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Martin Rafelt

VOLLGASFUSSBALL

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VERLAG DIE WERKSTATT

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Satz und Gestaltung: Die Werkstatt Medien-Produktion GmbH

ISBN 978-3-7307-0307-6

Prolog

„Uns ging doch allen der Arsch hier auf Grundeis, vor dreizehn Monaten. Als wir nach‘m Bielefeld-Spiel hier langgelaufen sind und hier war‘s mucksmäuschenstill. Und es war tot hier in diesem Trainingsgelände.“

Wir schreiben den 23. April 2008. Ein aufgebrachter Thomas Doll echauffiert sich über den medialen Umgang mit ihm. Er hat am vergangenen Wochenende das Finale des DFB-Pokals verloren. Nach einem aufopferungsvollen Spiel hatte Luca Toni in der Verlängerung den Siegtreffer für den FC Bayern erzielt. Durch die Finalteilnahme hat sich der BVB sicher für die anstehende UEFA-Cup-Saison qualifiziert, was Doll gerne als Erfolg verbuchen würde. Doch der öffentliche Fokus liegt auf der Liga, wo den Schwarzgelben nur ein Sieg in den letzten acht Spielen gelang. Vor dem anstehenden 30. Spieltag liegen nur Energie Cottbus, Arminia Bielefeld und sieben Punkte Differenz zwischen Borussia Dortmund und einem Abstiegsplatz.

Auch insgesamt bestand Anlass zur Sorge: In den vier Jahren zuvor war der Verein dem finanziellen Ruin, der Insolvenz und dem Zwangsabstieg nur knapp entronnen und musste nun schon das zweite Jahr in Folge gegen den Abstieg spielen. Den folgenden Aufschwung, der über zwei deutsche Meisterschaften und einen Pokalsieg bis ins Endspiel der europäischen Königsklasse führte und den BVB als zweite große Kraft des deutschen Fußballs etablierte, konnte niemand ahnen – und auch nicht, dass dieser rapide Weg nach oben ein Gesicht tragen würde: das von Jürgen Klopp.

Zurück zum 23. April 2008. Thomas Doll will sich auf den unangenehmen Abstiegskampf konzentrieren, doch ist angespannt und genervt von den Wechselgerüchten um seine Spieler. Auch die Diskussionen um seine Person nehmen ihn mit; noch am Tag des Finales hatten Medien Jürgen Klopp als seinen möglichen Nachfolger vermeldet. Seiner Frustration verschafft er auf der Pressekonferenz Luft. Seine Wutrede wirkt unkoordiniert, stellenweise gestottert. Inhaltlich ist sie wirr. Sie wird später in Bundesliga-Rückschausendungen neben den legendären Ausrastern von Trapattoni, Hoeneß oder Völler gesendet werden. Der Satz, der hängen bleibt: „Das ist doch alles bla bla bla, ist das doch.“ Kein konstruktiver Satz, kein Satz, der die Menschen überzeugt. Vor allem kein Satz, der Spiele gewinnt.

Vier Wochen später. Der BVB hat die Bundesliga-Saison 2007/08 auf Platz 13 beendet, seiner schlechtesten Platzierung seit 20 Jahren. Ein einziger Sieg aus den letzten fünf Spielen reichte für den Klassenerhalt. Mit 62 Gegentoren ist die Mannschaft von Thomas Doll der defensivschwächste Bundesligist. Die Analyse der Saison fällt sehr negativ aus. Doll tritt am 19. Mai 2008 zurück. Eine Entscheidung, die sich als einer der wichtigsten Schritte in Dortmunds Vereinsgeschichte entpuppen wird.

Vier Tage später. Dolls Nachfolger wird öffentlich vorgestellt. Der als Favorit gehandelte Jürgen Klopp übernimmt den BVB. Aus Mainz folgen ihm seine Co-Trainer Željko Buvač und Peter Krawietz. Von nun an bleiben andere Sätze hängen, wenn sich der Cheftrainer von Borussia Dortmund der Presse stellt.

Mit Vollgas

Bei seiner Vorstellung skizzierte Klopp seine fußballerischen Vorstellungen in klaren Ansagen. Seine Idee von spektakulärem, direktem Fußball und einer mannschaftlich geschlossenen, extrem intensiven Pressingarbeit beschrieb er schon damals. Vor allem seine versprochenen „Vollgasveranstaltungen“ hallen bis heute nach – wie nicht zuletzt der Titel dieses Buches zeigt. Mit seiner hemdsärmligen, lockeren Art fand Klopp schnell Anklang bei den Fans, und es entwickelte sich zügig eine Aufbruchstimmung. Diese feuerte er mit klaren und zielgenauen Ansagen weiter an, ohne sich der üblichen Floskeln zu bedienen. Wenn einige seiner Sätze heute wie Floskeln klingen, dann deshalb, weil sie im Laufe der letzten Jahre breitflächig adaptiert wurden. Viel „investieren“, „unangenehm“ sein, „Gier entwickeln“, dies und das.

„Man kann es als Populismus abtun, wenn man sagt, man möchte den Fußball spielen, den die Leute sehen wollen. Ändert nichts daran, dass wir’s trotzdem versuchen werden. (…) Wir wollen dieses unglaublich positive Bild, das dieses volle Stadion abgibt, dann einfach auch dazu nutzen, tatsächlich wieder richtig leidenschaftlichen Fußball zu spielen.“

Jürgen Klopp bei seiner ersten Pressekonferenz als BVB-Trainer

Zugleich erklärte Michael Zorc, dass Klopp nach Ansicht von Borussia Dortmund gut in den Verein und die Region passe. Dies sei ein wesentlicher Punkt bei der Entscheidung für ihn gewesen. Später meinte Zorc einmal, dass man zu diesem Zeitpunkt noch nicht geahnt habe, dass in dem charismatischen Redner auch ein so herausragender Taktiker stecke. In der medialen Betrachtung war ebenfalls lange Zeit der erste Punkt der präsentere, und Klopp galt vor allem als Motivator. Klopp selbst hatte den Fokus auf seine psychologischen Fähigkeiten seit jeher abgelehnt und Wert darauf gelegt, dass es ihm vor allem auf inhaltliche, fußballerische Punkte ankomme. Im Laufe der Jahre erkannte dann allmählich auch die Öffentlichkeit, dass Klopps taktische Ideen entscheidenden Einfluss auf seinen Erfolg hatten. Schließlich waren diese Ideen immer klarer auf dem Feld zu beobachten. Doch wie sehen diese Ideen genau aus und wieso sind es ausgerechnet die Ideen von Klopp?

„Ich mochte, wenn Trainer ’ne Mannschaft besser gemacht haben. Wenn du nicht nur das abgerufen hast, was eh schon da war.“

Klopp über Trainer, die ihn beeinflussten

Eine Anmerkung zu Mainz 05

Klopps erste Trainerstation beim 1. FSV Mainz 05 wird in diesem Buch nur marginal betrachtet. Die Erklärung ist relativ einfach: Die ersten sieben Lehrjahre in Klopps Karriere fielen in die Kindheit und Jugend des Autors, der sie deshalb folgerichtig nicht ausreichend (auch in der Tiefe) und nicht aus erster Hand hat verfolgen können. Da Klopps Zeiten beim BVB und in Liverpool zudem genug (und aktuelleres) Material hergeben, erschien der Aufwand für eine hinreichend umfangreiche Recherche unverhältnismäßig – insbesondere die 05er unter den Lesern mögen es verzeihen.