Bo Bennett

Papaya

Kriminalroman

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Personen und Handlung sind frei erfunden.

Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

© KSB-Media GmbH, Gerlingen

1. Auflage 2014

Alle Rechte vorbehalten

1. digitale Auflage: Zeilenwert GmbH 2014

Umschlaggestaltung und Layout: Atelier Reichert, Stuttgart

Titelfoto: fotolia, V. Yakobchuk

ISBN 9783945195031

www.genusskrimi.de

Für meine Eltern

Inhaltsverzeichnis

Cover

Titel

Impressum

Widmung

Prolog

1

2

3

4

5

6

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9

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Tag 1

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Tag 2

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Tag 3

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Tag 4

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Danksagung

Klappentext

Prolog

Die Erkenntnis über ihren bevorstehenden Tod traf sie mit der Gewalt eines abrupten Hammerschlags. Ihr Körper trieb taub auf der Oberfläche und fühlte sich fremd an. Das bedrohlich dumpfe Pochen ihres Herzschlags durchdrang die dunkle Stille des Wassers. Sie versuchte sich zu bewegen, aber es gelang ihr nicht. Ihr Drang zu atmen war jetzt so unsäglich stark, dass ihr Brustkorb zu zerbersten drohte. Ein brennender, alles durchdringender Schmerz strömte durch ihr Inneres. Dann, schwerelos und leise, sank ihr Körper lautlos ab und es schien ihr plötzlich als würde alles eins, als wäre sie schon immer hier gewesen. Das kühle Nass schimmerte schwarz in der Dunkelheit.

1

Frank Vela wusste mit so viel Freizeit nichts anzufangen. Ratlos stand er vor dem imposanten Bauwerk, dessen fünf klassizistische Sandsteinsäulen sich majestätisch vor ihm auftürmten und zündete sich eine Zigarette an.

Die Polizeiwache lag unmittelbar am rechten Flussufer, wo sich das Wasser seinen Weg durch die historische Innenstadt bahnte und kreischende Möwen kreisend nach Essbarem suchten. Ein Schwan glitt gemächlich flussabwärts und tauchte immer wieder mit dem Kopf zum Grund hinab, wobei sein weißes Hinterteil amüsant aus dem Wasser ragte. Frank schaute ihm nach, bis er hinter einer Fassade verschwunden war. »Hey Vela, schöne Ferien!« Die schadenfrohe Stimme von Tom Castelli riss ihn ruckartig aus seinen Gedanken. Frank erwiderte nichts. Petzer waren ihm grundsätzlich zuwider und Castelli ganz besonders.

Die Nacht war mild und roch nach frisch geduschter Luft. Der Asphalt glänzte nass im zittrigen Schein der vorbeifahrenden Autolichter. Ein leichter Wind trug den Duft von verdunstetem Sommerregen in Richtung See, der in einiger Entfernung im Mondlicht glitzerte. Er könnte ganz spontan einen Flug buchen, nach Spanien oder sonst irgendwohin, aber Frank verwarf den Gedanken gleich wieder. Eine solche Aktion hätte seinem sonst durchdachten Naturell widersprochen. Also beschloss er, sich stattdessen im Blue Swan einen Drink zu gönnen zur – Flaute des Tages sozusagen.

Die Bar lag direkt gegenüber der Wache und war als eines der wenigen Raucherlokale ein beliebter Treffpunkt für Nikotingenießer und solche, denen der passive Qualm nichts ausmachte. Im Innern herrschte trotz milder Außentemperaturen reger Betrieb. Glatt rasierte Anzugträger, das Sakko lässig über die Schulter geschwungen, standen neben sommerlich schick gekleideten Ladys an der langen Wandtheke aus geöltem Nussbaumholz oder saßen an einem der niedrigen Loungetische und unterhielten sich angeregt, während sich im schummrigen Licht der antiken Deckenkristalllüster Rauchschwaden ihren Weg an die Decke bahnten.

Frank bestellte einen Hendrix, ging nach draußen und setzte sich, da alle Sitzplätze bereits belegt waren, auf eine der Treppenstufen, die in der Mitte des Platzes im Kreis verliefen und auf eine mit Mosaiksteinen besetzte Plattform führten. Er zündete sich eine Zigarette an und fragte sich, was er mit den kommenden Tagen anstellen sollte. Dieser verdammte Castelli, irgendwann dreh ich ihm den Hals um, dachte er entnervt.

»Alles klar bei dir?« Arhid Said hatte sich unvermittelt neben ihn gesetzt und blickte seinen Freund mit hochgezogenen Augenbrauen an.

»Nicht wirklich«, antwortete Frank. »Tom Castelli hat mich voll auflaufen lassen. Und die Schmid hat die ganze Aktion auch noch gutgeheißen.« Frank trank einen hastigen Schluck und bekam ihn in die Luftröhre. »Zehn Tage Zwangsurlaub«, rief er hustend, »kannst du dir das vorstellen? Und alles nur, weil sich Castelli einmal mehr wie ein riesiges Arschloch benommen hat. Jetzt darf ich dafür meinen Kopf hinhalten.«

Arhid nickte verständnisvoll. »Castelli ist und bleibt ein Bastard, das ist nichts Neues. Wie so einer überhaupt die Polizeischule absolvieren konnte, ist mir schleierhaft. Trotzdem, du hättest dich nicht auf seine provozierende Art einlassen sollen, der Typ weiß genau, wie er es am Ende gegen dich verwenden kann. Eines muss man diesem Wichser nämlich lassen, er kann verdammt gut reden. Wahrscheinlich hat er der Schmid die Ohren wundgefaselt, was für ein rechtschaffener Polizist er doch sei, während er dich durch den Dreck zog – ergo bist du in dieser Geschichte der böse Bulle. Du hättest ihn nicht bedrohen dürfen.«

Frank blickte seinen Freund mit leicht beleidigter Miene an, wohl wissend, dass er recht hatte. »Was heißt hier bedrohen, der Drecksack hat sich bei der Befragung dieser armen Mutter einmal mehr aufgeführt, als sei er das Gesetz höchstpersönlich. Ich habe ihm lediglich mit etwas Körpersprache zu verstehen gegeben, dass ich ihm den Arsch aufreiße, sollte er sein Temperament das nächste Mal nicht zügeln.«

»Ich hätte bestimmt das Gleiche getan, diesem Penner gehört der Hintern versohlt«, entgegnete Arhid unterstützend. »Trotzdem hättest du in diesem Fall lieber Worte statt Taten folgen lassen sollen, dann säße er jetzt nicht am längeren Hebel.«

»Ja, ja, schon klar«, antwortete Frank weniger von den Worten seines Freundes genervt, als vielmehr von der Tatsache, dass er in dieser ganzen Sache als Idiot dastand, ungerechtfertigt, wie er fand.

Arhid Said war Gerichtsmediziner. Er und Frank kannten sich seit Jahren und teilten die Liebe zum Jazz.

»Die Auszeit tut dir vielleicht ganz gut. Immerhin hast du zehn Tage Urlaub, davon kann ich im Moment nur träumen. Gestern hatte ich wieder einen Bootsschraubenfall. Das komplette Gesicht war zerfetzt. Sehr unschön sag ich dir. Will heißen: Ich hätte rein gar nichts gegen ein paar Tage Elba einzuwenden. Du darfst deinen Zwangsurlaub also gerne an mich abtreten.«

Arhid fuhr jedes Jahr mit seiner Familie nach Elba. Sie hatten sich dort ein Haus gekauft und es binnen zehn Jahren in eine kleine Oase mit Dachterrasse verwandelt. Er versetzte Frank einen freundschaftlichen Seitenhieb, den dieser mit einem Schmunzeln entgegnete. »Du hast ja recht, ich sollte diesen unerwarteten Feriensegen nutzen, bloß wie?«

»Mach dir da mal keine Sorgen, du wirst schon einen Zeitvertreib finden, zehn Tage sind ja nicht die Welt. Außerdem fristet deine Les Paul schon lange ein klägliches Wanddasein – ein guter Zeitpunkt, dies zu ändern.«

Arhid hatte recht. Seine Lady, wie Frank die Gitarre liebevoll nannte, war längst zu einem Dekorationsobjekt verkommen, was eine Schande war. Seit er und Arhid die Sache mit der Band aus Zeitmangel an den Nagel gehängt hatten, hatte er sie nicht mehr in den Händen gehalten.

Arhid sprang plötzlich auf. »Ich muss los, sonst macht mir Nia die Hölle heiß«, sagte er augenzwinkernd und winkte die Kellnerin herbei.

Frank bestellte sich einen weiteren Drink, schließlich hatte er niemanden, der ihm die Leviten lesen würde, wenn er nicht rechtzeitig nach Hause kam. Er setzte sich an einen der Tische, der zwischenzeitlich frei geworden war und zündete sich eine Zigarette an. Sein letzter Versuch, dem Rauchen endgültig abzuschwören, lag sieben Monate zurück. Er hatte es mit Hypnose versucht, aber sein Geist war dafür offensichtlich zu verschlossen. »Sie müssen Ihren Verstand ausschalten«, hatte der Arzt nicht ohne Nachdruck gesagt, nachdem er eine halbe Stunde lang erfolglos versucht hatte, ihn in Trance zu versetzen.

In Franks Magen rumorte es, als hinter ihm plötzlich eine Frau in grelles Lachen ausbrach, sodass er innerlich zusammenzuckte. Er warf einen Blick auf das Ziffernblatt hinter dem kratzfesten Saphirglas seiner Quarzuhr am rechten Handgelenk und stellte überrascht fest, dass er schon seit bald zwei Stunden hier war. Seine Schwester hatte ihm das gute Stück letzte Weihnachten geschenkt. Dein Zeitmesser braucht eine Generalüberholung, wir leben im einundzwanzigsten Jahrhundert, hatte Lisa gesagt und seitdem lag sein mechanischer Chronometer in der Schublade des Mahagonisekretärs.

Frank bezahlte die überteuerte Rechnung, kaufte sich am Zigarettenautomaten die zweite Packung des Tages und machte sich auf den Weg in Richtung Zwangsurlaub. Ein Wort, das jeglicher Erholung von vornherein entbehrte, wie er fand.

2

Acht Uhr dreißig. Sarah kuschelte sich ein letztes Mal ins samtweiche Baumwollsatin der mit Gerberablüten verzierten Bettwäsche, bevor sie sich langsam aufrichtete und mit unkoordinierten Schritten das Bad ansteuerte. Sie war definitiv kein Morgenmensch, ganz im Gegensatz zu Robert. Kaum hatte sie die Badezimmertür geöffnet, begrüßte er sie auch schon mit einem übereuphorischen und leicht vorwurfsvollen »Guten Morgen die Dame. Ich dachte schon, du öffnest deine Augen gar nicht mehr.«

Sarah verzog ihr Gesicht zu einem entnervten Lächeln. »Es sind eben nicht alle so krankhafte Frühaufsteher wie du.«

»Oh, die Nachteule ist gereizt«, entgegnete er spitz und gab ihr einen frechen Klaps auf den Hintern, bevor er das Bad verließ.

Sarah hasste es, wenn er das tat. Überhaupt war sie von ihm und seiner Nonchalance genervt. Er tat so, als wäre zwischen ihnen alles in bester Ordnung, aber das war es nicht. Nicht für sie.

Die Arme am Waschbecken abgestützt, betrachtete sie ihr markantes, wenngleich nicht sehr kantiges Gesicht im Spiegel, blickte sich in die mandelförmigen Haselnussaugen, die einen Tick zu nah beieinanderstanden, ließ den Blick auf ihre im oberen Drittel charmant nach rechts gekrümmte Nase gleiten, hinab zum leicht herzförmigen Mund, der in weiche und erstaunlich volle Lippen gebettet war. Während sie ihr Gesicht mit Feuchtigkeitscreme versorgte, sparte sie die Augenpartie aus, nahm anschließend das kühlende Augengel aus dem Spiegelschrank und klopfte es sanft mit den Fingerkuppen in die Haut ein.

»Beeil dich, wir müssen los«, rief Robert plötzlich durch die Tür. In ihrem Magen machte sich leichte Übelkeit bemerkbar. Lag das wirklich nur am Fire Beef von gestern Abend? Sie bezweifelte es.

»Sarah!« Roberts Stimme hatte sich jeglicher Geduld entledigt. Sie hörte, wie er entnervt etwas vor sich hinmurmelte, bis die Tür mit einem lauten Knall ins Schloss fiel. »Sieh an, Ihre Majestät hat’s doch noch geschafft«, stichelte er, als sie endlich ins Auto gestiegen war. »Wenn der Verkäufer nicht gelogen hat, ist der Wagen wirklich ein Schnäppchen, dann sind wir bestimmt nicht die einzigen Interessenten.«

Sarah wusste nicht, was es mit diesem ominösen Wagen auf sich hatte, von dem Robert, seit zwei Tagen ununterbrochen redete und es war ihr auch herzlich egal.

Ein dumpfes Grollen erfüllte die Tiefgarage. »Die Karre fällt demnächst auseinander«, murmelte Robert mehr zu sich selbst und fuhr langsam die Ausfahrt hoch.

Auf den Straßen herrschte reger Verkehr. Wie jeden Morgen übten sich die Autos im Schlange stehen. Daneben hasteten Anzugträger mit eiligen Ledersohlen in Richtung Straßenbahn und stöckelten Frauen in eleganten Zweiteilern auf acht Zentimetern bemerkenswert grazil die Straße entlang.

»Super Idee, im größten Arbeitsverkehr durch die halbe Stadt zu kurven«, giftete Sarah. Sie standen nun schon seit geschlagenen dreißig Minuten am selben Fleck und die Kolonne vor ihnen schien sich keinen Zentimeter nach vorne zu bewegen.

Robert ließ sich von Sarahs Zynismus nicht beirren. »Es wird sich lohnen, wirst schon sehen«, entgegnete er und Sarah bemerkte, wie ihm ein verschmitztes Lächeln über sein symmetrisches Gesicht huschte.

»Hier geht’s gar nicht um ein dämliches Auto, hab ich recht? Dein schelmisches Grinsen spricht Bände.« Er schwieg, was sie in ihrer Annahme bestätigte und sie fragte sich – wie schon so oft seit dieser Sache – ob sie ihm jemals wieder würde vertrauen können? »Wer einmal seine Laken teilt, wird das Bett immer wieder neu beziehen«, hatte Tante Linda gesagt, als Sarah ihr von Roberts Seitensprung erzählt hatte. Was, wenn sie recht hatte und er sie wieder betrügen würde?

»Wir sind gleich da«, rief Robert plötzlich in die Stille hinein.

Sarah hatte beinahe vergessen, dass er neben ihr saß. Sie lächelte angestrengt, aber sagte kein Wort. Robert bemerkte ihren gequälten Ausdruck.

»Was ist los, geht’s dir nicht gut?«

»Wahrscheinlich das Fire Beef von gestern«, entgegnete sie knapp und drehte ihren Kopf wieder zum Fenster.

Robert beschlich ein ungutes Gefühl. Auf einmal fürchtete er, dass sein Vorhaben scheitern könnte. Er versuchte, den Gedanken abzuschütteln. Entweder jetzt oder nie. »Voilà, Sie haben es überstanden, meine Teuerste!« Seine sonore Ansage ließ Sarah erschrocken aus dem Sitz auffahren. Sie blickte irritiert um sich, als wäre sie gerade aus dem Tiefschlaf gerissen worden. Das Gebäude vor ihr leuchtete weiß in der Morgensonne, während die Stadt darunter noch im Schatten lag.

»Darf ich vorstellen: Das Palmer-Spa-Resort, unser Liebesnest für die nächsten zwei Tage.« Er deutete feierlich auf das imposante Bauwerk. Im nächsten Moment war er ausgestiegen und hievte zwei Gepäckstücke aus dem Kofferraum. »Ich habe mir erlaubt, dir ein paar Sachen einzupacken, sonst wäre die Überraschung ja nicht gelungen«, entgegnete er frech grinsend und blickte ihr erwartungsvoll in die Augen, als rechnete er mit einem Freudenschrei ihrerseits, aber Sarah war nicht nach Jauchzen zumute. Ihr war diese ganze Sache höchst suspekt. Solche Überraschungen waren überhaupt nicht Roberts Ding. Sie musste Aileen anrufen, vielleicht wusste ihre Schwester, was das hier zu bedeuten hatte.

Während Robert den Wagen in die Garage fuhr, kramte sie in ihrer Handtasche nach dem Handy, fand es aber nicht und fluchte leise. Sie erinnerte sich, dass sie es zu Hause auf der Kommode im Flur hatte liegen lassen.

»Na los, komm schon, das Spa wartet.« Robert stand unvermittelt neben ihr, packte beide Rollkoffer – das Ziehen empfand er als verweichlicht – und ging mit schnellen Schritten auf den gläsernen Hoteleingang zu, der sich wie ein Fremdkörper vom fürstlichen Gebäude abhob, auf eigenartige Weise aber trotzdem dazu passte.

Sarah blieb neben dem immensen Aquarium stehen, das in der Eingangshalle auf einer Lichtsäule in den Tag blubberte, während Robert die Rezeption ansteuerte. Sie sah, wie ihm die junge Frau hinter dem Tresen etwas ins Ohr flüsterte, als sie ihm den Schlüssel überreichte und wie ihr blondes langes Haar seine Wangen berührte. Eifersucht erfasste sie. Es war ein Gefühl, das sie vor Roberts Seitensprung nie in solch negativer Intensität verspürt hatte.

Robert kam mit dem Zimmerschlüssel fröhlich wedelnd auf sie zu. Als er bemerkte, dass Sarah seine Euphorie nicht teilte, beschlich ihn ein weiteres Mal an diesem Tag die Angst, dass sein Plan misslingen könnte.

Das Zimmer war ein Traum, wenngleich die Beschreibung Zimmer in diesem Fall stark untertrieben war. Sarah stockte beim Anblick dieser riesigen Suite regelrecht der Atem. Das hier war größer als alle Wohnungen, die sie jemals von innen gesehen hatte und sie fragte sich unweigerlich, wie Robert sich so etwas überhaupt hatte leisten können. Die Suite war auf allen Seiten offen und wurde lediglich durch Raumteiler strukturiert. Die Eckgruppe in weißem Leder, die wie ein Hufeisen auf beiden Seiten zusammenlief, und deren leicht versetzte Metallkufen den Anschein gaben, das Möbel würde über dem naturgrauen Berberteppich schweben, war auf ein Sideboard gerichtet, auf dem ein riesiger Flachbildfernseher thronte. Sonnenstrahlen fielen durch die Terrassentüre am anderen Ende des Raumes und hinterließen auf dem Couchrücken schimmernde Lichtreflexe. Die Blätter der Smaragdpalme auf dem gläsernen Eileen Grey Tisch leuchteten in sattem Dunkelgrün.

Sarah trat hinaus auf die Terrasse. Ihr Blick blieb auf dem mit Mosaikfliesen verkleideten Pool haften.

»Nicht schlecht, was?« Robert war neben sie getreten und blickte seine Freundin erwartungsvoll an. Sarah fehlten die Worte. »Schau mal da, es gibt sogar eine Sauna.« Er deutete auf die kleine Holzhütte unter einer Überdachung aus Stein. Sarah folgte seinem Finger.

»Was ist hier los? Ich meine … So etwas passt doch überhaupt nicht zu dir«, platzte es unvermittelt aus ihr heraus.

Robert grinste schelmisch. »Wart’s ab. Geduld ist das Vertrauen, dass alles kommt, wenn die Zeit dafür reif ist.«

Seine Marotte, beinahe alles was er sagte mit einer Lebensweisheit zu untermauern, nervte. Er nahm Sarah schweigend bei der Hand und führte sie ins Zimmer zum Rundbett, das wie eine Insel den Raum ausfüllte. Erst jetzt sah sie den Champagnerkühler mit einer ungeöffneten Flasche Pommery Brut und die beiden unbenutzten Gläser auf der mit dekorativen Messingbeschlägen verzierten Kommode im Antiklook.

3

»Wohin fahren wir, gedenkst du mich etwa zu entführen?« Frank blickte in Richtung seiner jüngeren Schwester, die hinter dem Steuer neckisch grinste und ihren Blick nicht von der Straße hob.

»Und wenn dem so wäre, würden Sie mich dann verhaften, Herr Kommissar?«

»Auf Entführung stehen bis zu fünf Jahre Knast. Du tätest also gut daran, wenn ich dich nicht verhaften müsste«, erwiderte er mit gespieltem Ernst und rieb sich dabei die Schläfe. »Hast du Aspirin dabei?«

Lisa wies auf das Handschuhfach. »Das kommt davon, wenn man seinen Hendrixkonsum nicht mäßigt«, stichelte sie, was ihn innerlich zur Weißglut trieb.

»Ich konnte ja nicht wissen, dass mich meine geliebte Schwester in aller Herrgottsfrühe aus den Federn klingelt.« Er war genervt.

Lisa warf ihm einen ermahnenden Blick zu. »Darf ich dich daran erinnern, dass ich dich in deinem Egg Chair vorgefunden habe? Mit Federn hat das reichlich wenig zu tun.«

»Ja, schon gut, dann hast du mich eben aus dem Sessel geklingelt, aber darum geht’s nicht.«

»Und worum geht’s dann?«

»Darum, dass ich Überraschungen nicht ausstehen kann. Also würdest du mir jetzt gnädigerweise verraten, wohin die Reise geht?«

»Sorry Bruderherz, von mir erfährst du nichts.«

Er betrachtete sie argwöhnisch von der Seite. Was hatte sie bloß mit ihm vor? Letzte Woche hatte sie ihn mit Mühe und Not überredet, mit ihr ins Solebad zu gehen. »Wehe du bringst mich in ein Spa oder zu sonst irgendeinem Entspannungskram«, sagte er warnend.

Lisa lächelte kess und kniff ihn zärtlich in die Backe, eine nervtötende und dennoch irgendwie liebenswerte Angewohnheit. »Du bewegst dich auf sehr dünnem Eis, Fräulein.«

Sie bemerkte die subtile Ernsthaftigkeit in der Stimme ihres Bruders. »Komm schon Frankyboy«, stichelte sie, »bleib locker. Du wirst es schon überleben.«

»Was es auch ist, ich zahl es dir heim, Schwesterherz, allein schon das Frankyboy.« Er griff demonstrativ in seine abgewetzte Umhängetasche, deren schwarzes Leder nur noch bruchstückhaft zu erkennen war, und schenkte sich aus seiner mit unzähligen Kratzern übersäten Thermoskanne Kaffee in den Deckel ein. Die schwarze Flüssigkeit dampfte wohlriechend aus dem beinahe bis zum Rand gefüllten Becher. Schwarz und ohne Zucker. Vorsichtig und mit gespitzten Lippen versuchte er ein Überschwappen zu vermeiden.

»Dein wievielter ist das heute?« Lisa deutete mit einem Nicken auf den Becher in Franks Hand.

»Der Wievielte soll es schon sein? Du warst ja die ganze Zeit bei mir.« Seine Stimme klang vorwurfsvoller als er beabsichtigt hatte. Lisa verstand den Wink und verkniff sich einen weiteren Kommentar. Sie hatte ihren Versuch längst aufgegeben, ihn zum Teetrinker zu bekehren.

Die Blechlawine vor ihnen bewegte sich im Zeitlupentempo Richtung Stadt, während die Sonne grelle Lichtreflexe auf die Wagendächer warf. Frank öffnete das Fenster bis zum Anschlag.

»Weißt du noch damals als wir zu Großmutter wollten und am Ende ein Hamburgerembargo auferlegt bekommen haben?«, fragte Lisa plötzlich.

Er nickte lächelnd. »Wir haben Paps so lange genervt, bis er mit uns zu Mac Donald gefahren ist.«

»Ja, genau. Und danach sind wir fast zwei Stunden im Stau gestanden wegen eines Unfalls. Großmutters Essen war natürlich längst kalt geworden. Danach durften wir das Wort Hamburger monatelang nicht einmal mehr in den Mund nehmen.«

»Wir waren aber auch ganz schön nervtötend. Ich habe pausenlos ›Happy Meal!‹ geschrien und dabei auf den Autositz getrommelt und du hast meine Tiraden jedes Mal mit einem kreischenden ›Jaaaa!‹ untermauert.« Er hatte dieses Ereignis noch so klar vor Augen, als wäre es gestern gewesen.

»Unglaublich, dass er nun schon seit über vierzig Jahren nicht mehr bei uns ist«, bemerkte Lisa nachdenklich. Ein bedrückendes Schweigen spannte sich wie eine schwarze Wolke der Erinnerung über sie.

Frank durchbrach die Stille als Erster, wobei er bewusst das Thema wechselte. Ihm war heute nicht nach Erinnerung zumute. »Wie lange dauert deine Überraschungsfahrt noch, du Entführerin? Gib endlich Stoff Baby!« Jetzt lachten beide.

Der auf beiden Seiten mit Buchsbäumen gesäumte rote Teppich des 1877 erbauten Gebäudes führte in eine Eingangshalle, die sich als gläserner Anbau vom sonst klassisch feudalen Stil abhob und auf innovative Weise eine Symbiose zwischen Belle Époque und moderner Architektur bildete. Frank war mulmig. Der Anblick dieses luxuriösen Resorts trieb vor seinem inneren Auge unweigerlich die Kreditkartenabrechnung in die Höhe.

Lisa bemerkte den skeptisch besorgten Blick ihres Bruders. »Keine Sorge, das Zimmer geht auf Mama und mich. Wir sind der Meinung, dass du einen Tapetenwechsel vertragen könntest.«

»So, so«, entgegnete Frank, nicht ohne eingeschnappt zu klingen. »Und ich werde gar nicht erst gefragt, oder wie?« Sein zynischer Unterton war nicht zu überhören.

»Jetzt spiel mal nicht den Beleidigten. Manche Menschen muss man eben zur Erholung zwingen und da gehörst du leider dazu.« Lisa kniff ihn abermals in die Backe.

Als sie mit dem Zimmerschlüssel zurückkam, stand er draußen und zog an einer Zigarette. »Da bist du«, rief sie. »Am qualmen, wie immer, was?« Er überhörte ihren spitzen Kommentar.

Sie reichte ihm den Schlüssel, an dessen Kopf ein vergoldetes Messingschild mit der eingravierten Ziffer vierundsiebzig hing. »Wenn du möchtest, hol ich dich in zwei Tagen wieder ab, ruf mich einfach an. Und jetzt viel Spaß. Erhol dich gut.« Sie drückte ihm zum Abschied einen Kuss auf die Wange, und ehe Frank etwas entgegnen konnte, war sie auch schon in ihrem kirschroten Mini Cooper in der Senke verschwunden.

Das Zimmer war ein rustikaler Raum, in dessen Mitte eine fünfflammige Deckenleuchte von der hohen mit Stuckaturen verzierten Decke hing. Die linke Raumhälfte bestand aus einem Doppelbett, dessen Rahmen aus massivem Rotahorn perfekt auf die Nachttische abgestimmt war, welche zu beiden Seiten an der hölzernen und farblich angepassten Wandvertäfelung, die sich in einem Streifen über den gesamten Schlafbereich erstreckte, angebracht waren. Frank öffnete den massiven Kleiderschrank auf der gegenüberliegenden Seite des Raumes und blickte in das leere Innenleben. Was hatte er auch anderes erwartet? Obwohl er kein Freund der kompletten Verholzung war, konnte er diesem Zimmer einen gewissen Charme nicht absprechen. Er schob die cremefarbenen Leinenvorhänge zur Seite und trat auf den schmucken kleinen Balkon, der den Blick auf die Stadt und den See unter ihm freigab. Das Blau des Wassers glänzte in der Mittagssonne, Segelboote glitten wie Spielzeuge über die scheinbar spiegelglatte Fläche. Er setzte sich auf einen der beiden Eisenstühle – allem Anschein nach Originale aus der viktorianischen Zeit – die um einen kleinen, ebenso viktorianischen Tisch angeordnet waren. Eine großflächige Wolke hatte sich vor die Sonne geschoben und tauchte die Landschaft vor ihm in Schatten. Er zündete sich eine Zigarette an und blies den Rauch geräuschvoll in die Luft. Was hatten sich Lisa und seine Mutter bloß dabei gedacht, ihn einfach mir nichts dir nichts hier abzusetzen? Er sehnte sich nach einem Glas Macallan, sich der Tatsache wohl bewusst, dass erst Mittag war. Glut fiel von der Zigarettenspitze auf seinen Fingerrücken. Er fuhr erschrocken hoch, sodass der winzige Feuerfunke auf seinen Hosen landete. »Verflucht!« Er entsorgte die Parisienne im Aschenbecher, als es plötzlich klopfte.

»Herzlich willkommen in unserem Haus, Herr Vela, und entschuldigen Sie die Störung. Ich wurde von ihrer Schwester angewiesen, Ihnen diesen Umschlag zu überreichen.«

Der Mann in der Tür schien nicht älter als dreißig, obwohl sein schütteres und stellenweise bereits ergrautes Haar seine Gesichtszüge wesentlich verhärtete. Der schwarze Anzug war maßgeschneidert, das konnte selbst Frank erkennen. Aber auch dieser Umstand vermochte nicht über die unsichere Ausstrahlung dieses jungen Mannes hinwegzutäuschen, der nun sichtlich angespannt versuchte, die Contenance zu wahren und Frank ungelenk einen weißen Umschlag entgegenstreckte. Auf seiner Stirn hatte sich eine kleine Schweißperle gebildet, die auf ihrem Weg nach unten langsam über sein linkes Augenlid zum Jochbein glitt, entlang der schmalen Nase hinunter zu seinem dünnen Mund, bis er der Odyssee mit einer kurzen Zungenbewegung ein Ende setzte. Als er sah, dass Frank ihn beobachtete, stieg ihm die Schamesröte ins Gesicht und seine glühenden Ohren, die vor lauter Befangenheit zu verbrennen drohten, weckten in Frank das Bedürfnis nach dem Feuerlöscher zu greifen.

4

Sarah spürte, wie sich alles in ihr verkrampfte. Sie saß auf dem Bettrand, die Hände zwischen die Knie gepresst. Eine Wolke hatte sich über die Sonne geschoben und tauchte alles um sie herum in dunkles Licht. Plötzlich sprang Robert auf sie zu.

»Na, bereit für ein Gläschen?« Er deutete mit dem Kopf zum Champagnerkühler und schwenkte die beiden Kelche vor ihr hin und her.

»Es ist doch erst Mittag … « Sarah wich seinem erstaunten Blick aus.

»Und wenn schon. Wir sind schließlich nicht bei der Arbeit. Außerdem hat ein Mittagsgläschen, soweit ich weiß, noch niemandem geschadet – Alkoholiker ausgenommen.« Er streckte ihr das gefüllte Glas entgegen. »Auf uns und niemanden sonst«, sagte er und trank den Inhalt zu Sarahs Erstaunen in einem Zug leer.

Sie nahm nur einen kleinen Schluck und stellte das Glas auf den Nachttisch neben dem Bett. Was führte Robert hier im Schilde? Er glaubte wohl, dass zwei romantische Spatage alles wieder glattbügeln würden, aber da täuschte er sich. Sie konnte nicht einfach so tun, als wäre die Sache mit Melissa nie passiert. Sie erhob sich ruckartig. »Ich entspann mich ein bisschen in der Sauna«, rief sie ihm zu, während er sich am Koffer zu schaffen machte. Schnell zog sie sich den Bademantel über und ging mit eiligen Schritten am Pool vorbei zur Holzhütte. Robert rief ihr etwas nach, aber sie tat, als hätte sie ihn nicht gehört.

Ihre Poren öffneten sich angesichts der wohltuenden Dämpfe und hinterließen kleine Schweißperlen auf der Haut, während sie mit geschlossenen Augen auf der Holzbank lag und innerlich den Entschluss fasste, die Beziehung mit Robert zu beenden.

»Gönne dir einen Augenblick der Ruhe und du begreifst, wie närrisch du herumgehastet bist«, sagte er pathetisch, als Sarah aus der Sauna zurückgekommen war, und gab ihr einen Kuss auf die Wange. Eine unerträgliche Spannung lag in der Luft. Ihr Herz pochte hart gegen ihre Brust, und noch bevor sie imstande war, einen klaren Gedanken zu fassen, war er plötzlich vor ihr auf die Knie gesunken und streckte ihr eine schwarze Samtschatulle entgegen, in der ein tropfenförmiger, rosafarbener Diamant in einer Goldfassung zum Vorschein kam. Der Anblick des Rings machte sie sprachlos. Wusste er nach sieben Jahren etwa nicht, dass sie weder Goldschmuck trug, noch die Farbe rosa mochte? Roberts Stimme holte sie zurück auf den Boden der Tatsachen.

»Und, was sagst du?«, fragte er salopp, die Augen hoffnungsvoll auf die ihren gerichtet. Seine Begeisterung verschwand augenblicklich aus seinem Gesicht, als er ihren irritierten Gesichtsausdruck bemerkte.

»Wir müssen reden«, sagte Sarah mit dünner Stimme und knetete nervös ihre Finger während Robert noch immer vor ihr kniete und gerade begriff, dass sich seine schlimmste Befürchtung bewahrheitet hatte.

»Das mit uns … Es geht einfach nicht mehr … « Sie schluchzte. Tränen liefen ihr über die Wangen und hinterließen ein klebriges Gefühl. »Ich kann dir nicht mehr vertrauen. Ich hab’s versucht, glaube mir, und mir ständig eingeredet, dass wir es schaffen und alles wieder wie früher wird. Aber das wird es nicht. Nie wieder.«

Robert wirkte wie versteinert, dann sprang er unvermittelt auf. »Spiel diese ganze Sache doch nicht so hoch, das war ein einmaliger Ausrutscher und das weißt du! Ich habe mich mindestens tausendmal bei dir entschuldigt, was soll ich denn noch tun, sag es mir?!« Er packte sie am Arm und zog sie an sich.

Sarah stieß ihn mit aller Kraft weg und löste sich mit einer Drehung aus seiner Umklammerung. »Lass mich los! Wie kannst du es wagen, mir zu sagen, ich solle keine große Sache daraus machen? Soviel ich weiß, bist du derjenige, der mit irgendeiner dahergelaufenen Tussi ins Bett gestiegen ist, und zwar ganze drei Mal oder etwa nicht? Das ›Einmalig kannst du dir also sparen«, schrie sie.

»Und dass ich ehrlich zu dir war, zählt das etwa gar nicht? Die ganze Sache hat mir nichts bedeutet. Verdammt, würde ich sonst hier vor dir knien und dich bitten, meine Frau zu werden?!« Auf Roberts Stirn trat eine dicke, blaue Ader hervor.

»Ein Heiratsantrag ändert nichts an der Tatsache, dass du mich betrogen hast«, rief sie wütend. »Jetzt endlich ist mir klar, was deine übertriebene Eifersucht all die Jahre zu bedeuten hatte!« Sie lief an ihm vorbei zur Tür und zog ihre mit Nieten verzierten Ankleboots an.