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Dargestellte Personen auf den Titelbildern stehen mit dem Roman in keinem Zusammenhang.
ISBN: 978-3-74096-367-5
Butler Parker wurde ganz offensichtlich abgelenkt. Er stand in würdevoller Haltung neben seinem hoch-beinigen Wagen und übersah das Näherkommen von Lady Agatha Simpson. Sie wurde von ihrer äußerst attraktiven, jungen Gesellschafterin begleitet, die wie ein scheues Reh folgte. Kathy Porter winkte in Rich-tung Parker um auf Lady Agatha aufmerksam zu machen, doch der Butler reagierte nicht.
Was menschlich verständlich war.
Vom Parkplatz aus konnte der Butler bequem über eine hohe Taxushecke ein Grundstück beobachten, das seltsame Reize bot. Diese Reize versprühte eine junge Frau, die entfernt an ein amerikanisches Sexidol der 50er Jahre erinnerte. Eine gelungene Kopie der Marilyn Monroe stand am Rand eines überdachten Swim-ming-pools vor einer Staffelei und betätigte sich als Malerin. Was sie so an Ölfarben auf die Leinwand strich und spachtelte, interessierte den Butler nur sehr wenig. Seine Blicke wurden von den ausgeprägten Körperli-nien dieser Frau angezogen, die etwa 25 Jahre zählte.
Sie trug ungemein knappe Shorts, die an sich schon eine einzige Herausforderung darstellten. Ihre langen, schlanken Beine endeten in hochhackigen Sandalen. Die aggressive Wucht ihrer Oberweite steckte in einer augenscheinlich hauchdünnen Bluse, die deutlich zeigte, daß die junge Dame auf Stützen jeder Art bewußt verzichtete. Das Haar war schulterlang und honigblond.
Nicht nur Parker war beeindruckt.
Es gab da auf dem Parkplatz eine Reihe von Männern aller Altersklassen, die völlig vergaßen, daß sie ei-gentlich in ihre Wagen steigen wollten. Diese Männer sahen verstohlen oder offen hinüber auf das Grund-stück und auf die Malerin, die sich wohl nicht bewußt war, wie sehr sie die Räumung des Parkplatzes verzö-gerte.
Der Parkplatz gehörte zu den Tennisanlagen von Kew Gardens, westlich von London, an der Themse ge-legen. Das Match einiger lokaler Vereine war vor zehn Minuten beendet worden. Der Andrang auf dem Parkplatz war dementsprechend massiv.
Der überdachte Swimming-pool gehörte zu einem kleinen Landsitz, der von weiten, gepflegten Rasenflä-chen und Baumgruppen umgeben wurde. Dieser Swimming-pool mit den zum Garten hin geöffneten Glastü-ren fügte sich gerade noch in das ansonsten seriöse Gesamtbild ein.
»Ich werde für Sie den ›Playboy‹ abonnieren«, ließ Agatha Simpson sich ironisch vernehmen. Sie stand inzwischen seitlich hinter ihrem Butler und beobachtete ebenfalls die Künstlerin.
»Ich bitte um Vergebung«, erwiderte Parker ein wenig irritiert, »ich muß Mylady übersehen haben.«
»Kunststück!« Agatha Simpson lachte ein wenig anzüglich. »Damit kann ich natürlich nicht konkurrie-ren.«
Was vollkommen stimmte.
Lady Agatha Simpson war etwa 60 Jahre alt, groß und erinnert an eine Bühnenheroine vergangener Thea-terzeiten. Sie hatte ein volles Gesicht mit sehr vielen Lachfältchen um Mund und Augen, besaß eine Art Ad-lernase und ein energisches Kinn. Die dunklen Augen waren in steter Bewegung. Einer Lady Agatha entging kaum etwas von Interesse.
Sie trug ein an sich teures Jackenkleid, das allerdings zu groß und zu bequem war. Es hing faltenreich an ihr herunter und paßte auf den Punkt genau zu den großen, derb wirkenden Schuhen, die Lady Agatha be-vorzugte.
»Reißen Sie sich von dieser Einladung los«, meinte Parkers Herrin und deutete mit ihrer Lorgnette hinüber auf das Grundstück. »Dieses Dämchen posiert etwas zu eindeutig.«
»Wie Mylady befehlen«, erwiderte der Butler und wandte sich zu seinem Wagen um.
Genau in diesem Augenblick fiel der Schuß!
*
Die Monroe-Kopie vor der Staffelei stieß einen entsetzten Schrei aus und rannte zur Terrasse des Hauses. Dabei verlor sie das Gleichgewicht, rutschte aus und landete mit einem zweiten Aufschrei im spritzenden Wasser. Sie schien nicht besonders sportlich zu sein. Sie schlug wild um sich und paddelte an den Rand des Swimmingpools heran.
Die Staffelei war wie von einer unsichtbaren Riesenfaust zur Seite geschleudert worden und lag zusam-mengeknickt im Gras.
Lady Agatha, Parker und Kathy Porter erhoben sich aus ihrer Kniebeuge, die sie beim Aufpeitschen des Schusses automatisch eingenommen hatten.
»Sollte da irgendein Flegel auf mich geschossen haben?« fragte die Sechzigjährige ergrimmt.
»Keineswegs, Mylady«, gab der Butler zurück und wies mit der Spitze seines Universal-Regenschirms auf den Swimming-pool, aus dem die Monroe-Kopie gerade herauskletterte, um dann in langen Sätzen auf das Haus zuzulaufen.
»Das will ich mir auch ausgebeten haben«, stellte Agatha Simpson fest. »Kommen Sie, Mister Parker! Wir werden gebraucht.«
»Sind Mylady sicher?« fragte Parker zögernd.
»Es handelt sich doch offensichtlich um einen Mordversuch«, freute sich die alte Dame und sah ihren But-ler unternehmungslustig an. »Sehen Sie sich das an!«
Der Schuß und die flüchtende Malerin hatten bei den männlichen Zuschauern auf dem Parkplatz erstaunli-che Reaktionen ausgelöst. Die Mehrzahl der Betrachter befand sich noch in Deckung zwischen den abge-stellten Wagen. Doch einige mutige Männer hasteten auf die Taxushecke zu, um der Monroe-Kopie ihre Hil-fe anzubieten. Sie warfen sich auf und unter die Hecke und arbeiteten sich wütend durch dieses Hindernis.
»Worauf warten Sie noch, Mister Parker?« Lady Simpson setzte sich in Bewegung, aber sie hielt keines-wegs auf die Taxushecke zu. Sie marschierte auf ihren stämmigen Beinen zum angrenzenden Grundstück, das einen etwas verwilderten Eindruck machte. Damit bewies die passionierte Detektivin, daß sie die Lage durchaus richtig einschätzte. Der Schuß mußte von diesem Grundstück aus abgefeuert worden sein.
Parker folgte notgedrungen, wobei er mit Agatha Simpsons Gesellschafterin einen hilfesuchenden und er-gebenen Blick wechselte.
Es war also wieder mal passiert.
Agatha Simpson war mit einem interessanten Fall konfrontiert worden. Sie würde nun nicht eher ruhen, bis dieser Fall geklärt war. Die resolute Dame sehnte sich nach Abwechslungen dieser Art. Und erstaunli-cherweise kam sie immer wieder auf ihre Kosten.
»Einen Augenblick, bitte, Sir …« Agatha Simpson hatte den Parkplatz verlassen und rief jetzt einen jun-gen Mann an, der hinter dichtem Busch- und Strauchwerk rechts vom Parkplatz hervorkam. Er schleppte bezeichnenderweise einen Geigenkasten mit sich herum.
Der junge Mann war etwa 25 Jahre alt, schlank und mittelgroß. Er trug gepflegte, sportliche Kleidung und paßte durchaus in diese Gegend.
»Einen Moment, bitte!« Lady Simpsons Stimme klang bereits wesentlich schärfer. Sie war nicht gewillt, diesen Mann ziehen zu lassen. Unternehmungslustig funkelten ihre schwarzen Augen.
Der Geigenkasten!
Das war ein Indiz nach Myladys Geschmack.
Natürlich wußte sie aus Erfahrung, daß in solchen Behältern nicht ausschließlich Instrumente transportiert wurden, Kästen dieser Art enthielten recht oft Schußwaffen aller Art.
Der junge Mann reagierte noch immer nicht.
Er war allerdings etwas schneller geworden und hielt jetzt auf einen Hillman zu, der am Straßenrand vor dem Parkplatz abgestellt worden war.
»Warten Sie!« Lady Simpsons Stimme grollte. Sie blieb stehen und bemühte ihren Pompadour.
Es handelte sich um ein mit Straß und Perlen besticktes Handbeutelchen, wie es von älteren Damen gern benutzt wird, um Gegenstände persönlichster Art aufzubewahren. Myladys Pompadour war allerdings we-sentlich größer als der Durchschnitt und schien mehr zu enthalten als nur einige Toilettenartikel.
Lady Agatha hielt die Schnüre des Pompadours in der rechten Hand und ließ ihn kreisen. Dann, mit einer leichten Verbeugung, ließ sie die Schnüre los und schickte den Handbeutel auf die Reise.
Agatha Simpsons. Geschicklichkeit war schon eine beachtenswerte Sache. Der Pompadour zischte nach-drücklich durch die Luft, überbrückte die fast 20 Meter und … klatschte dann gegen den Hinterkopf des Geigenspielers.
Der Musikus – falls er einer war – blieb sofort stehen.
Dann rutschte er allerdings im Zeitlupentempo in sich zusammen, wobei er den Geigenkasten, den er sich unter den Arm geklemmt hatte, verlor. Es staubte ein wenig, als der Mann auf dem Boden landete.
»Treffer!« stellte Lady Agatha zufrieden fest. »Widmen wir uns diesem Subjekt, Mister Parker. Es befand sich nicht grundlos auf der Flucht.«
Parker beeilte sich, zu dem jungen Mann zu kommen.
Er wußte sehr gut, daß der Mann Hilfe brauchte. Parker kannte nämlich den Inhalt des Pompadours. In dem Handbeutel befand sich Myladys Glücksbringer: ein echtes Hufeisen von beachtlichem Gewicht.
Der junge Mann stöhnte leicht, als Parker sich über ihn beugte.
»Sie hatten einen Unfall?« erkundigte sich der Butler und nahm den Pompadour schnell an sich. Er ließ ihn unter seinem schwarzen Zweireiher verschwinden.
»Ohhh …« stöhnte der junge Mann.
»Nur eine kleine Beule, die allerdings noch wachsen wird«, beruhigte Parker den Getroffenen und richtete ihn vorsichtig auf. Dabei achtete er darauf, daß der junge Mann nicht mitbekam, wie Lady Agatha bereits ungeniert und ungemein erwartungsvoll den Geigenkasten öffnete.
Sie beugte sich über den nun geöffneten Behälter und nahm dann sehr langsam und etwas betroffen wie-der den Kopf hoch. Anschließend präsentierte sie Parker den Inhalt des Kastens.
»Ohhh!« war Josuah Parkers einzige Reaktion.
Die Geige im Kasten war nicht zu übersehen. Lady Agatha schien ihren Pompadour auf den falschen Hin-terkopf gewirbelt zu haben.
*
»Sie hätten mich warnen müssen«, raunzte Agatha Simpson ihren Butler an. »Sie wissen doch, daß ich manchmal ein wenig impulsiv bin.«
Parker saß am Steuer des Wagens, Agatha Simpson und Kathy Porter hatten im Fond des hochbeinigen Monstrums Platz genommen. Bei diesem Wagen handelte es sich um ein ehemaliges Londoner Taxi, das nach Parkers Wünschen frisiert und umgebaut worden war. Dieser Wagen war jetzt eine Trickkiste auf Rä-dern und zeichnete sich durch technische Raffinessen aller Art aus.
»Warum sagen Sie nichts?« wollte Lady Agatha wissen, als Parker beharrlich schwieg.
»Ich möchte Mylady nicht widersprechen«, sagte der Butler, »zudem möchte ich an dieser Stelle darauf hinweisen, daß der Träger des Geigenkastens sehr wohl eine Waffe mit sich führte …«
»Wie bitte?«
»Besagter junger Mann besaß eine Handfeuerwaffe, Mylady.«
»Und das sagen Sie mir erst jetzt? Wie finden Sie das, Kindchen? Das ist doch ein glatter Mißbrauch mei-nes Vertrauens.«
Kathy Porter hütete sich, Stellung zu nehmen.
»Er hatte einen Revolver bei sich?« fragte Agatha Simpson eifrig.
»Eine Pistole. Eine Automatik vom Kaliber 9 Millimeter, um ganz genau zu sein, Mylady.«
»Und dann lassen Sie dieses verkommene Subjekt so einfach laufen, Mister Parker? Soll ich mich wundern oder ärgern?«
»Vielleicht sollten Mylady auf beide Möglichkeiten freiwillig verzichten«, schlug der Butler vor. »Ich war natürlich so frei, die Personalien des Musikanten festzustellen.«
»Und? Wie heißt dieses Individuum?«
»Es handelt sich um einen gewissen Marty Pearson, Mylady, wohnhaft in London. Wenn Mylady es wün-schen, kann ich mit der vollständigen Adresse dienen.«
»Verschonen Sie mich mit diesen Einzelheiten«, grollte Agatha Simpson zurück. Sie wollte sich auf keinen Fall ablenken lassen. Und sie fragte auch nicht, auf welche Art und Weise Parker sich die Adresse verschafft hatte. Die Lady wußte inzwischen längst, daß ihr Butler eine Fingerfertigkeit besaß, die einen professionel-len Taschendieb hätte erröten lassen.
»Könnte dieser Marty Pearson auf die Malerin geschossen haben?« fragte Kathy Porter.
»Keineswegs mit der Pistole«, gab der Butler zurück, »dazu war die Entfernung zu groß.«
»Hoffentlich sind wir bereits auf dem Weg nach London«, erkundigte sich Agatha Simpson grimmig. »Dieser Pearson wird mir Rede und Antwort stehen müssen.«
»Wie Mylady befehlen«, gab der Butler ungerührt und höflich zurück, »aber darf ich mich erkühnen, Mylady einen Vorschlag zu unterbreiten?«
»Lenken Sie mich nur nicht ab, Mister Parker«, Agatha Simpsons Stimme ließ Mißtrauen erkennen. Sie hatte herausgefunden, daß ihr Butler in letzter Zeit alles tat, um Kriminalfällen aus dem Weg zu gehen. Was Mylady selbstverständlich nicht paßte.
»Man sollte sich vor dem Gespräch mit Mister Pearson mit der Malerin befassen«, redete der Butler inzwi-schen weiter. »Ohne Grund dürfte man nicht auf sie geschossen haben.«
»Und wie wollen Sie das bewerkstelligen?«
»Die junge Dame kann unmöglich die Besitzerin des Landsitzes sein, Mylady.«
»Natürlich nicht. Danach sah sie wirklich nicht aus. Ich werde mich darum kümmern, Mister Parker.«
»Vielen Dank, Mylady.«
»Zum Teufel mit Ihrer Höflichkeit«, entfuhr es der Sechzigjährigen, »sagen Sie mir lieber, warum wir uns den Tatort nicht angesehen haben.«
»Darf ich Mylady nachträglich an die Zahl jener Herren erinnern, die der jungen Künstlerin Hilfestellung anbieten wollten?«
»Dennoch … Vielleicht hätten wir eine heiße Spur entdeckt, Mister Parker.«
»Einzelheiten zur Tat können wir mit Sicherheit der Abendpresse entnehmen, Mylady.«
»Nun ja, Augen- und Ohrenzeugen gab’s ja genug«, pflichtete Lady Simpson ihrem Butler bei, »eigentlich überraschend, daß der Schütze sich ausgerechnet diese Zeit ausgesucht hat, finden Sie nicht auch? Auf dem Parkplatz wimmelt es geradezu von Leuten.«
»Eine Feststellung, Mylady, der man größte Aufmerksamkeit schenken sollte.«
»Aha!« Agatha Simpson wußte zwar nicht, worauf ihr Butler anspielte, aber sie hatte das deutliche Ge-fühl, einen wichtigen Beitrag geliefert zu haben. »Worauf wollen Sie hinaus, Mister Parker?«
»Mit einiger Phantasie, Mylady, könnte man den Eindruck haben, daß dieser Schuß bestellt gewesen war.«
»Natürlich«, erwiderte Lady Agatha schnell und ließ sich zufrieden zurücksinken. »Davon rede ich doch die ganze Zeit.«
»Gewiß, Mylady«, sagte Parker höflich. Er dachte nicht daran, Agatha Simpson zu widersprechen. Er war eben ein sehr höflicher Mensch.
*
»Zum Teufel, nein, ich weiß es nicht«, sagte Marty Pearson gereizt. Er befand sich in seiner kleinen Woh-nung oberhalb einer Garage und telefonierte.
»Irgendwas knallte gegen meinen Hinterkopf. Und dann war Sense. Als ich wieder an Deck war, kümmer-te sich so ’ne alte Tante samt Butler um mich.«
Pearson hörte einen Moment zu und verzog dabei sein Gesicht. Das, was er zu hören bekam, schien ihm nicht zu gefallen.
»Ich wiederhole noch mal«, meinte er schließlich. »Der Schuß auf die Sexbombe kam aus einem Gewehr. Eindeutig. In solchen Dingen kenne ich mich aus. Und daraufhin habe ich mich natürlich abgesetzt. Ist doch wohl klar. Und dann hatte ich den Hammer am Kopf. Fühlte sich an wie ein auskeilendes Pferd.«
Pearson zündete sich eine Zigarette an und hörte wieder zu. Er befand sich in gereizter Stimmung. Es paß-te ihm gar nicht, daß er einem gewissen Rätsel gegenüberstand. Es paßte ihm nicht, daß man ihn auf geheim-nisvolle Art und Weise von den Beinen gebracht hatte.
»Natürlich versuche ich es noch mal«, sagte er endlich, als die Gegenseite für einen Moment schwieg. »Ist ja schließlich egal, wer da geschossen hat. Hauptsache, die Sexbiene hat eine Warnung verpaßt bekommen. Wie? Natürlich werde ich mich um die alte Lady kümmern. Ich habe mir das Wagenkennzeichen gemerkt. Die spüre ich schnell auf. Okay. Ende!«
Marty Pearson legte auf und stellte sich vors Fenster. Er fragte sich erneut, ob diese Lady für den Nieder-schlag verantwortlich war. Eigentlich ausgeschlossen. Daß sie zur ersten Gesellschaft gehörte, stand für ihn eindeutig fest.
Solch einer Frau war doch niemals zuzutrauen, daß sie aktiv zulangte. Nein, hier mußte ein Konkurrent seine Hand im Spiel haben, was Pearson sich gut vorstellen konnte. Hinter dieser Sexbombe mußten ganz andere Leute hersein, die es ebenfalls verstanden, Daumenschrauben anzuziehen.
Die blonde Sexbombe spielte immerhin mit einem Sprengstoff, wie man ihn sich brisanter nicht vorstellen konnte.
*
Josuah Parker stand zu dieser Zeit ebenfalls vor einem Fenster. Es gehörte zur Stadtwohnung Lady Simp-sons. Sie befand sich in einem altehrwürdigen Haus, in der Nähe von Shepherd’s Market, das sie schon seit vielen Generationen im Besitz der Familie Simpson befand.
Parker interessierte sich allerdings nicht für die reizvollen alten Häuser, die noch fast dörflichen Charakter aufwiesen. Auch nicht für die eleganten Bauten, die sich stilvoll in diese Gegend einfügten. Sein Interesse galt einem untersetzten Mann von etwa vierzig Jahren, der gerade die Straße überquerte und auf Lady Simp-sons Haus zuhielt.
Dieser Mann hatte sie in einem kleinen Minicooper seit dem Verlassen des Parkplatzes in Kew Gardens ausgesprochen hartnäckig verfolgt. Wahrscheinlich hatte er aus nächster Nähe beobachtet, wie Agatha Simp-son ihren Pompadour durch die Luft schleuderte. Der Mann wollte jetzt wohl feststellen, mit wem er es zu tun hatte.
Josuah Parker benötigte nur wenige Schritte bis in den Vorflur des Hauses. Er baute sich dicht vor der Tür auf und beobachtete durch einen Spion den Mann, der den säulengeschmückten Vorbau des Hauses inzwi-schen erreicht hatte.
Sein Gesicht war durch den Spion klar und deutlich zu erkennen.
Es wirkte ein wenig gedunsen und schlaff. Die Augen des Mannes waren grau und aufmerksam.
Er kam über die Stufen des Vorbaus nahe an die Tür heran. Er suchte nach einem Namensschild.
»Darf ich mir erlauben, Ihnen meine Hilfe anzubieten?« fragte der Butler, nachdem er überraschend und blitzschnell die Tür aufgezogen hatte. Er sah den Mann mit dem schlaffen Gesicht gemessen und distanziert an.
Die Reaktion des Fremden war eindeutig.
Seine rechte Hand schoß hoch und verschwand unter dem linken Revers seines Jacketts. Dort befand sich wahrscheinlich eine Schulterhalfter samt Inhalt.
Der Mann schaffte es, diese Bewegung nicht bis zur letzten Konsequenz auszuführen. Er stoppte seine Hand unter dem Revers und bemühte sich um Harmlosigkeit.
Und versuchte anschließend einen uralten Trick.
»Hier wohnt doch Mister Cadswill, oder?« fragte er, einfach einen Namen verwendend, der ihm gerade einfiel. Er rechnete selbstverständlich mit einer negativen Anwort.
Doch Parker tat ihm diesen Gefallen nicht.
»In der Tat«, reagierte der Butler gemessen und trat einen halben Schritt zurück. »Ich werde Sie sofort bei Mister Cadswill anmelden, Sir. Wenn Sie bitte näher treten wollen.«
Der Mann sah den Butler völlig entgeistert an. Mit dieser Antwort hatte er wirklich nicht gerechnet. Er schnappte nach Luft, hüstelte ein wenig und suchte krampfhaft nach einem Ausweg.
»Bitte, Sir!« Parker wies mit seiner schwarz behandschuhten Rechten in den Vorflur. »Wen darf ich mel-den?«
»Äh … Ich … Also, das ist so …« Der Besucher stotterte verlegen herum. »Wissen Sie was, ich werde später noch mal vorbeikommen.«
»Mister Cadswill wird Ihnen mit Sicherheit zur Verfügung stehen«, behauptete der Butler höflich.
»Möglich … ja, wahrscheinlich … Aber ich komme später noch mal vorbei. Ich bin in Eile …«
Er wandte sich hastig um und lief zurück zur Straße. Dort angekommen, sah er sich noch mal konsterniert nach Parker um. Natürlich wußte er inzwischen, daß dieser Butler ihn auf den Arm genommen hatte. Der Mann mit dem schlaffen Gesicht fühlte sich durchschaut.
Parker blieb völlig ungeniert in der geöffneten Tür stehen und sah dem Mann nach.
Dieser steuerte auf seinen Minicooper zu, legte sich dann allerdings in eine Art Kurve und marschierte weit um den Wagen herum. Er wollte offensichtlich nicht, daß Parker merkte, daß er zu diesem Wagen ge-hörte.
Der Mann stiefelte ein Stück die Straße hinunter und verschwand dann in einer schmalen Gasse.
Worauf der Butler sich ins Haus zurückbegab und die Tür schloß. Durch den Spion aber beobachtete er weiter den kleinen Wagen. Es dauerte nicht lange, bis der Mann mit dem schlaffen Gesicht wieder auf der Straße erschien.
Er ging schnell zu seinem Gefährt und setzte sich ans Steuer. In diesem Moment zog der Butler erneut die Haustür auf und zeigte sich dem Fahrer in seiner ganzen Würde.
Parker deutete eine höfliche Verbeugung an, als der Minicooper die Haustür passierte.
Der Fahrer zog daraufhin den Kopf ein, um nicht erkannt zu werden. Die ganze Geschichte schien ihm sehr peinlich zu sein.
*
»Die Abendzeitung, Mylady!«
Parker betrat den Salon der Stadtwohnung und präsentierte der alten energischen Dame einige Zeitungen, die auf einem Silbertablett lagen.
Agatha Simpson zog ihre ausgeprägte Adlernase kraus.
»Verschonen Sie mich mit diesem Lesefutter«, sagte sie. »Ich hoffe, Sie können mich bereits informieren, Mister Parker.«
»Sehr wohl, Mylady«, gab der Butler zurück. »Bei der jungen Malerin, auf die geschossen wurde, handelt es sich um eine gewisse Mandy Saxon, die sich als Schauspielerin bezeichnet.«
»Mandy Saxon … Mandy Saxon …?« Agatha Simpson dachte laut nach. »Haben wir diesen Namen nicht schon gehört, Mister Parker?«
Die Detektivin hatte es sich bequem gemacht. Sie trug einen mit Schmetterlingen bestickten Hausmantel, der an einen indischen Sari erinnerte. Sie sah darin jugendlich aus.
»Die bewußte junge Dame hat in der Vergangenheit schon recht häufig Schlagzeilen gemacht, Mylady.«
»Richtig! Mandy Saxon. Das ist doch diese Skandalnudel, nicht wahr?«
»In der Tat, Mylady! Miß Saxon war das, was man gemeinhin diskret eine Gespielin nennt. Sie wurde häufig in der Begleitung bekannter Männer gesehen.«
»Hat diese Saxon nicht sogar einen Minister außer Gefecht gesetzt?«
»So könnte man es ausdrücken, Mylady. In der Öffentlichkeit erschienen Fotos, die dieses Kabinettsmit-glied zusammen mit Miß Saxon zeigten. In verfänglichen Situationen, wie es wohl zu nennen sein müßte.«
»In eindeutigen Situationen, Mister Parker«, korrigierte die ältere Dame energisch. »Nennen wir das Kind doch beim Namen. Diese Saxon ist ein Flittchen.«
»Wie Mylady es auszudrücken belieben.«
»In letzter Zeit ist es ruhig um sie geworden, nicht wahr?«
»Gewiß, Mylady. Miß Saxon hat sich zurückgezogen, um einen, wie sie es nennt, Sex-Report zu schrei-ben.«
»Du lieber Himmel!« Agatha Simpson richtete sich fast erfreut auf. »Daraus ergeben sich ja herrliche Mög-lichkeiten.«
»Weniger für jene Herren, die von Miß Saxon zitiert werden sollen, Mylady.«
»Für uns, Mister Parker, für uns! Können Sie sich nicht vorstellen, daß gewisse Leute diesen Sex-Report verhindern wollen?«
»In der Tat, Mylady! Die Zeitungen sprechen ebenfalls von solchen Möglichkeiten. Sie hegen die Vermu-tung, daß der Schuß auf Miß Saxon eine Art Warnung oder Drohung darstellte.«
»Wunderbar!« Agatha Simpson erhob sich erstaunlich schnell aus ihrem Sessel. »Wird es bei dieser War-nung bleiben, Mister Parker?«
»Ich fürchte, Mylady, daß hier ein Mord geplant wird.«
»Das sage ich doch die ganze Zeit«, behauptete die alte Dame, »und diesen Mord werden wir verhindern, Mister Parker! Das ist unsere Pflicht als Staatsbürger!«
»Wie Mylady meinen«, gab der Butler zurück und unterdrückte einen leichten Seufzer. Es war also wieder mal so weit. Mylady witterte einen Kriminalfall. Und nach Lage der Dinge ließ sie sich jetzt nicht mehr ab-lenken.
»Was wissen wir bereits, Mister Parker?« Die streitbare Sechzigerin marschierte auf ihren stämmigen Bei-nen durch den Salon ihres Stadthauses. »Da war zuerst mal der Schuß, der die Straffelei traf. Dann haben wir dieses Individuum namens Pearson, das mit einem Geigenkasten und einer Faustfeuerwaffe herumlief. Und schließlich dieses Subjekt, das Sie an der Tür empfingen.«
»Eine vollständige Aufzählung, Mylady«, stellte Parker gemessen, aber auch zurückhaltend fest.
»Und welche Schlüsse ziehen wir daraus?« wollte Lady Simpson wissen. Sie sah ihren Butler bereits leicht strafend an. Sie erwartete eine Analyse.
»Ich möchte Mylady keineswegs vorgreifen«, antwortete Parker vorsichtig.
»Ja, merken Sie denn nichts?« entrüstete sich Agatha Simpson.
»Nicht direkt, Mylady.« Parker hütete sich, die Unternehmungslust seiner Herrin unnötig anzuheizen.
»Dann kann ich Ihnen auch nicht helfen«, meinte Agatha Simpson und wirkte ein wenig enttäuscht. Sie hatte wohl gehofft, von Parker einen Tip geliefert zu bekommen.
»Haben Mylady noch Wünsche?« erkundigte sich Parker, der sich zurückziehen wollte.
»Natürlich! Fahren Sie in einer halben Stunde vor, Mister Parker! Ich muß mir dieses Flittchen aus der Nä-he ansehen.«
»Wie Mylady befehlen«, sagte Parker nur. Er wußte aus Erfahrung, daß es völlig sinnlos war, Mylady um-stimmen zu wollen.
»Ich weiß inzwischen, wem das Landhaus gehört«, schloß Agatha Simpson triumphierend. »Sagt Ihnen der Name Sir Robert Panham etwas, Mister Parker?«
»Gewiß, Mylady. Sir Robert dürfte einer der bemerkenswertesten Shakespeare-Darsteller Englands sein, wenn ich nicht irre.«
»Sie irren sich nicht, Mister Parker. Ich könnte mir vorstellen, daß er seinen Landsitz nicht gerade freiwil-lig vermietet hat. Aber lassen wir uns überraschen!«
*
Josuah Parker blieb am hochbeinigen Wagen zurück und beobachtete die Szene vor der Haustür des Land-sitzes.
Agatha Simpson war zusammen mit ihrer Gesellschafterin hinüber zum Haus gegangen und lieferte ein in-teressantes Schauspiel. Nachdem die Tür geöffnet worden war, drückte sie einen Mann an die Seite und stürmte das Haus. Sie entwickelte dabei die Energie einer Dampfwalze, die einfach nicht aufzuhalten ist.
Der Mann, der die Tür geöffnet hatte, starrte der Lady entgeistert nach, raffte sich dann aber auf und folgte ihr. Er vergaß nicht, vorher noch die Haustür zu schließen.
Josuah Parker nutzte die inzwischen hereingebrochene Dunkelheit für seine Zwecke aus.
Er schritt ein gutes Stück die Straße hinunter, bis er von der Straßenseite des Landhauses aus nicht mehr gesehen werden konnte. Erst jetzt kümmerte der Butler sich um eine kleine schmale Mauerpforte, die aller-dings verschlossen war.
Was Josuah Parker überhaupt nichts ausmachte.
Er bemühte sein kleines Besteck, das er für solche Zwecke stets mit sich führte. Es handelte sich um einige Spezialgeräte, die sich in einem schmalen Saffianetui befanden. Es dauerte noch nicht mal eine Minute, bis das Schloß sich fügte und jeden Widerstand aufgab.
Bevor der Butler das Grundstück betrat, schaute er sich mißtrauisch nach allen Seiten um. Er konnte sich gut vorstellen, daß der Schutz der Dunkelheit auch von anderen Nachtwandlern geschätzt wurde. Parker wollte auf keinen Fall überrascht werden und in ein offenes Messer rennen.
Die schmale Straße, die zu den wenigen großen Parks und Grundstücken führte, war menschenleer. Es handelte sich hier um eine ausgesprochen vornehme Wohngegend, in der Tradition und Kapital zu Hause waren.
Parker betrat das Grundstück und drückte die Pforte zurück in den Rahmen. Dann lustwandelte er gemes-sen durch die Dunkelheit, über den gepflegten Rasen und über einen mit Steinplatten ausgelegten Weg Rich-tung Landsitz.
Der parkähnliche Garten war zu den beiden benachbarten Grundstücken links und rechts durch halbhohe Mauern begrenzt, die allerdings kein Hindernis darstellten. Wer dieses Grundstück betreten wollte, brauchte nicht artistisch ausgebildet zu sein. Nach hinten grenzte der Park des Landsitzes an einen kleinen verschilften Bach. Jenseits dieses Wassers befanden sich Tennisplätze.
Josuah Parker hatte inzwischen die Rückseite des Gebäudes erreicht und stand neben dem überdachten Swimming-pool. Von hier aus hatte er einen guten Blick auf die Terrasse, deren Türen allerdings geschlossen waren. Vorgezogene Vorhänge nahmen jede Sicht in das Innere des Hauses.
Der Butler wollte sich gerade in Bewegung setzen und näher an das Haus herangehen, als ein scharfes Zi-schen zu hören war.
Unwillkürlich und instinktiv zog er den Kopf zurück. Plötzlich sah er dann aus zusammengekniffenen Au-gen den armlangen Pfeil, der zitternd und federnd dicht vor ihm im Holz der Überdachung steckte.
Das spärliche Außenlicht auf der Terrasse reichte vollkommen aus, um die Gefährlichkeit dieses Pfeils zu erkennen. Genauer gezielt, wäre er unbedingt tödlich gewesen.
*
»Ich konnte ja nicht wissen, meine Liebe, daß Sir Robert sein Haus vermietet hatte«, entschuldigte sich Agatha Simpson und spielte die leicht verwirrte, ältere Dame. »Es sollte eine Überraschung sein. Sie müssen wissen, daß Sir Robert und ich uns schon seit Kindheit kennen. Ein bemerkenswerter Mann! Sie kennen ihn?«
Mandy Saxon wirkte hilflos.
Sie war dieser Suada nicht gewachsen. Agatha Simpson redete ununterbrochen und war einfach nicht zu bremsen. Sie hatte bereits Platz genommen und musterte ungeniert den großen, modernen Arbeitstisch in der Nähe der Terrassentüren. Dieser Tisch paßte keineswegs in das Gesamtbild der Einrichtung, die aus alten, kostbaren Stilmöbeln bestand.
Auf diesem Arbeitstisch stand beherrschend eine elektrische Schreibmaschine, die einen noch recht neuen Eindruck machte. Zu beiden Seiten dieser Maschine lagen Manuskriptblätter. Mandy Saxon schien tatsäch-lich an ihrem angekündigten Sex-Report zu arbeiten.
»Sollte ich Sie nicht kennen, meine Liebe?« erkundigte sich Agatha Simpson inzwischen weiter. »Miß Por-ter … Geben Sie mir eine Hilfe! Ich weiß genau, daß ich unsere Gastgeberin schon mal gesehen habe.«
»Das Foto in den Abendzeitungen«, erinnerte Kathy Porter prompt. »Auf Miß Saxon wurde ein Mordan-schlag verübt.«
»Das ist es, Kindchen, das ist es!« Lady Agatha nickte ihrer Gesellschafterin dankbar zu. »Ein Mordan-schlag: Wie aufregend!«
Mandy Saxon warf dem Mann an der Tür einen hilflosen Blick zu. Dieser Mann, der die Haustür geöffnet hatte, war etwa 35 Jahre alt, gut und gern 1,80 Meter groß, breitschultrig und wirkte ein wenig hölzern. Er wußte mit einer Frau wie Agatha Simpson offensichtlich nichts anzufangen.
»Die Miß muß jetzt Weiterarbeiten«, schaltete er sich ein und deutete hinüber auf die Schreibmaschine.
»Sie arbeiten?« staunte Agatha Simpson.
»Miß Saxon ist Schriftstellerin«, schaltete Kathy Porter sich auf dieses Stichwort hin ein. »In den Abend-ausgaben der Zeitungen steht, daß Miß Saxon eine Art Lebensbeichte verfaßt.«
»Nein, was muß ich hören? Wie interessant, meine Liebe!« Agatha Simpson war außerordentlich begeistert und stand auf. »Sie verfassen Ihre Memoiren? Sie müssen ja erstaunlich viel erlebt haben. Ich darf doch ge-wiß mal sehen.«
Bevor Mandy Saxon es verhindern konnte, marschierte die Detektivin bereits schnell und energisch zum Arbeitstisch und baute sich vor der Schreibmaschine auf.
Worauf Mandy Saxon und der Mann an der Tür in eine gelinde Panik gerieten.
Sie beeilten sich, an den Arbeitstisch zu gelangen, und drängten Agatha Simpson ziemlich ungeniert ab.
»Ich bin wohl zu neugierig«, stellte die Lady fest und räumte das Feld.
»Verzeihen Sie einer alten Frau, meine Liebe! Ich denke, ich werde mich verabschieden müssen.«
»Mister Hamlin wird Sie hinausbringen«, verkündete Mandy Saxon gespielt vornehm.
»Ist das Ihr Leibwächter, meine Liebe?« erkundigte sich Lady Agatha völlig ungeniert und laut.
»Wie bitte?« Mandy Saxon wurde von dieser Frage völlig überfahren.
»Falls nicht, werden Sie aber bestimmt einen brauchen«, redete Lady Agatha ungeniert weiter, »es wird doch, nicht bei diesem einen Schuß bleiben.«
Bevor Mandy Saxon antworten konnte, war von der Terrassentür her ein lautes Pochen gegen die Fenster-scheibe zu hören. Es wirkte wie ein Pistolenschuß.
Mandy Saxon reagierte nervös.
Sie verschwand sofort hinter der Lehne eines Sessels.
Hamlin hatte blitzschnell einen 38er in der Hand, warf sich förmlich auf den Lichtschalter neben der Tür und schaltete die Deckenbeleuchtung aus.
»Ja, bitte?« war Agatha Simpsons energische und gar nicht ängstliche Stimme zu hören. »Wer ist da?«
»Ist es erlaubt, näher zu treten!« antwortete Parker beherrscht und gemessen. »Ich bin sicher, daß ich Mylady eine Überraschung bieten kann.«
*
Das Licht war wieder eingeschaltet worden.
Hamlin hatte seinen 38er weggesteckt und sah mißtrauisch auf den Butler, der seinen Begleiter in einen Sessel drückte. Dieser Begleiter hatte ein gedunsenes, schlaffes Gesicht, war untersetzt und überdies iden-tisch mit jenem Mann, der vor Myladys Haustür von Parker überrascht worden war.
Der Mann mit dem schlaffen Gesicht sah nicht gerade glücklich aus. Er rieb sich immer wieder verstohlen seinen Hinterkopf. Und speziell jene Stelle, die von Parkers Regenschirm nachdrücklich berührt worden war.
Lady Agatha Simpson hatte ihren Butler bereits vorgestellt. Mandy Saxon hatte das leicht verwirrt zur Kenntnis genommen. Sie war eindeutig überfordert und wußte nicht, wie sie sich verhalten sollte. Hamlin interessierte sich fast ausschließlich für Josuah Parker. Er schien instinktiv zu ahnen, daß dieser so würdevoll aussehende Mann mehr war als nur ein Butler.
»Mister Victor Rooters«, stellte der Butler inzwischen vor und deutete auf den Begleiter. »Mister Rooters muß sich im Park ein wenig verirrt haben. Ich war so frei, Mylady, Mister Rooters hierher ins Haus zu brin-gen.«
»Sie … Sie haben mich niedergeschlagen«, beschwerte sich Rooters und fühlte automatisch nach seiner Kopfbeule. Seine Stimme klang ein wenig schrill.
»In Verkennung der Sachlage«, antwortete der Butler. »Ich mußte Sie zwangsläufig für den Bogenschüt-zen halten, Mister Rooters. Falls ich ein wenig zu nachdrücklich gewesen sein sollte, bitte ich dies entschul-digen zu wollen.«
»Bogenschütze?« ließ Hamlin sich vernehmen.
»Bogenschütze«, wiederholte Parker und präsentierte den Anwesenden einen Pfeil, der eindeutig nur mit einem Sportbogen verschossen worden sein konnte.
»Damit habe ich überhaupt nichts zu tun«, stellte Rooters beleidigt fest.
»Dieser Pfeil wurde auf meine bescheidene Wenigkeit abgeschossen«, erklärte der Butler ungerührt und gemessen. »Ich entdeckte von der Straße aus eine Bewegung im Park, folgte ihr und wurde dann jäh von diesem Geschoß überrascht.«
Parker blieb nicht ganz bei der Wahrheit, was seinen Aufenthalt im Park anbetraf.
»Ich habe den Pfeil nicht abgeschossen«, sagte Rooters erneut, »ich weiß überhaupt nicht, wie man mit solch einem Ding umgeht.«
»Aber Sie befanden sich im Park, nicht wahr?« Agatha Simpson sah Victor Rooters streng an.
»Ja.« Rooters wirkte jetzt ein wenig verlegen.
»Und was wollten Sie?«
»Ich hatte auch eine Bewegung im Park gesehen«, gab Rooters schnell zurück.
»Wieso kamen Sie in diese Straße?« verlangte die Detektivin zu wissen.
»Ich kam zufällig vorbei.«
»Der Kerl lügt doch wie gedruckt«, schaltete sich Hamlin lautstark ein. »Aber das werden wir gleich ha-ben. Ich werde mich mal mit ihm privat unterhalten.«
»Keine Privatjustiz«, sagte Parker und sah den großen, breitschultrigen Mann verweisend an.
»Hier bestimme immer noch ich«, behauptete Hamlin leichtsinnigerweise und marschierte an Parker vorbei auf Rooters zu, der sich jetzt förmlich in seinem Sessel verkroch und unwillkürlich die Beine anzog.
Hamlin war sich seiner Sache völlig sicher.
Er griff nach der Krawatte des ängstlichen Mannes und stemmte seinen Gegner ohne jede Schwierigkeiten hoch.
Victor Rooters hechelte und schnappte nach Luft. Sein schlaffes Gesicht nahm plötzlich eine fast gesunde, rötliche Färbung an. Er stieß mit den Füßen gegen Hamlins Beine, richtete aber nichts aus.
»Hilfe!« röchelte er.
»Jetzt mal zur Sache, Freundchen«, sagte Hamlin. »Wer hat dich hierhergeschickt? Mach ganz schnell den Mund auf, Junge, bevor ich die Geduld verliere.«
Josuah Parker war ehrlich peinlich berührt.
Rüde Redensarten dieser Art liebte er überhaupt nicht. Er sah etwas verlegen zu Boden und übersah so den strafenden Blick von Agatha Simpson, die von ihm wohl ein Eingreifen erwartete.
»Loslassen«, keuchte Rooters und wurde schlaff wie sein Gesicht, »ich … ich rede!«
»Dann mal los, Freundchen!«
»Ich bin Privatdetektiv«, hechelte Rooters und massierte sich vorsichtig den Hals. »Ich arbeite für Lesley Maulding.«
»Lesley Maulding?« Hamlin schien mit diesem Namen etwas anfangen zu können. Er versetzte Rooters einen derben Stoß und beförderte ihn zurück in den Sessel.
»Lesley Maulding«, stellte Parker fest und sah wieder hoch, »ist das nicht …«
»… der Verleger der Global-Express?« fragte Lady Simpson, nachdem sie ihren Butler unterbrochen hat-te.
Victor Rooters nickte nur.
»Da Sie sich zur Wahrheit entschlossen haben, Mister Rooters, sollten Sie auch den Anwesenden mittei-len, warum Sie diesem Landsitz einen Besuch abgestattet haben«, sagte Parker höflich.
»Warum ich?« Rooters staunte den Butler sichtlich an. »Das fragen ausgerechnet Sie? Ich bin doch hinter Ihnen her. Und hinter der Lady dort! Wer hat denn den Mann auf dem Parkplatz niedergeschmettert? Doch nicht ich! Das war doch die Lady! Ich habe genau gesehen, daß sie ihm ihren Pompadour an den Kopf ge-worfen hat.«
Hamlin nickte langsam und wandte sich zu Parker um.
»So ist das also«, stellte er dann fest. »Sie schnüffeln hier also auch herum. Das werde ich Ihnen austrei-ben!«
»Echauffieren Sie sich nicht unnötig«, bat Parker gemessen.
»Es handelte sich wohl um diesen Pompadour hier, nicht wahr?« mischte Agatha Simpson sich in die an-geregte Unterhaltung ein. Sie hatte den Handbeutel vom Gelenk gelöst und hielt ihn erklärend hoch.
»Was ist damit?« fragte Hamlin ahnungslos.
»Passen Sie genau auf«, sagte Mylady und kam langsam auf Hamlin zu, wobei sie den Pompadour an den Schnüren durch die Luft rotieren ließ. »Achten Sie auf die Bewegung.«
»Was soll denn das?« fuhr Hamlin gereizt fort und widmete sich wieder dem Butler. Mylady schenkte er dummerweise keine Beachtung mehr. Er hielt sie für harmlos.
Und genau das stellte sich als ein folgenschwerer Irrtum heraus.
Die Lady ließ ihren Pompadour los, der sich prompt auf eine kurze, aber rasante Luftreise begab. Als der Glücksbringer im Pompadour sich auf Hamlins Hinterkopf legte, grunzte der breitschultrige Mann fast woh-lig auf, wandte sich wieder Mylady zu, stierte sie einen kurzen Moment überrascht an, schloß dann die Au-gen und setzte sich auf sein verlängertes Rückgrat.
Er raffte seine ihm noch verbleibenden Kräfte zusammen und wollte sich wieder erheben.
Es reichte nicht.
Er scharrte noch ein wenig mit den Füßen und streckte sich dann gemütlich auf dem Teppich aus.
Genau in diesem Moment war draußen auf der Terrasse ein entsetzlicher Aufschrei zu hören, der in ein lautes Brüllen und schließlich in ein Wimmern und Stöhnen überging.
Josuah Parker hatte den dringenden Verdacht, daß sich etwas Außergewöhnliches ereignet haben mußte.
*
»Mister Marty Pearson«, stellte der Butler vor und trat höflich zur Seite.
Die Anwesenden im Salon starrten auf den jungen Mann, der sich auf dem Parkplatz als Geigenspieler ge-zeigt hatte. Diesmal schleppte Pearson allerdings keinen Geigenkasten mit sich herum. Mißdeutungen jeder Art waren ausgeschlossen. Der Sportpfeil in seinem Oberarm redete eine deutliche Sprache.
Marty Pearson machte verständlicherweise einen angeschlagenen Eindruck.
Es war klar, daß der Pfeil, der in seinem linken Oberarm steckte, ungemein schmerzte. Die Pfeilspitze hat-te sich tief in die Muskeln gebohrt. Eine Waffe dieser Art schien Pearson noch nie kennengelernt zu haben. Sie widerte ihn an und war ihm unheimlich, sie schockte ihn geradezu.
Kathy Porter verließ den Raum und suchte wahrscheinlich nach einem Verbandkasten.
Agatha Simpson sah neugierig auf Pearson, der sich vorsichtig in einem Sessel niederließ.
Mandy Saxon knabberte verlegen und ratlos an ihrer vollen Unterlippe und interessierte sich mehr für Hamlin, der noch immer regungslos auf dem Teppich lag.
Josuah Parker kümmerte sich inzwischen um den angeschossenen Marty Pearson, der jammerte und stöhn-te. Dennoch war ihm nicht entgangen, daß Rooters, der Mann mit dem schlaffen Gesicht, sich absetzen woll-te. Rooters schob sich an die noch spaltbreit geöffnete Terrassentür heran. Es sah so aus, als habe er die Ab-sicht, sich den Park aus der Nähe anzusehen.
»An Ihrer Stelle, Mister Rooters, würde ich den Park dringend meiden«, ließ der Butler sich gemessen vernehmen. »Vielleicht wartet der Bogenschütze auf ein weiteres Opfer.«
Rooters tat daraufhin einen kleinen Sprung zur Seite und kehrte schleunigst ins Zimmer zurück. Er beo-bachtete Agatha Simpson, die jetzt die Terrassentür schloß und den Vorhang wieder in Ordnung brachte.
Kathy Porter kam mit einem Verbandkasten zurück und befaßte sich mit Pearson, dessen Rockärmel sie mit einer Schere aufschlitzte. Myladys Gesellschafterin entwickelte die Kühle einer versierten Operations-schwester.