Eine leicht sentimentale Einleitung über die allgemeine Freude an der Natur
Irgendwo wird es immer Gärten gegeben haben. Wo eine Kultur wächst, ordnet der Mensch das Wildwachsende. Wo man über die Not hinaussieht, wo der Hunger gestillt, die Blöße bedeckt ist und das schützende Dach dem Regen besser wehrt als Höhle und Erdloch, da beginnt der Mensch, das Überflüssigste dieser Erde liebevoll zu bedenken, und er begießt die weder Nahrung noch Kleidung spendenden Blumen.
In einem Garten zu sitzen, das ist ein Traum, der Traum vom Ruhen und Rasten, wenn des Tages Werk getan, wenn der Woche Werk getan, wenn des Lebens Werk getan.
Es ist noch mehr. Ob Kriege die Städte zerstört und Mensch gegen Mensch gehetzt – der Überlebende findet immer im Frühling den aufbrechenden Samen, Körnchen und Fäden und manchmal sogar eine Zwiebel, im geschäftigen Erdreich verborgen, oder am Treffpunkt von Blatt und dem dürre scheinenden Zweig die Knospen in der klebrigen Hülle, wartend auf Wärme, auf Sonne, auf längere Tage oder, im Wüstengürtel der Erde, auf Regen. Wer jedes Kommende pflegt, ihm Platz schafft und es tränkt, der ist vor Enttäuschung bewahrt. Dankbar ist alles Wachsende für Pflege und Liebe, und ein blühender Sommer erwartet den sorgenden Gärtner, und der säende Mensch fühlt sich Gott gleich, wenn er erlebt, dass der Samen aufgeht.
Denn die Pflanzen sind das Wichtigste auf der Welt. Sie bedürfen des Menschen nicht. Aber der Mensch könnte nicht leben ohne die Pflanzen, und so begann es: »Und Gott sprach: Es lasse die Erde Gewächse sprossen, Kraut, das Samen bringt und Fruchtbäume nach ihrer Art, die Frucht tragen, worin ihr Samen ist, auf der Erde!« »Und es pflanzte Gott, der Herr, einen Garten in Eden gegen Osten. Und da ließ Gott, der Herr, aufsprossen aus dem Erdboden allerlei Bäume, lieblich zum Ansehen und gut zum Essen. Es war aber der Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen. Und ein Strom ging aus von Eden, den Garten zu bewässern …« Und die Menschen liebten ihre Gärten, die sie an den Garten Eden erinnerten, und die Blumen, die darin wuchsen, zu allen Zeiten und in allen Ländern.
Die Ägypter hatten eine blaue Seerose um ihren Arm gewunden, wenn sie ihren Göttern Blumen als Opfer darbrachten. Die Buddhisten legen Blumen vor das Bild des Buddha. Die Azteken schmückten ihre Tempel, in denen sie den Gefangenen das Herz bei lebendigem Leibe herausrissen, mit Blumen. Die Chinesen legen Blumen auf ihre Altäre. In allen Kirchen der Welt stehen Blumen.
Das persische Wort für Garten, aus welchem sich unser Wort Paradies entwickelte, kam durch Xenophon nach Griechenland. Paradies und Garten bedeuten also dasselbe. Paradies ist kein Synonym für die Liebe oder die Freuden der Jugend, für den Tanz oder die Landschaft aus Berg und Tal und sich windendem Fluss. Es bedeutet nichts anderes als Garten. Das Glück des Jenseits besteht auch im Koran darin, in einem entzückenden Garten zu sitzen.
Die Chinesen sagen: »Willst du eine Stunde glücklich sein, dann betrinke dich! Willst du drei Tage glücklich sein, dann nimm ein Weib! Willst du drei Monate glücklich sein, dann schlachte ein Schwein und iss es in drei Monaten auf! Willst du das ganze Leben glücklich sein, dann werde ein Gärtner!«
»Glück ist, in beiden Händen Blumen zu halten«, sagt man in Japan.
Thomas Morus sah schon, wie wichtig ein Garten für die kleinen Leute ist, und er beschrieb in seinem Zukunftsroman Utopia (1551), wie er sich die neue Lebensweise vorstellte: »Jedes Haus soll hinten einen großen Garten haben und einen Vorder- und einen Hinterausgang. Wer will, soll in jedes Haus gehen können, denn nichts in dem Haus ist Privateigentum. Alle zehn Jahre werden die Häuser neu verlost. Den Bewohnern sind ihre Gärten sehr wichtig, in denen sie Weinlauben haben und alle Arten von Obst, Gewürzen und Blumen wachsen. Sie sind so prachtvoll gehalten, wie ich es nirgends sonst gesehen habe, nicht nur, weil den Leuten die Gartenarbeit Spaß macht, sondern weil ein Wetteifer entstanden ist zwischen Straße und Straße, wer seinen Garten am besten hält.«
Vieles, was der edle Thomas Morus erträumte, ist in England verwirklicht worden. Denn der Sozialismus in England ist nicht aus dem Kopf von Karl Marx entsprungen wie Pallas Athene aus dem Haupte des Zeus, sondern hat Wurzeln, die tief in die Vergangenheit hinabreichen, und zu dieser Vergangenheit gehören die Bibel und die Utopia des Thomas Morus. In ganz England stehen kleine Häuser, die einen Vorder- und einen Hinterausgang haben und einen Vorder- und einen Hintergarten. Die Gärtnerei nimmt einen großen Platz im Leben ein, und ein Wetteifer ist entstanden, wer seinen Garten am besten hält.
Aber nicht nur Durchschnittsmenschen, sondern auch die, die ein an Genüssen und Taten reiches Leben hatten, denen der Erdball nicht zu genügen schien, finden am Ende Glück oder doch Trost im Säen und Beschneiden. Napoleon beschäftigte sich auf St. Helena mit Gartenarbeit. Als Fazit eines Lebens, das eine Suche nach Erfolg, Geld, Liebe war, aber nichts brachte als Totschlag, Flucht, Gemeinheiten aller Art, ließ Voltaire seinen Candide sagen: Il faut cultiver notre jardin. »Gärtner Voltaire« nennen ihn die Franzosen, ihn, der auch das Fazit seines eigenen Lebens derart zog: »Ich habe viel gelesen und nur Unsicherheit, Lügen und Fanatismus gefunden. Ich bin beinahe so klug, was das Wesentliche angeht, wie ich als Säugling war. Ich ziehe es vor, zu pflanzen, zu säen, frei zu sein.«
Es ist nur natur-gemäß oder garten-gemäß, dass Gärtner älter werden als andre Leute. Der große Le Notre, der den Mut hatte, die Natur umzuschaffen, der Landschaften schuf nach seinem Willen, wurde fast neunzig. Der alte Castor, bei dem sich Plinius über Pflanzen unterrichtete, wurde über hundert Jahre alt. Mr. Russel, der die Russel-Lupinen züchtete, pflanzte noch, als er dreiundneunzig war. Bernhard Shaw, der Gärtnerfreuden und Krautessen mit einem beizenden Witz, den man städtisch zu nennen gewohnt ist, zu verbinden verstand, starb an einem Unfall, den er sich zuzog, als er allzu eifrig eine Hecke beschnitt. Auch der Gärtner Lakeman, der Charles Darwin mit seinen Beobachtungen fast dreißig Jahre lang half, starb sechsundneunzig Jahre alt. Er hatte seinen Morgentee im Bett getrunken und seinem Gehilfen sagen lassen, er möge die Tulpen ausgraben, um für die Federnelken Platz zu machen, und dann ein bisschen hacken – als er sich zurücklegte und starb.
Es wäre ja auch höchst seltsam, wenn die Menschen nicht in allen Ländern und zu allen Zeiten Gärten geliebt hätten. Denn ganz nahe ist das menschliche Leben dem Gartenjahr verwandt. Im Februar wird der Mensch geboren, im März verbringt er das erste Jahrzehnt seines Lebens bis zum vierzehnten Jahre, in dem er in den April tritt als ein blühendes Wesen, das dann im Mai Hochzeit feiert. Der Juni ist sein drittes Jahrzehnt, und vierzig ist er im Juli. Dann kommen der August und der September, die Ernte des Lebens, das Sammeln für Küche und Keller, und noch einmal das Bunte, das Abschiednehmen in Weisheit. Oktober, das sind die Sechzigerjahre. Dann kommen der November und der Dezember, Siebzig und Achtzig, das leise Vertrocknen an Körper und Geist, bis Stille einzieht. Und der Mensch und die Natur im Januar enden im weißen Totenhemd.
G.T.