man uns windelweich geprügelt! Aber ihr jungen Grünschnäbel von heute könnt euch natürlich alles erlauben ...«

Damit ließ er mich stehen und ging zornig seines Weges. Ich war niedergeschmettert. Der Boden schwankte unter meinen Füßen. Ich musste mich hinlegen. Ein Taxi überfuhr mich. Früher einmal mussten die Pioniere 18 bis 20 Jahre warten, bevor sie zum ersten Mal von einem Taxi überfahren wurden. Die Zeiten haben sich geändert.

BRAUTKAUF IM KIBBUZ

Der ständige Ratschlag, der den Hungrigen in diesem Lande erteilt wird, lautet: »Geh in einen Kibbuz.«

Die berühmten israelischen Kibbuzim sind ein Unikum in der Geschichte: die einzigen landwirtschaftlichen Kollektive, die auf freiwilliger Basis errichtet wurden und die ohne Geheimpolizei, Schnellgerichte und Hinrichtungskommandos weiterbestehen. Die Sowjetunion hat gegen diese Provokation wiederholt Einspruch erhoben.