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Titel

SCM Hänssler ist ein Imprint der SCM Verlagsgruppe, die zur Stiftung Christliche Medien gehört, einer gemeinnützigen Stiftung, die sich für die Förderung und Verbreitung christlicher Bücher, Zeitschriften, Filme und Musik einsetzt.

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ISBN 978-3-7751-7238-7 (E-Book)
ISBN 978-3-7751-5537-3 (lieferbare Buchausgabe)

Datenkonvertierung E-Book:
Satz & Medien Wieser, Stolberg

© der deutschen Ausgabe 2014
SCM Verlagsgruppe GmbH · 71088 Holzgerlingen
Internet: www.scm-haenssler.de · E-Mail: info@scm-haenssler.de

Umschlag: Porträtfoto Friedrich-Wilhelm von Hase, © SCM Hänssler / Sophia Wald
Umschlaggestaltung: Kathrin Spiegelberg und Amos Herter
Satz: Satz & Medien Wieser, Stolberg









Meinen Eltern in Erinnerung
an das Erlebte und Durchlittene









»Das Furchtbarste ist zu wissen,
daß es nicht gelingen kann
und daß man es dennoch für unser Land
und unsere Kinder tun muß.«


Berthold Schenk Graf von Stauffenberg,
kurz vor dem 20. Juli 1944



»Ich habe keine Furcht, ich bin innerlich mit mir fertig,
ich werde aufrecht und stolz allem entgegensehen,
Gott bitten, daß er mir seine Kraft nicht entzieht,
und mein letzter Gedanke wirst Du
und meine Kinder sein.«


Heinrich Graf von Lehndorff,
Abschiedsbrief

Inhalt

Geleitwort

Vorwort des Herausgebers

1. Berichte von Zeitzeugen

1.1 Die Rache des Regimes an der Familie von Hase

Er sollte Goebbels verhaften – Generalleutnant Paul von Hase

Margarethe von Hase – die Ehefrau

Baronin Ina von Medem – die ältere Tochter

Maria-Gisela Boehringer – die jüngere Tochter

Alexander von Hase – der ältere Sohn

Friedrich-Wilhelm von Hase – der jüngere Sohn

Karl-Günther von Hase – der Neffe

1.2 »Der Absturz kam schnell und brutal« – Berthold Schenk Graf von Stauffenberg

1.3 Aus dem Tagebuch einer Zwölfjährigen – Christa von Hofacker

1.4 »Ich war mit 15 Jahren der Älteste« – Wilhelm Graf von Schwerin von Schwanenfeld

1.5 »Dort war richtig was los« – Erinnerungen eines Elfjährigen – Albrecht von Hagen

1.6 Nur noch Erinnerungsbruchstücke – Nicolai Freiherr Freytag von Loringhoven

1.7 Ein schwerer Abschied – Gottliebe Gräfin von Lehndorff

1.8 »Noch heute Narben« – Rainer Johannes Christian Goerdeler

1.9 »Getrennt von meinen Kindern, gerettet durch die Wehrmacht« – Fey von Hassell

2. Beiträge der Forschung

2.1 Der Staatsstreich vom 20. Juli 1944 – Joachim Scholtyseck

2.2 Generalleutnant Paul von Hase (1885 – 1944) – Roland Kopp

2.3 Christlicher Glaube und militärischer Widerstand gegen Hitler – Hans-Joachim Ramm

2.4 Gebunden an den Fahneneid? – Roland Hartung

2.5 Vor dem Volksgerichtshof – Arnim Ramm

2.6 Die Sippenhaft als Repressionsmaßnahme – Johannes Salzig

2.7 Legitimation des Widerstandes im Nachkriegsdeutschland – Rüdiger von Voss

3. Ein Blick von außen: Zivilcourage – Asfa-Wossen Asserate

4. Anhang

4.1 Liste der Bad-Sachsa-Kinder

4.2 Antwort Heinrich Himmlers auf das Gnadengesuch Helene von Hintzes

4.3 Textnachweis

4.4 Bildnachweis

4.5 Autorenbiografien

Bildteil

Anmerkungen

Geleitwort

Der gescheiterte Staatsstreich vom 20. Juli 1944 jährt sich 2014 zum siebzigsten Mal. Ein besonderer Anlass, der mutigen Tat des jungen Stauffenberg, seiner Kameraden und Freunde sowie der zahllosen Opfer von Hitlers Racheorgie zu gedenken, die auf das gescheiterte Attentat folgte.

Der Gang der Ereignisse ist dank jahrelanger Forschung hinreichend bekannt und wurde immer wieder in bedeutenden Monografien und Einzeluntersuchungen dargestellt. Weniger bekannt ist dagegen das individuelle Schicksal vieler Familien, deren Väter und Angehörige am notwendigen Räderwerk der militärischen und zivilen Vorbereitung einer Unternehmung von diesem Umfang beteiligt waren. Auf dieses menschlich anrührende Thema möchte das vorliegende Buch mit seinem bewusst gewählten Titel »Hitlers Rache« die allgemeine Aufmerksamkeit lenken.

Der Ausgangspunkt der vorliegenden Publikationen war das bisher kaum bekannte Schicksal der Familie des Berliner Wehrmachtkommandanten Generalleutnant Paul von Hase. Er spielte bei der Durchführung des Staatsstreiches in der Reichshauptstadt eine zentrale Rolle, verfügte er doch über die notwendigen Truppen zur Umsetzung der Walküreplanung. Entsprechend brutal war nach dem Scheitern des Staatsstreiches die Reaktion des Regimes, als Hases Rolle bekannt wurde. Nicht nur gegen ihn, sondern auch gegen seine engere und weitere Familie richtete sich die Rachsucht der Machthaber.

Um das entworfene Bild zu vervollständigen, wurden außerdem bewegende Zeugnisse aus dem familiären Umfeld weiterer Verschwörer des 20. Juli 1944 herangezogen. Aus den umfangreichen Zeitzeugenberichten wurden vor allem solche von Kindern derjenigen Widerstandskämpfer ausgewählt, die als Sippenhäftlinge nach Bad Sachsa verschleppt und dort festgehalten wurden. Es wird geschildert, welche Folgen diese Sippenhaft für die Kinder und Angehörigen haben sollte. Mit diesen zum Teil bisher unveröffentlichten Zeugnissen der Betroffenen wird der beispiellose Rachefeldzug des NS-Regimes gegen die Familien der Verschwörer nunmehr einer breiten Öffentlichkeit zugänglich.

Im zweiten Teil des Buches erläutern Experten geschichtliche Hintergründe, die durch eine Darstellung der politischen und gesellschaftlichen Rezeption des Widerstandes im Nachkriegsdeutschland ihre Abrundung finden.

Der Herausgeber und zahlreiche der in diesem Buch vertretenen Autoren gehören der 1973 gegründeten Forschungsgemeinschaft 20. Juli 1944 e. V. an. Diese widmet sich der wissenschaftlichen Erforschung der Geschichte des Widerstandes gegen den Nationalsozialismus. Das Ziel ihrer Arbeit, in enger Verbundenheit mit der Stiftung 20. Juli 1944, ist es, die Bedeutung des Widerstandes gegen das NS-Regime in der Öffentlichkeit wachzuhalten und zur Rezeption der Geschichte des Widerstandes anzuregen.

Als derzeitiger Vorsitzender der Forschungsgemeinschaft 20. Juli 1944 e. V. ist mir das Erscheinen dieses Buches deshalb eine besondere Freude. Und ich wünsche mir, dass es seinen Beitrag zur Wahrnehmung des Widerstandes als leuchtendes Fanal für die Existenz eines »anderen Deutschlands« in dunkelster Zeit leistet.

Friedrich von Jagow
Vorsitzender Forschungsgemeinschaft 20. Juli 1944 e. V.

Vorwort des Herausgebers

Der verzweifelte Versuch, am 20. Juli 1944 durch einen militärischen Staatsstreich die Herrschaft Hitlers und seiner sinistren Gefolgschaft doch noch zu stürzen, schlug fehl. Doch die Rache des Regimes sollte von fürchterlicher Unbarmherzigkeit und Konsequenz sein, wie dies vom Diktator und seinem treuen Vasall, Heinrich Himmler, drohend verkündet und in die Tat umgesetzt wurde. Mehr als 110 Todesurteile wurden in den folgenden Wochen verhängt, in bestialischer Weise vollstreckt und teilweise gefilmt, damit sich der »Führer« an der Vernichtung seiner Feinde im Kreise seiner Getreuen ergötzen konnte.

Zur Rechenschaft gezogen wurden auch vollständig Unbeteiligte, nur weil sie Namensträger waren, das heißt zur »Sippe« eines der »Verräter« an »Führer und Volk« gehörten. Von dieser »Sippenhaft« waren nicht nur Erwachsene betroffen, sondern auch Jugendliche und sogar Kleinkinder, die die Gestapo den Eltern entführte und unter falschem Namen zu einem unbekannten Ort verschleppte.

Auf diese perfide Weise wollten Heinrich Himmler und die Fahnder des Reichssicherheitshauptamtes noch einmal den psychologischen Druck auf die noch lebenden Anverwandten der Mitverschwörer erhöhen sowie natürlich die »Verräter« bestrafen. Im Übrigen wollte man aber auch ein deutliches Zeichen setzen, um den Widerstandswillen möglicher Regimegegner bereits im Keim zu ersticken.

Die Vorbereitungen des Staatsstreichs und sein Verlauf sind dank intensiver Forschungen inzwischen im Detail bekannt. Weniger bekannt sind in vielen Fällen die Schicksale der Verschwörerfamilien, sieht man von Stauffenbergs einmal ab. Auf deren Sippe konzentrierte sich bekanntlich die Wut des Regimes in besonderer Weise, obwohl der Attentäter ja bereits am Abend des 20. Juli zusammen mit General Friedrich Olbricht und anderen standrechtlich erschossen worden war.

Durch die Veröffentlichung von Zeitzeugenberichten und einigen Biografien wurde im Laufe der Jahre das anrührende Schicksal weiterer Angehöriger aus dem Kreis der mit dem 20. Juli verbundenen Familien beleuchtet. Und eben hier möchten wir mit unserem Buche ansetzen, um eine noch bestehende Lücke zu schließen.

Den Ausgangspunkt bildet das tragische Soldatenschicksal des Wehrmachtkommandanten von Berlin, Generalleutnant Paul von Hase. Paul von Hase war vermutlich an den militärischen Planungen nicht im Einzelnen beteiligt, zählt jedoch zu den Schlüsselfiguren des Aufstandes in der Reichshauptstadt; verfügte er doch über die Befehlsgewalt über Truppen, die bei der Umsetzung des Walküreplans notwendig waren – z. B. bei der Verhaftung der Größen des Regimes durch Stoßtrupps. An Hases furchtbarem Ende sowie dem – der Allgemeinheit weniger bekannten – Schicksal seiner Familie wird dargestellt, wie sich das Regime mit seinen bekannten Methoden an den »Hauptschuldigen« zu rächen wusste. Es wird deutlich, welche Risiken und Konsequenzen ein »Ja« zur aktiven Teilnahme am Widerstand eben auch für die Angehörigen nach sich gezogen hat.

Durch bisher unveröffentlichte Aufzeichnungen der Familie des Wehrmachtkommandanten wird der 20. Juli 1944 mit seinen Folgen in seiner menschlichen Dimension ganz neu lebendig. Dazu tragen neben dem erschütternden Brief der ältesten Tochter Ina vom 8. August 1944 die Berichte bei, die seine Frau und zwei der drei erwachsenen Kinder – Maria und Alexander – hinterlassen haben. In der Berliner Wehrmachtkommandantur, Unter den Linden 1, wohnten sie an einem der zentralen Orte des Geschehens. So erlebten sie die Stunden des Staatsstreichversuchs aus unmittelbarer Nähe, wurden aber erst am 1. August durch die Gestapo verhaftet, um dann wochenlang als Untersuchungs- und Sippenhäftlinge in den Gefängnissen in Berlin-Moabit und in der Lehrter Straße festgehalten und verhört zu werden – zusammen mit weiteren Angehörigen der Verschwörer.

Der Herausgeber dieses Buches, das heißt der jüngste Sohn Paul von Hases, war damals gerade sieben Jahre alt. Er wurde von der Gestapo mit weiteren Kindern der am Staatsstreich beteiligten Männer nach Bad Sachsa verschleppt und in einem eigens dafür beschlagnahmten NSV-Kinderheim unter anderem Namen festgehalten.

Aber auch noch entferntere Namensträger der Familie bekamen nach dem 20. Juli 1944 die Rachemaßnahmen des Regimes zu spüren, wovon der Bericht des Neffen Paul von Hases, Karl-Günther von Hase, berichtet.

Soweit das verwandtschaftliche Umfeld der Hases von Interesse ist, muss vor allem auf die lebendigen Beziehungen hingewiesen werden, die zu Bonhoeffers und Schleichers bestanden, die ebenfalls in Berlin wohnten. Dietrich Bonhoeffers Mutter Paula war ja eine Cousine Paul von Hases. Rüdiger Schleicher wiederum hatte am 15. Mai 1923 Dietrich Bonhoeffers Schwester Ursula geheiratet. Dass eine christlich-protestantisch geprägte Grundlage das Weltbild und das Handeln dieser Familien bestimmten, ist bekannt. Für ihre nicht nur politisch, sondern auch sittlich religiös begründete Regimegegnerschaft mussten diese Familien einen hohen Preis entrichten, bei Bonhoeffers und Schleichers sogar noch in den letzten Tagen des Krieges.

Insgesamt wurden im Zuge der sogenannten »Sippenhaft« in einer konzertierten Gestapoaktion aus dem ganzen Reichsgebiet 46 Kinder der Verschwörerfamilien im Alter von nur wenigen Monaten bis zu 15 Jahren nach Bad Sachsa verschleppt. Dort wurden die Kleinen über Monate, zum Teil sogar bis zum Kriegsende festgehalten.

Und um für die geplante Publikation das Bild von der Sippenhaft in Bad Sachsa noch weiter zu vervollständigen, bat der Herausgeber einige seiner ehemaligen Lagergefährten, ihr Erleben zu schildern. Keiner der fünf angesprochenen Schicksalsgenossen – es handelt sich um B. Schenk Graf von Stauffenberg, W. Graf von Schwerin von Schwanenfeld, A. von Hagen, N. Freiherr Freytag von Loringhoven, R. J. C. Goerdeler – versagte sich dem Ansuchen. In großzügiger Weise half dem Herausgeber auch Frau Christa Miller, geborene von Hofacker. Die Genannten überließen dem Herausgeber ältere Aufzeichnungen oder brachten zu Papier, was ihnen noch im Gedächtnis haften geblieben war. Für die hiermit verbundenen Mühen sei allen auch an dieser Stelle noch einmal herzlichst gedankt. Für das weitere Verständnis des Lesers erschien es notwendig, jeder Person eine kurze Einführung voranzustellen, die der Herausgeber verfasst hat.

Eine Quelle von besonderer Bedeutung liegt uns in Form der längeren Aufzeichnungen der erwähnten Christa von Hofacker vor, aus der hier ausführlich geschöpft wurde. Denn unter der Überschrift »Unsere Zeit in Sachsa« mit dem Untertitel: »Mutti zur Erinnerung an unsere lange Trennung« verfasste sie bereits 1946, also nur kurze Zeit nach ihrer Befreiung, einen menschlich sehr anrührenden, längeren Bericht über ihre Zeit in Bad Sachsa, den sie ihrer Mutter zu Weihnachten 1946 überreichte.

Zumindest in der Gesamtbeurteilung der Lagerverhältnisse stimmen unsere Berichte weitgehend überein. Sie besagen, dass die Behandlung der kleinen »Gestapogeiseln« durch die »Erzieherinnen«, zumindest oberflächlich betrachtet, sicher nicht unmenschlich war, wie es dies in einem Konzentrationslager vermutlich schon eher der Fall gewesen wäre.

Aber es muss doch daran erinnert werden, dass die willkürlich in das Kinderheim verschleppten kleinen Jungen und Mädel über Wochen und sogar Monate von der Außenwelt abgeschnitten waren, also über keine detaillierten Nachrichten über das Schicksal ihrer Familien verfügten.

So lebten sie Tag für Tag dahin, bedrückt von einem Zustand großer Ungewissheit und Sorge über den Ausgang ihrer Gefangenschaft. Der erwähnte Bericht der kleinen Tochter Hofackers schildert diese bedrückende Atmosphäre zwischen Angst und Hoffen in ergreifender Weise.

Unter den Sippenhäftlingen in Bad Sachsa befanden sich auch drei Töchter des Grafen Lehndorff, Nona (7 Jahre), Vera (5) und Gabriele (1). Den bewegenden Abschiedsbrief ihres Vaters an seine Frau, ein tief bewegendes Zeugnis christlicher Innerlichkeit, glaubten wir dem Leser nicht vorenthalten zu dürfen.

Mehr als zehn Bad-Sachsa-Kinder waren noch nicht oder gerade einmal zwei Jahre alt. Gerade für diese Kleinen hätte sich eine Zwangsadoption durch regimetreue Ehepaare aus den Reihen der SS angeboten – aus dem Blickwinkel der Machthaber sogar relativ »problemlos«. Die älteren Kinder hätte man auch noch auf eine Napola1 schicken können, was vielleicht auch im Reichssicherheitshauptamt erwogen wurde. Es war dies bekanntlich ein Verfahren, das nur wenige Jahre später, ebenfalls aus politischen Gründen, noch einmal in der DDR praktiziert wurde!

Von besonderem Interesse ist auch die ergreifende Schilderung des Schicksals der Familienangehörigen des Oberbürgermeisters von Leipzig, Carl Goerdeler, die ebenfalls eigens für diese Publikation von seinem Enkel, Rainer J. Chr. Goerdeler, angefertigt wurde. Exemplarisch steht dieser Bericht für die Leiden der Mitglieder einer Familie des zivilen Widerstands unter der Rache des Regimes.

Zur Ergänzung unserer Zeitzeugenberichte über die Sippenhaft der Verschwörerkinder in Bad Sachsa wurden hier noch Auszüge aus dem ergreifenden Bericht von Fey von Hassell, der Tochter des im Anschluss an den 20. Juli 1944 hingerichteten Botschafters Ulrich von Hassell, übernommen. Sie schildern einen anderen, sehr dramatischen Verlauf der Verfolgung der Regimegegner und ihrer Kinder durch Himmler und seine SS – mit beinahe tödlichem Ausgang.

Um die hier zusammengestellten Zeitzeugenberichte dem Leser noch verständlicher zu machen und sie in einen historischen Kontext zu stellen, erklären ausgewiesene Fachleute in kürzeren Beiträgen spezielle historische, juristische und sogar theologische Hintergründe. Durch gezielte Literaturhinweise ermöglichen diese Artikel dem interessierten Leser ein weiteres Eindringen in den jeweiligen Themenkreis.

So skizziert J. Scholtyseck in einem ausgreifenden Beitrag die allgemeine Entwicklung, die schließlich zum Staatsstreich des 20. Juli führte. R. Kopp schildert in einer ausführlichen biografischen Skizze den Werdegang des Wehrmachtkommandanten von Berlin, Paul von Hase, und seinen Weg in den Widerstand. H.-J. Ramm beschäftigt sich mit der Rolle des christlichen Glaubens im militärischen Widerstand gegen Hitler. R. Hartung erörtert das immer wieder angesprochene Problem des Fahneneides, seine Genese und schließlich seine geschickte Indienstnahme durch das NS-Regime. A. Ramm beschreibt die Rolle des berüchtigten Volksgerichtshofs, seine Gründung, seinen Aufbau und seine Tätigkeit unter dem furchtbaren Roland Freisler. J. Salzig behandelt die Sippenhaft als Repressionsmittel des NS-Regimes. Der Gründer der Forschungsgemeinschaft »20. Juli 1944«, R. von Voss, stellt die schwierige Rezeptionsgeschichte des deutschen Widerstands und die ihm zukommende Würdigung im Nachkriegsdeutschland dar.

Den Abschluss der Artikelreihe bilden die Ausführungen von A.-W. Asserate zur Frage der Zivilcourage, die Stauffenberg und Tresckow, aber auch viele andere Männer des militärischen und zivilen Widerstands bewiesen, als sie – oftmals nach inneren Kämpfen – zu der Auffassung gelangten, das Attentat gegen Hitler müsse in jedem Falle gewagt werden, coûte que coûte, ganz unabhängig von der Aussicht auf Erfolg. Besonders interessant wird die Perspektive, die Asserate als äthiopischer Prinz als Beobachter mit internationalem Hintergrund gleichsam also von außen auf eine nicht nur in Deutschland eher spärlich anzutreffende Charaktereigenschaft wagt.

Den hier aufgeführten Verfassern der einzelnen Beiträge schuldet der Herausgeber größten Dank.

Sehr verbunden für ihre Mitarbeit sind wir auch der jetzt in England lebenden Historikerin Angelica von Hase, die aus den unlängst erschienenen Erinnerungen ihres Vaters, Karl-Günther von Hase, mit Umsicht herauszog, was für dieses Buch von Interesse sein konnte. Denn hier wird der Gang der Ereignisse und ihre Wertung aus der Warte eines jungen, patriotischen Frontoffiziers beleuchtet, fernab vom Geschehen.

Die im vorliegenden Buch publizierten Fotos stammen zum Teil aus Privatbesitz, zum Teil aus öffentlich zugänglichen Beständen. In diesem Zusammenhang gilt unser besonderer Dank der Gedenkstätte Deutscher Widerstand in Berlin und ihrem Leiter, Prof. Dr. Johannes Tuchel, sowie Frau Dr. Petra Behrens, die uns mit fachlichen Auskünften unterstützten und uns Fotos und Archivmaterial aus ihren Beständen zur Verfügung stellten.

Unseren Dank verdient ebenso Carmen Matussek, die mit größtem Einsatz die Redaktionsarbeiten betreute.

In gleicher Weise setzte sich Lutz Ackermann, Lektor bei SCM Hänssler, von Beginn an für das Gelingen des Projektes ein. Dem Herausgeber war er stets ein äußerst hilfsbereiter und versierter Gesprächspartner.

Gedankt sei schließlich dem Verlag SCM Hänssler. Das große Interesse des Publikums an der neuen, dort erschienenen deutschen Fassung der Bonhoeffer-Biografie von Eric Metaxas ließ in der Verlagsleitung den Gedanken entstehen, zum 70. Jahrestag des 20. Juli 1944 mit einer weiteren Publikation aus dem familiären Umkreis Bonhoeffers hier noch einmal anzuknüpfen. So entstand ein Buch, das, ausgehend vom tragischen Schicksal seines Onkels Paul, die Ereignisse des 20. Juli 1944 zum Gegenstand hat – insbesondere das sich daran anschließende Los zahlreicher Familienangehöriger, das durch bisher unbekannte private Zeugnisse lebendig wird.

Friedrich-Wilhelm von Hase
April 2014

1. Berichte von Zeitzeugen

1.1 Die Rache des Regimes an der Familie von Hase

Er sollte Goebbels verhaften – Generalleutnant Paul von Hase

Generalleutnant Paul von Hase,2 Wehrmachtkommandant von Berlin von 1940 bis zum 20. Juli 1944, gehörte zur kleinen Gruppe von Wehrmachtsoffizieren im Generalsrang, die aktiv am Staatsstreich beteiligt waren. Seine schon vor dem Kriege ablehnende Haltung gegenüber dem NS-Regime wurde durch die sogenannte Fritsch-Affäre des Jahres 1938, die ihn wie alle näher Eingeweihten entsetzte, eine endgültige, s. hierzu S. 185f.

Hases regimekritische Haltung änderte sich auch nicht in den folgenden Jahren, als er, nach kurzem Fronteinsatz in Polen und Frankreich, 1940 Wehrmachtkommandant von Berlin wurde. Der antikirchliche und judenfeindliche Kurs der Nazis waren für den national-konservativen Offizier, der aus einer alten Theologenfamilie stammte, nicht tolerabel. Und soweit Hase es vermochte, setzte er sich auch in seiner Berliner Zeit immer wieder für Hilfesuchende und vom Regime bedrohte Menschen ein, darunter bekanntlich auch für seinen Neffen Dietrich Bonhoeffer.3

In Erinnerung sind dem Herausgeber noch Äußerungen seiner Mutter aus den Sechzigerjahren des vorigen Jahrhunderts. Sie sagte ihm, dass sein Vater die Chancen des Gelingens des Staatsstreichs, an dessen konkreten Planungen er offenbar nicht im Detail beteiligt war, eher skeptisch beurteilt habe. Aber die Verschwörer kannten Paul von Hase so weit, dass sie davon ausgingen, im entscheidenden Moment auf ihn zählen zu können. Und es wäre ihm auch nicht in den Sinn gekommen, sich in extremis von der Sache loszusagen und seine Freunde zu verraten. Denn das wäre der Preis gewesen, um sich und seine Familie zu retten, s. hierzu S. 55.

Bei der militärischen Umsetzung der Pläne der Operation Walküre in der Reichshauptstadt kam Hase sogar eine Schlüsselrolle zu. Verfügte er doch über Truppen, die das Regierungsviertel abriegeln und Minister Goebbels in seinem Amtssitz verhaften sollten. Der Plan scheiterte, nicht zuletzt, weil die Bombe Stauffenbergs in der Wolfsschanze den Diktator nicht getötet hatte.

Nach Aussagen von Pfarrer Harald Poelchau, der in Plötzensee mit den zum Tode Verurteilten vor ihrem letzten Gang sprechen konnte, seien am 8. August 1944 sowohl Generalfeldmarschall Erwin von Witzleben als auch Generalleutnant Paul von Hase »vollkommen gefasst« und als »überzeugte Christen in den Tod« gegangen.4 Einen Abschiedsbrief zu schreiben blieb Hase versagt!

Weiterführende Informationen findet der Leser im Beitrag von Roland Kopp, »Generalleutnant Paul von Hase«, im vorliegenden Buch (S. 183 ff.).

Margarethe von Hase – die Ehefrau

Der vorliegende Text ist ein Auszug aus den unveröffentlichten, in den frühen Sechzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts für ihre Angehörigen verfassten Lebenserinnerungen der Margarethe von Hase, geborene Baronesse von Funck. Das gesamte Manuskript umfasst 186 Schreibmaschinenseiten und endet mit der hier abgedruckten Schilderung des 20. Juli und der Wochen danach.

Sehr ernst sah mein Mann in die Zukunft.

Nachdem ich bei Freunden auf dem Lande gewesen war, kehrte ich am 13.7.44 wieder nach Berlin zurück. Dort fiel mir auf, daß mein Mann mit seinen Gedanken sehr beschäftigt war. Schließlich erzählte er mir, daß ein Attentat auf Hitler geplant sei. Den Namen des Grafen Stauffenberg nannte er mir gegenüber aber nicht. Er erzählte mir jedoch, daß er am 13. Juli zum Generalobersten Olbricht befohlen war, wo ihm eröffnet wurde, daß ein Attentat auf Hitler geplant sei. Um das deutsche Volk vor der endgültigen, schwersten Katastrophe zu bewahren, bliebe, da Hitler wahnsinnig sei, kein anderer Ausweg mehr übrig. Mein Mann setzte hinzu: »Ich glaube, daß es zu spät ist, und sterbe ich, so sage Dir, daß ich zu den letzten preußischen Offizieren der kaiserlichen Armee gehörte, der ich bis zu meinem Tode treu bin.«

Ich bezweifle, daß mein Mann Näheres wusste, da möglichst Wenige eingeweiht sein sollten.

Als am frühen Nachmittag des 20. Juli 1944 General Olbricht mit den Worten »Es ist so weit« meinen Mann anrief, gab mein Mann das Stichwort »Walküre« an die ihm unterstellten Truppenteile durch. Nach Eintreffen der Kommandeure in der Kommandantur, hielt mein Mann den anwesenden Offizieren eine kurze Ansprache. Er sagte: »Der Führer ist tot, die vollziehende Gewalt geht in die Hände des Heeres über.« Dieser Satz genügte für die Gestapo, mir bei den Verhören stets vorzuhalten, daß damit der Beweis erbracht sei, die Offiziere waren beim Hören dieser Rede für den Putsch, andernfalls hätten sie doch darauf bestehen müssen, daß Göring, der ja der Stellvertreter des Führers war, Hitlers Nachfolger geworden wäre, niemals aber durfte das Heer die vollziehende Gewalt ausüben. So trat der vernunftwidrige Fall ein, daß ich, da ich diese Offiziere zu entschuldigen versuchte, auch das Verhalten des Majors Remer verteidigte.

Major Remer, der Kommandeur des Wachbataillons Berlin, hatte von meinem Manne den Befehl bekommen, das Regierungsviertel zu umschließen und niemand durchzulassen, weder einen Minister, Gauleiter noch sonst wen. Diesen Befehl hatte Major Remer durchgeführt und meinem Mann danach gemeldet, daß das SS-Hauptamt am Anhalter Bahnhof noch verstärkt zu sichern sei. Ohne Widerspruch der anwesenden Offiziere, zu denen Major Remer gehörte, bildete mein Mann unterdessen 30 Stoßtrupps zur Verhaftung der Größen des sogenannten »Dritten Reichs« (s. Völkischer Beobachter).

Da kam gegen 18 Uhr die Meldung durch den Rundfunk, daß der Anschlag auf Hitler misslungen ist. Nach dieser Durchgabe ging Herr Remer eine Stunde in Berlin spazieren; inzwischen hatte Oberleutnant Dr. Hagen, der an diesem Tage mit Remer im Kasino zu Mittag gegessen hatte und dann zu Goebbels gefahren war, Remer einen Leutnant in die Kommandantur nachgeschickt, der diesem eröffnen sollte, umgehend zu Goebbels zu kommen. Ohne meinen Mann davon in Kenntnis zu setzen, fuhr Major Remer nun zu Goebbels, nicht wissend, wie sich Goebbels ihm gegenüber verhalten würde, da er doch mit seiner Truppe das Regierungsviertel, in dem sich Goebbels befand, umstellt hatte. Remer sagte sich wohl, daß Goebbels viel zu klug sei, um an die Darstellung zu glauben, der Befehl meines Mannes hätte einem geplanten Putsch der ausländischen Arbeiter gegolten. Remer ließ sich von einem Zug Soldaten begleiten, denen er den Befehl gab, ihn nötigenfalls mit Gewalt herauszuholen, wenn er nicht innerhalb zwanzig Minuten zurück sein würde. Goebbels wußte, in welcher Gefahr er sich befand, und sah Rettung nur durch einen Offizier des Heeres; großartige Versprechungen machte Goebbels, wenn sich Remer gegen seinen Vorgesetzten, den Kommandanten von Berlin, stellen würde. Nachdem Remer die Schwenkung vorgenommen hatte, glaubte er wohl, daß die größte Stunde seiner militärischen Laufbahn gekommen sei. Mit allen Mitteln mußte er verhindern, daß Zeugen für sein Verhalten vorhanden waren; deshalb veranlaßte er, daß die engsten Mitarbeiter meines Mannes gesondert festgesetzt wurden. Damit ist es auch zu erklären, daß der Oberstleutnant i. G. Schöne, Major Graf Schack und Hauptmann i. G. Hayessen zum Tode verurteilt wurden. Welche seelischen Qualen mußten diese Männer noch über sich ergehen lassen, da alle Angehörigen der Männer des 20. Juli in Sippenhaft kamen. Hätte da Remer, der ja der mächtige Mann des Tages geworden war, nicht wenigstens der ritterliche Gedanke kommen müssen, sich schützend vor die Witwen und Waisen zu stellen? Ob solch ein Mann kein Gewissen hat? Oder ob er, und wenn es auch erst in seiner Todesstunde ist, seine Handlungsweise vor Gott bereuen wird?

Inzwischen hatte Goebbels die Verbindung mit dem Führer-Hauptquartier herstellen lassen. Major Remer erhielt nun die weiteren Befehle unmittelbar von Hitler. Während Graf Stauffenberg sich mit äußerster Kraftanstrengung bemühte, die schon auf Berlin rollende Truppe voranzutreiben, setzte die Gegenwirkung Remers ein. Generaloberst Beck, General Olbricht und Generaloberst Höppner waren zu Meuterern erklärt worden, alles schien verloren. Da der Stoßtrupp, der Goebbels verhaften sollte, nicht zurückgekehrt und wohl von Remer abgefangen worden war, faßte mein Mann den Entschluß, persönlich Goebbels zu verhaften, um die Reichshauptstadt dennoch in seine Hand zu bekommen. Zu dieser Stunde ließ Major Remer Soldaten mit gefällten Bajonetten die Kommandantur besetzen und in unsere Wohnung eindringen. Alle, die wir uns in der Kommandantur befanden, wurden festgesetzt. Die Nacht vom 20. zum 21. Juli 1944 werde ich nie vergessen; Soldaten mit Handgranaten in den Stiefeln bewachten uns. Wie sehr aber sorgte ich mich um meinen Mann; ihm war es nicht gelungen, Goebbels zu verhaften. So war mein Mann, ohne es zu ahnen, mitten in die Truppe der Gegenaktion hineingefahren. Der Obersturmbannführer Huppenkothen soll im Auftrag Himmlers meinen Mann verhaftet und an einem mir unbekannten Ort festgesetzt haben. Am 8. August 1944 wurde mein Mann vom Volksgerichtshof als Feind des Nationalsozialismus zum Tode verurteilt. In dieser für mich unvergeßlichen Nacht des 20./21. Juli 1944 dachte ich an das Bild der Erschießung der Schill’schen Offiziere5; einige sitzend, einige stehend, sah man ihnen an, daß sie wußten, welches Schicksal ihnen bevorstand.

Im Schreibzimmer meines Mannes in der Kommandantur »Unter den Linden« befanden sich: Oberstleutnant Schöne sowie die beiden anderen, von meinem Mann besonders geschätzten Offiziere, Major Graf Schack und Hauptmann i. G. Hayessen; der Letztgenannte durfte den Schreibtischstuhl meines Mannes nicht verlassen, an jeder Seite stand auf persönlichen Befehl des Majors Remer ein Soldat mit aufgepflanztem Bajonett. Eine Erklärung hierfür dürfte sein, daß Hauptmann Hayessen bei jedem Gespräch, das mein Mann im Laufe des Tages mit Major Remer führte, zugegen war; zu diesen Zeitpunkten stand es noch günstig für die Offiziere des 20. Juli. Hayessen, als Zeuge, sollte mundtot gemacht werden. Wie schwer war es für mich, das alles mitzuerleben! Meine Tochter Maria (20 J.), mein Sohn Alexander (19 J.) und ich durften die Kommandantur während zwei mal 24 Stunden nicht verlassen.

Am 1. August 1944 wurde ich, und einige Stunden später wurden meine beiden Kinder von der Gestapo verhaftet. Bei meiner Verhaftung wollte ich einen Sommermantel anziehen, was mir der Gestapomann verbot. Ich fragte ihn, ob ich gleich erschossen würde. Diese Frage sei, so sagte man, ein Eingeständnis meiner Schuld. Begleitet von den beiden Gestapobeamten wurde ich in das Arbeitszimmer meines Mannes geführt, wo sein Schreibtisch völlig durchwühlt wurde. Da mein Mann niemals etwas Belastendes besessen hatte, konnte auch nichts gefunden werden. Aber für mich trat etwas Belastendes ein; ich selber hatte am 19. Juli das Behörden-Hitlerbild, das im Arbeitszimmer meines Mannes hängen mußte, abgehakt und mit dem Gesicht gegen die Wand gestellt. Einer der Gestapoleute fuhr mich mit den Worten an: »Weshalb steht das Bild des Führers mit dem Gesicht gegen die Wand gelehnt?« Zum Glück hatte ich ja Zeit gehabt, mich auf diese Frage vorzubereiten, und ich stellte mit ruhiger Miene die Gegenfrage, wie es wohl käme, daß die Fenster mit den Rahmen herausgefallen seien, doch wohl durch die Bombenangriffe.

Ich wurde in das Gefängnis nach Berlin-Moabit gebracht und kam in eine Einzelzelle des Ganges, wo die zum Tode Verurteilten untergebracht waren. Jede Nacht wurden aus den Nebenzellen Frauen zur Hinrichtung abgeholt; diejenigen, die zu schwach waren, um gehen zu können, wurden auf einen Wagen gelegt und so aus dem Gefängnis geschafft. Unbeschreiblich war das Schreien der gequälten Opfer, nie kann ich das vergessen. Wir blieben auch während der schweren Fliegerangriffe auf Berlin in den Zellen. Neben uns, in einem Seitenflügel, kamen bei einem solch schweren Bombenangriff viele der unglücklichen Gefangenen ums Leben. Ständig bangte ich um meine mitgefangene Tochter Maria und ich fragte mich, ob auch sie zu den Toten gehöre; ich hatte sie vorher aus meinem Zellenfenster, das kein Glas mehr hatte, auf dem Gefängnishof gesehen. Die seelischen Qualen waren entsetzlich schwer und oft war es mir, daß ich sie länger nicht ertragen könne. Ich erfuhr weder etwas über meinen Mann noch über unsere Kinder.

Erst nach einigen Wochen Einzelhaft wurde ich verhört. Die Verhöre begannen abends und wurden am nächsten Morgen sehr früh fortgesetzt. Noch jetzt erscheint es mir als ein Wunder, daß ich einem Verhör, das von fünf Kommissaren geführt wurde und einen ganzen Tag dauerte, standgehalten habe. Einer der Kommissare schüttelte mich bei seinen Worten: »Sie regen sich ja gar nicht auf.« Nun fing die Gestapo an, mit anderen Mitteln auf mich einzuwirken. Der Kommissar schrie mich an, dann zeigte er eine triumphierende Miene: »Ihre Tochter hat uns schon gestanden, daß sie alles wusste; sie hatte doch die geheimen Befehle Ihres Mannes für ihn getippt.« Ich erwiderte dieser Bestie: »Ich weiß, daß Sie ein Opfer haben wollen, schlagen Sie mich in Stücke, aber verschonen Sie mein unschuldiges Kind.«

Vom Schicksal meines Mannes erfuhr ich noch immer nichts. Eines Tages wurden mehrere verhaftete Damen für das politische Verbrecheralbum photographiert. Ich sah da die Gräfin York [sic], die neben mir stand; sie war erst viel später eingeliefert worden. Ich konnte nur wenige Worte mit ihr sprechen und fragte sie: »Was ist mit unseren Männern?«, und sie erwiderte: »Sie sind zusammen hingerichtet worden.« Da die Gräfin mir nichts sagen durfte, mußte ich all meine Kräfte zusammennehmen, um mir nichts anmerken zu lassen.

Eine innere Beruhigung war es für mich, daß ich ganz kurz vor dem 20. Juli mit einem befreundeten Pfarrer über das beabsichtigte Attentat habe sprechen können. Ich fragte ihn: »Habe ich die Wahrheit zu sagen, wenn ich bei einem etwaigen Mißlingen des Anschlags in die Hände der Gestapo falle?«, und er sagte zu mir: »Diesen Verbrechern gegenüber brauchen Sie nicht die Wahrheit zu sagen.«

Unser Jüngster, mein siebenjähriger Sohn Friedrich-Wilhelm, wurde um elf Uhr nachts von zwei Gestapoleuten aus dem Bett gerissen und fortgebracht. Wie wir später erfuhren, wurde er mit anderen Kindern der wegen des Anschlags vom 20. Juli Verhafteten nach Bad Sachsa (Harz) in ein Kinder-KZ gebracht. (…)

Eines Tages betrat ein Pfarrer meine Zelle; es bedeutete auch für ihn eine große Gefahr. Pfarrer Poelchau brachte mir die letzten Grüße meines Mannes; dann sagte er, ich müsse nun auch bald vor Gott stehen, und gab mir einen Spruch für diesen letzten Gang. Gott aber hat es anders gewollt; ganz unerwartet waren wir eines Tags frei. Am Vormittag dieses Tages wurde die Zellentür geöffnet, und die einzige nette Beamtin, Frau H., flüsterte mir zu: »Heute werden Sie eine große Freude haben.« Ich verstand sie nicht und dachte darüber nach, was sie wohl meine, vielleicht würde mir etwas Wärmeres zum Anziehen gebracht? Ich war doch im Sommerkleid verhaftet worden und fror nun sehr, war es doch inzwischen Oktober6[sic] geworden. Als Lager diente eine Holzpritsche, die am Tage hochgeklappt und angekettet wurde, und eine dünne Decke. Der Holztisch und eine Bank ohne Lehne waren am Fußboden befestigt. Da wir kein Fensterglas mehr hatten, gab es nirgendwo eine wärmere Ecke. Nach einiger Zeit kam Frau H. wieder und rief mir zu: »Kommen Sie mit, Sie dürfen nun die Zelle mit Ihrer Tochter teilen.« Ich wußte wirklich nicht, wie mir da zumute war, ich sollte meine Tochter Maria wiedersehen! Die Freude überwältigte mich fast. Wir eilten nun die Treppen hinab und hinauf zur Zelle 447[sic]. Die Tür wurde aufgerissen, und meine Maria stand vor mir; sprachlos sah sie mich an, es war fast zu viel für uns beide. Meine so sehr geliebte Maria, nun stand sie wirklich vor mir. Da trat eine andere Beamtin ein und sagte nur, sich an uns beide wendend: »Sie sind frei«! –

Als wir auf den Flur hinaustraten, standen auch mehrere andere Damen, die zu den Verhafteten des 20. Juli gehörten, da. Uns wurden jetzt die Ringe und all das, was uns bei der Einlieferung abgenommen worden war, wieder ausgehändigt. Danach wurden wir mit einem Kraftwagen zu einer SS-Dienststelle in die Meineckestraße in Berlin-Wilmersdorf gefahren. Hier wurden wir in einen Raum gewiesen, in dem wir warten sollten. Da fragte ein Gestapomann eine der schon anwesenden Damen: »Wie finden Sie diesen Raum?« Die Gefragte begriff nicht recht, was mit dieser Frage beabsichtigt sei, und meinte nur: »Nun, wie soll ich mich schon hier fühlen?«, worauf der Mann weiter fragte: »Heimelt Sie dieser Raum nicht sehr an?«. Da sie auch diese Frage nicht verstand, setzte der Kommissar zynisch hinzu: »Hier hat doch Ihr Mann vor seiner Hinrichtung gesessen!« –

Ich wurde dann in ein sehr elegantes Zimmer geführt; trotz der ständigen Fliegerangriffe lagen überall echte Teppiche, und sehr bequeme Sessel standen an den Tischen. Ein Sturmbannführer wandte sich mit folgenden Worten an mich: »Der Reichsführer SS läßt Ihren jüngsten Sohn, der nun anders heißt, also nicht mehr den Namen seines Vaters führt, auf seinem Gute erziehen.« War das noch menschlich? Nur mit aller Kraft konnte ich mich aufrechterhalten [sic] und fragte, wo er sich denn befinde; seelenruhig antwortete er: »Das darf ich Ihnen nicht sagen.« Warum bin ich denn nicht hingerichtet worden, daß ich auch noch diese Seelenqual erdulden muß?, so fragte ich mich. Der Sturmbannführer fuhr fort: »Sie wissen, daß Sie nichts mehr besitzen, auf Grund des Urteils des Volksgerichtshofs ist Ihr Vermögen und alle anderen Werte zu Gunsten des Staates eingezogen worden. Ihre bisherige Wohnung dürfen Sie nicht mehr betreten; sollten Sie in Berlin bleiben, dann haben Sie sich jeden Tag bei der Polizei zu melden.« Nachdem meiner Tochter Maria dasselbe eröffnet worden war, durften wir die Meineckestraße verlassen. Auf der Straße überlegten wir, wohin wir nun gehen könnten, und wir entschlossen uns, Schleichers um Rat zu fragen. Frau Schleicher, geb. Bonhoeffer, war eine Nichte meines Mannes. Ein furchtbares Gefühl war es für mich, anderen Menschen zur Last zu fallen und ihnen vielleicht noch Schwierigkeiten zu bereiten. Zögernd klingelten wir an der Haustür. Und nun geschah etwas, was mir immer unvergeßlich bleiben wird: Schleichers empfingen uns mit nicht zu beschreibender Herzlichkeit. Als ich Rüdiger Schleicher gegenüber betonen wollte, wie schwer es mir ist, zu ihnen zu kommen, wissen wir doch wirklich nicht, wohin wir uns wenden sollten, erwiderte er in seiner vornehmen Weise: »Es ist uns eine Ehre, daß Ihr kommt, ich hatte mich nach Euch erkundigt, aber es wurde mir gesagt, daß Ihr hingerichtet seid.« Kaum saßen wir, da läutete der Fernsprecher, und die Gestapo fragte, ob wir dort seien. Ich wollte fort, aber meine Tochter meinte, wir werden ja doch überall gefunden. Am nächsten Tage, als wir am Frühstückstisch saßen, wurde sehr stark an der Haustür geklingelt, und herein stürzten Gestapoleute mit vorgehaltenen Revolvern. Durch unsere Freilassung wollte man also nur erfahren, wer uns aufnimmt, also zu uns gehört. Der Schwager des Hausherrn, der gekommen war, uns zu begrüßen, wurde verhaftet und später auch Professor Schleicher, s. hierzu S. 53. Daß wir somit Ursache des Todes dieser ritterlichen Herren waren, die uns so hilfsbereit zur Seite standen, werde ich bis zu meinem Tode nicht überwinden können. Welche Seelengröße beweist unsere Nichte mir gegenüber, die für meine Selbstvorwürfe immer nur tröstende Worte findet.

Inzwischen hatten wir erfahren, daß Himmlers, die in ihrem Berliner Hause ausgebombt wurden, unsere eigene, von uns völlig mit Möbeln usw. ausgestattete Wohnung in Berlin, Unter den Linden 1, bezogen hatten. Für die Abgestumpftheit dieses gefühllosen Ehepaares spricht doch die Tatsache, daß es sogar unser Schlafzimmer selbst bewohnte. Nota bene: Vermutlich handelt es sich hier um einen Irrtum der Verfasserin; Mitteilung von Prof. Dr. Johannes Tuchel an den Herausgeber.

Nun wurde auch unser ältester Sohn Alexander aus der Haft entlassen, und es gelang ihm, in das Panzergrenadierregiment nach Schwedt a. d. Oder zu kommen. Wie sehr hatte ich mich auch um ihn gesorgt, hatten doch die Gestapoleute während der Autofahrten geprahlt, wen sie alles »im Gestapogefängnis erschossen« hätten und »daß sie alle drankommen«. Es schien ihnen Freude zu machen, hervorzuheben, daß sich Alexander noch in diesem Gefängnis befindet. Diese Teufel hatten die Absicht, mich für die Verhöre zu zermürben. An dieser Stelle ist es mir eine Ehrenpflicht, den Namen des Heerespsychologen, Herrn Dr. Simoneit, zu erwähnen, der sich selber anbot, Alexanders Vormund zu werden, und das, um ihn zu retten, obgleich er damit sein eigenes Leben aufs Spiel setzte. Von meinen vier Kindern wurde nur meine älteste Tochter Ina, verehelichte v. Medem, nicht verhaftet; sie wurde zwar stundenlang verhört, und an seelischen Qualen blieb auch ihr nichts erspart. Man bedenke, daß meine Tochter einen wenige Monate alten Sohn hatte und ihr Mann sich mit seiner Truppe im schwersten Osteinsatz gegen die Bolschewisten befand. So war meine Tochter in diesen schweren Monaten völlig allein; sie selbst meinte später einmal: »Ihr wart alle wie von einem Vulkan verschluckt und ich stand ganz allein.« Die sehr große Freude, am 2. April 1944 einen Medem’schen Enkel durch Gottes Güte zu erleben, wurde meinem Manne noch einige Monate vor seinem Tode zuteil. Nach vielen Jahren hatte meine Tochter das große Glück, ihren auch von mir sehr geschätzten Mann aus schwerster Kriegsgefangenschaft zurückzuerhalten. So darf auch ich aus vollem Herzen dem Schicksal für meine beiden Enkel Gerrit und Albert von Medem dankbar sein.

Lange, schwere Wochen folgten zwar für uns, und dennoch wußte ich Gott nicht genug zu danken, daß er mir meinen sehr geliebten jüngsten Sohn Friedrich-Wilhelm wiedergab. Wie gleichgültig war es mir da, daß uns alles genommen war. Meine älteste Tochter hatte auf eine Papiertüte die mir unvergeßlichen Worte geschrieben: »Die Habe meiner Mutter«. In einem meiner Tochter und mir überlassenen Zimmer eines Fremdarbeiters versteckt, hatten wir, nachdem wir zwischendurch in einem Pfarrhause aufgenommen wurden, den Einzug der Amerikaner erlebt, die zu unseren Befreiern wurden.

Wenn ich meine Erinnerungen hiermit beschließe, möchte ich es mit den Worten tun, die meine Freundin Ilse Braune in mein Gästebuch schrieb: »Schließlich sind es doch die Beziehungen der Menschen untereinander, die dem Leben seinen Wert geben.« Die Richtigkeit dieser Worte lernt man erst in Zeiten der Not richtig verstehen. Vielen Menschen möchte ich hiermit innigst danken für all die Liebe und Herzensgüte, die sie mir nach dem 20. Juli 1944 bewiesen haben; und da liegt es mir am Herzen, besonders meine Freundin Ilse Braune und meine langjährige Hausgenossin, Fräulein Martha Burghausen, zu nennen.

Nun liegt ein langer Lebensweg hinter mir; Jahr um Jahr verging. Wie viel Leid und Not ich auch erlebt habe, die eine Gewissheit bleibt in mir, daß wir die Kraft haben, das Leben zu bestehen, nur durch unseren christlichen Glauben, denn

Ein Mensch ist in seinem Leben wie Gras,
er blühet wie eine Blume auf dem Felde,
wenn der Wind darüber gehet,
so ist sie nimmer da,
und ihre Stätte kennet sie nicht mehr.

(103. Psalm, V. 15/16)

Baronin Ina von Medem – die ältere Tochter

Ina von Medem, Jahrgang 1922, die älteste Tochter Paul von Hases, die seit dem 21. März 1942 mit Viktor Baron von Medem verheiratet war und bemerkenswerterweise nicht in Untersuchungs- und Sippenhaft genommen wurde, schrieb folgenden verzweifelten Brief an ihre Schwiegermutter.

Berlin, den 8. August 44
Nachts

Liebe Mutter!

Ich bin an der Grenze des Erträglichen. Papi ist in wenigen Stunden nicht mehr. Aber keine Kugel, kein Grab. Er darf, um die Strafe zu erhöhen, nicht schreiben und bekommt auch nichts. Morgen will ich mit allen Mitteln versuchen vorgelassen zu werden, glaube es aber nicht. Erttel8 ist für mich nicht zu sprechen, niemand …

Was wird aus Mutti, Maria und Alexander? Sie sind seit 8 Tagen fort, und zwar getrennt voneinander. Wir wissen nicht wo und bekommen keine Auskunft, als dass ich auch bei ihnen auf das Ernsteste gefasst sein muss.

Nebensächlich ist, dass Wohnung usw., alles verloren ist. Was aus den Möbeln und etwas Geld wird, entscheidet die Justiz.

Martha, Hildegard müssen wohl fort und weitere.

Eine Familie ist ausgelöscht.

Deine Ina

Maria-Gisela Boehringer – die jüngere Tochter

Maria-Gisela Boehringer, die jüngere Tochter Paul von Hases, war zur Zeit des Attentats gerade einmal 20 Jahre alt und hatte mit dem Studium der Wirtschaftswissenschaften an der Friedrich-Wilhelms-Universität in Berlin begonnen. Heute lebt sie mit ihrer Familie in den Vereinigten Staaten von Amerika. Telefonisch teilte sie für diese Veröffentlichung ihre Erinnerungen mit und stellte ihr Tagebuch zur Verfügung, das hier auszugsweise wiedergegeben wird.

Maria berichtet: »Meine Mutter, Margarethe von Hase, geb. Baronesse von Funck, eine Deutschbaltin, lebte mit ihrer Familie bis zum Ersten Weltkrieg in Riga und floh in der Silvesternacht 1917/18 vor den Wirren der Russischen Revolution nach Deutschland.«

Maria beschreibt ihre deutsch-baltische Mutter als sehr antikommunistisch und dazu sehr »antinazi« eingestellt. Sie habe nicht einmal »eine rote Schleife im Haar der Kinder geduldet«. Maria erinnert sich, dass die Mutter den Kindern in ihrer bildhaften Ausdrucksweise zu sagen pflegte, dass Kommunismus und Nazismus sich durchaus ähnelten, im Grunde zwei Seiten der gleichen Medaille seien.

Marias Erinnerungen an ihre Kindheit und Jugend und vor allem an den geliebten Vater sind eher dunkel und fragmentarisch, wobei hier durchaus eine Art von Verdrängung stattgefunden haben mag, um durch das Vergessen mit dem Erlittenen besser fertigzuwerden.

Der Vater war, so berichtet sie, dienstlich sehr beansprucht, zunächst als Divisionskommandeur an der Front, dann aber auch in Berlin, sodass wenig Zeit für die vier Kinder blieb.

Was wusste die Familie von den Attentatsplänen? Es könnte sein, Mutti habe etwas gewusst, aber keinesfalls sie oder ihre Geschwister. Denn bei irgendeiner Mitwisserschaft der Familie wäre die Gefahr für alle einfach viel zu groß gewesen.

Maria erinnert sich aber an einen Spaziergang und an ein seltsames Gespräch mit ihrem Vater, in dem es um die Zukunft der Familie ging. Da habe ihr Vater plötzlich gesagt, während sich die Gesprächsstimmung sehr verdüsterte: »›Du wirst sehen, ich erlebe es nicht.‹ Nun schritten wir energischer voran und ich hatte das Gefühl, dass ihn irgendetwas sehr bewegte. Ich hätte den Vater gerne danach gefragt, aber dann tat ich es doch nicht und er sagte auch nichts weiter.«

Wie erinnert Maria sich an den 20. Juli 1944? »Wir saßen in unserer Wohnung, die sich an die Diensträume unseres Vaters anschloss. Gegen 11.00 Uhr abends erschien der Ia9 unseres Vaters, Major W. von Massenbach-Salleschen: ›Eine Besprechung bei Goebbels, Herr General. Wenn Sie es wünschen, dann begleite ich Sie.‹ Das war das letzte Mal, dass wir unseren Vater gesehen haben.«

Hier beginnen die Tagebuchaufzeichnungen.

Schicksalswende!!
Ich schlief und träumte,
das Leben wär Freude:10 __

20.7.1944

Gegen 7 Uhr Bekanntgabe durch den Rundfunk. Gegen 5 Uhr Kdt. [Kommandantur] Umstellt durch »Grossdtld«11.

Alarmstufe II. Bajonette gegen uns. Papi fährt zum Generalkommando. Gegen 11 Uhr abends in meinem Zimmer. Essen wird durch Massenbachs Nachricht gestört: Bei Goebbels eine Lagebesprechung, Herr General! Wollen Herr General hinfahren? Ich fahre dann mit. Ohne Lebewohl zu sagen, ein Abschied für immer. Wer hätte es gedacht?

Nächste 3 Tage nichts mehr zu hören nach der Verhaftung durch SS. Dann ein hoffnungsfreudiger Brief: Ende der Woche komme ich, dann feiern wir meinen Geburtstag nach. Wie langsam und doch schnell vergehen die Tage. Jeder Tritt und Schritt könnte es sein – doch immer wieder die Enttäuschung. Wie hart ist so ein Warten. Ende der Woche wieder ein Brief. An höchster Stelle wird entschieden: »Mit Stumpf und Stiel auszurotten!« Wer denkt an diese grausigen Worte?!

Allmählich lernt man nun seine Mitmenschen kennen.

1. August 1944

Gegen 6 Uhr zwei Gestapobeamte. Mutti soll zum Verhör mitgehen.

Zwei Stunden später. Gedankenverloren sitze ich auf meinem Sofa. Ein rosa letzter Sonnenschimmer breitet sich über den Abendhimmel. Alles ist ruhig und still. Da – es klingelt. Ich öffne: Wir sind wiedergekommen, rufen Sie bitte Ihren Bruder. Ein letzter Gang bis zu dessen Schlafzimmer: Alexander, zwei Herren von der Gestapo! –

Sachen für 1 – 8 Tage gepackt und ein letztes Lebewohl von der Heimat, Hildegard12 und Bohnes13 und dann geht es mit dem Auto einem ungewissen Ziel entgegen.

Altmoabit, Frauenuntersuchungsgefängnis!!

Dunkle Gänge, kurzer Abschied von Alexander, dann einer Frau übergeben. Durch endlose Gebäude geführt, alles gut verschlossen. Kurze Personalienaufnahme und dann:

Zelle 41 Station II.

Nächster Morgen beginnt um 6 Uhr. Ein Bad unterbricht den Vormittag. Kurz vor 12 Uhr eine Schüssel Suppe. Gegen 8 Uhr Brot und dünne Grießsuppe. So der Tagesablauf unterbrochen durch eine halbe Stunde Freizeit von ½9 – 9 Uhr am Vormittag. Ein ewiger Rundgang hintereinander im Hof.