cover
e9783641135713_cover.jpg

Inhaltsverzeichnis

DAS BUCH
DER AUTOR
Das ist ansteckend
Immer dranbleiben
Zweite Besetzung
Dieses alte Haus
Kumpel, hast du eine Krawatte übrig?
Per Anhalter unterwegs
Was ich lernte
That’s Amore
Totentanz
Im Wartezimmer
Wie man das Samstagsrätsel löst
Sechs Erwachsene, auf einen Betonfliegenpilz zustürzend
Memento Mori
Schöner wird’s nicht
Stadt und Land
Aerial
Der Mann in der Hütte
Von Mäusen und Menschen
April in Paris
Heulsuse
Treue Seele
Der Raucherbereich
Copyright

DER AUTOR

David Sedaris, geboren am 26.12.1956 in Johnson City, New York, aufgewachsen in Raleigh, North Carolina, lebt abwechselnd in Paris und in New York. Er schreibt u. a. für The New York Times, The New Yorker und Esquire. Mit seinen Büchern Naked, Fuselfieber oder Ich ein Tag sprechen hübsch wurde er zum Bestsellerautor.

Das ist ansteckend

Meine Freundin Patsy erzählte mir eine Geschichte. »Ich bin also im Kino«, sagte sie, »und ich habe meinen Mantel über meinen Sitz ausgebreitet, und dann kommt da so ein Typ …« An dieser Stelle unterbrach ich sie, weil ich den Tick mit dem Mantel noch nie verstanden habe. Wenn ich ins Kino gehe, habe ich meinen entweder gefaltet auf dem Schoß oder ich lege ihn über die Armlehne, aber Patsy breitet ihren jedes Mal über den Sitz, als ob ihm kalt wäre und sie sich unmöglich im Kino amüsieren kann, während der Sitz friert.

»Warum machst du das?«, fragte ich. Sie sah mich verwundert an und sagte: »Bazillen, Dummkopf. Alle möglichen Leute haben ihre Köpfe an das Polster gelehnt. Kriegst du da keine Gänsehaut?« Ich musste zugeben, dass ich noch nie darüber nachgedacht hatte.

»Du legst dich im Hotel ja auch nicht einfach auf die Tagesdecke auf dem Bett, oder?«, fragte sie. Und wieder dachte ich: Warum nicht? Ich stecke sie mir vielleicht nicht in den Mund, aber sich darauf ausstrecken und ein paar Anrufe erledigen – das mache ich ständig.

»Aber du wischst doch vorher den Hörer ab.«

»Äh, nein.«

»Also, das ist ja … gefährlich«, sagte sie.

Eine ähnliche Situation hatte ich mit meiner Schwester Lisa in einem Supermarkt erlebt, als mir auffiel, dass sie den Einkaufswagen mit den Ellbogen vor sich her schob.

»Hast du was?«, fragte ich.

»Ach so«, sagte sie. »Fass nie den Griff des Wagens mit bloßen Händen an. Darauf wimmelt es von Bazillen.«

Ist das typisch amerikanisch oder denken die Leute überall so? In Paris sah ich einmal im Supermarkt um die Ecke einen Mann, der seinen Papagei zum Einkaufen mitgenommen hatte. Der Vogel war so groß wie ein halbwüchsiger Adler und hockte auf der Stange des Einkaufswagens.

»Siehst du«, sagte Lisa. »Wer weiß, was für eine Krallenkrankheit das Tier vielleicht hat.«

Das stimmte zwar, aber nicht jeder schleppt einen Papagei mit in den Supermarkt. In meinem ganzen Einkaufsleben war dies der erste exotische Vogel, der mir an der Fleischtheke begegnete.

Meine einzige Vorsichtsmaßnahme besteht darin, alle Klamotten aus dem Secondhandladen zu waschen, seit ich mir einmal durch eine gebrauchte Jeans Filzläuse geholt habe. Ich war damals Mitte zwanzig und hätte mich bis auf die Knochen wund gekratzt, wenn mich nicht ein Freund in die Apotheke geschleppt hätte, wo man mir ein Mittel namens Quell in die Hand drückte. Nachdem ich mich damit eingerieben hatte, kämmte ich mir mit einem speziellen Nissenkamm durchs Schamhaar und staunte nicht schlecht: das also waren die Biester, die sich seit Wochen von meinem Fleisch ernährten. Ich glaube, Patsy hat genau das Bild vor Augen, wenn sie den Sitz im Kino sieht, oder Lisa, wenn sie einen Einkaufswagen schiebt.

Doch ist das alles nichts gegen das, was Hugh erlebt hat. Als er acht Jahre alt war und im Kongo lebte, entdeckte er eines Tages einen roten Fleck auf seinem Bein; nichts Dramatisches, nur ein kleiner Pips, den er für einen Mückenstich hielt. Am nächsten Tag juckte der Fleck noch mehr, und wieder einen Tag später sah er plötzlich, wie ein Wurm aus seinem Bein kroch.

Einige Wochen danach passierte Ma Hamrick, so nenne ich Hughs Mutter Joan, das Gleiche, und obwohl der Wurm etwas kürzer war, dürfte das Erlebnis ungleich traumatischer gewesen sein. Wenn ich ein Kind wäre und etwas aus dem Bein meiner Mutter kriechen sähe, würde ich zum nächsten Waisenhaus gehen und mich auf die Adoptionsliste setzen. Ich würde alle Fotos von ihr verbrennen, alles vernichten, was von ihr stammt, und ganz von vorn anfangen, so sehr ekelte mich. Ein Dad kann meinetwegen Parasiten am ganzen Körper haben, was soll’s, aber bei der eigenen Mutter oder sonst irgendeiner Frau ist es unverzeihlich.

»Also, das ist ganz schön chauvinistisch, findest du nicht?«, sagte Ma Hamrick. Sie war über die Weihnachtstage zu Besuch in Paris, ebenso Lisa und ihr Mann Bob. Alle hatten ihre Geschenke ausgepackt, und Ma sammelte das Geschenkpapier vom Boden ein und strich es mit den Händen glatt.

»Es war bloß ein Guineawurm, das kam ständig vor.« Sie sah zur Küche rüber, wo Hugh irgendetwas mit einer Gans anstellte. »Liebling, wo soll ich das Papier hin tun?«

»Verbrenn es«, sagte Hugh.

»Oh, aber es ist tadellos. Meinst du nicht, dass ihr es noch mal gebrauchen könnt?«

»Verbrenn es«, wiederholte Hugh.

»Wie war das mit dem Wurm?«, fragte Lisa. Sie lag unter einer Decke auf der Couch, noch leicht benommen von ihrem Mittagsschlaf.

»Joan hatte einen Wurm, der bei ihr im Bein lebte«, sagte ich. Ma Hamrick warf einen Bogen Geschenkpapier ins Feuer und sagte: »Also, leben würde ich das nicht nennen.«

»Aber er war in Ihrem Bein?«, fragte Lisa, und ich sah, wie die Rädchen in ihrem Kopf arbeiteten: War ich schon mal unmittelbar nach dieser Frau auf der Toilette? Habe ich eine Kaffeetasse von ihr in der Hand gehabt oder von ihrem Teller gegessen? Wann kann ich einen Test machen lassen? Sind die Krankenhäuser an Weihnachten geöffnet oder muss ich bis morgen warten?

»Es ist schon viele Jahre er«, sagte Joan.

»Wie viele genau?«, fragte Lisa.

»Ich weiß gar nicht mehr – 1968 vielleicht.«

Meine Schwester nickte wie jemand, der gerade Zahlen im Kopf addiert. »Okay«, sagte sie, und ich bereute es, überhaupt damit angefangen zu haben. Sie sah Ma Hamrick nicht an, sondern durch sie hindurch, als könnte sie mit einem Röntgenblick das blanke Knochengerüst sehen und dazwischen das Gewimmel der tausend Würmer, die ihren Wirt 1968 nicht verlassen hatten. Mir war es anfangs genauso gegangen, aber nach etwa fünfzehn Jahren hatte ich mich daran gewöhnt und jetzt sehe ich einfach nur Ma Hamrick. Ma Hamrick beim Bügeln, Ma Hamrick beim Spülen, Ma Hamrick beim Entsorgen des Mülls. Sie will ein angenehmer Gast sein und sucht ständig nach irgendeiner Aufgabe.

»Kann ich vielleicht …?«, fragt sie, und noch bevor sie zu Ende geredet hat, platze ich heraus, aber sicher, kein Problem.

»Hast du meiner Mutter aufgetragen, auf Händen und Knien durchs Wohnzimmer zu kriechen?«, fragt Hugh, und ich antworte: »Aber nein, jedenfalls nicht direkt. Ich habe nur gesagt, wenn sie die Fußleisten wischen möchte, geht es so am besten.«

 

Wenn Ma Hamrick zu Besuch ist, rühre ich keinen Finger. Meine sämtlichen Haushaltspflichten gehen automatisch auf sie über, und ich sitze bloß im Schaukelstuhl und hebe ab und zu einen Fuß, damit sie mit dem Staubsauger durch kann. Das ist unglaublich entspannend, sieht aber unschön aus, besonders wenn sie anstrengende Dinge erledigt, zum Beispiel irgendwelche Möbelstücke in den Keller schafft, wobei das allein ihre Idee war. Ich hatte bloß angedeutet, dass wir die Frisierkommode kaum nutzen und sie irgendwer einmal nach unten schaffen könnte. Dabei meinte ich nicht ausdrücklich sie, obwohl sie mit ihren dreiundsiebzig Jahren noch viel rüstiger ist, als Hugh ihr zutraut. Harte Arbeit ist sie aus Kentucky gewohnt. Ich glaube sogar, sie liegt ihr in den Genen.

Problematisch wird es nur dann, wenn andere Leute im Haus sind und sehen, wie dieser zierlichen, weißhaarigen Person der Schweiß über die Stirn rinnt. Lisa und Bob zum Beispiel, die in Patsys freiem Apartment übernachteten. Jeden Abend kamen sie zu uns zum Essen herüber, und Ma Hamrick nahm ihnen die Mäntel ab, um anschließend die Servietten zu bügeln und den Tisch zu decken. Danach reichte sie den Aperitif und eilte zu Hugh in die Küche.

»Mein Gott, habt ihr einen Massel«, sagte Lisa und seufzte, als Joan hereinflitzte und meinen Aschenbecher leerte. Ihre Schwiegermutter war erst kurz zuvor in ein Heim für betreutes Wohnen gezogen, jene Sorte Häuser, die das Wort »Senioren« vermeiden und stattdessen lieber von »grauen Tigern« sprechen. »Ich liebe Bobs Mom von Herzen, aber Hughs Mom, mein Gott! Und sich dann noch vorzustellen, dass sie von Würmern zerfressen wurde.«

»Also, zerfressen haben die Würmer sie nicht«, sagte ich.

»Aber von irgendwas müssen sie sich ernährt haben. Oder willst du behaupten, sie hätten ihr eigenes Futter mitgebracht?«

Vermutlich hatte sie Recht, aber wovon leben Guineawürmer? Bestimmt nicht von Fett, sonst hätten sie sich garantiert nicht bei Joan einquartiert, die höchstens neunzig Pfund wiegt und immer noch spielend in ihr Kleid vom Abschlussball passt. Auch nicht von Muskeln, sonst könnte sie mir niemals die ganze Hausarbeit abnehmen. Trinken sie Blut? Oder bohren sie Löcher in die Knochen und saugen das Mark aus? Ich wollte schon fragen, aber als Ma Hamrick ins Wohnzimmer zurückkam, fiel das Gespräch umgehend auf Cholesterin, und Lisa fragte: »Ich will ja nicht neugierig sein, Joan, aber wie hoch sind Ihre Werte?«

Es war eins dieser Themen, zu denen ich wenig beisteuern konnte. Nicht nur, weil ich noch nie einen Test gemacht habe. Ich weiß nicht einmal so genau, was Cholesterin überhaupt ist. Wenn ich das Wort höre, stelle ich mir eine von Hand gerührte, weißliche Soße vor, in der dicke Klumpen schwimmen.

»Haben Sie schon mal Fischtran probiert?«, fragte Lisa. »Bob hat damit seinen Wert von dreiundachtzig auf zweiundzwanzig gesenkt. Vorher hat er Lipitor genommen.« Meine Schwester kennt die genaue Bezeichnung für jede bekannte Krankheit sowie das entsprechende Medikament, eine beachtliche Leistung, besonders wenn man bedenkt, dass sie sich alles selbst beigebracht hat. Angeborene Ichthyose, Myositis ossificans und Spondylolisthesis werden mit Celebrex, Flexeril und Oxyconhydrochlorid behandelt. Ich sagte im Scherz, sie habe in ihrem Leben noch keine Zeitschrift gekauft, sondern lese nur die im Wartezimmer von Arztpraxen, woraufhin sie mich sogleich nach meinem Cholesterinspiegel fragte. »Du solltest lieber mal zum Arzt gehen, mein Freund, du bist auch nicht mehr so jung, wie du glaubst. Und wenn du schon mal da bist, solltest du auch gleich diese Muttermale untersuchen lassen.«

Die Sache war nichts, worüber ich länger nachdenken wollte, schon gar nicht an Weihnachten, während ein Feuer im Kamin brannte und Bratenduft durch die Wohnung zog. »Reden wir lieber über Unfälle«, schlug ich vor. »Hat jemand eine gute Geschichte auf Lager?«

»Also, eigentlich ist es kein Unfall«, sagte Lisa, »aber wusstet ihr, dass sich jährlich fünftausend Kinder zu Tode erschrecken?« Zum besseren Verständnis warf sie die Decke zurück und spielte eine Szene nach. »Stellt euch vor, ein kleines Mädchen spielt mit ihren Eltern im Haus Verstecken. Sie rennt den Flur entlang, und plötzlich springt ihr Vater hinter einer Ecke hervor und ruft: ›Uah!‹ oder ›Hab dich!‹ oder irgendwas in der Art. Tatsächlich kann das Kind sich dabei so erschrecken, dass es einen Herzschlag erleidet und stirbt.«

»Die Geschichte gefällt mir nicht«, sagte Ma Hamrick.

»Mir auch nicht«, sagte Lisa. »Ich sage nur, dass es mindestens fünftausend Kinder im Jahr trifft.«

»In Amerika oder weltweit?«, fragte Joan. Meine Schwester rief ihren Mann nebenan: »Bob, sind es fünftausend Kinder in den USA oder weltweit, die jährlich zu Tode erschreckt werden?« Weil keine Antwort kam, entschied Lisa, dass die Zahl sich allein auf die USA bezog. »Und das sind nur die Fälle, wo es bekannt wird«, sagte sie. »Viele Eltern wollen es vermutlich nicht öffentlich machen und schieben eine andere Todesursache vor.«

»Die armen Kinder«, sagte Ma Hamrick.

»Und die Eltern!«, fügte Lisa hinzu. »Stellen Sie sich nur vor.«

Tragisch war es für beide Seiten, nur musste ich an die Kinder denken, die überlebt hatten, oder, schlimmer noch, an die nachrückenden Stellvertreter, die in einer Atmosphäre spaßfreier Vorsorge groß wurden.

»Also, hör zu, Caitlin 2, wenn wir gleich nach Hause kommen, springen überall Leute hinter den Möbeln hervor und rufen ›Happy birthday!‹. Ich verrat’s dir jetzt, damit du nachher keinen Schrecken bekommst.«

Keine Überraschungen, keine Streiche, nichts Unerwartetes, allerdings können Eltern unmöglich alles kontrollieren, und außerdem ist da auch noch die Welt jenseits der Haustür, eine Welt der Autofehlzündungen und deren menschlicher Entsprechungen.

Eines Tages blickt man zufällig an sich herab und sieht das blinde, runzlige Haupt eines Wurms, der aus einer Luke im Bein hervorschaut. Wenn einem dabei nicht das Herz stehen bleibt, weiß ich es auch nicht, aber Hugh und seine Mutter scheinen es überlebt zu haben. Mehr noch, sie sind dadurch erst richtig aufgeblüht. Die Hamricks sind aus einem anderen Holz geschnitzt als ich. Darum lasse ich auch lieber sie die Gans braten, die Möbel durchs Haus tragen und heimtückisches Viehzeug aus meinen Secondhand-Klamotten waschen. Wenn sie etwas zu Tode erschrecken könnte, dann mein Vorschlag, mich behilflich zu machen. Also mache ich es mir neben meiner Schwester auf dem Sofa bequem und schwenke meine Kaffeetasse durch die Luft, damit sie sehen, dass sie nachschenken können.

Immer dranbleiben

Meine Straße in Paris ist nach dem Arzt benannt, der an der nahe gelegenen medizinischen Hochschule lehrte und eine ungewöhnliche Krankheit entdeckte, ein Zusammenziehen der Haut, durch das sich die Finger nach innen krümmen und die Hand schließlich zu einer Faust wird. Obwohl die Straße kurz und nicht aufregender als der Rest des Viertels ist, verirren sich immer wieder amerikanische Touristen hierher und beschließen, sich ausgerechnet unter dem Fenster meines Arbeitszimmers anzuschreien.

Manche streiten über die Sprache. Vielleicht hatte sich eine Frau gewisse Vorkenntnisse zugetraut und gesagt: »Ich habe mir Kassetten angehört.« Oder auch »Die romanischen Sprachen sind sich alle sehr ähnlich, und mit meinem Spanisch schlagen wir uns schon durch.« Doch dann reden die Leute Umgangssprache oder stellen unerwartete Fragen, und alles geht den Bach runter. »Du hast doch behauptet, Französisch zu sprechen.« Diesen Satz höre ich ständig, und wenn ich ans Fenster gehe, sehe ich ein Paar Fußspitze an Fußspitze auf dem Bürgersteig stehen.

»Ja doch«, sagt die Frau. »Ich versuche es wenigstens.«

»Na, dann gib dir gefälligst mehr Mühe, verdammt noch mal. Kein Mensch versteht dich.«

Orientierungsstreitigkeiten sind am häufigsten. Die Leute stellen fest, dass sie schon einmal in meiner Straße waren, vielleicht vor einer halben Stunde, als sie lediglich glaubten, müde und hungrig zu sein und eine Toilette finden zu müssen.

»Herrgott, Philip, ist es so schwer, jemanden zu fragen?«

Ich liege auf meinem Sofa und denke: Warum fragst du nicht? Warum muss Philip das tun? Allerdings sind diese Dinge oft komplizierter, als sie auf den ersten Blick scheinen. Vielleicht war Philip schon einmal vor zwanzig Jahren hier und hat behauptet, sich auszukennen. Vielleicht ist er einer von denen, die den Stadtplan nicht aus der Hand geben oder ihn gar nicht erst aus der Tasche holen, damit sie nicht als Tourist erkannt werden.

Der Wunsch, für einen Einheimischen gehalten zu werden, ist vermintes Gelände und kann zu den hässlichsten Szenen führen. »Du willst als Französin durchgehen, Mary Francis, das ist dein Problem, aber du bist einfach nur eine ganz gewöhnliche Amerikanerin.« Der Satz lockte mich ans Fenster, von wo aus ich das Ende einer Ehe beobachtete. Die arme Mary Francis mit ihrer beigefarbenen Baskenmütze. Im Hotel hatte sie vermutlich ganz passabel ausgesehen, aber jetzt klebte sie ihr wie ein alberner Filzpfannkuchen am Hinterkopf. Sogar ein Halstuch hatte sie um, und das mitten im Sommer. Es hätte noch schlimmer kommen können, dachte ich, sie hätte auch ein gestreiftes Seemannshemd anziehen können, aber auch so war ihr Aufzug schlimm genug, eher ein billiges Kostüm.

Manche Touristen schreien die halbe Straße zusammen und scheren sich nicht im Geringsten darum, aber Mary Francis flüsterte nur. Auf ihren Mann wirkte auch das wie bloßes Gehabe und machte ihn nur noch wütender. »Amerikaner«, wiederholte er. »Wir leben nicht in Frankreich, wir leben in Virginia. Vienna, Virginia, kapiert?«

Ich sah den Mann an und wusste sofort, dass wenn wir uns auf einer Party begegneten, er sagen würde, er käme aus Washington, D.C. Und wenn man ihn nach der Adresse fragte, würde er sich zur Seite drehen und irgendwas von »Na ja, draußen am Stadtrand« brummeln.

Wenn man sich in den eigenen vier Wänden streitet, kann die beleidigte Person sich immer noch in einen anderen Teil des Hauses zurückziehen oder im Garten auf Blechbüchsen schießen, aber unter meinem Fenster gibt es nur die Möglichkeit zu weinen, zu schmollen oder ins Hotel zurückzustürmen. »Herrgott noch mal«, höre ich. »Können wir uns nicht einfach einen schönen Tag machen?« Das ist so, als würde man aufgefordert, sein Gegenüber attraktiv zu finden, und es funktioniert nie. Ich hab’s versucht.

Auf Reisen geraten Hugh und ich uns meistens wegen des Schritttempos in die Haare. Ich gehe durchaus zügig, aber er hat längere Beine und hält meistens sieben Meter Vorsprung. Ein zufälliger Beobachter könnte glauben, Hugh laufe vor mir davon und flitze um die Ecken, um mich abzuschütteln. Fragt mich jemand, wie der letzte Urlaub war, gebe ich immer die gleiche Antwort. Ob in Bangkok, Ljubljana, Budapest oder Bonn: Was habe ich gesehen? Hughs Rücken, wie er im nächsten Moment in der Menschenmenge verschwindet. Ich bin sicher, bevor wir irgendwo hinfahren, ruft er im Fremdenverkehrsbüro an und fragt, welche Art Jacken in welcher Farbe die Einheimischen zurzeit tragen. Ist es beispielsweise eine blaue Windjacke, packt er die ein. Es ist geradezu unheimlich, wie er sich der Umgebung anpasst. Sind wir in einem asiatischen Land, könnte ich schwören, dass er sich kleiner macht. Ich weiß auch nicht, wie er das hinbekommt, aber es ist so. In London gibt es einen Laden, der neben Reiseführern auch Romane verkauft, die in dem jeweiligen Land spielen. Die Idee ist, dass man die Reiseführer der Information wegen und die Romane der Atmosphäre wegen liest – kein schlechter Gedanke, nur käme für mich einzig das Buch Wo steckt die kleine Maus? infrage. Meine ganze Energie ist darauf gerichtet, Hugh nicht aus den Augen zu verlieren, und deswegen verpasse ich alles andere.

 

Das letzte Mal ist es mir so in Australien ergangen, wo ich an einer Konferenz teilnahm. Hugh hatte alle Zeit der Welt, während mir gerade einmal vier freie Stunden am Samstagvormittag blieben. Sydney bietet jede Menge, aber ganz oben auf meiner Liste stand ein Besuch im Taronga Zoo, wo ich einen Dingo zu sehen hoffte. Ich hatte den Film mit Meryl Streep nie gesehen, und das Tier war mir ein einziges Rätsel. Hätte jemand gesagt: »Ich habe das Fenster aufgelassen, und ein Dingo flog ins Haus«, hätte ich das genauso geglaubt, wie wenn jemand gesagt hätte: »Dingos? Unser Teich ist voll davon.« Zwei Beine, vier Beine, Flossen oder Flügel: Ich hatte keinerlei Vorstellung, was tatsächlich sehr aufregend war – eine echte Seltenheit im Zeitalter von Fernsehkanälen, die rund um die Uhr Naturfilme zeigen. Hugh bot an, eine Zeichnung zu machen, aber nachdem ich schon so nahe dran war, wollte ich bis zuletzt ahnungslos bleiben und dann vor dem Käfig oder Becken stehen und das Ding mit eigenen Augen sehen. Es wäre ein erhebender Moment, den ich mir nicht noch in letzter Minute verderben wollte. Allerdings wollte ich auch nicht alleine gehen, und genau da fing unser Problem an.

Hugh war fast die ganze Woche über schwimmen gewesen und hatte von seiner Schwimmbrille dunkle Ringe unter den Augen. Sobald er irgendwo am Meer ist, verbringt er Stunden im Wasser und schwimmt an den Bojen der Strandwacht vorbei bis hinaus in internationale Gewässer. Es sieht so aus, als wolle er nach Hause schwimmen, was sehr peinlich für den ist, der am Strand mit den Gastgebern zurückbleibt. »Ihm gefällt es hier sehr«, sage ich. »Ganz bestimmt.«

Bei Regen wäre er vielleicht mitgekommen, aber so hatte Hugh kein Interesse an Dingos. Ich musste eine Stunde lang jammern, bis ich ihn herumgekriegt hatte, und selbst dann tat er es nur widerwillig. Das war offensichtlich. Wir fuhren mit der Fähre zum Zoo. Während der gesamten Überfahrt starrte er sehnsüchtig aufs Wasser und machte kleine Kraulbewegungen mit den Händen. Mit jeder Sekunde wurde er angespannter, und kaum waren wir da, musste ich buchstäblich hinter ihm her rennen, um ihn nicht zu verlieren. Die Koalabären nahm ich nur als Schemen wahr, genau wie die Besucher, die vor dem Gehege standen und sich fotografieren ließen. »Können wir nicht …«, keuchte ich, doch Hugh zog schon am Emu-Gehege vorbei und hörte mich nicht.

Er verfügt über den besten Orientierungssinn, den ich je bei einem Säugetier gesehen habe. Selbst in Venedig, wo die Straßen offenbar von Ameisen geplant wurden, trat er aus dem Bahnhof, sah kurz auf einen Stadtplan und führte uns schnurstracks zu unserem Hotel. Eine Stunde nachdem wir eingecheckt hatten, erklärte er Fremden den Weg, und als wir abfuhren, schlug er den Gondolieri Abkürzungen vor. Vielleicht roch er die Dingos. Vielleicht hatte er ihr Gehege vom Flugzeug aus gesehen, jedenfalls marschierte er geradewegs darauf los. Ich traf eine Minute nach ihm ein und musste mich erst einmal vorbeugen, um wieder zu Atem zu kommen. Danach hielt ich mir die Hände vors Gesicht, richtete mich auf und schob langsam die Finger auseinander. Zuerst sah ich einen Zaun, und dann, dahinter, einen flachen Wassergraben. Ich sah ein paar Bäume, einen Schwanz, und dann konnte ich es nicht länger aushalten und ließ die Hände fallen.

»Aber die sehen ja aus wie Hunde«, sagte ich. »Bist du sicher, dass wir hier richtig sind?«

Niemand antwortete, und als ich mich umdrehte, stand neben mir eine leicht verschüchterte Japanerin. »Entschuldigung«, sagte ich. »Ich dachte, Sie wären die Person, die ich um den halben Erdball mit hierhergenommen habe. Erster Klasse.«

 

Ein Zoo ist ein guter Ort, um aus der Rolle zu fallen, da die Leute um einen herum noch viel unheimlichere und fotogenere Dinge bestaunen können. Ein Gorilla, der genüsslich einen Kopf Eisbergsalat verspeist und sich dabei einen runterholt, ist um einiges unterhaltsamer als ein Mann in den mittleren Jahren, der wild hin und her rennt und mit sich selber redet. Das Selbstgespräch dreht sich immer um die gleiche Sache: die Probe für meine Abschiedsrede. »… denn diesmal, mein Freund, ist es vorbei. Und das meine ich ernst.« Ich stelle mir vor, wie ich meinen Koffer packe und alles achtlos hineinwerfe. »Solltest du mich vermissen, schaff dir einen Hund an, ein feistes, altes Tier, das dir nachrennen muss, dann hörst du auch weiterhin dieses Hecheln hinter dir, das dir so vertraut ist. Ich jedenfalls bin damit durch.«

Ich werde durch die Tür gehen, ohne mich noch einmal umzudrehen, werde seine Anrufe ignorieren und keinen seiner Briefe öffnen. Die Töpfe und Pfannen, das ganze Zeug, das wir zusammen angeschafft haben, soll er alles behalten, es bedeutet mir nichts. Meine Devise lautet: »Ein sauberer Neuanfang.« Was soll ich da mit einem Schuhkarton voller Fotos oder mit dem braunen Gürtel, den er mir zum dreiunddreißigsten Geburtstag geschenkt hat, als wir uns gerade kannten und er noch nicht wusste, dass man einen Gürtel von seiner Tante, aber nicht von seinem Lover bekommt, auch wenn er ihn selbst gemacht hat? Seitdem allerdings hatte er ein gutes Händchen für Geschenke: ein täuschend echt wirkender Aufziehhund mit einem Fell aus Schweinsleder, ein professionelles Mikroskop, das ich während meiner Spinnen-Phase bekam, und als Krönung von allem ein Gemälde aus dem siebzehnten Jahrhundert, das eine holländische Bäuerin beim Windelnwechseln zeigt. Diese Dinge würde ich behalten – warum auch nicht? Genau wie den Tisch, den er mir geschenkt hat, und die Kaminverkleidung und, allein aus Prinzip, den Zeichentisch, den er eindeutig für sich gekauft hatte und mir als Weihnachtsgeschenk andrehen wollte.

Inzwischen sah es so aus, als würde ich eher mit einem Lastwagen als zu Fuß meinen Abschied nehmen, aber egal, ich würde es tun. Ich sah mich mit dem Wagen davonfahren, bis mir einfiel, dass ich gar keinen Führerschein habe. Hugh müsste das übernehmen, aber er hatte es auch nicht besser verdient, nach allem, was er mir angetan hatte. Ein anderes Problem war die Frage, wohin der Lastwagen fahren sollte. Selbstverständlich zu einer Wohnung, nur wie sollte ich die besorgen? Ich kriege mit Mühe meinen Mund im Postamt auf, aber wie sollte ich mit einem Immobilienmakler reden? Dabei liegt es nicht einmal an der Sprache, da ich in New York genauso wenig an eine Wohnung kommen könnte wie in Paris. Wenn es um Summen über sechzig Dollar geht, bricht mir der Schweiß aus. Nicht nur auf der Stirn, sondern überall. Fünf Minuten in der Bank, und mein Hemd ist durchsichtig. Zehn Minuten, und ich klebe auf meinem Stuhl fest. Bei unserer letzten Wohnung verlor ich zwölf Pfund, obwohl ich nichts weiter tun musste als einmal zu unterschreiben. Alles andere erledigte Hugh.

Das Erfreuliche ist, dass ich Geld habe, auch wenn ich nicht so genau weiß, wie ich drankommen kann. Zwar treffen regelmäßig die Kontoauszüge ein, aber ich öffne keinen Brief, der nicht persönlich an mich adressiert ist oder nach einer Gratisprobe aussieht. Hugh schlägt sich damit herum. Er öffnet die unangenehme Post und liest sie auch noch. Er weiß, wann unsere Versicherungsbeiträge fällig sind, wann unsere Visa verlängert werden müssen und wann die Garantie für die Waschmaschine abläuft. »Ich denke, wir sollten die Garantie verlängern lassen«, schlägt er vor, obwohl er genau weiß, dass, sollte die Maschine den Geist aufgeben, er selbst die Reparatur übernehmen würde, so wie bei allen anderen Dingen auch. Ich würde es ganz bestimmt nicht. Wenn ich allein lebte und etwas ginge kaputt, würde ich mir anderweitig helfen: statt der Toilette einen Farbeimer benutzen oder mir eine Kühlbox zulegen und den defekten Kühlschrank zum Kleiderschrank umfunktionieren. Einen Handwerker anrufen? Niemals. Es selber reparieren? Den Tag möchte ich erleben.

Ich bin fast ein halbes Jahrhundert alt und fürchte mich immer noch vor allem und jedem. Im Flugzeug sitzt ein Kind neben mir und unterhält sich mit mir, und ich mache mir Sorgen, wie bescheuert ich klinge. Die Nachbarn von unten laden mich zu einer Party ein, doch ich gebe vor, eine andere Verabredung zu haben. Anschließend verbringe ich den ganzen Abend im Bett, aus Angst, sie könnten meine Schritte hören. Ich weiß nicht, wie man die Heizung anmacht, eine E-Mail schreibt, telefonisch den Anrufbeantworter abfragt oder auch nur etwas halbwegs Kreatives mit einem Hühnchen anstellt. Hugh kümmert sich um alle diese Dinge, und wenn er mal nicht da ist, ernähre ich mich wie ein wildes Tier von halb rohem Fleisch, an dem hier und da noch Fellreste oder Federn hängen. Ist es da ein Wunder, dass er vor mir davonläuft? Wie wütend ich auch immer bin, es läuft stets auf das Gleiche hinaus: Ich werde ihn verlassen, und was dann? Bei meinem Dad einziehen? Dreißig Minuten tobe ich vor Wut, und wenn ich ihn dann endlich entdecke, spüre ich, noch nie über den bloßen Anblick eines Menschen so glücklich gewesen zu sein.

»Da bist du ja«, sage ich. Und wenn er fragt, wo ich gewesen bin, antworte ich aufrichtig und sage, ich bin verlorengegangen.

Zweite Besetzung

Im Frühjahr 1967 verreisten mein Vater und meine Mutter für ein Wochenende und ließen meine Schwestern und mich in der Obhut einer Frau namens Mrs. Byrd, die alt und schwarz war und bei einem unserer Nachbarn im Haushalt arbeitete. Sie traf am Freitagnachmittag bei uns ein, und nachdem ich ihren Koffer ins Schlafzimmer meiner Eltern gebracht hatte, gab ich ihr eine kleine Führung durchs Haus, wie ich es mir in Hotels vorstellte. »Das ist unser Fernseher, das ist Ihre private Sonnenterrasse, und hier drüben ist Ihr Badezimmer, nur für Sie.«

Mrs. Byrd legte eine Hand auf ihre Wange. »Zwick mich bitte wer, ich glaube, ich werde gleich ohnmächtig.«

Sie tat erneut überrascht, als ich eine Kommodenschublade aufzog und ihr erklärte, für Mäntel und so weiter hätten wir ein eigenes kleines Zimmer, das Ankleidezimmer hieß. »Es gibt davon zwei drüben gegenüber der Wand, Sie können das rechte benutzen.«

Ich dachte, es müsse ihr wie ein Traum vorkommen: Ihr Telefon, Ihr festes Bett, Ihre Duschkabine mit Glasfront.

Einige Monate später verreisten meine Eltern ein zweites Mal. Diesmal passte Mrs. Robbins auf uns auf, die ebenfalls schwarz war und mir wie Mrs. Byrd erlaubte, mich als Wundertäter zu fühlen. Vor dem Schlafengehen stellte ich mir vor, wie sie vor dem Bett meiner Eltern auf dem Teppich kniete und mit ihrer Stirn die goldene Tagesdecke streifte. »Ich danke dir, Jesus, für diese wunderbaren weißen Menschen und dass sie mir dieses schöne Wochenende geschenkt haben.«

Kam ein Teenager aus der Nachbarschaft zum Babysitten, alberten wir mit ihr herum, sprangen ihr beim Verlassen des Bads auf den Rücken und solche Sachen, aber gegenüber Mrs. Robbins und Mrs. Byrd verhielten wir uns respektvoll und wohlerzogen, ganz anders als sonst. Das machte das freie Wochenende meiner Eltern auch für uns zu einem Kurzurlaub – wann sonst hatte man die Möglichkeit, jemand ganz anderes zu sein?

Anfang September desselben Jahres machten meine Eltern mit meiner Tante Joyce und meinem Onkel Dick eine Woche Urlaub auf den Virgin Islands. Weder Mrs. Byrd noch Mrs. Robbins hatten in der betreffenden Woche Zeit, sodass meine Mutter eine gewisse Mrs. Peacock engagierte. Wo genau sie sie aufgetrieben hatte, war etwas, das uns bis ans Ende unserer Kindheit beschäftigte.

»War Mom jemals im Frauenknast?«, fragte zum Beispiel meine Schwester Amy. »Ich würd’s lieber mit einem Männerknast versuchen«, sagte Gretchen dann, die nie ganz davon überzeugt war, dass es sich bei Mrs. Peacock um eine Person weiblichen Geschlechts handelte. Zumindest war die Anrede »Mrs.« eine Lüge, soviel war sicher.

»Sie sagt bloß, sie wäre verheiratet, damit die Leute ihr glauben!!!!« Das war eine der Feststellungen, die wir während der Woche in unser Notizbuch schrieben. Wir hatten ganze Seiten eilig hingekritzelter Sätze, mit zahllosen Ausrufezeichen und einzelnen unterstrichenen Wörtern. Es waren die Sorte Aufzeichnungen, die man beim Untergang eines Schiffs anfertigt und die den Hinterbliebenen einen kalten Schauer über den Rücken jagen. »Hätten wir das vorher gewusst«, jammern sie. »Oh, mein Gott, hätten wir das nur gewusst.«

Doch was gab es in dem Fall überhaupt zu wissen? Wenn eine Fünfzehnjährige ihre Babysitterdienste anbietet, erkundigt man sich natürlich bei ihren Eltern und fragt herum. Aber von einer erwachsenen Frau verlangte man keine Referenzen, schon gar nicht, wenn die Frau weiß war.

Unsere Mutter konnte sich später nicht mehr erinnern, wo sie Mrs. Peacock aufgetan hatte. »Eine Anzeige in der Zeitung«, sagte sie oder: »Ich weiß nicht mehr, vielleicht hatte jemand im Club sie mir empfohlen.«

Doch wer im Club hätte sich so eine Person ins Haus geholt? Um Mitglied zu werden, musste man bestimmte Voraussetzungen erfüllen, und eine davon war, keinen Kontakt mit Leuten wie Mrs. Peacock zu pflegen. Man ging nicht an Orte, an denen sie aß oder betete, und man vertraute ihr schon gar nicht das eigene Haus an.

 

Ich roch den Ärger in dem Moment, als ihr Wagen vor dem Haus hielt, eine rostige Schrottlaube. Der Typ, der hinterm Steuer saß, hatte kein Hemd an und sah aus, als dürfe er sich bald zum ersten Mal rasieren. Er blieb sitzen, während die Person auf dem Beifahrersitz die Tür öffnete und ausstieg. Es war Mrs. Peacock, und das Erste, was mir an ihr auffiel, waren ihre Haare, die die Farbe von Margarine hatten und ihr in Wellen bis halb über den Rücken fielen. Sie hätten gut zu einer Meerjungfrau gepasst, aber nicht zu einer Sechzigjährigen, die nicht nur kräftig, sondern fett war und sich bewegte, als könne jeder Schritt der letzte sein.

»Mom!«, rief ich, und als meine Mutter aus dem Haus kam, setzte der Typ ohne Hemd rückwärts aus der Einfahrt und raste davon.

»War das Ihr Mann?«, fragte meine Mutter, worauf Mrs. Peacock auf die Stelle starrte, an der gerade noch der Wagen gestanden hatte.

»Ach was«, sagte sie. »Das war bloß Keith.«

Nicht »mein Neffe Keith« oder »Keith, der bei der Tankstelle arbeitet und in fünf Bundesstaaten gesucht wird«, einfach »bloß Keith«, als hätten wir ein Buch über ihr Leben gelesen und müssten alle darin vorkommenden Personen kennen.

Sie machte das oft im Laufe der Woche, und ich begann sie dafür zu hassen. Jemand rief bei uns an, und wenn sie aufgelegt hatte, sagte sie: »Das wär’s dann mit Eugene« oder: »Ich habe Vicky gesagt, mich nicht mehr hier anzurufen.«

»Wer ist Eugene?«, fragten wir. »Was hat Vicky Schlimmes getan?« Worauf sie nur sagte, wir sollten uns um unsere eigenen Angelegenheiten kümmern.

Sie tat so, als wäre sie nicht unbedingt besser als wir, aber zumindest genauso gut, was einfach nicht stimmte. Allein ihr Koffer, der mit einem Seil zugebunden war! Oder ihre undeutliche Art zu reden – nie auch nur ein verständlicher Satz. Ein höflicher Mensch hätte sich beeindruckt gezeigt, wenn man ihn durchs Haus führte, aber Mrs. Peacock sagte abgesehen von ein paar Fragen zum Herd sehr wenig und zuckte auch bloß mit den Schultern, als ich ihr das Kingsize-Bett meiner Eltern zeigte, ein Wort, das einem ein Gefühl von Macht und Freude darüber vermitteln sollte, am Leben zu sein. Ich hab schon Besseres gesehen, schien ihr Blick zu sagen. Das glaubte ich ihr keine Sekunde.

Als meine Eltern die ersten beiden Male verreisten, begleiteten meine Schwestern und ich sie zur Tür und beteuerten, wie sehr wir sie vermissen würden. Das war natürlich nur vorgespielt, um uns den Anschein von Feinfühligkeit und Wohlerzogenheit zu geben. Diesmal aber meinten wir es ernst. »Ach, jetzt stellt euch mal nicht so an«, sagte meine Mutter. »Es ist doch bloß für eine Woche.« Dann warf sie Mrs. Peacock einen Blick zu, der bedeuten sollte: »Tja. Kinder. Was soll man tun?«

Es gab dazu einen entsprechenden Blick, der übersetzt lautete: »Wenn ich das wüsste«, doch musste Mrs. Peacock ihn nicht kennen, weil sie genau wusste, was sie vorhatte: uns zu versklaven. Es gab kein anderes Wort dafür. Eine Stunde, nachdem meine Eltern fort waren, lag sie bäuchlings und nur mit einem Unterrock bekleidet auf dem Bett. Der Rock hatte wie ihre Haut die Farbe von Vaseline, eigentlich eine Nicht-Farbe, die mit gelben Haaren noch schlimmer aussah. Dazu kamen noch ihre stämmigen nackten Beine, mit tiefen Kratern in den Kniebeugen und überall von bedrohlich violetten Adern überzogen.

Meine Schwestern und ich versuchten es mit Diplomatie. »Gibt es nicht irgendwelche Arbeiten zu erledigen?«

»Du da, die mit der Brille.« Mrs. Peacock zeigte auf meine Schwester Gretchen. »Eure Mama hat was von Limo in der Küche gesagt. Geh und hol mir eine.«

»Sie meinen eine Cola?«, fragte Gretchen.

»Von mir aus«, sagte Mrs. Peacock. »Und nimm einen Becher mit Eis.«

Während Gretchen die Cola holte, wurde ich angewiesen, die Vorhänge zuzuziehen. Der Gedanke erschien mir aberwitzig, und ich versuchte alles, es ihr auszureden. »Die Privatterrasse ist der größte Vorteil Ihres Zimmers«, sagte ich. »Wollen Sie wirklich den Ausblick darauf versperren, solange die Sonne noch scheint?«

Sie wollte. Dann wollte sie ihren Koffer. Meine Schwester Amy legte ihn aufs Bett, und wir sahen zu, wie Mrs. Peacock das Seil aufknotete, hineingriff und eine Plastikhand hervorzog, die auf einem dreißig Zentimeter langen Stock steckte. Die Hand war nicht größer als eine Affenpfote, mit leicht nach innen gekrümmten Fingern, als seien sie beim Betteln erstarrt. Es war eine widerliche Klaue, die Nägel mit einer glänzenden Fettschicht überzogen, und im Laufe der Woche bekamen wir sie oft genug zu sehen. Noch heute zucken meine Schwestern und ich zurück, wenn einer unserer Freunde uns bittet, ihm den Rücken zu kratzen. »Reib dich an einer Mauer«, sagen wir. »Miet dir eine Krankenschwester, aber lass mich in Frieden. Ich habe mein Quantum hinter mir.«

Niemand redete Ende der Sechziger von einem Handwurzeltunnelsyndrom, aber das heißt nicht, dass es das damals noch nicht gab. Wieder und wieder fuhren wir mit der Pfote Mrs. Peacocks Rücken entlang, wobei die Finger weiße Linien und manchmal sogar Striemen hinterließen. »Nicht so feste«, sagte sie, die Träger ihres Unterrocks bis über die Unterarme herabgezogen, die eine Gesichtshälfte platt auf die goldene Tagesdecke gepresst. »Bin ja schließlich nicht aus Stein, oder?«

Soviel war klar. Ein Stein schwitzte nicht. Ein Stein bekam keinen Ausschlag und bei einem Stein sprossen ganz bestimmt auch keine schwarzen Härchen zwischen den Schulterblättern. Als wir Mrs. Peacock auf die Härchen hinwiesen, sagte sie: »Ihr habt die verdammten Dinger auch, bloß sind die bei euch noch nicht raus.«

Wir schrieben den Satz wörtlich auf und lasen ihn bei unseren täglichen Krisentreffen vor, die meine Schwestern und ich im Wald hinter dem Haus abhielten. »Ihr habt die verdammten Dinger auch, bloß sind die bei euch noch nicht raus.« Es klang furchterregend, wenn man ihre Stimme nachmachte, und noch schlimmer, wenn man es ganz normal sagte, ohne ihr Genuschel und den Hinterwäldlerakzent.

»Kann kein Englisch«, schrieb ich in unsere Kummerkladde. »Kann keine zwei Sätze sagen, ohne das Wort verdammt zu benutzen. Kann e9783641135713_i0002.jpg noch mal nicht kochen.«

Der letzte Satz stimmte zwar nicht ganz, aber es hätte ihr bestimmt nicht wehgetan, ihr Repertoire ein wenig zu erweitern. Tag für Tag gab es Hamburger, die über unsere Köpfe gehalten wurden, als wären es Steaks. Jeder musste sich sein Essen verdienen, was bedeutete, dass man ihr Getränke holte, ihre Haare bürstete oder ihr mit der Affenpfote den Rücken beharkte, bis sie wohlig aufstöhnte. Die Essenszeit kam und ging. Mrs. Peacock, den Bauch voll Chips und Cola, rührte sich nicht, bis einer von uns wagte, sie darauf anzusprechen. »Warum sagt ihr denn nichts, wenn ihr Hunger habt? Kann ich etwa Gedanken lesen? Ich bin nicht euer verdammter Yogi oder sonst wer.«

Dann polterte sie in der Küche herum, knallte mit schwabbelnden Oberarmen die Pfanne auf den Herd, warf Hackfleisch hinein und spritzte Ketchup hinzu.

Meine Schwestern und ich saßen am Tisch, aber Mrs. Peacock aß im Stehen, wie eine Kuh, dachten wir, wie eine Kuh mit einem Telefon: »Sag Curtis, wenn er Tanya nicht zu R.C.s Verhandlung bringt, kriegt er es mit mir und Gene Junior zu tun, darauf kann er Gift nehmen.«

Die Anrufe erinnerten sie daran, dass sie weitab vom Schuss war. Die Ereignisse spitzten sich zu: das Drama mit Ray, die Geschichte zwischen Kim und Lucille, und sie hockte irgendwo im hinterletzten Winkel. Jedenfalls war genau das für sie unser Haus: das Ende der Welt. Einige Jahre später hätte ich ihr sofort zugestimmt, doch damals war ich elf, man konnte noch den frischen Duft der Kiefernbalken hinter den Rigipsplatten riechen, und ich dachte, es wäre der schönste Ort auf der ganzen Welt.

»Ich würde zu gerne mal deren Haus sehen«, sagte ich zu meiner Schwester Lisa.

Und dann, zur Strafe, bekamen wir es zu sehen.

 

Es passierte am fünften Tag und war Amys Fehler – zumindest laut Mrs. Peacock. Jede halbwegs vernünftige Erwachsene mit Kindern hätte sich selbst die Schuld gegeben. Nun ja, hätte sie gedacht, früher oder später musste es so kommen. Eine Siebenjährige, die Arme weich wie Gummi vom stundenlangen Rückenkratzen, bringt die Affenpfote ins Elternschlafzimmer, wo sie ihr aus der Hand gleitet und zu Boden fällt. Alle fünf Finger brechen ab, und übrig bleibt eine gezackte kleine Faust am Ende eines Stocks.

»Jetzt hast du’s geschafft«, sagte Mrs. Peacock und schickte uns alle ohne Abendessen ins Bett. Am nächsten Morgen fuhr Keith vor, noch immer ohne Hemd. Er hupte in der Einfahrt, und sie rief ihm durch die geschlossene Tür zu, er solle verdammt noch mal Ruhe geben.

»Ich glaube nicht, dass er Sie hören kann«, sagte Gretchen, worauf Mrs. Peacock sagte, sie hätte ihre Sprüche satt. Sie hatte überhaupt alle Sprüche satt, sodass wir stumm in den Wagen stiegen und Keith zuhörten, der eine ziemlich wirre Geschichte über sich und einen Typen namens Sherwood erzählte, während er uns aus dem vertrauten Teil von Raleigh in eine Gegend mit bellenden Hunden und Auffahrten aus Schotter brachte. Die Häuser sahen aus wie von Kinderhand gezeichnet: eine Reihe windschiefer Kästen mit Dreiecken darauf. Noch eine Tür und zwei Fenster dazu, fertig. Noch einen Baum in den Vorgarten? Ach nee, die Äste machen so viel Arbeit.

Mrs. Peacocks Haus wurde von zwei Parteien bewohnt, sie hinten und jemand, der Leslie hieß, vorne. Leslie war ein Mann, der im Arbeitsanzug neben dem Briefkasten stand und zum Spaß mit einem Dobermann-Pinscher kämpfte, als wir vorfuhren. Ich dachte, sein Gesicht würde sich beim Anblick von Mrs. Peacock verfinstern, aber tatsächlich lächelte er und winkte, und sie winkte zurück. Eingekeilt auf der Rückbank hockten fünf Kinder, die es kaum erwarten konnten, jemandem zu erzählen, dass man sie entführt habe, aber Leslie schien genauso wenig Notiz von uns zu nehmen wie zuvor Keith.

Als der Wagen hielt, drehte Mrs. Peacock sich nach hinten und verkündete, es gäbe eine Menge zu tun.

»Nur zu«, sagten wir, »wir warten hier.«

»Das würde euch so passen«, sagte sie.

Wir fingen damit an, vor dem Haus die Haufen des Dobermanns einzusammeln, der auf den Namen Rascal hörte. Der Vorgarten war damit vermint, aber der Garten auf der Rückseite, um den Mrs. Peacock sich kümmerte, war überraschend sauber, beinahe gepflegt. Es gab ein schmales Rasenstück, an das ein Beet mit niedrigen Blumen grenzte, ich glaube, es waren Stiefmütterchen. Auf der Veranda vor der Tür standen noch mehr Blumen, die meisten in Plastiktöpfen, und dazwischen kleine Keramikfiguren: ein Eichhörnchen mit abgebrochenem Schwanz, eine grinsende Kröte.

Ich hatte Mrs. Peacock für eine Person gehalten, für die das Wort »süß« nicht existierte, und staunte deshalb nicht schlecht, als wir die hintere Haushälfte betraten und feststellten, dass sie vollgestopft mit Puppen war. Mindestens einhundert Stück, alle in einem einzigen Raum. Einige saßen auf dem Fernseher, andere waren aufrecht auf dem elektrischen Ventilator festgeklebt und unzählige weitere bevölkerten Regale, die vom Boden bis zur Decke reichten. Seltsamerweise waren die Puppen nicht nach Größe oder Qualität geordnet. Ein Puppenmodell im schicken Kleid wurde fast erdrückt von einer billigen weinenden Babypuppe, und daneben saß ein kleines Mädchen, das offenbar zu nahe an die Herdplatte gekommen war und dabei seine Haare versengt und sein Gesicht verschrumpelt hatte.

»Regel Nummer eins, niemand fasst was an«, sagte Mrs. Peacock. »Auch nicht mal eben so.«

Sie ging offenbar davon aus, ihre Wohnung sei etwas ganz Besonderes, eine Art Kinderparadies, ein Zauberland, dabei wirkte es auf mich einfach nur vollgestopft.

»Und düster«, fügten meine Schwestern später hinzu. »Und heiß und stickig.«

An der Wand über der Kommode hatte Mrs. Peacock einen Pappbecher-Spender. Ihre Hausschuhe standen neben der Tür zum Badezimmer, und in beiden steckte jeweils ein kleiner Troll mit wehenden Haaren, wie von einem heftigen Wind. »Hübsch, nicht?«, sagte sie: »Als würden die beiden Boot fahren.«

»Stimmt«, sagten wir. »Echt toll.«

Dann zeigte sie auf eine Puppenküche in einem der unteren Regale. »Der Kühlschrank war kaputt, da habe ich aus einer Streichholzschachtel einen neuen gemacht. Geht nur näher ran, dann könnt ihr besser sehen.«

»Den haben Sie selbst gemacht?«, fragten wir, obwohl es an der Reibfläche deutlich zu erkennen war.

Mrs. Peacock gab sich wirklich Mühe, eine gute Gastgeberin zu sein, aber ich wünschte, sie hätte es bleiben lassen. Meine Meinung von ihr stand fest und war sogar schriftlich dokumentiert. Eine Berücksichtigung ihrer kleinen Freundlichkeiten würde das Bild nur verwässern. Wie jedem Fünftklässler waren mir Schurken lieber, die durch und durch böse waren und es auch blieben, also wie Dracula und nicht wie Frankensteins Monster, das alles ruinierte, indem es dem Bauernmädchen eine Blume gab. Zwar machte es die Sache halbwegs wieder gut und ertränkte das Mädchen einige Minuten später, aber es blieb trotzdem etwas davon hängen. Meine Schwestern und ich wollten Mrs. Peacock nicht verstehen. Wir wollten sie einfach nur hassen und waren deshalb erleichtert, als sie in ihren Wandschrank griff und einen zweiten Rückenkratzer hervorzog, offenbar den guten. Er war nicht größer als der andere, aber die Hand war schlanker und filigraner, eher die einer Dame als eines Affen. Von dem Moment an, da sie ihn in der Hand hatte, war es vorbei mit der Rolle der freundlichen Gastgeberin. Sie zog das Männerhemd aus, das sie über ihrem Unterrock getragen hatte, und streckte sich lang auf dem Bett aus, umgeben von ihren Babypuppen, die sie als ihre »Puppenbabys« bezeichnete. Gretchen bekam die erste Schicht zugeteilt, und der Rest von uns musste draußen bei sengender Sonne Unkraut zupfen.

»Gott sei Dank«, sagte ich zu Lisa. »Ich hatte schon Angst, wir könnten Mitleid mit ihr bekommen.«

 

Als Kinder vermuteten wir, dass Mrs. Peacock verrückt war, unsere Standardbezeichnung für alle, die unempfänglich für unseren Charme waren. Erst als Erwachsene lernten wir genauer hinzuschauen und begannen uns zu fragen, ob sie vielleicht manisch depressiv war. Die jähen Stimmungsschwankungen, der viele Schlaf, eine drückende Trübsal, die es ihr unmöglich machte, sich anzuziehen oder zu waschen – deshalb der Unterrock, deshalb die ungepflegten Haare, die mit jedem Tag fettiger wurden und einen bleibenden Flecken auf der goldenen Tagesdecke meiner Eltern hinterließen.

»Ich frage mich, ob sie mal in der Psychiatrie war«, sagt Lisa heute. »Vielleicht wurde sie mit Elektroschocks behandelt, das machte man damals so, das arme Ding.«

Wir wünschten, wir wären als Kinder so mitfühlend gewesen, aber damals stand unsere Liste, und es war undenkbar, sie wegen einer läppischen Streichholzschachtel umzuwerfen. Als unsere Eltern aus dem Urlaub zurückkamen, stürzten wir auf den Wagen zu und redeten alle gleichzeitig auf sie ein. »Sie hat uns zu sich nach Hause verschleppt und uns Hundehaufen einsammeln lassen.« »Einmal mussten wir ohne Abendessen ins Bett.« »Sie hat gesagt, euer Schlafzimmer sei hässlich und ihr wärt blöd, weil ihr eine Klimaanlage habt.«

»Herr im Himmel«, sagte meine Mutter, »beruhigt euch erst einmal.«

»Wir mussten ihr den Rücken kratzen, bis uns fast die Arme abfielen«, »Es gab immer nur Hamburger, und als wir keine Brötchen mehr hatten, hat sie gesagt, wir sollen Cracker nehmen.«

Wir waren mit unsere Litanei noch nicht am Ende, als Mrs. Peacock sich aus der Frühstücksecke erhob und hinaus zum Carport kam. Sie war ausnahmsweise angekleidet und hatte sogar Schuhe an, aber es war zu spät, so zu tun, als sei nichts gewesen. In der Gegenwart meiner Mutter, die gebräunt und erholt aussah, wirkte sie umso kränklicher, beinahe unheimlich, den Mund zu einem schiefen Lächeln verzogen.

»Sie hat die ganze Zeit nur im Bett gelegen und erst gestern Abend angefangen, die Wäsche zu waschen.«

Ich glaube, ich erwartete einen gewalttätigen Showdown. Wie sonst sollte ich meine Enttäuschung erklären, als meine Mutter, anstatt Mrs. Peacock ins Gesicht zu schlagen, sie nur ansah und sagte: »Ach was, davon glaube ich kein Wort.« Das sagte sie immer, wenn sie uns jedes Wort glaubte, aber zu müde war, sich damit herumzuschlagen.

»Aber sie hat uns entführt

»Na, ein Glück für sie.« Unsere Mutter begleitete Mrs. Peacock ins Haus und ließ meine Schwestern und mich unter dem Carport stehen. »Sind sie nicht furchtbar?«, sagte sie. »Ehrlich, ich weiß nicht, wie Sie das die ganze Woche ausgehalten haben.«

»Du weißt nicht, wie sie es mit uns ausgehalten hat?« – Rums! Die Tür knallte direkt vor unserer Nase zu, und meine Mutter bat ihren Gast in die Frühstücksecke und bot ihr etwas zu trinken an. Durch den Rahmen des Fensters sahen sie aus wie Schauspielerinnen auf einer Bühne, zwei Charaktere, die gegensätzlich zu sein scheinen und dann entdecken, dass sie vieles gemeinsam haben: eine ähnlich schwere Kindheit, eine Schwäche für kalifornischen Rotwein in Zwei-Liter-Flaschen und eine Abneigung für das ungehobelte Nachmittagspublikum, das auf der anderen Seite des geöffneten Vorhangs buht und pfeift.