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Karl May

Durch die Wüste

Reise-Erinnerungen aus dem Türkenreich von Karl May

Karl May

Durch die Wüste

Reise-Erinnerungen aus dem Türkenreich von Karl May

Veröffentlicht im Null Papier Verlag, 2019
1. Auflage, ISBN 978-3-954187-13-3

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Inhaltsverzeichnis

Karl May und die Ori­gi­na­le

Zum Buch

Ein To­des­ritt

Vor Ge­richt

Im Ha­rem

Eine Ent­füh­rung

Abu-Seïf

Wie­der frei

In Mek­ka

Am Ti­gris

Auf Kund­schaft

Der Sieg

Bei den Teu­fel­s­an­be­tern

Das große Fest

Ein Nach­wort

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Karl May und die Ori­gi­na­le

Eine neue Rei­he er­blickt das Licht der li­te­ra­ri­schen Welt.

Lie­be Le­se­rin, lie­ber Le­ser

Grund­la­ge die­ser Rei­he „Ver­glei­chen­de Aus­ga­ben“ sind ver­schie­de­ne Ver­öf­fent­li­chun­gen Karl Mays, die noch zu sei­nen Leb­zei­ten er­schie­nen sind.

Lan­ge hat es mich schon ge­reizt, mich der Wer­ke Mays an­zu­neh­men. Nicht nur, um dem Wild­wuchs der ver­schie­dens­ten di­gi­ta­len Ko­pi­en von Ko­pi­en et­was ent­ge­gen­zu­set­zen, son­dern auch um den ge­neig­ten Le­ser einen ein­füh­ren­den Ver­gleich der ver­schie­de­nen Ver­öf­fent­li­chun­gen zu bie­ten.

Ich hof­fe, ich kann die­sem ho­hen An­spruch – auch un­ter den schar­fen Bli­cken der May-Ken­ner – zu­min­dest an­satz­wei­se ge­recht wer­den.

Alt ge­gen Neu

Bei al­ten Tex­ten hat mich schon im­mer ge­stört, wie sich Ver­le­ger oder Über­set­zer sich ih­rer be­mäch­tig­ten und je nach Gu­sto und po­li­ti­scher Groß­wet­ter­la­ge ein­zel­ne Sät­ze oder gleich gan­ze Ka­pi­tel ver­än­der­ten, an­pass­ten oder stri­chen. Die Bei­spie­le in der Li­te­ra­tur sind man­nig­fal­tig: Von schlecht über­setz­ten Re­de­wen­dun­gen bis hin zu po­li­tisch un­kor­rek­ten Be­zeich­nun­gen, so man­ches fiel und fällt der Will­kür, der „Sche­re im Kopf“ zum Op­fer.

Das fängt beim Deut­schen Reich an, das in den al­ten Sher­lock-Hol­mes-Über­set­zun­gen nie­mals für den Ers­ten Welt­krieg her­hal­ten muss­te, und geht bis zum Ver­dacht des Ras­sis­mus bei der groß­ar­ti­gen und lie­bens­wer­ten Astrid Lind­gren und ih­rem Ne­ger­kö­nig.

Als pas­sen­des Bei­spiel sei auch die ka­tho­li­sche Grei­sin in Mays „Durchs wil­de Kur­dis­tan“ ge­nannt, die in jün­ge­ren Ver­öf­fent­li­chun­gen auf ein­mal zu ei­ner schö­nen Frau mu­tiert – kein Wort mehr von ih­rer Re­li­gi­on oder ih­rem Al­ter.

Jede Zeit kennt ihre Wahr­hei­ten. Und so nach­voll­zieh­bar eine nach­träg­li­che Wort­kos­me­tik sein mag, so sehr müs­sen Ver­le­ger bei der Wahr­heit blei­ben. Und die ver­le­ge­ri­sche Wahr­heit liegt nun ein­mal in der Ver­öf­fent­li­chung der Ori­gi­na­le, der Tex­te, die vom Au­tor ka­men und von ihm ab­ge­seg­net wur­den.

Im Fal­le von May mag das nicht ein­fach sein, da sei­ne Tex­te auch zu Leb­zei­ten mehr­fach be­ar­bei­tet wur­den; viel­fach auch mit Ein­wil­li­gung des Au­tors selbst. Da­her habe ich mich be­wusst auf die Ver­öf­fent­li­chun­gen kon­zen­triert, die noch vor 1910 er­schie­nen sind.

Wenn Sät­ze oder gan­ze Pas­sa­gen nach­träg­lich ent­fernt oder hin­zu­ge­fügt wor­den sind (auch das hat es ge­ge­ben), habe ich das in Fuß­no­ten kom­men­tiert. Soll­te ein Wort heut­zu­ta­ge nicht mehr be­kannt sein, so habe ich es be­las­sen und eben­falls in ei­ner Fuß­no­te er­klärt. Sie kön­nen aber auch die An­mer­kun­gen kom­plett igno­rie­ren und den Text ein­fach le­sen und ge­nie­ßen.

Vie­le der ak­tu­el­len di­gi­ta­len Ver­öf­fent­li­chung kran­ken an man­gel­haf­ter Qua­li­tät: Es gibt über­se­he­ne Wort­tren­nun­gen, feh­len­de Fuß­no­ten, ver­schluck­te Ab­sät­ze, sinn­ent­stel­len­de Buch­sta­bendre­her oder gleich kom­plett „ver­ges­se­ne“ Pas­sa­gen. Die­ser Pro­ble­me habe ich mich hof­fent­lich wirk­sam an­ge­nom­men.

Bei mei­ner Ar­beit habe ich ver­sucht, einen Aus­gleich zwi­schen ak­tu­el­ler Recht­schrei­bung und al­tem „Zun­gen­schlag“ her­zu­stel­len. Ich den­ke, dass man heut­zu­ta­ge ge­trost „Te­le­gra­fen­bü­ro“ statt „Te­le­gra­phen­bu­reau“ schrei­ben darf, ohne am ori­gi­nären Sinn des Wor­tes zu krat­zen. Mein Ziel war es, eine an­ge­nehm les­ba­re Fas­sung zu schaf­fen. Für Leu­te, die ger­ne le­sen und mit dem „al­ten“ Deutsch noch tiefer in die At­mo­sphä­re der Ge­schich­te ein­tau­chen wol­len, ohne da­bei über ver­mu­te­te Recht­schreib­feh­ler zu stol­pern.

May und sei­ne Zeit

May war und ist ei­ner der er­folg­reichs­ten Schrift­stel­ler deut­scher Spra­che. Ge­ne­ra­tio­nen von Le­ser ha­ben ihn für sich ent­deckt, egal, wie stark und aus wel­chen Grün­den er im­mer wie­der von Tu­gend­wäch­tern oder be­sorg­ten El­tern in die li­te­ra­ri­sche Schmud­de­le­cke ge­drängt wur­de.

Es gibt wohl kei­nen Deut­schen, der sei­ne Fi­gu­ren nicht kennt: Win­ne­tou oder Had­schi Ha­lef Omar, Old Shat­ter­hand oder Kara Ben Nem­si. Vie­le wer­den so­gar die Na­men der Pfer­de oder der Waf­fen der Pro­tago­nis­ten ken­nen. Nicht zu­letzt die far­ben­präch­ti­gen Fil­me der 1960er Jah­re ha­ben Mays Fi­gu­ren auch eine ki­ne­ma­to­gra­fi­sche Un­ters­terb­lich­keit ver­passt – soll­te das je­mals not­wen­dig ge­we­sen sein. Und wo sonst hät­te ein Fran­zo­se einen ame­ri­ka­ni­schen Urein­woh­ner, ein Ame­ri­ka­ner einen deut­schen Aben­teu­rer und ein Ber­li­ner einen Ori­en­ta­len spie­len kön­nen?

Zu ei­ner Zeit, als es noch kei­nen or­ga­ni­sier­ten Mas­sen­tou­ris­mus und kein In­ter­net gab, brach­te May dem Le­ser die wei­te Welt bis vor die Haus­tür oder un­ter die ver­ber­gen­de Bett­de­cke. Sei­ne Tex­te präg­ten, ob ge­recht­fer­tigt oder nicht, die Vor­stel­lung des Wil­den Wes­tens und des Ori­ents für Ge­ne­ra­tio­nen.

Am bes­ten, Sie, lie­ber Le­ser, lie­be Le­se­rin, füh­len sich ein­fach nur gut un­ter­hal­ten.

In die­sem Sin­ne
Ihr
Jür­gen Schul­ze, Neuss

Karl May
Karl May

Zum Buch
eine Verzierungeine Verzierungeine Verzierungeine Verzierungeine Verzierungeine Verzierungeine Verzierungeine Verzierungeine Verzierungeine Verzierungeine Verzierung

Ka­ra Ben Nem­si und sein treu­er Beglei­ter Had­schi Ha­lef Omar fin­den in der Wüs­te eine Lei­che. Die­ser Fund wird zum Aus­gangs­punkt ei­ner Rei­he von span­nen­den Aben­teu­ern. Un­se­re tap­fe­ren Ge­fähr­ten müs­sen eine Ge­fan­ge­ne aus ei­nem Ha­rem be­frei­en, sie kämp­fen ge­gen Pi­ra­ten, be­su­chen Mek­ka, be­geg­nen dem schrul­li­gen Sir Da­vid Lind­say und be­feh­li­gen gleich ein gan­zes Heer in die Schlacht um das „Tal der Stu­fen“.

Die­ser Band bil­det den Auf­takt zum sechs­bän­di­gen „Ori­ent­zy­klus“.

Die­se ver­glei­chen­de Aus­ga­be hat als Grund­la­ge die „Haus­schatz-Fas­sung“ (Dt. Haus­schatz 7.Jahrg.).

Ein To­des­ritt
eine Verzierungeine Verzierungeine Verzierungeine Verzierungeine Verzierungeine Verzierungeine Verzierungeine Verzierungeine Verzierungeine Verzierungeine Verzierung

Und ist es wirk­lich wahr, Sih­di,1 dass du ein Gi­aur blei­ben willst, ein Ungläu­bi­ger, wel­cher ver­ächt­li­cher ist als ein Hund, wi­der­li­cher als eine Rat­te, die nur Ver­faul­tes frisst?«

»Ja«, ant­wor­te­te ich.

»Ef­fen­di, ich has­se die Ungläu­bi­gen und gön­ne es ih­nen, dass sie nach ih­rem Tode in die Dsche­hen­na kom­men, wo der Teu­fel wohnt; aber dich möch­te ich ret­ten vor dem ewi­gen Ver­der­ben, wel­ches dich er­ei­len wird, wenn du dich nicht zum Ikrar bil Li­san, zum hei­li­gen Zeug­nis, be­kennst. Du bist so gut, so ganz an­ders als an­de­re Sih­dis, de­nen ich ge­dient habe, und dar­um wer­de ich dich be­keh­ren, du magst wol­len oder nicht.«

So sprach Ha­lef, mein Die­ner und Weg­wei­ser, mit dem ich in den Schluch­ten und Klüf­ten des Dsche­bel Au­res her­um­ge­kro­chen und dann nach dem Dra el Haua her­un­ter­ge­stie­gen war, um über den Dsche­bel Tar­faui nach Sed­da­da, Kris und Dgasche zu kom­men, von wel­chen Or­ten aus ein Weg über den be­rüch­tig­ten Schott Dsche­rid nach Fet­nas­sa und Kbil­li führt.

Ha­lef war ein ei­gen­tüm­li­ches Kerl­chen. Er war so klein, dass er mir kaum bis un­ter die Arme reich­te, und da­bei so ha­ger und dünn, dass man hät­te be­haup­ten mö­gen, er habe ein vol­les Jahr­zehnt zwi­schen den Lösch­pa­pier­blät­tern ei­nes Her­ba­ri­ums in fort­wäh­ren­der Pres­sung ge­le­gen. Da­bei ver­schwand sein Ge­sicht­chen voll­stän­dig un­ter ei­nem Tur­ban, der vol­le drei Fuß im Durch­mes­ser hat­te, und sein einst weiß ge­we­se­ner Bur­nus, wel­cher jetzt in al­len mög­li­chen Fett- und Schmutz­nu­an­cen schim­mer­te, war je­den­falls für einen weit grö­ße­ren Mann ge­fer­tigt wor­den, so­dass er ihn, so­bald er vom Pfer­de ge­stie­gen war und nun ge­hen woll­te, empor­neh­men muss­te wie das Reit­kleid ei­ner Dame. Aber trotz die­ser äu­ße­ren Un­an­sehn­lich­keit muss­te man al­len Re­spekt vor ihm ha­ben. Er be­saß einen un­ge­mei­nen Scharf­sinn, viel Mut und Ge­wandt­heit und eine Aus­dau­er, wel­che ihn die größ­ten Be­schwer­den über­win­den ließ. Und da er auch au­ßer­dem alle Dia­lek­te sprach, wel­che zwi­schen dem Wohn­sit­ze der Uëlad Bu Seba und den Nil­mün­dun­gen er­klin­gen, so kann man sich den­ken, dass er mei­ne volls­te Zufrie­den­heit be­saß, so­dass ich ihn mehr als Freund denn als Die­ner be­han­del­te.

Eine Ei­gen­schaft be­saß er nun al­ler­dings, wel­che mir zu­wei­len recht un­be­quem wer­den konn­te: Er war ein fa­na­ti­scher Mu­sel­mann und hat­te aus Lie­be zu mir den Ent­schluss ge­fasst, mich zum Is­lam zu be­keh­ren. Eben jetzt hat­te er wie­der einen sei­ner frucht­lo­sen Ver­su­che un­ter­nom­men, und ich hät­te la­chen kön­nen, so ko­misch sah er da­bei aus.

Ich ritt einen klei­nen, halb­wil­den Ber­ber­hengst, und mei­ne Füße schleif­ten da­bei fast am Bo­den; er aber hat­te sich, um sei­ne Fi­gur zu un­ter­stüt­zen, eine alte, dür­re, aber him­mel­ho­he Has­si-Ferd­sch­ahn-Stu­te aus­ge­wählt und saß also so hoch, dass er zu mir her­nie­der­bli­cken konn­te. Wäh­rend der Un­ter­hal­tung war er äu­ßerst leb­haft; er we­del­te mit den bü­gel­lo­sen Bei­nen, ges­ti­ku­lier­te mit den dün­nen, brau­nen Ärm­chen und ver­such­te, sei­nen Wor­ten durch ein so leb­haf­tes Mie­nen­spiel Nach­druck zu ge­ben, dass ich alle Mühe hat­te, ernst zu blei­ben.

Als ich auf sei­ne letz­ten Wor­te nicht ant­wor­te­te, fuhr er fort:

»Weißt du, Sih­di, wie es den Gi­aurs nach ih­rem Tode er­ge­hen wird?«

»Nun?«, frag­te ich.

»Nach dem Tode kom­men alle Men­schen, sie mö­gen Mos­lems, Chris­ten, Ju­den oder et­was an­de­res sein, in den Barz­akh.«

»Das ist der Zu­stand zwi­schen dem Tode und der Au­fer­ste­hung?«

»Ja, Sih­di. Aus ihm wer­den sie alle mit dem Schall der Po­sau­nen er­weckt, denn el Jaum el Ak­bar, der Jüngs­te Tag, und el Ak­hi­ret, das Ende, sind ge­kom­men, wo dann al­les zu­grun­de geht, au­ßer el Kuhrs, der Ses­sel Got­tes, el Ruhh, der Hei­li­ge Geist, el Lau­hel ma­fus und el Kalam, die Ta­fel und die Fe­der der gött­li­chen Vor­her­be­stim­mung.«

»Wei­ter wird nichts mehr be­ste­hen?«

»Nein.«

»Aber das Pa­ra­dies und die Höl­le?«

»Sih­di, du bist klug und wei­se; du merkst gleich, was ich ver­ges­sen habe, und da­her ist es jam­mer­scha­de, dass du ein ver­fluch­ter Gi­aur blei­ben willst. Aber ich schwö­re es bei mei­nem Bar­te, dass ich dich be­keh­ren wer­de, du magst wol­len oder nicht!«

Bei die­sen Wor­ten zog er sei­ne Stirn in sechs dro­hen­de Fal­ten, zupf­te sich an den sie­ben Fa­sern sei­nes Kinns, zerr­te an den acht Spin­nen­fä­den rechts und an den neun Par­ti­keln links von sei­ner Nase, sum­ma sum­ma­rum Bart ge­nannt, schlen­ker­te die Bei­ne un­ter­neh­mend in die Höhe und fuhr mit der frei­en an­de­ren Hand der Stu­te so kräf­tig in die Mäh­ne, als sei sie der Teu­fel, dem ich ent­ris­sen wer­den soll­te.

Das so grau­sam aus sei­nem Nach­den­ken ge­stör­te Tier mach­te einen Ver­such, vorn em­por­zu­stei­gen, be­sann sich aber so­fort auf die Ehr­wür­dig­keit sei­nes Al­ters und ließ sich in sei­nen Gleich­mut stolz zu­rück­fal­len. Ha­lef aber setz­te sei­ne Rede fort:

»Ja, Dschen­net, das Pa­ra­dies, und Dsche­hen­na, die Höl­le, müs­sen auch mit blei­ben, denn wo­hin soll­ten die Se­li­gen und die Ver­damm­ten sonst kom­men? Vor­her aber müs­sen die Au­fer­stan­de­nen über die Brücke Ssi­reth, wel­che über den Teich Handh führt und so schmal und scharf ist, wie die Schnei­de ei­nes gut ge­schlif­fe­nen Schwer­tes.«

»Du hast noch eins ver­ges­sen«, be­merk­te ich.

»Was?«, frag­te er.

»Das Er­schei­nen des Dedd­schel.«

»Wahr­haf­tig! Sih­di, du kennst den Koran und alle hei­li­gen Bü­cher und willst dich nicht zur wah­ren Leh­re be­keh­ren! Aber tra­ge nur kei­ne Sor­ge; ich wer­de einen gläu­bi­gen Mos­lem aus dir ma­chen! Also vor dem Ge­richt wird sich der Dedd­schel zei­gen, den die Gi­aurs den An­ti­christ nen­nen, nicht wahr, Ef­fen­di?«

»Ja.«

»Dann wird über je­den das Buch Kit­ab auf­ge­schla­gen, in wel­chem sei­ne gu­ten und bö­sen Ta­ten ver­zeich­net ste­hen, und die Hi­sab ge­hal­ten, die Mus­te­rung sei­ner Hand­lun­gen, wel­che über fünf­zig­tau­send Jah­re währ­ten, eine Zeit, wel­che den Gu­ten wie ein Au­gen­blick ver­ge­hen, den Bö­sen aber wie eine Ewig­keit er­schei­nen wird. Das ist das Hukm, das Ab­wie­gen al­ler mensch­li­chen Ta­ten.«

»Und nach­her?«

»Nach­her folgt das Ur­teil. Die­je­ni­gen mit über­wie­gend gu­ten Wer­ken kom­men in das Pa­ra­dies, die un­gläu­bi­gen Sün­der aber in die Höl­le, wäh­rend die sün­di­gen Mos­lems nur auf kur­ze Zeit be­straft wer­den. Du siehst also, Sih­di, was dei­ner war­tet, selbst wenn du mehr gute als böse Ta­ten ver­rich­test. Aber du sollst ge­ret­tet wer­den, du sollst mit mir in das Dschen­net, in das Pa­ra­dies, kom­men, denn ich wer­de dich be­keh­ren, du magst wol­len oder nicht!«

Und wie­der stram­pel­te er bei die­ser Ver­si­che­rung so ener­gisch mit den Bei­nen, dass die alte Has­si-Ferd­sch­ahn-Stu­te ganz ver­wun­dert die Ohren spitz­te und mit den großen Au­gen nach ihm zu schie­len ver­such­te.

»Und was harrt mei­ner in eu­rer Höl­le?«, frag­te ich ihn.

»In der Dsche­hen­na brennt das Nar, das ewi­ge Feu­er; dort flie­ßen Bä­che, wel­che so sehr stin­ken, dass der Ver­damm­te trotz sei­nes glü­hen­den Durs­tes nicht aus ih­nen trin­ken mag, und dort ste­hen fürch­ter­li­che Bäu­me, un­ter ih­nen der schreck­li­che Baum Za­kum, auf des­sen Zwei­gen Teu­fels­köp­fe wach­sen.«

»Brrrrrrr!«

»Ja, Sih­di, es ist schau­der­haft! Der Be­herr­scher der Dsche­hen­na ist der Stra­fen­gel Tha­bek. Sie hat sie­ben Ab­tei­lun­gen, zu de­nen sie­ben Tore füh­ren. Im Dsche­hen­nem, der ers­ten Ab­tei­lung, müs­sen die sünd­haf­ten Mos­lems bü­ßen so lan­ge, bis sie ge­rei­nigt sind; Lad­ha, die zwei­te Ab­tei­lung, ist für die Chris­ten, Ho­tha­ma, die drit­te Ab­tei­lung, für die Ju­den, Sair, die vier­te, für die Sa­bier, Sa­kar, die fünf­te, für die Ma­gier und Feu­er­an­be­ter, und Ge­him, die sechs­te, für alle, wel­che Göt­zen oder Fe­ti­sche an­be­ten. Zao­vi­at aber, die sie­ben­te Ab­tei­lung, wel­che auch Derk As­fal ge­nannt wird, ist die al­ler­tiefs­te und fürch­ter­lichs­te; sie wird alle Heuch­ler auf­neh­men. In al­len die­sen Ab­tei­lun­gen wer­den die Ver­damm­ten von bö­sen Geis­tern durch Feu­er­strö­me ge­schleppt, und da­bei müs­sen sie vom Bau­me Za­kum die Teu­fels­köp­fe es­sen, wel­che dann ihre Ein­ge­wei­de zer­bei­ßen und zer­flei­schen. O, Ef­fen­di, be­keh­re dich zum Pro­phe­ten, da­mit du nur kur­ze Zeit in der Dsche­hen­na zu ste­cken brauchst!«

Ich schüt­tel­te den Kopf und sag­te:

»Dann kom­me ich in un­se­re Höl­le, wel­che eben­so ent­setz­lich ist wie die eu­ri­ge.«

»Glau­be dies nicht, Sih­di! Ich ver­spre­che dir beim Pro­phe­ten und al­len Ka­li­fen, dass du in das Pa­ra­dies kom­men wirst. Soll ich es dir be­schrei­ben?«

»Tue es!«

»Das Dschen­net liegt über den sie­ben Him­meln und hat acht Tore. Zu­erst kommst du an den großen Brun­nen Ha­wus Kew­ser, aus wel­chem Hun­dert­tau­sen­de Se­li­ge zu­gleich trin­ken kön­nen. Sein Was­ser ist wei­ßer als Milch, sein Ge­ruch köst­li­cher als Mo­schus und Myr­rhe, und an sei­nem Ran­de ste­hen Mil­lio­nen gol­de­ner Trink­scha­len, wel­che mit Dia­man­ten und Stei­nen be­setzt sind. Dann kommst du an Orte, wo die Se­li­gen auf gold­durch­wirk­ten Kis­sen ru­hen. Sie er­hal­ten von un­s­terb­li­chen Jüng­lin­gen und ewig jun­gen Hou­ris köst­li­che Spei­sen und Ge­trän­ke. Ihr Ohr wird ohne Auf­hö­ren von den Ge­sän­gen des En­gels Is­ra­fil ent­zückt und von den Har­mo­ni­en der Bäu­me, in de­nen Glo­cken hän­gen, wel­che ein vom Thro­ne Got­tes ge­sen­de­ter Wind be­wegt. Je­der Se­li­ge ist sech­zig El­len lang und im­mer­fort grad drei­ßig Jah­re alt. Un­ter al­len Bäu­men aber ragt her­vor der Tu­bah, der Baum der Glück­se­lig­keit, des­sen Stamm im Palas­te des großen Pro­phe­ten steht und des­sen Äste in die Woh­nun­gen der Se­li­gen rei­chen, wo an ih­nen al­les hängt, was zur Se­lig­keit er­for­der­lich ist. Aus den Wur­zeln des Bau­mes Tu­bah ent­sprin­gen alle Flüs­se des Pa­ra­die­ses, in de­nen Milch, Wein, Kaf­fee und Ho­nig strö­men.«

Trotz der Sinn­lich­keit die­ser Vor­stel­lung muss­te ich be­mer­ken, dass Mo­ham­med aus der christ­li­chen An­schau­ung ge­schöpft und die­sel­be für sei­ne No­ma­den­hor­den um­ge­mo­delt hat. Ha­lef blick­te mich jetzt mit ei­nem Ge­sich­te an, in wel­chem sehr deut­lich die Er­war­tung zu le­sen war, dass mich sei­ne Be­schrei­bung des Pa­ra­die­ses über­wäl­tigt ha­ben wer­de.

»Nun, was meinst du jetzt?«, frag­te er, als ich schwieg.

»Ich will dir auf­rich­tig sa­gen, dass ich nicht sech­zig El­len lang wer­den mag; auch mag ich von den Hou­ris nichts wis­sen, denn ich bin ein Feind al­ler Frau­en und Mäd­chen.«

»Wa­rum?«, frag­te er ganz er­staunt.

»Weil der Pro­phet sagt: ›Des Wei­bes Stim­me ist wie der Ge­sang des Bül­bül,2 aber ihre Zun­ge ist voll Gift wie die Zun­ge der Nat­ter.‹ Hast du das noch nicht ge­le­sen?«

»Ich habe es ge­le­sen.«

Er senk­te den Kopf; ich hat­te ihn mit den Wor­ten sei­nes ei­ge­nen Pro­phe­ten ge­schla­gen. Dann frag­te er mit et­was we­ni­ger Zu­ver­sicht­lich­keit:

»Ist nicht trotz­dem un­se­re Se­lig­keit schön? Du brauchst ja kei­ne Hou­ri an­zu­se­hen!«

»Ich blei­be ein Christ!«

»Aber es ist ja nicht schwer, zu sa­gen: La Illa illa Al­lah, we Mo­ham­med Re­sul Al­lah!«

»Ist es schwe­rer, zu be­ten: ja aba­na ’Iled­si, fi ’s – se­ma­va­ti, jata – had­de­so ’s­mo­ka?«

Er blick­te mich zor­nig an.

»Ich weiß es wohl, dass Isa Ben Mar­ryam, den ihr Je­sus nennt, euch die­ses Ge­bet ge­lehrt hat; ihr nennt es das Va­terun­ser. Du willst mich stets zu dei­nem Glau­ben be­keh­ren, aber den­ke nur nicht dar­an, dass du mich zu ei­nem Ab­trün­ni­gen vom Tau­hid, dem Glau­ben an Al­lah, ma­chen wirst!«

Ich hat­te schon mehr­mals ver­sucht, sei­nem Be­keh­rungs­ver­su­che den mei­ni­gen ent­ge­gen zu stel­len. Zwar war ich von der Frucht­lo­sig­keit des­sel­ben voll­stän­dig über­zeugt, aber es war das ein­zi­ge Mit­tel, ihn zum Schwei­gen zu brin­gen. Das be­währ­te sich auch jetzt wie­der.

»So lass mir mei­nen Glau­ben, wie ich dir den dei­ni­gen las­se!«

Er knurr­te auf die­se mei­ne Wor­te et­was vor sich hin und brumm­te dann:

»Aber ich wer­de dich den­noch be­keh­ren, du magst wol­len oder nicht. Und das muss mir ge­lin­gen, denn du hast ja auch ein Tes­bih, einen Ro­sen­kranz, um­hän­gen.3 Was ich ein­mal will, das will ich, denn ich bin der Had­schi4 Ha­lef Omar Ben Had­schi Abul Ab­bas Ibn Had­schi Da­wud al Gossa­rah!«

»So bist du also der Sohn Abul Ab­bas’, des Soh­nes Da­wud al Gossa­rah?«

»Ja.«

»Und bei­de wa­ren Pil­ger?«

»Ja.«

»Auch du bist ein Had­schi?«

»Ja.«

»So ward ihr alle Drei in Mek­ka und habt die hei­li­ge Kaa­ba ge­se­hen?«

»Da­wud al Gossa­rah nicht.«

»Ah! Und den­noch nennst du ihn einen Had­schi?«

»Ja, denn er war ei­ner. Er wohn­te am Dsche­bel Schur-Schum und mach­te sich als Jüng­ling auf die Pil­ger­rei­se. Er kam glück­lich über el Dschuf, das man den Leib der Wüs­te nennt; dann aber wur­de er krank und muss­te am Brun­nen Tra­sah zu­rück­blei­ben. Dort nahm er ein Weib und starb, nach­dem er sei­nen Sohn Abul Ab­bas ge­se­hen hat­te. Ist er nicht ein Had­schi, ein Pil­ger, zu nen­nen?«

»Hm! Aber Abul Ab­bas war in Mek­ka?«

»Nein.«

»Und auch er ist ein Had­schi?«

»Ja. Er trat die Pil­ger­fahrt an und kam bis in die Ebe­ne Ad­mar, wo er zu­rück­blei­ben muss­te.«

»Wa­rum?«

»Er er­blick­te da Amareh, die Per­le von Dschu­neth, und lieb­te sie. Amareh wur­de sein Weib und ge­bar ihm Ha­lef Omar, den du hier ne­ben dir siehst. Dann starb er. War er nicht ein Had­schi?«

»Hm! Aber du selbst warst in Mek­ka?«

»Nein.«

»Und nennst dich den­noch einen Pil­ger!«

»Ja. Als mei­ne Mut­ter tot war, be­gab ich mich auch auf die Pil­ger­schaft. Ich zog gen Auf­gang und Nie­der­gang der Son­ne; ich ging nach Mit­tag und nach Mit­ter­nacht; ich lern­te alle Oa­sen der Wüs­te und alle Orte Ägyp­tens ken­nen; ich war noch nicht in Mek­ka, aber ich wer­de noch dort­hin kom­men. Bin ich also nicht ein Had­schi?«

»Hm! Ich den­ke, nur wer in Mek­ka war, darf sich einen Had­schi nen­nen?«

»Ei­gent­lich, ja. Aber ich bin ja auf der Rei­se dort­hin!«

»Mög­lich! Doch du wirst auch ir­gend­wo eine schö­ne Jung­frau fin­den und bei ihr blei­ben; dei­nem Soh­ne wird es eben­so ge­hen, denn dies scheint euer Kis­met zu sein, und dann wird nach hun­dert Jah­ren dein Uren­kel sa­gen: ›Ich bin Had­schi Mu­stafa Ben Had­schi Ali Assa­beth Ibn Had­schi Saïd al Ham­za Ben Had­schi Sche­hab To­faïl Ibn Had­schi Ha­lef Omar Ben Had­schi Abul Ab­bas Ibn Had­schi Da­wud al Gossa­rah‹, und kei­ner von all die­sen sie­ben Pil­gern wird Mek­ka ge­se­hen ha­ben und ein ech­ter, wirk­li­cher Had­schi ge­wor­den sein. Meinst du nicht?«

So ernst er sonst war, er muss­te den­noch über die­se klei­ne, un­schäd­li­che Ma­li­ce la­chen. Es gibt un­ter den Mo­ham­me­da­nern sehr, sehr vie­le, die sich, be­son­ders dem Frem­den ge­gen­über, als Had­schi ge­bär­den, ohne die Kaa­ba ge­se­hen, den Lauf zwi­schen Ssa­fa und Mer­weh voll­bracht zu ha­ben, in Arafah ge­we­sen und in Mi­nah ge­scho­ren und ra­siert wor­den zu sein. Mein gu­ter Ha­lef fühl­te sich ge­schla­gen, aber er nahm es mit gu­ter Mie­ne hin.

»Sih­di«, frag­te er klein­laut, »wirst du es aus­plau­dern, dass ich noch nicht in Mek­ka war?«

»Ich wer­de nur dann da­von spre­chen, wenn du wie­der an­fängst, mich zum Is­lam zu be­keh­ren; sonst aber wer­de ich schwei­gen. Doch schau, sind das nicht Spu­ren im Sand?«

Wir wa­ren schon längst in das Wadi5 Tar­faui ein­ge­bo­gen und jetzt an eine Stel­le des­sel­ben ge­kom­men, an wel­cher der Wüs­ten­wind den Flug­sand über die ho­hen Fel­se­nu­fer hin­ab­ge­trie­ben hat­te. In die­sem San­de war eine sehr deut­li­che Fähr­te zu er­ken­nen.

»Hier sind Leu­te ge­rit­ten«, mein­te Ha­lef un­be­küm­mert.

»So wer­den wir ab­stei­gen, um die Spur zu un­ter­su­chen.«

Er blick­te mich fra­gend an.

»Sih­di, das ist über­flüs­sig. Es ist ge­nug, zu wis­sen, dass Leu­te hier ge­rit­ten sind. Wes­halb willst du die Huf­spu­ren un­ter­su­chen?«

»Es ist stets gut, zu wis­sen, wel­che Leu­te man vor sich hat.«

»Wenn du alle Spu­ren, wel­che du fin­dest, un­ter­su­chen willst, so wirst du un­ter zwei Mon­den nicht nach Sed­da­da kom­men. Was ge­hen dich die Män­ner an, die vor uns sind?«

»Ich bin in fer­nen Län­dern ge­we­sen, in de­nen es viel Wild­nis gibt und wo sehr oft das Le­ben da­von ab­hängt, dass man alle Darb und Ethar, alle Spu­ren und Fähr­ten, ge­nau be­trach­tet, um zu er­fah­ren, ob man ei­nem Freun­de oder ei­nem Fein­de be­geg­net.«

»Hier wirst du kei­nem Fein­de be­geg­nen, Ef­fen­di.«

»Das kann man nicht wis­sen.«

Ich stieg ab. Es wa­ren die Fähr­ten drei­er Tie­re zu be­mer­ken, ei­nes Ka­mels und zwei­er Pfer­de. Das ers­te­re war je­den­falls ein Reit­ka­mel, wie ich an der Zier­lich­keit sei­ner Huf­ein­drücke be­merk­te. Bei ge­nau­er Be­trach­tung fiel mir eine Ei­gen­tüm­lich­keit der Spu­ren auf, wel­che mich ver­mu­ten ließ, dass das eine der Pfer­de am ›Hah­nen­trit­t‹6 lei­de. Die­ses muss­te mei­ne Ver­wun­de­rung er­re­gen, da ich mich in ei­nem Lan­de be­fand, des­sen Pfer­de­reich­tum zur Fol­ge hat, dass man nie­mals Tie­re rei­tet, wel­che mit die­sem Übel be­haf­tet sind. Der Be­sit­zer des Ros­ses war ent­we­der kein oder ein sehr ar­mer Ara­ber.

Ha­lef lä­chel­te über die Sorg­falt, mit wel­cher ich den Sand un­ter­such­te, und frag­te, als ich mich wie­der em­por­rich­te­te:

»Was hast du ge­se­hen, Sih­di?«

»Es wa­ren zwei Pfer­de und ein Ka­mel.«

»Zwei Pfer­de und ein Djem­mel! Al­lah seg­ne dei­ne Au­gen; ich habe ganz das­sel­be ge­se­hen, ohne dass ich von mei­nem Tie­re zu stei­gen brauch­te. Du willst ein Ta­leb sein, ein Ge­lehr­ter, und tust doch Din­ge, über wel­che ein Ha­mahr, ein Esels­trei­ber, la­chen wür­de. Was hilft dir nun der Schatz des Wis­sens, den du hier ge­ho­ben hast?«

»Ich weiß nun zu­nächst, dass die drei Rei­ter vor un­ge­fähr vier Stun­den hier vor­über­ge­kom­men sind.«

»Wer gibt dir et­was für die­se Weis­heit? Ihr Män­ner aus dem Be­lad el Rumi, aus Eu­ro­pa, seid son­der­ba­re Leu­te!«

Er schnitt bei die­sen Wor­ten ein Ge­sicht, von wel­chem ich das tiefs­te Mit­leid le­sen konn­te, doch zog ich es vor, schwei­gend un­sern Weg fort­zu­set­zen.

Wir folg­ten der Fähr­te wohl eine Stun­de lang, bis wir da, wo das Wadi eine Krüm­mung mach­te und wir nun um eine Ecke bo­gen, un­will­kür­lich un­se­re Pfer­de an­hiel­ten. Wir sa­hen drei Gei­er, wel­che nicht weit vor uns hin­ter ei­ner Sand­dü­ne hock­ten und sich bei un­se­rem An­blick mit hei­se­ren Schrei­en in die Lüf­te er­ho­ben.

»El Büdj, der Bart­gei­er«, mein­te Ha­lef. »Wo er ist, da gibt es ganz si­cher ein Aas.«

»Es wird dort ir­gend­ein Tier ver­en­det sein«, ant­wor­te­te ich, in­dem ich ihm folg­te.

Er hat­te sein Pferd ra­scher vor­wärts­ge­trie­ben, so­dass ich hin­ter ihm zu­rück­ge­blie­ben war. Kaum hat­te er die Düne er­reicht, so hielt er mit ei­nem Ru­cke still und stieß einen Ruf des Schre­ckens aus.

»Masch Al­lah, Wun­der Got­tes! Was ist das? Ist das nicht ein Mensch, Sih­di, wel­cher hier liegt?«

Ich muss­te al­ler­dings be­ja­hend ant­wor­ten. Es war wirk­lich ein Mann, wel­cher hier lag, und an des­sen Leich­nam die Gei­er ihr schau­der­haf­tes Mahl ge­hal­ten hat­ten. Schnell sprang ich vom Pfer­de und knie­te bei ihm nie­der. Sei­ne Klei­dung war von den Kral­len der Vö­gel zer­fetzt. Aber lan­ge konn­te die­ser Un­glück­li­che noch nicht tot sein, wie ich bei der Berüh­rung so­fort fühl­te.

»Al­lah ke­rihm, Gott ist gnä­dig! Sih­di, ist die­ser Mann ei­nes na­tür­li­chen To­des ge­stor­ben?«, frag­te Ha­lef.

»Nein. Siehst du nicht die Wun­de am Hal­se und das Loch im Hin­ter­haup­te? Er ist er­mor­det wor­den.«

»Al­lah ver­der­be den Men­schen, der dies ge­tan hat! Oder soll­te der Tote in ei­nem ehr­li­chen Kamp­fe ge­fal­len sein?«

»Was nennst du ehr­li­chen Kampf? Vi­el­leicht ist er das Op­fer ei­ner Blut­ra­che. Wir wol­len sei­ne Klei­der un­ter­su­chen.«

Ha­lef half da­bei. Wir fan­den nicht das Ge­rings­te, bis mein Blick auf die Hand des To­ten fiel. Ich be­merk­te einen ein­fa­chen Gold­reif von der ge­wöhn­li­chen Form der Trau­rin­ge und zog ihn ab. In sei­ne in­ne­re Sei­te war klein, aber deut­lich ein­ge­gra­ben: »E.P. 15. Juil­let 1830.«

»Was fin­dest du?«, frag­te Ha­lef.

»Die­ser Mann ist kein Ibn Arab.«7

»Was sonst?«

»Ein Fran­zo­se.«

»Ein Fran­ke, ein Christ? Woran willst du dies er­ken­nen?«

»Wenn ein Christ sich ein Weib nimmt, so tau­schen bei­de je einen Ring, in wel­chem der Name und der Tag ein­ge­gra­ben sind, an dem die Ehe ge­schlos­sen wur­de.«

»Und dies ist ein sol­cher Ring?«

»Ja.«

»Aber wor­an er­kennst du, dass die­ser Tote zu dem Vol­ke der Fran­ken ge­hört? Er könn­te doch eben­so gut von den Ing­lis8 oder den Nem­si9 stam­men, zu de­nen auch du ge­hörst.«

»Es sind fran­zö­si­sche Zei­chen, wel­che ich hier lese.«

»Er kann den­noch zu ei­nem an­de­ren Vol­ke ge­hö­ren. Meinst du nicht, Ef­fen­di, dass man einen Ring fin­den oder auch steh­len kann?«

»Das ist wahr. Aber sieh das Hemd, wel­ches er un­ter sei­ner Klei­dung trägt. Es ist das­je­ni­ge ei­nes Eu­ro­pä­ers.«

»Wer hat ihn ge­tö­tet?«

»Sei­ne bei­den Beglei­ter. Siehst du nicht, dass der Bo­den hier auf­ge­wühlt ist vom Kamp­fe? Be­merkst du nicht, dass – –«

Ich hielt mit­ten im Sat­ze inne. Ich hat­te mich aus mei­ner kni­en­den Stel­lung er­ho­ben, um den Bo­den zu un­ter­su­chen, und fand nicht weit von der Stel­le, an wel­cher der Tote lag, den An­fang ei­ner brei­ten Blut­spur, wel­che sich seit­wärts zwi­schen die Fel­sen zog. Ich folg­te ihr mit schuss­be­rei­tem Ge­wehr, da die Mör­der sich leicht noch in der Nähe be­fin­den konn­ten. Noch war ich nicht weit ge­gan­gen, so stieg mit lau­tem Flü­gel­schlag ein Gei­er em­por und ich be­merk­te an dem Orte, von wel­chem er sich er­ho­ben hat­te, ein Ka­mel lie­gen.

Es war tot; in sei­ner Brust klaff­te eine tie­fe, brei­te Wun­de. Ha­lef schlug die Hän­de be­dau­ernd in­ein­an­der.

»Ein grau­es He­d­jihn, ein grau­es Tua­reg-He­d­jihn, und die­se Mör­der, die­se Schur­ken, die­se Hun­de ha­ben es ge­tö­tet!«

Es war klar, er be­dau­er­te das präch­ti­ge Reit­tier viel mehr als den to­ten Fran­zo­sen. Als ech­ter Sohn der Wüs­te, dem der ge­rings­te Ge­gen­stand kost­bar wer­den kann, bück­te er sich nie­der und un­ter­such­te den Sat­tel des Ka­mels. Er fand nichts; die Ta­schen wa­ren leer.

»Die Mör­der ha­ben be­reits al­les hin­weg­ge­nom­men, Sih­di. Mö­gen sie in alle Ewig­keit in der Dsche­hen­na bra­ten. Nichts, gar nichts ha­ben sie zu­rück­ge­las­sen, als das Ka­mel – und die Pa­pie­re, wel­che dort im San­de lie­gen.«

Durch die­se Wor­te auf­merk­sam ge­macht, be­merk­te ich in ei­ner Ent­fer­nung von uns al­ler­dings ei­ni­ge mit den Hän­den zu­sam­men­ge­ball­te und wohl als un­nütz weg­ge­wor­fe­ne Pa­pier­stücke. Sie konn­ten mir viel­leicht einen An­halts­punkt bie­ten, und ich ging, um sie auf­zu­he­ben. Es wa­ren meh­re­re Zei­tungs­bo­gen. Ich glät­te­te die zu­sam­men­ge­knit­ter­ten Fet­zen und pass­te sie ge­nau an­ein­an­der. Ich hat­te zwei Sei­ten der »Vi­gie al­géri­en­ne« und eben­so viel vom »L’In­dé­pen­dant« und der »Ma­hou­n­a« in den Hän­den. Das ers­te Blatt er­scheint in Al­gier, das zwei­te in Con­stan­ti­ne und das drit­te in Guel­ma. Trotz die­ser ört­li­chen Ver­schie­den­heit be­merk­te ich bei nä­he­rer Prü­fung eine mir auf­fäl­li­ge Über­ein­stim­mung be­züg­lich des In­hal­tes der drei Zei­tungs­fet­zen: Sie ent­hiel­ten näm­lich alle drei einen Be­richt über die Er­mor­dung ei­nes rei­chen fran­zö­si­schen Kauf­man­nes in Bli­dah. Des Mor­des drin­gend ver­däch­tig war ein ar­me­ni­scher Händ­ler, wel­cher die Flucht er­grif­fen hat­te und steck­brief­lich ver­folgt wur­de. Die Be­schrei­bung sei­ner Per­son stimm­te in al­len drei Jour­na­len ganz wört­lich über­ein.

Aus wel­chem Grun­de hat­te der Tote, wel­chem die­ses Ka­mel ge­hör­te, die­se Blät­ter bei sich ge­führt? Ging ihn der Fall per­sön­lich et­was an? War er ein Ver­wand­ter des Kauf­manns in Bli­dah, war er der Mör­der, oder war er ein Po­li­zist, der die Spur des Ver­bre­chers ver­folgt hat­te?

Ich nahm die Pa­pie­re an mich, wie ich auch den Ring an mei­nen Fin­ger ge­steckt hat­te, und kehr­te mit Ha­lef zu der Lei­che zu­rück. Über ihr schweb­ten be­harr­lich die Gei­er, wel­che sich nun nach un­se­rer Ent­fer­nung auf das Ka­mel nie­der­lie­ßen.

»Was ge­den­kest du nun zu tun, Sih­di?«, frag­te der Die­ner.

»Es bleibt uns nichts üb­rig, als den Mann zu be­gra­ben.«

»Willst du ihn in die Erde schar­ren?«

»Nein; dazu feh­len uns die Werk­zeu­ge. Wir er­rich­ten einen Stein­hau­fen über ihm; so wird kein Tier zu ihm ge­lan­gen kön­nen.«

»Und du denkst wirk­lich, dass er ein Gi­aur ist?«

»Er ist ein Christ.«

»Es ist mög­lich, dass du dich den­noch irrst, Sih­di; er kann trotz­dem auch ein Recht­gläu­bi­ger sein. Da­rum er­lau­be mir eine Bit­te!«

»Wel­che?«

»Lass uns ihn so le­gen, dass er mit dem Ge­sich­te nach Mek­ka blickt!«

»Ich habe nichts da­ge­gen, denn dann ist es zu­gleich nach Je­ru­sa­lem ge­rich­tet, wo der Wel­tei­land litt und starb. Grei­fe an!«

Es war ein trau­ri­ges Werk, wel­ches wir in der tie­fen Ein­sam­keit vollen­de­ten. Als der Stein­hau­fen, wel­cher den Un­glück­li­chen be­deck­te, so hoch war, dass er der Lei­che voll­stän­di­gen Schutz ge­gen die Tie­re der Wüs­te ge­währ­te, füg­te ich noch so viel hin­zu, dass er die Ge­stalt ei­nes Kreu­zes be­kam, und fal­te­te dann die Hän­de, um ein Ge­bet zu spre­chen. Als ich da­mit ge­en­det hat­te, wand­te Ha­lef sein Auge ge­gen Mor­gen, um mit der hun­dert­und­zwölf­ten Sure des Korans zu be­gin­nen:

»Im Na­men des all­barm­her­zi­gen Got­tes! Sprich: Gott ist der ein­zi­ge und ewi­ge Gott. Er zeugt nicht und ist nicht ge­zeugt, und kein We­sen ist ihm gleich. Der Mensch liebt das da­hin­ei­len­de Le­ben und lässt das zu­künf­ti­ge un­be­ach­tet. Dei­ne Abrei­se aber ist ge­kom­men, und nun wirst du hin­ge­trie­ben zu dei­nem Herrn, der dich auf­er­we­cken wird zu neu­em Le­ben. Möge dann die Zahl dei­ner Sün­den klein sein und die Zahl dei­ner gu­ten Ta­ten so groß wie der Sand, auf dem du ein­sch­liefst in der Wüs­te!«

Nach die­sen Wor­ten bück­te er sich nie­der, um sei­ne Hän­de, die er mit der Lei­che ver­un­rei­nigt hat­te, mit dem San­de ab­zu­wa­schen.

»So, Sih­di, jetzt bin ich wie­der ta­hir, was die Kin­der Is­rael kau­scher10 nen­nen, und darf wie­der be­rüh­ren, was rein und hei­lig ist. Was tun wir jetzt?«

»Wir ei­len den Mör­dern nach, um sie ein­zu­ho­len.«

»Willst du sie tö­ten?«

»Ich bin ihr Rich­ter nicht. Ich wer­de mit ih­nen spre­chen und dann er­fah­ren, warum sie ihn ge­tö­tet ha­ben. Dann weiß ich, was ich tun wer­de.«

»Es kön­nen kei­ne klu­gen Män­ner sein, sonst hät­ten sie nicht ein He­d­jihn ge­tö­tet, wel­ches mehr wert ist, als ihre Pfer­de.«

»Das He­d­jihn hät­te sie viel­leicht ver­ra­ten. Hier siehst du ihre Spur. Vor­wärts! Sie sind fünf Stun­den vor uns; viel­leicht tref­fen wir mor­gen auf sie, noch ehe sie Sed­da­da er­rei­chen.«

Wir jag­ten trotz der drücken­den Hit­ze und des schwie­ri­gen, fel­si­gen Bo­dens mit ei­ner Eile da­hin, als ob es gel­te, Ga­zel­len ein­zu­ho­len, und es war da­bei ganz un­mög­lich, ein Ge­spräch zu füh­ren. Die­se Schweig­sam­keit aber konn­te mein gu­ter Ha­lef un­mög­lich lan­ge aus­hal­ten.

»Sih­di«, rief er hin­ter mir, »Sih­di, willst du mich ver­las­sen?«

Ich dreh­te mich nach ihm um.

»Ver­las­sen?«

»Ja. Mei­ne Stu­te hat äl­te­re Bei­ne als dein Ber­ber­hengst.«

Wirk­lich trief­te die alte Has­si-Ferd­sch­ahn-Stu­te be­reits von Schweiß, und der Schaum flog ihr in großen Flo­cken von dem Mau­le.

»Aber wir kön­nen heu­te nicht wie ge­wöhn­lich wäh­rend der größ­ten Hit­ze Rast ma­chen, son­dern wir müs­sen rei­ten bis zur Nacht, sonst ho­len wir die bei­den, wel­che vor uns sind, nicht ein.«

»Wer zu viel eilt, kommt auch nicht frü­her als der, wel­cher lang­sam rei­tet, Ef­fen­di, denn – Al­lah Ak­bar, bli­cke da hin­un­ter!«

Wir be­fan­den uns vor ei­nem jä­hen Sturz des Wadi und sa­hen in der Ent­fer­nung von viel­leicht ei­ner Vier­tel­wegs­stun­de un­ter uns zwei Rei­ter oder viel­mehr zwei Män­ner an ei­ner klei­nen Sob­ha11 sit­zen, in wel­cher sich bra­cki­ges Was­ser er­hal­ten hat­te. Ihre Pfer­de knab­ber­ten an den dür­ren, sta­che­li­gen Mi­mo­sen her­um, wel­che in der Nähe stan­den.

»Ah, sie sind es!«

»Ja, Sih­di, sie sind es. Auch ih­nen ist es zu heiß ge­we­sen, und sie ha­ben be­schlos­sen, zu war­ten, bis die größ­te Glut vor­über ist.«

»Oder sie ha­ben sich ver­weilt, um die Beu­te zu tei­len. Zu­rück, Ha­lef, zu­rück, da­mit sie dich nicht be­mer­ken! Wir wer­den das Wadi ver­las­sen und ein we­nig nach West rei­ten, um zu tun, als ob wir vom Schott Rhar­sa kämen.«

»Wa­rum, Ef­fen­di?«

»Sie sol­len nicht ah­nen, dass wir die Lei­che des Er­mor­de­ten ge­fun­den ha­ben.«

Un­se­re Pfer­de er­klom­men das Ufer des Wadi, und wir rit­ten stracks nach Wes­ten in die Wüs­te hin­ein. Dann schlu­gen wir einen Bo­gen und hiel­ten auf die Stel­le zu, an wel­cher sich die bei­den be­fan­den. Sie konn­ten uns nicht kom­men se­hen, da sie in der Tie­fe des Wadi sa­ßen, muss­ten uns aber hö­ren, als wir dem­sel­ben nahe ge­kom­men wa­ren.

Wirk­lich hat­ten sie sich, als wir den Rand der Ver­tie­fung er­reich­ten, be­reits er­ho­ben und nach ih­ren Ge­weh­ren ge­grif­fen. Ich tat na­tür­lich, als sei ich eben­so über­rascht wie sie selbst, hier in der Ein­sam­keit der Wüs­te so plötz­lich auf Men­schen zu tref­fen, hielt es je­doch nicht für nö­tig, nach mei­ner Büch­se zu lan­gen.

»Salam aal­eï­kum!«, rief ich, mein Pferd an­hal­tend, zu ih­nen hin­ab.

»Aleï­kum«, ant­wor­te­te der äl­te­re von ih­nen. »Wer seid ihr?«

»Wir sind fried­li­che Rei­ter.«

»Wo kommt ihr her?«

»Von Wes­ten.«

»Und wo wollt ihr hin?«

»Nach Sed­da­da.«

»Von wel­chem Stam­me seid ihr?«

Ich deu­te­te auf Ha­lef und ant­wor­te­te:

»Die­ser hier stammt aus der Ebe­ne Ad­mar, und ich ge­hö­re zu den Beni-Sach­sa. Wer seid ihr?«

»Wir sind von dem be­rühm­ten Stam­me der Uëlad Ha­ma­lek.«

»Die Uëlad Ha­ma­lek sind gute Rei­ter und tap­fe­re Krie­ger. Wo kommt ihr her?«

»Von Gaf­sa.«

»Da habt ihr eine wei­te Rei­se hin­ter euch. Wo­hin wollt ihr?«

»Nach dem Bir12 Saui­di, wo wir Freun­de ha­ben.«

Bei­des, dass sie von Gaf­sa ka­men und nach dem Brun­nen Saui­di woll­ten, war eine Lüge, doch tat ich, als ob ich ih­ren Wor­ten glaub­te, und frag­te:

»Er­laubt ihr uns, bei euch zu ras­ten?«

»Wir blei­ben hier bis zum frü­hen Mor­gen«, lau­te­te die Ant­wort, wel­che also für mei­ne Fra­ge we­der ein Ja noch ein Nein ent­hielt.

»Auch wir ge­den­ken, bis zum Auf­gang der nächs­ten Son­ne hier aus­zu­ru­hen. Ihr habt ge­nug Was­ser für uns alle und auch für un­se­re Pfer­de. Dür­fen wir bei euch blei­ben?«

»Die Wüs­te ge­hört al­len. Mar­ha­ba, du sollst uns will­kom­men sein!«

Es war ih­nen trotz die­ses Be­schei­des leicht an­zu­se­hen, dass ih­nen un­ser Ge­hen lie­ber ge­we­sen wäre, als un­ser Blei­ben; wir aber lie­ßen un­se­re Pfer­de den Ab­hang hin­un­ter klet­tern und stie­gen an dem Was­ser ab, wo wir so­fort un­ge­niert Platz nah­men.

Die bei­den Phy­sio­gno­mi­en, wel­che ich nun stu­die­ren konn­te, wa­ren kei­nes­wegs ver­trau­en­er­we­ckend. Der äl­te­re, wel­cher bis­her das Wort ge­führt hat­te, war lang und ha­ger ge­baut. Der Bur­nus hing ihm am Lei­be wie an ei­ner Vo­gel­scheu­che. Un­ter dem schmut­zig blau­en Tur­ban blick­ten zwei klei­ne, ste­chen­de Au­gen un­heim­lich her­vor; über den schma­len, blut­lee­ren Lip­pen fris­te­te ein dün­ner Bart ein küm­mer­li­ches Da­sein; das spit­ze Kinn zeig­te eine auf­fal­len­de Nei­gung, nach oben zu stei­gen, und die Nase, ja, die­se Nase er­in­ner­te mich leb­haft an die Gei­er, wel­che ich vor kur­z­er Zeit von der Lei­che des Er­mor­de­ten ver­trie­ben hat­te. Das war kei­ne Ad­ler- und auch kei­ne Ha­bichts­na­se; sie hat­te wirk­lich die Form ei­nes Gei­er­schna­bels.

Der an­de­re war ein jun­ger Mann von auf­fal­len­der Schön­heit; aber die Lei­den­schaf­ten hat­ten sein Auge um­flort, sei­ne Ner­ven ent­kräf­tet und sei­ne Stirn und Wan­gen zu früh ge­furcht. Man konn­te un­mög­lich Ver­trau­en zu ihm ha­ben.

Der äl­te­re sprach das Ara­bi­sche mit je­nem Ak­zent, wie man es am Eu­phrat spricht, und der jün­ge­re ließ mich ver­mu­ten, dass er kein Ori­en­ta­le, son­dern ein Eu­ro­pä­er sei. Ihre Pfer­de, wel­che in der Nähe stan­den, wa­ren schlecht und sicht­lich ab­ge­trie­ben; ihre Klei­dung hat­te ein sehr mit­ge­nom­me­nes Aus­se­hen, aber ihre Waf­fen wa­ren aus­ge­zeich­net. Da, wo sie vor­hin ge­ses­sen, la­gen ver­schie­de­ne Ge­gen­stän­de, wel­che sonst in der Wüs­te sel­ten sind und wohl nur des­halb lie­gen ge­blie­ben wa­ren, weil die bei­den kei­ne Zeit ge­fun­den hat­ten, sie zu ver­ber­gen: ein sei­de­nes Ta­schen­tuch, eine gol­de­ne Uhr nebst Ket­te, ein Kom­pass, ein pracht­vol­ler Re­vol­ver und ein in Maro­quin ge­bun­de­nes Ta­schen­buch.

Ich tat, als ob ich die­se Ge­gen­stän­de gar nicht be­merkt hät­te, nahm aus der Sat­tel­ta­sche eine Hand­voll Dat­teln und be­gann, die­sel­ben mit gleich­gül­ti­ger und zu­frie­de­ner Mie­ne zu ver­zeh­ren.

»Was wollt ihr in Sed­da­da?«, frag­te mich der Lan­ge.

»Nichts. Wir ge­hen wei­ter.«

»Wo­hin?«

»Über den Schott Dsche­rid nach Fet­nas­sa und Kbil­li.«

Ein un­be­wach­ter Blick, den er auf sei­nen Ge­fähr­ten warf, sag­te mir, dass ihr Weg der näm­li­che sei. Dann frag­te er wei­ter:

»Hast du Ge­schäf­te in Fet­nas­sa oder Kbil­li?«

»Ja.«

»Du willst dei­ne Her­den dort ver­kau­fen?«

»Nein.«

»Oder dei­ne Skla­ven?«

»Nein.«

»Oder viel­leicht die Wa­ren, die du aus dem Su­dan kom­men lässt?«

»Nein.«

»Was sonst?«

»Nichts. Ein Sohn mei­nes Stam­mes treibt mit Fet­nas­sa kei­nen Han­del.«

»Oder willst du dir ein Weib dort ho­len?«

Ich im­pro­vi­sier­te eine sehr zor­ni­ge Mie­ne.

»Weißt du nicht, dass es eine Be­lei­di­gung ist, zu ei­nem Man­ne von sei­nem Wei­be zu spre­chen! Oder bist du ein Gi­aur, dass du die­ses nicht er­fah­ren hast?«

Wahr­haf­tig, der Mann er­schrak förm­lich, und ich be­gann, in­fol­ge­des­sen die Ver­mu­tung zu he­gen, dass ich mit mei­nen Wor­ten das Rich­ti­ge ge­trof­fen hat­te. Er hat­te ganz und gar nicht die Phy­sio­gno­mie ei­nes Be­dui­nen; Ge­sich­ter, wie das sei­ni­ge, wa­ren mir viel­mehr bei Män­nern von ar­me­ni­scher Her­kunft auf­ge­fal­len und – – ah, war es nicht ein ar­me­ni­scher Händ­ler, der den Kauf­mann in Bli­dah er­mor­det hat­te und des­sen Steck­brief ich in der Ta­sche trug? Ich hat­te mir nicht die Zeit ge­nom­men, den Steck­brief, we­nigs­tens das Si­gna­le­ment, auf­merk­sam durch­zu­le­sen. Wäh­rend mir die­se Ge­dan­ken blitz­schnell durch den Kopf gin­gen, fiel mein Blick noch­mals auf den Re­vol­ver. An sei­nem Griff be­fand sich eine sil­ber­ne Plat­te, in wel­che ein Name ein­gra­viert war.

»Er­lau­be mir!«

Zu glei­cher Zeit mit die­ser Bit­te griff ich nach der Waf­fe und las: »Paul Ga­lin­gré, Mar­seil­le.« Das war ganz si­cher nicht der Name der Fa­brik, son­dern des Be­sit­zers. Ich ver­riet aber mein In­ter­es­se durch kei­ne Mie­ne, son­dern frag­te leicht­hin:

»Was ist das für eine Waf­fe?«

»Ein – ein – – ein Dreh­ge­wehr.«

»Magst du mir zei­gen, wie man mit ihm schießt?«

Er er­klär­te es mir. Ich hör­te ihm sehr auf­merk­sam zu und mein­te dann:

»Du bist kein Uëlad Ha­ma­lek, son­dern ein Gi­aur.«

»Wa­rum?«

»Sie­he, dass ich recht ge­ra­ten habe! Wä­rest du ein Sohn des Pro­phe­ten, so wür­dest du mich nie­der­schie­ßen, weil ich dich einen Gi­aur nann­te. Nur die Ungläu­bi­gen ha­ben Dreh­ge­weh­re. Wie soll die­se Waf­fe in die Hän­de ei­nes Uëlad Ha­ma­lek ge­kom­men sein! Ist sie ein Ge­schenk?«

»Nein.«

»So hast du sie ge­kauft?«

»Nein.«

»Dann war sie eine Beu­te?«

»Ja.«

»Von wem?«

»Von ei­nem Fran­ken.«

»Mit dem du kämpf­test?«

»Ja.«

»Wo?«

»Auf dem Schlacht­fel­de.«

»Auf wel­chem?«

»Bei El Gu­er­a­ra.«

»Du lügst!«

Jetzt riss ihm doch end­lich die Ge­duld. Er er­hob sich und griff nach dem Re­vol­ver.

»Was sagst du? Ich lüge? Soll ich dich nie­der­schie­ßen wie – – –«

Ich fiel ihm in die Rede:

»Wie den Fran­ken da oben im Wadi Tar­faui!«

Die Hand, wel­che den Re­vol­ver hielt, sank wie­der nie­der, und eine fah­le Bläs­se be­deck­te das Ge­sicht des Man­nes. Doch raff­te er sich zu­sam­men und frag­te dro­hend:

»Was meinst du mit die­sen Wor­ten?«

Ich lang­te in mei­ne Ta­sche, zog die Zei­tun­gen her­aus und tat einen Blick in die Blät­ter, um den Na­men des Mör­ders zu fin­den.

»Ich mei­ne, dass du ganz ge­wiss kein Uëlad Ha­ma­lek bist. Dein Name ist mir sehr be­kannt; er lau­tet Hamd el Ama­sat.«

Jetzt fuhr er zu­rück und streck­te bei­de Hän­de wie zur Ab­wehr ge­gen mich aus.

»Wo­her kennst du mich?«

»Ich ken­ne dich; das ist ge­nug.«

»Nein, du kennst mich nicht; ich hei­ße nicht so, wie du sag­test; ich bin ein Uëlad Ha­ma­lek, und wer das nicht glaubt, den schie­ße ich nie­der!«

»Wem ge­hö­ren die­se Sa­chen?«

»Mir.«

Ich er­griff das Ta­schen­tuch. Es war mit »P.G.« ge­zeich­net. Ich öff­ne­te die Uhr und fand auf der In­nen­sei­te des De­ckels ganz die­sel­ben Buch­sta­ben ein­gra­viert.

»Wo­her hast du sie?«

»Was geht es dich an? Lege sie von dir!«

An­statt ihm zu ge­hor­chen, öff­ne­te ich auch das No­tiz­buch. Auf dem ers­ten Blat­te des­sel­ben las ich den Na­men Paul Ga­lin­gré; der In­halt aber war ste­no­gra­fiert, und ich kann Ste­no­gra­fie nicht le­sen.

»Weg mit dem Bu­che, sage ich dir!«

Bei die­sen Wor­ten schlug er mir das­sel­be aus der Hand, so­dass es in die La­che flog. Ich er­hob mich, um den Ver­such zu ma­chen, es zu ret­ten, fand aber jetzt dop­pel­ten Wi­der­stand, da sich nun auch der jün­ge­re der bei­den Män­ner zwi­schen mich und das Was­ser stell­te.

Ha­lef hat­te dem Wort­wech­sel bis­her schein­bar gleich­gül­tig zu­ge­hört, aber ich sah, dass sein Fin­ger an dem Drücker sei­ner lan­gen Flin­te lag. Es be­durf­te nur ei­nes Win­kes von mir, um ihn zum Schus­se zu brin­gen. Ich bück­te mich, um auch den Kom­pass noch auf­zu­neh­men.

»Halt; das ist mein! Gib die­se Sa­chen her­aus!«, rief der Geg­ner.

Er fass­te mei­nen Arm, um sei­nen Wor­ten Nach­druck zu ge­ben; ich aber sag­te so ru­hig wie mög­lich:

»Set­ze dich wie­der nie­der! Ich habe mit dir zu re­den.«

»Ich habe mit dir nichts zu schaf­fen!«

»Aber ich mit dir. Set­ze dich, wenn ich dich nicht nie­der­schie­ßen soll!«

Die­se Dro­hung schi­en doch nicht ganz un­wirk­sam zu sein. Er ließ sich wie­der zur Erde nie­der, und ich tat ganz das­sel­be. Dann zog ich mei­nen Re­vol­ver und be­gann:

»Sie­he, dass ich auch ein sol­ches Dreh­ge­wehr habe! Lege das dei­ni­ge weg, sonst geht das mei­ni­ge los!«

Er leg­te die Waf­fe lang­sam ne­ben sich hin aus der Hand, hielt sich aber zum au­gen­blick­li­chen Griff be­reit.

»Du bist kein Uëlad Ha­ma­lek?«

»Ich bin ei­ner.«

»Du kommst nicht von Gaf­sa?«

»Ich kom­me von dort.«

»Wie lan­ge Zeit rei­test du be­reits im Wadi Tar­faui?«

»Was geht es dich an!«

»Es geht mich sehr viel an. Da oben liegt die Lei­che ei­nes Man­nes, den du er­mor­det hast.«

Ein bö­ser Zug durch­zuck­te sein Ge­sicht.

»Und wenn ich es ge­tan hät­te, was hät­test du dar­über zu sa­gen?«

»Nicht viel; nur ei­ni­ge Wor­te.«

»Wel­che?«

»Wer war der Mann?«

»Ich ken­ne ihn nicht.«

»Wa­rum hast du ihn und sein Ka­mel ge­tö­tet?«

»Weil es mir so ge­fiel.«

»War er ein Recht­gläu­bi­ger?«

»Nein. Er war ein Gi­aur.«

»Du hast ge­nom­men, was er bei sich trug?«

»Soll­te ich es bei ihm lie­gen las­sen?«

»Nein, denn du hat­test es für mich auf­zu­he­ben.«

»Für dich – –?«

»Ja.«

»Ich ver­ste­he dich nicht.«

»Du sollst mich ver­ste­hen. Der Tote war ein Gi­aur; ich bin auch ein Gi­aur und wer­de sein Rä­cher sein.«

»Sein Blut­rä­cher?«

»Nein; wenn ich das wäre, so hät­test du be­reits auf­ge­hört, zu le­ben. Wir sind in der Wüs­te, wo kein Ge­setz gilt als nur das des Stär­ke­ren. Ich will nicht er­pro­ben, wer von uns der Stär­ke­re ist; ich über­ge­be dich der Ra­che Got­tes, des All­wis­sen­den, der al­les sieht und kei­ne Tat un­ver­gol­ten lässt; aber das eine sage ich dir, und das magst du dir wohl mer­ken: Du gibst al­les her­aus, was du dem To­ten ab­ge­nom­men hast.«

Er lä­chel­te über­le­gen.

»Meinst du wirk­lich, dass ich die­ses tue?«

»Ich mei­ne es.«

»So nimm dir, was du ha­ben willst!«

Er zuck­te mit der Hand, um nach dem Re­vol­ver zu grei­fen; schnell aber hielt ich ihm die Mün­dung des mei­ni­gen ent­ge­gen.

»Halt, oder ich schie­ße!«

Es war je­den­falls eine sehr ei­gen­tüm­li­che Si­tua­ti­on, in der ich mich be­fand. Glück­li­cher­wei­se aber schi­en mein Geg­ner mehr Ver­schla­gen­heit als Mut zu be­sit­zen. Er zog die Hand wie­der zu­rück und schi­en un­ent­schlos­sen zu wer­den.

»Was willst du mit den Sa­chen tun?«

»Ich wer­de sie den Ver­wand­ten des To­ten zu­rück­ge­ben.«

Es war fast eine Art von Mit­leid, mit der er mich jetzt fi­xier­te.

»Du lügst. Du willst sie für dich be­hal­ten!«

»Ich lüge nicht.«

»Und was wirst du ge­gen mich un­ter­neh­men?«

»Jetzt nichts; aber hüte dich, mir je­mals wie­der zu be­geg­nen!«

»Du rei­test wirk­lich von hier nach Sed­da­da?«

»Ja.«

»Und wenn ich dir die Sa­chen gebe, wirst du mich und mei­nen Ge­fähr­ten un­ge­hin­dert nach dem Bir Saui­di ge­hen las­sen?«

»Ja.«

»Du ver­sprichst es mir?«

»Ja.«

»Be­schwö­re es!«

»Ein Gi­aur schwört nie; sein Wort ist auch ohne Schwur die Wahr­heit.«

»Hier, nimm das Dreh­ge­wehr, die Uhr, den Kom­pass und das Tuch.«

»Was hat­te er noch bei sich?«

»Nichts.«

»Er hat­te Geld.«

»Das wer­de ich be­hal­ten.«

»Ich habe nichts da­ge­gen; aber gib mir den Beu­tel oder die Bör­se, in der es sich be­fand.«

»Du sollst sie ha­ben.«

Er griff in sei­nen Gür­tel und zog eine ge­stick­te Per­len­bör­se her­vor, die er leer­te und mir dann ent­ge­gen­reich­te.

»Wei­ter hat­te er nichts bei sich?«

»Nein. Willst du mich aus­su­chen?«

»Nein.«

»So kön­nen wir ge­hen?«

»Ja.«

Er schi­en sich jetzt doch leich­ter zu füh­len als vor­hin; sein Beglei­ter aber war ganz si­cher ein furcht­sa­mer Mensch, der sehr froh war, auf die­se Wei­se da­von­zu­kom­men. Sie nah­men ihre Hab­se­lig­kei­ten zu­sam­men und be­stie­gen ihre Pfer­de.

»Salam aal­eï­kum, Frie­de sei mit euch!«

Ich ant­wor­te­te nicht, und sie nah­men die­se Un­höf­lich­keit sehr gleich­gül­tig hin. In we­ni­gen Au­gen­bli­cken wa­ren sie hin­ter dem Ran­de des Wa­di­u­fers ver­schwun­den.

Ha­lef hat­te bis jetzt kein ein­zi­ges Wort ge­spro­chen; nun brach er sein Schwei­gen.

»Sih­di!«

»Was?«

»Darf ich dir et­was sa­gen?«

»Ja.«

»Kennst du den Strauß?«

»Ja.«

»Weißt du, wie er ist?«

»Nun?«

»Dumm, sehr dumm.«

»Wei­ter!«

»Ver­zei­he mir, Ef­fen­di, aber du kommst mir noch schlim­mer vor, als der Strauß.«

»Wa­rum?«

»Weil du die­se Schur­ken lau­fen lässt.«

»Ich kann sie nicht hal­ten und auch nicht tö­ten.«

»Wa­rum nicht? Hät­ten sie einen Recht­gläu­bi­gen er­mor­det, so kannst du dich dar­auf ver­las­sen, dass ich sie zum Scheïtan, zum Teu­fel, ge­schickt hät­te. Da es aber ein Gi­aur war, so ist es mir sehr gleich­gül­tig, ob sie Stra­fe fin­den oder nicht. Du aber bist ein Christ und lässt die Mör­der ei­nes Chris­ten ent­kom­men!«

»Wer sagt dir, dass sie ent­kom­men wer­den?«

»Sie sind ja be­reits fort! Sie wer­den den Bir Saui­di er­rei­chen und von da nach De­bi­la und El Uëd ge­hen, um in der Areg13 zu ver­schwin­den.«

»Das wer­den sie nicht.«

»Was sonst? Sie sag­ten ja, dass sie nach Bir Saui­di ge­hen wer­den.«

»Sie lo­gen. Sie wer­den nach Sed­da­da ge­hen.«

»Wer sag­te es dir?«

»Mei­ne Au­gen.«

»Al­lah seg­ne dei­ne Au­gen, mit de­nen du die Stap­fen im San­de be­trach­test. So wie du kann nur ein Ungläu­bi­ger han­deln. Aber ich wer­de dich schon noch zum rech­ten Glau­ben be­keh­ren; dar­auf kannst du dich ver­las­sen, du magst nun wol­len oder nicht!«

»Dann nen­ne ich mich einen Pil­ger, ohne in Mek­ka ge­we­sen zu sein.«

»Sih­di – –! Du hast mir ja ver­spro­chen, das nicht zu sa­gen!«

»Ja, so­lan­ge du mich nicht be­keh­ren willst.«

»Du bist der Herr, und ich muss es mir ge­fal­len las­sen. Aber, was tun wir jetzt?«

»Wir sor­gen zu­nächst für un­se­re Si­cher­heit. Hier kön­nen wir leicht von ei­ner Ku­gel ge­trof­fen wer­den. Wir müs­sen uns über­zeu­gen, ob die­se bei­den Schur­ken auch wirk­lich fort sind.«

Ich er­stieg den Rand der Schlucht und sah al­ler­dings die zwei Rei­ter in be­reits sehr großer Ent­fer­nung von uns auf Süd­west zu­hal­ten. Ha­lef war mir ge­folgt.

»Dort rei­ten sie«, mein­te er. »Das ist die Rich­tung nach Bir Saui­di.«

»Wenn sie sich weit ge­nug ent­fernt ha­ben, wer­den sie sich nach Os­ten wen­den.«

»Sih­di, dein Ge­hirn dünkt mir schwach. Wenn sie dies tä­ten, müss­ten sie uns ja wie­der in die Hän­de kom­men!«

»Sie mei­nen, dass wir erst mor­gen auf­bre­chen, und glau­ben also, einen gu­ten Vor­sprung vor uns zu er­lan­gen.«

»Du rätst und wirst doch das Rich­ti­ge nicht tref­fen.«

»Meinst du? Sag­te ich dir nicht da oben, dass eins ih­rer Pfer­de den Hah­nen­tritt habe?«

»Ja, das sah ich, als sie da­von­rit­ten.«

»So wer­de ich auch jetzt recht ha­ben, wenn ich sage, dass sie nach Sed­da­da ge­hen.«

»Wa­rum fol­gen wir ih­nen nicht so­fort?«

»Wir kämen ih­nen sonst zu­vor, da wir den ge­ra­den Weg ha­ben, dann wür­den sie auf un­se­re Spur sto­ßen und sich hü­ten, mit uns wie­der zu­sam­men­zu­tref­fen.«

»Lass uns also wie­der zum Was­ser ge­hen und ru­hen, bis es Zeit zum Auf­bruch ist.«

Wir stie­gen wie­der hin­ab. Ich streck­te mich auf mei­ne am Bo­den aus­ge­brei­te­te De­cke aus, zog das Ende mei­nes Tur­bans als Lischam14 über das Ge­sicht und schloss die Au­gen, nicht um zu schla­fen, son­dern um über un­ser letz­tes Aben­teu­er nach­zu­den­ken. Aber wer ver­mag es, in der fürch­ter­li­chen Glut der Sa­ha­ra sei­ne Ge­dan­ken län­ge­re Zeit mit ei­ner an sich schon un­kla­ren Sa­che zu be­schäf­ti­gen? Ich schlum­mer­te wirk­lich ein und moch­te über zwei Stun­den ge­schla­fen ha­ben, als ich wie­der er­wach­te. Wir bra­chen auf.

Das Wadi Tar­faui mün­det in den Schott Rhar­sa; wir muss­ten es also nun ver­las­sen, wenn wir, nach Os­ten zu, Sed­da­da er­rei­chen woll­ten. Nach Ver­lauf von viel­leicht ei­ner Stun­de tra­fen wir auf die Spur zwei­er Pfer­de, wel­che von West nach Ost führ­te.

»Nun, Ha­lef, kennst du die­se Ethar, die­se Fähr­te?«

»Masch Al­­­­­­